Die Hamburger Schreckenstage

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Autor: Adolf Ebeling
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Titel: Die Hamburger Schreckenstage
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 304–309
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Zum fünfzigjährigen Gedächtniß an den großen Brand in Hamburg vom 5. bis zum 8. Mai 1842
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[304]

Die Hamburger Schreckenstage.

Zum fünfzigjährigen Gedächtniß an den großen Brand in Hamburg vom 5. bis zum 8. Mai 1842.
Von Adolf Ebeling.0 Mit Zeichnungen von H. Amberg.


 „Hört ihr’s wimmern hoch vom Thurm?
 Das ist Sturm! …“

Ein halbes Jahrhundert ist seit jenen furchtbaren Tagen verflossen, in denen meine Vaterstadt Hamburg fast zu einem Drittheil in Flammen unterging und nahe daran war, völlig in einen einzigen ungeheuren Trümmerhaufen verwandelt zu werden; und bis auf den heutigen Tag gehört dieses Ereigniß zu den denkwürdigsten und zugleich entsetzlichsten meines Lebens. Die langen, langen Jahre haben das grauenvolle Bild in meiner Erinnerung wohl zurückzudrängen, aber nicht auszulöschen vermocht, und jetzt, wo ich es, gleichsam zu einer wehmüthigen Gedächtnißfeier, aufs neue in mir wachrufe, tritt es bis auf seine Einzelheiten wieder so lebendig vor meine Seele, als gehörte es der jüngsten Vergangenheit an.[1]

Eine kurze Vorbemerkung ist hier nöthig, um die gleich von Anfang an unglaublich schnelle Verbreitung der Feuersbrunst einigermaßen zu erklären. Der Monat April des Unglücksjahres 1842 war nämlich ungewöhnlich warm und trocken gewesen, so daß die vielen Fleete (Kanäle) der Altstadt, welche die Alster mit der Elbe verbinden, sowie der Stadtgraben im Osten fast wasserleer waren. Ferner bestanden dort, wo die Feuersbrunst ihren Anfang nahm, die meisten Häuser aus Fachwerk mit steil aufragenden Giebeln, welche das Besteigen der Dächer sehr erschwerten, und drittens geriethen gleich in den ersten Stunden einige große sechs- und siebenstöckige Speicher in Brand, die von unten bis oben mit den feuergefährlichsten Stoffen angefüllt waren, mit Sprit, Rum, Oel, Schellack etc., und ihren Inhalt in Flammenströmen auf die Straße ergossen.




Durch die Stille der Nacht vom 4. auf den 5. Mai 1842 ertönten plötzlich gegen zwei Uhr die dumpfen weithinschallenden Glockenschläge der Feuersignale von den beiden Thürmen der Michaelis- und der Katharinenkirche, und die Nachtwächter liefen mit ihren Rasseln und mit dem üblichen langgedehnten Rufe „Füer! Füer! Füer!“ durch die Straßen.

Mancher Schläfer fuhr wohl erschreckt empor, beruhigte sich jedoch sofort wieder bei dem Gedanken au die treffliche Hamburger Feuerwehr mit ihren berühmten Repsoldschen Spritzen, die sich damals in ganz Norddeutschland eines bedeutenden Rufes erfreuten.

Als aber gegen fünf Uhr morgens die Glocken von zehn zu zehn Minuten immer von neuem anschlugen, vom Michaelisthurm, als allgemeines Alarmsignal, gar in Doppelschlägen, da wurden die Bewohner jenes Stadtviertels doch mit Angst und Besorgniß erfüllt, warfen sich hastig in die Kleider und eilten nach der Brandstätte.

Der Anblick war ein entsetzlicher: drei hohe Speicher waren bereits in qualmende Trümmerhaufen verwandelt, vier andere brannten lichterloh von oben bis unten, zehn bis zwölf Wohnhäuser lagen schon in Schutt und Asche, und an ebensovielen schlugen die wilden, züngelnden Flammen aus allen Fenstern zugleich heraus. Auch die gegenüberliegenden Speicher, obwohl durch das breite, aber nur seichte Fleet von der Brandstätte getrennt, hatten bereits Feuer gefangen und loderten auf; eine halbe Stunde später bildeten sie gleichfalls ein einziges Feuermeer.

Tausende von Menschen standen auf den nahen Brücken und Fleetufern und starrten wie betäubt in diese Vernichtung, ein Werk von kaum sechs Stunden. Und bis auf den heutigen Tag ist das blitzähnliche Umsichgreifen des Feuers, trotz der oben angeführten Umstände, räthselhaft geblieben.

Die Spritzen mit ihren weißgekleideten Mannschaften waren in voller Thätigkeit, andere jagten heran und nahmen vor den zunächst bedrohten Häusern Aufstellung, aber der Wassermangel machte sich überall fühlbar. Hydranten, Dampfspritzen und die vielen sonstigen Rettungsvorrichtungen der neueren Zeit gab es damals vor fünfzig Jahren noch nicht. Man half sich mit ledernen Feuereimern, schöpfte Wasser, wo solches zu finden war, und bildete „Ketten“ – kaum mehr als ein Spielzeug gegen ein solches Flammenmeer!

Unaufhörlich dröhnten die Sturmglocken, und ein scharfer Südwestwind trieb den Funken und Aschenregen, vielfach mit zusammengeballten Feuerbündeln untermischt, über Giebel und Dächer weiter und weiter. Man sprach auch schon von Toten [305] und Verwundeten und erschüttert und angstbeklommen fragte man sich: Wie soll das enden?

Und doch war das alles nur das Vorspiel!

Der 5. Mai, der erste Tag des Brandes, ein Donnerstag, war zugleich ein Festtag: Christi Himmelfahrt. Die Kirchen, besonders die der entlegeneren Stadttheile, füllten sich mit Andächtigen. Sogar in der hart bedrohten Nikolaikirche wurde noch ein kurzer Morgengottesdienst gehalten, und der Pfarrer schloß mit einem Gebet um Abwendung noch größerer Gefahr. Am Abend desselben Tages war das herrliche Gotteshaus ein flammender Trümmerhaufen.

Gegen Mittag hatte sich die Schreckenskunde von dem furchtbaren Brande in der Altstadt durch die entferntesten Gegenden der Neustadt, hinaus in die Vorstädte und hinüber nach Altona verbreitet, und unabsehbare Menschenmassen flutheten durch die Straßen nach dem einen schrecklichen Ziele. Und nicht Neugierige und Schaulustige allein, sondern auch viele Tausende, die bereit waren, zu helfen und zu retten, was noch gerettet werden konnte, und die auch redlich und unverdrossen das Ihrige gethan haben.

Nun stürmten auch schon von allen Thürmen unaufhörlich die Glocken, denn das Feuer hatte inzwischen zwei, drei weitere Straßen ergriffen und – ein neues Schreckniß! – der Südwestwind war zu einem Orkan aus Süden geworden, der das heulende Flammenmeer mit Riesengewalt und mit dämonischer Schnelligkeit nach Norden, also der Neustadt zujagte.

Trostbrücke.      Alte Börse.      Rathhaus.  Alter Krahn. 
  Commercium.

Die Alte Börse und ihre Umgebung vor dem Brande.

Nachmittags gegett drei Uhr stand der Thurm der Nikolaikirche in hellen Flammen. Man hatte bereits einige Stunden früher leichte Rauchwolken um die Kugeln der Kuppel spielen sehen, und mehr als hundert beherzte Männer bildeten von unten mit ihren vollen Eimern eine Kette bis oben hinauf, wo der Thürmer mit mehreren Leuten beschäftigt war, aus seinem bereits halb geleerten Wasserbehälter die glimmenden Balken zu löschen, die sich unter der glühenden Kupferbedachung entzündet hatten. Alles vergebens! Das obere Gebälk brannte schon lichterloh, als die letzten Männer die Wendeltreppe hinuntereilten, um ihr Leben zu retten, und als sie unten ankamen, war der Thurm in eine himmelhohe Feuerpyramide verwandelt. Er stürzte bald darauf unter donnerähnlichem Krachen und dem tausendstimmigen Aufschrei der Menge in sich zusammen; auf dem zweihundert Fuß hohen Thurmstumpf aber loderten die weithin sichtbaren Flammen wie auf einem riesigen Altar noch die ganze Nacht hindurch und sandten immer neue Funken- und Feuergarben in die Kirche hinein, die auch bis auf die meterdicken Seitenmauern vollständig ausbrannte.

Der Platz der Alten Börse nach dem Brande.

Erhebend und erschütternd zugleich war der Augenblick, als das schöne Glockenspiel im Thurm, von der Gluth in Bewegung gesetzt, noch einmal erklang: „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr!“ und nach einigen Minuten in schneidenden Mißtönen auszitterte ... ein Sterbelied!

Schon am Nachmittag des 5. Mai versammelte sich trotz des Festtages der Senat zu einer außerordentlichen Sitzung und blieb von da an im ganzen neunzig Stunden in ununterbrochener Thätigkeit – würdige, ehrenfeste Männer, die bei dem verhängnißvollen Rufe: „Das Vaterland in Gefahr!“, sofort ihren ernsten und hohen Pflichten vollauf genügten, jedes persönliche Interesse unberücksichtigt ließen, um mit allen nur erdenklichen Mitteln das wie ein Blitz aus heiterer Luft über die Stadt hereingebrochene entsetzliche Unheil zu bekämpfen und zu bewältigen. [306] Proklamationen wurden erlassen, welche die Gesammtbevölkerung zur Hilfe ausriefen, ihr Muth und Vertrauen einsprachen und an den schon so oft bewährten Bürgersinn: „Alle für einen und einer für alle!“ appellierten. Die eindringliche Mahnung war nöthig, denn gegen Abend erlahmte mit den sinkenden Kräften der Muth, und der Beistand von auswärts war noch nicht zur Stelle.

An ein Löschen der brennenden Häuser durch die Spritzen war längst nicht mehr zu denken; höchstens konnte man die letzteren da, wo sich mehr Wasser in den Fleeten vorfand, für die nächsten Straßen verwenden, um vornehmlich die Decken auf den Dächern naß zu halten, aber es waren zumeist ohnmächtige Versuche. Man mußte zu schärferen und großartigeren Mitteln greifen.

Ein furchtbarer, lufterschütternder Knall, der sich von Viertelstunde zu Viertelstunde immer neu und immer gewaltiger wiederholte, verkündete, daß man begonnen hatte, die Häuser mit Pulver in die Luft zu sprengen, und zwar zunächst nach Westen hin, um den Brand von der Neustadt abzuhalten. Englische Ingenieure leiteten die Sprengungen, die nach dieser Seite hin den erwünschten Erfolg hatten; aber in der Richtung nach Nordosten war selbst dieses äußerste Mittel so gut wie vergebens.

Hier jagte der Sturm das Funken- und Gluthmeer unaufhaltsam weiter, und auf dem Burstah und an der Mühlenbrücke standen fast auf einmal über fünfzig hohe Häuser zugleich in Flammen.

Die Nacht – es war die erste, und zwei andere standen uns noch bevor! – die alle Schrecknisse und vollends Feuersgefahr doppelt schrecklich erscheinen läßt, war eine entsetzliche und spottet jeder Beschreibung. Bis auf zehn Meilen im Umkreis sah man den blutrothen Feuerschein am Himmel, und sogar Schiffer in der Nordsee, also in einer fast doppelten Entfernung, sollen ihn am Rande des Horizontes gesehen haben. Schon zählte man nicht mehr die niedergebrannten Häuser, sondern nur noch die zerstörten Straßen. Aber mit der wachsenden Noth kehrte gottlob der gesunkene Muth, bei vielen freilich der Muth der Verzweiflung, zurück, denn einige tausend Mann von der Bürgerwehr, die nicht zur öffentlichen Sicherheit nöthig waren, griffen thatkräftig mit ein.

Am Morgen des 6. Mai wurden die Alte Börse, das „Commercium“ und die Börsenhalle von den Flammen ergriffen; der „Alte Krahn“, ein cyklopischer Bau und eines der Wahrzeichen Althamburgs, lag bereits zertrümmert im Fleet, und von den brennenden Häusern an der Trostbrücke drohte dem nahen Rathhaus die unabwendbare Vernichtung.

Die Petrikirche in Flammen.

Das schöne mittelalterliche Gebäude, in welchem die Väter der berühmten Hansestadt ein halbes Jahrtausend in Freud’ und Leid getagt, wurde in die Luft gesprengt, aber die steinernen Kaiserbilder der Hauptfassade blieben unversehrt und wurden glücklich geborgen, um jetzt, nach fünfzig Jahren, das im Bau begriffene neue Rathhaus zu schmücken.

In langem feierlichen Zuge verließen Bürgermeister und Senatoren ihr ehrwürdiges Heim, schmerzerfüllt, aber ungebeugt, und auf ihrem schweren Gange allen Trostesworte zusprechend und die Hoffnung neu belebend. Sie zogen nach Westen in das große städtische Waisenhaus, wo sie ihre Sitzungen fortsetzten und sich bis zum Bau eines neuen Rathhauses dauernd einrichteten.

Der Fall des Rathhauses hatte den der Bank nach sich gezogen, aber die wichtigen Bücher und Papiere waren beizeiten in Sicherheit gebracht und die Keller mit ihren Silberbarren im Werthe von mehr als zwölf Millionen unter Wasser gesetzt worden, so daß hier der Verlust ein verhältnißmäßig geringer war.

Hinter dem zerstörten Rathhaus lag auf dem Adolfsplatz das prächtige neue Börsengebäude, das man erst vor einigen Monaten bezogen hatte. Allgemeines Jammern und Wehklagen! Man hielt es bereits für verloren, und doch wurde es durch die übermenschlichen Anstrengungen einer Anzahl wackerer Bürger gerettet. Schwerlich wird einer dieser Ehrenmänner noch am Leben sein, denn die ganze damalige ältere Generation ist ja längst dahingestorben, aber ihr Andenken lebt noch bis auf den heutigen Tag im Gedächtniß der Hamburger fort.

Der moralische Eindruck dieser an ein Wunder grenzenden Rettung war ein außerordentlicher.

Allein wie wenn sich der Brand für das eine ihm entrissene Opfer hundertfach entschädigen wollte, wüthete er am 6. und 7. Mai und in der dazwischenliegenden Nacht mit verdoppelter Wuth fort und erlangte am Morgen des 7. Mai seine größte Ausdehnung. Man berechnete, soweit eine solche Berechnung überhaupt möglich war, daß in jener Nacht, der fürchterlichsten von allen, über dreihundert Häuser vernichtet wurden.

Zwischen dem Alten und dem Neuen Wall lag ein breites Fleet, das auch von der sogenannten Kleinen Alster mit Wasser hinreichend versorgt war, aber der Kanal war seiner ganzen Länge nach mit Hunderten von großen und kleinen Kähnen aller Art angefüllt, auf welche die Bewohner der angrenzenden Straßen sich mit ihren Habseligkeiten geflüchtet hatten. Diese Fahrzeuge wurden von dem Funkenregen, den der Sturm wie ein Feuerwerk von vielen tausend Raketen heulend vor sich her trieb, in Brand gesetzt; kaum, daß die darauf befindlichen Menschen sich an das Ufer retten konnten. Mehrere sollen dabei ertrunken oder verbrannt sein. Bald stand das ganze Fleet in Flammen, eine Viertelstunde darauf die Hinterseite des Neuen Walls, und damit war auch diese große und schöne Straße zu zwei Drittheilen verloren. Nur das Stadthaus und das Stadtpostamt blieben verschont.

Man hatte also von der Neustadt das Feuer nicht fern halten können; nicht allein die Hütten der Armen und die bescheidenen Wohnungen der Handwerker und des kleinen Gewerbestandes der Altstadt waren der Brandfackel zum Opfer gefallen, jetzt traf auch die prächtigen Häuser der Reichen und Vornehmen dasselbe schreckliche Los.

Der herrliche Alte Jungfernstieg, die auch im Ausland berühmte schönste Promenade Hamburgs mit den ersten Gasthöfen der Stadt, mit ihren Luxusläden und so manchem fürstlich ausgestatteten Palast der Kauf- und Handelsherren brannte vollständig nieder. Nur weniges konnte in der allgemeinen, alle Begriffe übersteigenden Noth und Verwirrung gerettet werden; der Verlust an Kunstschätzen und kostbarem Hausrath betrug hier allein mehrere Millionen. Aber schon bevor das Feuer die ganze Häuserreihe ergriffen, hatte man ein verzweifeltes Mittel zur Abwehr beschlossen: die letzten westlich gelegenen großartigen Gebäude, Streits Hotel und das stattliche Wohnhaus des Bankiers Salomon Heine, des reichsten Mannes von Hamburg, wurden in die Luft [307] gesprengt. Die ungeheuren Explosionen brachten eine Erschütterung hervor gleich einem Erdbeben, aber das dadurch entstandene weite Trümmerfeld, welches durch die von dem nahen Alsterbassin gespeisten Spritzen mit Wasser förmlich überschwemmt wurde, setzte doch hier dem Feuer eine dauernde Grenze. Der Gänsemarkt, der Neue Jungfernstieg mit der Esplanade, wo man bereits angefangen hatte, die Häuser zu räumen, kurz, der ganze westliche Stadttheil war gerettet. Die dortige Bevölkerung athmete auf; es war eine Erlösung von entsetzlicher Angst.

Im Nordosten der Stadt dagegen wüthete die Feuersbrunst mit teuflischer Hast weiter und zog immer mehr Straßen und Gassen in ihren verheerenden Flammenkreis hinein. Vom östlichen Ende des Jungfernstiegs hatte sie die Alster- und Bergstraße ergriffen und bedrohte jetzt die Sankt Petrikirche.

Inzwischen war die auf großen Pontons im jenseitigen Harburg eingeschiffte hannoversche Artillerie, welche der Senat zur Unterstützung erbeten hatte, am Grasbrook gelandet; in fieberhafter Eile wurden die Kanonen und Pulverwagen bespannt und rasselten alsbald durch die verschont gebliebenen südöstlichen Straßen. Es war wie zu Kriegszeiten in einer belagerten Stadt. Am Speersort nahmen die Batterien Aufstellung, um die Häuser des „Bergs“ niederzuschießen und dadurch möglicherweise die Petrikirche vor dem Untergang zu bewahren. Das schwere Geschütz donnerte weithin, die gewaltigen Kugeln schossen Bresche auf Bresche, und die schönen Gebäude, vor wenig Tagen noch von friedlichen und ahnungslosen Menschen bewohnt, stürzten krachend zusammen.

Der Entwurf des neuen Rathhauses für Hamburg.
Nach einem Lichtdruck von Strumper u. Comp. in Hamburg.

Aber auch hier war jede menschliche Kraftanstrengung vergebens. Der dichte Feuerregen vom „Breiten Giebel“ ergoß sich auf die Trümmerhaufeu und setzte sie trotz aller Löschversuche in Brand; aus einzelnen Dächern der am Petrikirchplatz gelegenen Häuser wirbelte bereits am Abend des 7. Mai blutrother Qualm auf. Gegen Mitternacht stand die 460 Fuß hohe herrliche Thurmpyramide, der Stolz aller Hamburger und in ganz Deutschland wegen ihrer meisterhaften Konstruktion berühmt, in feuriger Lohe, und ein ungeheurer, vom Sturme gepeitschter Flammenmantel umhüllte den stolzen Bau. Ein grauenerregender und doch prächtiger Anblick, und dem, der es mit angesehen, für sein ganzes Leben unvergeßlich! Auch hier, wie bei der Nikolaikirche, ließ das Glockenspiel seinen Klageruf ertönen - das Wimmern eines Kindes gegen ein blutgieriges Raubthier - und schon nach einigen Stunden war das grausige Werk der Vernichtung vollendet.

Der Brand tobte weiter nach dem Pferdemarkt hin und riß leider auch die schöne gothische Gertrudenkapelle mit in das allgemeine Verderben. Aber hier standen die aus Kiel und Lübeck auf Eilfuhren angelangten Spritzen mit ihrer kräftigen und unerschrockenen Bemannung und vertheidigten Schritt für Schritt und Haus für Haus die Umgebung der Jakobikirche, die auch glücklich gerettet wurde. Sogar der Sturm ward den Rettern gewissermaßen zum Bundesgenossen, denn er wandte sich plötzlich nach Nordwesten der Außenalster zu, so daß die Bewohner der Vorstadt Sankt Georg nichts mehr zu befürchten hatten

Die ganze Ostseite der Binnenalster freilich fiel noch der Vernichtung anheim. Das dort liegende Zuchthaus war bereits vorsorglich [308] tags vorher von seinen gefährlichen Insassen geräumt worden, weshalb das Feuer nur leere Räume und nackte Wände vorfand[2]; aber der daranstoßende Holzdamm, eine neue Straße mit prächtigen Häusern war nicht zu retten und wurde gleichfalls ein Raub der Flammen.

So war nach drei fürchterlichen Tagen und Nächten der vierte Morgen angebrochen, ein Sonntag!

Das Flugfeuer der im äußersten Norden brennenden Straßen hatte allerdings noch das letzte an der dortigen Wallpromenade liegende große Stadtgefängniß, das sogenannte „Detentionshaus“, entzündet und vollständig eingeäschert, als ob der Brand noch einmal seine ganze Wuth auslassen wollte, aber dann sanken die Flammen, weil sie nichts mehr zu verzehren und zu verwüsten vorfanden. Auf der weiten Brandstätte selbst loderten sie freilich hier und da sogar noch tagelang fort.

Am Nachmittage dieses unvergeßlichen Sonntages zog einschweres Gewitter aus Südwesten herauf und sandte einen Wolkenbruch über die Stadt – wäre die köstliche Himmelsgabe nur vierundzwanzig Stunden früher gekommen! – und bald darauf stand ein heller Regenbogen im Osten: ein Friedens- und Versöhnungszeichen!

Um dieselbe Stunde erließ der Senat jene Proklamation, die noch heute im Gedächtniß aller Hamburger fortlebt.

„Freunde! Mitbürger!“ hieß es darin, „mit des Allmächtigen Hilfe und der anstrengenden Thätigkeit und der eisernen Ausdauer unserer Bürger und Angehörigen und unserer wohlwollenden Freunde und Nachbarn ist der ungeheuren Feuersbrunst Einhalt gethan ...

Unser geliebtes Hamburg ist nicht verloren, und unsere regsamen Hände werden, wenn auch allmählich und in Monaten und Jahren, das schon wieder aufzubauen wissen, was das furchtbare Element in Stunden und Tagen so hastig zerstörte.

Gott mit uns!“


Plan von Hamburg im Jahre 1842.
Der schwarz ausgefüllte Raum bezeichnet die abgebrannten Stadttheile.



Nach der schon einige Tage später vorgenommenen amtlichen Erhebung waren in 52 Straßen und Gassen 2007 Häuser vollständig niedergebrannt, 219 Häuser dergestalt beschädigt, daß über die Hälfte von ihnen abgebrochen werden mußte; gegen 33000 Einwohner waren obdachlos geworden. Der Gesammtschaden wurde rund auf hundert Millionen Mark Banko = 50 Millionen Thaler geschätzt. Der Verlust an Menschenleben konnte nicht genau angegeben werden. Von 75 aufgefundenen Leichen wurden 54 nach ihrer Persönlichkeit festgestellt, und vielleicht sind ebenso viele in den Flammen umgekommen oder von einstürzenden Mauern erschlagen worden.

Der Hafen mit den vielen tausend Schiffen aller seefahrenden Nationen der Erde blieb glücklicherweise völlig verschont: ein Hafenbrand hätte vielleicht die Zerstörung von ganz Hamburg nach sich gezogen.

Die durch das Unglück hervorgerufene Theilnahme war ebenso groß wie allgemein, zunächst in Deutschland selbst, dann in ganz Europa und sogar über Europa hinaus. Fürsten wetteiferten mit ihren Völkern in Liebesgaben. Der König von Preußen sandte 50000 Thaler und ordnete Kirchenkollekten im ganzen Lande an: ein schönes Beispiel, dem alle übrigen deutschen Herrscher folgten. Der Großherzog von Mecklenburg gab gar 100000 Thaler, und die hannoversche Ständeversammlung bewilligte eine gleiche Summe. Der Kaiser von Oesterreich, die Könige von Bayern, Württemberg und Sachsen, von Dänemark und Schweden sandten wahrhaft königliche Gaben. Der Kaiser von Rußland schickte 50000 Rubel, die kaiserliche Familie die doppelte Summe, und der Petersburger Adel ebensoviel. Die Schwesterstädte Lübeck, Bremen und Frankfurt schlossen sich hochherzig an und überboten sich gegenseitig. Aus London allein kamen gegen 40000 Pfund Sterling. Die „Kölnische Zeitung“ brachte schon am 11. Mai einen erschütternden Aufruf, der in Rheinland und Westfalen Hunderttausende eintrug. Die Pariser Bankiers schickten eine bedeutende Summe, Louis Philippe stand mit 25000 Franken an der Spitze. Und so ging es weiter und weiter – wer könnte alle die Geber nennen!

Aber auch der gesammte Kaufmanns- und Bürgerstand, vor allem in Deutschland selbst, blieb nicht zurück, und schon nach einigen Wochen gab es kaum eine deutsche Stadt bis zum kleinsten Städtchen, wo sich nicht ein Hilfsverein gebildet hätte, der Beiträge sammelte, fast immer mit wahrhaft erhebendem Erfolge. Da durfte Hoffmann von Fallersleben wohl mit Recht ausrufen: <poem> „Niemals trat in schön’rer Reinheit Noch hervor zu einer Zeit Solch Gefühl von deutscher Einheit, Solch Gefühl für deutsches Leid!“

So flossen Millionen zusammen, die der in Hamburg eingesetzten Unterstützungsbehörde überwiesen wurden, und die begüterten und von der Heimsuchung verschont gebliebenen Bürger der Stadt gaben gleichfalls mit vollen Händen. Aber es galt nicht allein die augenblickliche Noth von vielen tausend verarmten Familien zu lindern, sondern auch für ihre nahe und ferne Zukunft zu sorgen.

[309] Schon während des Brandes waren auf der Elbe große Schiffsladungen und von den Nachbarländern zahlreiche Frachtfuhren angelangt mit Brot und Lebensmitteln aller Art, mit Betten, Kleidern und allem nur denkbaren Hausbedarf und sofort an die Bedürftigen vertheilt worden. Man hatte auf den freien Feldern vor den westlichen Thoren Zelte und Bretterbuden errichtet, wo die Abgebrannten ein vorläufiges Unterkommen fanden, und die werkthätige Nächstenliebe bewährte sich überall.

Dann raffte sich die Bürgerschaft thatkräftig und hoffnungsfreudig auf, und das so schrecklich verwüstete Hamburg erstand aus Schutt und Trümmern zu unvergleichlichem Glanze.

Die herrliche Stadt an der Elbe ist jetzt eine Weltstadt ersten Ranges und der Stolz Deutschlands geworden, und der würdige Schlußstein des neuerbauten Stadttheils, das Rathhaus, geht nun auch seiner Vollendung entgegen. Möge der Prachtbau ein Glück und Segen verheißendes Wahrzeichen sein für alle Zeit!




  1. Die Erziehungsanstalt, in welcher ich mich damals als fünfzehnjähriger Schüler befand, lag ganz in der Nähe der Deichstraße, wo das Feuer bei einem Tabakshändler ausgebrochen war, und nach Art der Jugend, die ja bei jedem außergewöhnlichen Ereigniß dabei sein will, eilten auch wir sofort als neugierige Zuschauer hin. Aber nur zu bald begriffen wir den gewaltigen Ernst der Lage und haben alsdann unter Anleitung tüchtiger Lehrer wacker mitgeholfen beim Wassertragen und an den Spritzen – auch da, wo wir nicht „gepreßt“ wurden – bei der Vertheilnng von Lebensmitteln und Stärkungen an die zu Tode ermatteten Arbeiter, schließlich bei der Bergung von Hausrath und (mit weißen Armbinden) bei der Rettung der Staatsarchive.
  2. „Schon am Morgen des 7. Mai,“ berichtet ein Augenzeuge, „wurden die Gefangenen, schwere Verbrecher, 73 an der Zahl, in ihren grauleinenen Kitteln, kurzen grauen Hosen, weißwollenen Strümpfen und hölzernen Pantoffeln, mit ihren eisernen Blöcken an den Beinen, unter starker Bedeckung von Kavallerie und Infanterie der Garnison, über den Wall und die Esplanade zum Dammthor hinausgeleitet. Ruhig, fast ängstlich zogen die Sträflinge mit ihren blassen und ernsten Gesichtern die Straße entlang bis zum Hafen, wo sie vorläufig an Bord der ‚Vesta‘ untergebracht wurden.“