Die Geschichte eines Biberjägers

Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Die Geschichte eines Biberjägers
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 630–633
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[630]
Die Geschichte eines Biberjägers.
Von Guido Hammer.

Meine diesmalige bildliche Darstellung einer auf dem Continent dem Aussterben nahen Wildgattung, die des Bibers, habe ich nicht auf meinen Jagdzügen, sondern mit Hülfe von Naturstudien entworfen, die sich mir bei besonderer Gelegenheit boten. Auch war ich nicht in der Lage selbst Beobachtungen über die Natur dieses wundersamen Thieres anzustellen und beschränke mich deshalb bezüglich des naturgeschichtlichen Theiles meines heutigen Artikels auch nur auf so viel, als zur Illustration beigegebenen Bildes unerläßlich ist; dies Wenige jedoch gestützt auf die Erfahrungen und mündlichen Mittheilungen eines alten Jägers, der selber noch auf deutschem Boden Biber zu jagen und sie in ihrer vollen Ursprünglichkeit zu beobachten so glücklich gewesen, wie eines ehemaligen Schulcameraden, den die Sehnsucht nach der einst verlassenen Heimath über den weiten Ocean zurückgeführt hatte, über welchen er, dem Drange seines ungestümen Herzens folgend, hingezogen war, dort in einem der biber- und überhaupt wildreichen Territorien als Trapper seinem unbegrenzten Hang zu ungebundener Freiheit Rechnung tragen zu können.

[631] Nach Beider übereinstürmender Erfahrung bestätigt es sich, daß der Biber, dieser für Culturländer leider so verderbliche Holzverwüster, Bäume, namentlich Aspen, Pappeln, Weiden und Birken, vom kleinsten Stämmchen an bis über einen Fuß Durchmesser mit seinen scharfen Zahnmeißeln „abhaue“; theils um dadurch zu der saftigen Rinde der Aeste und Zweige genannter Baumarten zu gelangen, die ihm die vorzüglichste Aeßung bietet, theils aber auch – dies freilich nur, wo diese Thiere noch genossenschaftlich zusammenleben und mit gemeinsamen Kräften arbeiten – zur Ausführung ihrer mächtigen Wohn- und Dammbauten.

Biber bei der Arbeit.
Originalzeichnung von Guido Hammer.

In Gegenden jedoch, wo der geschickte Werk- und Schwimmmeister seiner Ausrottung entgegengeht und nur noch einzeln oder höchstens paarweise auftritt, fällt letztere Benutzung der von ihm gefällten Hölzer weg, da die durch unablässige Verfolgung Verschüchterten blos noch flüchtige Erdbaue in die Flußufer ihrer Aufenthaltsstätten auszuführen pflegen und diese nur nächtlicher Weile verlassen. Die Art und Weise ihrer Plänterarbeit aber – jedenfalls eine der auffallendsten Situationen, welche diese geschickten Waldarbeiter einnehmen können – glaube ich, weil nach besonderer Angabe meines Freund Trappers und dem mir von ihm in Natur vorgelegten kreiselartig abgenagten Stumpfe eines von einem amerikanischen Biber „abgehauenen“ Baumes entworfen, anschaulich auf meiner Zeichnung dargestellt zu haben.

Darum sei es mir gestattet, jetzt über das vorgeführte Thier selbst abzubrechen; zumal wissenschaftlich Ermitteltes und Festgestelltes über das Leben und Treiben dieses interessantesten aller Nager in unübertroffener Weise durch das prächtige Werk „Brehm’s Illustrirtes Thierleben“ geschildert und sich davon zu unterrichten einem Jeden leicht zugänglich gemacht worden ist. Aber die Geschichte eines letzten deutschen, speciell sächsischen Biberjägers will ich noch anfügen, wie ich sie aus dem Munde eines hochbetagten, aber noch heute rüstig in voller Thätigkeit stehenden [632] Büchsenmachers habe, zu dem mich vor Kurzem ein glücklicher Zufall geführt.

Gleich bei meinem Eintritt in die Werkstätte des rastlos schaffenden Alten fiel mir diese besonders dadurch angenehm auf, weil ihre rußgeschwärzten Wände außer Handwerks- und Schießzeug noch prächtige Hirsch- und Rehgeweihe trugen, so daß ich, durch diesen Schmuck gefesselt, gern länger in dem mir so anheimelnden Raum verweilte, als mein kleiner Auftrag es eigentlich nöthig machte. Dadurch entdeckte ich aber auch noch auf dem Gesimse des Kamins einen vergilbten Schädel, den ich, trotz näherer Betrachtung, doch nicht gleich zu bestimmen wußte, ihn vielmehr auf den ersten Augenblick für den eines Murmelthieres hielt. Ich ward bald vom Besitzer eines Besseren belehrt, indem dieser mir das fragliche Object als die sterblichen Ueberreste eines Bibers bezeichnete, der, als Letzter seines Geschlechts, in seinem, des Büchsenmachers, Heimathsorte, einem Dorfe an der Mulde bei Wurzen in Sachsen, in einem Tellereisen gefangen worden sei, und zwar von einem seiner Jugendfreunde, der infolge dessen, wenn auch nur mittelbar, ein tragisches Ende genommen, wie nachfolgende Geschichte, die mir nun der redselig gewordene Alle erzählte, bezeugen mag.

Leonhardt, so hieß der einstige Jugendgenosse meines Gewährsmannes, den aber das ganze Dorf nur den „tollen Karl“ genannt hatte, war schon als Knabe ein wilder, unbändiger und aufbrausender, wenn auch im Uebrigen entschieden gutherziger Bursche gewesen. Dazu hatte ihn ein unwiderstehlicher Hang zum Fischefangen und Vogelstellen jede irgend freie Zeit benutzen lassen, hinauszustreifen an die Gewässer und in die Büsche und Wälder seiner heimathlichen Umgebung, dort in voller Ungebundenheit seiner aufkeimenden Jagdlust zu fröhnen. So war er ohne irgend welche leitende Aufsicht seiner tagelöhnernden Eltern in regelloser Freiheit aufgewachsen, daß ihn schon frühzeitig besonders die zügelloseste Leidenschaft für Alles, was auf Jagd Bezug gehabt, beherrschte. Unter solchen Umständen hatte er denn auch bald, nachdem er die dürftige Schule verlassen, dann als Hirte, später als Waldarbeiter und zuletzt als anerkannt vorzüglicher Schäfer, für welchen Beruf er besonders unübertreffliche Hunde gezogen haben soll, den Pfad des Wilderers betreten, und war hierbei mit solchem Geschick und Umsicht verfahren, daß man ihn, so bestimmt Alle von seinem Treiben gewußt, doch niemals auf der That zu ertappen vermochte. Freilich hatte er von vornherein getreue Helfershelfer gehabt, die das von ihm zumeist in Schlingen und Fallen berückte Wild verwerthet und dann den Gewinn mit ihm getheilt hatten. Dieser entstand besonders durch den von ihm leidenschaftlich und mit bestem Glück betriebenen Biberfang, der zu jener Zeit – vor vor kaum vierzig Jahren – an den Ufern der Mulde noch immer, wenn auch in beschränkter Weise, stattfinden konnte.

So hatte unser wildernder Schäfer wieder einmal, nachdem sich bereits seit längerer Zeit kein Biber mehr gezeigt, gegen Ausgang eines Winters, wo heulende Thaustürme und niederströmender Regen mit vereinter Kraft die Eisdecke der Mulde gebrochen und mächtige Fluthen herangewälzt hatten, einen jedenfalls durch das gewaltige Hochwasser verschlagenen ungemein starken Biber gespürt, und der unermüdliche Waidkundige hatte nun nicht abgelassen, das willkommene köstliche Wild zu erbeuten. Tage und Nächte hatte er daran gesetzt, sich zunächst zu vergewissern, wo er das gut verwitterte Eisen am günstigsten zu legen habe, bis er den sicheren „Ausstieg“ des Fremdlings ausgegattert, und nun ihm der Erfolg ein sicherer sein mußte. Und richtig, in kürzester Frist darauf war das seltene Wild sein eigen gewesen! Bald genug aber war sein Fang auch ruchbar geworden; doch immerhin nicht eher, als bis das Wildpret bereits von dem Fallensteller und seinen Vertrauten verzehrt, das Fell aber und das Bibergeil längst gen Leipzig gewandert und dort von sicheren Hehlern zu ansehnlichem Preise verwerthet worden war; kurzum, als Forstbeamte und Gensd’armen mit dem dazu requirirten Dorfschulzen Haussuchung bei dem Verdächtigen gehalten, war durchaus keine Spur von dem Gesuchten zu finden gewesen, und der sich höchst harmlos stellende „Schäfer-Karl“, wie unser Wilderer später schlichtweg genannt worden war, hatte sein ihm dabei vorgehaltenes und nachgewiesenes auffallendes Umherlungern an der Mulde in der betreffenden Zeit einfach mit der Angabe beschönigt, daß er einen Eichenstamm, den das Geflüthe aus fremder Gegend heruntergebracht, mit seiner Frau mühsam herausgeschafft, an einen Biber aber dabei nicht gedacht, noch viel weniger einen solchen gefangen habe. In der That hatte er auch an beregten Tagen, wahrscheinlich zuvörderst nur um damit seine eigentliche Absicht zu verbergen, einen angeschwemmten Baum mit Hülfe seiner Frau, Beide dabei mitten im schneeigen Wasser arbeitend, zersägt und auf das Trockene gebracht, um es später nach seiner Wohnung zu schaffen.

Jedenfalls aus Unmuth, den pfiffigen Schäfer wiederum nicht überführen zu können, war nun auf Anordnung des betreffenden Försters der Dorfschulze beauftragt worden, besagtes Holz öffentlich versteigern zu lassen, wogegen jedoch der sich hierin in seinem vermeinten – und nach damaligen Gesetzen auch factischen – Rechte gekränkt fühlende „Schäferkarl“ auf’s Entschiedenste Einspruch erhoben. Man achtete indeß seiner nicht, vielmehr reizte man den durch die Haussuchung so schon genugsam Erzürnten noch durch brutale Behandlung und Drohungen auf’s Höchste. In solcher Stimmung betheuerte er denn: Jeden, welcher sich an seinem Eigenthum, dem noch am Ufer liegenden Holze, vergriffe, niederschießen zu wollen wie einen tollen Hund. Als aber am anderen Morgen vollends gute Freunde kamen und hetzend ihm hinterbrachten, daß soeben sein Holz von Dreien aus dem Dorfe, die ohnedem seine erbittertsten Feinde, wie auch jedenfalls seine Denuncianten waren, abgefahren werden solle, übergiebt er, bis sein Weib nach Hause kommen würde, den die Botschaft gebracht habenden Genossen sein kleines Anwesen, holt dann aus einem Versteck im Gehöft sein Doppelgewehr nebst Schießtasche hervor und eilt nun an das seiner Wohnung nahe, dem eigentlichen Dorfe aber ziemlich entfernt liegende Muldenufer, hier sein sauer errungenes Gut unter allen Umständen männiglich zu schützen, das man wirklich im Begriff stand, nach anmaßlichem hämischem Beamtenbefehl zu entführen.

Da gebietet der erregte Besitzer den widerrechtlich dabei Beschäftigten ein lautes Halt! mit dem Bedeuten: an Jedem, der mir ein Scheit weiter anzurühren sich unterfinge, seine früher ausgesprochene Drohung zu erfüllen. So warnt er, als man ihm nicht Folge leistet, noch mehrmals die Achtlosen; dann aber schießt der auf’s Höchste Gereizte rücksichtslos den Haupter, der ihn auch noch zu verhöhnen gewagt, nieder, den anderen Beiden nun nochmals befehlend: sein Holz sofort von ihren Schiebeböcken abzuladen oder gleichen Lohnes gewärtig zu sein. In bäuerischem Trotze aber, angesichts ihres erschossenen Cameraden, schicken die sich vielmehr zum Fortfahren an, und nun giebt der bis zur Tollheit Wüthende mit dem zweiten Rohre Feuer auf den ihm zunächst sich Befindenden, der denn auch die volle Ladung Schrot auf den Kopf bekommt und davon augenblicklich leblos zusammenbricht. Jetzt ergreift der dritte Bedrohte denn doch die Flucht, auf der ihn aber der noch immer in maßlosem Zorn befangene Mörder verfolgt, dabei im Laufen das Gewehr von Neuem ladend. Hierbei mag er es jedoch versehen haben, denn so vielmal er auf den Fliehenden abdrückt – der Schuß entladet sich nicht, und der Verfolgte entkommt.

Als dieser natürlich im Dorfe Lärm geschlagen, eilt nun Alles, möglichst bewaffnet, hinaus auf die Unglücksstätte, hier womöglich den Wüthenden, den man aber nun ruhig zwischen den Scheiten seines Holzes sitzend vorfindet, zu fassen. Dennoch wagt keiner der Bauern – Forstbediente und Gensd’armen waren nicht zur Hand gewesen – sich näher als außer Schußweite an den jetzt so Stillen hinan; vielmehr schreien sie ihn nun aus der Ferne bramarbasirend an: sich gutwillig ergeben zu sollen – doch ohne Erfolg. Da führt der Zufall den Geistlichen des Kirchspiels, der eine Taufe im eingepfarrten Nachbardorfe zu vollziehen beabsichtigte, des Weges daher, und diesem wird nun der schreckenerregende Vorfall mitgetheilt, mit der Bitte, den Verbrecher zu vermahnen, sich dem Gerichte zu stellen. Nicht einen Augenblick zaudert der mit vollem geistlichen Ornat angethane ehrwürdige Pfarrer auch in so schwieriger und außergewöhnlicher Lage seinen Berufspflichten nachzukommen, und furchtlos schreitet der silberhaarige Greis auf den noch immer in sich Versunkenen zu, das Wort Gottes in mahnender Weise schon von Weitem ihm zurufend. Doch kein reuiges Entgegenkommen ward dem getreuen Seelsorger, der inzwischen, an den blutigen Opfern vorübergeschritten, dicht vor den Mörder hingetreten ist, hier nochmals die ganze Kraft und Weihe seiner Beredsamkeit aufbietend, den Verstockten zu rühren, bis der auch jetzt noch vergeblich mahnende Priester zu seinem Schrecken gewahrt, daß er zu einem Todten [633] gesprochen – der zum Mörder gewordene Wilderer hatte sich selber erschossen, und seine Seele stand bereits vor einem höheren Richter! So endete der letzte Biberjäger an der Mulde; und mit ihm war und ist auch das seltene Wild verschwunden, wenigstens konnte sich nach dieser Zeit Keiner wieder rühmen, in dortiger Gegend je noch einen Biber erjagt zu haben.