Die Hafenstadt Southampton und seine Fluth-Docks

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Titel: Die Hafenstadt Southampton und seine Fluth-Docks
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 209–210
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Hafenstadt Southampton und seine Fluth-Docks.

Southampton war schon viel früher, als sein mächtiger Nachbar Portsmouth, eine der wichtigsten Städte England. Es ist vielleicht so alt als London, wo man jetzt unter den Gräbern von mehreren hundert Generationen hervor Denkmäler alter, vorchristlicher Römerherrschaft und unter denselben vermorschte Waffen und Schädelstücke der vor den Römern herrschenden Ur-Briten hervorgräbt und in Museen sammelt. Unter der Römerherrschaft war es ein wichtiger Hafen. Und als die Dänen England eroberten, hatten sie den Schwerpunkt ihrer Macht in Southampton, nachdem sie es im Jahre 873 genommen. Es war ein Lieblingsaufenthalt Kanut’s des Großen, der hier einmal seine Höflinge furchtbar herunter gemacht haben soll, daß sie ihm keine absolute Gewalt über die Wogen des Meeres verschaffen könnten. Kanut wird sich inzwischen vielleicht zufrieden gegeben haben: brachten es doch die Diener absoluter Herren bis heute noch nicht so weit. Southampton war eine Zeit lang ein viel bedeutenderer Handelsplatz als London, nämlich so lange als Winchester, jetzt eine harmlose Landstadt etwas weiter landeinwärts, Hauptstadt Englands war. Es blühte unter verschiedenen Handelsmonopolen als der Haupt-Hoflieferant vom Auslande, besonders von Weinen, Seide, Stickereien und Spitzen und Borden aus dem damals welthandelnden Genua, wofür es einheimische Produkte ausführte. Nachdem König Heinrich IV. dessen Monopole aufgehoben, zog sich der Welthandel Englands in die Hauptstadt London zusammen, das sich seitdem zum eigentlichen mercantilen Herzen der ganzen Erde erweiterte. Als nun noch im Jahre 1665 die große Pest alle Reichen vertrieb und die zurückgebliebenen Bewohner zur größeren Hälfte dahinraffte, sank Southamptons Herrlichkeit vollends in Schutt und Staub.

Die Fluth-Docks von Southampton.

Doch die Lage an einem der besten Häfen im Angesichte des atlantischen Oceans, vor dessen gröbsten Launen es außerdem durch die prachtvolle Insel Wight (sprich: Weit) geschützt ist, war eine zu vortheilhafte, als daß es nicht wieder hätte aufleben sollen, als die strotzende, schwellende Industrie Englands und seine dampfbeschwingten Land- und Meeresarme nach allen Seiten hin ausgriffen und Leben holten und gaben. Die große Südwesteisenbahn Londons erhob Southampton zu einem Haupthandelsarme der Weltstadt, und mit dem Erscheinen der Dampfkraft auf den Oceanen ward es von der Regierung zum Meeres-Postbureau für das mittelländische Meer, West-Indien und Südamerika ausersehen. Jetzt pulsirt es in regelmäßigen, kräftigen Schlägen eine fortwährende lebendige Verbindung mit London, Spanien, Portugal, Malta, Aegypten, den ionischen Inseln, der Türkei, der Krim, mit den westindischen Inseln, Brasilien u. s. w. und ist seitdem in drei- und vierfacher Lebenskraft aus seinem Grabe erstanden. Bewegliche und feste Dampfschlotte schicken nach allen Richtungen der Windrose lange, starke Schlangen von Dampf- und Rauchwolken, und selbst dem gewaltigen Oceane, an dessen Fuße der große Kanut sich über seine beschränkte Herrscherhand ärgerte, hat man bedeutende Stücke Landes abgerungen, so daß er mit jeder Fluth in neuer ohnmächtiger Wuth die Armeen seiner Wogen zum Sturme der Festungsthore heranwälzt, die dann so lange eifrig an den Thoren [210] rütteln und darüber hinwegzuspringen oder wenigstens zu sehen und Wasser hinüber zu spritzen suchen, bis sie ihr Obercommandeur, der Mond, der sich fortwährend damit beschäftigt, Oceane in Ebbe und Fluth hin und her zu schaukeln, zurücktreibt, damit sie die Arriere-Garde für die Fluth auf der andern Seite bilden. Also die auferstandenen Southamptoner haben dem Meere Land abgenommen, während es hier ebben mußte, um auf der andern Erdhalbkugel zu fluthen.

Die großen Ocean-Dampfer brauchten nach ihren anstrengenden Reisen Herbergen und Ruhestätten, die ihnen das Meer nicht gönnen wollte. So baute man an den reizenden Gestaden hin Docks und neuerdings Fluth-Docks. Man schloß zunächst 210 Morgen Landes seewärts gegen das Meer durch 1200 Yards lange Bollwerke ab. Von diesen Bollwerken gehen die Weltmeerdampfer ab, nachdem sie innerhalb derselben in vier großen, ruhigen Wasserbetten (Docks) neue Kräfte gesammelt haben. Aber die Ungeheuer bedürfen einer dicken, gesunden, heilen Haut, um ihrer innern Kraft froh zu werden. Deshalb lassen sie sich gern vor der langen Reise von Außen und Unten besehen, ob das tückische Meer keine Achillesfersen ausfindig machen könne. Zu diesem Zwecke muß man die Meeresfestungen auf’s Trockne bringen und gleichsam über sich hin in die Luft halten, ob auch der Himmel nicht durchscheine. Dies vermögen aber Menschenarme, selbst mit Flaschenzügen nicht, weder mit mechanischen, noch den vom Schenkwirth besorgten. So benutzte man die Mondsucht des Meeres, um die Schiffe in die Fluth-Docks hineinzutragen, das Wasser mit der Ebbe dann ablaufen zu lassen und ihm die Thore zu schließen, so daß es während der nächsten Fluth in ohnmächtiger Wuth draußen fluthen und fluchen muß, bis man so gefällig ist, ihm die Thore wieder zu öffnen, aber blos, damit es als gehorsamer Diener das Schiff wieder auf die Schultern nehme und säuberlich hinaustrage. Solcher Fluth-Docks hat man bereits mehrere gebaut, das jetzige aber, welches von zwei großen Dampfschiff-Compagnien construirt und hier in seiner dem Meere zugewandten Hälfte durch Abbildung anschaulich gemacht wird, übertrifft alle bisherigen Wasserbauten an Größe und praktischer Fügung. Es hat eine Länge von 430 Fuß und eine Breite von 88 in der Mitte. Die Fluththore, welche das Meere ausschließen, bilden geöffnet einen Eingang von 80 Fuß Breite. In dieser bedeutenden Ausdehnung halten sie, geschlossen, den Druck des ganzen Oceans zurück, und verziehen keine Miene, so häuserhoch sich der Herr, dem bekanntlich drei Viertheile der ganzen Erdoberfläche gehören, auch an ihnen in die Höhe bäumt und sich die verzweifeltste Mühe giebt, sie aus den Angeln zu heben und sich das Bischen geraubte Land wieder zu nehmen.

In diesem neuen Fluth-Dock werden die größten Meeresdampfungeheuer, wie der Himalaya und selbst der Wellington, ein bequemes, trockenes Bett finden, obgleich sie sich mit ihrem Kiele auf die lange harte Kante von Eisen-Quadraten, die wir in der Mitte angedeutet finden, legen müssen. Aber sie sind in dieser Beziehung nicht verwöhnt und schlafen hier besser, als wir zwischen Daunen. Leer sieht das Bett aus wie ein fünf Stockwerk tiefes ungeheures Grab, wie eine Mulde, eine Wanne, thurmhohe Riesen darin zu baden. Von seinen Rändern oben genießt man die herrlichsten, großartigsten Naturscenen, zwischen denen Industrie und Handel in athemloser, tausendarmiger Kunst und Kraft sich hin und her bewegen. Die großen, dampfenden Boten, die fortwährend aus fernen Welttheilen heranbrausen und abgehen, erweitern die Seele über die Erde hin und erwecken stolze Ahnungen von der Welttheile verbindenden, Völker bildenden und versöhnenden Kulturgewalt des erdumgürtenden Verkehrs und Handels – in der Zukunft, die unsere Kinder und Enkel als schöne Wirklichkeit begrüßen wird.