Die Geschichte vom Pfund

Textdaten
<<< >>>
Autor: Heinrich Brugsch
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Geschichte vom Pfund
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 468–470
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[468]

Die Geschichte vom Pfund.

Von Professor Dr. Heinrich Brugsch.

Die Geschichte, welche ich wahrheitsgetreu und schlicht von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende erzählen will, hat schon lange Jahrtausende hinter sich und ihr Beginn liegt in weiter nebelhafter Ferne. Selbst für das Jahrhundert, in welchem sie anhub, kann die runde Zahl nicht mehr angegeben werden. Nur das eine muß als sicher gelten, daß der damals lebende Mensch noch an den zehn Fingern seine Rechnung abzählte und daß er von rechtem Maße und rechtem Gewicht zunächst keine Vorstellung besaß. Je nach der größeren oder geringeren Ausdehnung eines Gegenstandes maß er damals noch dessen Länge mit Hilfe seines Ellbogens, seiner Hand, deren fünf Finger nebeneinander ruhten oder sich als Spanne ausspreizten, und mit Hilfe seiner Faust und seines Fingers. Daneben diente ihm noch das Längenmaß des eigenen Fußes als Helfer in der Noth, und größere Entfernungen schritt er ab. Da aber selbstverständlich die Hände und Füße der Menschen an sich schon ungleiches Maß haben, ganz abgesehen von den Unterschieden, welche die Glieder der Kinder gegenüber denen der Erwachsenen zeigen, so verfielen die Klugen auf den gescheiten Gedanken, sich in der sichtbaren Natur nach einem Gegenstand umzusehen, welcher keinen zweiten derart neben sich hatte und unverändert dieselbe Ausdehnung besaß.

Wie lange sie danach gesucht haben mögen? Das ist schwer zu sagen, doch ist es gewiß und der Beweis liegt vor, daß ihr Suchen schließlich von Erfolg gekrönt wurde. Und wenn sie den Träger des zukünftigen Grundmaßes auch täglich vor ihren Augen sahen, so war seine Vermessung dennoch keine leichte Sache und forderte die ganze Kraft des erfinderischen Sinnes der ältesten Menschen heraus. Nach vielen Beobachtuugeu hatten sie es nämlich richtig erkannt und durch wiederholte Proben bestätigt gefunden, daß der Durchmesser der Sonnenscheibe, wie sie sich zur Zeit der beiden Tag- und Nachtgleichen von dem Augenblick ihres Erscheinens am Horizont bis zum vollendeten Aufgang, von der Erde aus gesehen, dem menschlichen Auge darstellt, ein unveränderliches Maß abgebe, welches am Himmel immer wieder gefunden werden könne.

Die Hälfte dieses Durchmessers verglichen sie mit der Länge des menschlichen Ellbogens, dessen Zweidrittel mit dem Fuße und sein vierundzwanzigstel mit der Fingersbreite, da die Ausdehnungen dieser Gliedmaßen den angegebenen Verhältnissen in der natürlichsten Weise entsprechen. Nun erst konnte man von einem wirklichen Messen und einem Längenmaß reden, ohne dem Irrthum und dem Ungefähr anheimzufallen.

Mit diesem Triumph des menschlichen Scharfsinnes begnügten sich aber die Altvordern bei ihrem Eintritt in das Kulturleben noch lange nicht, sondern sie sannen weiter darüber nach, wie sie mit Hilfe des entdeckten Längenmaßes oder der Elle auch den hohlen Raum und das Gewicht zu bestimmen vermöchten. So einfach und natürlich uns heutzutage der Weg, welchen sie dabei einschlugen, erscheinen mag, so war seine Auffindung nichts weniger als leicht. Man verfertigte nämlich ein Hohlmaß in Gestalt eines Würfels, dessen sämmtliche Kanten die Länge der gefundenen Elle besaßen, und betrachtete diese Kubikelle als das Grundmaß und die höchste Grundeinheit für die Berechnung hohler Räume. Ging beispielsweise in eine große Kanne gerade soviel Wasser hinein, als das Urmaß, der Ellenwürfel, in sich faßte, so war man sicher, daß das in Rede stehende Gefäß einen gleichen Inhalt wie jenes Urmaß in sich barg. Die Ausmessungen hohler Räume ergaben sich hiernach von selber, und die ersten Anfänge der Aichung waren mit einem Male geschaffen.

Ein solches Gefäß von einer Kubikelle Fassung, das mit Regen- oder reinem Flußwasser oder mit ungemischtem Weine angefüllt war, zeigte ferner bei gleichartiger Füllung stets dieselbe Schwere. Und damit war ein neuer Sieg errungen – es war die Grundeinheit für das Gewicht geschaffen, wie sie nicht schöner erdacht werden konnte.

Wie beim Längenmaß, der einfachen Elle, so brauchte man die Grundeinheiten des Hohlmaßes und des Gewichtes nur zu theilen, um eine ganze Reihe neuer Theilmaße zu gewinnen, welche bis zu dem kleinsten hin im Handel und Wandel des menschlichen Verkehrs ihren Zweck erfüllten.

Alle diese Wege, die ich soeben beschrieben habe, sind von den ältesten Kulturmenschen der Erde eingeschlagen worden, um Maß und Gewicht zu beherrschen, und wenn wir die Aegypter am Nil und die Babylonier am unteren Euphrat in erster Linie aus den übrigen Völkern hervorheben müssen, weil sie gleichsam mit der Elle in der Hand in die Geschichte eingetreten sind, so wollen wir mit gebotener Vorsicht es unentschieden lassen, welchen von den beiden der Vorzug gebührt, als die glücklichen Erfinder der Metrologie, der Maße und Gewichte gepriesen zu werden. Vielleicht auch, daß ein vorgeschichtliches Kulturvolk den ältesten Aegyptern und Babyloniern die metrologischen Errungenschaften eigenster Geistesarbeit als gemeinsames Erbtheil überlassen hatte! Sicher ist es, daß beiden Kulturvölkern dieselbe Gewichtsbestimmung und dasselbe Rechnungssystem eigen war, daß beide gemeinsam als die Väter des Pfundes zu betrachten sind, von dessen Geschichte ich meinen Lesern erzählen wollte, weil die Nachkommenschaft jenes ersten Pfundes mit allen Merkmalen des uralten Ursprunges sich durch die Jahrtausende hindurch bis zu unseren jungen Tagen erhalten hat und wahrscheinlich in der Erinnerung niemals aussterben wird.

Um nicht zu vergessen, was in die merkwürdige Lebensbeschreibung des Pfundes von seiner Geburt an wie eine Nothwendigkeit hineingehört, sei zunächst noch der Wage gedacht, ohne [469] deren Dasein die genauere Bestimmung der Schwere eines Gegenstandes, sei er flüssig, sei er trocken, wie eine Unmöglichkeit erscheint. Die erste Wage mag recht plump und unbeholfen gewesen sein, aber sie leistete immerhin ihre guten Dienste und vervollkommnete sich im Laufe der Zeiten je nach dem Stande der fortschreitenden Technik. Heißt sie in dem ältesten Aegyptisch einfach nur „die Trage“ und ist ihr Ursprung wirklich auf die hölzerne Trage auf dem Nacken eines Menschen zurückzuführen, der in zwei an Seilen befestigten Gefäßen je eine gleiche Gewichtsmenge trägt wie etwa ein Wasserträger seine beiden gleichschweren Wassereimer – so wandelte sich später der alte Name zu einem neuen um, dessen Grundbedeutung, bezeichnend genug, „Maßgeber“ ist. Die ältesten Gewichte, deren man sich beim Abwägen bediente, hatten die Gestalt eines rohen Steines, die jüngeren dagegen zeigen wohl abgekantete würfelförmige oder tonnenartige Formen oder nachgeahmte Thiergestalten aus Stein und Bronze, wie z. B. liegende Löwen, Stiere, Enten oder nur den Kopf der aufgezählten Vierfüßer.

Mit der Erfindung der Wage, deren beide „Arme“ als die gleichen Hälften einer Gewichtseinheit erscheinen, war die Feststellung des Gewichtes eingeleitet. Durch fortgesetzte Versuche konnte man die Schwere eines Wasserwürfels mit der Kantenausdehnung von einer Elle oder von Theilen der Elle aufs genaueste bestimmen und nun auch rückwärts den verschiedenen Gehalt der Hohlmaße nach dem Wassergewichte feststellen. Das uralte Gesetz von der Wechselbeziehung zwischen Raum und Gewicht war damit begründet, andererseits zugleich die Gelegenheit geboten, zunächst mit Hilfe des Wassergewichtes die Gewichtsstücke selber von der kleinsten Einheit an bis zur größten hin zu normieren und weiterhin ebenso die Hohlmaße.

Es ist wunderbar, daß die Aegypter dem Wasser dasselbe specifische Gewicht zuertheilt haben, welches bei allen Gewichtsbestimmungen unserem von den Franzosen übernommenen metrischen System zu Grunde liegt. Jedermann weiß, daß diesem als Mustermaß der Meter zu Grunde liegt, d. h. der zehnmillionste Theil des Erdquadranten zwischen dem Nordpol und dem Aequator. Der Meter wird nach decimaler Eintheilung vervielfacht oder in kleinere Theile zerlegt. Als Körpermaß gilt der Liter oder ein Hohlraum in Würfelform, dessen Kanten dem zehnten Theile des Meters in der Länge entsprechen. Mit Wasser auf dem Punkte seiner größten Dichtigkeit angefüllt, dient der Liter zur Schöpfung der eigentlichen Gewichtsnorm, des Kilogramms.

Wie haben nun die Aegypter Maß und Gewicht des Näheren in Beziehung zu einander gesetzt?

Ihre „königliche“ Elle maß 527 Millimeter, und das Wassergewicht des mit Hilfe dieser Längenausdehnung hergestellten Würfels betrug nicht weniger als 1451/2 Kilogramm. Die durchgeführte Theilung führte zu der kleinsten Einheit für den Hohlraum von nahe einem halben Liter (genau 0,455 Liter) mit einem Wassergewicht von 455 Gramm. Dieses Hohlmaß erhielt unter dem Namen „Hin“ die allgemeine Bedeutung unseres Liters und das damit verbundene Wassergewicht die unseres Pfundes. Auf das Grundmaß des Hin wurden die verschiedenen Hohlmaße nach ihrer Fassung geaicht, wie das erhaltene Gefäße mit Aufschriften durch ihren mit wissenschaftlicher Sorgfalt nachgemessenen Inhalt beweisen.

Man theilte weiter das Pfund in 50 gleiche Theile oder Lothe und erhielt als kleinste Einheit ein Gewicht von 9,09 Gramm, dessen Schwere durch aufgefundene und mit Zahleninschriften versehene Gewichtsstücke gleichfalls verbürgt ist. Das Sechzigfache des Pfundes mit dem Gewicht von etwas über 27 Kilogramm vertrat die Stelle unseres Centners und entsprach dem Ausdruck „Talent“ bei den alten Griechen.

Mit diesem ganzen Vorgehen hatte das Pfund, nach dem Wassergewicht bestimmt, seinen ersten Geburtstag gefeiert und Handel und Wandel hatten das Mittel gefunden, nach Maß und Gewicht die flüssige und trockene Ware abzuschätzen.

Nachdem die uralte Weise, im Verkehrsleben eine Ware gegen eine als gleichwerthig betrachtete andere auszutauschen, dem Bedürfniß nicht mehr Genüge leistete, trat damit eine plötzliche Wandlung ein, die mindestens schon an der Wende des 3. Jahrtausends vor Christus stattfand. Die Metalle Gold, Silber und Kupfer wurden je nach dem Gewicht und ihrem Werthverhältniß zu einander als Werthmesser ausgenutzt. Dabei mußten staatlich gesetzliche Bestimmungen den Werth der einzelnen Stücke regeln, damit man sich ihrer als allgemein gültigen Zahlungsmittels bedienen konnte.

Das neu geschaffene Geldgewicht beruhte seiner Gewichtsbestimmung nach auf dem Gewichte des Wassers in einem geaichten Hohlraum. Stellt man sich in einem solchen statt des Wassers eine Füllung von Metallen z. B. Gold oder Silber, vor, so würde je nach dem spezifischen Gewicht derselben ihre Schwere in einem eigenthümlichen Gegensatz zu dem des Wassers gestanden haben. Beispielsweise würde Gold das Wassergewicht des bezüglichen Hohlraumes um das Sechzehn bis Neunzehnfache, Silber um das Zehn- bis Zwölffache übertroffen haben. Ein Ausgleich zwischen dem Wassergewicht und seinem dazu gehörigen Hohlraum und den Metallgewichten nebst ihren bezüglichen, immerhin aber von den Grundmaßen des Wassers abgeleiteten Hohlräumen war daher selbstverständlich geboten. Der Ausweg, um das Mißverhältniß zu heben und besonders dem Kleinverkehr praktische Dienste zu leisten, war ebenso einfach als natürlich. Wog der normale Hohlraum, welcher ein Loth Wasser in sich faßte, nach den Vermessungen 9,09 Gramm, so würde beispielsweise das Goldgewicht [470] in demselben Raume eine Schwere von 163,7 Gramm besessen haben, für den Kleinhandel also wenig brauchbar gewesen sein. Man zog es aus diesem Grunde vor, den zehnten Theil dieses Gewichtes, d. h. 16,37 Gramm, als Normalgewicht für das Gold anzusetzen, das sogar von den Hebräern unter dem bekannten Namen des Sekel entlehnt wurde. Aus dem Fünfzigfachen des Goldlothes oder Goldsekel schuf man ein „schweres“ Goldpfund von 818,6 Gramm Gewicht, dessen Hälfte – 409,3 Gramm – als das „leichte Pfund“ bezeichnet wird. In gleicher Weise verfuhr man mit dem Silbergewicht.

Auf den Straßen des Verkehrs in den ältesten Kulturländern der Welt begann dann das Pfund nach seinen verschiedenen Werthen die langen Wanderungen anzutreten, und am Nil wie an den Ufern des Euphrat und in Vorderasien bis zum Mittelmeer hin fand es überall seinen Eingang. Und als man nach dem 7. Jahrhundert vor Christi Geburt wirkliches Geld zu münzen begann, war es das Pfund oder, wie man es mit seinem semitischen Namen bezeichnete, die Mine mit ihren Theilstücken, welche die Grundlage der gestimmten Geldprägung bildete. Die Wissenschaft der antiken Numismatik kann dieser Grundlage nicht mehr entbehren, und die modernen Meister und Lehrer derselben gehen selbst bei der Betrachtung der griechischen und römischen Münzverhältnisse von dem ägyptisch-babylonischen Pfunde aus, wobei die Längen- und Hohlmaße nach derselben uralten Quelle selbstverständlich nie aus den Augen verloren werden.

Im Verlaufe der Jahrhunderte wanderte das Pfund von den Rändern des Mittelmeeres nordwärts von Land zu Land, von Ort zu Ort, und fand allenthalben unter den europäischen Völkern willige Aufnahme; und ist es auch in den Kulturstaaten jetzt mit wenigen Ausnahmen durch das metrische System verdrängt worden, ja droht es in Zukunft von dem Schauplatz seiner Herrschaft ganz und gar zu verschwinden – die Erinnerung daran hat sich gewohnheitsmäßig beim Volke bis in unsere Tage hinein erhalten, und erst dem jungen Geschlecht wird es vielleicht gelingen, es aus seinen Berechnungen zu streichen.

Die Wanderungen des Pfundes lassen sich geschichtlich verfolgen, und wenn sich auch niemand bisher der Arbeit unterzogen hat, seinen Spuren genau nachzugehen, so läßt sich doch der Nachweis führen, wie trotz kleiner Verändernngen an dem ursprünglichen Gewicht seine uralte Grundform überall wieder hervortritt.

Wenn man in Wien das Pfund Chokolade zu 490 Gramm ansetzt, in Augsburg das Pfund Frohngewicht auf 490,87 Gramm abschätzt, in Holland ein sogenanntes Troy-Pfund zu 492,17 Gramm, in Brüssel ein schweres zu 492,15 Gramm, in Lüttich ein Pfund zu 492 Gramm (für Gold und Silber) rechnet, so weisen diese Zahlen wie mit dem Finger auf das uralte leichte Pfund oder die leichte Mine von 491,16 Gramm hin, und es ist mehr als nur wahrscheinlich, daß die europäischen Pfundgewichte von kleinerer oder größerer Schwere, wie das Pariser zu 489,5, das hannöverische zu 489,63, das Baseler zu 493,24 Gramm u. a. m., ihren Ursprung demselben alten Grundgewicht der Mine zu danken haben.

Dieses für das allgemeine Gewicht in Babylon und in Aegypten erfundene Minenpfund war aber so entstanden, daß man es nicht aus dem Fünfzigfachen, wie beim Golde, sondern aus dem Sechzigfachen des leichten Goldsekels von 8,186 Gramm nach genauestem Gewicht herstellte; 60 X 8,186 Gramm ergiebt das angeführte Gewicht von 491,16 Gramm. Von diesem Sachverhalt hatten die Leute in Oesterreich, Bayern, Belgien und Holland wohl kaum eine Ahnung, als sie dem uralten Pfunde die gastliche Thür öffneten und es zum Eintritt in ihre Städte einluden. Wenn in Italien die Stadt Mailand sich eines „leichten“ Pfundes von 326,79 Gramm bedient, was ganz verschieden von der eben erwähnten Grundlage zu sein scheint, so führt auch diese Zahl zu einem bekannten antiken Gewicht hinüber und der Zusammenhang mit dem Pfunde von 491,16 Gramm tritt offenkundig zu Tage. Das Doppelte nämlich dieser leichten Mine beträgt 982,32 Gramm und bildete die sogenannte babylonische schwere Gewichtsmine; als deren Drittel mit dem Gewicht von 327,45 Gramm ist das altrömische Pfund oder die Libra den Metrologen vollkommen bekannt. Vom alten Rom bis zum heutigen Mailand ist ein langer zeitlicher Weg, aber dennoch hat das Pfund auf seiner Wanderung nach Mailand nur eine winzige Kleinigkeit eingebüßt.

Die Mine des Wassergewichtes oder das Gewicht eines mit Wasser angefüllten Hin-Maßes, des Liters der alten Aegypter, wog 455 (genauer 454,79) Gramm. Das englische „Avoir-du-poids-Pfund“ mit seinem Gewicht von 453,59 Gramm hat diese alte Mine verewigt, während in dem St. Petersburger Pfunde von 409,51 Gramm Schwere sich das Gewicht der Mine des leichten Goldtalentes, 409,3 Gramm, mit erstaunlicher Genauigkeit erhalten hat, ohne daß wir sagen können, wann und unter welchen Umständen die letztere nach dem Ufer der Newa gewandert ist.

Fällt es weniger auf, daß das alte Berliner Pfund von 467,71 Gramm Gewicht, nur mit Unterschieden in Gramm-Bruchtheilen, in den ehemaligen Pfundgewichten mehrerer deutscher Städte wie Gera (467,21), Leipzig (467,27), Gotha (467,70), Kassel (467,81) und Frankfurt am Main (467,91) wiederkehrt, so ist schon schwieriger, seinen Zusammenhang mit dem Pfundstück von Basel (467,71), Brüssel (467,67) und Lüttich (467,09) zu erfassen und auf geschichtlichem Wege zu begründen. In Fällen wie in dem vorliegenden empfiehlt es sich, die aufklärende Macht des altägyptischen Lothes oder der Fünfzigstelmine von 9,09 Gramm zu erproben, die sämmtliche antike Gewichte beherrscht und sich bis zu den von ihnen abgeleiteten modernen ausdehnt. Mit Hilfe dieser Gewichtseinheit läßt sich das Berliner Gewicht von 467,71 Gramm auf die um etwa 12 Gramm erhöhte alte Mine von 454,79 oder rund 455 Gramm zurückführen, läßt sich also eine Vergrößerung des Urlothes von 9,09 Gramm anf 9,35 Gramm erkennen. Daß darin kein bloßes Spiel des Zufalls verborgen liegt, dafür treten ähnliche Vorgänge im Alterthum zum Beweise ein. Wer sich genauer mit dem Studium des babylonisch-asiatischen Gewichts- und Geldwesens beschäftigt hat, kommt sehr bald zu der Erkenntniß, daß z. B. in der Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. eine prozentmäßige Erhöhung der älteren Gewichte stattfand. Hatte beispielsweise die ältere Gewichtsmine oder, nach unserer Weise zu reden, das alte Pfund eine Schwere von 491,16 Gramm, so entstand später daraus das sogenannte „königliche“ Pfund mit dem erhöhten Gewicht von 511,6 Gramm, das in seiner jüngsten Gestalt in dem alten Pfunde von Nürnberg zu 510, in dem Pfunde von Fulda zu 509,97 und in dem Prager zu 514,39 Gramm wiederkehrt.

In Bayern war es vor allen übrigen Orten die Stadt Nürnberg, welche auf dem Wege über die Alpen die antiken Gewichte an sich gezogen hatte. Es ist bekannt, daß das Nürnberger Medizinalgewicht mit seinem Pfunde von 357,83 Gramm sich über einen großen Theil des nördlichen Europa verbreitete, ohne seinen uralten Ursprung bis jetzt verrathen zu haben. Es galt aber zunächst in Nürnberg als dreiviertel Pfund Silbergewicht, das letztere besaß somit als volles Pfund eine Schwere von 447 Gramm, die von der des altägytischen Wasserpfundes nur um etwa sieben Gramm unterschieden ist. So ließen sich die Beispiele erheblich vermehren, um den engen Zusammenhang zwischen dem Alten und Neuen auch durch Pfundgewicht zu bestätigen. Wie die Buchstabenschrift, so wanderte die antike Mine, die eigentliche Mutter unseres modernen Pfundes, von den ältesten Kulturländern im Osten nach den Ländern und zu den Völkern im Westen und legte bis zur geprägten Münze hin den Grund zu den folgereichsten Errungenschaften des Kulturlebens. Die Mine schlug ihr Reich an allen Stationen auf, wo der Mensch große Märkte und Mittelpunkte für den Handelsverkehr geschaffen hatte und wo der fremde Kaufmann mit dem einheimischen den Warenaustausch nach Maß und Gewicht vollzog. Daß sich die Mine in ihrer modernen Gestalt als Pfund Tausende von Jahren hindurch als treue unzertrennliche Begleiterin des Kaufmanns bewährt hat, davon liefert ihr fast unverändert gebliebenes Gewichtssystem das beredteste Zeugniß. Selbst das moderne metrische System hat sie nicht ganz aus unserer deutschen Heimath verdrängen können. Ein halbes Kilogramm wird bekanntlich mit dem ehemaligen deutschen Zollpfund von 500 Gramm zusammengestellt, das sich nur um kaum neun Gramm von dem alten Minenpfund unterscheidet. Wie ein Phönix aus der Asche des alten, so ist die Hälfte des modernen Kilogrammes oder das deutsche Zollpfund aus der nach einem mehr als fünftauseudjährigen Dasein absterbenden Mine der Vorzeit an das Licht der Neuzeit emporgestiegen, um nach wie vor der Menschheit seine Dienste zu leisten. Und das ist das Wunderbare, daß seine Wiege in der Sonnenscheibe verborgen liegt.