Die Heidenhöhlen bei Ueberlingen

Textdaten
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Autor: Heinrich Schreiber
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Titel: Die Heidenhöhlen bei Ueberlingen
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 63–64
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Originalherkunft:
Quelle: Commons und Google
Kurzbeschreibung:
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Die Heidenhöhlen bei Ueberlingen.

Zwischen den Dörfern Goldbach und Sipplingen am unteren Bodensee, unweit Ueberlingen, zieht sich dicht am Ufer des Sees in bedeutender Höhe und Länge eine mächtige Felswand hin. An dieser Wand bemerkt man viele Oeffnungen von allerlei Größe und Gestalt. Es sind dies die Eingänge und Lichtöffnungen der sogenannten Heidenhöhlen oder Heidenlöcher; vor etlichen vierzig Jahren führten steinerne Treppen noch zu den Eingängen, jetzt aber sind sie ganz verwittert, und nur mit Mühe und nicht ohne Gefahr kann man vermittelst Leitern in diese wundersamen Gemächern gelangen. Erstaunen und Bewunderung muß aber Jeden ergreifen, der dieses seltsame Riesenwerk betritt. Tief in dem Innern der Felswand finden sich hier eine Menge Gemächer und Kammern. Es ist ein Werk, das außerordentliche Mühe und einen großen Zeitaufwand gekostet haben muß. Die Gemächer sind beinahe alle gewölbt und mit Pfeilern versehen, die Fensteröffnungen großentheils regelmäßig angebracht und selbst nicht ohne Zierlichkeit, nur etwas niedrig, denn die höchsten messen nicht über acht Fuß. An den Wänden sind in vielen Kammern Sitzbänke, Nischen und allerlei Vertiefungen angebracht, jedoch nicht in allen, und überhaupt läßt es sich nicht verkennen, daß alle die Gewölbe und Kammern nicht zu einem und demselben Zweck erbaut worden seyen. Unwillkürlich befällt Einen beim Eintreten in diese Felsenbehausung [64] der Gedanke an die egyptischen Todtenkammern und Nekropolen.

Ueber den ursprünglichen Zweck und Gebrauch dieser Felsenkammern hat man keine Nachricht, und es läßt sich nichts Sicheres darüber ermitteln.

In der Umgegend glaubt man allgemein, daß sie den ersten Christen bei den ausgebrochenen Christenverfolgungen zu Schlupfwinkeln gedient haben, oder auch, daß später bei größerer Ausbreitung des Christenthums die noch übrigen Heiden der Umgegend in diesen unterirdischen Gemächern ihren heimlichen Gottesdienst gefeiert hätten. Doch auf keinen Fall können weder die verfolgten Christen noch die vertriebenen Heiden zu den obigen Zwecken sich diese Wohnungen erst gebaut haben; denn wer genöthigt ist, sich einen Schlupfwinkel zu suchen, hat wahrlich nicht so viel Zeit dazu, sich eine Zufluchtsstätte von solchem Umfang und solchem Zeitaufwand zu bereiten; denn bei einer Arbeit, die so viel Zeit und so viel Mühe erfordert, wären sie sicher vor deren Vollendung verrathen worden.

Unverkennbar ist dies ein Römerwerk; aber aus welcher Zeit und zu welchem Zweck, darüber wagen wir nicht zu entscheiden. Und auch der Name Heidenlöcher scheint dieses zu bestätigen, denn wie viele Ueberreste römischer Bauwerke in unserm Lande werden nicht mit dem Zusatze heidnisch benannt! so der Heidenkeller bei Ettenheimmünster, der Heidenberg bei Ippingen, das Heidenschloß bei Orsingen, das Heidenloch auf dem Heiligenberg bei Heidelberg etc. Uebrigens können später, als diese Höhlen leer gestanden, sehr leicht verfolgte Christen hier eine Zuflucht gefunden haben, wie dies unter Pelagius in Spanien im asturischen Gebirge mit solchen Höhlen der Fall war. Eben so wenig wollen wir in Abrede stellen, daß auch nachher verfolgte Heiden ihren heimlichen Götzendienst hier gehalten, und daß auch davon der Name Heidenlöcher, Heidenhöhlen entstanden seyn könne. Uebrigens müssen diese Kammern noch in spätern Zeiten Menschen zur Wohnung gedient haben; denn in einer derselben, deren Wände mit Kalk überworfen und von Ruß geschwärzt sind, findet sich unter dem Ueberwurf in die Wand eingehauen die Zahl 1675. Wo sich [65] diese Felsenwand dem Orte Sipplingen nähert, findet man in den Felsen eingehauene Reste einer Einsiedelei mit uralten Bildern im byzantinischen Styl. Der Rauchfang und die in Stein gehauene Schlafstätte des Einsiedlers sind noch sichtbar.

Dr. H. Schreiber.
(Siehe Karlsruher Unterhaltungsblatt. Jahrg. VI. 1833.)