Die Gesellen-Brüderschaften in Frankreich

Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gesellen-Brüderschaften in Frankreich
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 537-539
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[537]
Die Gesellen-Brüderschaften in Frankreich.
Nr. 1.

Die Handwerker waren bekanntlich schon im Mittelalter freie Leute, und hatten daher eine innere Organisation, die ihren höchsten und gleichsam staatlichen Ausdruck in den Zünften fand. Allein dem aristokratischen und particulären Grundzuge jener Zeit gemäß waren die Zünfte nur Verbände für die selbstständigen, ansässigen Meister in jeder einzelnen Stadt. Wie gegen die Consumenten und auswärtigen Producenten, so waren sie auch gegen die Gesellen gerichtet, deren Lohn es niedrig zu halten galt. Aber die Gesellen, wenn auch vielfach belästigt und am Meisterwerden behindert, hatten doch eine ganz andere Stellung den Meistern gegenüber, als die Bauern gegen ihre Grundherren. Sie waren nicht nur in keinem Unterthänigkeits-Verhältniß, sondern sie konnten sich auch durch die Leichtigkeit des Wanderns der Ausbeutung von Seiten der Meister entziehen. Hauptsächlich aus dem Bedürfniß des Wanderns entsprang nun schon sehr frühzeitig eine Verbrüderung unter den Handwerksgesellen, der Compagnonnage, diejenige der gesellschaftlichen Institutionen aus dem Mittelalter, die sich von allen am festesten und reinsten erhalten. Obgleich in nahem Zusammenhange mit den Zünften, als deren Grundlage und Gegengewicht man sie zugleich bezeichnen kann, – hat sie sich dennoch sowohl den unzähligen Eingriffen der absoluten Monarchie, als dem Vernichtungsschlage der Revolution durchaus entzogen. Da sie keine Vorrechte nach außen in Anspruch nahm, so bot sie weder den Königen einen Anlaß zur Erpressung, noch den Demokraten einen Grund zur Aufhebung.

Aber dieselbe Unscheinbarkeit, welcher der Compagnonnage (den ich von jetzt an immer mit „Brüderschaft“ bezeichnen werde, so wie „Compagnons“ mit Genossen) seinen ungestörten Bestand durch die Jahrhunderte verdankt, hat ihn auch den Blicken der wissenschaftlichen Beobachter bis in die neueste Zeit entzogen. Eine Institution, die seit fünfhundert Jahren den größten Theil der französischen Handwerker in seinem wahren Lebenselemente beherrscht und wirklich einen Staat im Staate bildet, mit eigner Verfassung, Gerichtsbarkeit, Finanz- und Fehdegewalt – eine solche Institution wurde erst vor noch nicht zwanzig Jahren dem gebildeten Frankreich bekannt gemacht, und zwar durch einen einfachen Tischlergesellen aus Avignon, Agricole Perdiguier. Dieser tugendhafte und begeisterte Mann bezweckte eine Reform der Brüderschaft, und es gelang ihm wenigstens, mehrere angesehene Publicisten zu interessiren. Der Gegenstand veranlaßte unter anderm George Sand zu einem wohlgemeinten, doch etwas sentimentalen Romane „Le compagnon du tour de France“. Die Oekonomisten und Socialisten aber faßten selbst in Frankreich die Sache lange nicht mit dem Ernste und der Wichtigkeit auf, welche sie im höchsten Grade verdiente. In Deutschland ist sie ganz unbeachtet geblieben, und ich glaube daher eine empfindliche Lücke auszufüllen, wenn ich nach eignen Beobachtungen während einer Reise durch Frankreich, sowie nach dem vorhandenen, freilich sehr kärglichen Material eine getreue Schilderung und Beleuchtung des Compagnonnage unternehme.




I. Ueberlieferungen, Spaltungen und Kämpfe der Brüderschaft.

Die Brüderschaft besteht aus einer großen Anzahl von Verbindungen unter Handwerksgesellen, die sich theils nach den vermeintlichen Gründen, theils nach den Gewerken scheiden. Aber niemals, und das ist sehr bezeichnend für die frühe National-Einheit der Franzosen, gehen sie nach Provinzen oder auch nur größeren Landestheilen auseinander, sondern umfassen sämmtlich ganz Frankreich, stehen dagegen mit dem Ausland in gar keiner Berührung. Es ist ferner ganz französisch, daß sie trotz der uralten und bittern Feindschaft, die zwischen ihnen besteht, in allem Wesentlichen übereinstimmen. Sie sind sehr enge Verbindungen für’s ganze Leben, bezwecken gegenseitige Unterstützung und Förderung jeder Art, besonders auch gesellige Zusammenkünfte, und hüllen sich in heimliche Ceremonien und Gebräuche. Der Eintritt ist freiwillig und erfordert eine, wie es scheint, ziemlich lange Probezeit.

Die sämmtlichen „Compagnons“ (Genossen) zerfallen zunächst in zwei Hauptclassen, die Compagnons du devoir (Genossen des Pflichtbundes) und die Compagnons de liberté (Genossen der Freiheit.) Innerhalb der ersteren besteht die Scheidung in „Enfants de Maître Jacques“ (Kinder des Meister Jacques) und „Enfants de Maître Soubise“ (Kinder des Meister Soubise), während die Genossen der Freiheit ausschließlich „Enfants de Salomon“ (Kinder Salomons) sind. Alle drei Verbindungen leiten nämlich ihren Ursprung nicht weiter her, als vom ersten Tempelbau zu Jerusalem. Unter den Handwerkern, welche mit dem phönicischen Baumeister Hiram den Tempel Salomonis erbauten, waren, so lautet die Ueberlieferung, auch zwei Meister aus Frankreich, Jacques, der Steinmetz, und Soubise, der Zimmermann. Um unter einem so großen Haufen Ordnung und Eintracht zu erhalten, hatte der weise Meister Hiram bestimmte Classen mit eigenthümlichen Gebräuchen und Losungsworten eingeführt. Aus der Ueberlieferung der Freimaurer ist bekannt, daß er der letzteren Einrichtung zum Opfer fiel: Gesellen, die von ihm das Losungswort der Meister erzwingen wollten, um höheren Lohn zu erhalten, erschlugen ihn bei Nacht und verschwanden in den Wäldern. Nach Vollendung des Tempels schifften Meister Jacques und Soubise nach ihrer Heimath zurück; der Erstere landete zu Marseille, der Letztere zu Bordeaux, wo sie nach dem Muster Hiram’s Verbindungen der Gesellen ihres Handwerks gründeten. Es konnte nicht anders sein, als daß diese weise und heilsame Einrichtung sich nicht nur erhielt, sondern über ganz Frankreich ausbreitete, und nach und nach außer den ursprünglichen Gewerken der Steinmetze und Zimmerleute sehr viele andere umfaßte. Meister Jacques und Soubise waren aber trotz der Landsmannschaft und des gemeinsamen Tempelbaus einander feindlich gesinnt; kein Wunder, daß sie mit ihrer Weisheit und Tugend auch ihren Haß den Schülern hinterließen. Er besteht noch heutzutage ziemlich ungeschwächt, und die Veranlassung, die ihn immer wieder anfacht, ist der Streit um das höhere Alter der Verbindung. Mit wahrhaft liebenswürdiger Naivetät datiren nämlich die Steinmetze ihre Gründung vom Jahre 558 vor Chr., die Gründung der Zimmerleute dagegen vom Jahre 550 nach Chr., und verlangen demnach für sich den entschiedensten Vortritt, als Erstgeborene von 1100 Jahren. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß die Zimmerleute ihrerseits die allein Vorchristlichen sein wollen. Beide Parteien geben vor, Urkunden über ihre Entstehung zu besitzen, nur sind diese noch niemals zum Vorschein gekommen.

Die Eifersucht der beiden Abtheilungen der Genossen des Pflichtbundes, so stark sie auch sein mag, tritt jedoch weit zurück im Vergleich mit dem Hasse beider gegen die Genossen der Freiheit. Streiten sich die Steinmetze und Zimmerleute um das Alter und den Rang, so lassen sie sich doch die volle Ehre des rechtmäßigen Bestandes. Die Genossen der Freiheit aber gelten ihnen für anmaßende Empörer, für die Abkömmlinge jener Gesellen, die den Hiram freventlich erschlagen. Die Genossen der Freiheit werfen [538] nicht nur diesen Vorwurf auf ihre Gegner zurück, sondern sie halten sich für die älteste und ehrwürdigste Gesellschaft, als gegründet vom weisen König Salomon selber. Sie begreifen nur vier Gewerke in sich, die Steinmetze, Zimmerleute, Tischler und Schlosser, also die ersten und hauptsächlichen Bauhandwerker, und zwar besteht keine Eifersucht unter ihnen, wie unter den verschiedenen Gewerken der Genossen des Pflichtbundes. Diese letzteren umfassen im Ganzen achtundzwanzig Handwerke; davon sind drei, die Zimmerleute, Dachdecker und Gypser (plâtriers), Kinder des Meister Soubise; die übrigen, voran die Steinmetze, Tischler und Schlosser, Kinder des Meister Jacques. Herr Sciandro gibt in seinem Werkchen über die Brüderschaft eine vollständige Liste der verschiedenen Handwerksverbindungen des Pflichtbundes, nach den Aufzeichnungen der Steinmetze, zu denen er selber gehört. Sie sind nach dem Jahre ihrer Gründung geordnet, wie folgt: vor Christo 558 Steinmetze, nach Christo 550 Zimmerleute, 570 Tischler, 570 Schlosser, 1330 Gerber, 1338 Färber, 1407 Seiler, 1409 Korbmacher, 1410 Hutmacher, 1500 Schmal- und Sämischgerber, 1601 Gelbgießer, 1603 Nadler (dies Corps soll nicht mehr bestehen), 1609 Schmiede, 1700 Tuchscheerer, 1700 Drechsler, 1701 Glaser (gegründet durch die Tischler), 1702 Sattler, 1702 Poêliers (heißt zugleich Pfannenschmiede und Ofenmacher), den Gießern zugesellt, 1702 Hobler, gegründet durch die Tischler, 1703 Messerschmiede, den Gießern zugesellt, 1703 Blechschmiede, desgleichen, 1706 Kummetmacher, gegründet durch die Sattler, 1706 Stellmacher, gegründet durch die Schmiede, 1758 Nagelschmiede, gegründet durch die Hutmacher, 1759 Dachdecker, gegründet durch die Zimmerleute, 1775 Leinenhändler, 1797 Gypser, gegründet durch die Zimmerleute, 1795 Hufschmiede.[1]

Außer diesen 28 anerkannten Handwerken, und nach ihnen, haben sich die Schuster, die Bäcker, die Holzschuhmacher, die Ferrandinweber und sogar die Winzer von Burgund als Brüderschaft constituirt; allein sie sind von keinem ursprünglichen Corps anerkannt und leben in der vollständigsten Vereinzelung. Nur die Holzschuhmacher sind von einem älteren Corps, den Korbmachern, gegründet, und diese wollen sie von den übrigen Corps anerkannt wissen.

Inwieweit diese Liste, selbst abgesehen von den Gründungsjahren der vier ersten Handwerke, Glaubwürdigkeit verdient, wage ich nicht zu bestimmen, da es mir an allen andern Daten fehlt. Höchst auffallend ist jedenfalls diese langsame Verbreitung der Brüderschaft durch fünf Jahrhunderte; man sollte meinen, daß eine so nützliche und lockende Einrichtung sehr schnell alle bedeutenderen Gewerke ergreifen mußte. Die hauptsächliche Schuld mag wohl an der Eifersucht und Ausschließlichkeit der ursprünglichen Corps liegen, die ja noch heutzutage in der Nichtanerkennung der letztgebildeten Verbindungen stark genug hervortritt. Die vier Bauhandwerke betrachten sich noch immer als die bei weitem vornehmsten; die Schuster und Bäcker dagegen werden von allen übrigen wie Parias verachtet und auf jede Weise verhöhnt und verfolgt. Man sieht, wie tief noch immer, trotz „Gleichheit und Brüderlichkeit“, die Standesunterschiede selbst in den untersten Classen des französischen Volkes wurzeln. Den armen Schustern und Bäckern wird vorgeworfen, daß ihre Handwerke roh und gemein seien, und keine Geschicklichkeit erheischen. Vor allem aber wird es ihnen verdacht, daß sie sich „Compagnons“ nennen. Die gelehrten Leute leiten nämlich dies Wort von „compas“, d. i. Zirkel ab, und der Zirkel dient ihnen in der That als Insignie und Waffe zugleich. Die Verfolgungen wegen dieser lächerlichen Vorurtheile gehen so weit, daß die Bäcker z. B. das Stockfechten Tag und Nacht üben müssen, um ihres Lebens gegen die große Mehrzahl ihrer Feinde sicher zu sein. – Aber die gegenseitige Feindseligkeit, die allen mittelalterlichen Corporationen unauslöschlich innezuwohnen scheint (man denke nur an die deutschen Studenten-Verbindungen), herrscht selbst innerhalb der anerkannten Corps der Kinder des Meister Jacques. So verweisen die Steinmetze die Corps der Tischler und Schlosser dem Alter und Range nach unter das der Gerber, wogegen alle Wahrscheinlichkeit spricht, und erzeugen durch diese Ungerechtigkeit beständigen Hader.

Die Apostel der Freiheit und Gleichheit, die über fünfzig Jahre die Tribüne und die Presse von Paris von glänzenden Tiraden haben ertönen lassen, hätten vielleicht mehr und dauernder gewirkt, wenn sie statt dessen zuweilen in die Wohnungen und Herbergen der Arbeiter hinabgestiegen wären und diese Verblendeten über ihre wahren Interessen aufgeklärt hätten. Sie würden dann zu ihrem Erstaunen gefunden haben, daß ungeachtet der feierlichen und wiederholten Aufhebung aller Monopole mitten in der „Hauptstadt der Intelligenz“ die großartigste Gewerbsbeschränkung fortbesteht. Und zwar keineswegs zu Gunsten reicher, gewichtiger Unternehmer – wenigstens ergibt sie sich bei diesen mehr durch die Macht der Umstände – sondern zu Gunsten gewisser Corporationen des niedern Volkes, desselben, das von jenen Rednern als der Typus der Gleichheit und Brüderlichkeit betrachtet wird. Für die Zimmergesellen, etwa 4500 an der Zahl, trennt die Seine Paris in zwei abgeschlossene Reiche; auf dem rechten Ufer herrschen die Kinder von Soubise, auf dem linken die Kinder von Salomon. Mag auf dem rechten Ufer der Mangel an Arbeitern noch so groß sein, die „Genossen der Freiheit“ dürfen ihre Dienste dort nicht anbieten. Nur in den abgelegensten Stadttheilen kommt es vor, daß beide Parteien auf einem Zimmerhof arbeiten. Diese originelle Scheidung ist aber noch keineswegs das Schlimmste; im Gegentheil, sie ist das Ergebniß einer Verständigung und sicherlich erst nach langen, blutigen Kämpfen erreicht. Die Zimmergesellen, besonders die in Paris arbeiten, sind aber noch die Gebildetsten; die Steinmetze sind noch nicht so weit gekommen, sie liegen sich beständig in den Haaren.

Aus vielen Provinzialstädten aber, selbst aus dem großen Lyon, hat eine Partei die andere vollständig und für immer vertrieben. Dies geht folgendermaßen zu. Können sich die beiden Abtheilungen der Brüderschaft in einer Stadt durchaus nicht vertragen, so berufen beide, oder auch nur die eine von ihnen, alle Genossen aus den benachbarten Städten zusammen. Dann wird, entweder offen, oder durch Ueberfall, um die ausschließliche Herrschaft in der betreffenden Stadt gekämpft; und die besiegten Montecchi müssen vor den siegreichen Capuletti das Weichbild auf immer meiden. Ja, mitunter steigern sich diese Gefechte zu wahren Feldschlachten. Noch heute feiern beide Parteien die große Schlacht in der Ebene Crau, zwischen Arles und Salon, im Jahre 1730 (L. Say). Schaaren von Gesellen marschirten aus Marseille, Avignon, Montpellier, Nismes, und kamen am verabredeten Tage und Platze an; sie waren mit Zirkeln, Stöcken und Feuerwaffen gerüstet; das Handgemenge war lang und schrecklich, das Blut floß in Strömen, und Leichname in großer Zahl blieben auf der Wahlstatt. Eine ähnliche Scene ereignete sich 1816 zwischen Vergère und Muse, zwei kleinen Weilern in der Nähe von Lunel, veranlaßt durch die Eifersucht der Steinmetze. Zwanzig Meilen aus der Runde kamen die Krieger zusammen; und ein gewisser Sans-Façon von Grenoble, seit kurzem aus der kaiserlichen Garde entlassen, soll die Seinen mit einer Mistgabel zur Tapferkeit angetrieben haben. Es existiren eine Menge Gesänge, in denen die Barden der Brüderschaft ihre Siege verherrlichen; wobei das Komische ist, daß beide Parteien dieselben anstimmen, nur mit Veränderung der Namen und Attribute, welche für jede Partei feststehend sind.

Von 1825–42 berichtet Herr Egron in seinem Buche: „Le livre des ouvriers“ zehn Fälle von Tödtungen unter „Genossen“, und was das Schlimmste ist, diese Tödtungen sind zum Theil höchst schmachvoll, durch große Ueberzahl oder Hinterlist. Die bei weitem meisten davon sind im Rhone-Gebiet vorgefallen, in derselben Gegend also, wo seit den Zeiten der Albigenser die Religions- und Bürgerkriege stets am heftigsten gewüthet, und wo noch heutzutage die Katholiken und Protestanten einander feindlich gegenüberstehen.

Ein letztes Element des Zwiespalts liegt in dem Verhältniß der „Genossen“ zu den „Aspiranten“. Wenn sich ein junger Gesell der Brüderschaft anschließen will, so wird er nicht sogleich für würdig gehalten, in die vollen Rechte und Mysterien eingeweiht zu werden. Er muß eine Zeit lang Aspirant bleiben und mit seinen Schicksalsgefährten eine besondere, untere Classe der Verbindung bilden. Diese Aspiranten heißen bei den Steinmetzen Jeunes-Hommes (Junggesellen), bei den Tischlern und Schlossern Affiliés (Zugewandte), bei den Zimmerleuten endlich Renards (Füchse), eine höchst merkwürdige Uebereinstimmung mit den deutschen Studentenverbindungen. Wie bei den deutschen Studenten, so werden auch bei den französischen Gesellen die Füchse auf alle [539] Weise geneckt, heruntergemacht, ja sogar mißhandelt. Vor nicht gar langer Zeit ward es in einer großen Stadt (wahrscheinlich Paris) den Füchsen der Zimmergesellen zu arg; sie verlangten, in Zukunft wie freie Männer, und nicht wie Sclaven von ihren älteren Genossen behandelt zu werden. Und als diese, gestützt auf den uralten Brauch, nicht nachgeben wollten, erkühnten sich die Füchse, eine eigene Gesellschaft zu bilden, unter dem Schutze Salomons, und nannten sich Compagnons Renards de Liberté (Genossen Füchse der Freiheit). Sie sollen jetzt in Paris ebenso zahlreich sein, wie ihre Gegner, die Bon-Drilles (Guten Kerle). So wenigstens berichtet der sachkundige Sciandro. Es ist nur eine consequente Inconsequenz, daß diese Gesellschaft früherer Aspiranten jetzt selbst wieder eine Aspiranten-Classe unter sich hat, und es fragt sich sehr, ob sie dieselben nicht ebenso schlecht behandeln, wie sie einst von den „Guten Kerlen“ behandelt wurden.

So zerfallen denn die vier ersten Corps der Brüderschaft in nicht weniger als 18 gesonderte Gesellschaften, welche die verschiedensten und sonderbarsten Namen tragen. Die allgemeine Benennung Devoir (Pflichtbund) für Gesellen-Verbindung findet ihre Erklärung leicht in den Pflichten, welche den Genossen gegen einander obliegen. Auch die Kinder Salomons bilden ein Devoir, aber mit dem Zusatz de liberté, dessen muthmaßliche Bedeutung sich später ergeben wird. Doch werden, wie schon erwähnt, die Kinder von Jacques und Soubise insbesondere als Genossen des Pflichtbundes bezeichnet. Die Steinmetze von Jacques nennen sich Compagnons Passants (Passirende Genossen), und werden von ihren Gegnern als Loups-Garoux (Währwölfe) bezeichnet. Die Steinmetze von Salomon heißen dem entsprechend Compagnons Etrangers (Fremde Genossen) und Loups (Wölfe). Die Schimpfwörter „Wolf“ und „Währwolf“ sollen sich auf das Entlaufen in die Wälder nach dem Morde Hirams beziehen, den sich ja beide Parteien gegenseitig vorwerfen. Die Tischler und Schlosser von Jacques heißen Dévorants, (wahrscheinlich im Ursprung Devoirants, Glieder des Devoir, wie auch Sciandro es schreibt), die von Salomon hingegen Gavots (wahrscheinlich von Gaveaux, wie die Bewohner der Ober-Provence in Marseille und andern Städten heißen). Das Schimpfwort für alle Glieder des eigentlichen Pflichtbundes ist Chiens (Hunde), das der Genossen der Freiheit Loups (Wölfe), Dévorants heißen außer den Schlossern und Tischlern auch die Mitglieder aller später gegründeten Corps von Meister Jacques.




II. Mysterien, Einrichtungen und Ergebnisse der Brüderschaften.

Es ist nun Zeit, uns mit der Organisation und den Gebräuchen dieser merkwürdigen Verbindungen näher bekannt zu machen. Ihre beständigen und oft blutigen Händel lassen sie in schlimmem Lichte erscheinen; ihr inneres Wesen aber ist zum Theil vortrefflich. Auffallend ist vor allen Dingen die vollständige Uebereinstimmung selbst der unbedeutendsten Gebräuche bei allen Gesellschaften, was sicher auf einen gemeinschaftlichen Ursprung hinweist. Die Schilderung ihrer Einrichtungen läßt sich also ganz allgemein erledigen.

Um als „Genosse“ aufgenommen zu werden, muß der junge Handwerker eine Probe seiner Geschicklichkeit ablegen. Die Aufnahme geschieht dann mit großer Feierlichkeit und geheimnißvollen Gebräuchen. Worin diese bestehen, ist natürlich nicht bekannt. Der Pater Héliot berichtet, daß den 29. September 1645 die Brüder Schuster und Schneider dem geistlichen Gericht von Paris angegeben wurden, weil ihre Gebräuche bei der Einweihung eines Lehrlings die hauptsächlichen Ceremonien des Katholicismus nachahmten. In Folge dessen verbot die theologische Facultät, unter Strafe der Excommunication, diese verderblichen Versammlungen der Gesellen. Daß die Aufnahme-Gebräuche den kirchlichen nachgebildet sind, ist um so annehmbarer, als die Brüderschaft einen halb kirchlichen Ursprung und Charakter hat, und als ferner auch in Deutschland bei der Aufnahme in den Gesellenstand viele Ceremonien vorkamen, die bei den frommen Leuten wegen ihrer Ähnlichkeit mit den kirchlichen noch im Anfange des vorigen Jahrhunderts großes Aergerniß erregten.

Die Genossen behaupten, daß ihnen von ihren Stiftern gewisse Dogmen überliefert worden sind, welche nicht ganz mit den christlichen zusammenfallen, und den Neu-Eingeweihten gleich Flammen der Erkenntniß erheben und beseligen. Daß diese geheimnißvollen Dogmen tiefmetaphysische Wahrheiten enthalten, ist bei der geringen Bildung der Gesellen kaum anzunehmen. Die Mysterien, welche unter andern der Steinmetz Sciandro in den seinem Werkchen angehängten Liedern recht brav besingt, scheinen auf symbolische Darstellungen der Brüderlichkeit, ferner der Unsterblichkeit, der Tugend, der Kunst und der Gerechtigkeit hinauszulaufen. Wenn dieser nicht geistlose Mann den Eindruck, den die Einweihung auf ihn hervorgebracht, mit hochtrabenden Worten schildert, so ist dabei nicht zu vergessen, wie sehr alles Geheimnißvolle und Außergewöhnliche anregt, und daß für einen jungen, ganz ungebildeten Handwerker selbst jene einfachen, sittlichen Ideen, wenn sie ihm mit der Gewalt eines Dogmas, und unter der Heiligung des undenkbaren Alters entgegentreten, etwas höchst Erhabenes und Eindringliches besitzen müssen. Daß das Symbol vorherrsche, ist von vornherein anzunehmen. Die Entstehung der Brüderschaft aus den kirchlichen Bauten des Mittelalters, bei denen das Symbolische keine geringe Rolle spielte, spricht entschieden dafür; nicht minder die ewige Eigenthümlichkeit des ungebildeten Geistes, das Bild leichter aufzunehmen und tiefer zu bewahren, als den reinen Gedanken. Dem entsprechend müssen auch die vorkommenden Reden in alten, starren Formeln überliefert sein, was immer da stattfinden wird, wo der Geist sich nicht fortschreitend wiedererzeugt.

Die Genossen legen einen außerordentlich hohen Werth auf ihre Mysterien, und wenn dieselben auch mancherlei Phantastisches, Abergläubisches und Beschränktes enthalten, so haben sie sich doch im Ganzen als eine ebenso feste, als heilsame Grundlage des Gesellenlebens bewährt. Sie flößen den Gliedern streng sittliche Grundsätze ein, einen Halt, den ihr herumirrendes, familienloses, oft bedrängtes Leben doppelt nöthig macht. Es liegt in dem Wesen solcher Gesellschaften, daß sie sich selbst zum alleinherrschenden Elemente machen; daher nehmen nicht nur die Pflichten gegen die Verbindung, unverbrüchliche Treue, Verschwiegenheit, Brüderlichkeit, Aufopferung, selbst von Gut und Blut, den ersten Rang ein; sondern auch die allgemein menschlichen Obliegenheiten finden ihren Grund und Zweck in der Verbindung, in ihrer Ehre und ihrem Vortheil. Der „Genosse“ darf nicht liederlich sein, nicht stehlen oder betrügen, viel weniger, weil das allgemeine, absolute Sittengesetz diese Handlungen verbietet, als deshalb, weil der Bund dadurch beschimpft und schließlich aufgelöst würde. Auch die „Genossen“, obwohl auf der niedrigsten Stufe der gesellschaftlichen Leiter, haben ihre Standesehre, und sie wachen strenger darüber, als Adel, Geistlichkeit und hohe Bürgerschaft. Die Standesehre bewährt sich stets als solche, wenn deren Verletzung eben vom Stande gerügt und bestraft wird.

So haben auch die Gesellen-Verbindungen in Frankreich (wie nicht minder in Deutschland) eine ausgedehnte Gerichtsbarkeit über ihre Mitglieder; sie legen eigenmächtig die härtesten Strafen auf, dagegen vermeiden sie die Gerichte des Staates, so sehr fühlen sie sich als besondere, unabhängige Körperschaft. Da ich das Nähere dieser Vorgänge in Frankreich nicht kenne, so werde ich zur Erläuterung einige Gebräuche der deutschen Zimmergesellen-Brüderschaft, wie ich sie von sehr glaubwürdigen Mitgliedern erfahren, später anführen.[2]




  1. Die Leinenhändler behaupten von den Tischlern, die Hufschmiede von den Schmieden gegründet zu sein; diese verleugnen sie aber vollständig.
  2. Vergl. Ch. L. Stock, Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg 1844. – Dies ist die einzige irgend brauchbare Schrift über den interessanten Gegenstand; aber auch sie gibt nur lückenhaftes Material und fast keine Verarbeitung. Ich gedenke daher, hauptsächlich nach mündlichen Quellen von der größten Ergiebigkeit, den Gegenstand demnächst neu zu behandeln. Es wird sich dann ergeben, daß allerdings nach Ursprung, Zusammenhang und Form die deutschen Brüderschaften sich sehr bedeutend von den französischen unterscheiden, daß aber beide den Kern der ganzen Bildung, die geregelte, gegenseitige Unterstützung und Beaufsichtigung, mit einander gemein haben. Was sich also hierauf bezieht, läßt sich ohne Bedenken im Wesentlichen von den deutschen auf die französischen Brüderschaften übertragen, zumal da die letzteren die bei weitem ausgebildeteren und innigeren sind.