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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1889
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[101]

No. 7.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


 

Lore von Tollen.

Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
(Fortsetzung.) Roman von W. Heimburg.


Gieb her!“ sagte Adalbert Becker zu dem Diener, der auf einem silbernen Tablett zwei Postscheine brachte, „Bon –, und die Depeschen sind fort?“

„Sogleich abgesandt, Herr Becker, es war ‚dringend‘ vorbemerkt.“

„Schön! Nun bringe noch eine Flasche Château la Rose und dann geh zum Assessor Bernhardt: ich bedauerte sehr, ich sei plötzlich verhindert worden, mit auf die Jagd zu fahren, würde ihn aber um elf Uhr nach Neiphagen abholen.“

Der Diener verschwand und Becker wandte sich auf dem Stuhle wieder um und reichte die Papiere über den reich besetzten Frühstückstisch hinweg dem Lieutenant von Tollen zu. „Hier, mein Verehrtester, und nun steck ein anderes Gesicht auf; das wäre in Ordnung!“

Die abgespannten Züge des Offiziers belebten sich. „Der Schuldschein liegt dort auf dem Spiegeltisch,“ erwiderte er, „ich danke Dir, Becker.“

Die Gläser der beiden trafen sich und Herr Becker beschäftigte sich dann angelegentlich mit einem Fleischsalat. Der Lieutenant rauchte; er hatte das Essen abgelehnt.

„Die nahe Bräutigamswonne hat Dir wenigstens den Appetit nicht verdorben,“ sagte Tollen, sich zum Lächeln zwingend.


Der „Vulkan“ in Stettin: Gesammtansicht der Werkstätten des Oberhofes.

[102] „Im Gegentheil! Im Gegentheil!“ versicherte Adalbert Becker und langte nach den Sardinen, ich gebe Dir mein Wort, es hat mir lange nicht so gut geschmeckt.“

Der andere schwieg und betrachtete nachdenklich den Mann, dem, wie er sich selbst eingestand, die Schwester sich verkauft hatte. Er fühlte sich unsagbar elend heute früh, die Seelenkämpfe von gestern und der letzten Nacht waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. „Becker,“ begann er, „Du weißt, ich habe meine Schwester sehr lieb, sie ist ein ungewöhnliches Mädchen und ich erwarte, daß Du sie hoch hältst, sie –“

„Auf Händen trägst,“ ergänzte der andere. „Sei überzeugt, Tollen, ich weiß genau, wie man schöne Frauen zu behandeln hat.“

„Schöne Frauen – hm –!“

„Prosit, Tollen! Sie soll leben, die Schönste, die Eine, die Meine!“ Er trank sein Glas bis auf die Neige aus. „Wann darf ich denn kommen zu Deinem Alten?“ fragte er und wischte den Schnurrbart mit der Serviette, „steht es vielleicht hier drin?“ Er nahm den an seine Mutter adressirten Brief Lores und betrachtete ihn.

„Möglich,“ erwiderte Tollen.

„Die Frau Mama schlafen vermuthlich bis elf Uhr,“ entschuldigte Becker, indem er mit dem Dessertmesser rasch das Couvert aufschnitt und den flüchtig zusammengeknickten Zettel herausnahm.

„Aber, höre mal,“ rief der Lieutenant erstaunt und griff nach dem Briefe, „der ist an Deine Mutter! Gilt hier bei Euch das Briefgeheimniß nicht?“

„Ach was! Die Alte darf kein Geheimniß vor mir haben,“ wehrte der andere lachend. „Laß mal sehen –“ Er sprang nach dem ersten Blick auf das Papier empor und trat mit leichenblassem Gesicht auf den jungen Offizier zu, dann wandte er sich und schritt nach der weitgeöffneten Thür seines Ankleidezimmers. Entschuldige einen Augenblick!“ rief er zurück und verschwand, die Thür hinter sich zuziehend.

Der Lieutenant blieb betroffen sitzen, Lore hatte vielleicht nicht allzu freundlich geschrieben – was weiter? – Er sah sich in dem Frühstückszimmer seines künftigen Schwagers um, es war ein mit türkischen Stoffen behaglich dekorirter Raum, an den Wänden kostbare Waffen und allerlei Porzellan- und Bronzenippes, der Tisch funkelte im Scheine des lodernden Kaminfeuers von Silber und Krystall, der Teppich war ein echter Smyrna. Die Leute mußten schwer reich sein, und Reichthum war Glück in den Augen des armen, eben dem Verderben entgangenen Offiziers.

„Lore wird’s aushalten können,“ murmelte er mit einem Seufzer der Erleichterung und goß sich das Glas von neuem voll.

Eben erschien Becker wieder. Er lächelte und bemerkte, er habe nur dem Gärtner Auftrag gegeben, für Fräulein Leonore einen Strauß im Gewächshause zu binden.

„Ich werde also heute gegen abend kommen, um mit Schwiegerpapachen zu sprechen,“ setzte er hinzu, „Du würdest mich verbinden, wolltest Du mir sagen lassen, ob es so gegen sechs Uhr paßt. Dann recht bald die Hochzeit! Apropos, Tollen, kennst Du den Doktor Schönberg?“

„Na, so wie Du, von der Reunion und der Kneipe her.“

„Charmanter Junge – was?“

„Ein Erzphilister, denk’ ich.“

„Aber hübsch, klug? Die haben ja alle die Weisheit mit Löffeln gegessen.“

„Möglich! Und die Mädels haben ihn gern, meine kleine Schwester wenigstens scheint eine große Schwärmerei für ihn zu hegen.“

„So! So! Die kleine, Tollen? Uebrigens, Du kommst doch mit nach Neiphagen? Um elf Uhr fahren wir von hier fort, jetzt ist es Neun; Du hast mich verdammt früh aufgestöbert. Leg’ Dich also noch ein paar Stunden aufs Ohr und dann komm’ her, oder soll ich Dich abholen?“

„Nach Neiphagen?“ fragte Tollen.

„Na, um Gotteswillen, Mann des Friedens, weißt Du denn nicht. daß Natuschki uns zum Frühstück eingeladen hat? Vorgestern abend, als er mit der kleinen Schwarzen die Sektwette verlor.“

„Und die kommt zum Austrag heute? Richtig! Ja, weißt Du, Becker – ich danke! Ich bin müde.“

„Du hast wohl gute Vorsätze gefaßt über Nacht, alter Kerl? Na, sei nur gut, Du mußt mit, Du kannst mir als angehendem Bräutigam nicht zumuthen, das Fräulein Klingner nebst Mutter hinauszufahren, wie ich versprach. Das liegt Dir also ob. Ich werde mit dem Break und in angemessener Begleitung des Assessors nachkommen.“

„Ach, laß das heute, Becker, bleib hier, weißt Du, gerade heute, Du kommst sonst angekneipt zu dem Alten.“

„Nein, morgen wär’s überhaupt schon ein Verbrechen, mein Bester, Du bist um elf Uhr hier, basta! Denke Dir bloß den Jux, wenn die alte halbblinde Frau von Natuschka die Klingner wieder für Deine oder meine Gattin hält, wie neulich, als sie bei Breidenberg hineinschneite! Na, na, mach’ keine Faxen; Du kommst! Grüß’ mir mein Lorchen, Freund! Um fünf Uhr sind wir wieder daheim, und um sechs Uhr trete ich mit frischen Glacés bei Euch an. Mein Wort – sehr nüchtern, wie es sich für einen Bräutigam geziemt.“

Der Lieutenant fühlte sich im Wirbel herumgedreht und befand sich im Umsehen auf dem Korridor, wo der Diener ihm den Paletot umhing.

Er ging nach Hause. Ja, der Sturm war vertobt, aber eine erschrecklich drückende Stille war dafür eingetreten.

Daheim schien alles wie sonst. Er traf die Majorin im Eßzimmer.

„Es ist alles geordnet,“ sagte er kurz.

Sie wandte sich ab und weinte. „Werde vernünftig, Rudolf!“

„Wo ist denn Lore?“ fragte er.

„Sie wollte etwas ruhen.“

„Sage ihr doch, daß Becker heute abend schon zu Papa kommt.“

„Schon? – Und er ahnt noch nichts! Sag’ Du es ihm, Rudolf!“

„Ich werde es ihm selbst mittheilen,“ erklärte Lore, die eben eingetreten war.

„Mein Gott, Mädel,“ murmelte der Lieutenant. Sie sah zum Erbarmen aus.

„Ich gehe gleich zu Papa,“ wiederholte sie, „ich will nur eine Tasse Kaffee nehmen –.“

„Nein“ wehrte die Mutter, „das sollst Du nicht, das will ich Dir abnehmen,“ und sie küßte die Tochter und ging hinauf.

Lore saß am Tisch und hielt den Kopf gesenkt, als müsse jetzt das bekannte Donnerwetter da oben losbrechen. Aber alles blieb still. Nach einer langen Pause kam die Mutter mit verweinten Augen herunter. „Lore, er sitzt ganz blaß in der Sosaecke und will’s nicht glauben.“

Sie erhob sich und ging hinauf. Der alte Herr saß ganz gedrückt da, die Pfeife war ihm ausgegangen; sie lag unbeachtet zu seinen Füßen.

„Lore,“ sagte er unsicher, „das ist doch Dein Ernst nicht?“

Sie setzte sich neben ihn und legte den Kopf an seine Schulter. „Ja, Papa!“ flüsterte sie.

Dann schwiegen sie beide. Ein paarmal räusperte sich der alte Herr, als mache er einen Ansatz zu sprechen.

„Ich bin ein rechter Bettellump,“ sagte er endlich bitter und fuhr sich mit der Hand über die Augen, „ich kann nicht einmal sprechen. ‚Laß das, Kind, Du bereust es vielleicht – warte ab in Geduld!‘ Ich kann’s nicht; denn wenn ich morgen sterbe, habt Ihr armen Mädels nichts, wo Ihr den Kopf hinlegt. Mutters zweihundertfünfzig Thaler Witwenpension – – lieber Gott, ich darf Dir keine Zukunft verscherzen –. Wenn’s nach mir ginge, Lore – Allmächtiger – –“

Sie drückte ihm die Hand und schmiegte sich noch fester an ihn.

„Lore,“ begann er nochmal, „muß es denn sein?“

Sie nickte stumm.

„Ach, Kind, ich hatte es mir anders gedacht!“ seufzte er.

„Ich auch!“ klang es in ihrem Herzen, aber sie antwortete nicht.




Die Frau Pastorin Schönberg trat unruhig ans Fenster, es hatte schon vor einem ganzen Weilchen zwölf Uhr geschlagen. Draußen lag eine blendend weiße Schneedecke über Gärten und Straßen; es war der dritte Dezember und ein frostklarer Winterhimmel lachte über dem Städtchen, so, als habe er sich ganz extra blau gefärbt, weil heute das schönste Mädchen in Westenberg Hochzeit halten wollte. Die Gitterthüren des Beckerschen Parkes standen weit geöffnet und von den beiden Thürmchen der Villa flatterten lustig zwei Fahnen im Winde.

[103] Jetzt rollte ein geschlossener Landauer aus der Gitterpforte, Kutscher und Diener in violetter Tuchlivree mit Silbertressen. Im Fond saß Adalbert Becker, der Bräutigam, und knöpfte noch an seinen Handschuhen. Die Kirchenglocken von St. Marien begannen eben zu läuten.

„Ich wollt’, er wäre daheim,“ seufzte die Frau Pastorin. In demselben Moment öffnete Doktor Schönberg die Gartenthür und ging schnurstracks ins Haus, aber anstatt, wie sonst, bei seiner Mutter vorzusprechen, lenkte er seine Schritte treppauf.

„Guter Gott, wäre der Tag erst vorüber!“ seufzte die alte Frau.

Er schloß oben gleich die Luftscheibe des Fensters; der Ostwind trug die Glockenklänge so betäubend laut in sein einsames Zimmer, dann setzte er sich vor seinen Schreibtisch nieder. „Ich hätte doch gescheiter gethan, wenn ich heute nach Büsow gefahren wäre,“ murmelte er.

Die Mutter lugte nach einem Weilchen zur Thüre hinein, es hatte ihr dort unten keine Ruhe gelassen. „Na, mein Jung, willst Du nicht essen kommen?“

„Ja gewiß – sofort!“

„Aber, wenn Du keinen Appetit hast, zwing Dich nicht,“ fuhr sie fort mit einem Blick in sein bewegtes Gesicht, „und schau, wie Dir die Sonne so blendend hereinscheint, laß mich mal die Gardinen zuziehen – sieh, so!“ Und sie verhüllte mildthätig den Blick auf die Straße. Spazieren gehen solltest Du, und recht weit – hörst Du?“

„Du meinst es so gut, Mutter, aber – weißt Du, laß mich allein!“ bat er. – – –

Lore stand in dem kleinen überheizten Salon ihrer Eltern im Brautkleide. Sie waren schon alle in die Kirche gefahren, nur Käthe und eine Freundin warteten mit ihr auf den Bräutigam. Käthe hatte ihre Schwester nicht aus den Augen gelassen heute, Lore sah so merkwürdig aus unter dem weißen Tüllschleier und dem grünen Kranz, sie war so erschreckend mager geworden, das Gesicht so schmal in den paar Wochen ihres Brautstandes. Sie stand da wie eine Statue und sah auf den kleinen Kachelofen, als läse sie dort etwas, was ihr ganzes Interesse in Anspruch nähme. „Wenn noch Wunder geschehen könnten,“ dachte sie, und ihre Finger schlangen sich plötzlich ineinander um den Stiel des Orangeblüthenbouquets. „Gott im Himmel, vergieb mir die Sünde, daß ich den andern nicht vergessen kann, daß mein Herz stärker ist als mein Wille!“ – Das war ihr Brautgebet. –

Ach, der Wille war da. Sie hatte alle Nächte hindurch darum geweint, sie hatte redlich mit sich gekämpft. Sie hatte um eine barmherzige Krankheit gebeten, um einen Aufschub der Hochzeit zu gewinnen, sie hatte den Tod erfleht, aber die Krankheit war nicht gekommen und sie lebte noch, erlebte diesen Tag, und die Kirchenglocken läuteten zu ihrer Hochzeit!

Eben fuhr der Wagen des Bräutigams vor, hinter ihm der für die Brautjungfern bestimmte, und gleich darauf trat Becker ein.

Lore sah nicht auf von ihrem Strauß, ganz mechanisch nahm sie seinen Arm und ließ sich hinausführen. Vor der Hausthüre stand eine Menge neugieriger Menschen und aus allen Fenstern lugten Köpfe, um die Braut zu sehen. Nun saß sie im Wagen, der Diener legte die Schleppe des einfachen weißen Seidenkleides hinein, und in schwindelndem Tempo ging es der Kirche zu. Auch hier der weite Raum gedrängt voll Menschen. Am Altare warteten die Hochzeitsgäste. Lore streifte, als sie die Altarstufen emporschritt, des Vaters Gesicht, der im Rollstuhl saß, dem alten Manne liefen die Thränen über die Wangen. „Um Deinetwillen!“ sagte sie leise.

Sie suchte auch das Auge der Mutter, aber die hielt die Wimpern gesenkt, eine fahle Blässe lag über ihren Zügen. Käthe lächelte ihrer Schwester zu; sie sah überraschend damenhaft aus in dem blaßgelblichen Kaschmirkleid und dem brennend rothen Nelkenkranz im dunklen Gelock. Es war eine stattliche Hochzeitsgesellschaft, viele Uniformen und viele reiche Toiletten, alle überstrahlt von Frau Elfriede Becker, welche sämmtliche Brillanten, die sie besaß, auf der bordeauxrothen Moiree-Robe verwandt hatte. Auch Lores Bruder mit seiner Frau und die ältere Schwester mit ihrem „ewigen Bräutigam“ waren zugegen. Beckers hatten es gewünscht, daß die Feier so prächtig wie möglich stattfinden solle.

Nein, es geschah kein Wunder! –

Der Prediger begann zu sprechen; an ihr Ohr schlugen die Worte: Treue – Pflicht – Duldsamkeit –; ihre verwirrten Gedanken vermochten nicht dem Gang der Rede zu folgen. Sie fand sich auf einmal niedergekniet und ihre Hand lag in einer heißen Männerhand, die ebenfalls zitterte, sie fühlte einen Ring am Finger und sie sprach ein „Ja!“ aus, das ihr der Prediger vorgesagt hatte, und dann senkte sie den Kopf tiefer, als müsse jetzt das schöne alte Tonnengewölbe mit seinen goldenen Sternen über ihr zusammenstürzen, weil sie den Muth gehabt, an dieser Stätte zu lügen.

Sie stand wieder aufrecht. Die Orgel brauste; „Unsern Eingang segne Gott,“ sang die Gemeinde und plötzlich wurde es ruhig in ihr. Es war so ein merkwürdiges Gefühl, als sie an seinem Arm durch den blumenbestreuten Mittelweg der Kirche schritt, an all den gaffenden Leuten vorbei. – Alles vorüber – sie war des andern Frau, sie wollte, ja sie wollte ihre Pflicht thun, sie durfte mit keinem einzigen Gedanken von diesem Wege abschweifen und Gott würde ihr helfen dazu.

Nun fuhr der Wagen mit ihr nach der neuen Heimath. Als sie sich dem Schönbergschen Hause näherten, legte sie sich unwillkürlich etwas zurück, und jetzt sprach auch der Mann neben ihr die ersten Worte nach dem „Ja!“ vor dem Altar, indem er zu dem Giebelfenster hinaufdeutete.

„Der ist der einzige, der mir einen Korb gab zu unserer Hochzeit, Lore, na, man darf es ihm wohl nicht übelnehmen, he? Er mag sich unangenehm überflüssig heute vorkommen?“

„Wer?“ fragte sie mit zitternden Lippen.

Er zupfte sie lächelnd an dem kleinen Ohr, das zartrosig unter dem bräutlichen Schleier leuchtete, und als sie ungestüm den Kopf zur Seite bog, begannen seine Augen sich zu verändern, es lag plötzlich etwas Gehässiges darin, das seltsam abstach von den noch immer lächelnden Mienen. „Kleine Heuchlerin,“ flüsterte er, indem er gewaltsam ihre Hand festhielt, „denkst Du denn, man kennt Deine Geheimnisse nicht?“

Die Röthe, die eben noch ihr Gesicht gefärbt, wich einer tiefen Blässe und ihre Augen sahen ihn erschreckt an. Wie? Er kannte ihr Geheimniß und doch saß er neben ihr? – „Was meinen Sie?“ stammelte sie, und der Herzschlag stockte ihr fast.

„Na, na, mein Schatz – Mädchenlieben! Für gewöhnlich habt Ihr ein Dutzend auf Lager. Aber bitte, mach Dich nicht lächerlich, Du wirst Dich entschließen müssen, ‚Du‘ zu mir zu sagen, und ferner – stecke nicht auch heute wieder das beliebte kalte Gesicht auf, mit dem Du Dich als Braut zu zeigen geruhtest, die Leute möchten sonst glauben, wir seien unglücklich verheirathet!“ Er lachte laut über seinen Witz und bot ihr die Hand zum Aussteigen.

Das war sein Gruß als Gatte! – Sie schämte sich, als habe sie einen Schlag ins Gesicht erhalten.

Ein paar Minuten später ließ sie die Gratulationen der Gäste über sich ergehen. Sie saß beim Diner, als sei sie betäubt; sie hörte kaum die Reden, die Hochrufe, den Lärm der hochzeitlichen Tafel, es war ihr, als gehörte sie nicht dazu. In ihrem Ohre lag noch immer der frivole Ton dieser Stimme, die eben an das heiligste Geheimniß ihrer Seele gerührt; sie wußte jetzt, was sie längst geahnet – der Mann da neben ihr war von einer niedrigen Denkungsart. Und noch etwas hatte sie in seinen Blicken gelesen, was sie mit unsagbarer Angst ergriff: daß er sie peinigen würde in kleinlicher Rachsucht, ihr ganzes Leben lang, weil er erfahren – Gott allein wußte, wie? – daß ihr Herz nicht ihm gehörte, sondern dem andern, daß sie nur aus bitterer Noth das Ja heute gesprochen. Sie dachte an den Abend, da sie ihn zur Brautwerbung erwartet hatte, und er nicht kam, da sie schon anfing, an seine Großmuth zu glauben. Er sei leider unpaß von einem Ausflug zurückgekommen, hatte ihn endlich Frau Becker entschuldigt, die statt seiner erschienen war, und Rudolf, der einige Minuten später kam, hatte sie so scheu und mitleidig angeblickt. Am andern Mittag erst war er erschienen; der Major hatte ihn empfangen, und nach einer kurzen Weile war sie gerufen worden. Dann, mit ihm allein gelassen, hatte sie ihm ruhig und offen erklärt, daß sie nur auf Wunsch und im Interesse ihrer Familie seine Werbung annehme, daß sie sich aber Mühe geben wolle, ihm eine pflichttreue Frau zu werden, mehr könne sie ihm nicht versprechen.

Er hatte gelächelt, ihr die Hand geküßt und gesagt, mehr dürfe er ja vorläufig gar nicht verlangen, und darauf war sie [104] gegangen, um die Eltern und Geschwister hereinzurufen. Der Major hatte Wein bringen lassen, und als man auf das Brautpaar angestoßen, hatte sich der Bräutigam entfernt, um, wie er sagte, seiner Mutter die frohe Nachricht zu überbringen. Lore hörte freilich, wie er Rudolf zuflüsterte: „Ich habe einen furchtbaren Kater, Tollen.“

Am Abend hatte Familienfeier bei Beckers stattgefunden. Sie erinnerte sich dessen nicht mehr genau, nur daß sie viele Geschenke erhalten, daß sie ellenlange Auseinandersetzungen von Mutter, Schwiegermutter und Tante Melitta über Ausstattung und Brautkleid mit angehört. Sie wußte, daß sie täglich spazieren gefahren war mit Frau Elfriede und dem Bräutigam, und dies alles tauchte vor ihr auf wie die Bilder eines Kaleidoskopes, während sie hier saß an ihrer hochzeitlichen Tafel.

Nur eines trat entsetzlich deutlich aus dem Chaos hervor – ihr Wiedersehen mit Ernst. – Sie ging am Arme Beckers, um Brautvisiten zu machen; sie war ja stets ein Automat neben ihm. Und so hatte er sie die Straße daher geführt, in welcher das Gymnasium lag, um dem Direktor und dessen Frau einen Besuch abzustatten. Sie kam erst zur Besinnung darüber, als sie auf dem Schulhofe stand unter den alten kahlen Linden. Die Nachmittagsschule war eben aus und die Dämmerung des Novembertages füllte die Gänge des Klosters, als sie die Treppe hinaufschritten. Und da, mitten auf der engen Stiege, hatte sie ihm plötzlich gegenüber gestanden. – Ihr war es gewesen, wie wenn der Boden unter ihr wanke, als er mit abgenommenem Hut an ihr vorüberschritt, ohne daß sein Auge sie nur streifte. Sie hatte sich mit beiden Händen an dem Geländer festhalten müssen, und droben bei der jungen Frau Direktor hatte sie gesessen, körperlich und geistig elend, ohne ein Wort sprechen zu können.

Sie wußte es nun, der Mann, den sie verrathen hatte, verrathen mußte – verachtete sie.

Ihre Blicke suchten jetzt den Vater, als wollte sie aus seinem Anblick wieder Kraft schöpfen. Er saß da drüben neben der schwatzenden und lachenden Frau Elfriede Becker. Sein Gesicht hatte einen leidenden Zug, als ob er sich nur mit Mühe aufrecht halte, er sprach auch nicht, er drehte Brotkügelchen zwischen den nervös zuckenden Fingern und dann und wann führte er hastig das Glas zum Munde.

Ob er nur krank war, kränker als gewöhnlich?

Die junge Frau packte auf einmal ein Gedanke, der ihr das Herz schmerzhaft zusammenpreßte. Wie, wenn sie den alten Mann zum letzten Male heute sähe? Wenn er stürbe, derweil sie fern von ihm in Italien weilte? Sie suchte angstvoll die Augen der Mutter, aber die alte Dame sah nicht herüber zu ihr. – Eben hatte der Prediger ein Hoch auf das junge Paar ausgebracht, brausend fiel die Musik in die Jubelrufe der Menschenstimmen und die Gäste drängten sich mit den Champagnerkelchen um Herrn und Frau Becker. Der Name, ihr neuer Name, den irgend jemand im Scherz aussprach, klang mahnend in ihre Seele. – Gott im Himmel, sie hatte sich mehr Kraft zugetraut!

„Hast Du gehört, Lore, was der Herr Pastor sagte?“ fragte ihr Mann. „Glaubst Du nicht auch, daß er die Treue meint, welche die Frau dem Ehemann schuldet?“ Und er stieß lachend mit seinem Glase an das ihre.

Sie sah ihn nicht an, sie kam sich vor wie eine Verworfene in diesem Augenblick, kein einziger ihrer Gedanken gehörte ja ihm!

Sie ward dann endlich beim Aufheben der Tafel von der Mutter in ihr Zimmer geführt, um die Brautschleppe mit dem Reisekleide zu vertauschen. Es waren schöne, prächtig ausgestattete Räume, die sie bewohnen sollte, sie lagen nach dem Parke zu, und eben ging die Sonne purpurroth unter hinter den Bäumen und ihr Schein erfüllte das trauliche Boudoir der jungen Frau mit warmem Lichte und umwob rosig ihre weiße bräutliche Gestalt. Dieselbe Sonne war es, die sich auch da drüben in das kleine Studierstübchen durch die Vorhänge stahl und den Mann streifte, der ruhelos dort auf und ab wanderte.

Die Majorin sprach kein Wort, während sie geschäftig Kranz und Schleier aus dem Haar der Tochter nahm und ihr half, das dunkelgrüne mit Biber besetzte Tuchkostüm anzulegen, in dem sie reisen sollte. Die alte Frau dachte an ihre eigene Hochzeit, und wie anders sie doch als Braut gewesen sei, so ganz anders wie dieses blasse apathische Wesen vor ihr.

„So, mein Herzenskind, da sind die Handschuhe und der Muff, und nun komm, Lore, küsse mich!“

Das schöne unbewegte Gesicht bog sich zur Mutter herunter.

„Schreibe bald, und schreib mir, daß Du glücklich bist,“ schluchzte jetzt Frau von Tollen und schlang die Arme um die Tochter. „Ich will Dein gedenken, ich will beten für Dein Glück.“

– Lore schüttelte leise den Kopf, es sah aus, als wollte sie

sagen: „Bemühe Dich nicht, es ist umsonst!“

Die Stimme ihres Mannes scholl jetzt vom Korridor herein. Sie zuckte zusammen und preßte die Hände an die Schläfen, es lag eine furchtbare Verzweiflung in dieser einzigen Bewegung.

Die Mutter sah es nicht, sie weinte in ihr Taschentuch.

Jetzt trat er ein, schon in seinem kostbaren Pelz, und seine Augen ruhten mit lächelnder Siegesfreude auf den blassen abgespannten Zügen seiner jungen Frau. Die Majorin verließ still das Gemach, und im Nebenzimmer sank sie auf einen Fauteuil und barg den Kopf in die Polster.

Drunten rollte nach ein paar Minuten ein Wagen von der Rampe. – „Meine Lore,“ schluchzte sie, „meine goldene, gute Lore!“

Die Musik und der Lärm des Festes schollen kaum noch hierher, niemand störte die alte Frau in den Thränen, die ihr die Angst erpreßte um das Wohl und Wehe ihres Kindes. „Herr Gott, gieb das Beste!“ betete sie, „sie nahm ihn, weil sie nicht anders konnte, und ich – ich habe das Opfer angenommen!“

So saß sie lange. Sie schaute erst auf, als ihre älteste Tochter vor ihr stand und mit eigenthümlich bewegter Stimme sagte. „Mama, komm doch einmal herunter – Papa ist gar nicht wohl.“

Sie stand urplötzlich auf den Füßen. „Was denn?“ fragte sie erschrocken, „was ist?“

„Ich glaube, es ist nur eine Ohnmacht, Mama,“ und das starke Mädchen faßte die zitternde Frau um die Schultern und führte sie in die untere Etage, wo der Major besinnungslos auf dem Himmelbette der Frau Elfriede lag.

Die Söhne, der Schwiegersohn und Tante Melitta standen an dem Lager und ein zufällig anwesender Arzt beschäftigte sich um den alten Herrn.

Es war todtenstill im Hause geworden, die Musik verstummt, und die fröhlichen Gäste standen flüsternd im Gesellschaftszimmer beisammen und besprachen den traurigen Vorfall.

Als der Wagen fortfuhr mit den jungen Eheleuten, war der alte Herr ans Fenster gehinkt, gestützt von seiner ältesten Tochter und ihrem Bräutigam. Sie hatten beide gehört, wie er „Lore!“ gemurmelt, und plötzlich hatte er sich die Uniform, die er dem festlichen Tage zu Ehren trug, aufgerissen und war gegen die Wand getaumelt. Der Schwiegersohn war noch eben im stande gewesen, ihn aufzufangen.

„Ein Schlagfluß!“ sagte der Arzt endlich.

„Ist es gefährlich? Muß er sterben?“ fragte die Majorin, die aussah, als träume sie das Schreckliche nur.

„Gnädige Frau, Herr von Tollen ist ein alter schwacher Herr, aber es ist ja möglich, daß er es übersteht –“

Der Lieutenant folgte dem Arzt, der hinausgegangen war, um einige Anordnungen zu treffen. „Herr Doktor, wie lange kann mein Vater noch leben?“

„Vielleicht noch eine Stunde – vielleicht bis morgen mittag, Herr Lieutenant.“

„Ist es möglich, daß er noch einmal zur Besinnung kommt?“

„Möglich, ja!“

Der junge Offizier dankte und ließ sich im Vestibül Paletot und Mütze geben. Er wußte, Lore würde es ihm nie verzeihen, wenn er sie nicht benachrichtigte.

Drei Stunden später fuhr langsam ein Wagen an der Wohnung des Majors vor, und der Todte wurde hinaufgetragen in sein Zimmer. – Er war noch einmal zur Besinnung gekommen und hatte nach Lore gefragt.

Zu dem Zug um sechs Uhr war ein Wagen an den Bahnhof geschickt, man glaubte, das junge Paar müsse zurückkehren, denn der Lieutenant hatte die Depesche nach der nächsten Station gesandt, an welcher der Zug einige Minuten halten mußte. Wenn sie, was ja ohne Zweifel geschehen, richtig in die Hände Beckers gekommen war, so konnten sie mit dem Zug, der den ihrigen dort kreuzte, sofort zurückkehren.

Der Wagen kam leer wieder.

[105]

Stapellauf des Schnelldampfers „Augusta Viktoria“ der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Aktien-Gesellschaft.
1. Die Taufe. 2. Beim Fallbeil. 3. Zu Wasser. 4. Im Wasser.

[106] Die Augen des Sterbenden hatten beständig auf der Flügelthür gegenüber seinem Lager gehaftet. Aber die, die er suchte, kam nicht, um noch einmal seine Hand zu küssen.

Nun saßen in dem kleinen Salon der Tollenschen Wohnung die Kinder und Schwiegerkinder bei einander und weinten, und selbst Frau Klothildens Augen schimmerten feucht. Die Mutter kniete droben vor dem todten Gatten und hielt seine Hand; sie konnte sich noch immer nicht darauf besinnen, wie alles gekommen war.

„Wo ist nur Käthe?“ fragte plötzlich Helene und hörte auf zu schluchzen.

Niemand hatte das junge Mädchen bis jetzt gesehen.

„War sie denn nicht mit in dem Schlafzimmer, als Papa starb?“

Keines wußte es zu sagen.

„Mein Gott, sie weiß am Ende noch gar nicht – –?“

„Beim Aufbruch der Tafel habe ich sie in dem gelben Boudoir erblickt,“ bemerkte der Lieutenant. „Sie sah sehr angegriffen aus, vielleicht war sie nicht wohl.“

Helene ging hinauf nach Käthes Stübchen; sie fand die Thüre offen und alle Kommodenschubladen ausgeräumt, überhaupt eine merkwürdige Unordnung. Käthe war gleich nach Schluß des Diners heimlich nach Hause gelaufen; sie fand es gräßlich langweilig im Hochzeitshause und hatte durchaus keinen „Mum“ zum Tanzen, wie sie sich selbst gestand. In ihrem Stübchen angelangt, hatte sie sofort ihre Toilette abgelegt, das Morgenkleid angezogen, eine Schürze vorgebunden und war mit ganz merkwürdiger Hast an ein wunderliches Treiben gegangen. Sie schleppte alle ihre Sachen und Sächelchen, ihre Kleider und Bücher nach oben in Lores verlassenes Stübchen. Die Wangen brannten ihr dabei vor Eifer, aber ihre Gedanken mußten doch noch wo anders sein, denn sie legte Verschiedenes an unrichtige Plätze, von wo es dann unwillig wieder weggerissen wurde.

Wie dumm, daß Lore durchaus den alten netten Schreibtisch mitnehmen wollte in ihr neues Heim! Käthe hätte ihn so gut brauchen können. – Aber eines, eines hatte sie doch nicht mitnehmen können, das war die Aussicht von dem kleinen Fenster dort. Und Käthe trat hinzu und schaute auf die verschneiten Giebeldächer des alten Gymnasiums, die hoch in den Nachthimmel hineinragten, und ein schier übermüthiges Lächeln flog um ihren vollen Mund. Sie besaß es jetzt, um was sie die Schwester beneidet hatte, täglich, stündlich. Und sie warf sich auf Lores Bett, zog die Decke empor und dachte – dachte dasselbe, was Lore hier einst gedacht, nur wilder, ungestümer. Und sie lachte und weinte dabei; sie war so der Wirklichkeit entrückt, daß sie nicht die schweren Männertritte auf der unteren Treppe hörte, nicht das hastige Treiben und den Aufschrei des Dienstmädchens; sie stand ja unter den dunklen Bäumen vor einem kleinen Hause und hörte eine leidenschaftliche Männerstimme und fühlte einen Kuß auf ihren Lippen. –

„Um Gotteswillen, Käthe, wo steckst Du denn?“ scholl die Stimme der suchenden Schwester in ihr Ohr.

Das junge Mädchen fuhr jäh empor. „Mein neues Zimmer habe ich eingeräumt,“ versetzte sie leichthin, „dann habe ich geschlafen.“ Und sie löschte die tief herabgebrannte dünne Stearinkerze aus, damit die Schwester ihre glühenden Wangen nicht sähe. „Es war so gräßlich langweilig auf der dummen Hochzeit,“ setzte sie hinzu.

„Komm herunter, Käthe!“ sagte Helene, „Du weißt nicht, was geschehen – unser Vater – –“ sie schluchzte laut auf und lehnte sich gegen den Rahmen der niedrigen Thür – „unser Vater ist – todt!“

(Fortsetzung folgt.)




Die Deutschen in Konstantinopel.

Entfernungen giebt es in der Gegenwart, dem Zeitalter des Dampfes und der Elektricität, nicht mehr; vor vierzig Jahren aber hat der deutsche Wandersmann, der von einer Reise nach Konstantinopel zu Hause ankam, Erstaunen erregt, er war ein Phänomen. Was wußte er nicht alles zu erzählen! Die abenteuerlichen Erlebnisse des Handwerksburschen Döbler auf seiner Wanderschaft nach Konstantinopel, die derselbe unter dem Patronate eines ehrsamen Pfarrherrn herausgab, fanden in Deutschland Hunderte von Abnehmern und der Verleger machte ein gutes Geschäft. Heutzutage ist er mit Recht sehr vorsichtig, wenn ihm ein Buch über Konstantinopel angeboten wird. „Die Herrin zweier Meere und Welttheile“ ist nicht mehr die verschleierte Schöne von dazumal; ob sie auch von ihren natürlichen Reizen nichts verlor, der Geschmack des Lesers ist ein anderer geworden und das allgemeine Interesse folgt jetzt mehr den Spuren des Afrikareisenden.

Eine Reise nach Konstantinopel ist heute kein Wagestück mehr; vor wenig Jahrzehnten noch konnte man aber dahin im wahren Sinne des Wortes seine Haut zu Markte tragen und es bedurfte zu einer Fahrt nach Konstantinopel kühner Unternehmungslust und Entschlossenheit; heute bedarf es nur einer Fahrkarte für den Orient-Expreßzug, um so behaglich als möglich an den Bosporus zu gelangen; heute findet der Europäer, woher er auch kommen möge, daselbst Landsleute, die unter dem Schutze von Konsulaten und Gesandtschaften vollster Freiheit und Unabhängigkeit genießen. Besonders rasch und erfolgreich entwickelte sich die Kolonie der Deutschen und Schweizer in Konstantinopel; sie ist eine rühmliche Frucht der Emsigkeit, Ausdauer und der Bereitwilligkeit zu gegenseitiger Unterstützung.

Ihre Entstehungsgeschichte ist keine außergewöhnliche. Deutsche Wanderburschen, die ihr Stern hierhergeführt, übten ihr Handwerk aus, hatten Glück, andere folgten nach, und der jedem rechten deutschen Manne angeborene Sinn für Pflege der Landsmannschaft und des geselligen Zusammenlebens brachte eine kleine Verbindung zu stande, die sich nach und nach erweiterte. So ruht also die deutsche Kolonie auf dem goldenen Boden des Handwerks.

Die Gründung des ersten Deutschen Vereins fällt in das Jahr 1843. Als damals die Handwerker einen jungen deutschen Wanderburschen, der den Strapazen und Mühen seiner langen Fußreise am Ziele seiner Wanderschaft erlag, mit all seinen Hoffnungen, die den Jüngling aus der Heimath in die Fremde gelockt hatten, zu Grabe trugen, da erweckte der deutsche Missionsprediger Metzger in den Herzen seiner Landsleute den guten Gedanken, sich zusammenzuthun zum Zwecke der Unterstützung hilflos ankommender Deutschen, die bislang in Konstantinopel kein ordentliches Obdach fanden und oft in schlechten Gasthäusern und verrufenen Spelunken Wohnung nehmen mußten. Ein Krankenhaus wurde gemiethet und vorläufig mit 7 Betten versorgt, der deutsche Arzt Dr. Stoll bot seine Dienste unentgeltlich an.

Heute ragt das „Deutsche Krankenhaus“ in Pera aus der Menge der umliegenden Häuser als mehrstöckiger Bau weithin schauend hervor. Von seinen Zimmern aus genießt der Kranke eine herzerquickende Fernsicht auf den Bosporus und die umliegenden Orte, und in ganz Konstantinopel ist das deutsche Hospital berühmt geworden durch treffliche Einrichtung und Leitung. Die opferfreudige Pflege der Schwestern der Kaiserswerther Diakonissenanstalt – deren Oberin, Schwester Lisette, als Muster selbstloser Menschenliebe in Pera der größten Achtung genießt –, die Kunst tüchtiger Aerzte und das wohlthätige Walten eines unermüdlichen, freundlichen Seelsorgers haben dem Krankenhause einen solchen Ruf verschafft, daß nicht nur Deutsche, sondern Kranke jeder Nation und Konfession Zuflucht in demselben suchen.

Der Araber, der spanische Jude, der Arnaute sucht das Deutsche Spital auf. Da treffen sich neulich am Tunnelplatz in Galata zwei Freunde.

„Bist Du nicht ins Paradies gegangen?“ fragt verwundert der Türke den Perser.

„Ich lebe noch; el hamdü lillah!

„Wo bist Du denn gewesen?“

„Im deutschen Spital.“

Im Jahre 1847 miethete der Deutsche Unterstützungsverein einen Gesellschaftsraum in der Hauptstraße von Pera und richtete sich unter dem Namen „Teutonia“ ein. Zu dieser Zeit gab es dort noch keine Standesunterschiede. Der Kaufmann, der Beamte und der Handwerker lebten untereinander in patriarchalischer Gemüthlichkeit. Man sang und tanzte und vergnügte sich nach Herzenslust. Frau X. brachte ihren halbjährigen Buben und Frau Z. ihr 6 Monate altes Mädchen mit, man legte sie, wie ein Garderobestück, bei der Frau Wirthin aufs Bett, diese beaufsichtigte die [107] Kleinen, damit Mütterchen tanzen konnte. Zum letzten Glase sang man noch: „Brüder, reicht die Hand zum Bunde“ und brachte ein Hoch aus auf den König von Preußen. Wie mancher, dem in Konstantinopel inzwischen die Haare grau geworden sind, erinnert sich noch an jene Tage einfacher, schlichter Geselligkeit, an die heiteren Fahrten nach Bebek am Bosporus zu den Kegelpartien im gastlichen Schneiderschen Hause!

Nun stand aber leider auch im Garten der „Teutonia“ ein Baum der Erkenntniß. Bereits nach fünf Jahren war die Mitgliederzahl des Vereins infolge raschen Aufblühens der Kolonie auf über 200 angewachsen, und bald fühlten die Handwerker, die bis jetzt das Heft in Händen gehabt hatten, einen Abstand zwischen sich und einer beträchtlichen Zahl der übrigen Mitglieder der „Teutonia“, so daß sie dieselbe verließen und sich selbst wieder als Handwerkerverein, zunächst als Hilfsverein, einrichteten. Das Vereinsleben der Kolonie spaltete sich von da an in zwei Lager. Doch eine innerliche Zerklüftung der Kolonie trat durch diese Trennung nicht ein, da keine der beiden Gesellschaften eine wirkliche Gegenpartei bildete. Das vaterländische Interesse umschlang beide und umschlingt sie noch heute.

Mehrmals brannte die alte „Teutonia“ ab und auch das Lokal des Handwerkervereins mit seiner Bibliothek wurde erst im Jahre 1885 noch durch eine Feuersbrunst zerstört, aber kein Unglücksfall, der die Vereine traf, vermochte ihren Bestand zu gefährden.

Die „Teutonia“ verfügt gegenwärtig über ein eigenes Gebäude, welches dem Einvernehmen der Deutschen und Schweizer seine Entstehung verdankt. Seit 25 Jahren bildet dieser Verein den Mittelpunkt der Kolonie. Er ist ein Anker des Deutschthums im Goldenen Horn und hängt mit unzerreißbaren Banden am Vaterlande; alles, was in der Heimath geschieht, wird hier von den Landsleuten mit warmer Theilnahme besprochen. Die „Teutonia“ zählt gegenwärtig an 200 Mitglieder, der Handwerkerverein 110. Weder Franzosen, noch Engländer, noch Italiener in Konstantinopel rühmen sich einer ähnlichen Verbindung. Die „Società operaja“ der letzteren gleicht dem deutschen Handwerkerverein und hat sich diesem gegenüber, anläßlich des erwähnten Brandunglückes, welches denselben vor nicht langer Zeit betroffen hat, in hohem Grade freundschaftlich benommen.

Die Mitglieder des soliden und thatkräftigen schweizerischen Unterstützungsvereins „Helvetia“, sowie des deutschen „Turnvereins“ gehören zum größten Theil der „Teutonia“ an. Der „Deutsche Exkursions-Club“ will keine selbständige sociale Stellung einnehmen, aber er ist des schönen und edlen Zweckes halber, den er verfolgt, der Erwähnung werth, da er seinen Angehörigen die Möglichkeit zu verschaffen sucht, das an Denkwürdigem und Sehenswerthem reiche Konstantinopel und seine Umgebungen gründlich kennen zu lernen.

Die deutsche und schweizer Kolonie besteht im ganzen aus rund 1500 Deutschen und 200 Schweizern, von denen 1265 auf dem deutschen Konsulate eingeschrieben sind. Die Mehrzahl der Deutschen und der Schweizer gehört dem Kaufmannsstande an. Der Zuwachs der Kolonie richtet sich also in erster Linie nach den Handelszuständen in Konstantinopel und hat daher seit dem russischen Kriege nicht wesentlich zugenommen. Die blutigen Händel der Türkei mit anderen Nationen, der türkische Staatsbankerott hatten eine Zinsreduktion zur Folge und schädigten auch die Interessen der deutschen Kolonie. Die Kriegswirren des letzten Jahrzehnts, die Aufstände in Bosnien, Serbien und Montenegro, die bulgarischen Verwicklungen wirkten fortgesetzt nachtheilig, und die durch den russisch-türkischen Krieg hervorgerufenen Schwierigkeiten machten sich auch der deutschen Kolonie fühlbar. Wenn auch die nach dem Kriege eingetretene Reaktion das Geschäftsleben wieder in Schwung brachte, so verdankt doch der wohlhabende deutsche und schweizer Kaufmann in Konstantinopel – namentlich mit Rücksicht auf die theuren Lebensverhältnisse – seinen Erfolg mehr als auf irgend einem anderen Platze lediglich seiner außergewöhnlichen Geschäftskenntniß und fachmännischen Gewandtheit.

Mit dem gesunden Vereinsleben der Kolonie und ihrer socialen Kraft in Einklang steht ihre Schule, die „deutsche und schweizer Bürgerschule“ in Pera. Dieselbe verdankt ihren jetzigen Zustand ebenfalls der Einheit und dem Gemeinsinn der deutschen und schweizer Kolonie und ist ein erfreuliches Ergebniß der Vereinigung ihrer Kräfte. Schon lange vor Einweihung der evangelischen Kirche (1861) bestand eine sogenannte „preußische Schule“ in dem zu Pera gehörigen abgelegenen Stadtviertel Ainali-Tschesmé. Im Jahre 1868 gründeten Deutsche und Schweizer die jetzige Bürgerschule. Beide Schulen wurden fünf Jahre später verschmolzen und für die solcherweise zu Stande gekommene Gemeindeschule ward ein Grundstück angekauft und darauf ein Haus erbaut. Der größte Theil der Kosten wurde durch die Gemeinde selbst gedeckt, dann aber wurde diese auch durch namhafte und hochherzige Schenkungen des deutschen Kaisers unterstützt.

Der deutsche Botschafter in Konstantinopel, Herr von Radowitz, welcher schon als Geschäftsträger in Bukarest ein warmes Herz für seine Landsleute bewies, vermittelte der deutschen Kolonie einen namhaften jährlichen Reichszuschuß für ihre Schule. Leider aber steht dem Auswärtigen Amte in Berlin zur Unterstützung für Schulen im Auslande nur ein verhältnißmäßig niedriger Betrag zu Gebote. Daher kommte es, daß auch die deutsche Schule in Konstantinopel nicht ganz ohne Sorgen in die Zukunft blickt. Dennoch fährt sie ruhig fort, ihre Aufgabe zu erfüllen, und wird sich hoffentlich auch in der Folge, wie bis heute, so fortentwickeln, daß sie im Stande ist, als Pflanzstätte deutscher Bildung und Sitte im Orient das Ansehen des Vaterlandes zu mehren. Daß die Schule heute diesen Zweck erfüllt, erweist sich aus dem Umstande, daß sie nicht nur von Deutschen und Schweizern besucht wird, sondern daß fast alle in Konstantinopel vertretenen Nationen Kinder in die deutsche Schule schicken. Namentlich mehrte sich die Schülerzahl in den letzten Jahren, so daß sie gegenwärtig über 300 beträgt. Den Grund hierfür haben wir weniger in der Zunahme der deutschen Bevölkerung in Konstantinopel zu suchen (da dieselbe seit dem Jahre 1877 sich fast gleich blieb), sondern einerseits in der freudigen Opferwilligkeit der deutschen Gemeinde, die ihren Stolz in das Gedeihen ihrer Schule setzt, andererseits in der Tüchtigkeit und dem harmonischen Zusammenwirken von Vorstand und Lehrerschaft. Seit 1876 ist Herr Bergrath Dr. E. Weiß, ein sehr verdienter und allgemein geachteter Mann (zugleich Präsident der „Teutonia“), Vorsitzender des Schulrathes.

Ein unvergeßliches Andenken bewahrt die Gemeinde Herrn Felix Mühlmann, jetzt Direktor des k. Seminars zu Oranienburg, der als Rektor der Bürgerschule (von Oktober 1879 bis Herbst 1887), unterstützt von tüchtigen Männern, durch redliches und unentwegtes Streben die Schule auf ihren gegenwärtigen Standpunkt hob.

Das Zusammenhalten und gediegene Vereinsleben der Deutschen und Schweizer in Konstantinopel steht demjenigen anderer Nationen voran und läßt sich nicht verweichlichen und verflachen oder, wie Murad („Türkische Skizzen“ I. S. 72) sich ausdrückt: „Es widersteht hartnäckig jeder Verschmelzung mit dem perotischen Element.“ Das wirkt naturgemäß befestigend auf den Zustand der gemeinschaftlichen Schule, und dies begründet es, daß Schulen anderer Nationen sich nicht der Frequenz der deutschen „Bürgerschule“ erfreuen können, wenn jene auch finanziell ausnahmslos besser gestellt sind als die deutsche Schule. Das Wachsthum der deutschen Schule bedeutet eine Mehrung deutschen Wesens und deutscher Kraft und ist für das Vaterland um so wichtiger, als Schüler der deutschen Schule, welche sich dem Kaufmannsstande widmen, fast ausnahmslos in deutschen Häusern Beschäftigung finden. Wenn sie also die Bedingung erfüllt, an und für sich und in ihrer Art eine der besten deutschen Schulen überhaupt zu sein und außerdem eine Menge besonderer Schwierigkeiten, die ihr in den Weg traten, zu überwinden vermochte, so muß uns die Lebens- und Thatkraft, welche in der deutschen und schweizer Kolonie zu Konstantinopel mächtig ist, mit Genugthuung erfüllen.

Eine jährliche Schulfeier, welche sich zu einem Fest für die ganze Kolonie gestaltet und jedes Frühjahr im deutschen Parke zu Therapia abgehalten wird, giebt dem freudigen Gefühl der Schulgemeinde und ihrem berechtigten Stolze Ausdruck. Wenn sich dann ein Zug von mehr als 300 Kindern, fröhlichen Knaben und Mädchen, mit deutschen und schweizer Fahnen durch die Stadt bewegt, um, weit weg von der Heimath, ein deutsches Jugendfest zu feiern, dann haben wir auch zu Haus alle Ursache, an dieser Freude theilzunehmen mit unseren besten Wünschen für Jung-Deutschland im Orient. G. A.

[108]

Der „Vulkan“ in Stettin: Die Werft.

Aus den Werkstätten des Vulkan.

Mit Illustrationen von Fr. Kallmorgen und Willy Stöwer.

Wie lange ist es her, daß man überhaupt von einer deutschen Schiffsbaukunst sprechen kann? Das alte Erbtheil der wackeren Hansen, die ebenso treffliche Schiffsbauer wie seekundige

Auffahrt zum Oberhof mit der neuen Gießerei.

Kaufleute waren, schien für immer verloren; noch im Beginn der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts beschäftigten sich die wenigen deutschen Werften fast ausschließlich mit dem Bau von Fahrzeugen zweiten und dritten Ranges, ja als unter Preußens Leitung eine vaterländische Flotte entstand und erstarkte, war diese für die Beschaffung ihres Materials zunächst beinahe gänzlich auf das Ausland angewiesen. Gerade während sich in England, Amerika und Frankreich der seit der Einführung der Dampfkraft bedeutungsvollste Umschwung im Schiffsbau vollzog, indem die Anwendung des Eisens für die verschiedensten Zwecke der Konstruktion immer weitere Ausdehnung erlangte, lag in Deutschland trotz unserer seetüchtigen Küstenbevölkerung und des keineswegs erstorbenen Unternehmungsgeistes unserer Großkaufleute der ganze Industriezweig brach oder wandelte doch, eines neuen Aufschwungs scheinbar unfähig, die alten, ausgetretenen Geleise.

Es galt unter diesen Verhältnissen geradezu als Wagniß, als im Jahre 1851 die Herren Fürchtenicht und Brock in Bredow bei Stettin eine Maschinenfabrik und Werft errichteten, welche sich in erster Linie mit dem Bau eiserner Dampfer beschäftigen sollte. Gründe waren billig wie Brombeeren, daß ein derartiges Werk nicht gedeihen könne. Die verhältnißmäßig geringe Entwickelung der damaligen deutschen Hüttenwerke, die mangelhaften Verkehrsmittel zwischen ihnen und Stettin, das gänzliche Fehlen eines gut herangebildeten Arbeiterstammes, schließlich vor allem die anscheinend unüberwindliche englische Konkurrenz waren in der That Bedenken, wohl geeignet, selbst einen energischen Mann von einer derartigen Schöpfung zurückzuschrecken, und die anfängliche Entwickelung der Werft schien in der That keine überaus günstige. Zwar lief bereits im Jahre 1853 der erste ganz auf dem Etablissement gebaute und ausgerüstete Dampfer „Dievenow“ vom Stapel und erregte durch die Solidität seiner Konstruktion unter den Stettiner Fachleuten einiges Aufsehen – er ist, beiläufig bemerkt, noch heute nach 36 Jahren im Dienst – aber das Werk wollte trotzdem nicht recht gedeihen, da die ursprüngliche Anlage die Mittel seiner Besitzer geschwächt hatte. Es war unter diesen Umständen ein Glück, daß sich in Stettin einsichtige Männer fanden, welche das Unternehmen in richtiger Würdigung seiner Bedeutung retteten und ihm zugleich eine breitere, gesicherte Grundlage schufen; die mit ausreichendem Kapital ausgerüstete nunmehrige „Stettiner Maschinenbau-Aktien-Gesellschaft Vulkan“

Inneres der neuen Schiffsmaschinen-Montage.

[109] erlangte bereits in den nächsten Jahren eine gewisse Bedeutung für die deutsche Industrie.

Allerdings war es zunächst nicht der Schiffsbau, dem das Werk seinen Aufschwung verdankte, sondern die Fabrikation von Lokomotiven.

Ein Panzerschiff im Bau.

Die erste Hälfte der sechziger Jahre mit ihrer schnellen Entwickelung des Bahnnetzes führte dem „Vulkan“ zahlreiche und lohnende Aufträge in diesem Zweige zu, der auch heute noch keineswegs vernachlässigt wird, wenngleich er freilich hinter dem Schiffsbau zeitweise zurücktrat; immerhin sind bereits über tausend Lokomotiven aus dem Etablissement hervorgegangen und jene „fetten Jahre“ verschafften ihm vor allem den Kredit und die Mittel, um mit ganzer Kraft zu seiner ursprünglichen Aufgabe zurückkehren zu können, als sich die Gelegenheit hierzu bot. Die Begründung des Norddeutschen Bundes, die kraftvolle Politik Bismarcks, welche eine energische Bethätigung auch des maritimen Könnens erforderte – die bevorstehende Schöpfung der norddeutschen Flotte –

Im Lochwerk.

gab endlich den langersehnten Anstoß und schuf die Möglichkeit, die Werft mit größeren, lohnenderen Aufträgen beschäftigen zu können. Das Verdienst der geschäftlichen und technischen Leitung des „Vulkan“ aber ist es, die Lage rechtzeitig erkannt zu haben und der schwierigen Aufgabe selbst nach allen Richtungen hin gut vorbereitet gegenübergetreten zu sein.

Schon während des Jahres 1867 erhielt die Werft kleinere Aufträge für die norddeutsche Marine, die erste bedeutende Bauausführung aber wurde ihr zwei Jahre später in der Konstruktion der Schiffsmaschine für die Panzerfregatte „Hansa“ anvertraut; auch die Panzerung dieses in Danzig erbauten Fahrzeugs übernahm der „Vulkan“ später. Nach dem Jahre 1870 folgten alsdann die Aufträge schnell aufeinander und nahmen mit der Bereitstellung größerer Geldmittel für die nunmehrige deutsche Flotte bald einen sehr bedeutenden Umfang an. Damals vollzog sich, und zwar zweifelsohne zum guten Theil gestützt auf die sich überraschend entwickelnde Leistungsfähigkeit des „Vulkan“, die Emancipation des vaterländischen Schiffsbaus von den englischen Konstrukteuren und deren noch vor kurzem den Weltmarkt beherrschenden Etablissements; wir wollen aber hierbei nicht übersehen, daß es wesentlich der Initiative des deutschen Marineministeriums und besonders des Ministers von Stosch persönlich zu danken war, wenn dieser Umschwung glatt und rasch von statten ging. So gewiß in jedem patriotisch gesinnten Herzen der Wunsch lebendig war, die umfassenden, sich nach Millionen bewerthenden Aufträge der eigenen Industrie zuzuwenden, die Verantwortlichkeit, welche in dem endgültigen Entschluß lag, sich von den bewährten Verbindungen mit englischen Werften gänzlich loszulösen, war immerhin so bedeutend, daß das Verdienst des Ministers nicht scharf genug betont werden kann; wo immer von den Männern die Rede sein mag, welche den deutschen Schiffsbau neu begründen halfen, wird der Name Stosch in erster Linie genannt werden müssen. –

Die Panzerfregatte „Preußen“ war das erste deutsche Kriegsschiff, das auf den Hellingen des Vulkan gebaut wurde. Nachdem die Werft diese Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit gelöst hatte, wurde ihr der Bau der gedeckten Korvetten „Leipzig“, „Prinz Adalbert“, „Stein“ und „Stosch“, der Glattdeckskorvetten „Olga“ und „Carola“ und der Panzerkorvetten „Sachsen“ und „Württemberg“ übertragen, denen sich in den letzten Jahren die Panzerkorvette „Oldenburg“ und die Kreuzerkorvette „Irene“ anschloß. Außerdem lieferte der „Vulkan“ für die Kaiserliche Werft in Kiel ein großes Schwimmdock und einen mächtigen Hebekrahn von 60000 Kilogramm Tragfähigkeit, wie er für die Armirung der modernen Panzerkolosse erforderlich ist. Zugleich mit den Aufträgen der Regierung wandte sich aber auch die Privatindustrie der Werft zu und eine ganze Reihe stattlicher Ozeandampfer erstand in schneller Folge auf ihren Hellingen. Wir nennen hier die für den [110] Norddeutschen Lloyd gebauten Reichspostdampfer „Stettin“, „Lübeck“, „Danzig“, „Preußen“, „Sachsen“ und „Bayern“, die Postdampfer „Rugia“, „Gertrud Woermann“, den Schnelldampfer „Augusta Viktoria“ für die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Aktiengesellschaft, vieler anderer kleinerer Schiffe zu geschweigen. Im Bau begriffen sind ein weiterer Reichspostdampfer „Kaiser Wilhelm II.“ für die Fahrt nach Australien und 2 Passagierdampfer „Skandinavia“ und „Dania“ für die Hamburger Gesellschaft, welche letzteren ihre Namen zum Andenken an die Nordlandfahrten unseres Kaisers tragen, endlich ein Frachtdampfer für die Neue Stettiner Dampfer-Compagnie.

Wir dürfen es jedoch wohl als den größten Erfolg des Etablissements bezeichnen, daß es ihm gelang, den Bann zu brechen, der bisher auf der deutschen Schiffsbauindustrie dem Ausland gegenüber lag, der „Vulkan“ war die erste deutsche Werft, welche Aufträge für das Ausland erhielt, von seinen Hellingen liefen zum ersten Male in Deutschland fremde Kriegsschiffe vom Stapel,

Dampfer zur Kohlenbeförderung.

und zwar gerade Fahrzeuge derjenigen Gattungen, deren Konstruktion bisher fast als Monopol Englands gegolten hatte. Bereits 1880 stellte die Werft zwei Torpedoboote für die russische Regierung fertig, und in der Mitte der achtziger Jahre wurde ihre Thätigkeit in ausgedehntem Maße durch Bestellungen Chinas in Anspruch genommen; außer anderem Material hatte sie an das Reich der Mitte nicht weniger als 15 Torpedoboote und fünf große Panzerkorvetten zu liefern. Allein der Werth der letzteren dürfte mit 30 Millionen Mark eher zu niedrig als zu hoch veranschlagt werden – wohl der beste Beweis, welche Summen ein Werk wie der „Vulkan“ dem Nationalwohlstand zuzuführen vermag.

Der stets wachsende Umfang des Betriebes hat dem Etablissement allmählich eine sehr bedeutende räumliche Ausdehnung gegeben; es ist ein kleiner Ort für sich geworden, ein Industrieort im besten Sinne des Wortes, der an den freundlichen Ufern des Oderstromes eine Wegstunde nördlich Stettins im Lauf weniger Jahrzehnte erwachsen ist. Langhingestreckt bauen sich am Strande die mächtigen Hellinge, die eigentlichen Baustätten der Oceandurchfurcher, auf, eingeschlossen und überragt von einem scheinbar regellos durcheinandergewürfelten Chaos von Gebäuden, gekrönt von hohen Schloten und Essen. Aber das Durcheinander ist in der That nur ein scheinbares – in Wirklichkeit herrscht in der Anordnung des Ganzen das festeste System und jene strenge Gesetzmäßigkeit, welche das genaue Ineinandergreifen der einzelnen Zweige der vielgestaltigen Thätigkeit allein ermöglichen und gewährleisten kann. Von dem mächtigen Schwimmdock, das als ein breitgegründeter, ungefügiger und doch dem leisesten Druck der Menschenhand gehorchender Koloß auf dem geduldigen Rücken des Stromes ruht, bis zu den weiten Hallen der Gießerei hinauf, von der umfangreichen Kesselschmiede an der Nordgrenze bis zu den Räumen für die Tischlerei und die Holzschneidemühle durchkreuzen die weiten Arbeitsstätten zahllose Geleise, überallhin reichen Drahtseiltransmissionen und übermitteln den Arbeiterscharen die unentbehrliche Dampfkraft. Weithin verräth das donnernde Getön der Dampfhämmer, das Kreischen der Sägen, der schrille Pfiff der Maschinen eine Stätte emsiger Arbeit, das echte Werk des Eisengottes Vulkan.

Die breite, seit einigen Jahren von einer Stettiner Pferdebahnlinie durchzogene Vulkanstraße scheidet das Etablissement in zwei fast gleich große Theile; westlich schließen sich an sie die Bureaubauten und ausgedehnten Magazine, die Maschinenbauanstalten und Gießereien, von denen auf dem Bilde „Auffahrt zum Oberhof“ das große langgestreckte Gebäude links die neue Gießerei mit dem davorliegenden Roheisenlager und das rechts befindliche kleinere Gebäude die Gelbgießerei sind. Weiter hinauf, in der Mitte des Oberhofs, steht der Aussichtsthurm mit dem Wasserreservoir und den im Erdgeschoß liegenden Bureaus der Betriebsingenieure. Helle Schmiedefeuer künden die Kesselschmiede an, aus der, beiläufig bemerkt, bereits 2300 Dampfkessel hervorgingen – langgestreckt dehnen sich durch die einzelnen Abtheilungen die vor drei Jahren neuerbauten Kesselschmieden (eine alte befand sich auf der Werft) aus, in denen eine stattliche Schar rußgeschwärzter Cyklopen mit der Kraft schnellarbeitender Hilfsmaschinen zu wetteifern scheint. Nach Osten zu dehnt sich bis zur Oder hinab die eigentliche Werft aus. Sie ist es, die für uns das Merkwürdigste birgt; so großartig die Einrichtungen der Maschinenbauanstalt und der Gießerei, welche besonders in der schwierigen Herstellung der riesigen Dampfcylinder sich auszeichnet, sind, die Werft fesselt in ihrer Eigenart doch in unvergleichlich höherem Maße. – Unaufhörlich wird das Auge durch neue Gegenstände festgehalten. Da sind zunächst die luftigen Hallen für die Bearbeitung der eisernen Spanten, aus denen sich später das Gerippe der Schiffskörper aufbaut; unter kraftvoll wirkenden hydraulischen Pressen biegen sich hier die mächtigen, vierhundert Centner schweren Panzerplatten gleich Kartenblättern, dort dröhnt der Dampfhammer auf weißglühende Schmiedestücke herab und sinnreich konstruirte Maschinen schneiden und formen die wuchtigen Bleche, die Winkel und Träger, welche den schwimmenden Kolossen Halt und Festigkeit geben sollen. Hier, wo ein Lochwerk täglich 200 Löcher in die Eisentheile drückt, oder unten am Ufer, wo die mächtigen Dampfkrähne mit Werkstücken von dem kolossalsten Gewicht und den ungefügigsten Dimensionen zu spielen scheinen, fühlt man die Wahrheit des schönen Weberschen Wortes, daß die Maschine der erste Schritt ist zur Entlastung des Menschen von der physischen Arbeit.

Die eigentlichen Schiffsbaustätten sind die Hellinge, welche sich längs des Stromes hinziehen, mächtige, diagonal und senkrecht zum Wasser gestellte schiefe Ebenen, auf denen innerhalb gewaltiger Gerüste die Schiffskörper aus ihren einzelnen Bestandtheilen aufgebaut und zusammengesetzt werden, bis sie, wenn der Ausdruck erlaubt ist, im Rohbau fertiggestellt sind und vom Stapel gelassen werden können; erst im Wasser wird dann die letzte Hand an die Vollendung gelegt. Man muß sich die Masse der modernen Seeriesen vergegenwärtigen, um die Größe dieser Hellinge und die Schwierigkeit des Baus richtig beurtheilen zu können. Die für die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Aktiengesellschaft gebaute [111] „Augusta Viktoria“ besitzt z. B. bei einer Breite von fast 20 Metern eine Länge von 140 Metern. Nehmen wir die Gesammthöhe eines derartigen Dampfers, welche wenig hinter der eines stattlichen zweistöckigen Hauses zurückstehen wird, hinzu und bedenken wir, daß diese riesige Masse gewissermaßen freischwebend zusammengefügt werden muß, daß für ihren Bau fast ausnahmslos die schwersten Materialien verwendet werden, daß endlich nur die genaueste Arbeit die Haltbarkeit des Schiffskörpers zu gewährleisten vermag, so tritt die schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe des leitenden Ingenieurs in ihrem ganzen Umfang hervor. Allerdings wird sie wesentlich erleichtert durch die ausgedehnteste Anwendung aller maschineller Hilfsmittel der Neuzeit, ja es wäre der Bau eines Panzerschiffes ohne die ausgiebige Unterstützung der Dampfkraft bei der Handhabung der riesigen Werkstücke, deren Gewicht häufig nach Hunderten von Centnern zählt, überhaupt unmöglich. Ich glaube, wenn Herr Vulkan allerhöchst selbst sehen könnte, wie der im Betriebe befindliche Dampfkrahn die gewaltigen eisernen Streben und Träger, die trotzigen Panzerplatten mit Leichtigkeit hebt und senkt, dreht und wendet und die Hand eines Arbeiters am Dampfventil seine Arbeit beaufsichtigt und leitet, er würde betrübt den Kopf schütteln und sein armseliges Werkzeug zerbrechend sich in die tiefsten Klüfte zurückziehen; dieser Konkurrenz wäre selbst der Göttersohn nicht gewachsen.

Die Wasserseite der Werft bietet überhaupt naturgemäß die interessantesten und mannigfachsten Bilder. Was an hundert Stellen des großen Etablissements im einzelnen zugerichtet und vorbereitet wird, hier strömt es schließlich zusammen. Die lange Reihe der Hellinge mit ihren thurmhohen Gerüsten, ihrem scheinbar unentwirrbaren Chaos von Streben und Balken, Trägern, Stützen, Treppen und Dächern, die der Vollendung entgegengehenden Fahrzeuge der verschiedensten Art, welche sich bereits seetüchtig auf der leichtbewegten Fläche des Stromes wiegen, die hohen Spieren der rastlos arbeitenden Krähne, das mächtige Schwimmdock endlich umrahmen eine Fülle von Einzelbildern, welche in ihrem reichen Wechsel dem Apparat eines Momentphotographen die denkbar günstigsten Vorlagen bieten müßten. Hier führt die schwerkeuchende Lokomotive auf massigem Wagen eine mächtige Panzerplatte an das Ufer, dort wird von einer zahlreichen Arbeiterschar eine zweite bereits am Bug einer Korvette angepaßt – auf dem Deck jenes fast fertigen Dampfers ist man mit dem Zusammensetzen des eleganten Mobiliars der Kajüten beschäftigt, das zum Theil ebenfalls in den eigenen Tischlereien der Werft hergestellt wurde und dessen Zierlichkeit in sonderbarem Gegensatze zu den ungefügen Bohlen und Balken steht, die unmittelbar daneben zum Bau eines Gerüstes aufgethürmt werden. Dort dampfen über den breiten Strom schwerfällig die drei Transportdampfer „Tyras“, „Sultan“ und „Pique-Aß“ heran, welche die kohlenbeladenen Waggons selbst an Bord führen, dem Bedarf der nimmersatten Oefen der Gießerei, der Gasanstalt zu genügen. Ab und zu taucht zwischen dem Heer von Arbeitern – die Werft beschäftigt seit Jahren durchschnittlich 5200 Mann – die ernste Gestalt eines der leitenden Beamten auf, hier anordnend, dort messend, hier zur Eile mahnend, dort mit Notizbuch und Bleistift in der Hand kontrollirend und kalkulirend!

Arbeiten auf der Werft: Ausbohren eines Hinterstevens für die Schraubenwelle.

Ja, kalkulirend! Denn schließlich beruht doch wie jedes große industrielle Werk auch das Gedeihen dieser Werft hauptsächlich auf richtigen Berechnungen, und wenn irgendwo, rächt sich hier jeder Fehler in der Kalkulation aufs empfindlichste. Unsere deutschen Werften haben diesen bei den schwankenden Material- und Arbeitspreisen des letzten Jahrzehnts doppelt fühlbaren Umstand bitter empfunden, und auch dem „Vulkan“ sind zeitweise Schwierigkeiten nicht erspart geblieben. Das Etablissement hat sie indessen überwunden, und man darf wohl sagen: heute steht der „Vulkan“ auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit. Es läßt sich erwarten, daß er bei dem von Jahr zu Jahr wachsenden Umfang des deutschen Seehandels und der allmählichen Verdrängung des Segelfahrzeuges durch den Dampfer, des Holzschiffes durch das Eisen- oder Stahlschiff, bei der Ausdehnung, welche die deutsche Postdampfschifffahrt durch die staatlich unterstützten Linien erhalten hat, noch weiter reiche Gelegenheit zu lohnender Beschäftigung finden wird. Aber auch von Seiten unserer Marine wird es nicht an Aufträgen fehlen, hat doch die kürzlich dem Deutschen Reichstag vorgelegte Denkschrift des Marineministeriums einen Bedarf von 28 Fahrzeugen mit einem Gesammtwerthe von 116 Millionen Mark berechnet, und hat doch der Chef der deutschen Admiralität, der leider so früh dahingeschiedene Graf Monts, in der Sitzung des Deutschen Reichstags feierlich erklärt: „Unsere Schiffe sollen deutsch sein vom Kiel bis zur Flagge!“

Wenn man die Bedeutung eines Werkes, wie der „Vulkan“, voll würdigen will, darf man es nicht losgelöst aus dem Rahmen der vaterländischen Gesammtindustrie betrachten. Es muß daher kurz auf die Wechselwirkung hingewiesen werden, die zwischen ihm und der deutschen Eisenindustrie sich im Lauf der Jahre entwickelt hat. Wie das Aufblühen des Baus eiserner Fahrzeuge, wie die Konkurrenz der deutschen Werften mit dem Auslande überhaupt erst möglich wurde, als die Produktion der Hütten und Walzwerke sich hob, so haben jene den letzteren ihren Dank durch ihren gesteigerten Bedarf (für den „Vulkan“ allein täglich etwa 50000 kg) abgetragen; es ist für beide Theile ehrenvoll, daß die deutschen Werften fast ausnahmslos nur deutsches Material benutzen.

Das letzte bedeutende Werk, das aus dem Etablissement hervorging, ist der für die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Aktiengesellschaft erbaute Doppelschraubenschnelldampfer „Augusta Viktoria“, das größte Schiff, das bisher auf der Werft des Vulkan erbaut worden ist. Es hat eine Länge von 140,21 m in der Wasserlinie, und eine Breite von 17,07 m, eine Ladefähigkeit von 2450 Tonnen, eine Maschinenkraft von 12000 bis 12500 Pferdekräften, die den Koloß zu einer Fahrgeschwindigkeit von 19 Knoten befähigen. Es hat Raum für 392 Passagiere erster Klasse, 120 Passagiere zweiter Klasse und 580 Zwischendeckspassagiere, sowie für eine Besatzung von 237 Köpfen einschließlich Kapitän und Offiziere. Am 1. Dezember 1888 fand der Stapellauf des Dampfers statt, von dem unser Bild S. 105 die wichtigsten Momente zeigt.

Wir sehen links vor dem hochaufragenden Bug des Schiffes die jugendliche Tochter des Vorsitzenden der Hamburger Gesellschaft, Fräulein Antonie Nissen. Sie hat die Weiherede gesprochen, ein Zug an der Leine zu ihrer Rechten und die Champagnerflasche zerschellt klirrend am Bug; dann ein Wink des leitenden Ingenieurs, die mächtigen Fallbeile sausen hernieder, kappen die Taue, die den Riesenbau noch fesseln, und langsam erst, dann schneller und schneller gleitet der Dampfer unter dem Jubelruf einer tausendköpfigen Menge majestätisch in sein nasses Element. Ganz Deutschland nahm Theil an dem Ereigniß. Kaiser und Kaiserin, Prinz Heinrich sandten Glückwünsche. Am 22. Dezember erschien Kaiser Wilhelm selbst in Stettin und stattete der Werft des „Vulkan“ einen Besuch ab, eine glänzende Anerkennung der Verdienste, die sich das Anwesen um die deutsche Industrie und um ihren Ruf im In- und Auslande erworben hat. H. v. S.

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Ein geheilter Othello.

Von F. Schifkorn.

Der erste Schneesturm rüttelt an den Fenstern, dichte Flocken und welke Blätter vor sich hertreibend. Fröstelnd eilen die Menschen an den Häusern entlang; selbst die Pferde an den Wagen greifen so rasch aus, als es ihre müden Beine erlauben, und nur die Dohlen, die schwarzen Herolde König Winters, verkünden freudig krächzend die erneute Herrschaft ihres Herrn und Gebieters.

Mir aber zaubert Erinnerung lachende Sommerlust in die Stube, warmen Sonnenschein, azurblauen Himmel über einem stillen, tiefen Wasserspiegel, umrahmt von rebenbekränzten Hügeln mit einem Neste kleiner Häuschen, auf welche altersgraue Kastellmauern verdrießlich herabschauen, als grollten sie ob des stillen Friedens ringsum, der ihnen keine andere Rolle mehr zuweist, als mit ihren erhitzten Quadern die Netze der anwohnenden Fischer zu trocknen. Am Strande vor dem Häuschen badet eine Schar fröhlicher Kinder; auf dem weiten grasbedeckten Platze unterhalten sich einige Männer mit dem beliebten Kugelspiele; im Vordergrunde aber liegt eine dunkle Apollogestalt in Fischertracht platt auf der Erde, den fezbedeckten Lockenkopf auf beide Ellbogen gestützt; auf dem Rücken des Mannes schaukelt sich jauchzend ein unbeflügelter Amor im bloßen Hemdchen, während ein schönes junges Weib lächelnd auf die Gruppe herabsieht.

Wohl sah ich manch schönere oder großartigere landschaftliche Scenerie, doch keine, welche sich meinem Gedächtnisse so treu und lebhaft eingeprägt hätte wie diese, allerdings nicht nur ihrer Naturreize, sondern einer Geschichte wegen, welche sich in der Erinnerung mit dem idyllischen Strandbilde untrennbar verflocht.

Andrea Chiotti – so hieß der Mann mit dem Amor auf dem Rücken – war seines Zeichens Fischer und dabei Besitzer eines kleinen Anwesens in der Umgegend von Muggia, dessen Ertrag ihn sammt seiner kleinen Familie vor den zeitweiligen Nahrungssorgen minder glücklicher Berufsgenossen schützte, außerdem aber ein Mann, der an körperlichen Vorzügen seinem jungen schönen Weibe durchaus gleichkam und sich überdies jener herkulischen Muskelkraft und unverwüstlichen Gesundheit erfreute, wie sie eben nur das rauhe Seemannsleben verleiht. Trotzdem schien der kaum dreißigjährige, vielbeneidete Familienvater von seinem Glücke wenig befriedigt, zeigte vielmehr statt der üblichen scherzhaften Laune seiner Gefährten ein ernstes, in sich gekehrtes Wesen, das – wie ich später zu bemerken Gelegenheit hatte – nicht selten in finstere Schwermuth überging.

Abgesehen von dieser Seltsamkeit war Chiotti jedoch ein eben so gutmüthiger Geselle wie gewandter Schiffer, weshalb ich denn auch seine Barke wählte, so oft es mich gelüstete, Seeluft in unverfälschter Reinheit zu athmen. Ein melancholisches Liedchen summend, ließ dann der junge Fischer das sauber gehaltene kleine Fahrzeug weit hinaus treiben auf die Höhe des blauen Golfes, um dort seine Netze auszuwerfen, während ich mich, im Schatten des breiten Segels gelagert, in ein Buch vertiefte oder jenen süßen Träumen nachhing, welche die Menschenseele, angesichts des grenzenlosen Horizontes, zwischen Himmel und Erde schwebend, mit leisen Fittigen in die Welt der Phantasie – das Reich der Seligen – entrücken.

Chiotti störte mich nie, sondern verfiel seinerseits, wenn er seine Vorbereitungen zum Fischfang getroffen hatte, in ein trübes Hinbrüten, aus welchem ihn erst die Neigung der Sonne oder eine lebhafte Bewegung in den Netzen erweckte. Meine Versuche, den Grund dieser räthselhaften Gemüthsstimmung zu erforschen, blieben erfolglos. Ich brachte ihn zwar bisweilen zum Plaudern, doch nicht über sich oder ihn betreffende Verhältnisse. So ließ ich ihn schließlich gewähren und fühlte mich in seiner stummen Gesellschaft um so behaglicher, als das Wenige, was er sprach, nicht nur gesunden Menschenverstand, sondern auch einen äußerst regen Rechtssinn und, was bei seinen Landsleuten noch seltener zu finden ist, eine ungewöhnliche Achtung für fremde, namentlich deutsche Art und Sitte verriet.

So war denn unser Verkehr ein, wenn nicht freundschaftlicher, so doch gegenseitig wohlwollender geworden, als ich eines Tages an dem jungen Manne eine Unruhe bemerkte, welche mit dem Niedergange der Sonne zu wachsen schien. Immer häufiger schaute er nach Osten aus, wo die grotesken Linien der Karstberge sich vom tiefblauen Himmel abhoben, bis er endlich nach solchem Blicke in die Ferne plötzlich die eben erst ausgeworfenen leeren Netze einzuziehen begann, als ob es gelte, den reichsten Fang zu bergen.

„Was in aller Welt treibt Ihr da, Chiotti?“ fragte ich erstaunt.

„Schlimmes Wetter, Herr,“ erwiderte dieser in seiner kurzen Weise, ohne sich in seiner Arbeit stören zu lassen; „die Bora ist im Anzuge, und die läßt nicht mit sich spaßen.“

Nun blickte auch ich besorgt nach den Bergen, von welchen sich bisweilen der bekannte Nordostwind orkanartig auf die weite Niederung der Adria und ihres Ufergebietes herabstürzt. Ich wußte, daß schon manches Fischerboot solchen unvorhergesehenen Stürmen zum Opfer geworden; doch deutete der blaue Himmel so wenig auf eine nahe Gefahr, daß ich im Stillen die Vorsicht Chiottis belächelte, der schon das Segel stellte, um die frische Abendbrise zur Heimfahrt zu benutzen. Alsbald schwellte sich das Stückchen Leinewand, worauf unser kleines Fahrzeug mit der anmuthigen Bewegung eines Schwanes über die leicht gekräuselten Wellen glitt, während mein schmucker Fährmann sich zum Steuer setzte, um wieder in jenes finstere Hinbrüten zu verfallen, dem er sich so gern überließ.

„Ihr habt wohl schon schlimme Erfahrungen mit Frau Bora gemacht?“ fragte ich, um ihn seinem Trübsinne zu entreißen.

„Schlimme Erfahrungen?“ wiederholte er wie aus einem schweren Traume auffahrend, „Per Dio, wäre es nur das! Schlimme Erfahrungen bleiben keinem erspart, der mit ihr zu thun hat, aber mich, Herr, hat die verwünschte Hexe zum –“

Er hielt inne, als scheute er sich, das Wort in meiner Gegenwart auszusprechen.

„Fahrt immerhin fort!“ ermuthigte ich; „bin ich auch kein Gewissensrath, meiner Theilnahme dürft Ihr versichert sein.“

„Ja, Herr, ja, ich weiß das und danke Euch,“ versetzte Chiotti sinnend, um nach kurzer Pause hinzuzufügen: „Vielleicht ist auch das eine Fügung; stammt Ihr doch aus demselben Lande wie der Fremde, an dem ich zum – Mörder geworden.“

„Ein Mord, Chiotti?“

Die Entdeckung, mich mit einem Verbrecher allein in einem Nachen auf offener See zu befinden, war eine so überraschende, daß ich bei dieser Frage unwillkürlich nach der Brusttasche griff, wo ich bei weiteren Ausflügen meinen Revolver verwahrte; doch die Tasche war heute leer; in Chiottis Gesellschaft hatte ich eine derartige Vorsicht für überflüssig gehalten. Letzterer schien übrigens nichts von meiner Bewegung bemerkt zu haben; er starrte vor sich hin und erwiderte nur mit einem unheimlichen Lächeln nickend:

„So ist’s, Herr, so gut wie ein Mord, wenn auch – nun, Herr, ich will lieber von Anfang beginnen, Ihr mögt dann urtheilen, da es für mich keinen Richter giebt.“

Diese in geheimnißvollem Tone geflüsterten Worte im Zusammenhalt mit der krankhaften Melancholie des jugendlich kräftigen Mannes gaben meinen Gedanken eine neue Richtung; ich glaubte nun, daß ich einen Irrsinnigen vor mir habe, was allerdings kaum angenehmer war als die Gesellschaft eines Mörders. Ich hütete mich daher, auch nur mit einem Worte die Rede meines unheimlichen Gefährten zu unterbrechen, welcher, den Blick unverwandt auf die blaue Fluth zu unseren Füßen gerichtet, also begann: „Noch vor vier Jahren, Herr, war ich der froheste, ja vielleicht auch übermüthigste Barkenführer von Triest. Ich war gesund und stark, und niemals fehlte es mir an Kundschaft; außerdem aber war mir das schönste Mädchen von Muggia gut, und Ihr wißt, Herr, was dies sagen will. Mit der Aussicht auf Hochzeit stand es freilich nicht am besten; Angiolinas Vater wollte seine Einwilligung nicht eher geben, als bis ich Herr meiner eigenen Barke wäre. Indessen wir waren beide jung, legten unsere Ersparnisse zusammen, und so war ich denn so glücklich, wie ein Mensch sein kann, der sein Herz an ein allzu hübsches Mädchen verloren hat. Ihr meint wohl, Herr, ich schwatze Unsinn, und doch war es nur diese Schönheit, welche mir damals Tag und Nacht keine Ruhe ließ; denn kurz gesagt, der Teufel

[113]

Getheilter Schmerz.
Nach dem Oelgemälde von A. Marcks.

[114] der Eifersucht plagte mich; ich aber plagte Angiolina, obschon ich das arme Kind nur Sonntags sehen konnte, oder wenn ich eine Kundschaft hier überzufahren hatte, was selten genug geschah, der Bora wegen, die sich gern den Spaß macht, zu kommen, wenn man sie am wenigsten erwartet.

Eines Tages aber kam ein Fremder, blond wie Ihr, Herr, und jung, groß und stark dazu, ein Riese, der keine Furcht zu kennen schien und das Ruder fast so gut zu führen wußte wie ich. Nachdem ich ihn einmal nach Muggia geführt, nahm er meine Barke in Accord und ließ sich an jedem heitern Tage mit dem frühesten Morgen herüberfahren, um hier ans Land zu gehen und erst abends zurückzukehren. Nun, er zahlte gut, und so kümmerte ich mich um so weniger um sein Thun, als Angiolina anfangs, wenn sie meine Barke vom Fenster aus bemerkte, zum Strande kam, um mir Gesellschaft zu leisten. Erst als das Mädchen, ein Verbot des Vaters vorschützend, mich den ganzen Tag mit meiner Barke allein ließ, begann ich Verdacht zu schöpfen; Angiolinas Behausung lag auf mäßiger Anhöhe zwischen Bäumen und Strauchwerk; man konnte ungesehen dort ein- und ausgehen.

So schlich ich mich denn eines Nachmittags bis auf Sehweite an und harrte, den Eingang im Auge behaltend, etwa eine halbe Stunde; als die Thür endlich geöffnet wurde, sah ich – o Herr, das Blut schoß mir zu Kopfe, daß sich die Sonne vor meinem Auge verdunkelte – wie der Fremde aus dem Hause trat, begleitet von meinem Mädchen, dem er mit vertraulichem Lächeln zunickte, um darauf, von ihren Blicken verfolgt, hinter Bäumen zu verschwinden. – Also darum die täglichen Fahrten, darum die Lüge des väterlichen Verbotes! Und während ich gleich einem Verdammten nur das Antlitz meines vermeintlichen Engels zu schauen lechzte, lag dieser kosend in den Armen des Fremden, das Spielzeug der flüchtigen Laune eines Niederträchtigen! Die Hölle im Herzen eilte ich zum Strande hinab. Der Mann, der mir das Liebste geraubt, sollte sich nicht lange seines fluchwürdigen Lebens freuen, das stand fest; Messerstoß oder Ruderschlag – es war mir alles gleich, wenn nur meine Rache befriedigt wurde.

Der Fremde erwartete mich schon und machte mir lachend Vorwürfe über die Unvorsichtigkeit, meine Barke unbewacht gelassen zu haben; ich erwiderte nichts, biß die Zähne zusammen und spannte meine Segel.

Es war ein heiterer Tag, Herr, wie heute; als wir jedoch die Bucht verließen, erkannte ich die sicheren Sturmzeichen, und damit war mein Plan gefaßt. Ich war von jeher im Wasser zu Hause wie ein Aal, hatte mich als Knabe schon zum bloßen Spiel in die aufgewühlten Wogen gestürzt; wenn die Barke umkippte und der Fremde ertrank, so war das seine Sache; von mir konnte niemand verlangen, daß ich einen Riesen stundenlang über Wasser erhalte. Der Deutsche war ein guter Ruderer, aber vom Schifferhandwerk verstand er nichts; ich konnte daher, ohne Verdacht zu erwecken, mein Segel so ungeschickt stellen, daß wir nur wenig vom Flecke kamen. Uebrigens kümmerte er sich auch gar nicht um mich, sondern lag im Vordertheil der Barke und blies sorglos den Rauch seiner Cigarre in die Luft, ohne Ahnung, daß die Wuth um so wilder in mir tobte, je länger ich in dieses rosig lachende Antlitz sah, unter dem sich die Seele eines Schurken barg. Dann aber, als die ersten Windstöße kamen und ich bei gerefftem Segel zum Ruder griff, folgte er ruhig meinem Beispiele und führte das seine so kräftig, daß es uns wahrhaftig nicht schwer geworden wäre, den Hafen zu erreichen, wenn auch die Wellen höher und höher stiegen und der Wind wie mit scharfen Krallen über die Planken fuhr.

Die Bora war wohl noch nie einem Menschen so willkommen gewesen wie mir in jener Stunde; ja, die Wuth der Eifersucht hatte meine Seele so ganz und gar erfüllt, daß ich mit Frohlocken des Augenblicks harrte, um dem Verführer Angiolinas, wenn er vergeblich mit den Wogen ringen würde, ein höhnisches ‚Addio‘ zuzurufen. Und endlich kam er; eine riesige Welle erhob sich vor uns, ein kräftiger falscher Schlag meines Ruders, und statt uns auf deren Rücken zu erheben, wurde die Langseite der Barke erfaßt und diese sammt uns unter dem Wasserberge begraben. Aus dem tosenden Schwalle auftauchend, sah ich dicht neben mir das Antlitz des Fremden, wie es mir schien, lachend und rosig wie sonst. Wüthend öffnete ich die Lippen, um dem Verhaßten das Todesurtheil zuzurufen; doch Madonna fügte es anders, denn in demselben Momente traf mich ein Stoß der aufstrebenden Barke am Hinterkopfe mit solcher Wucht, daß mir die Besinnung schwand und ich versinkend nur noch das Brausen der über mir zusammenschlagenden Wellen vernahm. Wie lange diese Bewußtlosigkeit gedauert, weiß ich nicht zu sagen; als ich aber erwachte, stand der Fremde wohlbehalten und lachend vor mir und meinte: ‚Nun, Freund Chiotti, Dein Kopf ist noch ganz, wie ich sehe, und somit hat die Sache nichts weiter zu bedeuten; denn um Deine Barke darfst Du nicht trauern, Du sollst in Zukunft eine bessere führen.‘ Damit ging er, und erst von den Umstehenden erfuhr ich, daß mich der junge Riese ans Ufer gebracht, ohne von solcher Leistung sonderlich erschöpft zu scheinen. Gleich einem geschlagenen Hunde ging ich heim; dem gegenüber, der mir das Leben gerettet, war ich machtlos; der Grimm darüber aber reifte den Gedanken, mein heißes Verlangen nach Rache wenigstens an der Treulosen zu stillen. Meine Barke war noch ein leckes Wrack, ich ging darum, sobald es meine Kopfbeule erlaubte, zu Fuße nach dem wohlbekannten kleinen Hause. In die Thür tretend, wurde ich von Angiolina mit einem Freudenschrei empfangen; doch wich sie entsetzt zurück, als sie meinen zornfunkelnden Blick und das Messer in meiner Hand gewahrte. Ich war halb von Sinnen, Herr; aber dennoch, wie das liebe Mädchen dastand, so sanft und wehrlos wie ein Lamm, da sank mir der Muth, und ich wäre spornstreichs davongerannt, hätte nicht ein neuer Gegenstand meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ein Winkel des kleinen Raumes nämlich war durch einen von der Decke herabfallenden Vorhang den Blicken entzogen. Ich hatte es bisher nie bemerkt, es mußte aber meinen Verdacht um so mehr erwecken, als sich Angiolina, die Richtung meines Blickes verfolgend, mit allen Zeichen der Angst wie abwehrend mir entgegenstellte. Alles vergessend stürzte ich mit erhobenem Messer auf die Stelle los, riß den Vorhang bei Seite und – stand vor einem Bilde, nein vor der gebenedeiten Madonna selbst, welche mit den süßen Zügen Angiolinas mild und doch wie zürnend auf mich herabsah. Seht, Herr, damals war es, daß es wie Schuppen von meinen Augen fiel, daß ich plötzlich erkannte, wie schlecht ich war. Angiolina hatte – nur um das Ziel unserer Wünsche rascher zu erreichen – eingewilligt, dem fremden Herrn als Modell für das heilige Bild zu dienen; ich fiel ihr zu Füßen und bat um Verzeihung für meinen ruchlosen Verdacht.

Das gute Mädchen! Es vergab und vergaß meine Tollheit, den Fremden dagegen sah ich nicht mehr. Er hatte das Bild Tags zuvor vollendet und kehrte in die Heimath zurück, nachdem er Angiolina weit mehr als die bedungene Summe übergeben, um, wie er sagte, auch mich für die Kopfbeule schadlos zu halten. Ja, Herr, so that der Fremde. Angiolina wurde Dank seiner Großmuth wenige Monate später mein, und mein Erstgeborener trägt seinen Namen. Weder auf meinem Anwesen noch auf dieser schönen Barke lastet eine Schuld, nur meine Seele ist um so schwerer belastet. Diese Last wird nicht von ihr genommen, bis – o, ich wollte –“

Chiotti, welcher bisher mit der dramatischen Lebhaftigkeit und Zungengeläufigkeit des Romanen gesprochen, ließ den Kopf wieder auf die Brust sinken mit einem Ausdrucke von Trostlosigkeit, der mir jetzt noch räthselhafter war denn zuvor.

„Ich begreife Euch nicht, Freund Chiotti,“ versetzte ich, als er hartnäckig schwieg; „wahr ist’s, Ihr habt, von Leidenschaft verblendet, Schlimmes beabsichtigt; der Himmel fügte es jedoch, wie Ihr selbst sagtet, zum Besten, Euere Reue aber –“

„Zum Besten?“ fiel Chiotti jetzt dumpfen Tones ein, „nein, nur anders fügte er es, wie Ihr gleich hören werdet. Wenige Tage nach der Abreise des Fremden erhielt Angiolina ein Schreiben aus einer großen Stadt im Norden, worin er mit kurzen Worten anzeigte, daß er – merkt wohl auf, lieber Herr! – daß er infolge eines Stoßes in der Brustgegend, welchen er gelegentlich des Sturmes auf der Adria durch den Anprall meiner umgekippten Barke erhalten, aber nicht beachtet habe, auf der Heimreise schwer erkrankt sei; das Bild würde im Falle seiner Genesung durch einen bevollmächtigten Kommissionär abgeholt und verpackt werden, andernfalls aber sollte Angiolina dasselbe nach Jahresfrist einer Kirche weihen. O Herr, nie in meinem Leben betete ich so inbrünstig für das Wohl eines Menschen wie damals für das des großmüthigen Fremden; allein der Kommissionär kam nicht, und ein Jahr später blickte die Madonna von geweihter Stelle [115] zürnend auf den herab, der an seinem Lebensretter zum – Mörder geworden!“

Armer Chiotti! Unter solchen Umständen waren Trostgründe allerdings schwierig zu finden; als ich es aber dennoch versuchte, schüttelte er nur traurig den Kopf, um erst nach geraumer Weile mit plötzlich aufleuchtendem Blicke hinzuzufügen: „Nein, nein, mir könnte nur eines helfen, eines, und ich wollte, dieser Sturm –“ er stockte verlegen, bis ich ihn abermals mit freundlichen Worten aufforderte, seinem Wunsche rückhaltlos Ausdruck zu geben.

„Nun denn, Herr,“ meinte er endlich, „Ihr seid, wie gesagt, ein Landsmann des Fremden, und wenn es die Madonna fügte, daß auch Ihr –“

Es wollte doch nicht über seine Zunge, ich aber hatte begriffen.

„Danke schön,“ rief ich trotz aller Theilnahme hellauf lachend. „Ihr wünschet, daß die Bora auch mich in das Wasser fegte, um mich wieder herausfischen zu können, nicht wahr?“

„Beim Himmel, Herr, Ihr solltet so sicher wie ein Kind in Mutterarmen ans Ufer gelangen!“ betheuerte Chiotti, sprang jedoch mit dem letzten Worte wie besessen auf das scharf geblähte Segel zu, um es mit wenigen energischen Handgriffen zu reffen.

Da ich von der Erzählung des Mannes ganz und gar in Anspruch genommen war, hatte ich eine vom Karste heranjagende dunkle Wolke nicht bemerkt, welcher nun die Bora heulend folgte, wie dem fliehenden Hirsche die Meute. Den bald kläglich wimmernden, bald zornig aufschreienden Tönen der Lüfte antwortete dumpfes Brausen und Grollen aus der Tiefe des Meeres, nach der Volksmeinung Stimmen höllischer Geister, welche dem Gebote der Berghexe gehorchend sich anschicken, sündige Menschen und deren Werke in ihr finsteres Reich hinabzuziehen.

Dunkler und dunkler ward es; die Sonne sank als blutrother, strahlenloser Feuerball in ihr Wellengrab, und nur ein fahler Schimmer beleuchtete die schäumenden, gleich gierigen Ungeheuern aus der Tiefe aufspringenden Wogen, wie die muskulöse Gestalt Chiottis, welcher das Ruder mit der ganzen Kraft seiner nervigen Arme handhabte.

Eingedenk meiner geringen Ruderfertigkeit blieb ich ruhig auf meinem Platze, mein Wohl und Wehe dem anheimgebend, dessen innigster Herzenswunsch mich, wenn auch in bestgemeinter Absicht, in diese schäumenden Wellen versenkte; begreiflicherweise war mir dabei nicht allzu wohl zu Muthe, und ich hielt meinen Mann scharf im Auge, dessen Züge, sonst vom dunkelsten Braun, jetzt an Farbe dem fahlen Schimmer am Horizont glichen; was er aber auch denken mochte, er that seine Schuldigkeit als trefflicher Seemann, und mit dem letzten Schwinden des Dämmerlichtes waren wir, obgleich vom Sprühregen der hochgehenden See durchnäßt, in der sicheren Bucht geborgen.

Hier gab es eine eben so bewegte wie malerische Scene. Mehrere Fischerbarken waren schon vor uns eingelaufen, andere wurden noch erwartet, weinende oder betende Frauen standen gruppenweise am Ufer, auch Mäuner mit Laternen, deren Flämmchen unter der Gewalt des Sturmes gleich Irrlichtern bald verlöschend, bald hell aufleuchtend flackerten.

Bei unserer Ankunft löste sich von einer dieser Gruppen eine Frauengestalt, um mit dem Rufe „Andrea, mein Andrea!“ meinen Fährmann zu umschlingen.

„Ich habe hier noch zu thun, Angiolina,“ sagte dieser, das junge Weib nach kurzer Umarmung von sich drängend, „Du aber geh’ heim und sorge für den fremden Herrn; der Weg ins Albergo ist weit, sein Rock vom Salzwasser naß. Geh’, ich komme nach – auf Wiedersehen, Herr!“

Von seiner Eifersucht war der Mann offenbar geheilt; Angiolina dagegen blickte zögernd auf mich, doch Chiotti hatte sich schon den Männern zugewandt, welche sich eben mit der Instandsetzung eines Rettungsbootes beschäftigten; es blieb ihr keine Wahl, sie ging mit einem „Ist’s gefällig, Herr?“ mir alsbald voran.

Ich hatte die junge Frau noch nie gesehen, auch jetzt vor der dichten Kopfumhüllung nur ein Paar großer dunkler Augen erblickt; wie sie aber nun mit leichtem elastischen Schritt gegen den Sturm ankämpfte, der wüthend an ihren Kleidern zerrte, verriethen die Formen der mittelgroßen, schlanken Gestalt ein Maß von Anmuth und Schönheit, welches des jungen Fischers Leidenschaftlichkeit wenigstens in milderndem Lichte erscheinen ließ.

Nach wenigen Minuten hatten wir das von letzterem beschriebene Häuschen auf dem mit Reben und Obstbäumen bestandenen Hügel erreicht und traten in den Eingangsraum, welcher nach Landessitte zugleich als Wohnstube und Küche diente. Neben dem Feuer auf dem niederen Herde saß eine Matrone, mit der einen Hand die Kohlen schürend, mit der andern einen Knaben auf ihren Knieen haltend, welcher Angiolina mit frohlockendem Geschrei begrüßte, bei meinem Eintritte aber sofort verstummte, um mich mit verwunderten, mißtrauischen Blicken zu betrachten.

Eine kurze Verständigung zwischen den Frauen genügte, um mir den bequemsten Platz am Feuer zu verschaffen, von wo aus ich mit aller Behaglichkeit Umschau halten konnte. Nach landesüblichem Begriff war der Raum ungewöhnlich sauber gehalten; die Wände getüncht, der Ziegelboden gefegt, das Kupfergeschirr über dem Herde glänzend wie Gold und die Fischergeräthschaften an der Wand fast symmetrisch geordnet. An Bequemlichkeit oder Schmuck gab es, abgesehen von dem nie fehlenden, gewöhnlichen Madonnenbildchen mit der Lampe davor, allerdings hier eben so wenig wie in einer andern Fischerwohnung; doch machte sich dieser Mangel im Hause Angiolinas kaum fühlbar, solange sie selbst darin weilte. Und nicht die Schönheit allein war es, welche dies bewirkte, sondern die jugendliche, man möchte sagen jungfräuliche Anmuth, welche, wie in ihren Bewegungen, so auch in dem sanften reinen Ausdrucke der lieblichen Züge lag und mich sofort die Wahl meines Landsmann-Malers begreifen ließ.

Es war reizend anzusehen, wenn Angiolina mit dem kleinen „Mondo“ (Abkürzung von Edmondo, Edmund) spielte, wie eben nur eine junge Mutter zu spielen versteht, und das silberhelle Lachen der beiden stellte nicht nur mich, sondern auch die ernst dreinsehende Matrone an, so daß Lust und Fröhlichkeit den ganzen Raum erfüllte. Gewiß, man hatte recht, Chiotti zu beneiden, und nur dem Walten eines seltsam tragischen Geschickes war es zuzuschreiben, daß gerade der Beneidete den einzigen Schatten in die sonnige Heiterkeit des kleinen Fischerhauses warf. Mehrmals hatte ich das ängstliche Aufhorchen Angiolinas bemerkt, wenn mit den dröhnenden Windstößen ein Geräusch von Schritten in die Stube drang, und als ihr Gatte endlich kam, da wichen Frohsinn und Heiterkeit, und das kleine Heimwesen schien plötzlich kahl und düster gleich einem Gefängnisse.

Mit verstörter Miene, wirrem Haar und schleppendem Gang eintretend grüßte er mechanisch und schien erst durch meine Frage, ob ein Unglück geschehen, zu klarem Bewußtsein seiner Umgebung zu kommen.

„Ein Unglück, Herr? O nein!“ erwiderte er, wie sich besinnend; „ehemals passirte wohl dergleichen, doch seit ein Schuft das Salzwasser verunreinigt, will kein ehrlicher Mensch mehr ertrinken. Cospetto, sie kamen alle so trocken heim wie Heringe im Faß, und nun lachen sie und sind guter Dinge, weil sie meinen, es sei besser, in der warmen Stube zu sitzen als durch einen tölpischen Fährmann umgekippt zu werden!“

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Dichterische Reliquien von Ernst Moritz Arndt. Wer würde nicht freudig überrascht den eleganten Band begrüßen, welcher unter dem Titel „Spät erblüht“ (Leipzig, Th. Thomas) eine ganze Anzahl aufgefundener Gedichte von Ernst Moritz Arndt enthält! Und zwar sind diese Gedichte nicht in späten Lebensjahren geschaffen; sie erscheinen nicht im Silberhaar des ehrwürdigen Alters, es sind nicht Sinnsprüche und Gedankenspäne patriarchalischer Weisheit; sie gehören der Glanzepoche Ernst Moritz Arndts an, als ihn noch jugendliches Feuer beseelte; sie stammen aus jener Zeit, als Arndt durch Napoleon I. gezwungen wurde, nach Schweden zu flüchten, wo er bei der Familie der später in Karlsruhe lebenden Freifrau von Munk ein Asyl fand. Aus Dankbarkeit schrieb er dort das Liederbuch für Kinder für sie nieder. Aus deren Nachlaß erhielt es Joseph Viktor von Scheffel und von diesem die Herausgeberin A. von Freydorf zum Geburtstagsgeschenk, als sie noch ein kleines Mädchen war. Autographen von Arndt und Scheffel gereichen dem Büchlein zur besonderen Zier.

Wenn indeß auch der Dichter selbst, wie wir von der Herausgeberin erfahren, der Sammlung den Titel „Gebetbuch für zwei fromme Kinder“ gab, so würde man sich doch irren, wenn man deshalb glaubte, alle diese [116] Gedichte bewegten sich im Kreise naiver Kindlichkeit und seien nur auf das Verständniß der lieben Kleinen berechnet. So war es offenbar nicht gemeint; der Dichter wollte ihnen ein Geschenk für ihr ganzes Leben machen und hat aus seinem eigenen sehr vieles angebracht, viel von seinem Streben und Ringen, Kämpfen und Dulden, was erst einem späteren Verständniß zugänglich werden konnte. Es sind sehr schwunghafte Lieder darin im Psalmenton, andere wieder voll Gedankentiefe, und wir meinen, daß einige davon überhaupt zu dem Besten gehören, was der Dichter geschaffen.

Wie anmuthig ist nicht das folgende Gedicht:

„Unter Blumen spielen
Gern die kleinen Kinder;
Blumen sind süß und schön;
Wie den Sonnenkindlein,

5
Wie den bunten Blumen

Soll den Kindern das Herzchen stehn.

Denn die Blumen heben
Gern die Liebesäugelein
Liebend zum Lichte auf;

10
Wann die Sonne sinket,

Sinken sie in Schlummer,
Stehn zugleich mit der Sonne auf.

Wißt, ihr kleinen Kinder:
Droben hoch auf Sternen

15
Blühen viel tausendmal

Tausend bunte Blumen,
Und die Englein winden
Kränze daraus im Himmelssaal.

Wenn die Kinder schlafen,

20
Hängen sie die Kränze

Ihnen am Bettchen auf,
Und in goldnen Träumen
Schließt der ganze Himmel
Sich mit Sternen und Blumen auf.“

Wie ganz anders aber greift der Dichter in die Saiten, wenn er seinen eigenen Gedanken und Träumen Gehör schenkt! Da stoßen wir auf Prachtstücke seiner Muse und zwei dieser Gedichte sind von keinen späteren übertroffen worden, was Gedankentiefe und schlagende Kraft des Ausdrucks betrifft. Das erste beginnt mit den Strophen:

„Traum ist das Leben,
Schatten von Träumen der Jugend Lust:
Wolken verschweben:
Also die Bilder der Menschenbrust;

5
Alles ist Wanken,

Sinken und Steigen;
Selbst die Gedanken,
Sterblicher, sind nicht dein eigen.

Doch willst du bauen,

10
Bauen auf das, was vergänglich ist;

Doch willst du trauen
Dem, was das Maß der Sekunde mißt:
Trug aus Betruge
Spinnen und weben,

15
Taumelnd im Fluge,

Eitler, das heißet dein Leben.“

Und die ersten Strophen des zweiten Gedichtes lauten:

„Träume der flüchtigen Minuten,
Wie auf Fluthen
Mondenschimmer wechselnd bebt,
Wie auf grünen Sommermatten

5
Licht und Schatten

Flüchtig durcheinander schwebt,

Also stürzt des Lebens Welle,
Nacht und Helle
Wechselnd, sich ins eig’ne Grab,

10
Und das Liebste, was wir hatten,

Flieht als Schatten
Mit zur Schattenwelt hinab.“

Auch die folgenden Strophen beider Gedichte halten sich ganz auf der Höhe der ersten. So helfen diese spät erblühten Blumen den Dichterkranz, welcher Arndts Stirn schmückt, anmuthig und bedeutsam vervollständigen.

Roh- und Kunsteis. Die Fabrikation von Kunsteis hat eine große Ausdehnung gewonnen; es wird wie jede andere Waare laut angepriesen, leider aber oft in einer Weise, die geeignet ist, Irrungen und Täuschungen im großen Publikum zu erwecken. Man weiß, daß im Roheis, welches Teichen und Kanälen entnommen wird, sich Bakterien und Bacillen vorfinden und daß diese durch die Kälte durchaus nicht zerstört werden. Das Roheis wird darum als gesundheitsschädlich verpönt und das Kunsteis als gesundes, bacillenfreies gepriesen. – Diese Verallgemeinerung der Werthschätzung des Eises ist durchaus irrig. Es giebt bacillenfreies Roheis ebenso gut wie es infiziertes Kunsteis giebt. Anton Heyroth hat z. B. im kaiserlichen Gesundheitsamte Kunsteisproben untersucht und darunter solche gefunden, die in einem Kubikcentimeter 528, 960, 1323 und selbst 1610 Keime enthielten. Auch Maschinenöl wurde in einer Probe vorgefunden. –

Es handelt sich bei der Beurtheilung des Eises vom hygienischen Standpunkte nicht darum, ob es künstlich in Apparaten oder in freier Natur erzeugt wurde, sondern lediglich darum, wie das Wasser beschaffen war, aus dem es hervorgegangen ist. Das Gletschereis wird sozusagen gesund sein, das Eis, welches künstlich aus dem Wasser eines mit Krankheitskeimen durchsetzten Brunnens gewonnen wird, ist gesundheitsschädlich und kann zum Träger einer Epidemie werden. Bacillenfrei ist eigentlich nur dasjenige Kunsteis, welches aus destillirtem Wasser hergestellt wird. Es giebt Eisanstalten, die ein derartiges Eis erzeugen, und nur diese dürfen mit Recht ihr Produkt in der oben angedeuteten Weise anpreisen. – Dies zur Klärung eines weitverbreiteten Irrthums! *




Kleiner Briefkasten.

D. in R. Nach den endgiltigen, vor kurzem veröffentlichten Ergebnissen der Volkszählung vom 1. Dezember 1885 betrug in Deutschland die Zahl der männlichen Einwohner 22 933 664, die der weiblichen 23 922 040. Es gab am 1. Dezember 1885 somit bei uns 988 376 weibliche Individuen mehr. Bis heute wird dieser Ueberschuß längst die volle Million erreicht haben. – Der Ueberschuß der Geburten gegenüber den Todesfällen betrug seit 1860 2 601 858 Personen, die thatsächliche Bevölkerungszunahme jedoch nur 1 621 643 Personen. Was ist mit den fehlenden 980 215 geschehen? Sie sind im Laufe der Jahre 1880 bis 1885 ausgewandert. –

F. B. in Eisleben. Als eingehendes populär-medicinisches Werk empfehlen wir Ihnen Bocks „Buch vom gesunden und kranken Menschen“, welches gegenwärtig in vierzehnter, reich illustrirter Auflage erscheint.

E. F. in St. Das jüngste der im Erscheinen begriffenen Konversationslexika ist die 7. Auflage des „alten Pierer“, herausgegeben von Professor Josef Kürschner (Verlag von W. Spemann, Berlin und Stuttgart). Kürzlich ist der Band, im Text bis „Bottrop“, in dem originellen „Universalsprachenlexikon“ bis „Conjuncion“ herabreichend, ausgegeben worden.

P. F. in R. Ihre Idee ist gut, aber nicht so neu, wie Sie glauben. Bereits vor einiger Zeit begann eine Agitation in süddeutschen Blättern – notabene von Damen ausgehend – gegen das lästige und für mangelhaft behaarte Herrenköpfe auch ungesunde Hutabnehmen zum Gruße. Man wies dort auf den hübschen, bei Damen ja hochbeliebten militärischen Gruß hin, und es fehlte auch nicht an sehr lebhafter Zustimmung von männlicher Seite. Die Schwierigkeit bleibt nur: Wer fängt zuerst an? Und wie versichern sich die Herren der Geneigtheit der Damen, den neuen Gruß als vollwichtig gelten zu lassen? Wenn Sie dafür einen Rath wissen, so bitte, theilen Sie uns denselben mit, für Weiterverbreitung wollen wir dann sorgen!

G. K. in Hamburg. Da Sie noch Anfänger im Schachspiel sind, empfehlen wir Ihnen das bei G. A. Gloeckner in Leipzig erschienene Werkchen „Der kleine Schachkönig“ von Hans Minckwitz. Sein Ziel „eine leichtfaßliche Anleitung zu rascher Erlernung der Schachspielkunst“ zu geben, hat der bekannte Schachautor darin erreicht. Das Werkchen zeigt in Anlage und Ausführung die kundige Hand des erfahrenen Meisters.


Für unsere Knaben und Mädchen empfohlen:
Deutsche Jugend.
Herausgegeben von Julius Lohmeyer.
Inhalt des eben erschienenen Heftes 5 (Preis des Heftes 40 Pf.):

Das versunkene Schiff. Von Elise Bake. Mit Illustr. v. C. W. Allers. – Die steinerne Spinnerin. Eine Sage. – „Marschall Davoust, die Ordre ist vollzogen!“ Ein Lied von braven Männern (16. Oktober 1806). Von Edwin Bormann. Mit Illustr. v. Richard Knötel. – Der Lähnentoni. Aus dem Leben eines Alpenführers. Mit Illustr. v. Math. Schmid. – Sprüche. Von O. Sutermeister. – Die Brüder Grimm. Von Julie Ludwig. Mit Illustr. v. C. W. Allers (Das Mannesalter). – Photographierahmen aus Strohhalmen gefertigt. Von Minna Laudien. – Knackmandeln, Räthsel etc.


Inhalt: Lore von Tollen. Roman von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 101. – Die Deutschen in Konstantinopel. S. 106. – Aus den Werkstätten des Vulkan. S. 108. Mit Illustrationen S. 101, 105, 108, 109, 110 und 111. – Ein geheilter Othello. Von F. Schifkorn. S. 112. – Getheilter Schmerz. Illustration S. 113. – Blätter und Blüthen: Dichterische Reliquien von Ernst Moritz Arndt. S. 115. – Roh- und Kunsteis. S. 116. – Kleiner Briefkasten. S. 116.


Unseren neu eingetretenen Abonnenten

theilen wir hierdurch mit, daß sie den letzten Jahrgang (1888) der „Gartenlaube“ vollständig geheftet bis auf Weiteres noch zum Abonnementspreise von 7 Mark oder in Originaldecke komplet gebunden zu 9 Mark beziehen können. Derselbe enthält unter Anderem die folgenden Novellen und Romane:

Das Eulenhaus. Von E. Marlitt, vollendet von W. Heimburg.

Deutsche Art, treu gewahrt. Von St. Keyser.

Josias. Erzählung von Fanny Lewald.

Die Alpenfee. Roman von E. Werner.

In der Schutzhütte. Novellenkranz von J. Proelß.

Die Todteninsel. Novelle von Richard Voß.

Außerdem bietet der Jahrgang 1888 eine Reihe kleinerer Erzählungen, eine große Zahl unterhaltender und belehrender Artikel und einen reichen Schatz vorzüglicher Illustrationen unserer ersten Künstler.

Von einzelnen älteren Jahrgängen der „Gartenlaube“ sind noch Exemplare zu dem ermäßigten Preise von nur 3 Mark für den vollständigen Jahrgang geheftet zu beziehen. Es sind dies die Jahrgänge 1858, 1868, 1872, 1875, 1877, 1879.

Zum Preise von 7 Mark geheftet, 9 Mark gebunden sind noch zu haben die Jahrgänge 1863, 1869, 1870, 1871, 1873, 1876, 1878, 1880, 1881, 1882, 1883, 1884, 1885, 1886, 1887.

Die übrigen Jahrgänge 1853, 1854, 1855, 1856, 1857, 1859, 1860, 1861, 1862, 1864, 1865, 1866, 1867, 1874, sind entweder ganz vergriffen oder nur noch antiquarisch zu erhöhtem Preise zu haben. Die meisten Buchhandlungen nehmen Bestellungen entgegen. Wo der Bezug auf Hindernisse stößt, wende man sich direkt an die unterzeichnete Verlagshandlung.

Leipzig, Februar 1889. Ernst Keil’s Nachfolger.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaklion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.