Textdaten
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Autor: E. T. A. Hoffmann
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Titel: Die Abentheuer der Sylvester-Nacht – 1. Die Geliebte
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aus: Fantasiestücke in Callot’s Manier, Zweiter Theil, S. 233-241
Herausgeber:
Auflage: Zweite, durchgesehene Auflage in zwei Theilen (= Ausgabe letzter Hand)
Entstehungsdatum: 1814-15, revidiert 1819
Erscheinungsdatum: 2. Auflage: 1819
Verlag: Kunz
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Erscheinungsort: Bamberg
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Quelle: pdf bei commons: Bd.2
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1.
Die Geliebte.


Ich hatte den Tod, den eiskalten Tod im Herzen, ja aus dem Innersten, aus dem Herzen heraus stach es wie mit spitzigen Eiszapfen in die gluthdurchströmten Nerven. Wild rannte ich, Hut und Mantel vergessend, hinaus in die finstre stürmische Nacht! – Die Thurmfahnen knarrten, es war, als rühre die Zeit hörbar ihr ewiges furchtbares Räderwerk und gleich werde das alte Jahr wie ein schweres Gewicht dumpf hinabrollen in den dunkeln Abgrund. – Du weißt es ja, daß diese Zeit, Weihnachten und Neujahr, die Euch Allen in solch heller herrlicher Freudigkeit aufgeht, mich immer aus friedlicher Klause hinauswirft auf ein wogendes, tosendes Meer. Weihnachten! das sind Festtage, die mir in freundlichem Schimmer lange entgegenleuchten. Ich kann es nicht erwarten – ich bin besser, kindlicher als das ganze Jahr über, keinen finstern, gehässigen Gedanken nährt die der wahren Himmelsfreude geöffnete Brust; ich bin wieder ein vor Lust jauchzender Knabe. Aus dem bunten vergoldeten Schnittwerk in den lichten Christbuden lachen mich holde Engelgesichter an, und durch das lärmende Gewühl auf den Straßen gehen, wie aus weiter Ferne kommend, heilige Orgelklänge: „denn es ist uns ein Kind geboren!“ – Aber nach dem Feste ist Alles verhallt, erloschen der Schimmer im trüben Dunkel. Immer mehr und mehr Blüthen fallen jedes Jahr verwelkt herab, ihr Keim erlosch auf ewig, keine Frühlingssonne entzündet neues Leben in den verdorrten Aesten. Das weiß ich recht gut, aber die feindliche Macht rückt mir das, wenn das Jahr sich zu Ende neigt, mit hämischer Schadenfreude unaufhörlich vor. „Siehe,“ lispelt’s mir in die Ohren, „siehe, wie viel Freuden schieden in diesem Jahr von Dir, die nie wiederkehren, aber dafür bist Du auch klüger geworden und hältst überhaupt nicht mehr viel auf schnöde Lustigkeit, sondern wirst immer mehr ein ernster Mann – gänzlich ohne Freude.“ Für den Sylvester-Abend spart mir der Teufel jedesmal ein ganz besonderes Feststück auf. Er weiß im richtigen Moment, recht furchtbar höhnend, mit der scharfen Kralle in die Brust hineinzufahren und weidet sich an dem Herzblut, das ihr entquillt. Hülfe findet er überall, so wie gestern der Justizrath ihm wacker zur Hand ging. Bei dem (dem Justizrath, meine ich) giebt es am Sylvester-Abend immer große Gesellschaft, und dann will er zum lieben Neujahr Jedem eine besondere Freude bereiten, wobei er sich so ungeschickt und täppisch anstellt, daß alles Lustige, was er mühsam ersonnen, untergeht in komischem Jammer. – Als ich in’s Vorzimmer trat, kam mir der Justizrath schnell entgegen, meinen Eingang in’s Heiligthum, aus dem Thee und feines Räucherwerk herausdampfte, hindernd. Er sah überaus wohlgefällig und schlau aus, er lächelte mich ganz seltsam an, sprechend: „Freundchen, Freundchen, etwas Köstliches wartet Ihrer im Zimmer – eine Ueberraschung sonder gleichen am lieben Sylvester-Abend – erschrecken Sie nur nicht!“ – Das fiel mir auf’s Herz, düstre Ahnungen stiegen auf und es war mir ganz beklommen und ängstlich zu Muthe. Die Thüren wurden geöffnet, rasch schritt ich vorwärts, ich trat hinein, aus der Mitte der Damen auf dem Sopha strahlte mir ihre Gestalt entgegen. Sie war es – Sie selbst, die ich seit Jahren nicht gesehen, die seligsten Momente des Lebens blitzten in einem mächtigen zündenden Strahl durch mein Innres – kein tödtender Verlust mehr – vernichtet der Gedanke des Scheidens! – Durch welchen wunderbaren Zufall sie hergekommen, welches Ereigniß sie in die Gesellschaft des Justizraths, von dem ich gar nicht wußte, daß er sie jemals gekannt, gebracht, an das Alles dachte ich nicht – ich hatte sie wieder! – Regungslos, wie von einem Zauberschlag plötzlich getroffen, mag ich da gestanden haben; der Justizrath stieß mich leise an: „Nun, Freundchen – Freundchen?“ Mechanisch trat ich weiter, aber nur sie sah ich, und der gepreßten Brust entflohen mühsam die Worte: „Mein Gott – mein Gott, Julie hier?“ Ich stand dicht am Theetisch, da erst wurde mich Julie gewahr. Sie stand auf und sprach in beinahe fremden Ton: „Es freuet mich recht sehr, Sie hier zu sehen – Sie sehen recht wohl aus!“ – und damit setzte sie sich wieder und fragte die neben ihr sitzende Dame: „Haben wir künftige Woche interessantes Theater zu erwarten?“ – Du nahst Dich der herrlichen Blume, die in süßen heimischen Düften Dir entgegenleuchtet, aber so wie Du Dich beugst, ihr liebliches Antlitz recht nahe zu schauen, schießt aus den schimmernden Blättern heraus ein glatter, kalter Basilisk und will Dich tödten mit feindlichen Blicken! – Das war mir jetzt geschehen! – Täppisch verbeugte ich mich gegen die Damen, und damit dem Giftigen auch noch das Alberne hinzugefügt werde, warf ich, schnell zurücktretend, dem Justizrath, der dicht hinter mir stand, die dampfende Tasse Thee aus der Hand in das zierlich gefaltete Jabot. Man lachte über des Justizraths Unstern und wol noch mehr über meine Tölpelhaftigkeit. So war Alles zu gehöriger Tollheit vorbereitet, aber ich ermannte mich in resignirter Verzweiflung. Julie hatte nicht gelacht, meine irren Blicke trafen sie, und es war, als ginge ein Strahl aus herrlicher Vergangenheit, aus dem Leben voll Liebe und Poesie zu mir herüber. Da fing Einer an im Nebenzimmer auf dem Flügel zu fantasiren, das brachte die ganze Gesellschaft in Bewegung. Es hieß, Jener sey ein fremder großer Virtuose, Namens Berger, der ganz göttlich spiele und dem man aufmerksam zuhören müsse. „Klappre nicht so gräßlich mit den Theelöffeln, Mienchen,“ rief der Justizrath und lud, mit sanft gebeugter Hand nach der Thür zeigend und einem süßen: „Eh bien!“ die Damen ein, dem Virtuosen näher zu treten. Auch Julie war aufgestanden und schritt langsam nach dem Nebenzimmer. Ihre ganze Gestalt hat etwas Fremdartiges angenommen, sie schien mir größer, herausgeformter in fast üppiger Schönheit, als sonst. Der besondere Schnitt ihres weißen, faltenreichen Kleides, Brust, Schultern und Nacken nur halb verhüllend, mit weiten bauschigen, bis an die Ellbogen reichenden Aermeln, das vorn an der Stirn gescheitelte, hinten in vielen Flechten sonderbar heraufgenestelte Haar gab ihr etwas Alterthümliches, sie war beinahe abzusehen, wie die Jungfrauen auf den Gemälden von Mierís – und doch auch wieder war es mir, als hab’ ich irgendwo deutlich mit hellen Augen das Wesen gesehen, in das Julie verwandelt. Sie hatte die Handschuhe herabgezogen und selbst die künstlichen um die Handgelenke gewundenen Armgehänge fehlten nicht, um durch die völlige Gleichheit der Tracht jene dunkle Erinnerung immer lebendiger und farbiger hervorzurufen. Julie wandte sich, ehe sie in das Nebenzimmer trat, nach mir herum, und es war mir, als sey das engelschöne, jugendlich anmuthige Gesicht verzerrt zum höhnenden Spott; etwas Entsetzliches, Grauenvolles regte sich in mir, wie ein alle Nerven durchzuckender Krampf. „O er spielt himmlisch!“ lispelte eine durch süßen Thee begeisterte Demoiselle, und ich weiß selbst nicht, wie es kam, daß ihr Arm in dem meinigen hing, und ich sie, oder vielmehr sie mich in das Nebenzimmer führte. Berger ließ gerade den wildesten Orkan daher brausen; wie donnernde Meereswellen stiegen und sanken die mächtigen Akkorde, das that mir wohl! – Da stand Julie neben mir und sprach mit süßerer, lieblicherer Stimme, als je: „Ich wollte, Du säßest am Flügel und sängest milder von vergangener Lust und Hoffnung!“ – Der Feind war von mir gewichen und in dem einzigen Namen, Julie! wollte ich alle Himmelsseligkeit aussprechen, die in mich gekommen. – Andere dazwischen tretende Personen hatten sie aber von mir entfernt. – Sie vermied mich nun sichtlich, aber es gelang mir, bald ihr Kleid zu berühren, bald dicht bei ihr ihren Hauch einzuathmen, und mir ging in tausend blinkenden Farben die vergangene Frühlingszeit auf. – Berger hatte den Orkan ausbrausen lassen, der Himmel war hell worden, wie kleine goldne Morgenwölkchen zogen liebliche Melodien daher und verschwebten im Pianissimo. Dem Virtuosen wurde reichlich verdienter Beifall zu Theil, die Gesellschaft wogte durch einander, und so kam es, daß ich unversehens dicht vor Julien stand. Der Geist wurde mächtiger in mir, ich wollte sie festhalten, sie umfassen im wahnsinnigen Schmerz der Liebe, aber das verfluchte Gesicht eines geschäftigen Bedienten drängte sich zwischen uns hinein, der, einen großen Präsentirteller hinhaltend, recht widrig rief: „Befehlen Sie?“ – In der Mitte der mit dampfendem Punsch gefüllten Gläser stand ein zierlich geschliffener Pokal, voll desselben Getränkes, wie es schien. Wie der unter die gewöhnlichen Gläser kam, weiß jener am besten, den ich allmälig kennen lerne; er macht, wie der Clemens im Oktavian daherschreitend, mit einem Fuß einen angenehmen Schnörkel und liebt ungemein rothe Mäntelchen und rothe Federn. Diesen fein geschliffenen und seltsam blinkenden Pokal nahm Julie und bot ihn mir dar, sprechend: „Nimmst Du denn noch so gern, wie sonst das Glas aus meiner Hand?“ – „Julia – Julia,“ seufzte ich auf. Den Pokal erfassend berührte ich ihre zarten Finger, elektrische Feuerstrahlen blitzten durch alle Pulse und Adern – ich trank und trank – es war mir, als knisterten und leckten kleine blaue Flämmchen um Glas und Lippe. Geleert war der Pokal, und ich weiß selbst nicht, wie es kam, daß ich in dem nur von einer Alabaster-Lampe erleuchteten Kabinet auf der Ottomane saß – Julie – Julie neben mir, kindlich und fromm mich anblickend, wie sonst. Berger war auf’s Neue am Flügel, er spielte das Andante aus Mozarts sublimer Esdur-Sinfonie, und auf den Schwanenfittigen des Gesanges regte und erhob sich alle Liebe und Lust meines höchsten Sonnenlebens. – Ja es war Julie – Julie selbst, engelschön und mild – unser Gespräch, sehnsüchtige Liebesklage, mehr Blick als Wort, ihre Hand ruhte in der meinigen. – „Nun lasse ich Dich nimmer, Deine Liebe ist der Funke, der in mir glüht, höheres Leben in Kunst und Poesie entzündend – ohne Dich – ohne Deine Liebe Alles todt und starr - aber bist Du denn nicht auch gekommen, damit Du mein bleibest immerdar?“ – In dem Augenblick schwankte eine tölpische, spinnenbeinichte Figur mit herausstehenden Froschaugen herein und rief, recht widrig kreischend und dämisch lachend: „Wo der Tausend ist denn meine Frau geblieben?“ Julie stand auf und sprach mit fremder Stimme: „Wollen wir nicht zur Gesellschaft gehen? mein Mann sucht mich. – Sie waren wieder recht amüsant, mein Lieber, immer noch bei Laune wie vormals, menagiren Sie sich nur im Trinken“ – und der spinnenbeinichte Kleinmeister griff nach ihrer Hand; sie folgte ihm lachend in den Saal. – „Auf ewig verloren!“ schrie ich auf – „Ja gewiß, Codille, Liebster!“ meckerte eine l’Hombre spielende Bestie. Hinaus – hinaus rannte ich in die stürmische Nacht. –