Die Gothenburger Ausschank-Gesellschaft

Textdaten
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Autor: August Lammers
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Titel: Die Gothenburger Ausschank-Gesellschaft
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 78–79
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Gothenburger Ausschank-Gesellschaft.

In Holland wirken zwei Mäßigkeitsgesellschaften neben einander: „Die niederländische Gesellschaft zur Abschaffung geistiger Getränke“, deren Wochenblatt „Volksfreund“ schon in seinem siebenunddreißigsten Jahrgange steht, und „Der Volksbund gegen den Mißbrauch berauschender Getränke“, 1875 durch den leider schon im Jahre darauf verstorbenen L. Philippona (mit dem Schriftstellernamen Multapatior) gestiftet. Die Entstehung und unzweifelhaft bedeutende Wirksamkeit des jüngeren Vereins ist an sich schon ein vollgültiger Beweis dafür, daß der ältere seiner großen Aufgabe nicht genügte. In dem jüngeren Verein lebt aber auch eine andere Auflassung von der Sache. Hierüber spricht der gegenwärtige Präsident des „Volksbundes“, Goeman-Borgesius, sich in einer Schrift über das neue niederländische Trunksuchtsgesetz von 1881 in folgender bemerkenswerter Weise aus:

„Man darf unsern ‚Volksbund‘ nicht mit der alten Abschaffungsgsellschaft zusammenwerfen. Wir haben alle Achtung vor der Ueberzeugungskraft der Männer, die auf ihre Fahne das kühne Wort ‚Abschaffung‘ geschrieben haben: wir bewundern den Muth und die Beharrlichkeit ihres Streitens. Aber unser Bund sieht seine Aufgabe anders an. Die alte Gesellschaft fordert von Allen, die ihr beitreten, daß sie keinerlei starke Getränke genießen oder ausschenken. Der ‚Volksbund‘ ist nicht so exclusiv; er öffnet seine Thüren weit für Alle, welche mit ihm kämpfen wollen gegen den gemeinschaftlichen Feind, d. h. den Mißbrauch berauschender Getränke.“

Ganz ähnlich wird wohl die „Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Trunksucht“, zu deren Gründung sich unlängst in Frankfurt am Main eine bedeutende Anzahl Volks- und Vaterlandsfreunde aus allen Theilen Deutschlands, aus den verschiedensten Ständen und Parteien verbunden hat, zu den hier und da noch vorhandenen alten Enthaltsamkeitsvereinen stehen. Sie will nicht ausrotten, sondern vernünftig beschränken. Sie steckt sich kein im Ganzen unerreichbares Ziel, braucht sich aber deshalb auch nicht zu begnügen, es nur bei verschwindend wenigen Individuen zu erreichen. Sie predigt Mäßigung in dem alltäglichen Genuß eines so starken Giftes, wie der Alkohol ist, nicht unbedingte Enthaltsamkeit. Darum wird sie schwerlich mit jenen Excessen des Temperanz-Fanatismus sympathisiren, welche in den Vereinigten Staaten von Amerika von betenden und singenden Weibern gegen vielleicht sehr achtbare, ihrem Erwerb nachgehende Schenkwirthe verübt worden sind, oder welche sich gegen den gewohnten mäßigen Lagerbiergenuß und fröhlichen Liedergesang unserer ausgewanderten Landsleute richten; auf keinen Fall wird sie an die Uebertragung solcher Vorgänge auf unsern Boden denken. Aber was in europäischen Ländern anscheinend mit Erfolg neuerdings gegen das volksverderbliche Uebermaß des Trinkens unternommen worden ist, das wird sie zur öffentlichen Prüfung bringen; sie wird erwägen, ob und mit welchen Abänderungen oder unter welchen Bedingungen es sich auf unser deutsches Volksleben anwenden lasse.

Da steht nun neben anderem im Vordergrunde der Betrachtung das vielgenannte, aber noch wenig genau bekannte Gothenburger System. Unter diesem Titel geht jetzt durch die vorwärtsstrebende Welt von Mund zu Mund eine gewisse Regelung des Schänkenwesens. Seinen Ursprung hat das Gothenburger System in einer Untersuchung der Armuthsursachen, wie das Deutsche Reich sie im Herbst 1881 angestellt hat; sein Urheber war ein Zeitungsherausgeber.

Sven Adolf Hedlund, der Herausgeber jener Gothenburger Handels- und Schifffahrtszeitung, welche 1870 bis 1871 im skandinavischen Norden fast allein stand mit einer unbefangeneren Würdigung unseres Krieges gegen die Franzosen, beantragte am 31. Mai 1864 in der Stadtverordnetenversammlung zu Gothenburg, einen Ausschuß mit der Untersuchung der Gründe des wachsenden Elends in der Stadt und mit Vorschlägen zu der Hebung desselben zu beauftragen. Der Ausschuß, welchem Hedlund selbst angehörte, schlug zweierlei vor: eine neue Ordnung des Branntweinschanks und den Bau von Arbeiterwohnungen. In dem die erstere Maßregel begründenden Bericht vom April 1865 sagte der Ausschuß, der Branntwein sei ihm in den traurigen Zuständen, die er zu untersuchen gehabt habe, auf Schritt und Tritt entgegengetreten. Eine Menge Tatsachen, darunter viele von ergreifender Art, hätten ihm bis zum Ueberfluß die Wahrheit der alten Behauptung von Predigern, Aerzten, Richtern und Menschenfreunden bestätigt, daß die Trunksucht in ihrer schauerlichen Macht früher oder später unerbittlich ihre Opfer in’s Verderben führe, „indem sie die Seelenkräfte schwächt und das Rechtsgefühl abstumpft, die Gesundheit und Kraft des Körpers untergräbt, Gleichgültigkeit gegen die häuslichen Pflichten und die Interessen der Familie groß zieht und dadurch selbst in den sonst besten Häusern Kaltsinn und Unfrieden zwischen den Gatten, schlechte Kindererziehung, Unordnung, Verfall der Wirthschaft und zuletzt allgemeines Elend hervorbringt“.

Einen solchen Feind zu überwinden, der Armuth, Noth und Verbrechen zugleich im Gefolge habe, möge ein Gemeinwesen wohl alle seine Kräfte und Mittel aufbieten. Der Grund des Branntweingenusses sei ohne Zweifel nicht allein rohe, sinnliche Genußsucht, auch starke äußere Ursachen trieben zu ihm hin.

„Die gefährliche Eigenschaft des Branntweins, daß er, wenn auch nur für kurze Zeit, den frierenden und mangelhaft bekleideten Menschenkörper erwärmt, das quälende Hungergefühl stillt, die gesunkene Kraft zu neuen Leistungen aufstachelt, betrachtet der unter Entbehrungen und Anstrengungen lebende Arbeiter als Beweis seiner Nützlichkeit und Vortrefflichkeit, als Grund, ihn erst mäßig, dann vermöge einer verhängnißvollen inneren Nothwendigkeit immer unmäßiger zu verbrauchen.“

Was der Ausschuß der Stadtverordneten-Versammlung nun gegen dieses öffentliche Uebel vorschlug, stützte sich auf die schwedische Branntweingesetzgebung vom 15. Januar 1855. Durch diese wurde das Brennen zum Hausbedarf, das in Schweden während der ersten Hälfte des Jahrhunderts einen ungeheuren Umfang angenommen und das Trinken zum allgemeinen Volkslaster gemacht hatte, unterdrückt; nur Fabrik-Brennereien mit Dampfkraft blieben zugelassen, und diese wurden außerdem noch höher besteuert, sowie ihre Betriebe auf einen Theil des Jahres beschränkt. Während der Großhandel mit Branntwein frei blieb, wurde der Kleinhandel ganz abhängig gemacht von der Entscheidung der Communen, die ihn zulassen oder ganz verbieten, beschränken, regeln konnten, wie sie wollten, nur mit Vorbehalt der Genehmigung des sie beaufsichtigenden königlichen Beamten.

Diese durchgreifende Maßregel half auf dem Lande allem Unheil ab. Während sonst fast jedes einzeln belegene Gehöft zugleich ein Krug war, besaßen die schwedischen Landgemeinden im Jahre nach der neuen Gesetzgebung zusammen nur noch 64 Schnapsläden, 493 Schankberechtigungen für längere Zeit und 132 für weniger als ein Jahr. Man rechnet, daß gegenwärtig bei einer Durchschnittsbevölkerung von wenig über 500 Einwohner auf die Geviertmeile in Schweden nur noch auf je 10,500 Seelen eine Schänke und auf je 25,000 ein Schnapsladen kommt.

Aber was den Dörfern und Weilern geholfen hatte, mehrte zum Theil noch die Belastung der Städte; denn in ihre Mauern flüchteten die branntweingierigen Landbewohner und halfen ihre Kneipen füllen. So kamen in dem Jahre 1855/56 auf das in den Städten wohnende Achtel der Gesammtbevölkerung Schwedens nicht weniger als 1912 Schänken und Schnapsläden gegen die 689 des offenen Landes. Unter den bestraften Trunkenheitsfällen in Gothenburg befanden sich stets vergleichsweise viele Leute vom Lande.

Immerhin litt direct die unbemittelte städtische Bevölkerung, indirect auch die bemittelte bei weitem mehr von den fortbestehenden üblen Wirkungen des hergebrachten Schänkenwesens, als das Landvolk im Ganzen.

Um also dem Mechanismus erst rechte Triebkraft zu leihen, war hier noch ein Rad einzuschieben, und dieses wurde in Gothenburg erfunden. Es hieß „gemeinnützige Actiengesellschaft“ – ein uns zuerst etwas befremdender Name und Begriff, den wir aber bald verstehen und würdigen lernen, wenn wir uns seine Gothenburger Wirklichkeit näher ansehen.

Mit rund 60,000 Einwohnern besaß die Stadt damals 60 Schankstellen. 40 derselben waren theils nur auf Jahresfrist zugelassen; theils verfiel ihre Berechtigung im Herbste jenes Jahres 1865 und wäre dann neu zu versteigern gewesen. Diese zunächst verfügbaren 40 Schankberechtigungen empfahl der Ausschuß der Stadtverordneten-Versammlung einer Gesellschaft zu übertragen, welche sie nicht des Erwerbes halber, sondern aus Gemeinsinn an sich nehmen und benutzen würde. Sie sollte verpflichtet sein, für gesunde, helle und geräumige Locale zu sorgen, die geeignet wären, [79] Speisehäuser der lohnarbeitenden Classen zu werden, indem sie zu gewissen Stunden warme Speisen bereit halten würden. Innerhalb ihrer Locale hätte sie dauernd für Reinlichkeit und Ordnung aufzukommen; auf Borg oder gegen Pfand dürfte sie keine starken Getränke verabfolgen lassen.

Eine solche Gesellschaft forderte der Ausschuß aber nicht blos; er hielt sie für den Fall der Genehmigung seiner Vorschläge schon gleich bereit. Zwanzig der angesehensten Handelshäuser und Bürger erboten sich in einem Schreiben vom 7. April 1865 an den Magistrat, alle Schankberechtigungen zu übernehmen, welche sonst zur öffentlichen Versteigerung gelangen würden, die in der städtischen Branntweins-Ordnung dafür festgesetzten Mindestabgaben zu zahlen und den verbleibenden Reingewinn im Interesse der arbeitenden Classen gemeinnützig zu verwenden. Sie erhielten den Zuschlag und eröffneten ihr Geschäft am 1. October 1865. Einen Theil der Schänken ließen sie eingehen; die anderen statteten sie anständig aus und besetzten sie mit Wirthen, welche den Branntwein nur auf Rechnung der Gesellschaft unter Aufsicht eines Beamten derselben verabfolgten, dagegen Kaffee, ein dort „Drick“ genanntes schwaches Bier (ähnlich unserer Gose, Broihan, Weißbier u. dergl.), kohlensaures Wasser, Speisen aller Art, Zigarren etc. für ihre eigene Rechnung verkauften. Damit war den Schänken genommen, was sie namentlich bei großer Zahl und scharfer Concurrenz für viele ihrer Gäste so gefährlich macht, nämlich das Interesse des Wirthes am Vieltrinken.

Nach drei Jahren gab die Gesellschaft das Recht auf, über ihren Reingewinn nach eigenem Ermessen zum Wohle der arbeitenden Classen zu entscheiden, und wies denselben einfach der Communalcasse zu. Diese hatte davon sehr beträchtliche Einnahmen: 1866 zwar nur erst 53,946 Kronen (1 Krone gleich etwa 1,10 Mark unseres Geldes), 1868: 99,054 Kronen, aber 1872 schon 206,188 Kronen, und als 1874 sämmtliche Schankberechtigungen nebst dem ganzen Kleinverkauf von Branntwein in Läden an die Gesellschaft übergegangen waren, stieg die städtische Einnahme aus dieser Quelle von 254,393 Kronen im Jahre 1874 auf 665,512 im Jahre 1875 und 721,862 im Jahre 1876. Von da ab ist der Gewinn der Stadt wieder etwas gesunken und hält sich jetzt um 600,000 Kranen herum. Aber das ist kein Unglück, im Gegentheil! Denn diese Gewinnabnahme zeigt an, daß, seit die Gesellschaft das Geschäft völlig in der Hand hat, die Schraube nach Möglichkeit fester angezogen wird und die sociale Wirkung des Systems nun erst recht beginnt. Stände nicht eine gemeinnützige Actiengesellschaft zwischen der Gewohnheit des Trinkens und der städtischen Casse, so könnten die Vertreter der letzteren in Gefahr kommen, in ihrem Interesse die erstere bewußt oder unbewußt zu begünstigen, wenigstens nicht so entschlossen allmählich einzuschränken, wie die Rücksicht auf wahres Bedürfniß und wirklich dauerhaften Erfolg es gestattet.

Seit 1876 ist danach der Branntweinverkauf im Kleinen, aus dem Laden oder in der Schänke, zu Gothenburg in beständigem Sinken. Er betrug, das Jahr am 1. October anhebend gedacht:

Kannen = 26/10 Liter
1875/76 667,396
1876/77 651,220
1877/78 622,574
1878/79 559,459
1879/80 538,586
1880/81 523,536

Nicht ganz die Hälfte dieses Genußverbrauchs kommt auf die Wohnungen, wo er sogar noch etwas stärker abgenommen hat als in den Schänken, ein Zeichen, daß die neue Regelung dieser auch nicht etwa das Uebel in die Familie zurückgetrieben oder den sogenannten stillen Soff begünstigt hat.

Die besonderen Maßregeln, welche die Gothenburger Ausschank-Gesellschaft (Utskänknings Bolag) im Interesse ihres großen socialen Erziehungszweckes ergriffen hat, sind hauptsächlich die folgenden: Minderjährigen unter dem achtzehnten Jahre oder schon angetrunkenen Personen darf keinerlei berauschendes Getränk verabreicht werden: an Sonn- und Feiertagen wird nur zur Mahlzeit der sogenannte Appetitschnaps verabfolgt, sonst kein geistiges Getränk, ebenso am Sonnabend Abend von sechs, an den übrigen Abenden im Winter von sieben und im Sommer von acht Uhr an. Die Gesellschaft sorgt nicht nur in ihren Schänken für gute Speisen zum billigen Preise, sondern hat noch besondere Speisestellen (Volksküchen) für Arbeiter errichtet, in denen außer dem Appetitschnaps kein Branntwein verzapft wird. Ihr Branntwein ist der beste, welcher überhaupt zu haben, zehnfach gereinigter, wie er genannt wird, während der sonst gewöhnlich feilgehaltene Schnaps in allen Ländern vielfach ein hochgiftiger, rasch ruinirender Fusel ist. Von den Schwankungen der Großhandelspreise hat die Gesellschaft sich freizuhalten gestrebt, um nicht durch sinkende Preise zeitweilig zu stärkerem Verbrauch zu reizen, der dann leicht in Gewohnheit überginge.

Den Erfolg dieses Verfahrens und der ganzen neuen Ordnung des Kleinverkaufs von Gothenburg kann man, außer an der Abnahme der Zahl der ausgeschänkten und verkauften Kannen, auch noch an der Abnahme der Fälle von Säuferwahnsinn (delirium tremens) und der Bestrafungen wegen Trunkenheit messen.[1]

Nach dem Allem kann es nicht Wunder nehmen, wenn die übrigen schwedischen Städte sich beeilt haben, Gothenburgs Beispiel zu folgen. Von den Orten über 5000 Einwohner hat nur Lund sich bisher ausgeschlossen; ich weiß nicht, ob aus Rücksicht auf seine Studenten.

Auch die norwegischen Städte haben sich, sobald ein entsprechendes Staatsgesetz sie in den Stand setzte, die Gothenburger Erfindung zu Nutze gemacht. Außerdem erregte sie vor Allem in England Aufsehen: in den Parlaments-Actenstücken findet man wiederholt Correspondenzen über diesen Punkt mit dem Consul in Gothenburg und dem Gesandten in Stockholm abgedruckt, und der jetzige Handelsminister Chamberlain gilt für einen Freund der Einführung des Gothenburger Systems auf den britischen Inseln.

Sollen wir es denn nun nicht auch in unseren deutschen Städten einführen, d. h. vorerst die Hindernisse hinwegzuräumen suchen, welche unsere Reichs- und Landesgesetzgebung ihm entgegenstellt?

Einfach „Ja“ hierauf zu antworten bin ich noch nicht im Stande. Wir wollen doch lieber erst die Ergebnisse des Verfahrens mit eigenen, deutschen Augen und Ohren prüfen. Bis jetzt liegen nur ausländische Berichte und Urtheile vor. Es wäre töricht, das Gothenburger System seines fremden Ursprungs halber von vornherein für unanwendbar auf unsere vaterländischen Verhältnisse zu erklären, aber ganz sicher gehen wir auch nur, wenn zuverlässige Kenner unserer Verhältnisse einmal im skandinavischen Norden selbst untersuchen, was an sich und was für uns an der Sache ist.

Dies ist, wie ich annehme, eine der Aufgaben, für welche die „Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Trunksucht“ gegenwärtig in’s Leben gerufen wurde. Gewiß könnte auch die Reichsgewalt solche Untersuchungen anordnen. Aber wir wissen doch nicht, ob, wie bald und auf welche Art sie es thun wird. Ein Petitionssturm in diesem Sinne würde mindestens ebenso viel Agitationskraft erfordern, wie eine commissarische Prüfung der in der Bildung begriffenen Gesellschaft. Diese geht natürlich in solchen Vorstudien nicht auf, sondern hat gleichzeitig und nachher viel, unendlich viel andere Arbeit vor sich, sodaß jene Untersuchungsreisen ihr verhältnißmäßig nach am wenigsten Mühe bereiten werden, und da sie sich aus Männern aller Parteien, Richtungen und Berufsstände zusammensetzt, so wird es gerade ihr dabei an allseitiger Erwägung wie an sachgemäßer Unbefangenheit nicht fehlen.

A. Lammers.     

  1. Was zunächst die Bestrafungen angeht, so charakterisiren den früheren Zustand die Jahre 1855 und 1856, wo solcher Bestrafungen 3431 und 2658 vorkamen, bei 33,000 Einwohnern. Wenn 1876 fast ebenso viel Betrunkene bestraft wurden wie 1856, nämlich 2542, so hatte sich inzwischen die Bevölkerung mehr als verdoppelt, auf rund 70,000, und thatsächlich kam damals also nicht halb soviel straffällige Trunkenheit mehr vor, wie zwanzig Jahre früher. Man kann an diesen Jahressummen aber auch den Einfluß der Ausschank-Gesellschaft deutlich wahrnehmen. Sie trat im Herbste 1865 in die Sache ein: 1865 wurden 2070 Trunkene bestraft und 1866 nur 1412. Von diesem Stande stieg die Zahl wieder von 1871 an aufwärts, aber nur etwa gleichmäßig mit der Zunahme der Einwohnermenge, auf welche sie sich vertheilt, bis dann nach 1877 ein neues Sinken eintrat, also nicht gar lange nach der völligen Beherrschung des Branntweinangebots durch die gemeinnützige Actiengesellschaft. Noch augenfälliger hoben sich die traurigen Fälle des Säuferwahnsinns vermindert. Es waren ihrer nach den Zusammenstellungen des Gothenburger Aerztlichen Vereines 1865 118, 1870 90, 1875 80, 1878 64, 1879 42, 1880 44.