Die Gartenlaube (1873)/Heft 23
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No. 23. | 1873. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
Der Loder.
„Oho – nur nit so oben hinaus!“ rief Dickl höhnisch. „Nur nit so groß gethan mit Deiner Bravheit! Du hast auch noch keinen Heiligenschein um den Kopf und wie weit es damit her ist, hast Du selber verrathen. Freilich – daß ich nit der Rechte bin, daß Du mich nit magst, muß ich jetzt wohl glauben und werd’ mir’s in Wachs’l drucken … aber wenn Du gar so eine Klosterfrau bist, warum hast denn nachher geschrieen: ‚Du bist es, Dickl!‘ … Du hast also an einen Andern ’denkt und hast gemeint, es käm’ ein Anderer herangeschlichen hinter Dir, der hätt’ wahrscheinlich keinen solchen Renner ’kriegt, der …“
„Ich sag’ Dir’s zum letztenmal,“ unterbrach ihn Th’res, indem sie sich gewaltsam losmachte und einen Schritt zurücktrat, wie um einen Anlauf zu nehmen, „wenn Du mir nicht aus der Bahn gehst, keinnützer Bub, so kannst noch Numero Zwei kriegen und von einer Sorten, die noch gröber gesponnen ist …“
Er ließ sie ohne Widerstand gehn, denn das Gespräch hatte einen Zeugen bekommen, der die letzten Reden mit angehört hatte und unverkennbar begierig war, noch mehr zu vernehmen. Es war der alte Knecht, der kurz vorher beim Abzug in’s Kornfeld sich über Wolf lustig gemacht hatte.
Dickl sah einen Augenblick etwas verlegen in das verwitterte Gesicht des Alten, in welchem Verschmitztheit und Schadenfreude lauerten. „Was willst Du da, Brunnensepp?“ sagte er unsicher. „Warum bist nicht auf der Kornbreiten?“
„Weil mir der Stiel an meiner Sens’ abgebrochen ist,“ erwiderte der Knecht, anscheinend ganz unbefangen; „ich hab’ mir eine andere holen müssen – da hab’ ich Dich stehn sehn und hab’ Dir sagen wollen, daß draußen Niemand recht gewußt hat, wo man mit dem Schneiden anfangen soll. Der Bauer ist nicht da, wird wohl wieder Augenweh haben und sich nicht heraus’ trauen in die kühle Luft …“
„Und mein Bruder? Und Wolf?“ fragte Dickl hastig. „Wo ist der?“
„Wie kann ich das wissen?“ fragte höhnisch der Brunnensepp entgegen „Ich hab’ gemeint, ich hätt’ ihn vorhin dort unter der Linden sitzen und basseln gesehn – wird wohl ein neues Staarenhäusel schnitzeln oder sonst was Schön’s! … Da hab’ ich mir gedacht, ich wollt’s Dir sagen, damit doch Jemand von der Herrschaft bei der Arbeit ist und der Bauer, wenn er herunterkommt und fragt, hören muß, daß Du draußen bist …“
„Ich dank’ Dir, Brunnensepp,“ rief Dickl, indem er mit dem Alten einen Blick raschen Einverständnisses wechselte, „ich geh’ gleich mit Dir hinaus …“ ich hätt’s gleich gethan, aber ich weiß selber nicht, wie’s mir geschehen ist –, ich hab’s halt verschlafen heut früh …“
„Ja, ja,“ sagte der Knecht, und ging mit Dickl dem Lindenhaine zu, „so was geschieht einem schon diemalen, wenn man zu wenig geschlafen hat bei der Nacht … brauchst Dich vor mir nit zu scheuen, Dickl,“ setzte er dann leiser hinzu, „ich verrathe Dich nit – ich hab’ heut Nacht wieder das Herzgespann gehabt, das laßt mich nit schlafen, da muß ich allemal an’s Fenster gehn und Luft schöpfen, da hab’ ich Einen um Mitternacht über die Anhöh’ heraufkommen und in’s Haus schlupfen sehn – der hat Dir gleich gesehn wie ein Ei dem andern …“
„Du hast den Teufel im Leib, Brunnensepp,“ erwiderte Dickl, „aber ich merk’ Dir’s schon, wenn Du mich nit verrath’st, es wird schon einmal eine zahlende Zeit kommen … weißt ja, wie der Vater ist, er kann’s nit leiden, wenn man in’s Wirthshaus geht: wenn’s nach ihm ging, dürft’ man seiner Lebtag kein’ Karten anrühren; drum geh’ ich in der Geheim’ und bei der Nacht – drunten beim Straßwirth giebt’s alleweil eine lustige Gesellschaft, die gern pascht oder kartelt …“
„Ja – und eine schöne Tochter auch, die einschenkt …“ warf Brunnensepp mit einem listig schielenden Seitenblick dazwischen und fuhr, als er Dickl’s unverhehlbare Betroffenheit bemerke, mit rohem Lachen fort: „Wunderst Dich, daß ich Deine Heimlichkeiten alle so weiß? Fürchtest Dich wohl, ich könnt’ was ausplauschen und der Wirths-Kathrin’ von dem erzählen, was ich vorhin mit angehört und gesehen hab’? … Brauchst keine Sorg’ zu haben; ich steh’ zu Dir, Dickl, und ich weiß, warum ich’s thu. Ich verschwätz’ Dich nit bei der Kathrin’ – es hat ja auch keine Gefahr, daß sie ausgestochen wird … so viel ich gesehen hab’, ist die Th’res nit stark verschossen in Dich …“
Dickl biß die Zähne übereinander. „Das hoffärtige Weibsbild!“ knirschte er. „Aber ich tränk’s ihr ein, oder ich will meiner Lebtag keine gesunde Stund’ mehr haben.“
„Recht hast – nur nichts auf sich sitzen lassen!“ rief der Knecht hämisch, „so hab’ ich’s meiner Lebtag’ auch gemacht. Wer mir einen Streich giebt, der kriegt zwei wieder; wenn’s nicht gleich und von vorn sein kann, dann geschieht’s später und von hinterrücks – man muß nur die Zeit abpassen und die Gelegenheit. Ich hab’ sie auch auf dem Strich, die Duckmäuserin, [368] die sich anstellt, als wenn sie besser wär’ als unser Eins … aber mir wird sie nicht zu schlau, die Feinspinnerin; ich weiß doch, auf was sie spitzt … Der Lindhamerhof sticht ihr in die Augen, so gut wie der Kathrin’ drunten im Straßwirthshaus, und wenn Du sagen könntest, ich krieg’ einmal den Lindhamerhof, beißt die eine an so gut wie die andere …“
„Ja, das ist halt einmal so,“ sagte Dickl halblaut, „den Hof kriegt der Wolf, weil er der Aeltere ist … da laßt sich nichts machen …“
„Wer weiß – noch hat der Letzte lang nit geschoben!“ erwiderte Brunnensepp. „Der Bauer ist bis auf seine Augen nach ganz wohl auf; der denkt vor ein paar Jahrl’n noch nit an’s Uebergeben und wer weiß, was in der Zeit noch Alles geschehen kann! Die gar hitzigen Renner, die stolpern zumeist und schon gar Mancher ist über einen großen Berg gefahren und hat umgeworfen über einem kleinwinzigen Steinl’, das ihm zur rechten Zeit unter’s Rad geschoben worden ist …“
Er brach ab, denn sie waren in der Nähe des Kornfeldes angekommen, eben zur rechten Zeit, daß Dickl über die Eintheilung der Arbeit Anordnung treffen und dem Ausbruche von Zwistigkeiten vorbeugen konnte. Die Arbeiter gewahrten es mit Vergnügen, nickten einander zu und es fehlte nicht an geflüsterten Bemerkungen, daß der Dickl ein ganzer und richtiger Bauer und wie sehr es schade sei, daß ein so großes und schönes Gut nicht in die Hände eines so trefflichen Landmannes und Wirthschafters kommen solle.
Vor dem Hofe war es indessen völlig still und einsam geworden – nur vom Hausdach herunter schrieen und schwirrten einige Staare, die vor der Wanderung noch einmal die Stätte, an der sie gebrütet hatten, heimsuchten und sich über die mit ihren Häusern indeß vorgegangene Verschönerung höchlich verwunderten. Der große Haushund war aus seiner Hütte gekommen und hatte sich auf die Gräd gelagert: er schien zu wissen, daß das Haus verlassen war und nun doppelt seiner Wachsamkeit bedurfte.
Es währte auch nicht sehr lange, so bekam er Gelegenheit, dieselbe zu bewähren. Auf dem Fußwege, der über die vordere Anhöhe heraufführte, kam ein Mann in städtischer Tracht nicht ohne sichtbare Anstrengung herauf gestiegen: seine Beleibtheit machte ihm den Weg ebenso beschwerlich, als die mit der Sonne steigende Hitze; er hatte den Rock ausgezogen und über die Schulter geworfen; aber dessen ungeachtet blieb er bei jedem kleinen Absatze stehn, um aufzuathmen und sich den Schweiß vom kahlen Haupte zu wischen. Endlich erreichte er die Hochfläche und schien sich mit Behagen das gefällige Bild des stattlichen Bauernhauses betrachten zu wollen, als ihn das Auffahren des Hundes, der ihn mit wüthendem Gebell kunstgerecht stellte und keinen Schritt weiter thun ließ, unangenehm unterbrach. Zum Glück währte die Angst nicht lange, denn in der Hausthür erschien Th’res, eine Pfanne in der Hand, in der sie emsig umrührte. „Kusch, Donau, hinein!“ rief sie dem Hunde zu, der auch beim ersten Laut ihrer Stimme gehorsam umkehrte, mit ein paar Sätzen auf die Gräd sprang und sich zu ihren Füßen auf die Schwelle legte. „Komm’ der Herr nur herauf, wenn er zu uns will!“ fuhr sie dann lachend fort, „der Hund thut ihm nichts; er ist so fromm wie ein Lampel!“
„Na, na, die Gattung von Lampeln kann mir gestohlen werden!“ erwiderte der Ankömmling, indem er sich dem Hause bedächtig näherte und sich dann mit sichtbarem Behagen auf einer der Bänke niedersetzte. Th’res ließ das Wandtischchen daneben herab, auf daß er sich tiefaufschnaubend stützte. „Nur gut, daß die Jungfer gleich in der Nähe war, sonst hätte mir das Lampel seine Zähn’ zu kosten gegeben. Herrgott, ist das eine Hitze schon in aller Früh’ und dazu der Weg! Wenn ich gewußt hätte, daß es so hoch und steil herauf geht auf Lindham, hätt’ ich mich um einen Wagen umgesehn!“
„Warum nit gar!“ rief Th’res lustig. „Es ist ja gar nit hoch und nit steil – der Herr,“ setzte sie mit einem Blick auf seinen Körperumfang hinzu, „der Herr hätt’ nur nit so schwer auflegen sollen.“
„So ist es recht,“ rief der Dicke lachend, „da heißt es wieder: wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Herrgott, mir klebt die Zunge am Gaumen – was gäb’ ich darum, wenn ich jetzt einen Krug frisches Bier haben könnte!“
„Damit kann ich dem Herrn freilich nit aufwarten,“ entgegnete das Mädchen, „aber eine Schalen Kaffee, die kann er haben.“
„Kaffee?“ sagte der Fremde und wendete sich verwundert nach ihr um. „Auf dem Lindhamerhof? Der Kaffee wächst wohl da hinterm Zaun im Wurzgarten und schreibt sich mit seinem rechten Namen ‚gelbe Rüben‘?“
„Warum nit gar!“ rief Th’res wieder. „Die gelben Rüben kommen nit auf uns, die kaufen uns all die Stadtleut’ ab. Der Bauer ist alleweil übelauf; da hat ihm der Doctor den Kaffee verschrieben zum Frühstück – wenn er dem Lindhamer von Lindham gut genug ist, wird ihn der Herr wohl auch trinken können!“
„Na, nehm’ es die Jungfer nur nicht übel!“ antwortete der Fremde, „ich will ja kein Wörtel mehr sagen. Aber, wie ist mir denn eigentlich?“ fuhr er fort und kehrte sich vollends herum, um sie noch genauer betrachten zu können, „hab’ ich doch nie etwas davon gehört, daß der Lindhamer eine so saubere und gescheidte Tochter hat.“
„Die hat er auch nit; ich bin seine Tochter nit …“
„Nicht? Also wahrscheinlich ein Bäschen oder sonst eine Verwandte, die den Haushalt führt?“
„Den Haushalt führ’ ich wohl, aber ein Basel oder verwandt bin ich auch nit –“
„Also ist die Jungfer eine Magd?“ fragte der neugierige Mann in immer steigender Verwunderung.
„Nein, ich bin keine Magd,“ sagte sie und sah ihn auch ihrerseits mit Verwunderung an, daß er das Verhältniß nicht zu begreifen schien. „Ich bin die Th’res,“ setzte sie hinzu und erröthete über und über, denn sie fühlte sogleich, daß sie damit nichts aufgeklärt und das Staunen des Fremden erst gerechtfertigt habe. „Ich gehör’ halt ins Haus,“ fuhr sie mit niedergeschlagenen Blicken und flammenrothen Wangen fort, „weil ich darin aufgewachsen bin. … Die Bäurin selig hat mich aufgenommen, wie ich noch ein ganz keins Dirnl’ gewesen bin – aber als was sie mich aufgenommen hat, das hat sie niemals gesagt und es hat mich auch noch kein Mensch darum gefragt …“
Der dicke Fremde sah sie noch immer an, aber die Spottlust, die ihn zuvor angewandelt hatte, war ihm vergangen: die Befangenheit und Verwirrung, in welche seine Fragen sie versetzten, hatten einen eigenen Reiz, etwas so unsäglich Rührendes an sich, daß er nicht gleich wußte, welchen von den Gedanken und Empfindungen, die sich ihm aufdrängten, er Raum geben solle.
Er hatte indessen nicht lange Zeit, sich zu besinnen, denn aus dem Hausfletz über die Stiege herunter wurde ein starker, etwas schleifender Schritt und eine rufende Männerstimme hörbar.
„Der Bauer kommt; der Herr wird doch zu ihm wollen?“ rief Th’res aufathmend und wandte sich, froh der unangenehmen Lage enthoben zu sein, dem Hausfletz zu, den Bauer zu begrüßen. Der Lindhamer, eine hohe und kräftige Gestalt, kam mit der unbefangenen Sicherheit heran, welche aus dem Bewußtsein eines reichen Besitzes und voller uneingeschränkter Herrschaft entspringt und bei minder verständigen Naturen leicht in Geldstolz und Bauerntrutz ausartet. Das war bei dem Alten nicht der Fall, aber sein Selbstgefühl war doch so entwickelt, daß er seinen Willen als das unbedingte Gesetz seines Hauses ansah und Widerspruch und gar Ungehorsam durchaus nicht ertrug, das war auch in den starken, aber nicht unangenehmen Zügen des Gesichts und der ganzen Haltung ausgeprägt; nur die Schwäche seiner Augen that der letztern Eintrag und nöthigte ihn, so sehr er es zu verbergen suchte, etwas behutsamer aufzutreten, als es sonst wohl in seiner Art gewesen wäre. Er erwiderte den Gruß des Mädchens nur mit einem Kopfnicken und schien auch die Meldung, daß schon ein fremder Herr gekommen sei, der ihn zu sprechen wünsche, keiner Beachtung werth zu finden; er nickte dem Gaste ebenfalls zu, lüftete aber zu besonderer Höflichkeit ein klein wenig die schwarze Zipfelmütze, die seinen fast kahlen Scheitel deckte, und setzte sich, wie er gewohnt war, an das Tischchen, dem Fremden gegenüber.
„Wie steht’s?“ sagte er dann, um zuerst dasjenige abzuthun, [369] was ihm das Wichtigste war. „Wie schaut’s aus in Haus und Hof? Sind die Leut’ alle draußen im Korn?“
„Fehlt sich nichts,“ erwiderte Th’res, „es ist Alles wohlauf im Haus und im Stall, und auf’s Feld hab’ ich den Kornschneidern gerade das Frühstück hinausgeschickt …“
Der Bauer nickte zufrieden. „Wo sind die Buben?“ fragte er dann. „Sind sie auch im Feld?“
Th’res zögerte einen Augenblick. Die Antwort, die sie geben mußte, war ihr unerwünscht; dennoch kam ihr kein Gedanke, dieselbe anders einzurichten, als es der vollen Wahrheit entsprach. „Ich glaube wohl, der Dickel ist draußen …“
„Ja, ja,“ sagte der Bauer vor sich hin und nickte wieder, wie Einer; der es ganz selbstverständlich findet, daß Alles gerade so kommt und eintrifft, wie er es vorher gedacht und gesagt … „der ist draußen – aber der Wolf nit?“
„Ich weiß nit gewiß,“ erwiderte Th’res stockend, „er wird wohl noch droben in seiner Kammer sein …“
„Hab’ mir’s im Voraus nit anders eingebild’t,“ sagte er wieder, „aber es ist gut derweil; wir reden schon weiter davon … jetzt bring’ mir das Frühstück, und für den Herrn auch, wenn er mit dem vorlieb nehmen will, was man ihm in einem Bauernhaus vorsetzen kann! … Was verschafft mir denn schon in aller Früh’ einen solchen Besuch?“ fuhr er dann fort. „Meine Augen lassen wohl ein Bissel aus, aber ich mein’, ich hab’ nit die Ehr’, den Herrn zu kennen …“
„Nicht?“ rief der Gast, indem er sich über den Kaffee hermachte, den die Th’res in einer Weise bereitet und geordnet brachte, die jeder städtischen Hausfrau Ehre gemacht hätte. „Mich kennt doch die ganze Welt. Wißt Ihr’s denn nicht mehr, Lindhamer, wir haben uns ja erst im vorigen Jahre getroffen, drüben in Au, wie der große Bauernhof versteigert worden ist. Ich bin ja der Herr Unterberger, der Agent …“
„So so, Agent!“ sagte der Bauer, um ein Merkliches abgekühlt. „Das heißt wohl so viel wie Unterhändler … Und Unterberger heißt der Herr? Dann ist der Herr wohl gar der Selbige, der damals in Au den großen Wald gekauft und niedergeschlagen hat bei Butzen und Stingel …“
„Freilich, freilich!“ rief der Agent vergnügt, „sagte ich’s nicht, daß Ihr mich kennen müßt? Ja, das war ich; ich habe den Wald abgetrieben, habe ein gutes Geschäft damit gemacht, habe das Vierfache von dem herausgeschlagen, was es mich gekostet hat.“
„Ja, wenn’s so ist, kenn’ ich den Herrn recht wohl,“ sagte der Bauer, indem er die Mütze von einem Ohr zum andern schob, „aber dann muß ich erst recht fragen, was der Herr bei mir will; bei mir ist doch kein Wald zu verhandeln …“
„Wer weiß, wer weiß!“ lachte Unterberger. „Wenn auch vielleicht kein Wald, doch ein ganzes Gut … Wie ist’s, Lindhamer – ich halt’ nicht lang’ hinter’m Berg – – ich weiß Jemand, der ein solches Besitzthum sucht … Was kostet der Lindhamerhof?“
Der alte Bauer gerieth bei diesen Worten in heftige Bewegung; er wollte aufspringen und mit zornigen Worten erwidern, aber er überwand die Aufwallung und begnügte sich, die Schale, die er eben geleert hatte, etwas unsanft auf den Tisch zu stoßen und die abgenommene Mütze in den Händen zu ballen. „Der Herr hat schon so früh den weiten Weg da herauf gemacht,“ sagte er dann mit unwilligem Lachen, „also muß ich wohl glauben, daß es ihm Ernst ist, sonst hätt’ ich glauben müssen, der Herr hat zu tief in Krug geschaut. Also kurz und gut: ich will auch nit lang hinter’m Berg hatten – gehe der Herr wieder hin, wo er her ’kommen ist. Der Lindhamerhof ist nit feil.“
„Na na, nur nicht gar so kurz angebunden, nur nicht gleich das Kind mit dem Bad ausschütten!“ rief der Händler und stand auf, um sich dem Bauer zu nähern, „eine Frag’ und ein Gebot ist überall erlaubt, und das Gebot anhören, bringt Euch keinen Schaden … also das erste und letzte Wort – der Hof ist, wenn man ihn auf’s Höchste anschlagt, seine Fünfzigtausend werth … gehen wir hinunter zum Landgericht, und wenn’s heute noch richtig gemacht wird, leg’ ich die Sechzig baar auf den Tisch …“
„Kreuzteufel!“ platzte der Lindhamer, der sich nicht mehr mäßigen konnte, los und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß das Geschirr tanzte und klirrte, „jetzt kommt’s mir aber zu grob. Und wenn mir der Herr Hunderttausend giebt, ich hab’s ihm schon gesagt: der Lindhamerhof ist nicht feil. Wenn er aber feil wär’, so würd’ ich ihn dem Herrn nit geben. Möchte wohl wieder so ein gutes Geschäft machen, wie selbiges Mal in Au? Hat wohl davon gehört, daß beim Lindhamerhof ein Waldbestand ist, aus dem sich wieder das Vierfache herausschlagen ließ? Da hat sich der Herr verrechnet und muß schon den Hinweg für den Herweg annehmen … ich weiß nit, warum das Gericht und die Regierung solche Geschäft’ leid’t, aber das weiß ich gewiß, den Lindhamerhof soll kein solcher Waldmörder beschändeln.“
„Was ereifert Ihr Euch?“ unterbrach ihn der Händler, nun ebenfalls gereizt. „Wenn Ihr nicht wollt, braucht Ihr’s ja nur zu sagen. Ihr werdet nicht ewig auf dem Hof bleiben, und die nach Euch kommen, sind vielleicht gescheidter oder haben das Geld nothwendiger als Ihr; unsereins kann warten …“
„Laß sich der Herr nur nit die Zeit lang werden mit dem Warten!“ lachte der Bauer höhnisch. „Eine Weil’ halt’ der alte Lindhamer schon noch aus, und meine Buben sind gescheidt genug und haben’s nit nöthig, Gott sei Dank, daß sie sich dadurch helfen müßten, daß sie den Hof ruiniren …“
Der Händler hatte Hut und Stock ergriffen und schritt die Stufen der Gräd hinunter. „Ich will’s wünschen – Adios, Lindhamer …“ sagte er achselzuckend und mit spöttischer Miene.
„Halt, Herr …“ rief der Bauer und vertrat ihm den Weg. „Was soll das heißen? Warum lacht der Herr so eigen und zuckt mit den Achseln, wenn er von meinen Buben red’t? Was meint er damit? Weiß der Herr was Unrechtes von ihnen?“
„Was das heißen soll?“ erwiderte der Fremde, indem er innehaltend sich dem Bauer mit noch höhnischerer Miene zuwendete. „Glaubt Ihr etwa, daß ich mich vor Euch fürchte und für Das, was ich sage, nicht einstehe? Als ob es ein Geheimniß wäre! Als ob es nicht bekannt wäre auf sieben Stunden im Umkreis, daß Euer ältester Sohn, der einmal den Hof bekommt, die Bauernarbeit nicht mag und sich nicht viel darum kümmert, daß er lauter anderes Zeug treibt, das nicht Geld einbringt, sondern Geld kostet, und daß er lustig in den Tag hinein lebt! Der wird Euch den Geldsack schon leichter machen – er ist ja auf jedem Scheibenstand und jeder Kugelstatt bekannt, und wo unser Herrgott den Arm heraushängt, da schreien sie ihn an, wenn er vorbeigeht, und sagen: jetzt wird’s erst lustig – jetzt kommt der Loder von Lindham …“
„Was … sagt der Herr?“ stammelte der Bauer, in den das Wort wie ein Blitzstrahl einschlug, daß er, um nicht umzusinken, sich auf das Wandtischchen stützen mußte, das unter ihm zitterte. „Wie – heißt – man – meinen Buben?“
„Na, Ihr werdet das Wort doch verstehen!“ erwiderte Unterberger. „So viel ich weiß, ist ein Loder ein Mensch, der zu nichts Richtigem zu gebrauchen ist – so, was man in der Stadt einen Taugenichts nennt, und wenn Ihr mir nicht glaubt, so fragt einmal herum in der Gegend – Ihr werdet genug zu hören kriegen von dem Loder von Lindham. …“
Damit stülpte er den Hut auf den Kopf und eilte den Abhang hinab, im sichern Bewußtsein, dem Gegner vergolten und ihn so recht in’s Herz getroffen zu haben.
Das war ihm auch vollständig gelungen; der Alte knickte, ihm nachstarrend, auf die Bank zusammen und vermochte nichts hervorzubringen als einzelne halblaute Worte. „Die Schand’!“ murmelte er, „mein Bub’ – der Loder von …“ Es war wie eine Lähmung über ihn gekommen, die Willen, Denken und Können des sonst so rüstigen wie entschlossenen Mannes gefesselt hielt. …
Es war ein schlimmes Zusammentreffen, daß gerade in diesem Augenblicke Wolf um die Hausecke hervorkam, nichts ahnend, fröhlich wie immer, im Sonntagsstaat, zur Wanderung gerüstet und zum Ueberflusse die Mundharmonica an den Lippen, auf der er eine frische muthwillige Weise blies – betroffen hielt er an und brach mitten in dem Liedchen ab, als er den Vater gewahr wurde. Dieser war beim ersten Tone, beim ersten Blicke wie verwandelt – die krampfhafte Erstarrung wich von ihm so plötzlich, wie sie gekommen war, gleich einer Eiskruste, die der Bach im Frühling sprengt und mit aufquellenden Fluthen über seine Ufer schleudert. In alter Kraft und Sicherheit richtete er sich auf und stand im nächsten Augenblicke dem Sohne gegenüber – der Zorn ließ ihn nicht fühlen, daß sein Gesicht schwächer geworden war. „Halt! Wo willst Du hin?“ rief er ihm mit einer Miene zu, die gewohnt ist, Befehle zu geben und ihnen unbedingt gehorcht zu sehen.
[370] Wolf sah ihm etwas betroffen, aber doch fest in’s Auge. „Nach Aibling hinunter,“ sagte er dann; „es ist Jahrmarkt dort – will mich ein wenig umsehen und zum Spängler gehen, daß er mir das Triebrädel da beschlagen soll, das ich geschnitzelt habe. …“
„Was?“ rief der Vater auflodernd. „Und Du schämst Dich nit, das zu sagen? An einem bloßen Werktag feiern? An einem Tag, wo es so viel zu thun giebt, daß sich Jeder noch ein Paar Händ’ wünschen möcht’? Du schämst Dich nit, vor den Leuten herumzuschlenzen und Dich mit solchen Kindereien, mit solchem Spielzeug abzugeben wie ein Schulbub’?“ Dabei hatte er ihm das zierlich geschnitzte Rad aus der Hand gerissen, warf es zu Boden und trat es in Stücke.
In Wolf regte sich das Blut des Vaters; aber er bezwang sich, obwohl es ihm einen Stich in’s Herz gab, als er das mühevoll ersonnene Werk zerstören sah. „Vater,“ sagte er, und die Stimme zitterte ihm vor Erregung; „das ist kein Spielzeug, Vater. … Du weißt, daß unsere Quellen manchmal in der heißen Zeit schwächer rinnt und daß es auf ein paar Augenblick’ ist, als wenn sie ganz ausbleiben wollt’. … Du weißt, was das zu bedeuten hätt’ für den Lindhamerhof – d’rum sinnir’ ich schon lang’ darüber, wie man sie vielleicht fassen oder machen könnt’, daß sie nit verschwind’t oder nit in das Loch fallt, da vorn … da hab’ ich mir ein Triebwerk ausgedenkt … das muß ich doch erst im Kleinen machen wie ein Muster, daß ich seh’, ob es geht. …“
„Das sind Dummheiten, mit denen Du nur Zeit und Geld vertragst,“ rief der Alte wider Willen in etwas milderem Tone. „An dem Brünnl’ darf nichts geändert werden – das muß bleiben, wie es ist … es bleibt nit aus, so lang’ man’s nit anrührt. …“
„Vater, so was wirst doch nit glauben. …“
„Warum nit? Willst Du gescheidter sein als Dein Vater und Dein Ahnl und Urahnl, die alle d’ran geglaubt haben, und es ist ihnen gut gegangen dabei? … Ich will davon nichts wissen. So ist’s alleweil’ gewesen und so soll’s bleiben und das Brünnl’ wird nit angerührt, so lang’ ich ein offenes Aug’ hab’. Und wenn’s wär’ und es wär’ wirklich was von einem Sinn und Verstand in Deinen Narretheien – hat das etwan nit Zeit bis nach der Ernt’? Jetzt hat man alle Händ’ voll zu thun … warum bist nit bei der Arbeit?“
„Weil ich gemeint hab’, ich hab’s nit so nöthig,“ sagte Wolf trotzig, „ich hab’ gedenkt, dreschen und Korn schneiden kann jeder Knecht!“
„Und was bist denn Du?“ rief der Vater in wieder steigendem Zorne entgegen. „Du bild’st Dir wohl ein, Du bist besser? Meinst, Du bist schon der Bauer auf dem Lindhamerhof? … Gieb Acht, gieb Acht, daß Du Dich nicht verechnest – Du hast noch weit bis dahin! Dreschen und Korn schneiden kann jeder Knecht, hast Du gesagt? Recht hast … jeder ordentliche richtige Knecht kann das – faullenzen, mitten in der Ernt’ fortlaufen und faullenzen, das kann und thut nur ein Loder!“
„Vater!“ schrie Wolf auf und stand mit funkelnden Augen, als gelte es, einen Gegner im Zweikampfe zu packen.
„Was willst mit Deinem Geschrei?“ entgegnete dieser fest. „Was machst mir für Augen an? Willst Dich aufbäumen gegen mich, wenn ich Dich bei Deinem richtigen Namen nenn’? Weißt Du es vielleicht noch nit, daß sie Dich wegen dem Leben, das Du führst, in der ganzen Gegend herum nit anders heißen als, den Loder von Lindham …“
„Wer …“ stieß Wolf mit knirschenden Zähnen heraus; er war blaß geworden bis in die Lippen hinein und diese zitterten wie seine Hände, die er vor sich hinstreckte, als suche er einen Feind zu fassen. „Wer untersteht sich das? … Wer, Vater, wer …“
„Das brauchst Du nit zu wissen – es ist genug, wenn ich Dir sag’, wie man von Dir red’t. Möchtest leicht Händel anfangen? Damit stopfest Du den Leuten das Maul nit. Und haben sie etwa Unrecht? Kannst hintreten und Einen Lügen strafen, der Dir’s in’s Gesicht sagt, was er sich denkt! Ist es nicht schon genug an der Schand’, daß ich da heroben in meiner Einöd’, in meiner Krankenstub’ so von Dir muß reden hören? Muß ich mich nit in die Gruben hineinwünschen vor Grämen, wenn ich Dich so herumschlenzen seh’ – einen gesunden starken Burschen, einen Bauernsohn, der einmal auf den Hof kommen und hausen soll und der an nichts denkt als an’s Basseln und an’s Cithernschlagen, und in dem seiner Kammer die Geigen herumhängen und die Schwegelpfeifen und die Ziehharmonica, daß man glaubt, man kommt zu einem Musikanten. … Aber ich will mich nit weiter ereifern,“ fuhr er, sich gewaltsam mäßigend, fort, „für die Hack’ wird auch noch ein Stiel zu finden sein. Vor der Hand bleibst Du zu Haus’, ziehst das Feiertaggewand aus und gehst nach zu den Andern in’s Korn …“
„Nein, Vater, das thu’ ich nit!“ sagte Wolf fest, aber nicht trotzig.
„Ja, Du wirst es thun, sag’ ich!“ fuhr der Bauer auf. Die Beiden standen einander gegenüber, wie wenn im Winter das strömende Wasser ein paar Eisblöcke gegen einander treibt, die sich zermalmen müssen, wenn nicht noch im entscheidenden Augenblicke ein günstiger Zwischenfall sie von einander ablenkt, zwei tüchtige, aber in ihrer Gleichartigkeit sich abstoßende Naturen.
„Nein, Vater, und noch ’mal nein,“ sagte Wolf wieder, „ich thu’s nit und Du mußt das nit verlangen von mir! Ich kann’s nit einsehen, daß das, was ich thu’, so schrecklich ist, wie Du’s machst – aber ich will Dir den Willen thun, wenn ich’s zuweg’ bring’ … doch auf den Acker geh’ ich jetzt nit hinaus; die Ehhalten müßten’s merken, daß ich wie zur Straf’ hinausgeschickt wär’ … das darfst mir nit anthun, Vater …“
„Ich darf nit?“ schrie der Alte in schrankenlosem Zorne, verstummte aber, denn unter der Thür erschien Th’res; die Blässe ihres Gesichts verrieth, daß sie, obwohl sie sich den Anschein davon gab, nicht zufällig kam – noch einmal sollte der Zusammenstoß der widerstreitenden Kräfte vermieden werden. So entrüstet der Alte war, stand ihm doch das, was er die Ehre des Hauses nannte, höher als die Aufrechterhaltung seines väterlichen Willens; so lange als möglich sollte Niemand wissen, wie weit der Zwiespalt zwischen Vater und Sohn gediehen war.
„Ihr sollt hinauf gehen,“ sagte Th’res mit bebender Stimme; „es ist die Zeit, wo Ihr Eure Tropfen nehmen müßt.“ …
Schweigend wandte sich der Bauer und schritt an ihr vorüber in’s Haus – mit hastigen Schritten eilte Wolf den Höhenabhang hinunter.
Dem trauernden „Dichter der Gartenlaube“.[1]
O weine nicht, mein theurer Freund,
Daß Dir der Tod Dein Glück genommen:
Du weißt’s ja, wo die Sonne scheint –
Ob früh, ob spät – muß Schatten kommen;
Da waltet das Geschick am regsten,
Und wo die Ros’ am schönsten glüht,
Da ist gewiß ein Grab am nächsten.
Ja, weine nicht, daß von Dir schied,
Das holde Bild, das Deinem Lied
Und Deinem Leben war die Sonne:
Auch Sonnen müssen untergehn
Und jede Freude muß erblassen;
Es kommt nur, um uns zu verlassen.
O weine nicht und klag’ nicht mehr!
Du sahst’s, wie schmerzvoll sie gegangen,
Als Engelsrufe himmelher
Schwer war der Kampf, den fieberheiß
Die Gattin und die Mutter stritten –
Doch welche Mutter blieb’, wenn leis
Sie riefen ihres Kindes Bitten?
Als Beatrice ihm gestorben;
Petrarca’s schönster Harfenklang
Hat Lauren erst im Tod umworben:
Auch Dir wird der Verklärten Bild,
Und neu Dein Lied der Seel’ entquillt,
Des Lorbeers schönste Blüthen reichen.
Rudolf Bunge.
„Das sagt mir mein natürlicher Verstand!“ hört man unendlich oft behaupten und in der Regel von Personen, die sich sehr klug dünken und meinen, daß, weil sie über die gewöhnlichen Ereignisse des täglichen Lebens, besonders über Geld- und Geschäftsangelegenheiten, besser als viele Dummköpfe zu urtheilen verstehen, ihnen auch ein Urtheil in Fällen zustände, welche außer dem Bereiche ihres Hauses und Comptoirs, ihrer Schreibstube oder Werkstatt liegen. Besonders gern stellen obige Behauptung Frauen auf, welche, weil sie in der einen oder andern Richtung Anerkennenswerthes leisten, nun glauben, daß sie auch in Dingen miturtheilen können, zu deren bloßem Verständniß ihnen das ABC abgeht. Bei den allermeisten dieser sich selbst überschätzenden Klugen, welche sich, weil sie nicht gerade auf den Kopf gefallen sind, mit ihrem sogenannten natürlichen, für ihren Wirkungskreis hinreichenden praktischen Verstande brüsten, ist dieser Verstand aber meistens „Unverstand“, der sich ganz ungenirt an die Beurtheilung von Vorkommnissen wagt, bei denen eine genaue Kenntniß von bestimmten Thatsachen und Gesetzen (vorzugsweise von Naturgesetzen) ganz unerläßlich ist, die ihnen abgeht und über die sie wegen unzureichenden Wissens gar nicht zu denken vermögen. So ist es zum Beispiel grenzenlos anmaßend, wenn Leute, was so oft geschieht, nur mit ihrem sogenannten natürlichen Verstande über Kindererziehung und Schulangelegenheiten, über Phrenologie, thierischen Magnetismus, Spiritismus, Heilkunst, Materialismus, Darwinismus u. s. f. zu urtheilen sich unterstehen, da dies ohne bestimmtes und gründliches Wissen doch gar nicht möglich ist. Daß ihnen ihr natürlicher, für Begriffe der gemeinen Erkenntniß zulangender Verstand sagte: „Hiervon verstehe ich nichts, und darum will ich lieber schweigen und mich von Sachverständigen belehren lassen“ – ja, das kommt fast gar nicht vor. Viele sind wirklich der Ansicht: Wem Gott ein Amt giebt, Dem giebt er auch Verstand; dieser ist aber meistens auch darnach. Deshalb hört man denn so oft den neunmalklugen Gevatter Schuster, Schneider und Handschuhmacher – womit übrigens alle Sachunverständigen bezeichnet werden sollen, die sich als Sachverständige dünken und in Dinge hineinreden, die sie nicht verstehen, mögen es nun Professoren oder Doctoren, Räthe oder wirkliche Schuster sein – nicht nur im gewöhnlichen Leben, sondern auch in Versammlungen, Collegien, Parlamenten etc., sowie in Schriften, ganz unverständige Urtheile und haarsträubenden Unsinn zu Tage fördern.
Verstand bringt der Mensch nicht mit auf die Welt, nur die Anlage dazu und diese von verschiedener Güte. Der Verstand wird erst in den geborenen Menschen ganz allmählich hineinerzogen, leider zur Zeit aber nicht in der Weise und in dem Grade, wie es sein könnte und sein sollte. Die Möglichkeit, verständig werden zu können, hängt nun aber davon ab, daß der Mensch einen Apparat besitzt, dessen Arbeit der Verstand ist, und der mehr oder weniger gut arbeiten lernen kann, je nachdem er mehr oder weniger vollkommen construirt (beanlagt) ist und in seinem Baue und seiner Ernährung naturgemäß erhalten wird. Dieser Verstandesapparat ist das Gehirn (in der Schädelhöhle des Kopfes) mit den Sinnesorganen, den Zubringern der Verstandesspeise. Die Verstandesarbeit, deren Zustandekommen uns zur Zeit noch ganz unaufgeklärt ist, kann nun aber das Gehirn nicht etwa ohne Weiteres so ganz von selbst verrichten, sondern es muß dieselbe, wenn sie etwas werth sein soll, erst und zwar nach bestimmten Regeln (durch Gewöhnung, Erziehung) erlernen, geradeso wie die Beine das Tanzen und die Finger das Clavierspiel. Zur Erlernung des Verstandes sind aber die Eindrücke, welche durch die Sinne, besonders durch Auge und Ohr, von der Außenwelt her in das Gehirn eingeführt werden, ganz unentbehrlich, und man sagt deshalb auch: „Durch der Sinne Pforten zieht der Geist (Verstand) in unseren Körper (Gehirn) ein.“ Wir können nichts wissen, noch erfahren als Das, was uns zuvor sinnlich (objectiv) erschienen ist, und aus diesen Erscheinungen leiten wir erst (subjectiv) Verstandesbegriffe ab; deshalb müssen sich alle unsere Vernunftschlüsse auch auf Thatsachen (objective Erkenntniß) stützen. Die einzige Wahrheit ist die empirische, durch die Sinne erworbene und auf Thatsachen beruhende.
Ebenso unentbehrlich wie die Sinneseindrücke ist aber auch eine regelrechte Anleitung zur richtigen Verarbeitung und Benutzung dieser Sinneseindrücke, um innerhalb des Gehirns der Verstandesbildung dienen zu können. Die Fähigkeit, richtig zu denken, muß mit vieler Mühe und vermittelst vieler Kenntnisse erlernt werden, denn der Verstand besteht aus Erlerntem und Begriffenem und es kann Niemand über sein Wissen hinaus urtheilen. Eine richtige Anleitung zur Verstandesbildung kann nun aber blos von Sachverständigen gegeben werden und sie muß sich natürlich mit den Fortschritten im Wissen und Können der Menschheit fort und fort ändern, bessern und mehren. So wird dann alles Verständige durch Schrift, Wort und That von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt. Die Menschheit wird aber dadurch immer klüger, daß die Nachkommen auf den Errungenschaften ihrer Vorfahren fortbauen. Dem Fortschritt fällt dann die Aufgabe zu, in neuen Jahrhunderten die Dummheit der früheren zu beseitigen.
Leider werden, wie früher so auch jetzt noch, von verschiedenen Seiten her die zeitgemäßen Fortschritte in der Verstandescultur aufgehalten und dem Menschengehirne systematisch eine falsche Anleitung zum Arbeiten in Verstandesangelegenheiten aufgezwungen, so aber der Aufklärung mächtige Hindernisse in den Weg gelegt. Dies beweist recht deutlich der auffallend große Mangel an naturwissenschaftlicher Bildung, an Urtheilsfähigkeit und sittlicher Grundlage im jetzigen Volke, während den Menschenverstand entwürdigender Aberglaube und Unverstand, sowie Selbst- und Genußsucht in voller Blüthe stehen. Würde in den Schulen (und zwar ebenso in den Seminaren und Gymnasien, wie in den Real- und Volksschulen) weniger Gedächtniß- und philosophischer Wortkram getrieben, und dafür das Denken mit Hülfe von Naturgegenständen zeitgemäß gelehrt, dann sähe es sicherlich besser um den Menschenverstand und die Menschenwürde aus. Denn um Urtheile fällen und die Stellung des Menschen in der Natur begreifen zu können, müssen wir über die Natur genau unterrichtet sein und es dürfen uns, dem alten unantastbaren Herkommen zu Liebe und um eine mißliebige Aufklärung zu verhindern, nicht schon in der Jugend die Naturgesetze falsch eingeimpft oder deren Kenntniß ganz vorenthalten werden.
Daß der Verstand eine dem Gehirn mehr oder weniger gut angelernte Arbeit ist, muß Jedem klar werden, der die verschiedenartige Erziehung der Kinder und deren Resultate beobachtet. Was aber aus einem Kinde wird, welches von Geburt an der menschlichen Erziehung entzogen ist, hat Caspar Hauser bewiesen. Es beweisen dies ferner Fälle, wo Kinder unter Thieren aufwuchsen und sich deren Manieren angewöhnten. Solche verwilderte Individuen oder Thiermenschen konnten nicht sprechen, unterschieden nicht Recht und Unrecht, und von Vernunft war keine Spur vorhanden; an körperlicher Gewandtheit übertrafen sie aber die meisten Thiere. So holte das wilde Mädchen, welches 1730 in der Champagne gefangen wurde, selbst nachdem sie ein Jahr in einem Kloster zugebracht, einen Hasen auf freiem Felde ein und sog ihm das Blut aus. Der wilde Knabe, welcher 1847 in Ostindien in Gesellschaft von Wölfen gefangen wurde, verweigerte Kleidung und gekochte Nahrung, nahm nur rohes Fleisch, heulte und biß um sich, lächelte und lachte nie, lief auf Händen und Füßen.
Wie fest die Eindrücke, welche in der frühen Jugend auf den Menschen einwirken, für’s ganze Leben im Gehirne haften bleiben, zeigen recht deutlich die Anhänger der verschiedenen Religionssecten (deren es über tausend giebt), von denen fast ein jeder nur deshalb der festen Ansicht ist, daß sein Glaube der richtigste und von natürlichem Verstande eingegeben sei, weil er ihn von Jugend auf dafür anzusehen gelernt hat und nun fest überzeugt ist, er habe ihn mit auf die Welt gebracht. Und wie geduldig sich die Menschheit von Jugend auf zu Allem abrichten läßt, davon hat man Beweise darin, daß der Glaube Menschen dazu dressirt hat, sich unter einander zu hassen und [373] zu tödten. – Alle diese Beispiele sollen nun aber dazu dienen, den Beweis zu führen, daß der Verstand nicht mit auf die Welt kommt, sondern eine Arbeit des Gehirns ist, welche erlernt werden muß und nur nach vorheriger richtiger (das heißt dem jedesmaligen Standpunkte des Wissens angepaßter) Belehrung auch richtig vor sich gehen kann. Würden z. B. die sogenannten Spiritisten oder Geisterklopfer in der Schule gelernt haben, oder würden sie sich noch in ihren alten Tagen darüber belehren lassen, daß es eine Kraft ohne Stoff gar nicht giebt, am allerwenigsten aber eine geistige Kraft, einen Geist, der in ein Tischbein oder in einen Storchschnabel hineinfahren und daraus hervororakeln kann, so würden sie sich von schlauen Medien nicht an der Nase herumführen lassen und sich bei wirklich gebildeten Menschen nicht so lächerlich machen. Würde, wie sich gehörte, in den Schulen Anthropologie und Gesundheitslehre ordentlich getrieben, dann würden sich Kranke nicht an Afterärzte und Geheimmittelschwindler wenden, welche wohl etwas von der schamlosesten Reclame und Geldschneiderei, aber nichts vom menschlichen Körper verstehen.
Der Verstand selbst als Hirnarbeit kann sich nun zwar nicht, wie die sicht- und greifbaren Producte des Verstandes, vererben, wohl kann dies aber der durch vieles und richtiges Denken besser gewordene Verstandesapparat, nachdem das Gehirn sich seinen mit kräftigerer Ernährung verbundenen Arbeiten angepaßt und dadurch an Masse und Kraft zugenommen hat. Daher kommt es denn auch, daß mit vorschreitender Cultur des Menschengeschlechts das Gehirn und mit diesem der Schädel der Menschen immer größer (zumal in der vordern Kopfgegend) geworden ist und daß, wenn bis jetzt der Schädel der Frau kleiner als der des Mannes geblieben ist, dies eben darin liegt, daß schon in der Vorzeit der Mann der Hausfrau und Mutter die geistige Arbeit abnahm und so deren Gehirn weniger arbeiten ließ. Sicher aber werden in Zukunft die Frauen, wenn sie noch mehr als jetzt geistig thätig sind, sich nach und nach eines größeren Gehirnes und also auch eines größeren Schädels erfreuen und diese auf ihre Töchter vererben.
Die Egoisten des natürlichen Verstandes, welche mit der größten Arroganz und Ignoranz über ihnen ganz fremde Gegenstände zu raisonniren und von Unwissenheit strotzende Meinungen aufzustellen sich erlauben, denken und urtheilen nur mit ihrer regellosen Einbildungskraft und ihrem Glauben, statt mit dem auf Realität und Wissen sich stützenden Verstande. Sie meinen, das Wissen fliege ihnen nur so geradezu in den Kopf hinein und dieses brauche nur auf Glaubens- und nicht, wie es doch sein muß, auf Erfahrungsgrundsätzen zu beruhen. Sie mögen sich hiermit gesagt sein lassen, daß ohne hinlängliche naturwissenschaftliche Kenntnisse, besonders ohne Vertrautheit mit dem menschlichen Körper, der Verstand keines richtigen Urtheils, weder über sein eigenes Selbst, noch über seine Verhältnisse zu der Natur und seinen Mitmenschen, fähig ist. Es kann zwar der sogenannte natürliche Verstand noch durch Belehrung mit vielen Begriffen bereichert werden, allein Urtheilskraft kann niemals gelehrt, sie kann nur durch Uebung gewonnen werden.
Am widerwärtigsten sind die Urtheile, welche die Gevattersleute über Spiritismus und Materialismus, sowie über Darwinismus, trotz ihrer positiven Wissensleere, nur mit Hülfe ihres in früher Jugend schon eingeimpften Aberglaubens und ihres angeblich gesunden Menschenverstandes fällen. Sie mögen sich merken, daß über Materialismus nur Der mitreden darf, welcher mit Bau, Leben und Leiden des Gehirns, und zwar ebenso des thierischen wie menschlichen, genau vertraut ist. Auch der philosophischste Kopf darf ohne diese Kenntniß des Gehirns nicht mitreden, denn mit diesem Organe steht alle geistige (spirite) Thätigkeit im innigen Zusammenhange. Und wenn die Wissenschaft zur Zeit auch noch nicht die Art und Weise kennt, wie diese Hirnthätigkeit zu Stande kommt, so steht doch so viel fest, daß ohne richtig gebautes und richtig chemisch zusammengesetztes Gehirn alle geistige Kraft eine Unmöglichkeit ist. Der Materialist – den die unwissende Menge, weil er „gar nichts glaubt und nur zu wissen sich bestrebt“ und weil er alle kirchlichen Glaubenssatzungen nicht anerkennt, für ein zu jeder Schandthat bereites Subject hält, dessen Denken und Thun nur auf materielle Genüsse gerichtet sei, – behauptet nun, daß nach den von Ewigkeit an herrschenden und unveränderlichen Naturgesetzen mit dem Untergange der Materie des Gehirns (daher Materialismus) auch dessen geistige Kraft (der Geist, Spiritus) aufhören muß. Für ihn existirt also eine persönliche Fortdauer, sowie ein Jenseits mit Himmel und Hölle nicht. Für ihn schließt darum das Diesseits schon das Jenseits ein und sein Streben ist deshalb darauf gerichtet, sich schon hier auf der Erde seinen Himmel zu bereiten. Dies hält er aber nur dann für möglich, wenn er sich durch das Princip der Humanität und sein Ehrgefühl in allen seinen Handlungen leiten laßt. Für den Materialisten giebt es daher nur eine Verpflichtung und zwar die, der menschlichen Gesellschaft nützlich zu sein, ihr Wohl sich noch mehr als sein eigenes angelegen sein zu lassen, da er, als der Einzelne, ihr natürlich mehr zu verdanken hat, als sie ihm. Für ihn giebt es keine andere Sünde, als die Verletzung des Eigenthums, der Ehre, der Freiheit und des Friedens seiner Mitmenschen, überhaupt Alles dessen, wobei der Menschen Wohl betheiligt ist. So denkt und thut der echte, d. h. der wissenschaftliche Materialist und ein solcher dürfte, da seine Moral durch Belohnung und Bestrafung im Jenseits nicht beeinflußt wird, einem guten Christen nicht nachstehen. Mit Häckel müssen wir den Wunsch aussprechen, „daß unsere sogenannten ‚gebildeten Kreise‘ endlich einmal aufhören mögen, sich durch die Zweideutigkeit dieses Stichwortes (‚Materialismus‘) täuschen und irre führen zu lassen. Es ist doch wahrlich nicht schwer, bei einem unbefangenen Blicke in Leben und Geschichte gewahr zu werden, daß der gewiß ganz verwerfliche ‚ethische oder sittliche Materialismus‘ ganz und gar nichts mit dem von den echten Materialisten vertretenen ‚wissenschaftlichen oder naturphilosophischen Materialismus‘ zu thun hat. Im Gegentheil schließen sich Beide gewöhnlich geradezu aus. Die praktisch-materialistischen Tendenzen, das hastige Streben nach materiellen Glücksgütern und raffinirtem Lebensgenuß, und die daraus folgende sittliche Entartung findet sich gerade in denjenigen Kreisen der Gesellschaft am stärksten entwickelt, welche am breitesten ihre religiöse Frömmigkeit zur Schau tragen und welche dagegen von der Natur und ihrem Wesen nichts wissen, sich also auch keine philosophisch-materialistischen Gedanken darüber machen können. Umgekehrt findet sich dieser ethische Materialismus gerade am wenigsten bei den materialistischen Philosophen ausgebildet. Wenn diese wirklich materiellen Vortheilen und Genüssen nachjagten, könnten sie wahrlich etwas Zweckmäßigeres und Vortheilhafteres thun, als ihre innersten Ueberzeugungen ehrlich auszusprechen und ihre sociale Stellung denselben zum Opfer zu bringen; denn sie wissen im Voraus, daß sie den herrschenden Vorurtheilen gegenüber nur materielle Nachtheile und persönliche Angriffe dafür zu erwarten haben.“ Daß mit dem Materialismus der Idealismus zu Grunde ginge, kann nur Der behaupten, welcher vom Materialismus nichts versteht. Gerade der Materialist ist mehr als jeder Andere Idealist, denn sein Ideal ist es, die Menschheit ohne Mitwirkung des Glaubens allmählich für die höchste Höhe der Sittlichkeit zu erziehen.
Ueber Darwinismus – d. h.: über die Abstammungs- oder Umbildungslehre (Lamarck’sche Descendenztheorie), nach welcher auf der Erde eine fortschreitende Umbildung der organischen Wesen stattfindet, und über die Züchtungslehre (Darwin’sche Selectionstheorie), welche die mechanisch-wirkenden Ursachen (das Warum und Wie) erforschte, durch welche jene Umbildung zu Stande kommt, – darüber erfrechen sich gelehrte und ungelehrte Crethi und Plethi in einer Weise zu urtheilen, die geradezu bemitleidenswerth ist. Die ungelehrten urtheilen mit Hülfe ihres natürlichen Verstandes, welchen sie dem in der Jugend eingeimpften Glauben an eine ganz unnatürliche Schöpfungsgeschichte, sowie der Arroganz des Menschen verdanken, nach welcher er als Herr der Schöpfung doch nicht mit dem Affen verwandt sein könne. Die gelehrten Verurtheiler der Abstammungslehre sind meistens einseitige und zopfige Zunft- und Fachgelehrte und principielle Feinde dieser Lehre. Für sie existiren die beweisenden Thatsachen einfach gar nicht und sie steifen sich immer und immer wieder auf die angebliche Unzulässigkeit der Beweise für den Darwinismus, ohne es aber zu versuchen, ihre Behauptung wissenschaftlich zu begründen. Sie wollen sich eben nicht von derjenigen Anschauungsweise der Natur trennen, mit welcher sie alt geworden sind. Wenn nun gar gelehrte Sachunverständige (Philosophen) sich erdreisten, den Darwinismus als eine reine Fiction zu bezeichnen, [374] so beweist dies nur, daß sie denselben entweder gar nicht kennen, oder daß derselbe nicht in ihren Kram paßt.
Wenn von Manchen die Befürchtung ausgesprochen wird, daß der Darwinismus der Religion Eintrag thun könnte, so ist diese Behauptung geradezu kindisch, denn deshalb, weil er die Entstehung organischer Wesen auf natürlichere Weise erklärt, wird die Moral in der Menschheit ebensowenig angetastet, wie durch Galilei’s „Und sie bewegt sich doch“. Und wie die Inquisition trotz der Folter die Erde nicht wieder zum Stillstehen zwingen konnte, ebenso können naturunkundige Philosophen und orthodoxe Theologen das „In der Natur geht Alles natürlich zu“ nicht wegdecretiren. Uebrigens wird ja auch der Gläubige an seinem Gott und seinem Glauben ebensowenig gekränkt, wenn ihn die Wissenschaft zwingt anzuerkennen, daß alles Vorhandene aus dem Vorhergegangenen (der Mensch aus einem affenartigen Thiere) allmählich hervorgegangen ist, wie durch die Thatsache, daß sich die Erde um die Sonne bewegt. Ja, er muß eigentlich die Weisheit eines gütigen und zweckmäßig thätigen Schöpfers noch weit mehr verehren, wenn dieser gleich beim Beginne der Erdschöpfung den Grund für alle kommenden Schöpfungsproducte in das Einfachste legte, als wenn er erst jedes Einzelne neu erschaffen müßte. – Wenn einige Schriftsteller bei Besprechung des Darwinismus gleichzeitig ihre einander (wie bei Strauß und Büchner) geradezu widersprechenden politischen, socialen, ästhetischen und religiösen Ansichten mit kundgeben, so steht dies mit dem Darwinismus in gar keinem Zusammenhange und dieser sollte dafür nicht verantwortlich gemacht werden. – Weiteres und Ausführlicheres über die Abstammungslehre, welche von allen Männern der Wissenschaft als eine der größten Eroberungen des menschlichen Geistes und als der glänzendste Sieg über das blinde Vorurtheil bezeichnet wird, sowie über die täglich sich mehrenden Beweise (zu denen Häckel’s großartige Forschungen über die Kalkschwämme und Würtenberger’s Entwickelungsgeschichte der Ammoniten gehören) und über die täglich sich mindernden Gegner dieser Lehre soll in einem späteren Aufsatze mitgetheilt werden. Schließlich sei aber Jedem, der nicht eigensinnig im blinden Vorurtheile über Darwinismus verharren will, angerathen, Häckel’s natürliche Schöpfungsgeschichte (3. Auflage) ordentlich durchzustudiren.
„Nun, dafür wollen wir Fräulein Melanie sorgen lassen!“ lachte der Director. „Sie hat in manchen Dingen den Kopf ihres Vaters und versteht ihren Willen durchzusetzen. Ich kann Ihnen versichern, daß Wilberg bereits mit sehr siegesgewisser Miene umher geht und alle etwaigen Gratulationen mit einem vielsagenden ‚Noch nicht!‘ ablehnt. Die beiden jungen Leute werden ihrer Sache wohl bereits sicher sein. Adieu, lieber College! Sie melden mir doch zuerst das frohe Familienereigniß?“
Diesmal war die Malice auf Seiten des Herrn Directors, und sie schien zu wirken, denn der Oberingenieur stieg mit sehr verstimmter Miene die Treppe zu seiner Wohnung hinauf, wo seine Tochter ihm bereits entgegenkam. Fräulein Melanie war heute von einer außerordentlichen Zärtlichkeit gegen den Vater; sie begrüßte ihn, nahm ihm Hut und Handschuhe ab, schmeichelte ein wenig und hielt es nach diesen Präliminarien an der Zeit, mit einer Bitte hervorzukommen.
„Papa, es ist Jemand da, der Dich zu sprechen wünscht, sogleich und dringend zu sprechen. Er ist drinnen bei der Mama. Darf ich ihn herführen?“
„Ich bin nicht zu sprechen!“ grollte der Gefragte, der bereits ahnte, was ihm bevorstand, die junge Dame nahm aber nicht die geringste Notiz von der Weigerung. Sie verschwand im Nebenzimmer, um in der nächsten Minute den „Jemand“ hereinzuschieben, nachdem sie ihm noch schnell einige ermuthigende Worte in’s Ohr geflüstert.
Letztere schienen auch nothwendig zu sein, denn Herr Wilberg, der sich, das blonde Haar sorgfältig gescheitelt, im Frack und überhaupt in der ganzen Erscheinung eines officiellen Freiers präsentirte, stand da, als sei er unversehens in eine Löwengrube geworfen. Er hatte sich jedenfalls für diese wichtige Stunde eine zierliche, wohlgesetzte Rede ausgearbeitet, aber die grimmige Miene seines Vorgesetzten, der in durchaus nicht ermuthigendem Tone fragte, was er denn eigentlich wolle, brachte ihn gänzlich aus dem Concept.
„Meine Wünsche und Hoffnungen –“ stotterte er. „Ermuthigt durch die Neigung von Fräulein Melanie – das höchste Glück, sie die Meine nennen zu dürfen –“
„Dachte ich’s doch! Nicht einmal einen vernünftigen Antrag kann der Mensch machen,“ brummte der Oberingenieur, ohne daran zu denken, daß sein Empfang ganz danach war, jeden Bewerber aus der Fassung zu bringen; als aber der junge Mann in immer größere Verlegenheit gerieth und sich in seiner Rede immer mehr verwickelte, schnitt er ihm kurz das Wort ab.
„Nun, schweigen Sie nur! Es ist mir gerade kein Geheimniß mehr, was Sie wünschen und hoffen. Sie wollen mich zum Schwiegervater?“
Wilberg sah aus, als ob diese letztere allerdings unvermeidliche Zugabe zu seiner künftigen Ehe ihm gerade kein besonderes Entzücken einflöße. „Ich bitte um Entschuldigung; ich wünschte zuvörderst Fräulein Melanie zur Frau,“ bemerkte er schüchtern.
„So? Und mich nehmen Sie wohl sehr ungern mit in den Kauf?“ fragte der gereizte Schwiegervater in spe. „Ich begreife übrigens gar nicht, wie Sie mir mit einem solchen Antrage zu kommen wagen. Haben Sie nicht die gnädige Frau geliebt? Haben Sie nicht Gedichte an sie gemacht, bogenlang? Warum schwärmen Sie da nicht platonisch weiter?“
„Mein Gott, das war vor Jahren,“ vertheidigte sich der junge Beamte. „Melanie weiß das längst, und gerade das war es, was uns zuerst zusammenführte. Es giebt zwei Arten von Liebe, Herr Oberingenieur, eine Jugendschwärmerei, die ihre Ideale in unerreichbarer Höhe sucht, und eine andere dauerndere Neigung, die auf Erden allein findet, was sie wahrhaft beglückt.“
„So, und für diese zweite Liebe, die irdische, hausbackene, ist Ihnen meine Tochter gut genug! Hol’ Sie der Kukuk!“ rief der Oberingenieur wüthend.
„Sie wollen mich nicht verstehen,“ sagte Wilberg tief gekränkt, aber doch mit einigem Selbstbewußtsein; er wußte, welch’ einen mächtigen Rückhalt er im Nebenzimmer hatte. „Melanie versteht mich; sie hat mir bereits Hand und Herz gegeben –“
„Das ist ja allerliebst,“ grollte der erbitterte Vater. „Wenn die Töchter so ohne Weiteres Hand und Herz verschenken, dann möchte ich wissen, wozu die Väter überhaupt noch da sind. Wilberg,“ sein Gesicht und seine Stimme wurden hier etwas milder, „ich lasse Ihnen die Gerechtigkeit widerfahren, daß Sie in den letzten Jahren etwas vernünftiger geworden sind, etwas, aber noch lange nicht genug. Das Dichten können Sie zum Beispiel noch immer nicht lassen. Ich wette, Sie tragen da wieder irgend etwas Lyrisches mit sich herum.“
Er schielte argwöhnisch nach der Fracktasche des jungen Mannes, der ein wenig erröthete.
„Als Bräutigam wäre ich ja wohl dazu legitimirt?“ bemerkte er, wie mit einer schüchternen Frage.
„Ja wohl und auch zu den Serenaden – das wird ein schöner Sommer werden!“ murmelte der Oberingenieur verzweiflungsvoll. „Sehen Sie, Wilberg, wenn ich nicht wüßte, daß Melanie meine Natur hat und Ihnen die romantischen Grillen austreiben wird, so würde ich nein sagen, absolut nein! Aber ich glaube, Sie brauchen eine vernünftige Frau und vor allen Dingen einen vernünftigen Schwiegervater, der Ihnen von Zeit zu Zeit den Kopf zurechtsetzt, und da es durchaus einmal nicht anders geht, so sollen Sie beides haben.“
[375] Ob der letzte ihm in Aussicht gestellte Gewinn Herrn Wilberg wirklich so beneidenswerth dünkte, mochte dahingestellt bleiben, aber im Entzücken über den ersten vergaß er alles Andere, und eilte den neuen Schwiegervater zu umarmen, der diese Formalität ziemlich kurz abmachte.
„Nur keine Rührung!“ sagte er sehr entschieden. „Ich kann das nicht leiden, und wir brauchen uns damit nicht aufzuhalten. Jetzt kommen Sie mit zu Melanie! Ihr habt die Geschichte ja doch längst hinter meinem Rücken abgekartet, aber das sage ich Ihnen, finde ich Sie einmal beim Versemachen und mein Kind mit rothgeweinten Augen, dann gnade Ihnen Gott!“ – –
Während sich der Herr Oberingenieur auf diese Weise in ein unabwendbares Geschick ergab, standen drüben auf der Terrasse des Landhauses Arthur Berkow und Curt von Windeg. Der Letztere, der bereits von seiner Schwester Abschied genommen hatte, wartete auf das Vorführen seines Pferdes.
Die tiefe und mächtige Umwandlung, die Arthur’s Inneres erfahren, gab sich zum Theil auch in seinem Aeußeren kund. Er war nicht der zarte, schlanke und blasse junge Mann mehr, dessen beste Jugendkraft und Jugendfrische im Residenzleben zu Grunde zu gehen drohte, seine Erscheinung entsprach jetzt völlig dem Bilde, das man sich von dem Chef machte, der ein solches Unternehmen mit einer solchen Energie zu leiten wußte. Die Linien freilich, welche schon einst auf seiner Stirn standen und welche die Jahre der Sorge und Arbeit noch tiefer dort eingegraben hatten, waren nicht verwischt worden durch das jetzt sicher und dauernd gegründete Lebensglück. Solche Spuren weichen nicht wieder, wenn sie erst einmal da sind, aber sie kleideten diese Stirn und diese Züge nicht schlecht, wo Alles erstarkt war zu fester ernster Männlichkeit. Curt war der junge übermüthige Officier geblieben, dessen muntere Augen und frische Lippen von ihrer Heiterkeit und Lebenslust nichts eingebüßt hatten.
„Und ich sage Dir, Arthur,“ versicherte er eifrig, „Du thust dem Papa Unrecht, wenn Du bei ihm noch irgend ein Vorurtheil in Bezug auf Dich voraussetzest. Ich wollte, Du hättest es mit angehört, wie er neulich dem alten Fürsten Waldstein antwortete, als dieser meinte, die Bergherren hätten bei den jetzigen Arbeitsverhältnissen und Bewegungen gerade keine beneidenswerthe Stellung. ‚Auf meinen Schwiegersohn findet das keine Anwendung, Durchlaucht!‘ sagte Papa mit vollem Aplomb. ‚Er steht zu fest in seiner Stellung und hat eine zu unbedingte Autorität bei seinen Leuten, die mit förmlicher Begeisterung an ihm hängen – und mein Schwiegersohn ist überhaupt jedem Conflict gewachsen!‘ Deshalb aber vergiebt er es Dir noch immer nicht, daß Du ihm damals das Adelsdiplom ausgeschlagen hast, und er kann es durchaus nicht verwinden, daß sein Enkel einfach bürgerlich Berkow heißt.“
Arthur lächelte ein wenig spöttisch. „Nun, ich denke, der Name soll ihm gerade keine Schande machen, wenn er einst damit in’s Leben tritt, und hoffentlich erlebt es Dein Vater noch, ihm einen Windeg an die Seite gesetzt zu sehen – wie steht es denn mit Deiner Verlobung, Curt?“
Der junge Officier verzog das Gesicht. „Nun, die wird wohl nächstens erfolgen,“ versetzte er etwas gedehnt, „wahrscheinlich, wenn wir wieder in Rabenau sind. Graf Berning’s Güter grenzen ja an die unsrigen und Comteß Alma ist im Frühlinge achtzehn Jahre alt geworden. Papa meint, es wäre für mich in meiner Eigenschaft als Stammhalter und künftiger Majoratsherr jetzt Zeit, ernstlich an’s Heirathen zu denken. Er hat mir befohlen, mich noch in diesem Sommer der Comteß zu erklären.“
„Befohlen!“ lachte Arthur. „Du heirathest also auf Befehl!“
„Nun, was thatest Du denn bei Deiner Vermählung?“ fragte Curt etwas ärgerlich.
„Ja freilich, da hast Du Recht. Aber bei uns war das auch ein Ausnahmefall.“
„Bei uns gar nicht,“ meinte Curt gleichmüthig. „Das ist gewöhnlich so in unseren Kreisen. Papa will mich durchaus bald und standesgemäß verheirathet wissen und er leidet keinen Widerspruch, ausgenommen etwa von Dir. Du hast ihm so imponirt, daß er sich von Dir schlechterdings Alles gefallen läßt. Ich habe übrigens im Grunde gar nichts gegen die Heirath, nur wäre ich gern noch länger frei geblieben.“
Berkow schüttelte den Kopf. „Ich glaube, Curt, Du thust in diesem Falle ganz gut daran, Dich dem Plane des Vaters zu fügen. Alma Berning ist, so viel ich bei unserem letzten Besuche in Rabenau bemerken konnte, ein liebenswürdiges Mädchen, und für Dich ist es wirklich an der Zeit, den künftigen Majoratsherrn etwas mehr herauszukehren und dem jungen wilden Lieutenant den Abschied zu geben. Er hat etwas tolle Streiche gemacht, dieser Herr Lieutenant.“
Curt warf schmollend den Kopf zurück. „Ja wohl! Und sein Herr Schwager wurde ihm bei solchen Gelegenheiten immer von väterlicher Seite zum Muster aufgestellt und zwar mit so überschwänglichen Lobeserhebungen, daß meine ganze Vorliebe für Dich dazu gehörte, das gepriesene Muster nicht gründlich zu verabscheuen. Daher stammt überhaupt der ganze Heirathsplan. Ich habe mich einmal bei einer solchen Gerichtsscene verleiten lassen zu sagen: ‚Arthur hat es früher weit ärger getrieben; er ist erst als Ehemann so äußerst vortrefflich geworden,‘ und da ist Papa schleunigst auf die Idee gekommen, auch einen solchen aus mir zu machen. Meinetwegen! Ich habe eigentlich nichts gegen Alma einzuwenden und im Uebrigen werde ich mir ein Beispiel an Dir und Eugenien nehmen. Ihr seid mit völliger Gleichgültigkeit, ja mit einem förmlichen Haß gegen einander in die Ehe gegangen und habt sie schließlich zu einem Roman gestaltet, der noch heute nicht zu Ende ist. Vielleicht glückt es auch bei uns so.“
Ein unverkennbarer Ausdruck von Spott zuckte um Arthur’s Lippen. „Daran zweifle ich, lieber Curt; Du scheinst mir ganz und gar nicht zu einem Roman nach der Trauung geschaffen, und vor allen Dingen bedenke: es ist nicht jede Frau eine Eugenie.“
Der junge Baron lachte laut auf. „Dachte ich’s doch, daß wieder so etwas herauskommen würde. Genau derselbe Ton, mit dem mir Eugenie heute Morgen, als wir über ein ähnliches Thema sprachen, sagte: ‚Du wirst Arthur doch nicht in eine Reihe mit anderen Männern stellen wollen?‘ Ihr dehnt die Flitterwochen wirklich etwas lange aus.“
„Wir haben sie zu Anfang entbehren müssen, und das Versäumte pflegt man stets doppelt nachzuholen. – Du kannst also wirklich nicht bleiben?“
„Mein Urlaub reicht nur bis zum Abend. Ich kam ja auch hauptsächlich, um Euch den Papa und die Brüder anzukündigen. Auf Wiedersehen, Arthur!“
Er schwang sich auf das inzwischen herbeigeführte Pferd, warf dem Schwager noch einen Gruß zu und sprengte davon. Arthur war im Begriff, in das Haus zurückzukehren, als ein alter Bergmann auf der Terrasse erschien und vor seinem Chef den Hut zog.
„Ah, Schichtmeister Hartmann!“ sagte Berkow freundlich. „Wollten Sie zu mir?“
Der Schichtmeister näherte sich ehrfurchtsvoll, aber doch zutraulich. „Mit Verlaub, ja, Herr Berkow. Ich war gerade drüben beim Bestellen, und sah, wie Sie dem jungen Baron das Geleite gaben. Da möchte ich mich denn gleich bedanken dafür, daß Sie den Lorenz zum Steiger gemacht haben. Das hat große Freude gegeben in unserm Hause.“
„Der Lorenz hat sich in den letzten Jahren so tüchtig bewiesen, daß er den Posten verdient hat, und er kann ihn brauchen bei seiner immer mehr anwachsenden Familie.“
„Nun, er hatte genug für Frau und Kinder; dafür sorge ich schon,“ meinte der Schichtmeister gutmüthig. „Es war ein gescheidter Gedanke von der Martha, daß sie ihm die Bedingung stellte, zu mir in’s Haus zu ziehen; so bin ich doch nicht so ganz allein auf meine alten Tage und habe die Freude an ihren Kindern. Sonst habe ich ja auch nichts mehr auf der ganzen Welt.“
Das Gesicht des alten Mannes hatte sich bei den letzten Worten umdüstert, und die Augen wurden ihm feucht. Arthur sah mitleidig auf ihn nieder.
„Können Sie denn Das immer noch nicht verwinden, Hartmann?“
Der Schichtmeister schüttelte den Kopf: „Ich kann nicht, Herr Berkow. Er ist mein Einziger gewesen, und wenn er mir auch oft mehr Kummer als Freude gemacht hat, wenn er mir zuletzt mit seinem unbändigen Wesen ganz und gar über den [376] Kopf gewachsen war – vergessen kann ich den Ulrich nicht. Lieber Gott, warum mußte ich alter Mann denn auch gerettet werden mit all’ den Uebrigen, um Das zu erleben! Mit dem Einen ist mir ja doch Alles zu Grabe gegangen.“
„So sollten Sie nicht sprechen, Hartmann,“ sagte Arthur sanft verweisend. „Sie haben ja noch eine wackere Stütze an der Martha und ihrem Manne.“
Der Alte seufzte. „Ja, die Martha! Die kann’s auch nicht verwinden wie ich, obwohl sie Mann und Kinder hat und einen guten Mann obendrein. Ich sehe noch manchmal, wie ihr um’s Herz ist. Es ist ein eigenes Ding mit manchen Menschen, Herr Berkow; sie können Einem Kummer und Elend machen, können Einem wehe thun bis in’s innerste Herz hinein, und man liebt sie doch mehr als die Bravsten und Besten, die uns nie eine trübe Stunde gemacht haben; man kann nicht los von ihnen und ihrem Andenken. So Einer ist mein Ulrich gewesen. Was er bei seinen Cameraden war, ehe der unglückliche Streit ausbrach, das ist ihnen vorher und nachher Keiner wieder gewesen, und wenn’s ihnen auch nicht zum Segen gerieth, daß er sie führte, vergessen haben sie ihn heute noch nicht.“
Der alte Mann wischte sich die bitteren Thränen aus den Augen, als er die mit schweigender Theilnahme dargebotene Hand Berkow’s ergriff, und ging dann still von dannen. Eugenie, die schon während der letzten Minuten in der Thür erschienen war, ohne die Unterredung stören zu wollen, trat jetzt zu ihrem Manne.
„Kann sich Hartmann immer noch nicht zufrieden geben?“ fragte sie leise. „Ich glaubte nie, daß er so tief und leidenschaftlich an dem Sohne gehangen hätte.“
Arthur blickte dem sich Entfernenden nach. „Ich begreife das,“ sagte er ernst, „wie ich die blinde Anhänglichkeit seiner Cameraden begriffen habe. Es lag etwas mächtig Zwingendes in der Natur, in der ganzen Persönlichkeit dieses Mannes. Habe ich das doch erfahren, der mit ihm kämpfen mußte auf Leben und Tod, wie viel mehr Die, für die er kämpfte. Was hätte dieser Ulrich sich und den Seinigen werden können, wenn er seine Aufgabe anders erfaßt und verstanden hätte, als nur in Haß und Zerstörung gegen alles Bestehende!“
Die junge Frau sah wie mit einem halben Vorwurfe zu ihrem Gatten empor. „Uns hat er doch gezeigt, daß er mehr konnte, als blos hassen. Er ist Dein Feind gewesen, und als es sich um die Rettung Eines von Euch Beiden handelte, da riß er Dich aus der Gefahr und stürzte sich in den Tod.“
Arthur’s Züge überflog ein Schatten; er galt wohl der Erinnerung an jene Zeit. „Ich habe unter Allen am wenigsten das Recht, ihn anzuklagen, und habe es nie gethan, seit seine Hand mich dem Verderben entriß. Aber glaube mir, Eugenie, eine volle Versöhnung wäre nie möglich gewesen mit einem solchen Elemente. Es hätte ewig die Zukunft meiner Werke gefährdet, den Frieden mit meinen Leuten gestört, ewig mir die Herrschaft streitig gemacht, und es war zu weit gekommen zwischen uns, um ihn ganz straflos ausgehen zu lassen. Wo ich nicht angeklagt und gerichtet hätte, da hätten es Andere gethan – das ist ihm und uns erspart worden!“
Eugenie lehnte den Kopf an die Schulter ihres Gatten. Es war noch immer das schöne blonde Haupt mit den dunkeln Augen, aber es erschien rosiger und frischer als früher. Die einstige Blässe und Marmorkälte waren jenem Ausdrucke gewichen, den nur das Glück zu geben vermag.
„Es war eine schlimme Zeit, Arthur, die jener Katastrophe folgte,“ sagte sie mit einem leisen Beben der Stimme. „Du hast Dich schwer durchkämpfen müssen, so schwer, daß oft auch mein Muth zu sinken drohte, wenn ich Deine Stirn immer finsterer umwölkt, Dein Auge immer trüber sah, und ich konnte doch nichts thun, als Dir zur Seite bleiben.“
Er beugte sich mit vollster Zärtlichkeit zu ihr nieder. „Und thatest Du damit nicht genug? In jenem Kampfe habe ich die Wirkung der beiden Worte erprobt, die ja allein Muth und Freudigkeit zum Schaffen geben, und die ich mir so oft wiederholte, wenn die Wogen über mich zusammenzuschlagen drohten – sie haben mir endlich zum Siege verholfen: Mein Weib und mein Kind!“ –
Die Sonne stand hoch am klaren Sommerhimmel und warf ihre Strahlen auf das Landhaus mit seinen Gärten und Blumenterrassen, auf die Werke drüben, wo sich all’ das tausendfältige Leben und Regen so mächtig und vielgestaltig entfaltete, daß es wahrlich nichts Kleines erschien, der Gebieter einer solchen Welt zu heißen, und auf die Berge, die ringsum aufragten, mit ihren Waldkronen auf den Häuptern und mit dem dunkeln geheimnißvollen Leben, das sich tief in ihrem Schooße barg. Dieses düstere Reich, das die Felsenarme auf ewig verschließen wollten vor jedem irdischen Blicke, es hatte sich doch dem Menschengeiste öffnen müssen, der sich Bahn gebrochen durch Klüfte und Abgründe, um der Erde die Schätze zu entreißen, die sie da unten gefangen hielt in ewiger Nacht, und die jetzt emporstiegen zum Lichte des Tages, gelöst durch das uralte Zauberwort der Berge:
Alles strebt nach Luft und Licht, und je mehr diese Hauptbedingungen für Menschen und Pflanzen fehlen, desto größer ist die Sehnsucht darnach. In größeren Städten älterer Bauart, aber auch in neuen Stadttheilen, wo Handel und Gewerbe sich zusammendrängen und das Licht nur durch schmale Oeffnungen in enge Höfe dringt, ist dieses Bedürfniß am größten.
Kein Wunder, wenn die Sage von den Dachgärten Italiens, welche in Wahrheit dort auch zu den Seltenheiten gehören, uns zur Nachahmung reizt. Unserer Zeit, die neben großen Bauwerken so viel Praktisches in bürgerlichen Einrichtungen leistet, namentlich so vervollkommnete Mittel zu wasserdichtem Abschluß kennt, ist es vorbehalten, die jetzt nur als seltene Ausnahme bestehenden Gartenplätze auf Gebäuden allgemeiner zu machen. Durch sie wird es möglich, aus der Enge dunkler Gassen und Höfe dem holden Lichte näher zu kommen und über den Dächern eine reinere Luft in grüner Umgebung zu athmen. Welche Wohlthat dies für die Familie werden kann, bedarf nur dieser Andeutung. Aber auch der gesellige Verkehr wird dadurch gewinnen. Man wird nicht nur neue Dachnachbarn bekommen, sondern es werden sich auch im Sommer Restaurationsräume aus den dunklen Unterräumen zur lichten Höhe ziehen.
Eine Technik, welche aus engen winkligen Höfen prunkvolle Restaurationshallen schuf, wird auch auf den Dächern im Bauen mit Schwalben und Störchen rivalisiren können. Wir wollen uns zwar über diese luftigen Anlagen keine Illusionen machen – sie werden noch lange vereinzelte Erscheinungen bleiben; aber das Beispiel weniger Dachgärten wird viele andere nach sich ziehen.
Bereits giebt es hie und da gelungene Anlagen. In Berlin hat man mehrere Dachgärten, unter denen der des Maurermeisters Rabitz (abgebildet in der Leipziger Illustrirten Zeitung Nr. 1316 im Jahre 1868) auch als Modell auf der Pariser Weltausstellung war. Häufig waren Dachgärten im alten Rom, als dort Theuerung von Grund und Boden und die Größe der Stadt nur den Reichsten Gärten im Freien gestattete. Seneca spricht von „Wäldern auf den Dächern“. Die Orangen-, Obst- und Lorbeerbäume standen meist in Thon- oder Bleigefäßen, waren aber im Boden eingelassen. Fischbehälter und Käfige mit seltenen Vögeln fehlten fast nie. Wir besitzen ganz genaue Beschreibungen, wie solche Gärten beschaffen waren und wie die Wasserdichtigkeit bewirkt wurde, wollen uns aber dabei nicht aufhalten, da wir in dieser Beziehung die Alten überflügelt haben. Die niedrige massive Bauart der Römer war solchen Anlagen sehr günstig, aber ihre Isolirstoffe für das Wasser waren mangelhaft. In späterer Zeit erlangte der Garten eines Fürstbischofs von Passau großen Ruf. Derselbe war zum großen Theil auf einem zweistöckigen, bewohnten und mit vielen Fenstern versehenen Unterbau angelegt. Das königliche Residenzschloß zu München hat ebenfalls einen Dachgarten in modern italienischem Stil, indem dort eine ansehnliche Orangerie aufgestellt wird. Ganz ähnlich ist das Orangeriegebäude in Versailles von dem großen Terrassenplatze vor dem Schlosse überdeckt.
[377] Als Urbild solcher Gärten sind wohl die sogenannten schwebenden Gärten der Semiramis in Babylon zu betrachten, welche großen Reiz auf die Phantasie aller Zeiten geübt haben. Schon das Grabmal des Kaisers Augustus in Rom war eine Nachahmung, denn es bestand aus einem runden thurmartigen Baue, dessen Terrassen mit Bäumen bepflanzt waren.
Man hat sich diese Gärten einfach als Terrassen zu denken, nur mit dem Unterschiede, daß der untere Raum hohl ist. Stehen auch der Einrichtung der Dachgärten bei unserer Bauart und im deutschen Klima viele Hindernisse entgegen, so lassen sie sich doch häufiger anbringen, als man vielleicht glaubt, und die moderne Bauart ist denselben entschieden günstig. Wo und wie solche Gärten anzubringen sind, hängt ganz von der Oertlichkeit ab. Der günstigste Fall ist jedenfalls der, wenn ein gewölbter Unterbau vorhanden ist oder zu häuslichen oder technischen Zwecken gebaut wird.
Hier hat die Anlage nicht die geringste Schwierigkeit, und man hätte nur über den Gewölben eine die Feuchtigkeit abhaltende Lage von Asphalt oder anderen wasserdichten Stoffen anzubringen. Die Casematten und bombenfesten Gebäude in Festungen zeigen in einfachster Weise, wie Gärten sich auf festen Gebäuden befinden können. Auch bei anderen massiven Gebäuden hat es bei den gegenwärtigen technischen Hülfsmitteln keine Schwierigkeiten, den Unterbau gegen die durchdringende Feuchtigkeit zu schützen; die Bauverständigen werden deshalb nicht in Verlegenheit kommen. Ich will darum keine Anleitung, sondern nur Andeutungen geben.
Bleiplatten würden sich am besten zur Abhaltung der Feuchtigkeit eignen; Blech schützt nicht genug; es hat stets für das Auge nicht bemerkbare Stellen, welche Wasser durchlassen, besonders Zinkblech, welches in solchen Fällen am meisten verwendet wird. Steinplatten auf Balkenlagen in Cement gelegt haben sich nach meiner Erfahrung nicht bewährt; denn nach noch nicht zehn Jahren war die Balkenlage darunter vollständig verfault. Gut getheerte Dachpappe hält man für hinreichend schützend; doch möchte ich nicht dazu rathen, da ein solcher Versuch leicht teuer zu stehen kommen könnte. Guter Cement- oder Asphaltguß, auf untergelegte getheerte Blechbedeckung oder über Gewölben unmittelbar auf die Füllsteine gebracht, wird wohl auch genügende Sicherheit gewähren. Als besonders geeignet wird der sogenannte vulcanische Cement für „Naturdächer“ des Maurermeisters Rabitz in Berlin gerühmt. Vor fünf Jahren kostete davon der Quadratfuß nur zwei und einen halben Groschen, also etwa halb so viel als Zinkblech. In jedem Falle muß für Abzug des Wassers nach den Seiten gesorgt werden.
Will man auf einem leichten Holzbaue einen Dachgarten anbringen, so kann es nur eine Art von Balcon sein, indem man über dem flachen Dache ein Gerüst von Holz oder noch besser von Eisen und darauf einen großen Balcon anbringt. Der Eingang zu dem Dachgarten darf, wenn er nicht in gleicher Höhe mit den Wohnräumen liegt, so daß man ihn wie einen Balcon betreten kann, nur wenig höher oder tiefer liegen; denn wenn man ihn nur auf hohen Treppen erreichen kann, so wird der Genuß beschwerlich. Das wird aber selbst die Parterrebewohner nicht abhalten, die Genüsse des Dachgartens aufzusuchen. Wie die Zugänge einzurichten sind, wenn der Dachgarten eine andere Lage hat, hängt ganz von der Oertlichkeit ab. Am häufigsten wird man niedrigere Nebengebäude zu Dachgärten benutzen.
Da in den meisten Fällen große Pflanzen in Gefäßen aufgestellt werden müssen, so ist bei der Neuanlage darauf Rücksicht zu nehmen, daß diese leicht aus dem Winterlocale auf den Dachgarten und zurück gebracht werden können, was bei engen Treppen mittels eines Flaschenzugs von außen geschieht.
Liegt der Dachgarten nicht auf einer gegen Wind geschützten Stelle, so ist es nothwendig, nach der Windseite Schutzwände zu errichten, welche am Sitzplatz die Seite einer Laube bilden können. Ist die Aussicht nach dieser Seite angenehm, so würde eine Glaswand, im Gegentheil eine gut schließende Bretterwand anzubringen sein. Die Aussicht vom Dachgarten kommt bei der Einrichtung überhaupt sehr in Betracht. Denn ist diese angenehm, so werden die Seiten nur von einem zum Schutz hinreichenden Geländer umgeben; geht aber die Aussicht auf häßliche Höfe und Dächer, so muß sie durch ein hohes mit Schlingpflanzen bekleidetes Geländer den Augen entzogen werden. Dies schließt jedoch einige Schaulöcher oder eine offene Seite nicht aus. Dieselben Maßregeln sind auch in Bezug auf die Nachbarschaft zu ergreifen. Mißfällt diese, so sondert man sich durch eine Wand von Schlingpflanzen ab.
Ueber die Einrichtung eines Dachgartens läßt sich nur für einzelne Fälle Bestimmtes angeben. Im Allgemeinen muß sie einfach sein, denn es handelt sich nicht sowohl um einen kunstvollen Garten, als um einen grünen, mit Blumen geschmückten, dabei beschatteten Platz im Freien. Wird ein großes gewölbtes Gebäude zum Gartenplatz bestimmt, so kann man einen regelmäßigen Prachtgarten ganz wie auf der Erde anlegen. Wird fünf bis sechs Fuß hoch Erde aufgefüllt, was bei Gewölben an den Seiten leicht der Fall sein kann, während die Mitte nur zwei Fuß Erde hat, so kann man verschiedene Bäume und eine förmliche Allee pflanzen, und ich rathe in diesem Falle zu Linden, Spitzahorn und Akazien, da diese bei Trockenheit die Blätter am besten halten. Aber dies würde mehr seltsam als schön sein; man lasse sich daher lieber an einigen kleinen Bäumchen genügen und stelle den Schatten durch eine schöne ringsum laufende Veranda her. Die Einfassung sei eine steinerne Balustrade, mit Vasen verziert, oder ein Eisengeländer auf stärkeren Pfeilern (Zinnen), welche zur Aufnahme von Blumen ausgehöhlt sind. Das Innere des Gartens sei reich geschmückt, denn hier ist der Ort, wo der Luxus des Gartens mit dem des Hauses verbunden werden kann. Hat die Wohnung eine Wasserleitung, wie jetzt überall in großen Städten, oder sind Dampfmaschinen bei einer Fabrik thätig, so läßt sich in dem Dachgarten sogar ein Springbrunnen ohne großen Aufwand herstellen. Es ist jetzt gar nicht ungewöhnlich, das Wasserreservoir für die Springbrunnen des Gartens im Wohnhause selbst und zwar auf der höchsten Stelle anzubringen. Wo das geschehen kann, steht natürlich der Einrichtung von Wasserkünsten jeder Art in dem Dachgarten nichts im Wege. Selbst das gesammelte Dachwasser von höheren Gebäuden kann in manchen Fällen zu diesem Zwecke benutzt werden.
Auch der Garten auf dem nicht gewölbten massiven Gebäude gestattet eine Einrichtung, welche sich von anderen kleinen Gärten fast nicht unterscheidet. Es möchte aber hierbei zu bedenken sein, ob die Decke eine Erdmasse von zwei Fuß Stärke unmittelbar tragen kann und ob nicht ein Rost von Eisen darüber nothwendig ist, auf welchen erst die Erde zu liegen kommt. Die Blumenbeete und der kleine Rasenplatz bekommen am besten die Form von Kästen und können wirkliche Kästen sein.
Die Erde für Dachgärten muß stets etwas lehmig sein, damit sie weniger schnell austrocknet, mag sie nun unmittelbar aufliegen oder sich in Kästen befinden. Ferner muß das starke Austrocknen durch Bedecken der Oberfläche mit Moos, kleinen Tuffsteinen, farbigem Sand etc. vermindert werden. Auf den Grund bringe man erst eine sechs Zoll starke Schicht von Tuffsteinen oder anderen porösen Steinen, mit Moos vermischt, welche den Abzug des überflüssigen Wassers bei Regen leichter machen, bei Trockenheit aber die Feuchtigkeit lange erhalten und nach oben wieder abgeben. In kleinen Kästen wird die Erde alljährlich im Frühling erneuert, in großen nur zuweilen. Die Nährkraft wird durch Untermischung von Düngstoffen, besonders Hornspähnen, erhalten. Von der größten Wichtigkeit ist die Herbeileitung des Wassers bis an den Garten.
Zu diesem Zwecke muß, wenn kein Wasserreservoir für Springbrunnen vorhanden ist, alles Regenwasser von den Dächern aufgefangen und in mehrere neben dem Garten angebrachte Gefäße geleitet werden. Die Gesträuche, Schlingpflanzen und kleinen Bäume werden entweder wie andere im Garten gepflanzt oder in Kästen gezogen. Schlingpflanzen suche man von unten herauf zu leiten, muß sie aber in höheren Lagen in Kästen ziehen.
Ist der Garten größer, so müssen solche Schlingpflanzen vorherrschen, welche auch im Winter stehen bleiben können, und es vertragen mehrere, z. B. der bekannte wilde Wein, ein vollständiges Durchfrieren der Erde in Kästen ohne Schaden.
Kleinere Dachgärtchen wird man wohl meistens mit solchen Pflanzen ausschmücken, welche im Winter frostfrei aufbewahrt werden, als Orangen, Myrthen, Kirschlorbeer, Aucuba, Alpenrosen, Cypressen etc. Die meisten genannten und viele andere [378] schöne grüne Pflanzen vertragen eine Kälte von sechs Grad, können also von Anfang April bis Anfang November im Garten stehen und begnügen sich im Winter mit einem Keller. Sehr zu empfehlen sind auch die Fächer- und Drachenpalmen, welche man im Winter zur Zimmerzierde benutzt. Will man nur im Sommer dauernde Schlingpflanzen benutzen, so werden diese so aufgezogen, daß sie im Mai schon etwas groß sind. Hier giebt es keine schönere und zweckmäßigere als die schnellwachsende Pilogyne. Ich wüßte von den beliebtesten Gartenblumen kaum einige, welche man nicht in Dachgärten ziehen könnte. Rosen, Levkoyen, Reseda, Petunien, Sommerphlox etc. dürfen nicht fehlen; doch empfiehlt es sich, die wenigen vorhandenen Beete vorzugsweise mit Topfpflanzen zu besetzen, als Fuchsien, Heliotrop, Scharlachpelargonien, Verbenen etc. Sehr viel Wasser liebende Blumen muß man entbehren.
Kann man auf balconartigen Dachgärten kein Erdbeet anbringen, so stelle man die Töpfe wenigstens in Kästen zwischen Moos, damit man sie nicht sieht und sie weniger stark austrocknen.
An guten, wenigstens anhaltend guten Rasen ist auf dem Dache nicht zu denken. Die grünen Plätze, welche man zur Abwechselung mit Blumen wünscht, müssen daher aus Sedum gebildet werden, welches ungeheure Trockenheit verträgt. Im Schatten erfüllt Epheu diesen Zweck noch schöner.
Der Wanderer, welcher die Umgegend des altberühmten Nürnberg durchstreift, stößt auf der Nord-, Ost- und Südseite in geringer Entfernung von der Stadt auf eine ausgedehnte Waldfläche, den Reichswald, der durch den langsam dahin schleichenden Pegnitzfluß in zwei ungleiche Theile getrennt wird. Die Partie auf dem linken Pegnitzufer nimmt eine Fläche von 55,000, die auf dem rechten von 36,000 bairischen Tagwerken oder Morgen ein; erstere führt den Namen St. Laurenzer, letztere St. Sebalder Forst. Ehemals, als sie noch wirklich Reichswaldungen waren, hatten sie eine viel größere Ausdehnung.
Der Anblick der dem großenteils unfruchtbaren Sand- und Kiesboden entstammenden Kiefern, die am Waldessaume meist als Krüppelholz auftreten, der mächtigen Flächen von Haidekraut (Erica vulgaris) und dichten Gebüsche von Brombeersträuchern und Besenginster erweckt in Jedermann ein unbeschreiblich melancholisches Gefühl. Nur selten unterbricht ein rieselndes Bächlein, ein schmälendes Reh, ein singendes Vöglein die traurige Waldesstille. Umsonst ersehnst du im heißen Sommer in den meisten Abtheilungen dieser Wälder den wohltuenden Schatten der Laub- und Tannenhölzer, suchst umsonst nach dem erquickenden Naß aus klarer Quelle. Diese Forste stoßen dich ab. Und doch waren sie einst ein halbes „Canaan“, darinnen [379] Milch und Honig floß, und noch heute treiben die im Waldreviere hausenden Dorfbewohner große Viehheerden, gestützt auf uraltes Herkommen, in diese Wälder zur Weide auf Waldgras und Haidebeeren. Besonders lohnend und ergiebig aber war hier der Betrieb der Bienenzucht oder bloßen Bienenjägerei, und deshalb wurden diese Forste von den alten deutschen Kaisern mit dem poetischen Beinamen „Unser und des Reichs Bienengarten“ ausgezeichnet.
Schon vor dem Jahre 1000, ehe der Reichsstadt Nürnberg selbst noch urkundlich gedacht wird, wurden diese Reichsforste von den römisch-deutschen Kaisern der Jagd wegen sehr häufig besucht. Zu der niedern Jagd rechnete man auch das Ausnehmen der Waldbienen (Waldimmen), die in den zahlreichen hohlen Bäumen, in den Felsen- und Steinhöhlen daselbst ihren Wohnsitz aufgeschlagen, und auf den ausgedehnten Haideflächen und zahlreichen Haselstauden, Spurkeln, Weiden, Erlen, Brom-, Schwarz- und Preißelbeersträuchern vom Schöpfer einen reichlich gedeckten Tisch erhalten hatten.
WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.
Bei dem in früheren Zeiten herrschenden Zucker- und Leuchtstoffmangel begriff man bald, daß man die „Waldbienenjagd“ aufgeben müsse, wenn diese nützlichen Insecten nicht gänzlich ausgerottet werden sollten. Sie wurden nun von Kaiser und Reich in Aufsicht und Pflege genommen und hiezu eigene Wärter angestellt, die von dem altdeutschen Worte Zeidl (Honig) den Namen „Zeidler“, das ist Honigausschneider erhielten. Die Kaiser nahmen sie aus den Bewohnern der Orte, die an und in diesen Reichsforsten lagen, räumten ihnen bedeutende Rechte ein und belehnten sie mit nicht unbedeutenden Landgütern, die heute noch unter dem Namen „Zeidelgüter“ bekannt sind. Der größere Theil derselben bestand aus Bauern, der kleinere aus nürnbergischen Patriziern; doch befanden sich in ihren Händen die bedeutendsten dieser Zeidelgüter. Die Zeidler bildeten unter sich eine geschlossene Zunft, die zu den interessantesten Instituten des Mittelalters gehörte.
Die Beschaffenheit der Reichswälder erlaubte Wald- und Hausbienenzucht zugleich. Rings um die Wohnungen der Zeidler lagen ihre Gärten, Aecker und Wiesen, und in nächster Nähe befand sich der Wald. Bei der Culturfähigkeit der germanischen Race und der überaus großen Wichtigkeit der Bienenproducte in früherer Zeit ist anzunehmen, daß bald die Hausbienenzucht bei den Zeidlern noch weit mehr als die Waldbienenzucht in Flor kam. Die Biene wurde Hausthier. So findet man schon im frühen Mittelalter bei den Häusern der Zeidler Bienen in ausgehöhlten Baumstämmen und in Strohkörben. Zur Zeit der Hohenstaufen befanden sich beispielsweise auf einem Hofe bei Heroldsberg (zwei Stunden von Nürnberg entfernt) zweiundsiebzig Immenvölker, deren Zahl nicht gemindert werden durfte. Vom zwölften bis fünfzehnten Jahrhundert stand das Zeidelwesen in seiner höchsten Blüthe. Es dürfte hier am Platze sein, über die Wichtigkeit der Bienenproducte im Mittelalter Einiges mitzutheilen.
[380] Vor Allem muß in’s Auge gefaßt werden, daß bis zur Entdeckung der neuen Welt in Europa überall der Zucker mangelte. Womit konnten nun damals die Hausfrauen irgend einen bittern Thee versüßen, saure Früchte (Eingemachtes) genießbar machen, als mit Honig? Gewiß werden sie sich und ihre Kinder auch nicht dabei vergessen haben; auch als Arzneimittel war Honig in Gebrauch. Dies Alles tritt jedoch zurück vor der massenhaften Verwendung des Honigs zur Methbereitung und Lebkuchenbäckerei. Die Culturgeschichte sagt uns, was unsere Vorfahren auf das süße Meth-Gebräu hielten. Es war ihr Götter- und Heldentrank, und im Sprüchwort sagte man von ihm:
„Innen Meth und außen Oel,
Stärkt den Leib und frischt die Seel.“
Ueberall im nördlichen Europa ließen sich Fürsten, Ritter, Bürger und Geistliche gar gerne in förmliche Trinkwettkämpfe ein, und es wurden dabei eminente Proben von Tapferkeit im Meth-Trinken abgelegt. Und nun gar die Pfeffer-, Honig- oder Lebkuchen! Wer denkt hiebei nicht an die spendenreiche Weihnachtszeit? Welches Kind wäre nicht geneigt, sein Scherflein zu einem Denkmale für den Erfinder derselben mit Freuden beizutragen, wenn er nur bekannt wäre?! Möglicherweise wurde die Erfindung in Nürnberg gemacht, um den dortselbst so gern weilenden deutschen Kaisern das Regieren zu versüßen.
Das Wachs fand eine ausgedehnte Verwendung in Kerzenform, als Material zum Siegeln und Bossiren und in der Heilkunde. Wachskerzen ohne Zahl funkelten oft bei den nächtlichen Gelagen weltlicher und geistlicher Zecher. Sie zierten oft zu Hunderten die christlichen Altäre. Die wunderthätigen Heiligen der Kirche waren ebenfalls große Wachsfreunde. Nicht nur ließen sie sich gerne in Wachs modelliren, sie beliebten auch den Kranken erst dann zu helfen, wenn ihnen deren kranke Gliedmaßen in Wachs verehrt worden waren.
Der Zeidler geschieht, nach bisheriger Geschichtsforschung, urkundlich zum ersten Mal Erwähnung in einer Verordnung Kaiser Otto’s des Dritten vom Jahre 993. Ausführlich wird der Zeidler und ihrer Gerechtsame erst in einem Documente Karl des Vierten vom Jahre 1350 gedacht. Außer dem Ertrage der ihnen verliehenen Zeidelgüter waren ihnen folgende Rechte verliehen:
Niemand, außer dem über sie gesetzten Oberforstmeister und den Förstern, letztere jedoch nur in beschränktem Maße, durfte Bienen im Walde haben, und alle Schwärme, die in denselben flogen, gehörten ihnen. Alles Holz, das sie zu Bienenständen, Bienenwohnungen und zu ihrem eigenen Häuserbau bedurften, mußte ihnen unentgeltlich aus dem Reichswald verabreicht werden. Brennholz durften sie wöchentlich zwei Fuder abholzen und, was sie davon nicht selbst brauchten, verkaufen. Gleich den Förstern hatten sie das Recht zu pfänden, besonders diejenigen, die sich an den Bienen und an zur Bienenweide geeigneten Bäumen und Sträuchern vergriffen. In allen Städten des Reichs waren sie zollfrei und hatten endlich noch ihre eigene Gerichtsbarkeit.
Diesen Rechten entsprachen natürlich auch die Pflichten. Zunächst waren sie schuldig und verbunden, an Kaiser und Reich ein genau festgesetztes Quantum Honig – später ein bestimmtes „Höniggeld“ – abzuliefern. Die Größe dieser Abgabe richtete sich nach der Größe der Zeidelgüter und betrug von je einem derselben zwei bis zweiunddreißig Nürnberger Maß Honig.
Ihre meiste Sorgfalt mußten sie jedoch dem Walde selbst zuwenden. Schon ums Jahr 1300 war derselbe durch Kohlenbrenner und Pichler (Pechsieder), durch Ausreuter und schlechte Bewirthschaftung äußerst heruntergekommen. Alle Kaiser von Heinrich dem Siebenten an befahlen in nachdrücklichster Weise den Förstern und Zeidlern für die Wiederaufforstung desselben bei Verlust ihrer Rechte unausgesetzt thätig zu sein. Man scheint sich jedoch zur damaligen Zeit wenig um die kaiserlichen Befehle gekümmert zu haben.
Die Zeidler (und mit ihnen die Reichsförster) waren endlich dem Kaiser und Reich zu gewissen außerordentlichen Diensten verbunden, doch so, daß solche auf einen gewissen Raum eingeschränkt waren und vom Reiche belohnt werden mußten. Ihr unmittelbarer Vorgesetzter, „Zeidelmeister“ genannt, mußte ihnen im Dienste des Reiches vorfahren und erhielt dafür außer der Kost und den üblichen Rechten seinen „Weißpfennig“.
Der oberste Lehnsherr der Zeidler war der Kaiser. Bis zum Jahre 1350 stand das ganze Zeidelwesen unmittelbar unter ihm. Als Pfandobject kam die Zeidlerei gegen zweihundert Mark löthigen Silbers wegen der Geldbedürftigkeit der römisch-deutschen Kaiser nach und nach in die Hände der Edlen von Seckendorf, der Burggrafen von Nürnberg und endlich 1427 an die Reichsstadt Nürnberg.
Zweihundert Mark löthigen Silbers waren für jene Zeit schon eine ansehnliche Summe. Die Zeidlerei gerieth in Verfall, als durch die Cultur der neuen Welt Europa mit Zucker aus Westindien versorgt wurde. Noch im Jahre 1583 kostete ein Bienenvolk drei Gulden, eine Kuh fünf Gulden; aber schon 1543 sank der Werth eines „Immen“ auf zwei Gulden; 1548 auf einen und 1555 unter einen Gulden, während eine Kuh dieses ganze (16.) Jahrhundert hindurch um fünf Gulden verkauft wurde. Im 17. und 18. Jahrhundert lag die Bienenzucht ganz darnieder, doch hielten die Zeidler noch streng auf ihre Gerechtsame und versammelten sich bis 1796 alljährlich sechs Mal in ihrem Hauptorte Feucht zu Gericht, um ihre Verhältnisse zu ordnen.
Zu den mittelalterlichen Sonderbarkeiten gehört die Bewilligung besonderer Gerichtsbarkeiten für einzelne bevorzugte Classen und Stände. Eines solchen Privilegiums erfreuten sich unter Anderen die Geistlichen, Forstbeamten, Studiosen und auch die Zeidler. Wahrscheinlich hatten Letztere ihr Gericht schon vor dem Jahre 1000. In der Bestätigung Karl’s des Vierten vom Jahre 1350 wird ausdrücklich auf das hohe Alter der Zeidlergerechtsame hingewiesen. Auch der Vorsitzende dieses Gerichts hatte ursprünglich den Titel „Zeidelmeister“. Es scheint, daß diese Würde anfangs nicht erblich gewesen. Seitdem aber 1223 das Geschlecht der „Waldstromer“ von den Hohenstaufen mit der Oberforstmeisterei über den St. Laurenzer Wald erblich belehnt war, ging dieses Amt auch erblich an sie über.
Die Waldstromer sollen nach ihrem Herkommen reiche Bauern gewesen sein, die im Nordgau und Rieß bedeutende Güter besaßen. Einer ihres Geschlechts soll dem Kaiser Otto dem Dritten auf dem Reichstage zu Nürnberg eine große Menge Stroh und andere Victualien zugeführt und verehrt haben, woher ihm der Name „Strohmeier“ geworden. Als dieser Bauer vor dem Kaiser erschienen, hat sich derselbe über des Bauers Bescheidenheit und Höflichkeit sehr verwundert und ihm eine Gnade auszubitten erlaubt, worauf derselbe gebeten, von allem Zoll, allen Schatzungen und aller Steuer im Reiche befreit zu sein. Der Kaiser soll ihm das bewilligt und ihn geadelt haben. Nach Diesem haben die Strohmeier ihre Bauerngüter verlassen, sind nach Nürnberg gezogen und hier in kurzer Zeit zu großem Ansehen gelangt. Etliche von ihnen sollen an fürstlichen Höfen, besonders am kaiserlichen Hofe, gedient und viele Gnaden und Freiheiten, sonderlich das Forstamt von dem St. Laurenzer Walde, erlangt, davon sie den Namen „Waldstromer“ erhalten haben.
Im Jahre 1396 traten sie ihre Rechte auf den Wald an Nürnberg ab, blieben aber noch geraume Zeit die Vorsitzenden des Zeidelgerichts, natürlich in reichsstädtischem Dienste und unter dem Titel „Oberrichter“. Wenn ein Zeidler den Zeidelmeister selbst belangen wollte, ging er zu dem Butigilarius, dessen Titel von einer Butte oder einem Bottich, darin man den Honig aufbewahrt, abgeleitet sein soll. Diese Würde war keine erbliche und scheint schon vor 1300 erloschen zu sein. Nach altem Herkommen hatten das Zeidelgericht und der Zeidelmeister ihren Sitz in Feucht, einem ziemlich bedeutenden alten Marktflecken, drei und eine halbe Stunde von Nürnberg, mitten in „des Reichs Bienengarten“ an der sonst sehr frequenten Handelsstraße von Nürnberg nach Regensburg gelegen. Für die frühere Bedeutung dieses Fleckens spricht der Umstand, daß Kaiser Siegismund im Jahre 1431 verordnete: „denselben mit Gräben, Zäunen, Tüllen und anderer Wehre zu umbfahen, zu befrieden und zu befestigen.“ Der ehemalige Herrensitz der Waldstromer dortselbst ist noch in gutem Zustande vorhanden. Das Gerichtslocal in dem dermaligen Postgebäude, ebenfalls noch gut erhalten und decorirt mit den Wappen und Bildern der Zeidelmeister, Oberrichter und Walddeputirten, hat die Alles profanirende Zeit in einen Tanzsaal verwandelt.
Neben den Zeidlern, welche die Mehrzahl der begüterten Bewohner Feuchts bildeten, waren die sämmtlichen übrigen Ortsangehörigen dem Zeidelgerichte unterworfen und hatte der Vorsitzende desselben über die Feuchter Gemeindeordnung zu wachen. Vor das Zeidelgericht gehörten aber nicht allein die an den [381] Bienenstöcken und Waldungen verübten Frevel, sondern auch alle anderen die Zeidelgüter, Forsthuben oder Waldungen betreffenden Irrungen, sogar daß, wenn Einer dieser Sachen halber bei einem andern Gerichte klagte, er seines Waldrechts beraubt wurde. Ueber das Zeidelgericht konnte kein anderes Gericht erkennen. Es übte seine Jurisdiction Jahrhunderte hindurch unbestritten aus, bis die preußische Occupation vom Jahre 1796 diese und alle andere privilegirte Gerichtsbarkeit beschränkte und behinderte.
Sechsmal im Jahre war der Gerichtshof in Thätigkeit. Ohne besondere Feierlichkeiten ging es im Mittelatter dabei nicht ab. Der geneigte Leser wolle mich im Geiste zu einer solchen Gerichtssitzung begleiten.
Es ist um’s Jahr 1588. Der ehrbare Rath der Stadt Nürnberg hat decretirt, daß am Dienstag nach Walpurgis das erste der sechs jährlichen Zeidelgerichte in Feucht abgehalten werden solle. Alle hierbei Betheiligten sind davon verständigt, alle Vorbereitungen getroffen worden. Die Herren Walddeputirten, sechs an der Zahl, und zwei Consiliarii verlassen in fünf herrschaftlichen Wagen, deren jeder mit vier prächtigen Rossen bespannt war, am Dienstag Morgen gleich nach Oeffnung der Thore die Stadt. Auf sehr primitiver Straße wird die Richtung nach Feucht eingeschlagen. Zwei mit Ober- und Untergewehr bewaffnete reichsstädtische Soldaten von der Nobelgarde der Einspännigen, ein städtischer Wagenmeister und ein Förster, sämmtlich beritten, bilden die übliche Bedeckung und reiten theils voran, theils hinterdrein. Neugierige sind schon in Menge auf den Beinen und lassen unter Vivatrufen den Zug an sich vorbeiziehen.
Bald jedoch ist er den Augen der Zuschauer entschwunden. Der Reichswald, der damals weit vor dem jetzt fleißig besuchten Vergnügungs- und Fabrikorte Dutzendteich seinen Anfang nahm, hat ihn aufgenommen. Nach nahezu einstündiger Fahrt kommt man zu dem freundlich in einer Waldoase gelegenen Dörfchen Altenfurt, das dem Kaiser Karl dem Großen seinen Ursprung und seine Capelle verdanken soll, und nachdem noch eine längere Strecke im Walde zurückgelegt und man um eine Straßenecke gebogen – da hört man Pferdegetrappel und sieht eine zahlreiche berittene Schaar in geringer Entfernung zu beiden Seiten der Straße aufgepflanzt. Es sind Feuchter Bürger, geführt von ihrem Förster, dem Postmeister und seinem Sohne, die zur Verherrlichung des Empfanges noch vier Postillons mitgebracht haben, die nun auf ihren Hörnern aus Leibeskräften blasen. Nach erfolgter respectvoller Begrüßung schließen sie sich den vorreitenden Einspännern an und geleiten die Gerichtsherren vollends nach Feucht. Unter dem Geläute sämmtlicher Kirchenglocken wird hier Einzug gehalten. Der Zeideloberrichter, nämlich der jedesmalige Waldamtmann von St. Laurenzerforst, der sich Tags vorher schon mit dem Gerichtsschreiber an Ort und Stelle eingefunden, empfängt die Herren und geleitet sie zu einem frugalen Frühstück in die zu Wirthschaftsräumen eingerichteten oberen Nebenzimmer im Gerichtsgebäude.
Mittlerweile sind auch die sämmtlichen Zeidler der benachbarten Orte, soweit sie nicht durch „rechtlich Ehehaft“ am Erscheinen verhindert waren, eingetroffen und lassen sich in den unteren Localitäten des Gerichtsgebäudes eine Kanne Weißbier schmecken. Meist sind es intelligent aussehende Bauersleute mit spitzigen „Dreimastern“ auf ihren Köpfen und langen, bis auf die Knöchel reichenden blauen Röcken. Sie scheinen eine Art Vorberathung zu halten, doch wird dabei mehr geflüstert als laut gesprochen.
Nach Verfluß einer Viertelstunde wird auf Verordnung des Oberrichters wieder mit sämmtlichen Kirchenglocken geläutet und in wohlgeordneter Procession geht es nun in die uralte Feuchter Kirche, wo nach Gesang und Gebet die Wichtigkeit des Tages und namentlich die Heiligkeit des Eides den Anwesenden zu Gemüth geführt wird; dann begiebt sich der Zug in der vorigen Ordnung in das Post- respective Gerichtsgebäude zurück und wird in den Gerichtssaal eingelassen. Der Oberrichter, die sechs Waldherren und die Consiliarii nehmen mit dem Gerichtsschreiber an einer langen Tafel Platz. Die Zeidler harren nach stehend der Dinge. Da erhebt sich der Oberrichter, empfiehlt sich den Herren vom Rathe zu fernerer hochgeneigter Unterstützung und Gewogenheit und ordnet die Besetzung des Gerichtes an, worauf sämmtliche Zeidler sich wieder aus dem Saale zurückziehen.
Zunächst werden nun die vier Feuchter Führer, gewöhnlich „Vierer“ genannt, berufen, die im Vorjahre mit dem Unterrichter die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten zu Feucht besorgten. Sie werden von den gesandten Herren gefragt, wie sich in diesem Jahre der „Unterrichter“ gehalten. Da sie sich mit seiner Amtsführung einverstanden erklären, wird er für’s laufende Jahr wieder zum Unterrichter bestellt, worauf man ihn eintreten und an der Seite des Oberrichters Platz nehmen heißt. Die „Vierer“ aber treten wieder ab. Hierauf werden vier der namhaftesten Zeidler aus der Gemeinde Feucht in den Saal berufen, um mit dem Unterrichter und den Rathsherren die Wahl der Vierer vorzunehmen. Auch hier wird keine Neuwahl nöthig. In dritter Reihe werden nun die zwölf Schöffen gemeinschaftlich von dem Oberrichter, den Rathsherren und dem Unterrichter erwählt und schließlich auch der bisherige Gerichtsschreiber und der Büttel bestätigt.
Nach der Beendigung der Wahlgeschäfte läßt man die Gewählten sämmtlich in den Saal treten, nimmt den Neuen einen förmlichen Eid ab und erinnert die früher schon Gewähltgewesenen durch Anrühren des schwarzen Richterstabes an ihre Pflicht. Ebenso wird mit den übrigen Zeidlern, die man nun herein läßt, bezüglich der Eidleistung verfahren und dann vom ältesten Rathsherrn folgende kurze Anrede gehalten:
„Liebe Freundt! Nachdem man von alter Zeit gutter gewohnheit herkommen nach St. Walburgentag, das Zeidelgericht unnd anderes zu befehen, zu ordnen unnd zu besetzen, Derhalben ich unnd meine Herren Collegen von einem erbern (ehrbaren) Rate, unsern Herren, bei solchem zu seyn, herausgeschickt worden, um deshalb nach unserm vermögen unnd gut bedünken helffen zu ordnen – Demnach bevelh ich euch anstat unserer Herren – Richter und Unterrichter in sachen ihres Ampths betreffend, gehorsam zu seyn.“
Nach Verlesung der Namen sämmtlicher Zeidler wurde dem Büttel befohlen, das Gericht zu verpönen, und dem Gerichtsschreiber die Bäcker-, Bierbrauer-, Wirths-, Metzgers- und Gemeindeordnung zu verlesen, worauf man zu den eigentlichen Verhandlungen schritt.
Angeklagt waren diesmal:
Die Ehefrau des Schneiders Sebastian Burkhardt zu Feucht und zwar deswegen, daß sie am Tage St. Sebaldi, den 19. August 1587, mit der Köchin des Schneiders Peter Balsam, ebenfalls in Feucht, einen Hader gehabt, dieselbe geschunden, geschmäht, … gescholten und dabei geflucht habe. Bei der Zeugenvernehmung stellte sich jedoch heraus, daß Beide sich gescholten, Schneider Balsam’s Köchin aber geflucht habe, was bei der etc. Burkhardt nicht der Fall gewesen.
Das Gericht erkannte zu Recht:
1) daß beide Parteien ernstlich sollen Frieden angeloben;
2) daß jede, insonderheit der ausgegossenen Schmachrede halber, zwei Tage und Nächte an die Bank mit dem Eisen gestraft werden solle; und
3) Balsam’s Köchin, weil sie geständigermaßen geflucht, zwei Sonntage nach einander vor die Kirche gestellt werden solle.
Angeklagt war ferner Herr Wolfgang Luder, Pfarrer zu Feucht, daß er am Sonntag vor Bartholomäi der Ordnung zuwider zu Linharden Thümbler’s gehaltener Kindtauf gegangen und allda gegessen und trunken hat.
Dagegen wußte der Herr Pfarrer Folgendes vorzubringen: „Ob man mir wohl von Alters her von jeder Kindtauf zehn Kreuzer zu Lohn zu geben schuldig – so ist mir doch in langen Jahren nie nichts an Geld gegeben worden, sondern ich bin dafür von Jedermann zu der Mahlzeit erfordert worden, wie Solches auch diesmal geschehen. Zudem ist an dem Ort nichts Unchristliches vorgegangen, daher ich denn unterthänigst gebeten haben wollt’, mich bei solchem Herkommen zu belassen; wo nit, den Unterthanen aufzulegen, mir fürder meinen Lohn, wie es von Alters Herkommen, (in Geld) zu geben.“
Auf diese Selbstvertheidigung hin wurde er der wider ihn aufgebrachten Rüge aus „angezeigter Ursachen“ für diesmal erlassen. Dagegen wurden zwölf Feuchter Bürger, die an der nämlichen Kindtaufe Theil genommen hatten, je mit einem halben Gulden gestraft. Endlich beschwerten sich die Feuchter „Vierer“ über die Ruinirung der Raine, die unordentliche Vorlegung der jedesmaligen Brodraitung, mangelhafte Fleischbeschau und Bieraich. Der Unterrichter erhielt gemessenen Befehl, diese Uebelstände [382] abzustellen. Da weiter nichts vorkam, wurde das Zeidelgericht unter Abläutung der Glocken geschlossen.
Nach solcher Mühe und Arbeit erwartete die Deputirten, Richter, Vierer, Schöffen und Zeidler ein kräftiges Mahl, das auf Kosten der Herrschaft, das ist des Rathes der Stadt Nürnberg, ausgerichtet wurde. Solche Liberalität bewies der Rath jedoch nur bei der ersten der jährlichen Sessionen. Bei den übrigen fünf bezahlte die „Herrschaft“ nur für die Rathsherren, Richter, Vierer, Schöffen, den Gerichtsschreiber, Büttel und die Fuhrleute; die Zeidler hatten für sich selbst zu sorgen. Während der Mahlzeit zogen die Feuchter und Wendelsteiner Schützen mit klingendem Spiel vor das Postgebäude und feuerten drei Mal ihre Musketen ab. Der Schluß des Tages entsprach dem Anfang desselben. Den Abgesandten des Raths und dem Oberrichter wurde von berittenen Feuchter Zeidlern und vier blasenden Postillons eine Viertelmeile weit das Geleite gegeben.
Die Kosten, die der Rath damals für eine Session aufzuwenden hatte, beliefen sich auf fünfundzwanzig bis siebenundzwanzig Gulden.
Hiermit ist eines der wenigen in unsere Zeit hereinragenden urdeutschen Volksgerichte wahrheitsgetreu geschildert. Niemals konnte Eine Person für sich allein Richter sein; immer mußten Schöffen beigezogen werden. Daß diese Einrichtung auf ganz gesunder Basis beruht, beweiset der Umstand, daß man allenthalben auf diese Einrichtungen, sei es in der Form von Geschwornen- oder Schöffengerichten, wieder zurückkommt.
Es gab allerdings Zeiten, wo die Volksbildung auf so niedriger Stufe stand, daß die Schöffen ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren. Wir finden in einer Urkunde von 1570 die Klage, daß die elf Schöffen aus dem Bauernstande sehr unwissend gewesen seien, und daß sie blindlings „dem pro Interesse eines erbern (ehrbaren) Raths sitzenden (zwölften) Schöffen nachgebetet haben“, wie denn die verlustigen Parteien hierüber geäußert hätten: „Es wäre an dem Zeidelgericht nur eine Gans, wie dieselbige schnatteret, so datteren die andern hienach.“ Allein man darf hierbei nicht vergessen, daß in jener Zeit, namentlich durch die Rechtsgelehrten, unsere deutsche Sprache durch Beimengung lateinischer Brocken dem gemeinen Manne ganz unverständlich gemacht worden war.
Wie beliebt das Zeidelgericht gewesen, beweist der Umstand, daß man noch Anno 1806 hoffte, dasselbe werde, wenn auch in verbesserter Gestalt, wieder erstehen. Diese Hoffnung ist nun freilich nicht in Erfüllung gegangen. Dafür sind, wie bekannt, seit 1848 allenthalben Schöffen- und Geschwornengerichte in zeitgemäßer Form entstanden, und es liegt wohl im Geist der Zeit, daß das deutsche Volk bald in noch größerer Ausdehnung zur Rechtsprechung beigezogen werde.
Zur Kriegs-Illustration der „Verbandstube“. (Mit Abbildung, Seite 371). Wir führen unsere Leser wieder einmal zu unseren Schlachtfeldern von 1870 zurück, und zwar durch die Hand des Künstlers Max Volkhart, dem wir die Zeichnung dieser „Verbandstube“ verdanken und der als Einjährig-Freiwilliger den Feldzug mitgemacht und die darstellte Scene selbst vor Augen gehabt hat. Seine Erzählung legen wir dem Folgenden zu Grunde.
Das Regiment, bei welchem Volkhart stand, hatte in der Schlacht bei Gravelotte mitgefochten und die folgende Nacht auf dem Felde an der Chaussee von Gravelotte nach Metz bivouakirt. Am Morgen des Neunzehnten wurden, wie gewöhnlich, zum Kaffeekochen Wasserträger commandirt. Unter diesen befand sich auch unser Künstler. Als sie in das Dorf kamen und ein kleines Haus betraten, bot sich ihnen durch eine offenstehende Thür der Anblick, den unsere Illustration wiederzugeben sucht.
In einem Raume, halb Kammer, halb Scheune, mit Steinfußboden, lagen, saßen und standen schwer- und leichtverwundete Deutsche und Franzosen durcheinander. In der Mitte saß ein alter Unterofficier von einem Jägerbataillon und über ihn beugte sich eine junge, wunderbar schöne französische Nonne und verband ihm eine offenbar schwere Kopfwunde, denn der Alte kämpfte sichtlich mit dem Schmerz: er biß die Zähne zusammen und ballte krampfhaft die Fäuste. An ihm lehnte ein blutjunger sächsischer Soldat, mit einem so entsetzlich bleichen und erdfahlen Gesicht, daß seine Auflösung nahe schien. Im Vordergrund wurde so eben der Hünengestalt eines Chasseur à Cheval der zerschossene Oberarm von einem deutschen Arzt verbunden, und dahinter lag ein sterbender Füsilier, dem ein Krankenwärter noch einen Löffel Medicin einzuflößen suchte. Auf einem alten Holzkasten zur Linken verband ein Zuave sich selbst den verwundeten Unterschenkel; hinter ihm, am Tisch mit Verbandzeug und Medicin, war eine zweite Nonne beschäftigt, während zur Thür herein zwei Krankenträger eine neue Last trugen.
Wir geben zu, daß solche Scenen unser großer Krieg zu Tausenden dargeboten hat und daß man damit unzählige Blätter füllen könnte; die vorliegende hatte eben den Vorzug, von einem Künstlerauge gesehen und festgehalten zu werden. Ist solch’ ein Anblick auch nie ein erquicklicher, so halten wir es doch für unsere Pflicht, von Zeit zu Zeit an die Wunden derer zu erinnern, die durch ihre Siege Deutschland so hoch in der Welt gestellt haben und deren Loos nicht immer ihrem Verdienst entspricht.
Der projectirte zweite Stadtpark in Wien. (Mit Abbildung, Seite 378–379.) Die zum Theil im Entstehen begriffenen, zum Theil noch projectirten Neubauten Wiens werden nach ihrer Vollendung in der modernen Architectur unbestritten einen hervorragenden Platz einnehmen. Der bedeutendste Complex derselben befindet sich augenblicklich in seinen ersten Anfängen. Er wird durch wahrhaft monumentale Bauten, als: die kaiserlich-königlichen Hofmuseen, das Parlamentspalais, das Rathhaus und die Universität, gebildet werden. Zwei Dioskuren der Architectur, Oberbaurath Hansen, der Vertreter griechischer Baukunst in Wien, und Oberbaurath Schmidt, der Restaurator des Stefansdomes und Repräsentant der reinen Gothik, überboten sich in der Fülle gewaltiger Compositionen, um den letzten Theil der Ringstraße Wiens durch wahrhaft classische Prachtbauentwürfe für alle Zeiten zu verschönern.
Unsere Abbildung zeigt den zweiten neuen Stadtpark Wiens, welcher im westlichen Theile zwischen der innern Stadt und der Josefsstadt belegen ist. Die mächtigen Säulenhallen des Gebäudes zur Linken gehören dem von Hansen construirten Parlamentshause an. Das gewaltige mit einer Säule gekrönte Wasserwerk davor ist der Gabrielli-Brunnen, ein Denkmal, mit dem Kostenaufwand von mehreren hunderttausend Gulden vom Erbauer der Hochquellenwasserleitung, Gabrielli, zur Erinnerung an diese gestiftet. Der gothische Bau mit dem hohen Thurm in der Mitte des Bildes stellt das neue Rathhaus dar, welches von Schmidt entworfen wurde. Dieses durchweg in Steinmetzarbeit aufzuführende Gebäude ist allein auf zwölf Millionen Gulden veranschlagt, wovon zwei Millionen auf die innere Ausstattung fallen.
Die großen Fronten auf der Rechten der Abbildung sind die neuen Universitätsgebäude, über welchen die Thürme der Votivkirche hervorragen, während der Horizont vom Kahlengebirge umsäumt wird. Wir bedauern, daß es wegen Mangels an Raum nicht möglich war, die unmittelbar an das Parlamentsgebäude anstoßenden, vor dem Burgthor gelegenen Museumsbauten dem Beschauer mit vorführen. Diese im edelsten griechischen Stile ausgeführten, auf mächtigen Säulenreihen ruhenden Bauwerke sind ebenfalls von Hansen’s Meisterhand construirt. Wir gedenken noch der prächtigen englischen Gartenanlagen, durch welche der sechs Joch umfassende neue Stadtpark gebildet wird. Es gehörte in der That ein hübsches Quantum von Humanität dazu, in einem der lebhaftesten Stadttheile, in welchem das Territorium einen Werth von circa eintausendsechshundert Gulden (circa tausend Thaler) per Quadratklafter hat, Millionen von Grundwerth gewissermaßen brach liegen zu lassen, indem man sie zur Anlage eines Gartens benutzte und damit lediglich Gesundheitsrücksichten diente. Wenn es eine unumstößliche ewige Wahrheit ist, daß eine Commune eine heiligere Verpflichtung nicht haben kann, als diejenige ist, für die Gesundheit ihrer Bewohner zu sorgen, so wird sie in diesem Falle ebenso gewissenhaft als kostspielig erfüllt. Freilich wäre es wünschenswerth gewesen, daß so riesige Kosten, wie die Decorationen des neuen Rathhaushaues sind, für näher liegende Zwecke, z. B. für die Abhülfe des Mangels an Spitälern, und somit zum Wohle der schwer leidenden Bevölkerung, verwendet würden.Friedrich Hecker der Heimath Gast! Im Frühlinge des einviertelhundertjährigen Jubiläums des Jahres Achtundvierzig kehrt der in Liedern und Bildern gefeierteste Volksliebling jener ersten großen deutschen Erhebung in die alte Heimath zurück. Jenes Jahr hatte der Welt einen Völkerfrühling verheißen, aber – nach wilden Stürmen der Leidenschaft und den edelsten Kämpfen und Opfern der Vaterlands-, Freiheits- und Menschenliebe – einen neuen langen Reactionswinter über Deutschland gebracht. Wer’s konnte, suchte für sein Herz eine Heimstätte auf freierem Boden, um seinen Idealen mit alter Treue weiter zu dienen. Das that auch Hecker, er ward Bürger der Union.
Kehrt nun der Amerikaner Friedrich Hecker wirklich als Fremdling in das alte Vaterland zurück? – Nein und abermals nein! Mochte er auch die langen Jahre, wo in Deutschland die besten Kräfte vergeblich gegen ein überwucherndes Junker- und Pfaffenthum ankämpften, mit zornigem Blick herübergesehen haben, das Herz blieb treu der deutschen Hoffnung gewendet. Und was er drüben lehrte, kämpfte und that, auf der Rednerbühne, im Gerichtssaale wie auf dem Schlachtfelde, es geschah zur Verherrlichung deutschen Wesens, zur Befestigung und Erhöhung deutscher Ehre. Und als der nationale Geist endlich auch in Deutschland siegte, wer hat lauter gejubelt, als Er, wer kräftiger, als Er, für das Verständniß dieser neuen deutschen Zeit das scharfe Wort geführt?
Friedrich Hecker ist es, der Heimgekehrte, der Kämpfer für Menschenwürde und Freiheit in der alten und neuen Welt, dem wir unseren Gruß zurufen: Willkommen, Held des Wortes und der That, im alten Vaterlande!
- ↑ Siehe die Notiz „Dichterleid“ in Nr. 22. D. Red.