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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1886
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[869]

No. 50.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die beiden Schaumlöffel.
Eine Künstlergeschichte von Klara Biller.
(Schluß.)


Der Prinz und die Fee im Weihnachtsspiel.
Originalzeichnung von C. W. Allers.


Lucie und Oskar sind wieder bei dem Gespräch angelangt, das sie gestern im Atelier so hart an einander brachte.

„Wie ich Ihnen schon sagte,“ meint Lucie mit einem Anflug von Melancholie, „ist mein Leben sehr alltäglich. Was man so eigentlich ‚Glück‘ nennt, das kenne ich gar nicht. Zuweilen amüsire ich mich, das ist eben Alles! Hoffentlich finden Sie es nicht lächerlich, wenn man sich amüsirt?“

„Aber mein gnädiges Fräulein, wenn man sich mit siebzehn Jahren nicht einmal amüsiren wollte!“

(Er hat Recht – ich sage eigentlich, was ich gar nicht sagen will – er wird mich für recht albern halten!) „Sie langweilen sich natürlich nie, Herr Schaumlöffel … nie!“

„Ich habe keine Zeit dazu.“

„Und auch keine Ursache bei der reizenden Existenz, die Sie führen …“

„Ich? Diese Existenz würde Ihnen kaum neidenswerth erscheinen, sie ist sehr einförmig.“

Lucie erwidert darauf, ihn aufmerksam fixirend, mit leisem Vorwurf: „Trotz der ‚Blumen‘, mit denen sie durchflochten ist?“

„Blumen? …“

„Da ein Veilchen, dort eine Rose … oder eine von den schönen japanischen Nelken, die jetzt Mode sind und an denen man stolz vorübergeht …“

Oskar, der sie nicht versteht, sieht sie fragend an: „Was meinen Sie eigentlich?“

Sie senkt den Blick mit dem Gefühl, daß sie wieder zu weit gegangen ist.

„Ich meinte, daß Ihr Beruf … daß er Sie doch nicht ausschließlich beschäftigen kann.“

„Er hat mich fast ausschließlich erfüllt, bis vor wenigen Tagen …“

„Und jetzt – nicht mehr?“

„Ich will ganz offen sein – ja, jetzt erst ist mir klar geworden, daß …“

Lucie sieht ihn forschend an.

„Sie will mir ein Geständniß ablocken, um mich zu demüthigen!“ denkt er und sucht sich zu fassen. „Es ist mir klar geworden, daß, wer nur seinen eigenen Interessen – das ist, seinem Beruf [870] nachgeht, in der Welt zu leben verlernt, ein Egoist wird und unfähig …“

„Andere glücklich zu machen,“ fällt sie schnell und etwas muthwillig ein, denn sie hat begriffen, weßhalb er stockt, „was, wie Sie gestern behaupteten, noch schwerer ist, als ein Bild malen oder gelehrte Dinge studiren. Darum schlägt ein solcher Egoist armen kleinen Ausländerinnen auch ab, ihnen Unterricht zu geben – darum er hält ihnen Strafpredigten, ehe er noch weiß, ob sie verdient sind! Darum ist er grausam!“

Halb muthwillig, halb vorwurfsvoll sieht sie ihn dabei von unten herauf an. Der Blick verwirrt ihn … wäre es doch möglich? Sein Herz pocht zum Zerspringen.

„Ich grausam gegen Sie … gegen Sie! …“

Lucie findet nicht nöthig, ihm noch eine weitere Aufklärung zu geben. „Ich gefalle ihm sicher!“ denkt sie – „ich merke es ja, wenn er mich ansieht. Warum er nur so zurückhaltend ist? Ich habe doch immer gehört, daß Künstler gar nicht schüchtern wären. Ich wollte, Mama forderte ihn nicht auf, mich zu zeichnen. Ich bin sicher, ich werde roth dabei, und das ist peinlich … Mama – Ihr kommt ja gar nicht nach!“ ruft sie, sich umwendend. „Sieh doch diese reizende Partie hier am Wasser … dort der Tempel, wie schön beleuchtet! Wollen wir nicht etwas Kahn fahren?“

„Dieser Ort ist angenehm, um auszuruhen,“ entgegnet Frau Dunby, sich auf einer Bank niederlassend, welche einen dicken Lindenstamm umschließt. „Wie wäre es, Herr Schaumlöffel, wenn Sie hier das Album öffneten? … Sie sollen es nicht umsonst getragen haben.“

„Lieber Kahn fahren, Mama!“

„Nein, Du bist viel zu erhitzt, um auf dem Wasser zu fahren. Still sitzen wird Dir gut thun.“

„Da sind Leute; sie werden zusehen, wenn ich gezeichnet werde!“ ruft Lucie abwehrend.

Aber Oskar will sich den Vortheil nicht entgehen lassen; zum ersten Mal ist ihm der wahre Nutzen seiner Zeichenstudien klar geworden. Er spitzt bereits den Bleistift mit sichtbarem Eifer. Mama Dunby zupft an Luciens ganzem Anzug herum, als sollte sie en pied gemalt werden. Diese setzt sich auf eine gegenüberstehende Bank, steif, verstimmt.

„So geht das nicht – so habe ich die Sonne im Gesicht!“ ruft Oskar, der sich in einer kleinen Entfernung von ihr auf der Erde niedergelassen hat.

„Warum gehen Sie nicht auf die andere Seite?“ bemerkt das Modell.

„Richtig!“ Oskar, dem jetzt doch zu Muthe ist, als sollte er hingerichtet werden, verändert seinen Platz.

Papa und Mama Dunby haben sich unmittelbar hinter ihm aufgestellt. Lucie ist außer sich, daß sie als „Profilmodell“ keine Gelegenheit hat zu sehen, wie ein großer Künstler eine kleine Bleistiftzeichnung beginnt.

„Da sollte doch … wenn ich für diese Amerikaner nicht ein kleines Profil zu Stande brächte, wie jeder andere zeichnende Dilettant!“ sagt Oskar sich vor. „Es muß gehen! Ich will an das reizende Modell nicht denken – nur zeichnen … zeichnen, als hätte mich mein Lebtag nichts Anderes interessirt … Kein Gummi! – Da muß ich doppelt aufpassen!“

„Wie so ein Künstler das gleich anfängt! Der erste Strich und es scheint mir, ich sehe schon die Ähnlichkeit …“ lobt Dunby.

„Ein bloßer Strich – und ähnlich? Dann muß ich wie ein Stock aussehen!“

„Still – bewege Dich nicht! Mehr links … nein, das ist zu viel!“ ermähnt Frau Dunby, welche die Sitzung überwacht, als sollte sie ein Protokoll darüber aufnehmen.

„Ganz die Nase – der kleine Bug – akkurat!“ ruft der gefällige Papa. „Aber finden Sie nicht, Herr Schaumlöffel, daß Luciens Oberlippe ein klein wenig kürzer ist? Ich finde, ihr Mund ist die hübscheste Partie in ihrem Gesicht.“

„Ganz recht – sehr wahr!“ pflichtet Oskar träumerisch bei; es sind ihm bei der Betrachtung dieses reizenden Mundes eben Gedanken gekommen, die mit der Zeichnung nichts zu thun haben; er bemüht sich sie zu verscheuchen, drückt dabei den Bleistift zu hart auf und bricht die Spitze ab.

„Zieh die Achseln nicht in die Höhe – Herr Schaumlöffel macht Dir sonst einen Buckel!“

Lucie zieht sie noch etwas höher. Papa Dunby lacht: Oskar attackirt mit der neuen Spitze die langgeschwungenen Augenwimpern; er giebt an der Länge noch etwas zu.

„Es ist ein charmantes Bildchen! Wir werden es einrahmen lassen!“ ruft der entzückte Vater.

Oskar ist selbst erstaunt; die Aufregung hat ihm einen gewissen Schwung verliehen; es ist nicht gerade die Lucie, wie sein Vetter sie koncipirt hätte, aber immerhin eine niedliche Zeichnung, geeignet in einem Salon-Album zu paradiren.

„Jetzt hältst Du Dich ganz schief …“

„Wenn Ihr mich Alle anseht, so sitze ich nicht länger! Geh’ doch mit Papa spazieren!“ ruft Lucie aufspringend und auf Oskar zueilend, „ich will die Zeichnung jetzt ansehen.“

Oskar hat nach Dilettantenart das Buch schnell zugeklappt: „Erst wenn ich sie beendet habe, mein Fräulein!“ Er fürchtet Luciens Urtheil, die ihn verwundert anblickt.

„Wie wäre es, Karoline,“ sagt Mr. Dunby, seiner Frau den Arm bietend, „wenn wir unterdeß das Rokokoschlößchen in Augenschein nähmen, das sich hier ganz in der Nähe befinden muß?“ Er hat in seinem Handbuch kurz vorher den Plan studirt.

Frau Dunby ist nicht sehr geneigt, aber der Wunsch, die Zeichnung zu besitzen, macht sie nachgiebig. „Ich will nur Lucie vorher wieder in ihrer Stellung sehen …“ ruft sie; Lucie ist schon auf ihren Platz zurückgekehrt.

„Sieh’ nur – wie er sie ordentlich mit den Augen verschlingt!“ flüstert Frau Dunby ihrem Gatteu zu; sie hat sich in einer kleinen Entfernung noch einmal nach Maler und Modell umgedreht.

„Wie kann er sie denn zeichnen, wenn er sie nicht ansieht!“ entgegnet er, die Frau mit sich fortziehend.

Lucie bereut jetzt fast, die Eltern fortgeschickt zu haben; die Stille beängstet sie nun. Auch die Fremden, welche vorhin auf einer der benachbarten Bänke ausruhten, sind weiter gegangen. Es ist ihr auf einmal, als ob sie des Zeichnenden Auge auf sich ruhen fühle.

„Woran arbeiten Sie jetzt?“ fragte sie, ihre Verlegenheit zu verbergen.

„An den Haaren,“ antwortet der arme Künstler, der es nicht mehr wagt, die Profillinie zu berühren, aus Furcht, sie zu verderben.

„Werden Sie schattiren?“

„Nein. Aber wenn Sie mir ein ander Mal … im Atelier … etwas mehr Zeit geben wollten …“

„Wie lange etwa?“ Dabei hat sie sich umgewandt und ist seinem sehnsüchtigen Auge begegnet. Sie ist tief erröthet. Er muß es bemerkt haben – die Situation wird unerträglich.

„Sie sind müde!“ ruft er, um sie zu erlösen, „es ist auch nicht anders möglich! Der Hals muß Ihnen ja weh thun …“

„Kann ich die Zeichnung jetzt sehen?“

„Gewiß!“

Es ist ihm gleichgültig, was sie darüber denkt; er ist ja kein Maler. Er ist aufgesprungen und hat sich neben sie auf die Bank gesetzt. Ihre Brust fängt an sich schneller zu heben und zu senken …

„Ich konnte auch nicht länger zeichnen,“ ruft er mit halberstickter Stimme und reicht ihr das Album. Sie nimmt es mit zitternder Hand und schaut schweigend auf den einfachen Schattenriß nieder. Wie muß er mich lieben, denkt sie, daß er es nicht besser gemacht hat! …

Er aber ist nur von ihrer Nähe erfüllt. Schweigend legt er seine Hand auf die kleinen bebenden Finger, welche das Buch halten. Sie wendet sich etwas ab … „Dort setzen sich eben zwei Herren auf die nächste Bank und sehen herüber …“ flüstert sie.

„Meinetwegen,“ ruft Oskar. Er möchte ihr so gern sagen: ich habe Dich lieb – über Alles lieb! Aber das starke Gefühl benimmt ihm fast den Athem – die Worte wollen ihm nicht gehorchen … er ist so ungeübt in den landläufigen Ausdrücken der Liebe – ihn macht sie stumm.

Lucie aber sitzt neben ihm, halb selig, halb schmerzbeklommen. Warum spricht er nicht? denkt sie. Er muß es doch merken, daß ich ihn gern habe! Und daß er mich lieb hat, das fühle ich doch auch … Die Stille wird ihr unerträglich … „Da kommt die Mama!“ ruft sie wie erleichtert, sobald sie diese erblickt, und [871] springt auf. Halb unbewußt hat sie dabei den Druck seiner Hand leicht erwidert.

Ich muß mich sehr zusammennehmen – Mama wird ohnedies an der Zeichnung merken, wie die Sache steht! denkt Lucie, während sie den Eltern entgegenläuft. Etwas langsamer folgt Oskar.

„Nun – wie ist das Portrait ausgefallen?“ fragt der Papa.

„Ich habe schlecht gesessen,“ berichtet Lucie und bemüht sich, so unbefangen wie möglich zu scheinen. „Die Herren dort haben mich durch die Lorgnette betrachtet, da wollte ich nicht länger still sitzen und habe mich bewegt … Herr Schaumlöffel wird die Zeichnung im Atelier fertig machen.“

Papa ist trotzdem entzückt. Mama, Kunstwerken gegenüber von Natur etwas skeptisch, zeigt sich mäßiger im Lobe, obwohl sie – entgegen der Befürchtung Luciens – aus den Mängeln des Machwerks nicht auf die Liebe des Malers schließt.

Man promenirt noch etwas und nimmt dann das vorherbestellte Abendbrot beim „Kalkulator“ ein, ehe man zur Heimfahrt in den Wagen steigt.

Oskar ist sehr niedergeschlagen Das Glück ist heut dicht an ihm vorübergegangen, und er hat nicht verstanden, es festzuhalten. Es giebt solche Ungeschickte! Es wird nicht wiederkehren! Er hat die einzige Gelegenheit versäumt, Lucie zu gestehen, daß er sie liebt … Ach, diese Aussprache schon wäre für seine starke Leidenschaft eine Erleichterung geworden. Sie sieht, daß ich sie liebe, merkt es an jedem Athemzuge – und ich bleibe stumm! … Was muß sie denken? Sie kann doch nicht anfangen!

Bei dieser Gemüthsverfassung ist er natürlich als Gesellschafter wenig interessant, und selbst die Phylloxera und Hygiene des Feldes vermögen ihn nicht fortzureißen.

Lucie dagegen wird immer ruhiger, immer zuversichtlicher. Sie ist seiner tiefen Liebe diesen Nachmittag sicher geworden, wenn er auch die Worte nicht gefunden, sie auszusprechen, die langweiligen Worte, von denen die Lippen der unbedeutenden Anbeter, die sie zu Dutzenden kennen gelernt hat, so schnell überflossen. Die Ahnung von einem großen Glück, das in der Hingabe des eigenen Selbst an einen Andern besteht, fängt an ihr klar zu werden. Es ist ihr auf einmal ganz fromm zu Muthe, als jetzt der Mond aufgeht, und es stört sie, daß Vater und Mutter so laut von gleichgültigen Dingen mit dem Maler reden, der ihr gehört … ja ihr! Denn er wird sich doch endlich überzeugen, daß man nicht nur ohne Worte liebt! Er wird doch endlich einsehen, daß ich ihn glücklich machen möchte … und daß, wenn ich’s auch noch nicht verstehe, ich’s doch lernen kann, wenn er mich unterweist!

*               *
*

Den nächsten Morgen hat Mr. Dunby zu einem Besuch beim amerikanischen Konsul bestimmt. Lucie soll bei der Mutter im Hôtel bleiben, welche Briefe zu schreiben hat. Sie, Lucie, hätte gern, wie Schaumlöffel vorschlug, mit diesem und der Mutter einen Gang durch die Kirchen Münchens gemacht. Diesmal aber hat Mr. Dunby, unterstützt von seiner Frau, Luciens Wunsch nicht nachgegeben. Er fand, daß das junge Ding vor Allem sich auch sammeln müsse. Sie sollte den Maler nicht jeden Tag sehen, sondern dazwischen Athem schöpfen. Unterdeß wollte er weitere Erkundigungen über ihn einziehen: man konnte wirklich nicht bedachtsam genug in der Sache vorgehen.

Der Konsul, von dem er über Schaumlöffel nur Gutes hört und daß er auf Freiersfüßen gehe (was tausend denkt Dunby, sind die Spürnasen auch schon hinterher!) – ladet ihn und seine Damen für den Nachmittag in seine reizende Besitzung in der Vorstadt ein. Einmal in der Woche sammelt sich während der schönen Jahreszeit die amerikanische Kolonie, in seinen Parkanlagen zum Lawn-Tennis-Spiel. Es trifft sich, daß Dunby seinen Besuch gerade an diesem Tage gemacht hat. Mr. Dunby nimmt die Einladung für Frau und Tochter an, lehnt aber für sich selber ab. Er hat am Morgen im Hôtel unerwartet einen Bekannten aus New-York getroffen, mit dem er sich vorgenommen, die Münchener Bierkeller – namentlich den des Schaumlöffel’schen Bildes – in Augenschein zu nehmen.

Lucie fügt sich allen Anordnungen recht geduldig. Sie kommt der Mama – unerhört! – bei der Wahl des Anzugs entgegen. Mama muß ihn bestimmen. Sie hat auch ein paar Briefe an unliebsame Verwandte geschrieben, was sie vorgestern noch verweigerte.

„Das Kind ist überhaupt ein Engel, wenn man sie richtig zu nehmen weiß! Und vielleicht ist Schaumlöffel gerade der Mann, der das versteht!“ ruft der entzückte Papa.

„Sie hat sich in ihn verliebt, weil er ihr keine Artigkeiten sagt, wie die Andern, was sie langweilt,“ bemerkt Mama. „Wer weiß, ob er sie nicht sitzen läßt! Ehe der einmal zum Aussprechen kommt, hat’s gute Weile … Er wird sich auf den Anfang besinnen, bis wir uns wieder eingeschifft haben!“

„Was doch nur ein Beweis für die Ehrenhaftigkeit seines Charakters ist.“

„Was mir nur ein Beweis ist, daß er sich vielleicht für zu vornehm hält, Lucie zur Frau zu nehmen … Still! Hier giebt’s nichts zu entschuldigen! Ich meine, einem Mädchen wie Lucie gegenüber braucht man nicht den Herablassenden zu spielen. Bei Lucie kann’s Einer wohl darauf ankommen lassen, ob sie ihn will, und nicht umgekehrt thun, als sei es eine besondere Gnade, wenn er sie auserwählt.“

Mr. Dunby greift nach seinem Hut; er hatte in dieser Sache gethan, was er für seine Pflicht hielt – er wollte sie heut ruhen lassen; morgen war wieder ein Tag, wo man zusehen konnte.

Die Inspicirung der Keller von München erfordert – bei den Männern wenigstens – meist mehr Zeit, als der Besuch der Münchener Kirchen. Dunby kam ziemlich spät vom Hofbräu zurück und war erstaunt, seine Frau noch auf zu finden, was bei ähnlichen Gelegenheiten sonst nicht der Fall war. Sie schien in einem Zustand höchster Erregung. Seine erste Frage war deßhalb nach Lucie. Was konnte Vater oder Mutter Dunby auf dieser Welt auch aus dem gewohnten Geleise bringen, außer einer Sorge, die mit diesem lieben Kinde zusammenhing!

„Lucie ist auf ihrem Zimmer.“

„Leidend?“

„Wahrscheinlich – obwohl …“

„Um Himmelswillen, hast Du nach dem Arzt geschickt? Du bist nicht bei ihr? …“ Er wollte nach der Thür …

„Geh’ nicht! Sie hat kein Fieber …“

„So sprich nur endlich, Karoline! Es ist um rasend zu werden! – Was giebt’s denn, Du hast ja eine Jammermiene?“

„Schaumlöffel hat sich verlobt …“

„Mit Lucie? heimlich …“

„Mit einem Fräulein – was weiß ich oder wird sich morgen verloben … diese Schmach!“

Dunby sinkt auf einen Stuhl. „Und Lucie?“ stöhnte er – „Lucie?“

„Sie glaubt es einfach nicht! Sobald wir nach Hause kamen, nahm ich sie natürlich vor: hat er sich gegen Dich erklärt? – Nein! – Nun, so kann er sich gegen die Andere ja erklärt haben … Nein! – Ach, diese unselige Reise – es ist um schwarz zu werden!“

„Karoline – wenn Lucie nun aber Recht hätte …“

„Bringe mich nicht noch mehr auf! Du hast Dich ja auch hinters Licht führen lassen. Schöne ‚erste Liebe‘! Wahrscheinlich ist er ein Don Juan wie alle Maler. Um Eine hält er an, während er der Zweiten die Kour macht – wer weiß, was mit der Dritten passirt!“

„Unmöglich! Er hing ja gestern nur an ihren Blicken …“

„Vielleicht that’s ihm gestern leid, wo Lucie so besonders hübsch aussah, daß er sich mit der Andern schon so weit eingelassen hatte. Aus den Augen, aus dem Sinn!“

„Verzeih, Karoline – Du bist sehr klug, aber Du bist doch nicht unfehlbar … Wenn es nun bloßes Geschwätz wäre? Man hat vielleicht gehört, Lucie gefiele ihm. Nun will man sie eifersüchtig machen – Neid. vielleicht.“

„Liebes Kind – Mrs. Cartwright, welche die Geschichte erzählte, hat keine Tochter; also war sie nicht interessirt. Sie sprach ganz positiv. ‚Wenn Schaumlöffel nicht schon früher nach‘ … ich vergesse, wie der Ort heißt, in der Nähe hier … ‚gegangen ist,‘ sagte sie, ‚so geht er sicher heut hin. Dort ist die Betreffende bei Verwandten; da wird die Verlobung gefeiert.‘ Natürlich ließ ich mir nichts merken und fragte dann nur so unter der Hand, ob’s außer dem berühmten Schaumlöffel vielleicht noch einen andern Schaumlöffel gebe – einen Bruder? – Nein.“

[872] „Und gestern schlug er noch vor, die Kirchen heut mit Euch anzusehen!“

„Spiegelfechterei!“

Dunby blickte finster vor sich hin. Die gemüthliche Stimmung, die er aus dem Hofbräu mitgebracht, war ins Gegentheil umgeschlagen.

Selbstverständlich waren beide Eltern höchst gespannt, wie sie Lucie am nächsten Morgen finden würden. Merkwürdig – sie hatte keine verweinten Augen. Sie sah wohl ein Bischen blaß aus, aber durchaus nicht verzweifelt – eher verklärt.

„Geliebtes Kind,“ sagt die Mama (etwas feierlich, was bei Lucie stets die Wirkung verfehlt), „es ist natürlich, daß Du bei Deiner Jugend und Unerfahrenheit Dir den schönen Glauben an die Menschheit noch bewahrt hast … Ich will ihn Dir im Allgemeinen auch nicht zerstören, aber es giebt Ausnahmen – unter den Künstlern namentlich! – wo man nicht für bare Münze nehmen darf, was versichert wird.“

Lucie, welche ihrer Mutter gegenübersteht, faltet die Hände und sieht ruhig zu ihr auf, was diese etwas aus der Fassung bringt.

„Deine Leichtgläubigkeit wird Dir noch schmerzliche Erfahrungen bereiten … Papa und ich haben uns schon Vorwürfe gemacht, in einer Sache … in einer sehr delikaten Sache …“

Um Luciens Mund zuckt’s; ihr Ausdruck wird etwas muthwillig.

„Lucie, ist es denn unmöglich, über eine so wichtige Angelegenheit ernst mit Dir zu reden?“

„Du hältst mir eine kleine Predigt, Mama, und ich höre zu.“

Mama schweigt entrüstet. Papa bewundert Lucie und bemüht sich, es nicht zu zeigen.

Nach einer Pause fängt Mama noch einmal an:

„Sage einmal, Lucie – denn schließlich müssen wir es doch erfahren – liebst Du den Maler?“

Jetzt wird Lucie sehr roth und sieht ernsthaft zu Boden.

„Du weißt, daß er sich mit einer Andern verlobt hat!“

Lucie schüttelt energisch den Kopf.

„Du hast es doch selbst gehört!“

„Ich glaube es nicht!“

„Weil er Dich gestern schmachtend angesehen hat?“

„Mama! …“

„Quäle sie doch nicht, Karoline!“

„Ist es nicht meine Pflicht, sie zu warnen? Lucie – es ist mir leid, es sagen zu müssen: Künstler sind eben Menschen, die man nicht ernsthaft nehmen darf … Man überschätzt sie heutigen Tages sehr. Das hat sie übermüthig gemacht und frivol …“

„Mama,“ sagt Lucie sehr ernst und fest, „thu’ mir den einzigen Gefallen und sage nichts gegen diesen Maler, bis Du es auch beweisen kannst … Ich halte zu ihm, es wird sich schon zeigen, daß er …“ hier ist ihre Fassung zu Ende; sie läuft in ihr Zimmer und schließt die Thür hinter sich ab.

Beide Eltern stehen sich eine Weile sprachlos gegenüber.

„Sie liebt ihn! Das ist ja klar … diese Energie!“ sagt bewundernd der Vater.

„Wir werden noch hübsche Tänze mit ihr haben! Das kommt von Deiner Verwöhnung!“ sagt die Mutter, welche nicht bewundert.

„So halt’ ich’s nicht länger aus! Ich gehe zu Schaumlöffel – in die Wohnung wenigstens. Weißt Du – mir kommt eine Idee – vielleicht hat sich sein Vetter verlobt, der junge Mann, den ich zuerst dort traf.“

„Nein! Der Maler ist’s, der heirathet; der Maler vom ,Sommerabend‘ und all dem Zeug!“

Dunby ist plötzlich ein anderer Gedanke gekommen – ohne weitere Erörterungen ist er fortgestürzt.

*               *
*

Oskar hat das Album mit nach Hause genommen und die kleine Zeichnung von Lucie vollends verdorben. Es war vorauszusehen, daß er sie nicht in Ruhe lassen würde, da sie dem Original wenig entsprach. Ebenso war vorauszusehen, daß er sie in seiner Gemüthsstimmnng und bei geringer Begabung nicht verbessern würde. Heute hat er nichts gefrühstückt. Fritz ist mit seiner Bemühung, ihm Angenehmes von der kleinen „Miß“ zu erzählen, gestern so schlecht angekommen, daß er sich heute nicht getraut, sie nur zu erwähnen. Fritz fängt jetzt an, die Rückkehr seines Herrn sehr zu wünschen.

„Als frischgebackener Bräutigam,“ denkt er, „wird mein Herr das Malheur mit der Fayence sich vielleicht gar nicht so zu Gemüth nehmen!“ Selbstverständlich ist für Fritz die Verlobungsgeschichte keine Neuigkeit. Er kennt ja längst das Bild von dem blonden Mädchen, und die „Abgötterei“, die Paul damit trieb, war ihm nicht verborgen.

„Heiliger Antoni – das muß schon wieder der Amerikaner sein! – Das ist sein Gebimmel!“ fährt er plötzlich auf; die Klingel wirbelt ordentlich.

„Ist Ihr Herr verreist?“

„Ja – das heißt: nein – er ist oben!“

Diesmal fragt Dunby nicht erst, ob man ihn auch annehmen wolle. Er folgt dem Diener auf dem Fuß.

Ja – da steht der Maler …

„Sind also nicht zu Ihrer Braut gereist,“ stößt Dunby etwas heftig hervor. „Ich hörte gestern als gewiß, Sie wollten sich verloben …“

„Ich? … O mein Gott!“ schreit Oskar plötzlich auf. „Sie haben mich für den Maler gehalten!“ – Mit einem Male ist ihm die ganze höllische Verwechslung klar geworden. Wie vernichtet bricht er zusammen.

„Sie … sind … nicht … der Maler Schaumlöffel?“

Selbst Dunby hat die Farbe gewechselt.

„Das ist Luciens Tod!“ denkt er, und das macht ihn ungerecht. „Sie haben uns betrogen!“ stöhnt er. „Mein Kind liebt Sie … natürlich Sie – das heißt, den großen Mann, für den das arme Geschöpf Sie hielt!“

„Ich habe mich nie für einen Andern ausgegeben … und wenn mein Vetter, der Maler, in so schändlicher Weise sein Spiel mit mir getrieben, so soll er’s büßen! … Darum also! Darum hatte sie mich gern! Und ohne den ungeheuren Betrug auch nur zu ahnen, habe ich ihn mit durchführen helfen!“

„Verzeihen Sie!“ ruft der Amerikaner, dieser aufrichtigen Verzweiflung gegenüber selbst erschüttert. „Daß Sie unschuldig sind, das sehe ich ja! So sind Sie eigentlich gar kein Maler?“ (Hat Karoline nicht einen Blick für Alles! Erstaunlich!)

Oskar zuckt die Achseln.

„Natürlich – ich hätte bei Ihren Kenntnissen in den Naturwissenschaften nicht in Zweifel sein dürfen – aber Ihr Vetter stellte Alles so natürlich dar … und von einer falschen Voraussetzung einmal ausgehend, die durchaus glaubwürdig war, ließ man sich bethören. Ihr Vetter sagte, die Chemie sei nur ein augenblickliches Steckenpferd … Sie wären der Malerei jetzt etwas müde … Wir sollten mit Ihnen nicht davon reden.“

„Mein Vetter muß sofort zurück, um mir Rechenschaft zu geben!“

„Aber er verlobt sich ja heut?“

„Gleichviel – er ist das meiner Ehre schuldig!“

„Ihre Ehre ist rein, mein werther Herr Schaumlöffel – und wenn Lucie dächte wie ich … Hier, meine Hand – ich schätze Sie nicht weniger, wenn Sie auch kein Maler sind!“

Oskar’s Gram wird freilich dadurch nicht sehr gemindert. Die Achtung ihres Vaters ist eine schöne Sache, aber kein Ersatz für Luciens Liebe – er ringt in bitterer Pein die Hände. War das Schicksal nicht zu grausam mit ihm umgegangen? Nun hat das Auge eines reizenden Mädchens einmal mit Interesse auf ihm geruht, aber das Interesse galt einem falschen Namen, einer Maske, die sein boshafter Vetter ihm übergeworfen!

„Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß Lucie denkt wie ich,“ fängt der gutmüthige Amerikaner wieder an, welcher den Schwergebeugten gern etwas aufrichten möchte. „Es ist auf Frauen nur leider kein rechter Verlaß –“

Oskar hat auch nicht die geringste Hoffnung. Er will seinen Vetter nur herbeirufen, damit dieser seine Ehre bei Lucie wieder herstellt. Ohne diese wiederzusehen, will er dann fort. Gleichviel wohin! Sein Leben ist nun wirklich gebrochen.

Er sendet Fritz – keine Ursache, diesem etwas zu verbergen, der in dem widrigen Spiel selbst eine Rolle übernommen hatte – mit ein paar Worten an die nächste Telegraphenstation:

„Komm sofort und verantworte Dich!“

„Mein Vetter wird in höchstens drei Stunden hier sein,“ sagt er, nach der Uhr sehend, dem Amerikaner.

[873]

Eine verfängliche Frage.
Nach dem Oelgemälde von Mathias Schmid.

[874] „Wie wäre es,“ meint dieser, „wenn Sie mich bis dahin nach irgend einem Keller begleiteten?“

„Wie können Sie daran denken!“ ruft Oskar. „Ihre Tochter wird mich verachten – und ich soll mich zerstreuen! Sie wird ja nicht begreifen, daß ich die Sache nicht von Anfang an durchschaute! Vom ersten Abend an hätte ich ja darauf kommen müssen, daß Miß Dunby mich für einen Andern hielt!“

„Nicht für einen Bessern in meiner Schätzung, mein verehrter junger Freund! Die Sache war so listig von Ihrem Vetter ersonnen … Sie malen auch; wir sind hier fremd; es kam Alles zusammen!“

„Er soll mir’s büßen! Deßhalb sollte ich Ihnen auch verschweigen, daß ich in Amerika gewesen bin …“

„Sie waren drüben?“

„Jahrelang.“

Dunby schüttelte ihm herzlich die Hand. „Gehen Sie mit mir wieder zurück. Geben Sie Acht – Sie bringen’s in Amerika mit ein Bischen Nachhilfe gerade so weit auf einem andern Felde, wie Ihr Vetter hier zu Lande! … (Armer Mensch, wie ihn das mitnimmt! denkt er, wenn er in das gramgebeugte Gesicht Oskar’s blickt, der wie in großer Angst die Hände manchmal in einander preßt.) Wissen Sie, diese Geschichte muß Ihr Vetter meinen Damen selbst erzählen. Offen gestanden, ich getraue mich kaum. Wenn Sie mich nicht hinauswerfen, denke ich, es ist am besten, wir bleiben zusammen, bis der Maler kommt.“

Oskar drückt ihm stillschweigend die Hand.

„Netter Mensch sonst, so durchtrieben er ist, dieser Maler,“ sagt Dunby, der es für seine Pflicht hält, von Zeit zu Zeit eine Bemerkung zu machen. „Soll mich wundern, wie er sich anstellen wird, wenn er sieht, was aus dem Scherz geworden ist.“

Natürlich erfährt Oskar auch durch Dunby, was man gestern beim amerikanischen Konsul erzählte. Was ihn allein interessirt, ist Luciens Auffassung von der Sache.

Die drei Stunden sind noch nicht abgelaufen, als der Maler hereinstürzt – der echte diesmal.

„Was hab’ ich – ach, was hab’ ich da angerichtet!“ ruft er schuldbewußt, als er seinen Vetter sieht, und will auf ihn zu. Dieser stößt ihn heftig von sich:

„Du hast nicht allein Gram, Du hast Schande auf mich gehäuft! Du hast mich zu einem Betrüger gemacht!“

„Du armer, lieber Junge!“ ruft Paul in seinem alten herzlichen Ton, „alle Schuld trifft ja nur mich! Ich sagte es Ihnen ja neulich schon,“ fuhr er, zu dem Amerikaner gewendet, fort, „was für lose Bursche unter uns Malern stecken – da haben Sie einen vor sich! Häufen Sie all Ihren Zorn auf mich, wenn Sie welchen haben! Dieser da ist der edelste, beste und klügste Mensch unter der Sonne! Es versteht sich, daß ich zu jeder Satisfaktion bereit bin, obgleich ich nicht leugnen kann, daß es mir sehr unangenehm wäre, todtgeschossen oder -gestochen zu werden! Ein kleines blondes Mädchen würde die Sache nicht leicht nehmen!“

Der Amerikaner läßt sich nicht lange bitten, seine Rechte in die von Paul zu legen, der sie herzlich schüttelt.

„Die Sache ist nur die,“ sagt Dunby, „es muß ja doch heraus, daß meine Tochter und der vermeintliche Maler dort unter der Zeit gut Freund geworden sind … Frauen, sehen Sie, da kann Einer alt werden und lernt sie nicht aus – und so kann ich eben nicht dafür stehen, wie meine Tochter die Sache auffassen wird, wenn sie von dem Irrthum erfährt.“

„Mein lieber Mister Dunby,“ entgegnet Paul, diesmal ziemlich ernst, „für eine richtige Frau kann man allemal einstehen – die hängt am Mann und nicht am Namen. Wenn Ihre Tochter meinen Vetter liebt, der zehnmal mehr werth ist als ich, so wird sie ihn weiter lieb haben. Hat sie sich aber nur in einen Malpinsel verschossen, so lassen wir sie laufen – dann ist sie meines Oskar’s gar nicht Werth, und er muß froh sein, daß er sie wieder los wird! Aber wir wollen nichts Uebles von ihr reden, eh’ wir sie gefragt haben. Wo steckt sie denn?“

Also entschied Paul in seiner freimüthigen Art, und nun bemächtigte er sich, trotz allen Widerstrebens, einer von Oskar’s Händen, die er mit einer Innigkeit drückte, als ob’s der Mietze Hand wäre. Nein, noch etwas mehr, denn der Mietze kleine Patschhand hätte das gar nicht ausgehalten.

„Und jetzt zu Ihrer Tochter! Nur nicht den Kopf hängen lassen, eh’s nothwendig ist, mein lieber, alter Junge! – Sie stellen mich doch Ihren Damen vor, Mister Dunby?“ sagt er, diesen unter den Arm fassend. –

Mutter und Tochter sind Beide im Zimmer, als der Amerikaner mit Paul eintritt.

„Da … hier, das ist der echte Schaumlöffel … welcher –“ beginnt Dunby etwas stockend.

„Erlauben Sie, daß ich mich selbst einführe,“ unterbricht Paul, auf Lucie zugehend, die ihm, trotz der Mietze, gleich sehr gut gefällt – „nicht als der echte, denn wenn in einem der beiden Schaumlöffel etwas Unechtes steckt, dann wahrlich eher in mir, als in dem andern! – Mein Fräulein, als ich neulich in meinem Atelier die Bekanntschaft Ihres Herrn Vaters machte, da hatte der Gedanke an ein liebes und schönes Mädchen, mit dem Sie zweifellos bald Freundschaft schließen werden, mich etwas toll gemacht. Die Liebe wirkt auf Künstler mitunter noch berauschender als auf andere Menschen. Als Ihr Herr Vater mir damals anvertraute, seine Tochter wünsche Unterricht bei mir zu nehmen, da erschrak ich – ich kannte Sie ja nicht! … Eine schlimme Idee kam mir plötzlich, meinen Vetter, der ja auch Studien auf der Akademie gemacht hat, an meine Stelle zu schieben … Wenn ich damit meines Vetters Lebensglück – der Sie liebt, wie ein echter, tüchtiger Mann eine Frau nur zu lieben vermag, vernichtet habe – so giebt’s, trotz meiner Braut, auch für mich keine Lebensfreude mehr. Denn dann wird ein loser Streich, den ich verübt, zur schweren Schuld. Wenn aber, was Gott fügen möge, für meinen Oskar Glück daraus erblüht …“ er faßt nach Luciens Hand, seine Stimme klingt bewegt.

„Nun, Lucie – was willst Du thun?“ fragt der Vater.

„Ich – ich möchte Oskar glücklich machen … aber er wird ja gar nicht glauben, daß ich’s kann …“ flüstert sie ganz leise mit gesenkten Augen.

Aber sie hat die Worte noch kaum zu Ende gesprochen, als Paul sie ans Herz zieht und zum Erstaunen der Eltern lange und herzhaft küßt. Er ist in dem Augenblick so selig, daß er Jemand umarmen muß.

Möglich, daß er sogar die alte Dunby geküßt, wenn sie ihn, am nächsten gestanden Hütte; was freilich nun unentschieden bleibt.

Der hat den gewissen Lirum Larum – das ist ein echter Maler!“ ruft Mrs. Dunby ihrem Gatten zu. „Na, mich hat man ja auch nicht hinters Licht geführt!“

Es versteht sich, daß Paul nun keine Ruhe läßt, bis man zu Oskar ins Atelier fährt. Er hatte vorgeschlagen, mit Lucie voran zu eilen, falls die Eltern nicht bereit wären, denn seine „Kousine“ könne man ihm schon anvertrauen. Aber die Eltern waren bereit.

*               *
*

Oskar’s Glück kann sich Jeder selbst ausmalen, und so bleibt nur Eins noch zu erwähnen. Paul hat nämlich, als er Luciens Mappe durchsah, wirkliches Talent fürs Malen bei ihr zu entdecken gemeint. Und Paul ist hier durchaus nicht leicht zu bestechen. Eine Amerikanerin aber giebt ohnedies – trotz glücklicher Liebe – nicht so leicht auf, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat, und Lucie ist darum auch fest entschlossen, wieder einmal den Beweis zu liefern: daß eine Frau einen Mann glücklich machen könne, auch wenn sie nebenbei noch etwas Tüchtiges lernt. Wie sie den Beweis durchführen wird, darüber kann freilich erst die Zukunft entscheiden. Jedenfalls wird man nach Paul’s Dafürhalten – der sie ein Jahr lang in München unterrichten will, wo sie mit den Eltern bis zur Hochzeit bleibt – in einem, spätestens anderthalb Jahren, schon etwas von ihren Arbeiten im Münchener Kunstverein zu sehen bekommen.

Es wäre indiskret, ihren wahren Namen zu verrathen, aber da die Charaktereigenthümlichkeit des Menschen sich stets in seiner geistigen Arbeit zu erkennen giebt, so ist es ja nicht unmöglich, daß einer oder der andere Leser das intelligente Wesen aus ihren Arbeiten erräth und sich auch darum für ihre Bilder interessirt.


[875]

Die Bastille.

Von Rudolf von Gottschall.
I.

Es war die erste That der französischen Revolution, daß sie die Bastille fortfegte, an welche sich so viele unheimliche Erinnerungen der Willkürherrschaft französischer Könige und Minister knüpften: es war eine That, welche in ganz Europa jene Sympathien erweckte, die nur zu bald durch das blutige Regiment der Schreckensmänner wieder verscherzt wurden. Die Republik des Präsidenten Grévy will die Bastille wieder aufbauen, vielleicht um ein Dekorationsstück zu haben für die großartige Erinnerungsfeier, die man dem Jahre 1789, dem Beginn der französischen Revolution, zu widmen gedenkt. Dies hätte wohl auch der junge Prinz Ludwig gethan, wenn ihn ein freundliches Geschick auf den Thron seines Vaters zurückgerufen hätte: denn er haßte die Julisäule, welche jetzt den Bastilleplatz schmückt, und er hätte mit ihr so kurzen Proceß gemacht, wie Maler Courbet mit der Vendômesäule, die ja in den Tagen der Kommune mit der ganzen Chronik des Napoleonischen Kaiserthums zu Boden geworfen wurde.

Die alte Bastille hatte viel zu erzählen, und was sie zu erzählen hatte, das hat seiner Zeit ein unfreiwilliger Gast, der eine Zeit lang in ihren düstern Räumen weilte, gewissenhaft aufgezeichnet: Linguet in seinen „Denkwürdigkeiten der Bastille“, die neuerdings in deutscher Uebersetzung erschienen sind.[1] Linguet war am 14. Juli 1736 zu Rheims geboren; er hatte sich nach Beendigung seiner Studien auf den verschiedensten Gebieten versucht, war Sekretär des Pfalzgrafen von Zweibrücken, Adjutant des Prinzen de Beauvau, Seifenfabrikant in Lyon, dramatischer Dichter, Historiker, juristischer Schriftsteller, Verfasser philosophischer Werke geworden, und dann erst hatte er eine dauernde Stellung gefunden als Advokat in Paris. Anfangs hatte er wenig Glück; es gelang ihm nicht einmal, den Chevalier de la Barre durch seine Vertheidigung zu retten, und dieser hatte doch kein anderes Vergehen begangen, als bei der Begegnung mit einer Kapuzinerprocession nicht den Hut abzunehmen: dafür wurde er trotz aller Anstrengungen Linguet’s zur Enthauptung und nachherigen Verbrennung verurtheilt. Und das begab sich im Frankreich Rousseau’s und Voltaire’s, im Jahre 1766. Später aber gewann Linguet eine Menge von Processen, die viel von sich sprechen machten; ja, er behauptete, von hundert nur zehn verloren zu haben. Er war ein vorzüglicher Sachwalter, der eben so viel Witz wie Beredtsamkeit besaß und einen besonderen Eifer darin zeigte, Mohren weiß zu waschen. Hatte er doch auch in seinen geschichtlichen Werken nicht nur eine Lanze für die Jesuiten gebrochen, sondern auch den römischen Kaiser Tiberius vertheidigt, ja ihn mit Trajan in eine Linie gestellt: ein Vorläufer der neuen Geschichtsschreiber, welche die Ehrenrettung des Tyrannen von Capri unternommen haben. Auf der anderen Seite beliebte es ihm, Dinge anzugreifen, die gar nicht der Vertheidigung zu bedürfen schienen, weil ihr Werth ein allgemein anerkannter ist. So gehörte zu den Sündenböcken Linguet’s das Brot, das er für ein gefährliches und äußerst schädliches Nahrungsmittel erklärte, dessen erste Grundlage die Fäulniß ist und das wir durch ein Gift schwächen müssen, um es weniger gesundheitsgefährlich zu machen. Diese Neigung, Alles auf den Kopf zu stellen, und das Talent, die absonderlichsten Ansichten zu vertheidigen, war für seine Thätigkeit als Advokat gewiß ausnehmend förderlich, wurde ihm aber doch später verhängnißvoll. Durch sein herausforderndes Benehmen hatte er sich einflußreiche Feinde gemacht: die Folge davon war, daß er im Jahre 1775 als Advokat durch Parlamentsbeschluß kassirt wurde. Er ging nach London und gab dort seine „Annalen“ heraus, welche durch die Vermessenheit ihrer Angriffe, durch die einschneidende Schärfe ihrer Darstellung das größte Aufsehen erregten. Doch auch in England war seines Bleibens nicht; er hatte über englische Gesetzgebung und Sitten einige beißende Bemerkungen gemacht und suchte deßhalb auf dem Festlande wieder irgend eine Stelle, wo er sein Nomadenzelt aufschlagen konnte; bald war er in Brüssel, bald in Genf; oft erschien er auch besuchsweise in Paris. Dort wurde er im Jahre 1780 auf offener Straße verhaftet und in die Bastille geführt, in welcher er zwanzig Monate in Haft blieb. Nach seiner Freilassung schrieb er die Denkwürdigkeiten über die Bastille, durch welche in ganz Frankreich der Haß gegen diese Zwingfeste des alten Despotismus wachgerufen wurde und die es erklärlich machen, daß der erste Ansturm der Freiheitsbewegung sich gegen dieselbe richtete. Diese Denkwürdigkeiten wurden in seinen „Annalen“ veröffentlicht. In der Bastille selbst hatte er seinen guten Humor nicht verloren. Eines Tages trat in seine Zelle eine Person, die er vorher noch nicht gesehen hatte.

„Wer sind Sie?“ fragte Linguet.

„Ich bin der Barbier der Bastille.“

„Wetter, da hätten Sie dieselbe längst rasiren sollen.“

War Linguet wegen des revolutionären Geistes, der in den „Annalen“ herrschte, von den Beamten der Monarchie verhaftet worden, so fiel ihm, nachdem die Revolution zum Ausbruch gekommen, das gleiche Los zu seitens der republikanischen Machthaber, denen der Vertheidiger des Tiberius und der Jesuiten ein Dorn im Auge war, möchte er immerhin früher ein Märtyrer seiner dem Königthum und den herrschenden Gesellschaftskreisen, feindseligen Gesinnung gewesen sein. Linguet lebte auf einem Dorfe bei Paris, zurückgezogen vom öffentlichen Leben, nachdem er mehrmals in den Versammlungen der Freiheitsmänner ohne sonderliches Glück aufgetreten war. Hier wurde er auf einen Befehl des Sicherheitsausschusses im Jahre 1794 verhaftet, weil er sich zum Vertheidiger des Königs angeboten, den Tyrannen von Wien und London Weihrauch gestreut und besonders „das Brot“ verleumdet hatte. Vergebens versuchte er sich zu vertheidigen; man ließ ihn gar nicht zu Worte kommen; er konnte nicht in eigener Sache sein glänzendes Talent als Advokat bewähren. „Dies sind nicht Richter,“ sagte er, „das sind Tiger!“ Sein Kopf fiel im Juni 1794 unter der Guillotine, einen Monat vorher, ehe der allmächtige Robespierre den Gang zum Schafott antreten mußte.

Wir haben uns, als wir in denselben Blättern die Gefangenschaft Ludwig’s XVII. schilderten, ebenfalls mit einem alten Pariser Bauwerk, dem Temple, beschäftigt, das, wie die Bastille, jetzt vom Erdboden verschwunden ist. Ueber die letztere Zwingburg haben wir indeß noch genauere Nachrichten und können uns nach denselben leicht ihren Plan entwerfen, ihr Bild vor die Phantasie führen. Es war ein achtthürmiger Bau; die beiden ersten Thürme, der Schatzthurm und der Kapellenthurm, waren unter Karl V. errichtet worden; das geschah im Jahre 1370. Zwischen ihnen hindurch ging der Weg, der aus dem Faubourg Saint Antoine in die Stadt führte. Um das Jahr 1383 ließ Karl VI. die übrigen Thürme erbauen, verband sie unter sich durch eine Mauer von neun Fuß Stärke und umgab das Ganze mit einem fünfundzwanzig Fuß tiefen Graben. Im 16. Jahrhundert wurden noch einige Befestigungen neuerer Art hinzugefügt. Der Eingang in die Bastille befand sich am äußersten Ende der Straße Saint Antoine. Ueber dem ersten Thore lag ein Magazin mit Waffen; in dem ersten äußeren Hof, in den man durch dies Thor gelangte, hatten die Invaliden ihre Kasernen, der Gouverneur seine Ställe und Remisen. Ueber eine Zugbrücke, durch ein anderes Thor kam man in den zweiten Hof, wo sich die Wohnung des Gouverneurs und die Küchen befanden. Durch eine Baumallee erhielt dieser Hof ein etwas freundlicheres Ansehen. Dagegen lag der große Innenhof von hohen düsteren Thürmen und Mauern umgeben; er war 200 Fuß lang und 72 Fuß breit. Im Hintergrunde desselben war ein großes Gebäude von Ludwig XV. für die Stabsofficiere errichtet worden, das einen ganz modernen Anstrich hatte. Bevorzugte Gefangene wurden bisweilen hier untergebracht, ebenso mußte dies Haus bei Ueberfüllung der Bastille Gefangene jeder Art in sich aufnehmen. Der Rathssaal und die Bibliothek befanden sich in diesem Zwischenbau, welcher den größeren Hof von einem kleineren schied, der eine Art von wirthschaftlichem Hinterhof bildete und für die Abfälle der Küche und die Geflügelzucht benutzt wurde.

Auf den Spaziergang im großen Innenhofe waren alle Gefangenen angewiesen: früher durften sie auf den Bastionen [876] spazieren gehen oder den Rundgang auf den Thürmen machen. Diese Vergünstigungen wurden später gänzlich aufgehoben. Jeder Gefangene durfte nur eine Stunde auf dem Hofe verweilen, bis er von einem anderen abgelöst wurde. Und dabei war er, wenn es sich gerade so traf, der größten Hitze und Kälte ausgesetzt. Düstere fensterlose Mauern umgaben ihn; sein Blick fiel auf die Schloßuhr, deren Zifferblatt ihn an sein trauriges Schicksal erinnerte; denn als Zierat waren an ihm zwei am Halse, um den Leib, an den Händen und an den Füßen mit Ketten belastete Figuren angebracht, Ketten, welche guirlandenförmig um das Gehäuse herumliefen. Wenn irgend ein Fremder, ein Beamter, ein Arbeiter über den Hof kam, so mußte der spazierengehende Gefangene in dem sogenannten „Kabinet“ verschwinden, einem engen Gang in einer der Verbindungsmauern zwischen den Thürmen. Der Posten rief ihm zu: „Ins Kabinet“, und dieser Ruf ertönte oft genug; ja wenn der Gouverneur ein Essen gab und die Bedienten über den Hof hin und her laufen mußten, um die Gerichte aus der Küche zu holen, so wurden diese Spaziergänge im Hofe überhaupt untersagt. Die Hausordnung war immer strenger geworden, besonders im 18. Jahrhundert. Früher lud der Gouverneur oft die vornehmen Gäste in der Bastille zu Tisch; die Gefangenen durften sich gegenseitig besuchen und empfingen von außen Besuche mit größter Leichtigkeit. Die Liebesabenteuer, die in der Bastille spielten, gehören nicht bloß dem Bereiche romanhafter Erfindung an; dagegen hat sich Vieles nicht bestätigt, was von den schauerlichen Geheimnissen der Bastille berichtet wurde: so die Angabe, es hätten sich Käfige aus eisenbeschlagenen Balken dort befunden, die acht Fuß lang und sechs Fuß breit waren; ebenso gab es dort nicht die „Oublietten“, Gefängnißräume, in denen die Opfer gänzlich der Vergessenheit anheimfielen. Vielleicht hatte Ludwig XI., einer der grausamsten Despoten aller Zeiten, sie in der Bastille wie in seinem Schlosse Duplessis-les-Tours eingerichtet; denn von ihm erzählen allerdings die Geschichtschreiber, daß er die Prinzen von Armagnac in den Verließen der Bastille vergraben, daß er in der Mitte der letzteren einen umgekehrten Kegel oder Zuckerhut hatte aushöhlen und ausmauern lassen, so daß das unglückliche in die Tiefe herabgleitende Opfer keinen Stützpunkt und keine Ruhe finden konnte. Zur Erholung wurde es dann zweimal in der Woche ans Licht hervorgezogen, in Gegenwart des Gouverneurs ausgepeitscht, wobei man ihm nach jedem Monat ein oder zwei Zähne ausriß. In späterer Zeit gab es solche Oublietten aber nicht mehr; bei der Einnahme, der Durchsuchung, dem Abbruche der Bastille fand sich keine Spur davon.

Doch wenn auch diese Käfige und Oublietten der geschichtlichen Forschung nicht Stand halten, so gab es doch noch genug des Schrecklichen, was die düstern Mauern und Thürme in sich verbargen. Da waren zunächst die Verließe, die 19 Fuß unter dem Niveau des Hofes und fünf Fuß unter dem Wasserspiegel des Wallgrabens lagen: sie hatten keine andere Oeffnung, als eine schmale Schießscharte, die auf diesen Graben hinausging. Ohne Luft und Licht, in Schlamm gebettet, in dem sich Ratten, Kröten und Spinnen tummelten, waren die zu längerer Haft verurtheilten Opfer hier unrettbar dem Untergange verfallen. Doch in der Regel wurden dort nur Gefangene untergebracht, die man schrecken wollte: es waren Folterkammern; um aus ihnen erlöst zu werden, pflegten Diejenigen, die bis dahin am hartnäckigsten schwiegen, ihre Mitschuldigen zu nennen. Lange Zeit hindurch bestand auch eine wirkliche Folterkammer in der Bastille: man zeigte hier denen, die, weil sie die erwünschten Aussagen weigerten, zur Folter verurtheilt wurden, zunächst der Reihe nach alle Instrumente, erklärte ihnen umständlich den Gebrauch der Kette, der Schienen, der Stricke und schilderte ihnen die kaum erträglichen Schmerzen, die sie hervorriefen, das Zerreißen der Sehnen, das Knacken der Knochen, um die Halsstarrigen willfährig zu machen. Neben den „Verließen“, cachots genannt, waren die „Mützen“ (calottes), die Zimmer im obersten, fünften Stockwerke, die an die venetianischen Bleikammern erinnerten: so unerträglich war die Hitze im Sommer. Als Fenster dienten ehemalige Schießscharten in den sechs Fuß dicken Mauern; natürlich ließen sie nur wenig Licht herein, weil sie nach außen zu sich immer mehr verengerten. Dasselbe war auch bei den Fenstern der Fall, mit denen die Gefängnisse in den andern Stockwerken ausgestattet waren; diese, meist unregelmäßige Vielecke, hatten 15 bis 16 Fuß Durchmesser und 15 bis 20 Fuß Höhe. Jede Zelle war mit zwei starken dicken Thüren verschlossen, deren schwere Riegel und gewaltige Schlösser beim Oeffnen und Schließen einen durch den ganzen Thurm dröhnenden Lärm machten. Solche Thüren waren auch bei den Eingängen zu den Thürmen und auf den Treppen angebracht. Nach zuverlässiger Angabe waren sechs Schlüssel für jedes Gefängniß und jeden Thurmeingang und einer zu jedem Verließ erforderlich: das macht für zwei Thüren zu je fünf Gefängnissen, einem Eingang und einem Verließ 80 Schlüssel. Man kann sich denken, welchen gewaltigen Schlüsselbund jeder dieser Schließer mit sich herumzuschleppen hatte. Es waren übrigens die einzigen mitleidigen Wesen in der Bastille: sie kamen mit den Gefangenen in nähere Berührung, waren auch in der Regel deren Vertraute und hörten ihre Klagen mit an. Da sie schlecht besoldet und von ihren Oberen schlecht behandelt wurden, von den Gefangenen aber eine Belohnung erwarten durften, weil sie nie wußten, ob die Haft derselben auf dem Blutgerüste oder im Ministerium endete, erwiesen sie sich bei Gelegenheiten gern gefällig; auch hatten sie etwas mehr Herz als die gemeinen Soldaten, die blindlings den Befehlen ihrer Vorgesetzten gehorchten, oder als der Stab der Officiere, die sich meistens hartherzig und grob zeigten. Da den Schließern der Abhub der Tafel zukam, so hatten sie dasselbe Interesse wie die Gefangenen daran, daß die Kost derselben nahrhaft und reichlich bereitet wurde. So untergeordnet ihr Amt war, so mußten sie doch auch, um es zu erhalten, dieser oder jener einflußreichen Person ein Geschenk machen. Ohne Geschenke und Bestechungen gab es überhaupt kein Amt in der Bastille. Der letzte Gouverneur derselben, de Launay, hatte seine Stelle für einen ziemlich hohen Preis erkauft; freilich war mit derselben ein Gehalt von 60 000 Livres verbunden.

Wir haben aus der reichen Fundgrube von Mittheilungen, welche das Werk von Linguet über die Einrichtungen der Bastille bringt, einige hervorgehoben, die besonders geeignet sind, uns ein Bild dieser verhaßten Zwingburg zu geben. Linguet selbst erklärt, es habe in der ganzen Welt nie etwas gegeben, was der Einrichtung der Bastille gleichkomme; es existire keine Nation, die gebrandmarkt wäre durch die Schmach und Ungeheuerlichkeit eines stets geöffneten Abgrundes, der Menschen verschlinge, nicht um sie zu strafen, sondern um sie zu quälen, eines politischen Fegefeuers, wo wegen der geringfügigsten Vergehen und oft sogar über die Unschuld nach Willkür die Strafen der Hölle verhängt wurden. Er betrachtet die schlimmsten Staatsgefängnisse des Alterthums, das Ohr des Dionysius, diejenigen der Neuzeit, wie das Schloß der sieben Thürme in Konstantinopel: überall hier waltete eine Art von Justiz; nur in die Bastille wurden die Opfer durch einen willkürlich ausgestellten Verhaftsbefehl, eine lettre-de-cachet geworfen und mußten oft Monate lang auf Untersuchung warten; oft kam es überhaupt nicht zu einer solchen. Ein großer Theil dieser Staatsgefangenen wurde verhaftet, um sie dem Richterspruch eines ordentlichen Gerichts zu entziehen; die Dauer der Haft hing vom Belieben des Königs und seiner Minister ab. Andere allerdings sperrte man in die Bastille, um ihnen den Proceß zu machen: einige wurden vor einen regelmäßigen Gerichtshof verwiesen, viele ganz plötzlich aus Untersuchungsgefangenen ohne Recht und Urtheil in Strafgefangene verwandelt.

Die Bastille fiel am 14. Juli 1789 in die Hände der Aufrührer, im ersten Freiheitsrausch, der die Nation ergriffen; es waren nicht bloß die Männer und Frauen des Volks, unter ihnen die verwegene Amazone, Théroigne von Mericourt, welche in ihre Höfe eindrangen: es waren die französischen Garden, in Paris stehende Regimenter, welche unter dem Befehl ihrer Sergeanten und Korporale sich an dem Angriff auf die alte Zwingburg betheiligten. Eigentlich erstürmt wurde dieselbe nicht: nachdem die erste Brücke genommen, der erste und zweite Hof von den Aufständischen besetzt worden war, nachdem hier das Musketenfeuer der Angreifer und Vertheidiger gewüthet und auch das eine Geschütz der Bastille einen Kartätschenhagel auf die Andringenden ausgeschüttet, während die französischen Garden aus mehreren Geschützen die Feste beschossen, wurde zuletzt die weiße Fahne herausgesteckt, und als diese von den Angreifern wenig beachtet wurde, durch eine Schießscharte von einem Offieier der Entwurf einer Kapitulation herausgereicht, die von den Führern der Bewegung angenommen wurde. Darauf öffnete sich das Thor zum inneren Hof der Bastille: das Volk stürzte sich auf die [877] Invaliden, die es gefangen nahm, zertrümmerte alle Möbel in den Wohnungen der Officiere und befreite die Gefangenen. Am schlimmsten erging es dem Gouverneur de Launay: vor der Uebergabe hatte er den Versuch gemacht, mit brennender Lunte den Pulverthurm der Bastille in die Luft zu sprengen; doch zwei Unterofficiere hinderten ihn daran mit gefälltem Bajonett. Der eine fand dafür schlechten Lohn, denn er wurde bald darauf vom Volke gehangen. Als dasselbe in den Innenhof eindrang, wollte sich der Gouverneur mit einenn Stockdegen das Leben nehmen; doch er wurde daran gehindert und auf die Straßen geschleppt; die Eskorte, die ihn aufs Stadthaus bringen wollte, war indeß zu schwach der wüthenden Menge gegenüber, welche sie zerstreute und dann mit Bajonettstichen, Flinten- und Pistolenschüssen über ihn herfiel; später wollte man ihm mit dem Säbel den Kopf abschlagen, und als diese Waffe sich zu stumpf erwies, wurde er mit einem Messer abgeschnitten. Abgesehen von dieser Gräuelthat, entweihte das Volk diesmal nicht seinen Sieg: die Gefangenen wurden begnadigt, auf den Vorschlag des Lieutenants Elie, welcher der eigentliche Held des Bastillensturmes war.

Die Zahl der Gefangenen in der Bastille ist nie groß gewesen: bei der Erstürmung fand man nur sieben darin, unter ihnen den greisen Tavernier, der noch immer glaubte, Ludwig XV. herrsche in Frankreich, obschon dieser seit 15 Jahren todt war.

Gleich darauf wurde der Abbruch der Zwingburg beschlossen und am nächsten Tage damit begonnen. Nach einem Jahre war die Stätte frei, wo sich die düstern Mauern und Thürme erhoben hatten, und die Pariser feierten hier, wo die alte Zwingburg gestanden, ein Freudenfest.


Johannes Scherr.

Unser Blatt hat einen der ältesten und bewährtesten Mitarbeiter verloren: Johannes Scherr ist am 22. November in Zürich gestorben. Wie oft hat er durch seine Beiträge, die sich durch die Originalität des Stils und der Weltanschauung auszeichnen, unsere Leser zu fesseln gewußt! Nirgends bewegte er sich in den ausgefahrenen Gleisen; voll Mark und Kraft war seine Darstellung, und mochte auch dieser oder jener Gedanke in seinen Aufsätzen und Schriften einmal befremden: er war doch der Ausdruck einer frischen, energischen, auf sich selbst ruhenden Persönlichkeit, die sich neben vielen abgeblaßten Tagesschriftstellern in ihrer ganzen Ursprünglichkeit bedeutsam abhob.

Johannes Scherr ist am 3. Oktober 1817 zu Hohenrechberg in Württemberg geboren und studirte in Tübingen, wo er auch 1840 promovirte. Dann leitete er zusammen mit seinem Bruder, Ignaz Scherr, einem tüchtigen Schulmann, der sich durch pädagogische Schriften einen Namen gemacht, eine Erziehungsanstalt in Winterthur und siedelte später nach Stuttgart über; doch auch hier war seines Bleibens nicht; er hatte sich an der revolutionären Bewegung des Jahres 1849 betheiligt; als Volksvertreter in dem aufgelösten württembergischen Abgeordnetenhause war er mit Verhaftung bedroht und mußte sich daher wieder nach der Schweiz flüchten. Nach kurzem Aufenthalte in Zürich und einem längeren in Winterthur folgte er im Jahre 1860 einem Rufe nach Zürich als Professor der Geschichte am dortigen Polytechnikum.

Wenn er auch aus dem Gebiete der Geschichte einzelne Zeiträume und Persönlichkeiten von besonderem Interesse herausgriff, um sie in lebensvoller Darstellung der Lesewelt vorzuführen, so liegt doch der Schwerpunkt seines litterarischen Wirkens auf dem Gebiete der Kultur- und Litteraturgeschichte. Und wir halten es für ein nicht geringes Verdienst des geistreichen Schriftstellers, daß er den Blick wieder auf das Große und Ganze der litterargeschichtlichen Entwickelung richtete und einen seit Wachler’s Zeiten allzu sehr vernachlässigten Zweig des Studiums, die allgemeine Litteraturgeschichte, wieder der Theilnahme der Zeitgenossen näher rückte. Es gehörte freilich eine seltene Belesenheit dazu, um die „Allgemeine Geschichte der Litteratur“ zu verfassen, welche mit jeder neuen Auflage sich wesentlich vervollständigte, und die nicht nur den Gang der Entwickelung des Schriftthums bei den einzelnen Nationen darlegte, sondern auch die großen Dichter aller Völker und Zeiten mit scharfen Umrissen und energischem Kolorit darstellte. Eine Ergänzung zu diesem Hauptwerke Scherr’s bildet der „Bildersaal der Weltlitteratur“, in welchem die Dichter aller Jahrhunderte selbst in ausgewählten Uebersetzungen zur Sprache kommen.

Johannes Scherr.
Nach einer Photographie

Ein nicht geringes Verdienst hat sich Scherr um die Kulturgeschichte erworben und wesentlich mit dazu beigetragen, daß diese bisher als Aschenbrödel behandelte Schwester der Weltgeschichte sich mit gleichem Rechte neben dieselbe stellen konnte. Seine „Deutsche Kultur- und Sittengeschichte“ ist inhaltsreich und bahnbrechend auf diesem Gebiete; daran schließt sich seine „Geschichte der deutschen Frauenwelt“ und andere Schriften.

In diesen seinen Hauptwerken behauptete Scherr eine wissenschaftliche Haltung, wenn auch das Eigenartige seiner Auffassungs- und Darstellungsweise sich nirgends verleugnete; in „Goethe’s Jugend“, in seinen Studien, die in verschiedenen Sammlungen erschienen, sowie in zwei größeren Werken „Schiller und seine Zeit“ und „Blücher, seine Zeit und sein Leben“ tritt er in die Fußtapfen Carlyle’s, und wie dieser in seiner Lebensbeschreibung Friedrich’s des Großen eine außerordentliche Fülle von Material, das oft nur in sehr mittelbarer Beziehung zu seinem Helden stand, aufhäufte und mit leuchtenden Geistes- und Witzesfunken Nahes und Fernes erhellte: so ließ auch Scherr seine Helden oft auf längere Zeit vom Schauplatz abtreten, um in großen kulturgeschichtlichen Kapiteln eine Fülle von Thatsachen zusammenzuraffen und diese Geschichtsbilder oft mit kraus wunderlichen Arabesken zu umrahmen.

Scherr besitzt eine große Entschiedenheit und Entschlossenheit des Denkens, die sich in allen seinen Urtheilen ausprägt. Als ein zum Zuchthaus verurtheilter Republikaner der vormärzlichen Zeit huldigte er lange Zeit einem Radikalismus, der mit einem gewissen Behagen, besonders wo es die Kulturgeschichte der Fürsten, der Höfe und der Regierungen galt, sich der riesigen und undankbaren Aufgabe widmete, „den Weltaugiasstall des Köhlerglaubens mit dem eisernen Kehrbesen der Wahrheit reinzufegen.“ In diesem Geiste ist noch seine Geschichte des Jahres 1848 und diejenige der vier folgenden Jahre geschrieben; doch verstockte er sich keineswegs gegen die Großthaten der letzten Jahrzehnte, welche soviel von dem verwirklicht hatten, was die vormärzliche Begeisterung ersehnte, und wenn er jene frühere Zeit als eine „Komödie der Weltgeschichte“ geschildert hatte, so waren seine „Vier Bücher deutscher Geschichte“ (1870 bis 1871) als ein schwunghaftes, von nationaler Gesinnung warmbeseeltes Epos zu betrachten. Und in gleichem Sinne verfaßte er sein Prachtwerk: „Germania, zwei Jahrtausende deutschen Lebens“; es schien ihm der historische Glanzpunkt für den Abschluß desselben erreicht zu sein.

Scherr hatte seine schriftstellerische Thätigkeit als Novellist mit historischen Erzählungen begonnen wie „Der Prophet von Florenz“ (1845), „Die Waise von Wien“ (1847) und er hat noch später Novellenbücher und historische Novellen herausgegeben, auch in seinem „Michel“ und „Doktor Sauerampfer“ einem mit tiefeinschneidender Satire gemischten Humor gehuldigt. Die Grenzen zwischen seinen historischen Novellen und anekdotisch reich ausgestatteten Geschichtsbildern waren fließende, beiden gemeinsam die lebendige und markige Darstellungsgabe.

Unsern Lesern werden die zahlreichen Aufsätze, die er unserem Blatte beigesteuert, wegen ihrer ausdrucksvollen Darstellung stets in willkommener Erinnerung bleiben: das deutsche Volk aber wird einem Schriftsteller von solcher Energie des Charakters und Originalität der Auffassung und Schilderung, dessen Werke wie erratische Blöcke im Flachland unserer Litteratur emporragen, stets ein ehrendes Angedenken weihen. †      


[878]

Sankt Michael.

Roman von E. Merner.
(Fortsetzung.)


Das drohende Wetter war losgebrochen; die Kriegserklärung war erfolgt, und jetzt überstürzten sich die Ereignisse in so wilder Hast, daß jede persönliche Angelegenheit und jedes persönliche Interesse von ihnen überfluthet wurde.

In der Wohnung des Marquis von Montigny stand Alles gepackt und reisefertig. Er war zurückgeblieben, um in Vertretung des Gesandten das Letzte zu ordnen, wollte nun aber auch in einigen Stunden abreisen. Vorher schien er jedoch noch Jemand zu erwarten, denn er trat von Zeit zu Zeit an das Fenster und spähte ungeduldig hinaus. Endlich meldete der Diener den jungen Grafen Steinrück, und dieser trat ein.

Raoul sah ungewöhnlich bleich aus, und in seinem ganzen Wesen lag etwas seltsam Verstörtes, das seinem Oheim jedoch nicht besonders auffiel; in jetziger Zeit war ja Alles in fieberhafter Erregung. Er reichte ihm flüchtig die Hand.

„Hast Du mein Billett erhalten? Ich stehe im Begriff abzureisen, aber ich mußte Dich unter allen Umständen vorher noch einmal sprechen.“

„Ich hätte Dir jedenfalls Lebewohl gesagt,“ entgegnete Raoul. „Die Mama wird freilich trostlos darüber sein, daß Du nicht einmal Abschied von ihr hast nehmen können.“

„Ich muß sofort nach Paris zurück,“ erklärte Montigny achselzuckend. „Deine Mutter hat mir aber bereits von Steinrück aus geschrieben, und eben dieser Brief zwingt mich, mit Dir zu sprechen.“

Der junge Graf richtete sich mit vollem Trotze auf, denn er wußte, was jetzt folgen würde. Hortense hatte dem Bruder, den sie bei ihrer schnellen Abreise nicht mehr gesehen hatte, brieflich ihr Herz ausgeschüttet, und es galt nun, einen Sturm auch von dieser Seite zu bestehen. In der That hielt sich der Marquis nicht mit einer Einleitung auf, sondern ging sofort zu der Hauptsache über.

„Deine Verlobung mit Hertha ist gelöst, wie ich höre! Auch mir ist es unbegreiflich, wie Du sie aufgeben konntest, und ich fürchte, Du wirst es nur zu bald einsehen, was Du damit aufgegeben hast. Doch das ist schließlich Deine Sache. Meine Schwester schreibt mir aber, daß Du beabsichtigst, die Dame, um derentwillen der Bruch stattfand, Frau von Nérac, zu Deiner Gemahlin zu machen, und ist außer sich darüber. Ich habe ihr freilich zugleich mit meinen Abschiedszeilen die Beruhigung gesandt, daß es nicht so weit kommen wird.“

„Weßhalb nicht?“ fuhr Raoul auf. „Bin ich ein Kind, das sich noch gängeln und bevormunden läßt? Ich bin mündig, auch vor dem Gesetz; das scheint Ihr Alle zu vergessen, und wenn sich Alles dagegen setzt, Heloise wird mein; ich lasse sie mir nicht rauben!“

Es sprach nicht bloß Trotz aus diesen Worten; eine wilde Leidenschaftlichkeit lag in ihnen, und das fieberhaft Erregte und Verstörte des jungen Mannes trat dabei so deutlich hervor, daß auch Montigny es jetzt bemerkte. Er milderte unwillkürlich den Ton, und die Hand seines Neffen ergreifend, zog er ihn neben sich nieder.

„Vor allen Dingen, Raoul, versprich mir, ruhiger zu werden. Wenn Du eine bloße Andeutung schon mit solcher Heftigkeit aufnimmst, wie willst Du dann die volle Wahrheit ertragen? Hätte ich geahnt, wie tief Du verstrickt bist, ich hätte längst gesprochen. Mit der Kriegserklärung fällt allerdings ein Theil jener Rücksichten, die mir Schweigen auferlegten; dennoch fordere ich Dein Ehrenwort, daß das, was ich Dir jetzt mittheile, kein Dritter erfährt, auch Deine Mutter nicht.“

Die ernsten, ruhigen Worte, durch die ein Ton von Mitleid hindurchklang, verfehlten ihre Wirkung nicht; aber Raoul gab keine Antwort, und der Marquis fuhr fort:

„Ich habe Clermont schon vor Monaten gedroht, Dir die Augen zu öffnen, wenn er Dich nicht aus den Händen ließe, und er war vorsichtig genug, Dich zu bestimmen, Eure Beziehungen fortan geheim zu halten. Ich und Hortense, wir ließen uns Beide täuschen; aber ich kann und werde es nicht zulassen, daß der einzige Sohn meiner Schwester solchen Schlingen zum Opfer fällt. Du weißt nicht, wer und was dieser Clermont ist –“

„Onkel Leon,“ unterbrach ihn Raoul heftig, aber mit qualvoll gepreßter Stimme, „sprich nicht weiter, ich bitte Dich. Ich will nichts hören, nichts wissen – verschone mich!“

Montigny sah ihn befremdet und bestürzt an.

„Du willst nicht wissen? Du weißt also doch etwas, wie es scheint? Und hast dennoch –“

„Nein, nein, ich ahne nur, und auch das erst seit gestern. Ein Zufall – frage mich nicht!“

„Kannst Du es nicht ertragen, wenn man Dir die Binde von den Augen reißt?“ fragte Montigny ernst. „Gleichviel, es muß dennoch geschehen. Du kennst Clermont und seine Schwester nur als Privatpersonen, die ein Reiseleben führen, weil ihnen ihr Vermögen nicht erlaubt, ein Haus in Paris zu machen. Der Zweck ihres Aufenthaltes ist weniger harmlos. Sie sind hier in einer jener Missionen, die jede Regierung braucht und brauchen muß, zu denen sich aber kein Ehrenmann hergiebt. Man überläßt sie jenen dunklen Existenzen, denen jedes Mittel recht ist, um sich äußerlich wenigstens in der Gesellschaft zu behaupten. Daß es hier wirklich die Abkömmlinge eines alten edlen Geschlechtes sind, die so tief sanken, ändert nichts an dem ,Geschäfte’ selbst; es wird höchstens noch schmachvoller dadurch. Ich denke, Du hast mich jetzt verstanden.“

Raoul schien in der That verstanden zu haben, aber er machte eine stürmisch abwehrende Bewegung.

„Du sprichst von Henri – Du magst Recht haben; aber Heloise ist schuldlos; sie hat keinen Antheil an dem, was der Bruder that; sie wußte nichts davon. Sprich keine Verleumdung gegen sie aus – ich werde Dir niemals glauben!“

„So wirst Du den Thatsachen glauben müssen. Ich sage Dir und bürge Dir mit meinem Worte dafür, daß bei diesen ,Aufträgen‘ Frau von Nérac die Hauptrolle hatte, weil sie sich als Dame freier und unverdächtiger bewegen konnte. Ich kann Dir die Beweise liefern, die Summen nennen, die gezahlt worden sind –“

„Nein – nein!“ schrie Raoul auf. „Schweig’ um Gotteswillen! Das könnte mich zum Wahnsinn bringen!“

„Sie scheint Dich in der That halb wahnsinnig gemacht zu haben; sonst hättest Du ihr nicht eine Hertha geopfert,“ sagte Montigny bitter. „Und doch warst Du den Beiden nichts weiter als ein Werkzeug, ein Schlüssel, der ihnen verschlossene Thüren öffnen sollte. Durch Dich wollten sie sich bei dem General Eingang verschaffen, vielleicht auch Beziehungen im Ministerium anknüpfen. Darum drängte Dir Clermont seine Freundschaft auf; darum spielte seine Schwester einen Roman mit Dir, den Du leider ernst genommen hast, und Du gingst blind in die Falle. Nun, hoffentlich bist Du jetzt geheilt und denkst nicht mehr daran, sie zu Deiner Gemahlin zu machen, die – bezahlte Spionin!“

Raoul zuckte zusammen bei dem Worte, dann aber sprang er plötzlich auf und eilte nach der Thür. Montigny vertrat ihm den Weg.

„Wo willst Du hin?“

„Ihnen nach!“

„Thorheit!“ sagte der Marquis, ihn festhaltend. „Soll es vielleicht noch in letzter Stunde ein Unglück geben? Solche Dinge straft man mit Verachtung.“

Raoul gab keine Antwort, aber das leichenblasse Antlitz, das er jetzt zu seinem Oheim emporhob, trug einen Ausdruck, daß jener erschreckt zurücktrat.

„Was hast Du? Das ist nicht bloß der Schmerz verrathener Liebe; das ist ja eine förmliche Todesangst, so erkläre mir doch –“

„Ich kann nicht! Halte mich nicht auf!“ rief der junge Graf, sich gewaltsam losringend, und ohne irgend eine Erklärung, ohne ein Lebewohl an den Verwandten, den er doch zum letzten Male sah, stürzte er davon. Montigny blickte ihm mit tiefgefurchter Stirne nach.

[879] „Unbegreiflich! Dahinter verbirgt sich noch irgend etwas Anderes – ich wollte, ich hätte früher gesprochen!“

Im Steinrück’schen Hause traf man gleichfalls die Vorbereitungen zu der Abreise. Der General wollte noch am heutigen Abende zu seinem Korps abgehen, während der junge Graf einstweilen zurückblieb. Er hatte gestern in der That die Ordre erhalten, sich in wenigen Tagen bei der militärischen Behörde zu melden. Der Großvater hatte jetzt wie immer Raoul gegenüber seinen Willen durchgesetzt.

Steinrück war in den letzten Tagen so unaufhörlich in Anspruch genommen, daß er seinen Enkel kaum gesehen hatte. Gestern Abend hatte er noch einer Berathung beigewohnt, die noch einmal vor dem Aufbruch die Führer der Armee versammelte und sich bis tief in die Nacht hinein ausdehnte. Er war erst gegen Morgen nach Hause gekommen, und als er nach wenigen Stunden des Schlafes sein Arbeitszimmer wieder betrat, erwarteten ihn dort schon Ordonanzen und Depeschen, die abgefertigt und erledigt sein wollten, und so ging es den ganzen Vormittag hindurch. Eins löste das Andere ab; dazwischen mußten noch die Anordnungen für die Abreise getroffen werden; es gehörte in der That die eiserne Natur des alten Grafen dazu, um das auszuhalten.

So war es Mittag geworden, als Hauptmann Rodenberg erschien. Er war schon gestern in einer dienstlichen Angelegenheit hier gewesen, die aber nur wenige Minuten in Anspruch nahm und überdies in Gegenwart eines anderen hohen Officiers erledigt wurde. Da war die Begegnung selbstverständlich eine durchaus fremde gewesen. Auch heute stand Michael in streng dienstlicher Haltung vor dem General, aber statt der Meldung, welche dieser erwartete, sagte er:

„Ich komme diesmal ohne jeden Auftrag, aber die Sache, die mich herführt, ist von so großer Wichtigkeit, daß ich Sie um sofortiges Gehör ersuchen muß, Excellenz. Darf ich die Thür abschließen, um uns vor Störung zu sichern?“

Steinrück sah ihn bei dieser seltsamen Einleitung befremdet an, aber er fragte kurz:

„Betrifft die Sache den Dienst?“

„Ja.“

„So schließen Sie die Thür!“

Michael kam der Weisung nach und kehrte dann zurück. Auch in seinem Wesen lag heute etwas Unruhiges, Erregtes, das freilich durch die gewohnte Selbstbeherrschung niedergehalten wurde; aber es verrieth sich doch in seiner Stimme, als er jetzt weiter sprach:

„Ich überbrachte gestern Morgen ein Schriftstück, das von der höchsten Wichtigkeit war. Ich hatte strengen Befehl, es nur persönlich zu übergeben, und nur in die eigenen Hände Euer Excellenz zu legen.“

„Gewiß, ich empfing es von Ihnen. Kannten Sie den Inhalt?“

„Ja, ich habe ihn selbst niedergeschrieben, da ich bei der Abfassung als Sekretär diente. Er betrifft den Vormarsch des Steinrück’schen Korps; eben deßhalb wurde mir bei der Uebergabe die größte Sorgfalt anbefohlen.“

„Nun, ich bestätige Ihnen ja den Empfang; das Papier liegt in meinem Schreibtische.“

„Liegt es wirklich noch dort?“

„Wo will das hinaus?“ fragte der General scharf. „Ich sage Ihnen doch, daß ich es mit eigener Hand hineingelegt habe.“

„Und ich bitte Sie, sich zu überzeugen, ob es noch an Ort und Stelle ist. Die ungeheuere Tragweite der Sache mag meine Kühnheit entschuldigen. Ich will gern den Vorwurf der Voreiligkeit tragen, wenn ich nur über den Verbleib jener Papiere beruhigt werde.“

Steinrück zuckte ungeduldig die Achseln, aber er zog den Schlüssel hervor, den er stets bei sich trug, und ging an den Schreibtisch. Das sehr feste und künstliche Schloß ließ sich selbst von dem damit Vertrauten nur langsam öffnen; heute gab es seltsamerweise dem ersten Druck nach; der Schlüssel drehte sich kaum, als die Thür auch schon aufsprang. Der General erbleichte und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Der Schreibtisch ist erbrochen worden,“ sagte Michael leise, indem er auf das Schloß wies, das allerdings deutlich die Spuren eines gewaltsamen Oeffnens zeigte. „Ich dachte es mir!“

Steinrück erwiderte keine Silbe und hielt sich auch nicht mit einer Prüfung der Papiere auf, die dort lagen und nichts besonders Wichtiges zu enthalten schienen. Er drückte hastig an eine Stelle der Holzwand, die äußerlich nicht die mindeste Vorrichtung zeigte. Das Getäfel wich zur Seite und ließ ein meisterhaft verborgenes, geheimes Fach sichtbar werden, aber es zeigte sich völlig leer; auch nicht das kleinste Blättchen war darin zu entdecken.

„Das ist Verrath!“ rief der Graf heftig. „Niemand außer mir kannte dies Geheimfach. Niemand wußte es zu öffnen. Hauptmann Rodenberg, was wissen Sie von der Sache? Sie haben einen Verdacht, eine Spur – reden Sie!“

Michael war es gewohnt, sich seinen Vorgesetzten gegenüber kurz und knapp zu fassen und mit wenigen Worten nur die Thatsachen hervorzuheben. Heute that er dies nicht, sondern berichtete so ausführlich, als wolle er seinen Zuhörer irgend etwas ahnen, errathen lassen, noch bevor es ausgesprochen wurde.

„Ich hatte gestern Abend noch in später Stunde der Konferenz, der auch Sie beiwohnten, eine soeben eingetroffene Depesche zu überbringen. Auf dem Rückwege mußte ich an Ihrem Hause vorüber, und zwar hatte ich die Gartenseite zu passiren. Ich bog gerade um die Straßenecke – es mochte gegen Mitternacht sein – als ich in der kleinen Mauerpforte, die sich neben dem Gitterthor befindet, eine männliche Gestalt verschwinden sah. Das wäre mir vielleicht nicht besonders aufgefallen; die Dienerschaft konnte ja das Recht haben, diesen Weg zu benutzen; aber beim Schein der Straßenlaterne glaubte ich die Gestalt zu erkennen, die ich freilich nur einen Moment lang sah “

„Und wen glaubten Sie zu erkennen?“ fragte der General, der mit der höchsten Spannung zuhörte.

„Den Bruder der Frau von Nérac – Henri Clermont.“

„Clermont? Ich habe ihn stets für einen Abenteurer gehalten und ihm deßhalb mein Haus verschlossen. Sie haben Recht; sein Erscheinen zu dieser Stunde in meinem Park ist mehr als verdächtig. Sind Sie denn der Spur nicht gefolgt?“

„Das that ich, aber sie endigte an einer Stelle, die über jedem Verdacht stand, oder wenigstens – zu stehen schien.“

Er legte einen schweren, bedeutungsvollen Nachdruck auf die letzten Worte; aber Steinrück achtete nicht darauf, sondern drängte in heftiger Ungeduld:

„Weiter! Weiter!“

„Ich wollte mir anfangs einreden, daß es eine Täuschung gewesen sei, und ging weiter, aber die Sache ließ mir keine Ruhe. Ich kehrte nach einer Weile wieder um und umging noch einmal das Haus von allen Seiten. Da bemerkte ich in dem Arbeitszimmer einen Lichtschein, der nicht von einer Lampe herrühren konnte; es schien fast, als brenne eine einzelne Kerze in der Tiefe des Gemaches. Das konnte ein Zufall sein; aber mein Verdacht war durch das Erscheinen Clermont’s nun einmal geweckt; ich beschloß, mir um jeden Preis Aufklärung zu verschaffen. Ich trat ein, ließ den Diener herbeirufen und theilte ihm mit: ich hätte beim Vorübergehen im Arbeitszimmer einen seltsamen Schein bemerkt, der möglicherweise von einem entstehenden Brande herrühre; er solle schleunigst nachsehen, um ein Unglück zu verhüten. Der Mann erschrak und eilte sogleich fort, aber schon nach wenigen Minuten kam er zurück mit der Nachricht: es sei ein Irrthum; er habe um Entschuldigung bitten müssen, denn im Zimmer brenne nur eine Kerze, und es sei Niemand dort als –“

„Nun? Weßhalb sprechen Sie denn nicht aus? Wer war dort?“

„Graf Raoul Steinrück!“

Aus dem Gesichte des Generals wich jeder Blutstropfen, und mit stockendem Athem wiederholte er:

„Mein Enkel – war hier?“

„Ja.“

„Um Mitternacht?“

„Um Mitternacht!“

Es folgte eine lange, schwere Pause, keiner der beiden Männer sprach. Die Augen des alten Grafen hatten einen seltsam starren Ausdruck angenommen; jenes dunkle, unheilvolle Etwas, das schon einmal vor ihm aufgetaucht war, hob sich wieder drohend empor aus der Nacht, und jetzt schien es Form und Gestalt gewonnen zu haben. Aber das starre Hinbrüten [880] dauerte nur Minuten; dann raffte er sich zusammen und warf den entsetzlichen Gedanken weit von sich.

„So wird Raoul uns am besten Auskunft geben können,“ sagte er mit wiedergewonnener Fassung. „Ich werde ihn rufen lassen.“

„Der Graf ist nicht zu Hause,“ warf Michael ein.

„Dann ist er im Ministerium. Ich sende sofort zu ihm; die Sache muß aufgeklärt werden; es ist keine Minute zu verlieren.“

Er wollte nach der Klingel greifen, hielt aber plötzlich inne; denn er begegnete den Augen Rodenberg’s, und es mußte wohl etwas Furchtbares zu lesen sein in diesem tiefernsten Blick. Langsam ließ der General die ausgestreckte Hand wieder sinken, und mit halb versagender Stimme fragte er:

„Nun, was ist’s? Heraus damit!“

Michael trat dicht an ihn heran.

„Ich habe Ihnen Schweres zu melden, Graf Steinrück, sehr Schweres – machen Sie sich auf das Schlimmste gefaßt!“

Der General fuhr mit der Hand über die Stirn, die von kaltem Schweiß bedeckt war; aber dabei hingen seine Augen wie gebannt an denen des Sprechenden.

„Das Schlimmste? Wo ist Raoul?“

„Abgereist – nach Frankreich!“

Steinrück fuhr nicht empor, schrie nicht auf. Er griff nur krampfhaft nach dem Herzen und brach dann lautlos zusammen. Er wäre zu Boden gefallen, wenn Michael ihn nicht aufgefangen hätte.

So vergingen Minuten. Der junge Officier hatte den halb Besinnungslosen in den Lehnstuhl niedergleiten lassen und stand schweigend an seiner Seite. Er fühlte, daß hier jedes Wort, jede Hilfeleistung umsonst war. Endlich aber beugte er sich über ihn.

„Excellenz!“

Es erfolgte keine Antwort; Steinrück schien nichts von dem zu wissen, was um ihn her vorging.

„Graf Steinrück!“

Wieder dies beängstigende Schweigen. Der General lag regungslos da; seine Augen starrten ausdruckslos ins Leere; nur die schwer athmende Brust verrieth, daß noch Leben in ihm sei.

„Großvater!“

Das Wort kam leise, zögernd von den Lippen, die es nie hatten aussprechen wollen; jetzt konnten sie es sprechen, und dies Wort löste auch endlich die unheimliche Erstarrung. Steinrück zuckte zusammen und schlug plötzlich beide Hände vor das Antlitz.

„Großvater, sieh’ mich an!“ brach Michael jetzt angstvoll aus. „Nicht dieses furchtbare Schweigen – sprich wenigstens ein Wort zu mir!“

Der General ließ, wie mechanisch folgend, die Hände wieder sinken und sah zu ihm auf.

„Das mir!“ stöhnte er. „Michael – Du bist gerächt!“

Es war in der That eine Rache des Schicksals. Hier an derselben Stelle hatte der Sohn, den man mit dem Andenken seines Vaters bis aufs Blut gepeinigt, dem harten erbarmungslosen Großvater zugerufen: „Ihr Wappenschild steht auch nicht so hoch und unerreichbar wie die Sonne am Himmel; es kann ein Tag kommen, wo es einen Flecken trägt, den Sie nicht auslöschen können, und dann werden Sie fühlen, welch ein erbarmungsloser Richter Sie gewesen sind!“ Der Tag war gekommen, und er hatte die alte mächtige Eiche, die allen Stürmen Trotz bot, mit einem einzigen Schlage gefällt.

„Ermanne Dich!“ drängte Michael. „Du darfst jetzt nicht erliegen. Bedenke, was der Unselige in Händen hat, was damit auf dem Spiele steht. Wir müssen einen Entschluß fassen!“

Er hatte das rechte Mittel ergriffen. Der Gedanke an die drohende Gefahr riß den General empor aus seiner dumpfen Verzweiflung. Er erhob sich, noch mühsam und schwankend; aber er stand doch wieder aufrecht, und die Besinnung schien ihm zurückzukehren.

„Könnte ich ihn erreichen, den Buben! Ich wollte ihn zwingen, ich wollte ihn mit diesen meinen Händen – aber mir bleibt keine Zeit mehr. Mein Eintreffen im Hauptquartier ist auf die Stunde bestimmt.“

„So schicke mich!“ fiel Michael entschlossen ein. „Eine Ordre meines Generals, die auf eine geheime wichtige Mission lautet, enthebt mich jeder anderen Verpflichtung. Der Bahnverkehr ist jetzt überall gehemmt und unterbrochen wegen der Truppendurchzüge; man braucht die doppelte Zeit, um vorwärts zu kommen. Meine Uniform und Dein Befehl stellt mir jeden Militärzug zur Verfügung; ich hole Raoul ein und erreiche ihn noch diesseit der Grenze.“

„So weißt Du also den Weg, den er genommen hat?“

„Ja, und ich habe mir auch die Spur der Clermonts gesichert, für alle Fälle. Ich konnte und durfte dem schrecklichen Verdachte nicht Worte geben, der sich auf bloße Möglichkeiten gründete, so lange mir jeder Beweis fehlte, und der Dienst stellt jetzt auch an uns die weitestgehenden Anforderungen. Erst vor einer Stunde gelang es mir, mich frei zu machen und nach der Wohnung Clermont’s zu eilen. Er war abgereist mit seiner Schwester, und zwar hatten sie die süddeutsche Bahnlinie genommen, auf der sie wohl schneller fortzukommen dachten. Ich fuhr direkt uach dem Bahnhöfe, der auch stark von der Truppenbefördernng in Anfpruch genommen ist. Der Morgenzug war noch planmäßig abgegangen, und auch der Mittagszug stand anf den Schienen, eb.n zur Abfahrt bereit. Wie weit sie freilich kommen und was f.ir Stocknugen unterwegs eintreten würden, ließ sich nicht vorhergehen. Ich sprach noch mit dem Beamten; da auf einmal erblickte ich Raoul auf der anderen Seite. Er war allein, in höchster Eile und stürmte den Zug entlang, in dem er etwas zu suchen schien. Da wurde das letzte Zeichen gegeben; er riß die erste beste Thür auf, sprang hinein, und der Zug brauste davon. Ich konnte ihn nicht erreichen, da die ganze Breite des Bahnhofes zwischen uns lag, aber ich eilte an den Schalter, um zu erfahren, wohin das Billett lautete, das sich der letzte einzelne Passagier gelöst hatte. Man nannte mir – Straßburg!“

Der General stützte sich schwer auf den Armstuhl bei diesem in fliegender Eile gegebenen Bericht; aber er verlor kein Wort davon und bei dem Schluß, der ihn hätte niederschmettern sollen, richtete er sich empor, mit einem Aufflammen seiner alten Kraft.

„Du hast Recht. Es ist noch eine Möglichkeit, ihn zu erreichen,“ er nannte Raoul’s Namen nicht mehr. „Wenn noch etwas zu retten ist, so wirst Du es retten, Michael! Ich weiß es. Schaffe mir die Papiere zurück, von dem Lebenden – oder von dem Todten!“

„Großvater!“ rief der junge Officier entsetzt zurückweichend.

„Auf mein Haupt die Folgen! Du hast sie nicht zu tragen. Ich verlangte einst von Euch, mein Blut zu schonen, das in Euch Beiden fließt; jetzt sage ich Dir, Du hast nichts mehr zu schonen an dem Hochverräther! Entreiße ihm seinen Raub! Du weißt, was daran hängt – entreiße ihn dem Lebenden oder dem Todten!“

Sie klangen furchtbar, diese Worte, und furchtbar war auch der Ausdruck in dem Antlitz des Greises, jede menschliche Empfindung schien daraus geschwunden; es zeigte nur noch die starre, eiserne Unerbittlichkeit des Richters. Man sah es: er hätte den Enkel, den Erben seines Namens, der seinem Herzen einst so nahe gestanden, geopfert, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Ich werde meine Pflicht thun,“ sagte Michael halblaut, aber auch seine Stimme hatte etwas von jenem schrecklichen Klang.

Der General ging zum Schreibtische und ergriff die Feder; seine Hand bebte und drohte den Dienst zu versagen, aber er bezwang die Schwäche und schrieb einige Zeilen nieder, die er dem Hauptmann reichte.

„Ich lege Alles in Deine Hand, Michael. Geh! Vielleicht gelingt es Dir, mir das Letzte zu ersparen. Habe ich in vierundzwanzig Stunden keine Nachricht von Dir, so muß ich sprechen und muß bekennen, daß der letzte Steinrück –“

Er konnte nicht vollenden; seine Stimme brach, aber seine Hand umschloß mit wildem, verzweiflungsvollem Drucke die Hand Michael’s. Der verleugnete Sohn der verstoßenen Tochter sollte jetzt der Retter der Familienehre sein; er war die einzige, letzte Hoffnung des verzweifelnden Greises, und er erwiderte den Händedruck.

„Vertraue mir, Großvater! Du hast es selbst gesagt, wenn noch irgend etwas zu retten ist, so werde ich es retten. Ich sende Dir die Nachrichten nach Deinem Hauptquartier. Leb’ wohl!“

(Fortsetzung folgt.) 


[881]

Schneelandschaft.

Von Anton Ohorn.

Tiefverschneit, in müdem Schweigen
Ruht das Dörfchen – kein Sonnenschein!
Auf den schneebeladnen Zweigen
Ducken sich hungrige Vögelein.

Menschenleer ist Weg und Halde,
Schläfrig kräuselt der Rauch sich kaum,
Frierende Kinder nur schleifen vom Walde
Heimwärts den grünen Weihnachtsbaum.

Weihnacht! Das klingt wie süße Lieder,
Weht durch den Winter wie sonniger Hauch –
Hoffet, ihr Vöglein, der Frühling kehrt wieder,
Menschenherz, hoffe, dein Lenz kommt auch!

[882]

„Schlaf’, Herzenssöhnchen, mein Liebling bist Du!“

Eine Liedergeschichte aus den Lehr- und Wanderjahren von Karl Maria’s von Weber.[2]
Erzählt von Ernst Pasqué.

Das Jahr 1810 war für die Stadt Frankfurt ein ganz besonders ereignißreiches; sie erlebte, daß in Folge der Kontinentalsperre französische Truppen die Kaufläden mit Gewalt erbrachen, die englischen Waaren wegnahmen und auf öffentlichen Plätzen verbrannten, wofür sie die zweifelhafte Entschädigung erhielt, aus einer freien Reichsstadt die Residenz des von Napoleon’s Gnaden neu errichteten Großherzogthums Frankfurt zu werden. Im September waren es Vorgänge anderer Art, welche das lebhafte Interesse ihrer Bewohner erregten. Die Wittwe des berühmten französischen Luftschiffers Blanchard, selber eine Berühmtheit auf diesem neuen Felde der Aëronautik, hielt dort ihre erste Auffahrt in Deutschland, und zu gleicher Zeit sollte im Stadttheater eine neue Oper des jugendlichen und vielversprechenden Komponisten Karl Maria von Weber, „Silvana“, zur ersten Aufführung gelangen: zwei Schaustellungen, von denen die erste der andern nur schaden konnte.

In der Kanzlei des Stadttheaters saßen drei Herren mit sorgenvollen Mienen in ernster Berathung beisammen; es waren der durch Talent und Thatkraft vom wandernden Posamentirgesellen zum Souffleur, Kassirer, Theaterdichter und Direktor avancirte Jhlée und der ehemalige Mönch der Abtei Eberbach im Rheingau, jetzt Musikdirektor und Kapellmeister Schmitt (Vater des durch Richard Wagner’s Protektion so bekannt gewordenen Gesanglehrers gleichen Namens). Der Dritte war der jugendliche, damals etwa vierundzwanzigjährige Karl Maria von Weber, der am Morgen von Darmstadt, wo er zur Zeit sein Domicil aufgeschlagen hatte, herüber gekommen war, um der heute, am 13. September, stattfindenden Generalprobe seiner Oper „Silvana“ beizuwohnen.

„Ein ganz fatales Zusammentreffen und leider nicht zu ändern,“ sagte Direktor Jhlée, „daß die dicke Madame Blanchard gerade jetzt kommen mußte, um für den nächsten Sonntag, den 16., ihre Fahrt in die Lüfte anzukündigen. Ich wollte lieber – es ist zwar ein unchristlicher Wunsch – sie führe zur Hölle! Sie wird ihre erste Auffahrt nicht verschieben wollen, und wir können unsere erste Aufführung der ‚Silvana‘ auch nicht weiter zurückverlegen; es ist unmöglich! Was wäre da zu thun?“

„Wenn wir die Blanchard nur bewegen könnten, ihre Luftfahrt einige Stunden früher anzutreten,“ meinte Musikdirektor Schmitt. „Bleibt es bei der angekündigten Nachmittagsstunde, dann dauert die Geschichte sicher bis zum Abend und wir haben keine Seele im Theater – die Oper ist verloren! Auf alle Fälle müßten wir um sieben Uhr, anstatt um sechs Uhr anfangen, und da die Vorstellung nicht länger als bis neun Uhr dauern darf, hätten wir eine ganze Stunde Musik aus der Partitur zu streichen – in erster Linie müßten alle Arien weggelassen werden.“

„Das wäre entsetzlich!“ seufzte Weber, um dann plötzlich mit einem entschlossenen hoffnungsvolleren Tone hinzuzusetzen: „Ich will zu ihr, mit ihr reden, sie bitten, beschwören, gleich nach Tisch mit vollem Magen gen Himmel zu fahren! Ich mache der stattlichen Wittwe meinetwegen die Kour auf Mord und Tod, nur um meine armen Arien-Kindlein und ihre Mutter ,Silvana‘ vom sicheren Untergang zu retten. Doch darf ich keinen Augenblick verlieren! Jetzt ist es drei Uhr; um fünf Uhr zur Generalprobe bin ich wieder zurück: Apollo Musagetes wird den Aeolus und seine französische Priesterin, wenn auch nicht vollständig besiegen, so doch seinem Dienste gefügiger machen.“

Damit verließ er eiligst, ohne eine Bemerkung der beiden Direktoren abzuwarten, die Kanzlei.

„Will es Ihnen und uns Allen wünschen!“ rief Musikdirektor Schmitt ihm nach, für sich hinzusetzend: „Und ich will einstweilen die Striche vorbereiten, die arme ,Silvana‘ zu Ehren der dicken Französin seciren.“

Als Weber am Fuße der Treppe bei der Portiersloge angekommen war, stellte sich dem Dahinstürmenden der ebenso redegewandte wie flinke Theaterdiener mit einem Brief in den Weg und rief ihm zu: „Herr von Weber – Herr von Weber! Ein Brief aus Darmstadt, der von Stuttgart kommt, wie deutlich auf der Adresse zu lesen ist, wie auch, daß der Herr Hiemer ihn geschrieben hat.“

Weiter kam er mit seinen Enthüllungen nicht, denn Weber riß ihm den Brief aus der Hand und setzte eilfertig seinen Weg fort. In der Biebergasse entfaltete er das Schreiben seines Textdichters und „Mitvaters“ uud zog ein darin liegendes Gedichtchen hervor. Kaum hatte er einen Blick darauf geworfen, als er recht ärgerlich murmelte: „Ein Wiegenlied, das ich dem Hiemer in Musik setzen soll, und noch dazu so bald als möglich! Mein Reim-Tyrann glaubt, ich hätte hier nichts Anderes zu thun, als Eiapopeia zu singen. Hol’ ihn der Teufel!“ Und weiter eilte er jetzt die Zeil entlang.

*               *
*

Madame Blanchard war mit einem sonderbaren Gefährt in Frankfurt eingezogen. Der vordere Theil sah wie ein Kabriolet aus, in dem sie mit ihrem Kinde, einem etwa dreijährigen Knäblein, saß; der hintere glich einem Frachtwagen und barg ihren kostbaren Ballon mit zwei Leuten, die dessen Bedienung verstanden. Blanchard, der berühmte Luftschiffer, Erfinder des Fallschirmes, viel älter als seine Gattin, war vor etwa einem Jahre (1809) gestorben, und seine Wittwe, damals 32 Jahre alt, setzte, trotz ihrer Korpulenz, das Geschäft oder die „Kunst“ der Auffahrt in die Lüfte mit noch größerer Kühnheit, richtiger Verwegenheit, fort. In einem der weitläufigen Gasthäuser war sie eingekehrt, und dort suchte Weber sie auf. Er fand indessen nur eine alte Frau, welche die Französin in Frankfurt angenommen hatte, um ihr Kind zu pflegen und während ihrer Abwesenheit zu beaufsichtigen.

„Die Madame ist draußen auf dem Klapperfelde, um den Platz zu wählen, von wo aus sie – unser Herrgott steh’ ihr bei! – in den Himmel fahren will,“ antwortete die Frau auf Weber’s Frage nach der Wittwe Blanchard. „Wenn der Herr einige Augenblicke warten und auf das Kind Acht geben will, so laufe ich hin, um ihr Nachricht zu bringen und sie zu holen.“

Weber stimmte zu, und die Alte, gewiß froh, sich die Vorbereitungen für die Wunderfahrt in der Nähe anschauen zu können, eilte äußerst dienstfertig davon. Weber war mit dem Kleinen allein.

Es war ein allerliebstes Kind mit schönen dunklen Augen und lockigen blonden Haaren, dabei aufgeputzt, als sollte es einen Bestandtheil der bevorstehenden Schaustellung bilden. Weber, der die Kleinen sehr gern hatte und sich sofort von dem zuthunlichen Wesen des Kindes angenehm berührt fühlte, zog es zu sich heran, streichelte ihm die Wangen und Locken, und plaudernd brachte er es bald zu dem herzlichsten Lachen.

Doch die Zeit verging; die Alte kehrte nicht zurück, und die gute Laune Weber’s wandelte sich nach und nach in Ungeduld, die sich zu hellem Unmuth steigerte. Er fluchte zuletzt ganz gotteslästerlich, so daß das Lachen des Kindes endlich in ein herzbrechendes Weinen umschlug. „Herr Gott!“ sagte sich der Komponist, „wenn die Französin sich alle für ihre Thaten geeigneten Schauplätze ansieht, vom Klapperfeld zum Galgenfeld wandert und meine Alte immer hinter ihr drein läuft, so kann ich hier bis zum Abend bleiben und die ganze Generalprobe versäumen. Eine volle Stunde sitze ich schon auf Nadeln und spiele die Kindsfrau. Es ist zum Teufelholen!“

Doch alles Aergern und Fluchen half nichts: Niemand wollte kommen, und der arme Kleine weinte und jammerte immer bitterlicher nach seiner Mama. „Könnte ich ihn einstweilen nur zum Schlafen bringen,“ fuhr Weber in seinem Selbstgespräch, die Stube mit großen Schritten durchmessend, fort, „dann hätte ich wenigstens von dieser Seite Ruhe.“

Jetzt nahm Weber das weinende Kind auf seinen Arm, wiegte es hin und her, ließ es leicht tänzeln, setzte mit ihm seine ungeduldige Promenade durch die Stube fort und flüsterte dabei in der dem Kleinen verständlichen Sprache: „Dors, mon poupon, mon petit ange, dors! la maman viendra – la voilà là – là! – Ah, ein Gedanke!“ rief er plötzlich mit einem Aufschrei der Erlösung, denn sein Auge hatte ein altes unscheinbares Möbel mit dünnen Beinchen gestreift, das abseits in einer Ecke stand und nichts Anderes sein konnte, als ein längst aus der Mode und außer Gebrauch gekommenes Spinett. „Ich habe ja das Zaubermittel in der Tasche, das den kleinen armen Schreihals in Schlaf lullen kann. Hervor, du neuestes unsterbliches Opus meines Stuttgarter Textlieferanten, und thue deine Schuldigkeit!“

Dabei bettete er den immerfort jämmerlich weinenden Kleinen in die Ecke des Sofas, setzte sich vor das alte Spinett und begann, die Verse Hiemer’s vor sich, nach einigem kaum hörbaren Suchen und Präludiren, leise – ganz leise zu singen:

„Schlaf’, Herzenssöhnchen, mein Liebling bist du!
Schließe die blauen Guckäuglein zu!
Alles ist ruhig, ist still wie im Grab,
Schlaf’ nur, ich wehre die Fliegen dir ab.“

Ein Wunder! Gleich nach den ersten Tönen des altersschwachen Spinetts, der von Weber angestimmten lieblichen Melodie, hatte der Kleine zu weinen aufgehört. Doch machte er keine Miene einzuschlafen; er blickte sogar mit seinen großen dunklen Augen anfangs recht erstaunt, dann sichtlich freudig auf den ihm gerade gegenübersitzenden Weber. Dieser seufzte ordentlich erleichtert auf; dann murmelte er: „Eine zweite Beschwörung wird den Zauber vollenden!“ und wohl selber über die gefundene hübsche Melodie erfreut, sang er mit allem ihm zu Gebote stehenden Ausdruck die folgende Strophe:

„Jetzt noch, mein Püppchen, ist goldene Zeit;
Später, ach, später ist’s nimmer wie heut.
Stellen erst Sorgen ums Lager sich her,
Herzchen, da schläft sich’s so ruhig nicht mehr.“

[883] Nun schaute er wieder nach dem Kinde hin, dessen Aeuglein jetzt geschlossen waren, obwohl es noch immer nicht schlief. Denn gar zu lebendig lächelte das hübsche liebe Gesichtchen. Leise fuhr Weber fort:

„Engel vom Himmel, so lieblich wie du,
Schweben ums Bettchen und lächeln dir zu.
Später zwar steigen sie auch noch herab,
Aber sie trocknen nur Thränen dir ab!“ –

„Er schläft,“ murmelte er, sich nach den Augen fahrend, denn bei der letzten Verszeile war es ihm ganz sonderbar zu Muthe geworden. Er hatte im Geiste die eigene, ahnungsvoll ersehnte Gattin an der Wiege seines Kindchens gesehen, das sie mit dem Liede in Schlummer sang und wiegte! Und er sang leise die Schlußstrophe:

„Schlaf’, Herzenssöhnchen, und kommt gleich die Nacht,
Sitzt deine Mutter am Bettchen und wacht,
Sei es so spät auch und sei es so früh,
Mutterlieb’, Herzchen, entschlummert doch nie.“

„Doch nun rasch die Melodie festgehalten,“ rief der Tondichter in ihm, und in wenigen Augenblicken war die glückliche und gar liebliche Melodie notirt. Unter die flüchtigen Noten schrieb Weber noch hastig:

Erhalten und komponirt 1810, 13. September in
Frankfurt am Main
.“

Da schlug es fünf Uhr, und zugleich stapfte die Wärterin die Treppe herauf und athemlos ins Zimmer hinein: sie habe die Madame weder auf dem Klapper- noch auf dem Galgenfelde gefunden, keuchte sie, sich entschuldigend. Doch Weber hörte sie bereits nicht mehr, er war mit einem Abschiedsblick auf den hübschen Kleinen davongelaufen und eilte dem Theater und der Generalprobe zu.

„Und müssen auch für Sonntag meine Silvana-Arien fallen,“ sagte er sich, „so habe ich dadurch doch ein Lied für das Volk – und die Meinigen – gewonnen, das vielleicht mehr werth ist als die prunk- und kunstvollste Opern-Arie.“

*               *
*

Am folgenden Sonntag, den 16. September, stieg Nachmittags drei Uhr, wie angekündigt, Madame Blanchard mit ihrem Ballon in die Lüfte, und „ganz Frankfurt“ wohnte dem seltenen, damals unerhörten Schauspiel bei; um sieben Uhr Abends fand die erste Aufführung von Karl Maria von Weber’s Oper „Silvana“ vor leerem Hause statt und, wie Musikdirektor Schmitt angedroht hatte, mit Hinweglassung sämmtlicher Arien! Dennoch gefiel Weber’s Werk und machte von Frankfurt aus die Runde über die meisten deutschen Bühnen – um dann der Vergessenheit zu verfallen und nach 75 Jahren in erneuerter Form wieder aufzuleben.

Madame Blanchard wagte mit ihrem Ballon noch manchen kühnen Flug in die Lüfte, bis sie endlich denn doch allzuviel und das Allergefährlichste wagte. Am 17. Juli 1819 machte sie in Paris ihre 67. Auffahrt und brannte hoch oben in der Luft ein Feuerwerk ab. Das kostete ihr das Leben. Ihr Ballon verbrannte, und sie selbst stürzte aus furchtbarer Höhe auf die Dächer von Paris, dann zerschmettert auf das Straßenpflaster nieder. – Auf dem Père-Lachaise erhebt sich, mitten unter den letzten Ruhestätten der berühmtesten Komponisten Frankreichs, ihr prunkvolles Grabmal: eine Säule, gekrönt mit einem die Erdkugel darstellenden Ballon, aus dem eine Flamme emporsteigt, die Art und Weise ihres entsetzlichen Todes andeutend.

Und Karl Maria von Weber’s Wiegenlied? Es ist eines der volksthümlichsten Lieder unseres herrlichen Meisters geworden und geblieben! Die geträumte Gattin, welche er, wie er damals noch nicht ahnte, in der Frankfurter Darstellerin seiner „Silvana“ finden sollte, sang es den eigenen Kindern vor. Und welche deutsche Mutter hat es in früheren Jahren nicht ihren Kleinen an der Wiege gesungen? – Noch nach fast sechzig Jahren erinnere ich mich lebhaft des Eindrucks, den das sinnige, liebliche Lied auf mich machte, wenn meine theuere, unvergeßliche Mutter es den jüngeren Geschwistern an deren Bettchen sang, und später sang es meinen eigenen Kindern die Mutter. Es wird mit den andern Liedern und Weisen unseres unsterblichen Meisters in seiner Einfachheit fortleben und tönen – mindestens so lange wie die Weisen derjenigen Werke, welche die Jetztzeit als unübertreffliche preist!


Blätter und Blüthen.

Vom Weihnachtsbüchertisch. Eine Zahl von Prachtalbums und elegant eingebundenen Dichtwerken hat sich wieder auf unserem Büchertisch eingefunden und harrt der Beleuchtung durch die Kerzen des Christbaums. Zum ersten Male ist eine Berliner „Bunte Mappe“ (München 1886, Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft“) erschienen, welche den bisher so beliebten Münchener „Bunten Mappen“ Konkurrenz macht. Da sehen wir die Berliner Künstler im Verein thätig, in Genre- und Stimmungsbildern, in Portraits und Studienköpfen, in Erinnerungsblättern jeder Art die künstlerische Leistungsfähigkeit der Reichshauptstadt zu bewähren. Da fehlt weder Ludwig Knaus, der uns einen genügsamen Weltbürger mit köstlichem Humor zeichnet, noch Adolf Menzel, der in „Der Stickkünstler“ ein mit großer Feinheit ausgeführtes Erinnerungsblatt an die japanische Gesandtschaft giebt, noch August von Heyden („Im Frühling“) und Paul Thumann („Frühlingsblumen“) mit ihren stimmungs- und deutungsvollen Gestalten und Gruppen. Von Hermann Prell’s Fresken im Rathhaussaale zu Worms erhalten wir eine charakteristische Probe; Anton von Werner führt uns militärische Gestalten aus der Zeit des alten Fritz und der Gegenwart vor: wir können nicht alle die originellen und anziehenden, oft mit vielem Humor ausgeführten Bilder namhafter Meister und strebender Talente hier erwähnen. Auch der Berliner Parnaß ist in den Texten ziemlich vollzählig vertreten; es wechseln Gedichte, Humoresken, Novellen; da fehlt kein Name von Spielhagen und Lindau, Rodenberg und Ring, Elisabeth Werner und Julius Wolff, Hans Hopfen und Hermann Heiberg, bis zu den Jüngeren, die strebend sich bemühen, wie Karl Bleibtreu.

In einer illustrirten Prachtausgabe ist Rudolph Baumbach’s „Truggold“, eine Erzählung aus dem 17. Jahrhundert, erschienen (Berlin, Albert Goldschmidt). Diese Erzählung ist in Prosa geschrieben: man vermißt ungern die schalkhaften Verse des Dichters; doch dem Illustrator giebt sie in Genrebildern und Liebesscenen und durch charakteristische Gestalten reichlichen Stoff, welchen Philipp Grot Johann mit Geschick verwerthet hat.

Auch ein älterer Dichter, Freiherr von Eichendorff, der einige unvergängliche Lieder gedichtet, die mit ihrem stimmungsvollen Reiz sich im Herzen unseres Volkes eingebürgert haben, erscheint auf dem Weihnachtsbüchermarkte mit einem größeren Werke: „Aus dem Leben eines Taugenichts“, von welchem die Amelang’sche Verlagsbuchhandlung in Leipzig eine illustrirte Prachtausgabe erscheinen läßt. Die Ausgabe ist mit 38 Heliogravuren nach Originalen von Philipp Grot Johann und Professor Edmund Kanoldt ausgestattet. In dieser Novelle überwiegt das lyrische Element; sie enthält einige der schönsten Eichendorff’schen Lieder; es ist natürlicb, daß auch die Illustrationen diesen Charakter tragen, und wenn es auch nicht an einigen genrehaften Situationsbildern fehlt, so sind doch die überwiegende Mehrzahl der Zeichnungen landschaftliche Stimmungsbilder, auf denen der träumende Taugenichts bisweilen nur Staffage ist. Die Zeichnungen haben zum Theil einen sonst nur durch den Pinsel zu erreichenden lyrischen Reiz.

Zu dem deutschen Roman, welcher maßgebend geworden ist für deutsch-historische Romandichtung aus älterer Zeit: Scheffel’s „Ekkehard“, jedenfalls der werthvollsten Dichtung, welche der Autor hinterlassen, sind Bilder mit erklärendem Text erschienen (München, Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft). Die Bilder, die sich durch anmuthige Auffassung der Hauptfiguren auszeichnen, bisweilen wie „die Hunnenschlacht“ größere Tableaus bieten, bisweilen einen schalkhaften Humor athmen, wie Rudimann und Kerhildis, sind von den Malern J. Benczur, W. Dietz, C. Grützner, J. C. Herterich, L. Hofmann-Zeitz, von A. Liezen-Mayer und G. Max, die Textillustrationen von O. Seitz gezeichnet, während Ludwig Fulda den Text und die theils biographische, theils die Dichtung erläuternde Einleitung mit gewandter Feder verfaßt hat.

Im Verlage von F. Cavael in Leipzig ist ein duftiger, aus Liedern und Bildern gebundener Blüthenstrauß neuer Lyrik erschienen unter dem Titel „Ein Frauenherz“. Frida Schanz, welche durch anmuthige Verse einst die Preisrichter so bestochen hat, daß sie dieser Musenjüngerin den ersten Preis für das beste Studentenlied zuertheilten, hat ein sehr hübsches einleitendes Gedicht zu diesem Album verfaßt. Die biographischen Notizen, welche den einzelnen Gedichten vorausgeschickt sind, zeichnen sich durch knappe und doch bezeichnende Form im Lebensabriß und im kritischen Urtheil aus. Die Zeichnungen von Richard Gutschmidt schließen sich mit Bezug auf Weichheit des Tons an die Thumann’sche Richtung an; die Auswahl der illustrirten Gedichte wurde durch die Tendenz der Sammlung und die Eigenart des illustrirenden Künstlers bestimmt.

Mächtig treten uns „Richard Wagner’s Heldengestalten“ in 18 Portraitbildern entgegen, welche im Verlage von Edwin Schloemp in Leipzig erschienen sind. Den erläuternden Kommentar zu den einzelnen Bildern hat Hans von Wolzogen geschrieben, einer der eifrigsten und kundigsten Wagnerianer; die Bilder, nach Originalphotographien in Autotypie von Angerer und Göschl in Wien sind nach den Masken der namhaftesten Wagner-Sänger entworfen und sind, wie das von solchen Künstlern zu erwarten ist, durchaus charakteristisch für die von ihnen ins Leben gerufenen Gestalten. Da sehen wir den „Rienzi“ des Tichatschek, den „Fliegenden Holländer“ des Max Staegemann, den „Tannhäuser“ des Ant. Schott, den „Lohengrin“ des Emil Goetze, den „Siegmund“ Albert Niemann’s, den „Tristan“ Heinrich Vogl’s, den „Parcival“ von Heinrich Gudehus, den „Gurnemanz“ von Emil Scaria etc. Das „Vorwort und die Erklärungen“ von Hans von Wolzogen sind in dem bekannten schwunghaften Stil dieses Autors gehalten, der auch den einzelnen Sängern gerecht wird.

Daß der Berliner Humor nicht bloß von neuem Datum ist, daß er schon zur Zeit des Eckenstehers Nante und vor derselben blühte: das beweist die mit 23 Tafeln in kolorirtem Lichtdruck ausgeführte Mappe „Berliner Humor vor 50 Jahren“. Nach Zeichnungen von B. Dürbek (Berlin, Mitscher und Röstel): man wird sich an manchen dieser drolligen Bilder ergötzen. Der Berliner Witz war damals harmloser, aber nicht minder schlagend.

Die „Worte der Weisen aus allen Völkern und Zeiten“, welche K. Hertz im Verlage von Gebrüder Kröner in Stuttgart herausgegeben hat, verfolgen den Zweck, „dem gebildeten Publikum eine gedrängte Auswahl aus den schönsten und tiefsinnigsten Gedanken der Weltlitteratur, soweit dieselben in spruchartig abgeschlossener Form gefaßt sind, vorzuführen“. Dieser Aufgabe ist der Verfasser vorzüglich gerecht geworden. Aus der reichen Fülle des Spruch- und Sentenzenschatzes aller Völker und Zeiten hat er mit kundiger Hand das Beste und Prägnanteste ausgewählt, die deutschen Sprüche und Sentenzen nach den verläßlichsten Quellen. Die fremdländischen Citate sind nach anerkannt guten Uebertragungen oder, wo solche nicht vorhanden, in trefflicher, eigener Verdeutschung gegeben. Insbesondere aber unterscheidet sich die vorliegende Sammlung von anderen ähnlichen durch genaue Angabe der Quelle bei jedem einzelnen Spruche, und das ist ein Vorzug, der sicher allgemeine Anerkennung finden wird.

[884] Für die Jugend sind noch zwei Schriften von Frida Schanz erschienen, welche wir nachträglich kurz empfehlen möchten. In den hübschen Erzählungen unter dem Titel „Blumen und Früchte“ (Stuttgart, Gustav Weise) wendet sich die Verfasserin an Mädchen im Alter von 6 bis 9 Jahren, in dem zweiten Bande „Jn der Feierstunde“ (ebenda) dagegen an solche im Alter von 8 bis 12 Jahren. Beide Bände sind mit je vier farbigen Illustrationen von P. Wagner geschmückt.

Eine der schönsten Weihnachtsgaben für den Familienkreis sind Robert Schumann’s „Kinderscenen“ (Leipzig, Adolf Titze). Das geschmackvoll ausgestattete Werk enthält dreizehn Musikstücke Schumann’s für das Pianoforte, mit Dichtungen von Albert Träger und kecken, humorvollen Bildern von Alexander Zick, die mit Dichtung und Musik vortrefflich übereinstimmen. Wo immer die edle Musika ein Heim gefunden hat, da werden auch die „Kinderscenen“ willkommen geheißen werden und sich im Sturme die Herzen von Groß und Klein erobern.

„Zweimal Christnacht“ betitelt sich ein freundlich ausgestattetes dramatisches Märchen in acht Bildern von Auguste Goetze (Leipzig, Oswald Mutze), ein Märchen von erzieherischer Tendenz, in welchem die Kinder eines Stadtmusikus die Hauptrolle spielen und der heilige Nikolas als Pädagog auftritt. Die Verfasserin ist ja als Bühnenschriftstellerin bekannt, und so hat sie einzelne Scenen wirksam angeordnet und läßt in die bürgerlichen Verhältnisse ein wenig Weihnachtsglorie fallen.

Es giebt ja heut zu Tage ein sehr modernes Publikum, welches alles Neueste der Dichtung bevorzugt: doch es giebt auch altmodische Leute und für diese ist ein bereits in zweiter Auflage vorliegendes Liederbuch bestimmt: „Als der Großvater die Großmutter nahm“ (Leipzig, F. Wilh. Grunow). Da finden sich Fabeln, Erzählungen, Lieder aus guter alter Zeit, aus unserer klassischen Epoche, aber auch aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Die buchhändlerische Ausstattung entspricht durchweg der eigenartigen Tendenz. †      

Eine verfängliche Frage. (Mit Illustration S. 873.) Die Meisterwerke, in welchen der Tiroler Mathias Schmid uns das Leben seines Volkes vorzuführen pflegt, haben größtentheils einen gewissen tragischen Zug. Rauhe Lebensschicksale sind es, die der Künstler mit erschütternder Wahrhaftigkeit uns vorführt.

Mitunter fällt aber doch auch der Sonnenschein reinen Frohmuthes in das Atelier unseres Künstlers. So auch in dem Bilde, welches wir heute unseren Lesern vorführen.

Wer in dem schönen Lande Tirol gewandert ist, dem werden die Menschen dieses Bildes bekannt vorkommen. Da sitzen sie beisammen in der Stube des Bergwirthshauses, Jeder mit seinem Kännlein vor sich. Sie sind nicht aus dem Orte; darauf lassen die Rucksäcke schließen, die neben ihnen liegen. Sie sind auf der Wanderung. Also sind’s vielleicht Mäher, die nach den hochgelegenen Bergwiesen hinaufklettern wollen. Oder – und das scheint noch wahrscheinlicher – es sind Bergführer, die eine Gesellschaft von Stadtleuten über die Stubaier oder Oetzthaler Ferner geführt haben und jetzt, mit ihren wohlverdienten Guldenzetteln in der Tasche, ins Heimatdorf zurückkehren. Unterwegs aber ladet ein Bergwirthshaus zur Ruhe: wie frisch ist der Trunk und wie hübsch das Töchterlein des Wirthes! Das haben die drei schneidigen Kameraden auch gewußt, der Alte so gut, wie die zwei Jüngeren. Der Alte vielleicht noch am besten; denn offenbar ist er’s, der das Gespräch führt; und eben hat er der schmucken Dirne irgend etwas gesagt, was ihr Seelenhirt vielleicht nicht hätte hören dürfen. Eine „verfängliche Frage“ war’s, die er gethan hat. Solcher verfänglichen Fragen giebt es viele, doch drehen sie sich alle um einen Punkt:

„Dirndl, hast schon ein’ Schatz? – Bist ihm auch treu? – Könnt’st nit noch ein’ brauchen? – Bin i’ Dir z’alt oder z’wüst?“

Das Mädchen hat die Augen gesenkt, eine Hand spielt mit der Nelke, die im Busentuch steckt; die andere mit der Schürze. Auf dem frischen Gesichtchen zeigt sich ein Gemisch von Scheu und List, von jungfräulicher Zaghaftigkeit und schalkhaftem Uebermuth. Und wenn sie jetzt den Mund aufthut, wird sie lachend eine Reihe blitzender Zähne zeigen und auf alle vier Fragen nach einander antworten:

„Schatz hab’ ich kein’; Treu’ bin ich Niemand schuldig; Einer is schon um zehn z’viel; und z’alt bist mir Du freilich, aber z’wüst sind mir alle Mannsleut’ mit einand!“

Der Prinz und die Fee im Weihnachtsspiel. (Mit Illustration S. 869.) Selten strahlte aus dem Zuschauerraume so viel heiterer Frohsinn, so viel wirkliche, von Herzen kommende Bewunderung, wie während des Weihnachtsspieles. Leuchtende Kinderaugen waren es, die wie gebannt an dem schimmernden Glanze der Bühne hingen, und empfängliche Kindergemüther, die von der zierlichen, weißgekleideten „Fee“ mit den Engelsflügeln und von dem „Prinzen“ im goldgestickten Wamms zu frohem Beifalle hingerissen wurden. Ein märchenhafter Zauber umwob die beiden Gestalten, und die Phantasie erzählte den jugendlichen Zuschauern von lebendig gewordener sagenhafter Pracht. Das Königreich die Bühne, das Schloß jener thürmereiche Bau im Hintergrund … ja, wer hätte an die Wirklichkeit gedacht! wer an den versteckten dürftigen Winkel hinter den Koulissen, in welchem sich Prinz und Fee während der Pausen still vergnügt am Fadenspiel ergötzen, zwar aller Schätze des Reichthums beraubt, aber reich an beglückender kindlicher Liebe! Spiel hier – Wirklichkeit dort, aber letztere die schönste. * *      


Allerlei Kurzweil.


Schach.
Von Fritz Hofmann in München.
SCHWARZ

WEISS
Weiß zieht an und setzt mit dem dritten Zuge matt.

Auflösung der Schachaufgabe auf Seite 836.
Weiß: Schwarz: Weiß: Schwarz:
1. S c 8 – a 7 K e 5 – f 6 : 1. … K e 5 – d 4
2. D h 1 – h 8† K f 6 – e 7 2. S a 7 – b 6 † beliebig.
3. S a 7 – c 8 matt. 3. S resp. D setzt matt.

Auf sonstige Züge entscheidet: 2. S a 7 – c 6 8†) nebst 3. D h 1 – d 5 (h 8) resp. S f 6 – e 8 matt.


Briefkasten.

Körner in Hamburg. Auf den unwesentlichen Zug 1 . . . . b 5 – b 4 folgt eine der beiden Drohungen: 2. S g 5 – e 4 oder S g 5 – h 3 nebst 3. S resp. L matt.

C. F. in Karlsruhe. „Das Schachproblem und dessen kunstgerechte Darstellung. Von J. Berger.“ Verlag von Veit u. Komp. in Leipzig. Preis geheftet 6 Mark.


Kleiner Briefkasten.

Anonyme Anfragen werden nicht beantwortet.

B. in K. Als Pendant zu dem in unserer Nr. 14. erwähnten Farbdruck-Portrait Bismarck’s ist jetzt im Verlage Gustav Kirmse in Dresden ein Portrait Kaiser Wilhelm’s erschienen, welches sowohl wegen seiner sprechenden Aehnlichkeit als wegen seiner tadellosen Ausführung empfohlen zu werden verdient.

B. Z. in G. In Erwiderung Ihrer Anfrage theilen wir Jhnen mit, daß der in der „Gartenlaube“ Seite 780 abgebildete hochinteressante Fingerhutpokal der Nürnberger Schneider-Innung in gelungener galvanoplastischer Reproduktion, 241/2 cm hoch um 80 ℳ in dem Kunstinstitut Jean Wild in München zu haben ist.

K. F. in N–L. Sie wünschen von uns Adressen solcher Personen, die geneigt sind, in überseeischen Ländern gegen Vergütung Käfer für Liebhaber zu sammeln und zu versenden! Wir können Ihnen auf diese Frage nicht dienen, veröffentlichen dieselbe aber und werden Ihnen die eingehenden Adressen gerne zur Verfügung stellen.


Inhalt: Die beiden Schaumlöffel. Eine Künstlergeschichte von Klara Biller (Schluß). S. 869. – Die Bastille. Von Rudolf von Gottschall I. S. 875. – Johannes Scherr. Mit Portrait. S. 877. – Sankt Michael. Roman von E. Werner (Fortsetzung). S. 878. – Schneelandschaft. Gedicht von Anton Ohorn. Mit Illustration. S. 881. – „Schlaf’, Herzenssöhnchen, mein Liebling bist Du!“ Eine Liedergeschichte aus den Lehr- und Wanderjahren Karl Maria’s von Weber. Von Ernst Pasqué. S. 882. – Blätter und Blüthen: Vom Weihnachtsbüchertisch. S. 883. – Eine verfängliche Frage. S. 884. Mit Illustration 873. – Der Prinz und die Fee im Weihnachtsspiel. S. 884. Mit Illustration S. 869. – Allerlei Kurzweil: Schach. S. 884. – Kleiner Briefkasten. S. 884.



Für Musiker und Musikfreunde.

In unserem Verlage ist erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:

Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild von M. M. v. Weber.

Mit Porträt in Stahlstich. 3 Bände. Geheftet. Preis 8 Mark.

Zur Feier des 100 jährigen Geburtstages C. M. von Weber’s am 18. December 1886 wird die vorstehende anerkannt beste Biographie des Meisters aus der Feder seines Sohnes vielen willkommen sem. Um dem werthvollen Werke eine größere Verbreitung zu sichern, haben wir den ursprünglich ℳ 20.50 betragenden Preis auf nur ℳ 8.– ermäßigt.

Leipzig. Ernst Keil’s Nachfolger. 


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

  1. Linguet’s „Denkwürdigkeiten über die Bastille“. Mit umfassenden Ergänzungen und Betrachtungen deutsch herausgegeben von Robert Nabi, Leipzig, Philipp Reclam (Universalbibliothek 2121–2125).
  2. Vor hundert Jahren, am 18. December 1786, erblickte Karl Maria von Weber in Eutin das Licht der Welt. An allen Bühnen Deutschlands wird dieser Gedenktag feierlich begangen werden. Möge diese kleine, so warm zum Herzen sprechende Skizze als Erinnerung an den großen Meister im deutschen Hause Eingang finden! D. Red.