Die Gemälde-Galerie des Grafen Schack − Kapitel 2

Textdaten
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Autor: Adolf Friedrich von Schack
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Titel: Kapitel II.
Untertitel: Moritz von Schwind
aus: Die Gemälde-Galerie des Grafen A. F. von Schack in München
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Dr. E. Albert
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Erscheinungsort: München
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II.


Auf Moritz von Schwind war ich schon weit früher aufmerksam geworden, als auf Genelli. Sein „Sängerkrieg auf der Wartburg“ im Städelschen Institute zu Frankfurt a. M. hatte einen gewaltigen Eindruck auf mich gemacht, und ich erinnere mich noch der heftigen Kämpfe, welche ich mit Personen zu bestehen hatte, die andere, damals vielbewunderte, jetzt meist nur mit Geringschätzung betrachtete Bilder derselben Sammlung hochpriesen, dagegen die Bedeutung dieses grossartigen Werkes nicht anerkennen wollten. Etwas später sah ich mit Entzücken das „Leben der heiligen Elisabeth auf der Wartburg“, eines der edelsten Werke deutscher Kunst. Ich säumte daher nicht, bald nach meiner Ankunft in München, das Atelier des Meisters aufzusuchen und gewann durch die zahlreichen Skizzen und halb vollendeten Bilder, die ich hier fand, einen noch viel höheren Begriff von dem Reichtum seines Talents. Auch Schwind war bis in das vorgerückte Lebensalter, in dem er damals schon stand, durchaus nicht in seiner Bedeutung gewürdigt worden, und er sprach sich, während Genelli sich in stolzes Schweigen hüllte, hierüber mit unverhohlenem Unmute aus. Seine beissenden, oft überaus witzigen Ausfälle gegen Künstler, die von dem urteilslosen Haufen vor ihm bevorzugt wurden, liefen von Mund zu Mund. Da sich seine Sarkasmen noch höher verstiegen, so verscherzte er hierdurch auch die „Wohlgeneigtheit“ Desjenigen, von dessen Aufträgen Ruhm und äusserer Vorteil der Künstler im damaligen München abhing. Er vertraute mir sogleich, dass er sich seit zwanzig Jahren vergeblich nach einer Bestellung sehne, welche es ihm ermögliche, eine seiner Lieblingskompositionen – die Rückkehr des Grafen von Gleichen – in Oelfarbe auf die Leinwand zu bringen. Die Bleistiftzeichnung derselben, die er mir zeigte, erregte mein lebhaftes Interesse und ich zögerte nicht, ihm den gewünschten Auftrag zu erteilen. Auch hier wurden von vielen Seiten Versuche gemacht, mich von diesem Schritte zurückzuhalten. Mir ward gesagt, die Vorsicht gebiete, nur fertige Bilder zu kaufen, da es ja zweifelhaft sei, ob die bestellten nach Wunsch ausfallen würden. Es ist etwas Wahres an diesem Satze, ohne dass er völlig und für alle Fälle Geltung hätte. Ich habe, indem ich solche mir gegebenen Rathschläge in Erwägung zog, wohl zuweilen geschwankt, mich aber schliesslich, wo ich ein echtes Talent vor mir hatte, nicht durch sie irre machen lassen, und dass ich dies nicht gethan, hat wie ich glaube, der Kunst zum Segen gereicht. Da es für grosse figurenreiche Gemälde nur wenige Liebhaber gibt, so ist nicht leicht ein Künstler in der Lage, Jahre an die Ausführung derartiger Entwürfe zu setzen, wenn er noch nicht weiss, ob er einen Käufer finden werde. Kaum ein einziges dieser Bilder, welche gerade die wertvollsten Zierden meiner Sammlung ausmachen, würde ins Leben getreten sein, wenn ich jenen Ratgebern gefolgt wäre. Fast sämtliche Werke Schwinds, Genellis, Feuerbachs und vieler anderer, die sich in meinem Besitze befinden, sind von mir bestellt worden, allerdings, nachdem ich die Skizzen gesehen und gebilligt, und bei keinem einzigen habe ich den gefassten Entschluss zu bereuen gehabt. Freilich weiss Niemand mit völliger Sicherheit voraus, ob sein Werk, selbst bei dem ernstesten Willen und angestrengtesten Fleisse, ganz gelingen werde. Aber eine gute Komposition behält unter allen Umständen ihren Wert, und hierauf gründete sich meine Zuversicht. Die Entwürfe, welche ich als gut erkannt, würden, auch bei mangelhafter Ausführung, noch immer ihre bedeutsamen Vorzüge bewahren.

Schwind arbeitete mit grosser Liebe und Hingebung am Grafen von Gleichen. Wie konnte es auch anders sein, da er diesen Stoff ein halbes Menschenalter in sich getragen und sich darnach gesehnt hatte, ihn in Umriss und Farbe verkörpern zu dürfen? Nach etwas mehr als einem Jahre liebevollsten Fleisses, das er ausschliesslich dem Gemälde gewidmet hatte, war dasselbe vollendet. Es stellt den Moment dar, wo der Graf mit der schönen Sarazenin, seiner Retterin aus der Gefangenschaft, nach Burg Gleichen zurückkehrt und von seiner Gemahlin zärtlich empfangen wird; die Geschichte ist aus Goethes Stella Allen bekannt. – Die Hauptgruppe, darunter besonders der Kreuzritter, der trotz der Freude des Wiedersehens seine Verlegenheit wegen der mitgebrachten Geliebten nicht verbergen kann, und die gute Hausfrau, in deren Zügen man liest, dass sie aus Dankbarkeit für die Befreiung des Gemahls nichts dawider hat, die Muhamedanerin als zweite Gattin im Hause aufzunehmen; dann die verschiedenen Heimkehrenden und Burgbewohner, unter ihnen jeder mit eigentümlichem Ausdruck: die Frau des den Ritter begleitenden Knappen, die sich inzwischen wieder verheiratet hat und kaum wagt, die Augen vor dem ersten Mann aufzuschlagen, sowie ihre Tochter, welche um so dreister in die Welt hineinblickt; endlich der Haushund und das aus Palästina wieder anlangende Pferd, die einander liebkosen und als alte Bekannte begrüssen – es ist ein Bild voll Innigkeit, wie die Kunst nur wenige hervorgebracht hat. Das ganze Mittelalter wird uns darin in seinen schönsten Zügen vor Augen gezaubert. Schwind war selbst bis an sein Ende mit Recht stolz auf diese Leistung und nannte sie das beste unter seinen grösseren Gemälden.

Der „Graf von Gleichen“ war eine so unerschöpfliche Quelle von Freude und Genuss für mich, dass ich die Begierde nach weiteren Werken des Meisters nicht unterdrücken konnte. Ich erwarb zunächst die nach meinem Geschmacke schönsten unter den Bildern, welche sich fertig in seiner Werkstatt fanden und die unbegreiflicher Weise, wiewohl sie zu dem Kostbarsten der Kunst gehören, bisher keinen Käufer gefunden hatten. Obgleich deren eine beträchtliche Anzahl war, wuchs doch mit ihrem Besitze mein Verlangen nach neuen ähnlichen Erwerbungen, und Schwind liess sich bereit finden, bis zu seinem, im Jahre 1871 erfolgten Tode, noch verschiedene andere Gemälde eigens für mich zu vollenden. Auf solche Art wurden im ganzen 34 Werke von ihm mein Eigentum, so dass meine Sammlung mehr derselben zählt, als alle übrigen öffentlichen und Privatgalerien zusammengenommen. Sie bilden für mich einen köstlichen Besitz, und ich glaube, ihnen einen unvergänglichen Wert zuschreiben zu können. Viele darunter sind nur von bescheidenem räumlichen Umfange; aber die Bedeutung eines Kunstwerkes wird nicht nach seiner Grösse geschätzt. Man stellt das kleine Bild des „Christus mit dem Zinsgroschen“ mit Recht in die vorderste Reihe von Tizians Bildern, und Rafaels kleine Madonna aus dem Hause Connestabile, welche eine Handfläche bedecken kann, wiegt alle riesenhaften Hervorbringungen eines Luca fa presto auf. So ist auch ein einziges dieser kleinen Gemälde unseres Meisters manchen solchen vorzuziehen, die 50 Fuss ins Geviert einnehmen, ohne dass ein Quadratzoll auf ihnen gut wäre.

So wie Weber der specifisch deutsche Komponist ist, muss Schwind der specifisch deutsche Maler genannt werden. Vor seinen Schöpfungen glauben wir Luft aus den deutschen Eichenwäldern einzuatmen; aus dem Laubgrün hallen Waldhornklänge an unser Ohr; ferne Berggipfel, mit alten Burgen gekrönt,

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leuchten im Sonnenglanz; in den Klüften hausen Gnomen; Elfen wiegen sich auf den duftigen Morgennebeln. Ueber Alles ist ein zauberisches Licht gebreitet, ein Morgenrot, das uns wie Erinnerung an die früheste Kindheit gemahnt. Nur aus einer reinen Seele, die sich bis in das Alter die Unschuld der ersten Lebensjahre bewahrt hat, konnten derartige Gebilde erblühen. Ich kenne kaum andere Werke der Malerei, die so unmittelbar aus der Empfindung auf die Leinwand übergegangen sind, und hierauf eben beruht die Gewalt, mit der sie den sinnvollen Beschauer immer und immer von Neuem zu sich hinziehen. Selbst Scenen des gewöhnlichen Lebens weiss Schwind mit dem wunderbaren Hauche des Gefühls zu beseelen und in die lauterste Poesie zu verwandeln. Seine besondere Domäne, in der er keinen Nebenbuhler hat, sind aber die Sagen und Legenden des deutschen Mittelalters, mit ihren vor Heiligenbildern knieenden Eremiten, ihren die Quellen und Flüsse bevölkernden Nixen, ihren Zwergen, Riesen und auf Abenteuer ausziehenden Rittern. Man wird an die schönen, jetzt leider beinahe vergessenen Märchen Tiecks im Phantasus erinnert. Den bezeichneten Kategorien kann man noch solche seiner Produktionen hinzufügen, die äusserst sinnreich Naturerscheinungen verkörpern; andere lassen sich kaum in eine Rubrik bringen; dem klassischen Altertume gehören nur zwei von den in meiner Sammlung befindlichen an. – Ich führe nun die einzelnen in bunter Reihe vor.

Vier Rundgemälde stellen die vier Tageszeiten dar. Auf dem ersten hat der Morgen, zur Figur verkörpert, die Spitze eines Felsen erklommen; neben ihm steht eine Gemse; zu seinen Füssen sinkt die Nacht, eine weibliche Gestalt, zurück. Dieses Bild ist von unbeschreiblichem, seelenbestrickendem Reize. Aesthetiker werden es tadeln, weil darin die Grenzen von Dichtkunst und Malerei vermengt und überschritten seien. Aber die hierauf Bezug habende Lehre ist gleich jener anderen, wonach die Poesie es nur mit dem Bewegten, die bildende Kunst aber einzig mit dem Ruhenden zu thun haben soll, doch nur eine Halbwahrheit. Wie der Fries des Parthenon, auf welchem die Reitergruppen in mächtiger Bewegung an uns vorüberzuziehen scheinen, sowie Tizians Schlacht von Cadore, wo ein Atemzug des bewegtesten Lebens die Kämpfenden durcheinander wirbelt, endlich Michel Angelos jüngstes Gericht und der Engelsturz des Rubens, in denen die Figuren unaufhaltsam in die Tiefe zu sinken scheinen, die Richtigkeit der letzterwähnten Behauptung für die bildende Kunst in Frage stellen, so zeigt Schwinds Morgen, neben vielen

[11] sonstigen seiner schönsten Werke, dass der Genius sich siegreich über jene andere, vom klügelnden Verstande erdachte Theorie hinwegsetzen und Herrliches schaffen kann. Die erstaunliche Wirkung dieses Bildes beruht, neben dem unmittelbar zur Erscheinung gebrachten, auf dem, was der Künstler nur ahnen lässt und der Einbildungskraft hinzuzufügen gibt. Von dieser Felsspitze meint die erregte Phantasie in unermessliche Abgründe hinabzuschauen, in welche die Nacht zurückweicht, das Geräusch des erwachenden Lebens zu hören, das von unten emporhallt, während umher andere Berghäupter im Morgenglanze aufglühen, bis das Licht nach und nach von Felsenzacke zu Felsenzacke hinabklimmt, und zuletzt ein weites Meer des Glanzes überallhin seine Wellen schlägt.

Der Mittag zeigt einen See zwischen steilen Felsgebirgen, welche doch die Sonnenglut nicht abhalten können, mit ganzer Gewalt auf die von keinem Lufthauche bewegte Fläche des Wassers zu fallen. Die kristallene Flut ist so klar, dass man bis auf ihren Grund zu schauen glaubt. Ein schwimmender Fisch wird unter ihrer Oberfläche sichtbar; aus der Mitte des Sees aber hat sich eine Nixe erhoben und betrachtet sich selbstgefällig, in dem glitzernden Wellenspiegel ihr langwallendes, goldblondes Haar ordnend. Der malerische Effekt ist ausserordentlich. Bisweilen hat man gesagt, es sei unnatürlich und lächerlich, dass das Haar der Nixe in solcher Fülle, beinahe wie ein Gewand ihren Oberleib umgebend, weit herabfliesse; als ob der Maler bei einem Gebilde der Märchenwelt sich an das Modejournal zu halten hätte! Solcher mächtiger Haarwuchs bei Jungfrauen spielt eine grosse Rolle in den germanischen Sagen, und die Vorstellung, dass er eine besondere Schönheit sei, scheinen unsere Vorfahren aus ihrer ältesten asiatischen Heimat mitgebracht zu haben; schon in der alt-iranischen Sage kommt vor, wie Rudabe, auf dem Balkon stehend, ihre Locken aufgelöst herabfliessen lässt und ihren geliebten Sal auffordert, sich derselben als einer Strickleiter zu bedienen, um an ihr emporzuklettern; und eben dies wiederholt sich in mehreren deutschen Märchen. Gewiss hatte der Maler recht, ein solches Motiv zu benutzen, und die Erscheinung seiner Nixe ist dadurch von grosser pittoresker Wirkung geworden. Ich will hier auch noch an Tizians „Magdalena“ im Palast Pitti erinnern, welche in ihre goldblonden Haare wie in einen Mantel gehüllt ist.

Der Abend ist wohl nie mit so tiefer Naturempfindung dargestellt worden, wie von Schwind. Er hat ihn in seinem innersten Sein, nicht bloss in der äusseren Erscheinung, uns vor Augen zu führen gewusst. Auf Wolken erblickt man, nur in matten, dämmernden Umrissen, den Tag, wie er sich zum Schlummer hinstreckt. Eben ist der Mond aufgegangen und giesst seine blassen Strahlen zur Erde nieder, über die sich das erste Abenddunkel hinzieht. Die Nachtfalter beginnen ihren Flug, die Bäume nehmen unheimliche, gespenstige Gestalten an, wie sie wohl den verirrten Wanderer erschrecken, der umsonst gesucht hat, sein Nachtquartier vor Dunkel zu erreichen. Man fühlt, wie sich Stille und träumerisches Schweigen auf die Flur legt, wird aber zugleich von dem leisen Schauer des Unheimlichen durchdrungen, als ob man abends auf einem Friedhofe stände und sich vor der Erscheinung von Geistern fürchtete. Eine hohe Kunst zeigt sich darin, dass hier durch das mehr Andeutende, als Ausgeführte, eine Stimmung hervorgerufen wird, wie sie selbst der Nüchternste wohl einmal an sich erlebt hat. Ich glaube, noch kein Maler hat tiefer die Seele der Natur zu erfassen gewusst, als hier Schwind.

In dem letzten dieser vier Rundbilder schwebt die Nacht mit den beiden Genien des Schlafes und Todes durch den Himmel, und wir glauben mit ihr über die träumende Erde hinzuziehen. In feierlichem Schweigen hat die grosse Mutter alles Lebenden und Toten ihren Mantel durch die Lüfte gebreitet, und während der eine ihrer Zwillingssöhne sein mohnbekränztes Haupt schlummernd unter dessen Falten birgt, der andere die Fackel senkt, ahnen wir Wonne und Leid der Menschen unten, über die sie dahingleiten, indes hier Ermüdete im Schlafe Vergessenheit aller Tagesmühen schlürfen, dort Herzen von Sterbenden ihre letzten Schläge thun. Aber über den drei Gestalten und ihren Gesichtszügen ruht eine so himmlische Seligkeit, dass selbst die Trauer sich sänftigt, ja uns süsse Sehnsucht anwandelt nach dem Reich des Friedens und der Stille, über das die Allmutter gebietet.

Einen ganz wunderbaren Eindruck macht ein kleines Bild, in Betracht dessen ich oft gefragt worden bin, was es wohl vorstelle. Man sieht den obern Teil des Innern eines gotischen Domes mit gemalten Glasfenstern. An demselben schwebt ein Engel mit einem Lilienstengel vorüber, und hält an der Hand, schwebend wie er selbst, einen jungen Mann in altdeutscher Tracht. Die Idee Schwinds war, einen Traum des Erwin von Steinbach darzustellen, wie er als Jüngling schon sein künftiges Bauwerk, den Münster von Strassburg, im Geiste vollendet vor sich erblickt und ein Cherub ihn in demselben umherführt. Wenn ich länger vor diesem Bildchen stand, war mir oft, als ob es sich ins Unermessliche erweitere, als ob ich wirklich von oben herab in einen gotischen Dom schaute, und die Tiefe schien mir so ungeheuer, als müsste ich mich an der Hand des Engels festhalten, wie Erwin, um nicht vom Schwindel erfasst zu werden. Ich würde dieses kleine Juwel für kein anderes, noch so glänzendes, hingeben.

Von grösserem Umfange ist eine Waldscene, wo zwei Nixen aus einer Quelle hervorgetaucht sind und einem Hirsch Nahrung bieten. Schwind, der sich seiner Bedeutung sehr wohl bewusst war, sagte einmal zu mir, er glaube der einzige zu sein, der einen Wald malen könne; und dass er hierin recht hatte, zeigt dieses sein Bild. Mächtig aufragende Stämme von Eichen und Buchen wölben ihre breiten Wipfel zu einem dichten Schattendach über ein unten liegendes Bergthal. Nur verloren zittern einzelne Lichter in die grüne Dämmerung herab, wo man auf dem feuchten Moosgrunde das Leben der Pflanzen- und Insektenwelt mehr ahnt, als sieht. Libellen wiegen sich auf den Ranken und Stauden, die sich über die Quelle neigen, und im leisen Windhauche auf- und niederschwanken. Man glaubt das Regen und Flüstern in den Halmen zu hören. Und unwillkürlich steigen in dem Beschauer Bilder der Märchenwelt empor, die sich in den Nixen verkörpern. Lässt er dann den Blick durch die urweltlichen Kolosse von Bäumen hindurch in das Walddickicht und empor zu ihren Kronen schweifen, so fühlt er seine Seele von dem bestrickenden Zauber weltentrückter Einsamkeit umfangen, zu der kein Ton des Lebens dringt. Oft habe ich an trüben Wintertagen mich beim Betrachten dieses Gemäldes in tiefe Waldnacht versetzt geglaubt und dieselben wonnigen Empfindungen durch mich hinziehen lassen, wie da ich halbe Tage in den entlegenen Thälern des Odenwaldes den Odem des Naturgeistes in mich sog, während nur hie und da der Schlag einer fallenden Axt fernher im Walde hallte. – Ueber solche Zaubermacht gebietet die echte Kunst.

Eine selige Frühlingsstimmung herrscht in einem andern Bilde, wo, vom grünen Blätterdache überdeckt, ein Knabe, nur leicht bekleidet, am Boden liegt und, ein Horn am Munde, den Jubel seines Herzens in die Welt hinaustönen lässt. Schwind pflegte dieses Gemälde des Knaben Wunderhorn zu nennen. Da seine Jugend in die Blütezeit der romantischen Schule gefallen war, hatte dieselbe ihn stark beeinflusst, und seine Neigung zum Volksmässigen wird aus dieser Quelle geflossen sein. Alle seine Sympathien in der Litteratur gingen nach der angedeuteten Richtung hin; er spottete oft über Schiller, den er einen Rhetor und Deklamator nannte, und wollte auch Goethe nur in seinen Jugendwerken gelten lassen. Tieck und Brentano dagegen pries er hoch: ob sich diese Verehrung auch auf Arnim ausdehnte,

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erinnere ich mich nicht aus seinem Munde gehört zu haben. Uebrigens ist er von der verkehrten Volkstümlichkeit, die von den Romantikern in Schwung gebracht wurde, und welche leider noch heute manche Köpfe verwirrt, frei geblieben. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass ein grosser Teil der Lieder in „des Knaben Wunderhorn“ höchst ungeschickte Imitationen und nur ein Bruchteil davon echte Volkslieder sind. Die Schönheit der letzteren wird Niemand in Abrede stellen. Doch sie nachahmen zu wollen, wie es die Romantiker thaten, ist ein thörichtes Beginnen, und es muss Wunder nehmen, dass man hierüber nicht ebenso einverstanden ist, wie über die Unmöglichkeit einer Nachahmung des Homer. Wohl hat Goethe in seinen Jugendgedichten den Ton des Volksliedes zuweilen angeschlagen; dann aber hat er, im geraden Gegensatze zu den Romantikern, ihn durch echte Kunst geadelt. Und ebenso ist von Schwind das Volkstümliche stets auf eine höhere Stufe emporgehoben worden. Es muss ihm dieses besonders hoch angerechnet werden, wenn man zurückdenkt, wie in den Jahren, in denen er sich zum Künstler bildete, manche Maler sich in Nachahmung der Anfänge der Kunst gefielen, und in der Rückkehr zum Rohen und Kindischen etwas Lobenswertes sahen.

Da ich Goethe genannt habe, sei hier gleich Schwinds Erlkönig erwähnt, eine Wiedergeburt der herrlichen Ballade, wie sie vortrefflicher nicht gedacht werden kann. Das atemlos dahinstürzende Pferd, der das Söhnchen angstvoll an der Brust bergende Vater, die Bäume, die in phantastischen Umrissen hervorschiessen oder die Zweige, vom Sturm zerwühlt, hin und wieder werfen, der Erlkönig, der in jähem Fluge aus dem Dunkel hervortaucht und die Hand nach dem schreienden Knaben ausstreckt, und seine Töchter, die sich auf den Wellen ihres eigenen Gesanges zu wiegen scheinen – alles das ist mit so überzeugender Wahrheit dargestellt, dass man dieses Bild den Erlkönig nennen möchte, und sich schwer noch einen vorzustellen vermag, welcher den Intentionen des Dichters gleich vollkommen entspräche. Schwind hat hier für Goethes Ballade in Gestalt und Farbe etwas ebenso Mustergültiges geleistet, wie Schubert in Tönen.

Auf einem andern Nachtstück, das man auch eine, aber vom Künstler selbst erfundene Ballade nennen könnte, sehen wir einen Ritter über einen Strom im Nachen dahingleiten, während unter ihm eine Nixe hinwegschwimmt. Das Bild ist aus jener Stimmung hervorgegangen, die sich leicht Desjenigen bemächtigt, der im Dunkeln auf dem Rhein fahrend und nur dem Rauschen der Wellen, wie dem Lispeln der Zweige vom Ufer her lauschend, das Wunderbarste nicht mehr für unmöglich hält. Die ganze Natur belebt sich ihm, die Schatten, welche über die Felsen hinziehen, werden ihm zu Zwergen und Kobolden; er sieht Nixen in den Lichtern, die der Mondstrahl durch die Wellen zittern lässt. Schwinds Bild zeigt, wie eine solche Naturscene, die ein Stümper möglichst „natürlich“ zu machen gesucht hätte, im hohen Stil eines historischen Gemäldes behandelt werden kann. Personen, die gerne den überlegenen Ton der Kennerschaft annehmen, machen oft spöttische Bemerkungen über die Art, wie der Nachthimmel hier gemalt sei. Sie bekunden dadurch ihre Inkompetenz, in Sachen der Kunst mitzusprechen. Nur der Handwerker kopirt die Wirklichkeit; der Künstler stellt sie dar, wie sie erscheint, nachdem ihr Bild durch seine Seele gegangen ist. Diese Wolkengestalten, durch welche der Mond geisterhaft hindurchblickt, sind solche, wie sie zu der Phantasiewelt passen, in die uns der Maler versetzt. Ich muss hier auf das zurückweisen, was ich bei Gelegenheit von Genellis „Europa“ gesagt habe. Wäre auch nur ein Funke von Wahrheit in der Meinung, dass die getreue Wiedergabe der äusseren Erscheinung eine Aufgabe für die Kunst sei, so würde im Grunde ein Diorama, das die Gegenstände körperlich darstellt, höher stehen, als ein nur auf eine Fläche aufgetragenes Landschaftsgemälde; ja auch mit einem Stereoskopbilde würde das schönste Werk von Claude Lorrain oder Rottmann in dieser Hinsicht nicht wetteifern können.

Wie Schwind auch Scenen des gewöhnlichen Lebens in eine höhere Sphäre zu erheben, wie er sie mit gemütvoller Innigkeit zu durchdringen und uns an das Herz zu legen weiss, beweist seine Hochzeitsreise. Beim Anblick dieses Gebirgsstädtchens mit seinen Erkerhäusern muss uns die Sehnsucht anwandeln, in ihm, wenn nicht unsern Wohnsitz aufzuschlagen, doch wenigstens einige Stunden auf der Reise zu verweilen. Selbst seine Spiessbürger gewinnen wir lieb. Vor dem Gasthofe, dessen Schild breit über die Strasse hinhängt, hält ein Reisewagen; die Pferde geniessen begierig ihr Futter aus der Krippe, und Schwind, der junge Hochzeitsreisende selbst, steht im Begriffe, mit dem Ausdruck des innigsten Behagens wieder zu seiner Ehehälfte einzusteigen. In dem Hausknecht, der ihn an den Wagen begleitet, hat der Maler scherzhafter Weise seinen Freund Franz Lachner, den trefflichen Komponisten, dargestellt. Schwind liebte fast ebenso, wie die Malerei, die Musik und übte sie selbst. Wenn er am Tage in seinem Atelier gearbeitet hatte, spielte er abends die Geige im Quartett, und diese musikalische Seele scheint mir auch durch seine Bilder [13] zu wehen. Er war in der Jugend innig befreundet mit dem grossen Schubert gewesen und erzählte gern von den frohen Stunden, die er mit diesem in Wien verlebt hatte. Nach seiner Aussage war Schubert, aus dessen schönsten Liedern eine so tiefe Melancholie tönt, ein lustiger, lebensfroher Geselle, und sein grösster Kummer war, dass es ihm oft am Gelde fehlte, um ein Glas Wein zu trinken. Er fand bei seinen Lebzeiten so wenig Anerkennung, dass er froh sein musste, wenn ihm die besten seiner Kompositionen, durch die seitdem manche Verleger reich geworden sind, mit einigen Kreuzern bezahlt wurden.

Nicht minder anziehend, als die Hochzeitsreise, ist ein anderes, aus den eigenen Lebenserinnerungen des Meisters hervorgegangenes Bild, das Morgenstübchen. Es stellt ein Gemach in seiner Villa am Starnbergersee vor. An einem Sommermorgen, bald nach Tagesanbruch, hat sich seine kleine Tochter vom Bett erhoben, um an eins der Fenster zu treten, das sie öffnet. Das andere Fenster ist von einem grünen Vorhange verdeckt, durch den die Sonne vergebens in das Stübchen zu dringen sucht. Durch das geöffnete aber, das die Aussicht auf einen fernen Berg, ich glaube die Zugspitze, gewährt, fühlt man die kühle Morgenluft vom nahen Gebirge her in ihrer ganzen Frische hereinwehen. Es ist dies eine Wirkung, welche die sorgfältigste Detailmalerei zu erreichen sich vergebens abmühen würde; nur weil nicht bloss die Hand, weil die warmfühlende Seele des Künstlers seinen Pinsel geleitet hat, konnte es ihm gelingen, sie hervorzubringen, und eben hierdurch wird dieses, wie alle seine ähnlichen Gemälde, hoch über die gewöhnlichen Genrebilder emporgehoben.

Schwinds Gemüt und Phantasie waren reich genug, um auch das Geringste, Unscheinbarste anziehend zu machen. Auf einer andern seiner Tafeln hat er einen jungen Mann, vielleicht sich selbst, dargestellt, wie er, auf der Wanderschaft begriffen, auf einem Hügel sitzt und in ein untenliegendes, von hohen Bergen eingeschlossenes Thal hinabschaut. Es ist der Malerei nicht möglich, so bestimmt, wie die Poesie es vermag, jede Situation anzugeben, und so kann man sich diese verschieden denken. Aber am nächsten liegt die Annahme, der junge Wanderer, der zum ersten Male sein elterliches Haus verlassen hat, blicke vor dem weiteren Aufbruch noch einmal sinnend und wehmütig auf sein heimatliches Städtchen zurück. Erinnerungen an die dort glücklich verlebte Kinderzeit, bange Sorgen wegen der fremden, weiten Welt, in die er nun hinausziehen soll, und doch auch wieder Neugier und hoffende Ahnung dessen, was ihn draussen erwartet, erfüllen seine Brust. Unser Auge schweift mit dem seinen in das Thal hinab und zu den blauen Bergen hin, die sich dämmernd wie in unendliche Fernen am Horizont verlieren; sie liegen so traulich, so geheimnisvoll vor uns da, dass es uns ist, als hätten wir uns schon früh aus ihrem Schosse in die Welt verirrt, und müssten zu ihnen zurückkehren, um das verlorene Lebensglück zu finden. Diese Gabe, ganze Gedankenreihen und Empfindungen in unserer Seele hervorzurufen, die lange in ihr nachzittern, hat wohl kein Maler in dem Grade besessen, wie Schwind.

Aber ich darf, so anziehend und fesselnd auch alle diese Bilder sind, nicht bei jedem einzelnen in der Art verweilen, wie ich möchte. Ein Seitenstück zu dem vorigen, jedoch von vielleicht etwas geringerem Werte, stellt einen Reiter dar, der sich von dem Gipfel eines Berges, welchen sein Ross eben erklommen hat, noch einmal rückwärts nach der Gegend wendet, die nun hinter ihm verschwinden soll. – In der Waldkapelle hat Schwind wieder die ganze Gewalt gezeigt, mit der er über die Stimmung gebietet. Das Motiv ist, wie ich höre, abermals der Umgegend des Starnbergersees entnommen, an dessen Ufern der Künstler so viele frohe Sommer im Kreise seiner Familie verlebte. Vom Vordergrunde aus, wo am Eingange der Kapelle eine Bäuerin sitzt, sieht man tief in einen Waldpfad hinein, der kein Ende zu nehmen und in eine grüne Einsamkeit zu führen scheint, wie man sie friedlicher, dem Lärm des Tages entrückter, sich nicht denken kann. Fern hinten erblickt man ein Reh. Es ist schwer zu sagen, worin der Reiz dieser einfachen Scene besteht, und doch ist noch Jeder, dem ich Sinn für das Schöne zutraute, besonders von diesem Gemälde angezogen worden und gern zu ihm zurückgekehrt. Nur wen die Muse zu ihrem Lieblinge erwählt hat, vermag mit kleinen Mitteln so Grosses zu leisten. Ja, das wird uns vor diesem Bildchen klar, auch die Malerei hat ihre Muse, die dem, was der Pinsel schafft, erst seine Weihe gibt und ihm dauernden Wert verleiht. Vor dem unscheinbarsten Werke, dem sie so ihren Segen erteilt hat, erblassen alle glänzenden Effektstücke, die ohne ihre Mitwirkung zu Stande gekommen sind.

Auf mehreren seiner Gemälde hat Schwind Naturscenen durch Gebilde des Volksglaubens belebt. So zeigt uns sein Elfentanz ein Dickicht in der ersten Morgenfrühe, ehe noch das Nachtdunkel ganz gewichen ist. In einer leichten Nebelschicht schlingt eine Schar von Elfen ihren luftigen Reigen; sie selber sind so zart, so duftig, wie der Nebel, in dem sie schweben, und man glaubt, dieser müsste mit ihnen sogleich vor dem stärker einfallenden Lichte verschwinden. In den verschiedenen Stellungen der kleinen Geister, wie sie, einander die Hand reichend, sich auf- und niederschwingen, hat Schwind ein seltenes Schönheitsgefühl und die höchste Meisterschaft der Zeichnung bewährt. An den Aesten und Blättern des Gesträuchs, durch das ihr Tanz sich windet, scheint noch der Tau der Morgendämmerung zu zittern. Aber wir sind sicher, dass die Elfen, die obgleich sie das Auge sieht, doch kaum von irdischer Natur zu sein scheinen, auch nicht einen Tropfen zur Erde schütten werden. – Ein anderes Bild, das ich immer besonders geliebt habe, zeigt die Elementargeister, wie sie den Mond anbeten. Die innige Sympathie des Künstlers mit der Natur, die seelenvolle Art, wie er sie zu vergeistigen weiss, muss jeden Sinn gefangen nehmen. Aber auch die feine und zarte Hand, mit der er dargestellt, was darzustellen noch kein Maler gewagt hat, erregt [14] die höchste Bewunderung. Die Geister der Erde, des Wassers und der Luft, die andächtig zum Monde aufblicken und ihn im Gebet zu feiern scheinen, sind nur mit den leisesten Strichen, und doch dem Umriss nach völlig erkennbar, angedeutet. Man glaubt, die Elemente selbst hätten sich aus ihren feinsten Stoffen eine Gestalt gebildet, um unter dem Himmelsdom ihren Gottesdienst zu halten und dann in ihre frühere Gestaltlosigkeit zurückzusinken. Genelli pflegte eine Anekdote zu erzählen, die er aus dem Munde seines Oheims, des gleichnamigen Architekten, hatte. Schiller soll einmal in einer Gesellschaft von Künstlern gesagt haben, er begreife nicht, dass noch Keiner den Versuch gemacht habe, einen durchsichtigen Genius oder Engel zu malen, da dies doch eine vorzügliche Aufgabe für die Kunst sei. Der Architekt hatte solches erzählt, und sein Neffe wiederholte es als Beleg dafür, dass Schiller durchaus Fremdling im Gebiete der schönen Künste gewesen sei. Auch ist bekannt, dass der grosse Dichter selbst in einem Briefe an Wilhelm von Humboldt sagt, Rom habe keine so grosse Anziehungskraft für ihn, wie für Andere, weil ihm der Sinn für die bildende Kunst völlig abgehe. Das erwähnte Bildchen von Schwind zeigt jedoch, wie der Ausspruch Schillers nicht so ganz lächerlich ist, und wie die Malerei etwas zu leisten vermocht hat, was an das von ihm Gemeinte streift. Ich will indessen hiermit keinem Künstler empfehlen, ähnliches zu unternehmen; er würde vermutlich mit seinem Beginnen kläglich scheitern; nur einem Genie, wie Schwind, und gerade einem Genie von so eigentümlicher Art, konnte dergleichen gelingen.

Mehrere Gemälde unseres Meisters sind romantische Scenen, oder man könnte sie auch gemalte Novellen nennen in derselben Weise, wie manche Bilder der alten Italiener treffend mit diesem Namen bezeichnet worden sind. Auf dem ersten, der nächtlichen Erscheinung, sieht man einen Garten, über den sich eben das Abenddunkel legt, während das letzte Rot der untergegangenen Sonne am Himmel verglüht. Eine weisse, geisterhafte Gestalt, mit langwallendem schwarzen Haar, schwebt in der Dämmerung durch den Schatten der Bäume hin, und ein Jüngling, ihr nacheilend, blickt erstaunt zu ihr auf. Der Zauber des Geheimnisvollen und Ahnungsreichen liegt über dieser Darstellung, und solche Stimmung hervorzurufen, nicht eine bestimmte Begebenheit zu schildern, wird auch die Absicht des Künstlers gewesen sein. So haben uns auch Tizian, Bonifazio, Giorgione Scenen vorgeführt, von denen man glauben könnte, sie seien einem Roman oder einem romantischen Gedichte entnommen. Aber es hat sich weder in Boccaccio, noch in Bandello, weder im Bojardo, noch Ariost eine Stelle gefunden, die den Stoff dazu hätte hergeben können. Die Maler schufen aus ihrer Phantasie und überliessen es dem Beschauer, ihre Gebilde mit der eignen Einbildungskraft weiter auszumalen. – Ein andres Bild Schwinds, von dem das Gleiche gilt, stellt einen nächtlichen Zweikampf dar. Wir sind hier in die Zeit der Renaissance versetzt, wie die Fassade des Palastes zeigt, vor dem das Duell vorgeht. Der Platz vor dem Schlosse ist vom Monde erhellt, und ich möchte glauben, es sei noch keiner Palette gelungen, eine Mondnacht so wiederzugeben. Auf dem Schlossportale steht ein Ritter mit gezücktem Schwert, dicht neben ihm aus dem Hintergrunde tritt ein anderer Ritter in schwarzer Tracht und von unheimlicher Gestalt, gleichfalls mit gezogener Klinge, hervor, der dem Gegner aufgelauert zu haben scheint. Man könnte diesen Angreifer wegen des Pferdefusses für Mephistopheles halten, aber im „Faust“ ist kein Auftritt, an den sich hier denken liesse. Schwind antwortete mir, als ich ihn um seine Intentionen befragte, scherzhaft, es könne Jeder sich bei dem Gemälde vorstellen, was er wolle. Er meinte dabei, dass er es einem Jeden überlasse, dasselbe zu einer Romanepisode oder dramatischen Scene zu verarbeiten. – Ein Gleiches wird er bei dem heimkehrenden Kreuzfahrer beabsichtigt haben. Ein Ritter, sein ermüdetes Pferd am Zügel hinter sich ziehend, ist eben den Felsenpfad empor durch das Thor seines Schlosses eingetreten und sucht Einlass in das Gebäude. Aber das verödete Aussehen der rings geschlossenen Burg lässt ahnen, dass ihn kein gastlicher Empfang erwarte, dass keiner der Liebenden, die er zurückgelassen, dort mehr weile. Es ist das Eigentümliche dieser, wie andrer Werke unsers Meisters, dass sie schon durch die äussere Erscheinung Auge und Seele anziehen und erfreuen, dabei aber doch der Phantasie noch weite Perspectiven eröffnen. – Aehnlich verhält es sich mit einem andern kleinen Gemälde, wo ein Einsiedler die Rosse eines Ritters, der in seiner Höhle übernachtet, zur Tränke führt. Hier ist noch besonders die wilde Felsenlandschaft von grosser malerischer Schönheit.

In Wieland der Schmied wird dargestellt, wie Wieland, dem durch den König die Beine gebrochen sind, sich Flügel schmiedet, um der Gefangenschaft zu entkommen, und eben die Königstochter zu ihm tritt, damit er ihr eine zerbrochene Spange wieder herstelle. Das Wild-Phantastische vermählt sich auf diesem Bilde mit einem unsäglichen Liebreiz, der über die Gestalt der Prinzessin ausgegossen ist. Schwind hat keinen Nebenbuhler in der Weise, wie er momentane, in der Bewegung schnell vorübergehende Stellungen wiederzugeben weiss. Diejenigen, welche nur nach Modellen malen und nicht die in der Natur flüchtig vorbeiziehenden Erscheinungen in geistiger Anschauung zu bewahren vermögen, müssen bei Betrachtung seiner derartigen Darstellungen Neid empfinden.

Einen Ausflug in das Gebiet des Humors hat Schwind in seinem Rübezahl gemacht, wo der Berggeist, eine tollphantastische Figur auf Holzpantoffeln, durch ein feuchtes, mit wildem Gestäude und roten Schwämmen bedecktes Bergthal hinschweift. Man muss hier über die barocke Laune des Künstlers lachen; aber Demjenigen, der behaupten wollte, dieser Vorwurf eigne sich mehr für einen Holzschnitt, als für ein Oelgemälde, kann man das ungemein Pittoreske sowohl der Landschaft, als der Figur des Rübezahl entgegenhalten. – Noch barocker ist die mittelalterliche Legende. Ein die Messe lesender Bischof zwingt durch die Macht seiner Frömmigkeit den Teufel, Bausteine zu einer neu zu errichtenden Kapelle heranzufahren. Das Bild ist, ganz seinem Gegenstande entsprechend, im Stil altdeutscher Gemälde behandelt. – Auf zwei Tafeln hat Schwind die Flüsse Rhein und Donau verkörpert. Der Rhein, in den Harnisch eines Ritters gekleidet, wiegt sich, die Fiedel des Volker spielend, auf den Wellen, während ein dienender Geist schwimmend den Nibelungen-Hort hinter ihm herträgt. An den Ufern ragen burggekrönte Felsen. Der Meister hat dieses Gemälde auch in Lebensgrösse ausgeführt, wodurch es indessen schwerlich gewonnen haben möchte. – Schöner noch als der Rhein scheint mir die Donau zu sein, eine weibliche Gestalt, die den Strom hinuntergleitet, und in deren Bewegung das unaufhaltsam Hinabflutende vortrefflich ausgedrückt ist; hinter ihr schwimmen zwei ihrer Nebenflüsse, niedliche Schwabenkinder; vorn wird sie von einem garstigen ungarischen Knaben empfangen.

Eine besonders aus Musäus bekannte Sage, von welcher ich nicht weiss, ob ihr eine volkstümliche Tradition zu Grunde liegt, ist im König Krokus behandelt. Wir erblicken hier unter einer gewaltigen zerklüfteten Eiche von hohlem Stamme eine Waldnymphe, und zu ihren Füssen, im traulichen Gespräch mit ihr, den König Krokus, dem später aus dieser Verbindung die Libussa geboren wurde. Die Nymphe ist mit der ganzen weiblichen Anmut ausgestattet, welche Schwind, wie kein anderer, zu schildern verstand. Das Kolorit zeigt eine ausserordentliche Frische und Tiefe. Hier darf ich denn wohl mit einem Worte den oft gehörten Tadel zurückweisen, Schwind habe nicht malen können. Dieser Vorwurf, der dem Künstler während seines ganzen Lebens gemacht wurde, hat, einmal in Kurs gesetzt, bis zum

[15] heutigen Tag selbst die Leiter der meisten Museen bestimmt, seine Gemälde von den ihnen anvertrauten Galerien fern zu halten und deren Wände lieber mit Bildern zu schmücken, die ihnen für gut gemalt gelten, mögen auch die Pferde bei ihrem Anblick scheu werden. Wenn Jemand, ganz eingenommen von den Venezianern, den grössten Meistern des Kolorits, über Schwind bemerken wollte, dass er hinter ihnen in der Farbengebung zurückbleibe, so könnte man ihm freilich recht geben. Doch müsste man sogleich hinzufügen, nicht für jeden dargestellten Gegenstand passe dieselbe Färbung. Tizian selbst hat sie nach den Stoffen, die er behandelte, modifizirt; und noch entschiedener tritt hervor, dass die anderen grossen Italiener keineswegs immer diese Pracht des Kolorits erstrebt haben.

Rafael, der mehrfach, z. B. in seinem Leo X., gezeigt hat, dass er in erwähnter Hinsicht wohl mit Tizian wetteifern konnte, hat sich doch bei vielen, ja den meisten seiner Bilder, mit einer viel bescheideneren Farbe begnügt. Fordern, dass alle Maler das gleiche Kolorit anwenden sollen, ist so unverständig, wie verlangen, dass Milton sein Paradies in den schmelzenden Strophen des Ariost hätte dichten, Goethe seinen Götz in die Form von Tassos Aminta kleiden sollen. Wie würde man nicht über Denjenigen lachen, der Michel Angelo – auch als Maler einer der grössten aller Zeiten – tadeln wollte, weil er seine Sybillen nicht mit dem Farbenzauber geschmückt hat, den Palma seiner heiligen Barbara verliehen! Dies wäre solchen zu erwidern, die, im Vergleiche mit den Venezianern, Schwind matt und kalt finden. Möchte man ihnen dann auch zugeben, dass unser Künstler, gleich allen modernen, im Kolorit, wie in jeder andern Rücksicht, mit den Meistern der grossen Periode nicht zu konkurriren vermöge, so müsste man es doch gleichzeitig als einen Unfug bezeichnen, gute und treffliche Leistungen herabsetzen zu wollen, weil sie neben den höchsten, vielleicht unerreichbaren, nur in zweiter Linie stehen. Wer das thäte wäre der schlimmste Feind aller Kunst und des Schönen überhaupt, indem er die Produktion zu lähmen suchte und, wenn sein Streben Erfolg hätte, unsere Zeit in eine Periode der Sterilität umwandeln würde. Die ewigen Werke aus der goldenen Epoche sollen der Folgezeit als Sonnen leuchten, um neue Frühlinge der Kunst heraufzuführen, nicht aber zur Unterdrückung des Schöpfungsdranges dienen; wenn einmal dieser aufhörte und nichts Neues mehr hervorgebracht würde, so müsste bald auch die Freude an den früheren grossen Werken, und damit die Genussfähigkeit für das Schöne im allgemeinen erlöschen und Nacht der Barberei die Erde bedecken. Doch sind es nicht vorzugsweise die gegen die ganze moderne Malerei feindseligen Bewunderer der alten, mit denen ich hier rechte, meistens rühren die wegwerfenden Urteile über Schwinds Technik von Leuten her, die ihre Begriffe von Kunst sich einzig auf unseren Ausstellungen geholt haben. Solchen muss man nun sagen, dass dieser Meister auch in koloristischer Beziehung vielen neueren als Muster dienen könne. Gewiss haben manche Maler aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, und zwar gerade einige von ausserordentlichem Verdienste, wie Cornelius, Overbeck, Führich die Wirkung ihrer Fresken und Oelbilder durch unharmonische Farbengebung beeinträchtigt; allein dieser Vorwurf trifft Schwind nicht. Höchstens in seinen frühesten Jugendarbeiten stört das Kolorit; in fast allen spätern weiss er dasselbe mit feinster Berechnung seinem jedesmaligen Stoffe anzupassen. Es liegt auf der Hand, dass die realistische Färbung, die nach dem Vorbilde einiger Franzosen auch in Deutschland Eingang gefunden hat, gänzlich für die Scenen und Gegenstände ungeeignet gewesen wäre, die Schwind zu behandeln liebte. An einem seiner, mir gehörigen Gemälde lässt sich dies vielleicht am deutlichsten zeigen. Dasselbe stellt die Jungfrau dar, d. h. den Berg des Berner Oberlandes; zu Grunde liegen dabei Schillers Verse: „Es sitzet die Königin hoch und klar auf unvergänglichem Throne; das Haupt umflicht sie sich wunderbar mit diamantener Krone.“ Aus Gletschermassen wächst die Königin des Gebirges heraus, eine schöne jungfräuliche Gestalt; sie hat ihren Wolkenschleier zurückgeschlagen. Ihr Antlitz strahlt im letzten Glanz der untergegangenen Sonne. Zu ihren Füssen schwebt ein Adler mit weit ausgebreiteten Schwingen, die jedoch ermattend ihn nicht zu der unerreichbaren Höhe emporzutragen vermögen. Das Gemälde fesselt die Einbildungskraft in wunderbarer Weise. Nicht leicht wird Jemand, der dasselbe nur einmal gesehen hat, es vergessen. Nun denke man es sich aber in der Weise eines Delaroche gemalt, so wird man fühlen, dass dadurch die ganze Wirkung zerstört werden würde.

Wie unser Künstler, da wo es ihm angemessen schien, auch koloristischen Reiz entfalten konnte, zeigt seine Tritonenfamilie, die in der Farbe geradezu an Paolo Veronese erinnert. Dieser Triton oder Meercentaur, der sich mit seinem Weibe und seinen Kindern auf den blauen Wellen wiegt, während in der Ferne Sirenen ihren Reigen ziehen, gehört zu seinen schönsten Werken.

Aus einer früheren Zeit stammt der Traum des Gefangenen. Es ist das älteste der in meinem Besitze befindlichen Bilder Schwinds, zeigt ihn aber schon in seiner ganzen Eigenartigkeit. Der Gefangene, vorn am Boden liegend, träumt – oder phantasirt vielmehr, denn seine Augen sind geöffnet – dass Kobolde ihn befreien wollen. Aus den Wänden und Pfeilern des Gefängnisses wachsen Spukgebilde hervor; ein Kobold ist oben am Gitterfenster beschäftigt, die Eisenstäbe durchzusägen und ein luftiges weibliches Wesen trägt ihm einen Becher heran, um ihn bei der Arbeit zu stärken.

[16] In der gefangenen Prinzessin sehen wir einen Ritter, in Schlaf versunken, am Boden liegen. Der Hintergrund des Bildes führt uns seinen Traum vor; man gewahrt eine gefesselte, von einem Riesen bewachte Prinzessin, in deren Zügen man leicht eine Dame erkennt, welcher Schwind bis an sein Lebensende schwärmerische Verehrung zollte. Auf einem entzückend schönen Aquarell hat er dieselbe dargestellt, wie sie, eine vorzügliche Sängerin, die Himmelsleiter emporgestiegen ist, und oben von der hl. Cäcilie empfangen und umarmt wird; sie scheint durch seine Träume ebenso geschwebt zu sein, wie durch die des schlummernden Ritters. Als der Künstler die „gefangene Prinzessin“ eben begonnen hatte, traf ich ihn einst so in seine Arbeit vertieft, dass er mich lange gar nicht bemerkte. Da ich zuletzt ganz nahe zu ihm herantrat, schrack er empor und sagte: „Wenn ich mit einem neuen Bilde beschäftigt bin, sehe ich nichts um mich her und denke jedesmal, etwas gleich Schönes sei nie zuvor gemalt worden.“ Dies charakterisirt ihn, und ich meine, das nämliche müsse bei jedem Künstler der Fall sein; nur aus einer leidenschaftlichen Liebe zu dem, was er schafft, kann das wahre Kunstwerk hervorgehen. Wie sollte Derjenige, der selbst nichts empfindet, der nicht sein ganzes Herz in seine Schöpfung ergiesst, Empfindungen in Andern erregen können?

Einer Reihe von vier Bildern, zu welcher nach der Absicht Schwinds auch das letztgenannte, sowie die „Jungfrau“, zu zählen ist, gehören noch Hero und Leander und die Anachoreten an. Der Name „Liebesgeschichten“, den er diesem Cyklus gab, scheint mir nicht sehr treffend. Will man ihn beibehalten, so stellt die gefangene Prinzessin die sehnsüchtig verlangende Liebe vor, Hero und Leander die unglückliche, die Jungfrau die unerreichbare; die Anachoreten aber lassen sich kaum in den Cyklus einreihen, man müsste denn dabei an die auf alle irdische Liebe verzichtende Weltentsagung denken. Hero und Leander führt den Moment vor, wo Hero, nach langer vergeblicher Erwartung des Geliebten, auf dem Altan ihres Landhauses eingeschlafen ist, und, gerade während ihres Schlummers, die Leiche Leanders zu ihren Füssen an das Ufer gespült wird. Auf den Wellen erblickt man eine Schar von Nereiden, die, wie es scheint, ein Totenlied anstimmen. Das Bild möchte, so schön auch die Figur Leanders gezeichnet ist, zu den schwächern des Meisters gehören. Nach seiner eigenen Angabe hat Schwind dabei mehr das Trauerspiel des ihm befreundeten Grillparzer, als das Gedicht des Musäus vor Augen gehabt. – In den Anachoreten zeigt er sich dagegen wieder in seiner vollen Bedeutung; denn er befindet sich hier auf dem Gebiete, das man sein eigenstes nennen kann und auf dem er keinen Nebenbuhler hat. Diese einsame Waldklause mit ihrem Muttergottesbilde, den beiden Einsiedlern, die in einem Legendenbuche lesen, und dem dritten, der ein Reh füttert, bietet ein Bild des lieblichsten Friedens. Wer das Gemälde nicht bloss mit dem Auge, wer es mit dem Geiste und mit wahrer Hingebung an die Intentionen des Künstlers betrachtet, wird sich von dem Hauche eines solchen Friedens angeweht fühlen.