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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1861
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[641]

No. 41.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Die drei Großmächte.

Sittenbild aus dem vorigen Jahrhundert.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Der untersetzte, dicke Mann, der einen großen rothen Kopf und ein wulstiges Unterkinn hatte, trat zu der jungen Dame heran.

„Was hast Du, mein Kind, was giebt es da, wer ist dieser fremde junge Mann, mit dem Du sprichst?“ sagte er mir einem rauhen und tiefen Baßtone.

„Mein gnädigster Papa,“ antwortete sie, einen zornigen Blick auf Albrecht werfend, „dieser Fremde hier scheint sich einen Spaß mit Ihrem Bilde erlaubt zu haben, den ich Ihnen selbst überlassen muß zu beurtheilen.“

„Einen Spaß – mit Unserem Bilde – ei, das wäre!“ rief der Reichsgraf von Glimmbach, der um seiner Kurzsichtigkeit willen jetzt näher an den Galgen herantrat, aus; „doch nicht etwa mein Bild an den … alle Wetter, Aglaë, ist das wirklich mein Bild, was da hängt?!“

„Es ist Ihr Bildniß, Papa!“

„Da soll doch gleich das Wetter drein schlagen!“

„Und wer hängt denn hier?“ rief jetzt ein großer, starker Mann, der sich vor allen Andern durch den ungeheueren Haarbeutel, der seine Schultern bedeckte, auszeichnete – er war an die andere Seite des Galgens getreten.

„Das ist ja ein Sacrilegium … ein Sacrilegium! …“ fiel eine schrille Stimme ein, die einem mageren Herrn mit einem langen, abenteuerlichen Gesichte gehörte, in welchem Albrecht sofort die schiefe, spitze Nase des hochwürdigen Prälaten erkannte, „… es ist ein kirchenschänderisches Sacrilegium! Unser Conterfei an dem Galgen!“

Der dicke Reichsgraf war unterdeß an der andern Seite um den Galgen gegangen uns brach jetzt in etwas ans, was einem zornigen, donnerartigen Auflachen glich.

„Und die Magnificenz.“ schrie er, „die fürsichtige, wohlweise, ist hier in gleicher Art verhöhnt worden!“

Die Magnificenz der freien Reichsstadt Großlingen, welche eben noch mit einem gewissen unterdrückten Spottlächeln dem Prälaten von Triefallen seine Erhöhung angedeutet hatte, stand jetzt beim Anblick des eigenen Conterfeis wie an den Boden geheftet.

„Welcher Elende hat solche höllische Bosheit verübt?“ schrie er auf mit einem Tone, der dem Wuthkollern eines Puters glich.

„Es ist Hochverrath an uns und unserer landesherrlichen Autorität!“ rief der Reichsgraf jetzt.

„Es ist ein Sacrileg!“ fiel der Prälat ein.

„Es ist ein crimen laesae majestatis!“ donnerte der Bürgermeister.

„Und der Bösewicht, der es gethan hat –“ erhob der Reichsgraf seine Stimme.

„Den soll man auf das Rad flechten.“ brüllte der Bürgermeister, der jetzt alle Anderen an Zorn übertraf.

„Allermindestens an denselben Galgen hängen!“ schrillte die erhobene, scharfe Stimme des Prälaten.

„Der Bösewicht ist hier!“ fiel der Büchsenspanner der jungen Dame ein, indem er auf den vollständig vernichtet dastehenden Albrecht, dem er keinen Augenblick mehr von der Seile gewichen war, deutete, „dies ist der Bösewicht!“

Der kleine Schenkwirth mit dem wedelnden Zopfe, der sich neugierig in die Nähe gedrängt, hatte in diesem Augenblick nichts Eiligeres zu thun, als durch heftiges Kopfnicken sein Zeugniß wider den Schuldigen abzulegen, da er in der peinlichsten Angst schwebte, daß man ihm diesen ungeheuerlichen Frevel sonst schuld geben könne.

Die junge Comtesse Aglaë hatte während dieser ganzen Scene sich an der Seite ihres Vaters gehalten und dabei Blicke voll Bestürzung und Betroffenheit bald auf die Redenden, bald auf Albrecht geworfen. Diese Blicke aber waren es, die dem letzteren Ruhe und kaltes Blut zurückkehren ließen. Er richtete sich keck auf und sah mit männlicher Haltung dem entgegen, was kommen werde.

„Nehmt doch die Bilder ab …“ sagte Aglaë jetzt beschwichtigend, „es ist ein schlechter Spaß, den man sich erlaubt hat, und am besten wäre, keinen Lärm darüber zu machen …“

Aber der Reichsgraf hörte sie nicht. Während ein paar Jäger hinzusprangen und sich anschickten, die Bilder abzunehmen, rief er aus: „Das ist der Bösewicht?! das ist der Monsieur?! Warum faßt man ihn nicht? Man ergreife ihn. Man führe ihn ab. In den Thurm mit ihm! In den festesten Thurm auf Hohenklingen!“

Mehrere Arme streckten sich nach Albrecht aus. Er schüttelte sie mit einer kräftigen Bewegung ab.

„Ich kann selbst gehen.“ sagte er stolz und trotzig. „Ich bedarf keiner Führer.“

Er wandte sich sofort, um zu gehen, herzlich danach verlangend, diesem Auftritt ein Ende zu machen und von der Stelle zu kommen.

In diesem Augenblicke aber erhob der regierende Bürgermeister von Großlingen seine Stimme. „Halten zu Gnaden, Herr Graf.“ rief er, „ich muß doch gegen eine solche einseitige Verhaftung Protest einlegen. Der Galgen steht just auf der Grenzmarke der [642] respectiven Territorien, der Galgen ist gemeinschaftlich, der Galgen ist nicht allein aus Ihrem Holze aufgebaut, sondern auch zu Nutz und Frommen gemeiner Bürgerschaft von Großlingen – ich protestire gegen die einseitige Verhaftung. Da, wo wir jetzt stehen und wo der Inculpatus steht, ist Großlingensches Gebiet; das Seiner Erlaucht fängt erst dahinter, an der andern Seite des Galgens an.“

„Was verlangen Sie denn?“ fuhr der Reichsgraf verwundert und unwirsch auf.

Der Bürgermeister wollte antworten, aber diesmal fiel ihm der Prälat in die Rede. „Allerdings, Erlaucht,“ sagte er mit seinem schärfsten Tone, „einem einseitigen Vorgehen in dieser Sache muß auch ich mich Namens des gefürsteten Hochstifts Triefalten nachdrücklichst widersetzen.“

„Aber was fällt Ihnen denn ein, Hochwürdigster?“ rief jetzt der Reichsgraf, vollständig ergrimmt; „einen Strolch, der mein Bild an den Galgen gehängt hat, soll ich nicht einsperren lassen?“

„Bedenken die Erlaucht,“ versetzte der Prälat mit seinem kühlen, scharfen Tone, der zu der Aufregung und dem Toben des Bürgermeisters einen eigenthümlichen Contrast bildete; „Sie haben nicht allein daran gehangen, mein Conterfei hat ebenfalls daran gehangen!“

„Und das meine ebenfalls!“ schrie der Bürgermeister, „ich muß mich auch widersetzen, daß auf einseitigen Befehl der Comtesse Aglaë die Bilder abgenommen werden. Was meint Er, Syndicus Schaumlöffel?“ wandte er sich zu einem kleinen Herrn, der während dieser Verhandlung zornig mit den Augen blinzelnd hinter ihm gestanden hatte.

„Was ich meine?“ sagte dieser jetzt laut und heftig, „ich meine, wir dürfen den Rechten der Gemeinde, deren Väter und Vertreter wir sind, nicht das Mindeste vergeben. Ich beantrage, daß die Bilder, welche man eben auf einseitige reichsgräflich Glimmbach’sche Veranstaltung abzunehmen beflissen ist, wieder an ihren Platz gebracht werden. Man darf für die einzuleitende Untersuchung nichts an dem corpus delicti verändern. Ich verlange den status quo!“

Wir verlangen den status quo – die Bilder müssen hingehängt werden!“ schrie der Bürgermeister.

„Ich kann mich diesem Verlangen nicht anschließen!“ sagte kopfschüttelnd der Prälat.

„Es hieße ein Scandalum verlängern,“ flüsterte ein langer, dürrer Mann mit einem Pferdegesicht und einem tief in die melancholische Stirn gedrückten dreieckigen Hute dem Prälaten zu.

„Er hat Recht, Hofrichter Hopfensteck,“ sagte der Prälat, „es wäre ein Scandalum. Die Bilder müssen herunter.“

„Man nehme sordersamst eine Restitutio in integrum vor,“ fuhr der Hofrichter des Prälaten fort, „man hange sie wieder hin, und dann läßt Jeglicher der drei also in ihrer Ehre gekränkten Herren das seinige abnehmen.“

„Macht’s damit, wie Ihr wollt,“ fuhr mürrisch der Reichsgraf dazwischen, „alles Andere aber sind Flausen. Der Gefangene ist von meinen Leuten auf meinen Befehl in sichere Hand genommen, und der marschirt in meinen Thurm und wird von meinem Gericht justificirt!“

„Er ist auf Großlingenschem Grund und Boden betroffen und wird demnach auch in Großlingen inhaftirt gehalten!“ rief der Bürgermeister mit dem äußersten Zorn dawider.

„Ei, seht mir doch die Magnificenz an!“ rief der Reichsgraf jetzt mit einem äußerst beleidigenden Höhne. „Ich habe die Herren heute als meine Gäste zur Jagd geladen, und was bei dieser Gelegenheit vorfällt, das habe ich als Jagdherr zu schlichten und zu richten. Dabei bleibt’s – fort mit dem Gefangenen!“

Albrecht war jedoch zu seinem Heile, zu seiner unbeschreiblichen Erleichterung längst zwischen zwei handfesten gräflichen Jägern davon gegangen und auf dem Wege nach Hohenklingen. Das aber endete den gewaltigen Zwist nicht, der über ihn zwischen den drei Gewaltigen entbrannt war.

In diesem Zwiste war der Reichsgraf eben nahe daran, obzusiegen, und zwar durch das zuletzt von ihm vorgebrachte Argument, als er sich plötzlich in seiner zornigen Aufregung eine Blöße gab, welche die Hartnäckigkeit seiner Widersacher auf’s Höchste brachte. „Ueberdem,“ setzte er nämlich hinzu, „ist das Hauptverbrechen an mir begangen, ich bin der regierende Reichsgraf von Glimmbach zu Hohenklingen, und dem spielt man nicht einen solchen Streich, ohne daß er sich selber Revanche dafür nimmt, das merkt Euch, Ihr Herren!“

„Das können wir Euer Erlaucht nicht einräumen, müssen geziemendst depreciren,“ fiel hier sogleich der Prälat ein. „Die eine Landesherrschaft steht so hoch wie die andere, das crimen commissum ist vollständig ein und dasselbe, ob es gegen Euer Erlaucht oder gegen mich …“

„Es ist ein und dasselbe,“ rief hier der Bürgermeister dazwischen, „ob es an einem Reichsgrafen oder an der hohen Obrigkeit einer gemeinen Stadt und Landschaft Großlingen, oder an einem zeitigen Prälaten hochwürdigen und gefürsteten Stifts Triefalten begangen wird! Es ist ein völlig gleich zu qualificirendes Reat! “

Dabei stelzte der Bürgermeister mit langen Schritten, wie ein zorniger Hahn in der Kampfbahn, dicht an die Seite des Prälaten. Dieser aber sah mit einem ganz unbeschreiblichen Blick bemitleidenden Hochmuths auf den ihm zu Hülfe kommenden Bundesgenossen und sagte sehr ruhig: „Mit Verlaub, Euer Magnificenz – dagegen ließe sich doch etwas erinnern! Was die Beleidigung einer landesfürstlichen Obrigkeit angeht, so ist allerdings das Reat vollständig gleich zu qualificiren, ob es nun einen Reichsgrafen, wie Seine Erlaucht, unsern sonderbaren Freund und Gönner, oder den fürsichtig-wohlweisen Consuln der freien Reichsstadt betrifft. Ich bitte aber in Anbetracht zu nehmen, daß bei uns, dem zwar unwürdigen, aber erwählten und infulirten Abten des Gotteshauses Triefalten, unsere geistliche Würde hinzukommt und der unauslöschliche Charakter unserer priesterlichen Würde, deren Antastung dieses Verbrechen zu einem gegen Gott, die Religion und die Kirche stempelt, weshalb denn weiter gar kein Streit und Zweifel mehr obwalten kann, daß sofort der Gefangene an uns auszuliefern sei.“

„An uns auszuliefern sei,“ echoete der Hofrichter Hopfensteck, der während der obigen Rede still andächtig seinen hochwürdigen Amt- und Brodherrn angeschaut hatte und jetzt die Schlußfolgerung derselben mit einer ganz entsetzlichen Entschiedenheit wiederholte, als ob er sich wie ein Löwe auf Jeden stürzen wolle, der ihm widersprechen werde.

„Der Gefangene wird nicht ausgeliefert, der Gefangene bleibt, wo er ist!“ erwiderte mit zorniger Barschheit der Reichsgraf.

„Und er wird doch ausgeliefert,“ schrie der Syndicus Schaumlöffel; „er ist auf unserem Grund und Boden inhaftirt, und man soll Großlingen nicht an seine Rechte tasten! Hier steh’ ich, auf unserem Territorio, und protestire feierlich gegen die Verletzung unserer Jura, Privilegia und kaiserlichen Gnadenbriefe!“

„Und hier steh’ ich,“ rief der Hofrichter Hopfensteck aus, indem er mit seinen langen Beinen auf die andere Seite des Galgens stelzte, wobei der Prälat nebst seiner Dienerschaft ihm folgte, „hier steh’ ich auf meines gnädigsten und hochwürdigsten Herrn von Triefalten Immunität und gefreitem Gebiet und protestire wider jegliches einseitige Vorgehen!“

„Protestirt so viel Ihr wollt,“ sagte der Reichsgraf sich mit seinem Gefolge auf die dritte Seite des Galgens zurückziehend, „hier steh’ ich auf meinem Grund und Boden und lasse mir nichts vorschreiben. Und damit basta – die Jagd kann beginnen – Oberförster, stelle Er die Schützen an.“

Aber die zwei in ihren Rechten und in ihrem Ehrgefühl so bitter gekränkten Parteien hatten nicht Lust mehr, an der Jagd Theil zu nehmen. Während der Oberförster des Reichsgrafen begann, die Standpunkte der Jäger zu bestimmen, und zugleich Hornsignale für die Treiber geben ließ, hielten der Prälat und der Bürgermeister, jeder in seiner Gruppe, einen kleinen Kriegsrath und dann begaben sie sich ohne Abschied von dem Reichsgrafen, der sich nicht weiter um sie kümmerte, jeder auf seinen respectiven Heimweg.



3.

Während die Herren so mit unversöhnlichem Groll auseinander gingen, der Reichsgraf mit seiner schönen Tochter und seinem Triumph dem Jagdvergnügen nach, der Bürgermeister mit seinem Syndicus und seinem Ingrimm nach Hause, und der Prälat mit seinem Hofrichter Hopfensteck und Racheplänen in’s gefürstete Stift Triefalten heim – unterdeß sammelte sich eine kleine Gruppe von Dienern der beiden geschlagen abziehenden Herrschaften vor der Bude des kleinen Schenkwirths. Sie wollten sich von diesem Näheres über [643] den unerhörten Fall berichten lassen, und in guter Freundschaft – denn was kümmerte sie der „Streit der Mächtigen“ – bei den ausgebotenen Erfrischungen darüber discuriren. Das zopfwedelnde Männchen gab Antwort auf alle Fragen, die es beantworten konnte; es war weit entfernt, seine Sache – es glaubte seine Sache stände sehr schlimm, da es durch sein Geplauder den ganzen Vorfall veranlaßt hatte – durch Leugnen noch schlimmer zu machen. Und so stellte sich denn bald heraus, daß der Frevler zwei gewesen: und daß der Hauptschuldige, der die Bilder aufgehangen, ein schwarzbrauner Italiener gewesen, oder doch ein Mensch aus sonst einem Lande, wo die Sonne die Köpfe schwarz brennt und die Hölle die Seelen, daß sie solcher erschrecklicher Thaten fähig werden. Denen aus der Versammlung aber, die mit dem hochwürdigen Herrn von Triefalten als dessen Büchsenspanner und Leibdiener gekommen, ward alsbald klar, daß die Verbrecher Niemand anders als die zwei Leute seien, welche in der vergangenen Nacht im Konvente ihre Herberge genommen, und von denen Einem der Mannen bekannt war, daß sie ihr Reisegepäck dort gelassen … es war also wahrscheinlich, daß der flüchtige Frevler sich auch im Stifte wieder einstellen werde, um sein Eigenthum zu reclamiren, und bei dieser Gelegenheit brauchte man ihn nur zu fassen, um den Hauptthäter in Haft zu bekommen und über beide Nebenbuhler zu triumphiren. Nachdem die Leute des Convents ihre Gläser geleert, trennten sie sich deshalb von den Städtischen und eilten ihrer Herrschaft nach, um diese zu erreichen und Bericht zu erstatten.

Unterdeß war Albrecht, unser gefangener Freund, zwischen den zwei handfesten Gesellen, denen seine Obhut anvertraut war, durch dichte Waldgründe bergab und wieder bergauf geführt, durch wahrhaft prächtige Bergwälder, in denen die Drossel schlug, der Finke sang, und im Sommersonnenscheine Alles in lustigem Leben und Treiben begriffen war: die Mücken, die auf und ab tanzten vor den eilig schreitenden Männern her, der weiße Falter, der quer über den Weg her flatterte, und die Menschen, die aus den fernen Gründen herüber die Fanfaren und Signale der begonnenen Jagd durch die reine Morgenluft schmettern ließen. In dieser schönen freien Gotteswelt wollte es Albrecht gar nicht zu Sinn, daß er wirklich ein Gefangener, ein von Strafen und Mißhandlungen bedrohten Delinquent sei, den man in einen dunklen und fürchterlichen Kerker und vor ein Gericht eines kleinen Despoten führte, das sicherlich nicht geneigt war, ihm auch nur das Geringste von seinen entsetzlichen Proceduren zu schenken, da es selten in dem Hochgenuß schwelgen konnte, einen solchen Capitalverbrecher vor seine Schranken zu ziehen. Als er aber bei einer Wendung des Weges vor sich ein ärmlich aussehendes Städtchen und neben demselben, auf halber Höhe des dahinter emporsteigenden Berges, das massiv und stattlich dastehende Schloß Hohenklingen erblickte, welches von vier oder fünf äußerst düster und tückisch aussehenden dicken Thürmen überragt wurde, da begann Albrecht das Mißliche seiner Lage zu fühlen; eine gewisse Verzweiflung bemächtigte sich seiner, und er sah sich seine beiden Begleiter darauf an, ob es möglich sein werde, ihnen auf irgend eine Weise zu entkommen. Die Aussicht dazu war schwach; der eine dieser wohlbewaffneten Burschen schritt vor ihm her, und der andere folgte. Geladene Büchsen führten sie beide; Mienen, als ob sie geneigt wären sich überrumpeln zu lassen, machten sie auch nicht … es war von dieser Seite keine Hoffnung da. Und so kam man dem unerfreulichen Ziele näher und näher und endlich in eine Gasse der kleinen Stadt, wo die Straßenjugend zusammenlief, um dem stattlichen jungen Herrn, den man als Verbrecher transportirte, zu folgen, und die Hunde hinterdrein bellten, als ob sie, die Sicherheits-Wächter und Beschützer nächtlicher Ordnung, ihre moralische Entrüstung darüber ausdrücken wollten, daß ein so anständig aussehender junger Mann sich in solche Lagen durch seinen Leichtsinn bringe. Und dann kam man in einen Hohlweg, der zum Schlosse hinaufführte, und dann unter den dunklen Thorbogen des alten Bergcastells und endlich auf einen kleinen, von allerlei Gebäudetheilen aus den verschiedensten Zeiten umringten Hof. Links war eine Thür mit gothisch gewölbtem Bogen, neben welcher einige Gewehre an die Wand gelehnt standen. Die Thüre war offen; ein schrecklicher Geruch von Bier und furchtbar schlechtem Tabak drang Albrecht daraus entgegen; er mußte jedoch nichts desto weniger diesen Qualen trotzen und sich der eigenthümlich aussehenden Gesellschaft vorstellen lassen, welche da drinnen schmauchend, plaudernd oder schlafend auf Pritschen umherlag oder mit äußerst schmutzigen Karten sich die Zeit vertrieb. Albrecht befand sich dem reichsgräflich Glimmbach’schen Armeecorps, welches hier sein Hauptquartier hatte, gegenüber.

Der Commandeur dieser Armada, der in der militärischen Hierarchie die hohe Staffel eines Feldwebels erreicht hatte, auch durch martialische Haltung und wohleingebundenen, fettglänzenden Zopf solcher Bedeutsamkeit alle Ehre zu machen beflissen war, musterte schweigend und düster den Gefangenen, den man ihm brachte.

„In den Thurm soll er?“ sagte der Mann nach einer stummen Pause zu einem der beiden escortirenden Jäger. „Weshalb in den Thurm? Hat Er was Schriftliches darüber?“

„Die Erlaucht haben’s so befohlen!“ versetzte der Jäger.

„Befohlen? Ihm? Das geht uns vom Militäre nicht an. Wenn Er nichts Schriftliches hat, so geht es uns nichts an. Das Militär braucht sich nicht darum zu kümmern, sondern nur um sein Dienstreglement. Auf der Hauptwache abgelieferte Arrestanten kommen in das Wachtgefängniß. Ich werde das Subject in das Wachtgefängniß einsperren, bis Serenissimus selber es anders ordiniren! Komm Er mit!“ wandle er sich dann an den Gefangenen. Albrecht folgte ihm.

Es war eine schmale Zelle, wie die Wachtstube selbst gewölbt, braun geräuchert und dunkel, in welche Albrecht geführt wurde. Rechts war das Fenster, links im Hintergründe eine Pritsche. Es war natürlich, daß Albrecht sich eher nach der Seite des Lichtes, als nach der Dunkelheit wendete; er trat an das Fenster und da er bemerkte, daß es sich öffnen ließ, so beeilte er sich, frische Luft in seine Zelle einströmen zu lassen. Draußen vor dem Fenster befanden sich allerdings Stangen, welche dicht und fest genug waren, um jeden Gedanken an Flucht im Entstehen zu erdrücken; aber diese Stangen waren unten rund ausgebaucht, so daß man sich ungehindert in das Fenster legen und mit vorgebeugtem Kopfe nach rechts und links den Hof überschauen konnte. Albrecht schob den einzigen Stuhl, der in dem Raume war, heran und ruhte sich eine Weile, den Arm auf die Fensterbrüstung gestützt, von seinen morgendlichen Wanderungen aus. Sein Auge überflog dabei mit einer lässigen und halben Aufmerksamkeit den Schloßhof mit allen seinen aus verschiedenen Zeiten stammenden und unvermittelt an einander geschobenen Bautheilen, die bald das schwerfälligste, grobsteinige Mittelalter, bald Rococostyl und bald Fachwerkgestocke zeigten, an welchen letzteren die Balken und Ständer und Streben mit allerlei Schnitzereien verziert und mit schönen Bibelsprüchen bedeckt waren.

Für’s Erste benutzte jedoch Albrecht die ihm gebotene angenehme Gelegenheit zur Lectüre der frommen Sprüche nicht; sein Auge schweifte müde über die ihn umgebenden hohen Mauern, die Fenster von allerlei Gestalt, die Erker, Giebel und Dächer, von denen hohe Essen und Thurmhauben in die weite Ferne blickten. Auch sah er mancherlei eigenthümliche Gestalten, Diener in sauberen Jacken und Hausröcken, Mägde in seltsamen Trachten mit radgroßen Mützen und faltigen kurzen Röcken, Soldaten in ganz curiosen Uniformen mit Blechmützen, die wie Bischofsmützen aussahen, im Schloßhofe sich müßig, schäckernd, lungernd umhertreiben. Vor seinem Fenster und vor der Thüre der Wache schritt eine Schildwache auf und nieder, gähnte, blieb stehen, reckte die Glieder und begann dann wieder ihren langsamen Wandelgang; endlich stellte sie ihr Gewehr an die Mauer und zog aus der Patrontasche ein, wie es schien, zum Privatbesitz des Mannes gehörendes Taschenmesser hervor und begann die Klinge desselben auf seinem Nagel zu probiren. Mechanisch war dadurch Albrecht’s Aufmerksamkeit auf des stattlichen Kriegers Patrontasche gezogen worden, auf deren Teckel sich ein Namenszug von blankem Messing befand. Was war an diesem Namenszug, das ihm bekannt vorkam oder vielmehr wie eine Art Erinnerung in ihm weckte, und das; er darauf hinblickte, ohne doch sich Rechenschaft darüber geben zu können, was ihm daran auffiel? Und dann … war es nicht wieder derselbe Eindruck, den er erhielt, als er nach einer Weile das Auge abwandte und über den ihm gegenüberliegenden Gebäudetheil hinstreifen ließ und über dem Portal ein großes, aus Stein gehauenes Wappen erblickte, auf welchem ganz derselbe Namenszug angebracht war? Es war eine höchst künstlich verschnörkelte Chiffre, aber man mochte sie nun betrachten wie man wollte, das Endresultat des darauf verwendeten Studiums war allezeit, daß sie ein C und zwei X bildete. Ein C und zwei X … das war CXX; und dies war ja die Hieroglyphe, [644] womit die Briefe an Fano’s Mutter, die Briefe, welche Albrecht noch immer in der Tasche trug, unterzeichnet waren … der Gedanke durchschoß unsern Gefangenen, nachdem er eine Minute lang das Wappen angestarrt hatte, wie ein Blitz, und augenblicklich zog er sein Taschenbuch hervor, in welchem er jene Briefe untergebracht hatte, bis er Muße und Lust gewinnen würde, sie zu durchlesen. Diese Muße war ihm ja jetzt in vollem Maße vergönnt, und so nahm er und entfaltete das kleine Packet und begann darin zu lesen. Die Briefe waren in italienischer Sprache geschrieben; sie waren sehr zärtlich, aber auch sehr kurz, mit einer großen und unbehülflichen Handschrift auf dickes, unbeschnittenes Papier geschrieben; auch waren ihrer sehr wenige, etwa vier oder fünf; und obwohl Albrecht den Inhalt verstand, machten sie ihm doch den Eindruck, als habe der Schreiber darin mit ziemlicher Mühe ein etwas seltsames Italienisch zusammengestellt. Albrecht rief die Schildwache an.

„Sag’ Er mir einmal, guter Freund,“ sagte er, „was bedeutet der Namenszug auf seiner Patrontasche da?“

Der Mann holte sich die Patrontasche von seiner Rückseite nach der Vorderseite herüber und betrachtete sie eine Weile sehr aufmerksam.

„Was wird’s bedeuten?“ versetzte er dann – „den Namen vom Gnädigsten!“

„Und wie lautet der Name?“

„Cosimus.“

„Cosimus? Ist das Alles?“

„Ich glaub’ halt schon. Der Feldwebel drin wird’s wissen.“

„Ruf’ Er den Feldwebel einmal her.“

Die Schildwache sah den Gefangenen ein wenig überrascht, daß dieser in so bestimmtem Tone Befehle ertheile, an, dann rief er: „Feldwebel … kommt einmal heraus! Der Musjeh drin will Euch etwas sagen.“

„Na, was will Er denn?“ fragte der Feldwebel, auf der Schwelle der Wachtstube erscheinend.

„Ich möchte wissen,“ hub Albrecht an, „was der Namenszug da auf den Patrontaschen bedeutet.“

„Das bedeutet Cosimus der Zwanzigste.“

„Cosimus der Zwanzigste … ich danke Euch, Feldwebel. Wart Ihr schon lange hier im Dienste?“

„So ein Jährle oder zwanzig!“

„Zwanzig Jahre … und wißt Ihr, ob vor der Zeit Euer Serenissimus …“

In diesem Augenblick wurden die beiden Kriegsmänner von einer plötzlichen Aufregung ergriffen, die Albrecht hinderte, seine Frage zu enden. Die Schildwache eilte mit langen Schritten, sich neben die Thüre der Wache strack und stramm auszustellen. Der Feldwebel eilte eben dahin – der Mann auf dem Posten erhob ein ganz entsetzliches, an den alten Mauern wiederhallendes Gebrüll:

„Wache …“

Das „heraus“, welches er folgen lassen wollte, wurde aber kurz abgeschnitten durch eine gebietende Handbewegung, welche eine schmale Hand und ein graziös erhobener Arm machten – die Hand nämlich und der Arm Aglaë’s, der jungen Gräfin, welche in diesem Augenblicke in ihrem Jagdcostüme, den Büchsenspanner, der der Ankläger Albrecht’s geworden, hinter sich, in den Schloßhof trat. Sie wehrte entschieden und, wie es schien, etwas mißmuthig die ihr zugedachten militärischen Honneurs ab und wandte sich einem Theile des Gebäudes zu, den sie nicht erreichen konnte, ohne ziemlich dicht an dem Fenster vorüber zu gehen, in welchem Albrecht lag.

Albrecht’s erste Bewegung war, sich rasch in den Hintergrund seiner Gefangenzelle zurück zu ziehen – es war ihm in der ganzen Welt nichts unangenehmer, als von der jungen Gräfin in seiner demüthigen Situation erblickt zu werden. Dieser ersten Bewegung aber folgte der Gedanke, daß, wenn er so glücklich sein könne, nur ein paar Worte mit der jungen Dame zu wechseln, es ihm vielleicht gelinge, ihre Vermittlung zu gewinnen, um aus eben dieser demüthigen Lage heraus zu kommen. Deshalb blieb er, wo er war, und als er sah, daß Aglaë, während sie an ihm vorüberging, einen raschen Blick auf ihn warf, sagte er:

„Meine gnädigste Comtesse, würden Sie, wenn ein Graf Albrecht von Werdenfels Sie ersuchte, ihm eine Audienz zu gewähren, diese Bitte abschlagen?“

„Graf Albrecht von Werdenfels?“ fragte sie erstaunt stehen bleibend.

„Das ist mein Name,“ versetzte er mit einer leichten Verbeugung.

„Und Sie wünschen mich zu sprechen?“

„Es ist der heißeste Wunsch meines Herzens, natürlich aber eine Audienz, die nicht durch dies Sprachgitter hier geführt würde und nicht Ew. Erlaucht zwänge, in einer Ihrer unziemlichen Situation zu verharren.“

Sie schien einen Augenblick nachzudenken.

„Sind Sie wirklich …“ begann sie dann.

„Der jüngere Sohn des Grafen Gebhard von Werdenfels,“ unterbrach er mit einer so sichern und vornehmen Haltung, daß Aglaë keinen Zweifel mehr in sich aufsteigen fühlte und dem Feldwebel winkte.

„Der Herr,“ sagte sie diesem, „verlangt mich zu sprechen, führ Er ihn nach oben in meine Zimmer.“

„Erlaucht, ich bin für den Mann verantwortlich,“ versetzte der Feldwebel, die Hand an der Blechmütze.

„Ich befehl’s Ihm,“ entgegnete die junge Dame sehr entschieden, „auch kann Er im Vorzimmer bleiben.“

Damit wandte sie ihm wie dem Gefangenen den Rücken und schritt auf die nächste Thüre zu, die über eine kleine Treppe in das Innere des Schlosses führte. Nach fünf Minuten stand der Graf von Werdenfels in einem kleinen, altfränkischen, mit schweren und massiven Möbeln besetzten Gemach. Er hatte Zeit sich darin umzusehen, denn es dauerte eine Weile, bis die junge Gräfin, gefolgt von einer alten, dueñamäßig aussehenden Dame in breiten Poschen und hohem gepuderten Toupê durch eine weit offen gerissene Flügelthüre eintrat.

„Was haben Sie mir zu sagen?“ fragte die Gräfin, an einem Tische stehen bleibend, wie um anzudeuten, daß sie der Audienz keine lange Dauer wünsche, oder vielleicht auch um der Nothwendigkeit überhoben zu sein, auch Albrecht zum Sitzen einzuladen.

„Meine gnädigste Erlaucht,“ sagte Albrecht mit einer Verwirrung, die ihn jetzt zum zweiten Male bei dem Anblick der schönen Gräfin überkam, „ich weiß in der That nicht, wie ich beginnen soll. Wenn ich in diesem Augenblicke meine ganze kühle Ruhe und Geistesgegenwart hätte, so würde ich vor Allem zuerst davon reden, daß ich Ihre gütige Vermittlung in Anspruch nehme, um sofort aus einer Gefangenschaft befreit zu werden, die, gegen eine Person meines Ranges und meiner Herkunft verhängt, eine schwere Rechtsverletzung ist. Ich bin auf einer Reise nach Wien begriffen, bin mit Empfehlungsschreiben an den Reichsvicekanzler ausgerüstet und würde unmittelbar beim Kaiser Beschwerde erheben, wenn mir nicht Genugthuung gewährt würde. Aber Alles das liegt mir in diesem Augenblicke nicht am Herzen …“

„Und was liegt Ihnen denn am Herzen, mein Herr Graf?“ unterbrach ihn Aglaë mit einem kalten und fast ironischen Tone, unter welchem sie doch eine große Verlegenheit und innere Bewegung nicht ganz zu verbergen vermochte.

„Am allermeisten das,“ antwortete Albrecht, „vor Ihnen einen thörichten Pagenstreich zu entschuldigen, den ich zwar nicht begangen habe …“

„Sie haben ihn nicht begangen? “ rief Aglaë lebhaft aus.

„Nein, es hat ihn ein Anderer ausgeführt, der Zeit hatte zu entfliehen, während ich von Ihrem Anblick gefesselt stand und unter Ihren Augen zu fliehen meiner unwürdig hielt … aber ich nehme die volle Verantwortlichkeit für das, was geschehen ist, auf mich!“

„Nun, dann werden Sie auch keine Ursache haben, sich zu beschweren,“ fiel Aglaë ein.

„Ich wollte ja eben bemerken, daß ich in diesem Augenblicke weit weniger an eine Beschwerde denke, als an die Hoffnung, in Ihren Augen etwas gerechtfertigter und Ihrer Achtung werther dazustehen, wenn Sie mich angehört haben. Es ist mir unerträglich, Ihnen als ein Mensch ohne Besonnenheit und Vernunft zu erscheinen, als ein Abenteurer vielleicht, der sich durch seinen Leichtsinn in eine lächerliche Situation gebracht hat – ja, in eine wirklich lächerliche – die schlimmste von allen …“

(Fortsetzung folgt.)



[645]

Ein deutscher Volksmaler.

Schlage ’mal her!
Originalzeichnung von C. E. Böttcher.

Ein deutscher Volksmaler – so nennen wir unsern C. E. Böttcher. Nachdem durch Männer wie Salzmann, Gellert, R. Z. Becker, Zschokke, Hebel, Auerbach, A. Bernstein u. A. die Würde eines deutschen Volksschriftstellers auf eine hohe Stufe der Achtung im Volke erhoben ist, und besonders seitdem das „Volk“ selbst diesen einst durch die sogen. Leute „von Geburt“ so geschändeten Begriff wieder zu Ehren gebracht hat, wird auch die deutsche Künstlerwelt uns nicht mehr zürnen, wenn wir als den Nächsten an der Seite des Volksschriftstellers den Volksmaler erkennen. Beide, der Schriftsteller wie der bildende Künstler des Volks, arbeiten an derselben Aufgabe: dem Volke sein eigenes Bild vorzuführen, in der Gegenwart wie in der Vergangenheit, in seiner öffentlichen und geselligen Bewegung, wie in seinem Familienleben. Beider Streben ist, mit dem Griffel der Wahrheit dem Volke das Schöne, Edle, Gute in seinem eigenen Wesen vorzuzeichnen und in ihm den rechten Abscheu vor dem Gegentheil von dem Allen zu erregen. Beide verfolgten dasselbe Ziel, so lange auch Jeder seinen eigenen Weg ging; erst die Gegenwart hat ihnen jedoch eine gemeinsame Bahn angewiesen in der illustrirten Volksliteratur.

Es ist zwar nicht immer erforderlich, aber es ist häufig, daß diese schreibenden, dichtenden und bildenden Männer des Volks auch aus den Reihen desselben, ja selbst aus der Armuth stammen und durch eigene Kraft und etwas Glück die Höhe im Leben errungen haben, von der aus sie wieder zurückwirken auf die Schichten ihres Ursprungs. Letztere Schule ist offenbar eine gute, wenn auch eine harte, denn es ist doch wohl Etwas daran, daß derjenige, welcher selbst barfuß lief, am besten weiß, wie das thut und ist.

Aus dieser Schule ging auch Böttcher hervor. Sein Geburtsort ist das Dorf Imgenbroich auf der hohen Veen, im Regierungsbezirk Aachen, sein Geburtstag war der 9. December des Jahres 1818 und er selbst das zwölfte Kind seiner Eltern, die dann noch fünf Mal taufen lassen mußten. Für solch reichen Himmelssegen erwies sich jedoch ihr irdisches Gut als zu gering; die Tuchfabrik des Vaters konnte die steigenden Bedürfnisse der Familie nicht aufbringen, er verkaufte sein gesammtes Anwesen in Imgenbroich und zog nach Württemberg, wo ihn, bei Heidenheim die Leitung einer Fabrik übergeben wurde.

Hier führte die Kunst dem armen Knaben das erste Glück zu. [646] Daß schon in früher Jugend seine Darstellungsgabe mit Griffel und Stift Befriedigung suchte, ist nichts Ungewöhnliches; seine Versuche hatten jedoch in seinem Familienkreise wohl kaum die entsprechende Beachtung gefunden. Da kamen einige seiner Skizzen und Zeichnungen nach der Natur einer menschenfreundlichen Dilettantin vor Augen, einer Frau Zoepritz (geb. v. Hartmann aus Stuttgart), die dem jungen Talent ihre Unterstützung anbot: der strebende Knabe sollte bei ihr Unterweisung im freien Handzeichnen genießen. Noch heute erzählt Böttcher mit Freude, wie jenes Anerbieten ihn in solche Aufregung versetzt habe, daß er dadurch mehrere Nächte um seinen Schlaf gekommen sei.

Gleichwohl stand es um seine Künstlerlaufbahn noch immer schlimm genug. Um seinen Eltern die schwere Sorgenlast zu erleichtern, nahm er nach seinem Austritt aus der Schule einen Schreiberdienst bei dem Gerichtsnotar in Heidenheim an; seine karge Einnahme vermehrte er durch Unterrichtertheilen im Französischen, das ihm von Haus aus geläufig war, und endlich malte er von ihm selbst erfundene Wappen für Jedermann, Stück für Stück zu sechs Kreuzer. Namentlich aus der letztern Einnahme erschwang er sich nach und nach ein Ersparniß von fast vierzig Gulden. Diese Summe in der Tasche und fünfzehn Jahre im Rücken, da war die Welt sein und er entschlossen, in ihr sein besonderes Glück zu suchen. Sein nächstes Ziel war Stuttgart, wohin die für ihn nur halb entschleierten Geheimnisse der Lithographie ihn lockten.

Trotz der Abmahnungen seines Vaters und der Frau Zoepritz führte er seinen Vorsatz aus. Durch die Empfehlungen des Geheimraths v. Hartmann, des Vaters seiner Wohlthäterin in Heidenheim, fand er Beschäftigung für die Georg Ebner’sche Kunst- und Verlagshandlung, er illuminirte, lithographirte, zeichnete Portraits, das Stück zu 24 Kreuzer, wie es eben kam, und besuchte nebenbei noch die Kunstschule. Hier übte er Hand und Auge nach der Antike und dem lebenden Modell und fand an dem Director Sammler, sowie an den Professoren Seibert humane Förderer seines Talents.

Das Jahr 1838 rief ihn in seine preußische Heimath zurück, um der Militärpflicht Genüge zu leisten. In Düsseldorf machte er sein Examen zum freiwilligen einjährigen Dienst, den er jedoch erst im Jahre 1841 anzutreten hatte. Die Zwischenzeit benutzte er zu lithographischen Arbeiten, sowie zum Portraitiren. Erst im Jahre 1844, beinahe sechsundzwanzig Jahre alt, bezog er die Akademie, mit dem Entschluß, sich fortan vorzugsweise dem Genre zu widmen, und er that dies mit raschem Erfolge. Den Anfänger, den wir damals 1844 in der zweiten Malclasse des Professors Theodor Hildebrandt sahen, finden wir schon 1847 als Schüler Schadow’s in der Meisterclasse. Er gehört nun längst zu den besten Künstlern der Düsseldorfer Schule.

Auch als Menschen hat ihn das Glück liebgewonnen; eine glückliche Ehe tritt ihm mit ihren reizenden Bildern entgegen, so oft er die eigenen auf der Staffelei verläßt. Auf diese letzteren werfen wir nun noch einen besondern Blick. Man erkennt in ihnen einen vorherrschend idyllischen Charakter, weil Böttcher seine Volksscenen meist in die freie Natur verlegt, und zwar am liebsten in die des Rheins und der Lahn, des Taunus und des Schwarzwalds. Seine ersten Bilder zeigen uns nur Gruppen von wenigen Figuren, wie „den Invaliden mit seinem Führer“ (Eigenthum des rheinischen Kunstvereins), „Kinder in einem Korbe“, eine „Heimkehr vom Felde“, „die Entlassung eines Gefangenen aus dem Kerker“ (der damaligen „socialen“ Richtung der Düsseldorfer Kunst zugehörig), „die Mutter mit dem Kinde, mit dem Hofhahn spielend“, „die Mutter an der Wiege des Säuglings“, „ein junges Ehepaar vor der Hausthür, mit seinem Knaben kosend“. „der Bursch am Fenster seiner Geliebten“, „Kinder, auf einem Schubkarren durch den Wald fahrend“, Alles zu Herzen sprechende Gegenstände. Gerade diese verleihen aber auch seinen späteren größeren und umfangreicheren Compositionen ihren fesselnden Reiz. Wir erinnern an „Rheinische Dorfjugend“, die in einem Bauerngehöfte „Fuhrmanns“ spielt, ferner die „Heimkehr vom Schulfeste“, den Schulmeister mit der Flöte an der Spitze, ein Bild voll volksthümlichen Humors, einen „Abend im Schwarzwald“, und auch sein „Abend nach der Schlacht“ (ein graubärtiger Krieger und die Marketenderin vor der Leiche eines jungen Gardisten, vom Mond beleuchtet) gehört hierher; ebenso der „Rheinische Erntezug“, der zuerst als Aquarell in dem bekannten Rheinlandsalbum für den Prinzen und die Prinzessin von Preußen erschien, „die Heuernte“, die auf der Brüsseler Ausstellung besonders hervorgehoben wurde, und „der Abend am Rhein“, der durch die Illustrirte Zeitung (Nr. 899) weitere Verbreitung fand.

Eine der jüngsten seiner liebenswürdigen Gaben, den Knabenzwist, theilen wir als eine Probe von des Meisters Griffel hier mit. Wir haben Spielgenossen vor uns, die aus der Schule kommen. Dafür zeugt am Boden das Buch und die Schiefertafel mit dem Schwamm an der Schnur. Sie waren gut mit einander auf dem ganzen Wege, der Unfriede ist plötzlich ausgebrochen, und zwar augenscheinlich vor der Wohnung desjenigen der kleinen Helden, bei dem wir, wie der Thüringer Volkswitz sagt, den „großen Herrn“ hinten heraus hängen sehen. Er ist offenbar der Schwächere, aber er steht unter dem Schutze des Sultans, der in sichtlicher Freude am Scandal seine drohenden Blicke gegen den andern Knaben schießt. Dieser erscheint als ein entschlossener Bursche, der gewohnt ist, sich selbst zu helfen; dafür spricht wenigstens der Pflock, mit dem er sinnreich einen abgerissenen Knopf für den Hosenträger ersetzt hat. Auch läßt seine Haltung auf die Lust zum Angriff schließen, während der Andere mehr auf die Defensive angewiesen zu sein scheint. – Ständen sie auf der Mensur, es erwartete Jedermann jetzt das Commandowort: „Los!“ – Man möchte gar gern sehen, wie der Kampf beginnt und wie die Intervention des Sultans ausfällt; – aber unser Warten hilft nichts, es bleibt auch aus unserm Bilde bei der Kriegsbereitschaft, die Jungen beharren beim Princip der freien Faust, und der arme Sultan hat das Zusehen, wie wir.

F. H.


Aus den Zeiten der schweren Noth.

Nr. 5.
Buchhändler Palm.
Von Th. Oelckers.
(Schluß.)


Am 9. August traf Palm von München in Nürnberg ein. Mancher Warnungen ungeachtet hielt er sich für sicher. Aus den Zeitungen erfuhr er indeß die Verhaftung des Augsburger Buchhändlers und begab sich auf Zureden der Seinigen zu seinem Oheim und ehemaligen Lehrherrn nach Erlangen, welches damals noch preußisch war. Aber schon nach einigen Tagen trieb ihn die Sorge um seine Familie und um sein Geschäft nach Nürnberg zurück. Inzwischen hatte der dort commandirende französische General Frère von Paris den Befehl erhalten, Palm zu verhaften. Dieser fand jetzt für gut, sich in seinem Hause verborgen zu halten. Man bediente sich einer List, um zu erfahren, ob er anwesend sei. Es erschien in seinem Buchladen ein zerlumpt gekleideter Junge, der ein von etlichen angesehenen Bürgern unterzeichnetes Attest vorwies, auf Grund dessen er um Unterstützung für seine Mutter, eine arme Soldatenwittwe, bettelte. Er bat, Herrn Palm, von dem er schon früher beschenkt worden, persönlich sprechen zu dürfen. Der Commis ging mit dem Attest nach einem der oberen Zimmer des Hauses, wo sich sein Herr versteckt hielt, theilte diesem das Verlangen des Jungen mit, und arglos ließ Palm denselben kommen, sah sein Attest an und beschenkte ihn. Kaum war der Junge fort, als zwei französische Gensd’armen im Buchladen erschienen, welche der Bettler von Palm’s Anwesenheit unterrichtet hatte. Ohne sich mit Fragen aufzuhalten, verfügten sie sich sogleich in das ihnen schon bezeichnete zweite Stockwerk des Hauses und betraten Palm’s Zimmer mit der Aufforderung, sich anzukleiden und mit ihnen zum commandirenden General zu kommen.

Palm’s Verhaftung erregte ungeheueres Aufsehen in der Stadt.

[647] Daß aber ein fremder General anstatt der Ortsbehörde den Richter zu spielen sich anmaßen durfte, war eben auch ein Merkmal von Deutschlands tiefer Erniedrigung. General Frère ließ Palm vorführen und durch einen Dolmetscher über die durch seine Buchhandlung versendete Flugschrift befragen. Palm erwiderte, daß er die Schrift von auswärts, von ihm unbekannter Hand erhalten und laut der Adresse versandt habe, wie dies im Buchhandel häufig vorkomme. Die französische Untersuchungsbehörde schenkte der Aussage Palm’s, auf welcher er beharrlich bis an sein Ende blieb, wenig Glauben. Uebrigens war, wie es in sogenannten politischen Processen so häufig der Fall ist, das Urtheil schon vor der Untersuchung fertig und die letztere nichts weiter als eine Form. Da kein weiteres Geständniß von Seiten Palm’s erfolgte, erklärte ihm der General, er habe so lange Hausarrest, bis er gestehen werde, woher er die Schrift erhalten. Alle Räume des Hauses der Stein’schen Buchhandlung wurden jetzt untersucht, und Palm, der unter der Ueberwachung der Gensd’armen zunächst dorthin gebracht worden war, wurde unter dem Vorwande, daß das Haus nicht Sicherheit genug biete, auf das Rathhaus geführt.

Es galt, den Deutschen ein abschreckendes Beispiel zu zeigen, doch fand die Tyrannei gerathen, den Gewaltstreich mit dem Scheine gesetzlicher Formen zu umgeben, wie es in derartigen Fällen auch anderwärts üblich ist. Nachdem der gefangene Palm eine Nacht auf dem Rathhause zugebracht, führten ihn die Gensd’armen am 15. August wieder in seine Wohnung, und man befahl seiner kranken Frau, eine Chaise zu besorgen, da Palm nach Ansbach zu dem im dortigen Schlosse wohnenden Marschall Bernadotte gebracht werden müsse. Dem Befehl mußte gehorcht werden, und mit Mühe setzten die Gattin des Verhafteten und dessen Freunde es durch, daß denselben ein angesehener Rechtsgelehrter nach Ansbach begleiten durfte. Mit diesem und zwei Gensd’armen fuhr er dorthin. Noch war er der besten Zuversicht voll und glaubte, man werde ihm wenig anhaben können. In Ansbach angelangt, verlangte Palm’s Begleiter Gehör bei Bernadotte für den Gefangenen, erfuhr aber von dem dienstthuenden Adjutanten, „eine Audienz werde Palm nicht gewährt, die Verhaftung sei auf unmittelbaren Befehl des Kaisers von Paris aus erfolgt.“ Man eröffnete dies Palm in seinem Gefängnisse zugleich mit der Kunde, daß er abgeliefert werden solle, um vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden; könne er keinen Wagen bezahlen, so werde man ihn zu Fuß abführen. Der rechtskundige Begleiter sorgte für das nöthige Reisegeld und gab dem Gefangenen alle möglichen tröstenden Zusicherungen.

Palm’s Gattin, welche glaubte, man habe denselben nach München geschafft, that Alles für ihn, was in ihren Kräften stand. Sie schickte Kleidungsstücke und Geld nach München, denn in Nürnberg hatte man Palm nicht die Zeit gelassen, das Nothwendigste mitzunehmen. Sie richtete eine Vorstellung an den französischen Gesandten Otto in München und eine Bittschrift an den Marschall Berthier, aber beide Schreiben blieben ohne Antwort und ohne Erfolg.

Man führte Palm nach der noch von den Franzosen besetzten Festung Braunau, wo im Gasthause zum weißen Falken die Sitzungen des außerordentlichen Kriegsgerichts abgehalten wurden. Sieben französische Obersten bildeten dieses Gericht, und Referent oder vielmehr Ankläger war General Binot. Am 22. August kam Palm in Braunau an, wohin man auch bereits den ebenso wie Palm am 15. verhafteten Weinhändler Schoderer gebracht hatte. Für diesen verwendete sich ein Freund, der damalige Polizeikanzlist Kremer von Donauwörth, auf das Energischste und unterstützte ebenso das Verlangen Palm’s, der am 24. und 25. in’s Verhör kam, daß man ihm einen Vertheidiger geben möchte. Der von Schoderer erwählte Vertheidiger stellte sich nicht ein, doch stand ihm der für ihn rastlos thätige Kremer zur Seite. Der von Palm verlangte Vertheidiger konnte in der gegebenen kurzen Frist von Nürnberg nicht eintreffen, das Kriegsgericht fand nicht für gut, ihm einen solchen zu bestellen, und so blieb er ohne Vertheidigung, und es war freche Lüge, wenn man in dem später veröffentlichten „Urtheile“ sagte, Palm habe bei seinen zwei Verhören einen Vertheidiger gehabt. Thatsächlich war das freilich höchst gleichgültig, da ja den Richtern schon vor der Untersuchung befohlen war, den Angeklagten zu verurtheilen.

Palm und Schoderer waren von sechs Angeklagten die Einzigen, die das Kriegsgericht in seine Gewalt bekommen hatte. Die vier Andern, die sich der Gefangennahme durch die Flucht entzogen hatten, waren: Merkel, Gastwirth zu Neckarsulm (in seinem Besitze hatte man eine Caricatur gefunden, die den Franzosenkaiser darstellte, wie er in einer sehr natürlichen, aber nicht für anständig geltenden Positur Fürsten machte; Merkel wurde einen Tag nach Palm’s Tode nach Braunau geschafft, aber nach kurzer Haft wieder entlassen); ferner Jenisch, der schon erwähnte Commis der Stageschen Buchhandlung in Augsburg; Kupfer, Buchdrucker und Buchhändler zu Wien, und Eurich, Buchhändler zu Linz (die beiden Letztgenannten waren Verleger und Verbreiter der „Genealogie der kaiserlichen Majestäten und Hoheiten“, die man bei Schoderer und Merkel gefunden hatte). Es versteht sich, daß alle sechs Angeklagten schuldig befunden und verurtheilt wurden, und die Beiden, die das Gericht in seiner Gewalt hatte, sollten 24 Stunden nach erfolgten, Urtheile hingerichtet werden. Dieses am 25. August gefällte Urtheil wurde in’s Deutsche übersetzt und in beiden Sprachen durch den Druck veröffentlicht.

Unmittelbar nach dem zweiten Verhöre Palm’s und nachdem er in sein Gefängniß zurückgeführt war, verurtheilte ihn wie die andern Angeklagten die außerordentliche Militaircommission zur Todesstrafe. Er hatte davon noch keine Ahnung, er glaubte sich sehr gut vertheidigt zu haben und erwachte des andern Tages (26. August) guten Muthes in seinem Kerker, den er im Laufe der nächsten Stunden frei verlassen zu dürfen hoffte. Um halb elf Uhr Vormittags öffnete sich in der That der mit doppelten Thüren und dreifachen Schlössern verwahrte und wohlbewachte Kerker, und man hieß den Gefangenen in das anstoßende Höfchen treten. Aber er sollte hier nicht, wie er erwartete, die Kunde seiner Entlassung, sondern das Urtheil des Kriegsgerichts anhören, das ein dazu befohlener Kanzlist des Stadtmagistrats mit zitternder Stimme ablas. Palm vernahm, daß er nach drei Stunden erschossen werden sollte.

Zwei Geistliche – Pöschl und Gropp – beide glücklicherweise würdige Männer, die man zu Palm ließ, um ihn zum Tode vorzubereiten, erleichterten durch ihre Theilnahme dem Verurtheilten die letzten Augenblicke, in denen sein Verhalten übrigens ein durchaus würdiges und edles war. Auf Zureden dieser Geistlichen entschloß er sich, im Gefängnisse noch ein Abschiedswort an die Seinigen zu schreiben. Dieser Brief lautete:

„Herzens-Schatz! Herzlich geliebte Kinder!

Von Menschen, aber nicht von Gott verlassen, urtheilte mein hiesiges Militairgericht über mich, nachdem ich nur zwei Verhöre hatte und gefragt wurde: ob ich politische Schriften verbreitet hätte; ich sagte, was ich wußte, daß höchstens nur per Spedition zufälligerweise dergleichen könnte versandt worden sein, aber nicht mit meinem Willen und Wissen.

Auf dies richtete man mich vom Leben zum Tode ohne Defensor. Ich bat mir dazu – aus, welcher aber nicht erschien; indessen vor Gott wird er mir erscheinen.

Dir, Hausfrau, sage tausend Dank für Deine Liebe, tröste Dich mit Gott und vergesse mich nicht.

Ich habe auf der Erde nun nichts zu sagen, aber dort desto mehr. Lebe wohl, Du und Deine Kinder, Gott segne Dich und sie.

Empfehle mich dem Herrn und der Frau Schwägerin und allen Freunden, denen ich für ihre Güte und Liebe danke.

Nochmals lebe wohl. Dort sehen wir uns wieder!

Dein herzlicher Gatte und meiner Kinder Vater
Joh. Phil. Palm.

Braunau im Gefängnisse, am 26. August 1806. Eine Stunde vor meinem Ende.“

Es ist, wie gesagt, kaum zweifelhaft, daß Palm der Verleger der Broschüre „Deutschland“ war, und wenn er dies noch in der Stunde seines Todes feierlich in Abrede stellt, so liegt die Erklärung nahe: er wollte die Ueberlebenden schonen, die er durch ein offenes Geständniß noch immer gefährdet haben würde.

Schoderer kam mit einer kurzen Haft davon. Theils die eifrigen Bemühungen seines Freundes, theils auch wohl der Umstand, daß man mit einem einzigen Opfer schon die gewünschte Wirkung zu erzielen hoffte, retteten ihn. Bezüglich Palm’s blieb jede Anstrengung vergebens; umsonst begaben sich die angesehensten Frauen Braunau’s mit ihren kleinen Kindern zum Festungscommandanten St. Hilaire und flehten um Gnade; man berief sich [648] auf den Befehl des Kaisers, der allein begnadigen könne; nicht einmal ein Aufschub der Hinrichtung wurde erlangt. Während sie dem Urtheile zufolge erst nach 24 Stunden stattfinden sollte, beschleunigte sie General Binot, einer der diensteifrigsten Henkersknechte, vielmehr geflissentlich und ließ seinem Opfer nur eine dreistündige Frist.

In der Festung hatte man, aus Furcht vor einer Volkserhebung, die Besatzung mit scharfgeladenem Gewehr ausrücken lasten, auf den Wällen standen die Artilleristen mit brennender Lunte neben den Kanonen. Im Gefängnisse befanden sich bei Palm noch die beiden Geistlichen. Es war 2 Uhr Nachmittags, als man an die Gefängnißthür klopfte und fragte, ob der Verurtheilte bereit sei. Die Geistlichen wollten ihn bereden, sich noch durch irgend eine Labung zu stärken, aber der Märtyrer fühlte sich für die wenigen Augenblicke und im Bewußtsein seiner guten Sache stark genug und erklärte, „er wolle den Tod als sein Abendmahl empfangen.“

Die Thür öffnet sich, und Palm tritt hinaus in den hellen Sonnenschein, wo die Schergen seiner harren. Es ist Befehl gegeben, ihn zu binden. Das Gefühl des Gefangenen empört sich über diese schnöde Behandlung, er vergißt auf einen Augenblick, daß ja doch er als Sieger in der Mitte dieser elenden Knechte steht. Einer der Geistlichen eilt zum Major Güß, der mit der Execution beauftragt war, und fleht, einen Mann wie Palm mit dieser Schmach zu verschonen. Aber der gehorsame, willenlose Kriegsknecht wagt von dem erhaltenen Befehle nicht abzugehen. Jetzt bietet der Gefangene seine Hände ruhig dar, aber in der ganzen Umgebung findet sich Niemand, der den Auftrag übernehmen will. Da drängt sich ein französischer Soldat herbei, lehnt sein Gewehr an die Wand und beginnt den Henkerdienst mit größtem Eifer.

Ein Leiterwagen mit Ochsen bespannt, mit einem Brete zum Sitzen quer über den Leitern, harrt des Verurtheilten. Palm erklärt, zu Fuß gehen zu wollen. Auch dieser Wunsch wird nicht erfüllt, und er besteigt in Begleitung der zwei Geistlichen den Wagen. Halb drei Uhr setzt sich der Zug in Bewegung. Voran die ganze Militairmusik, hinter ihr eine Schwadron mit Gewehr und blankem Säbel, neben dem Wagen zu beiden Seiten sechs Grenadiere mit aufgepflanzten Bajonneten und desgleichen links und rechts dicht am Wagen noch zwei Soldaten, die den Gebundenen jeder mit einem Stricke halten. Hinter dem Wagen schließt sich eine zweite Schwadron an. So bewegt sich der Zug inmitten einer von allen Seiten zusammengeströmten Volksmenge nach dem Richtplatze. In der Nähe des letzteren äußert Palm, er wolle eine Rede an das Volk halten; aber seine Begleiter erinnern ihn, daß der Versuch vergeblich sein und Seitens der Franzosen jedes seiner Worte sicherlich sogleich durch Trommelwirbel übertäubt werden würde. Auf dem sogenannten Glacis vor dem Salzburger Thore bildet die französische Besatzung ein Viereck, dessen eine der Stadt zugekehrte Seite offen bleibt. Dorthin sollen die Schüsse fallen. Palm steigt vom Wagen, er will mit offenen Augen dem Tode entgegen sehen, willigt aber auf die Bitte der Geistlichen ein, sie sich verbinden zu lassen. Er nimmt Abschied von seinen tieferschütterten Begleitern und kniet auf Befehl auf den Boden nieder. Kaum sind die Geistlichen einige Schritte von ihm entfernt, als der Commandoruf erfolgt. Wie häufig in solchen Fällen, fehlt auch hier den unglücklichen Werkzeugen des Mordes die feste Hand. Sechs Soldaten feuern, treffen Palm aber nicht zum Tode. Er ist niedergesunken, aber man hört ihn laut ächzen. Drei andere Soldaten treten vor, feuern und fehlen gleichfalls. Palm ist still geworden, aber der eine Geistliche bemerkt, daß er noch athmet, und ruft mit lauter Stimme dem Major zu: „Was ist das? der Unglückliche lebt noch, machen Sie seinen Leiden ein Ende!“ Alle Nahestehenden schreien laut auf und weinen, während zwei Soldaten hinzulaufen, ihre Gewehre an die Schläfe des am Boden liegenden Opfers setzen und ihm den Kopf zerschmettern, daß das Gehirn umherspritzt.

Verstimmt und stumm marschirten die sonst so geschwätzigen Franzosen nach der Stadt zurück, aber in ihren Quartieren sprachen sich die meisten laut gegen die Hinrichtung aus, und der zur Execution commandirte Hauptmann äußerte, er wolle lieber quittiren, als noch einmal eine solche Execution übernehmen.

Palm’s Leichnam hatte auf dem Richtplatze eingescharrt werden sollen, aber der Magistrat von Braunau trug Sorge, ihn auf dem Kirchhofe beerdigen zu lassen, wo die Kinder des Ermordeten ihm später ein Denkmal setzen ließen.

Das Schicksal des Hingeopferten erregte in ganz Europa die wärmste Theilnahme; nicht nur in vielen deutschen Städten, auch in England, in Rußland veranstaltete man Geldsammlungen für die Familie; dies war indeß der geringste Erfolg seines Märtyrerthums – Tausende, die bis dahin die Erniedrigung noch stumpfsinnig ertragen hatten, fühlten sich aufgerüttelt, während ihnen die Schamröthe über Deutschlands Schmach in’s Gesicht stieg, und der Tod eines einzigen schlichten Mannes hatte für Napoleon den Werth einer Niederlage, nicht einer solchen, die sich durch einen glänzenden Sieg auf dem Schlachtfelde wieder gut machen läßt, sondern einer fortwirkenden, nachhaltigen Niederlage, die unausbleiblich zum Untergang führt. Eine armselige Schrift war unterdrückt worden und hatte ihren Zweck verfehlt; aber ihre unberechnete Folge, die Ermordung ihres Verbreiters, half Napoleon schlagen, denn Palm’s vergossenes Blut sprach beredter als hundert begeisterte Schriften, und auch hier sollte es sich bewähren, daß jeder in einer gerechten Sache Unterliegende nur scheinbar unterliegt und daß jede Märtyrerkrone zugleich eine Siegerkrone ist.




Ein deutscher Erfinder.

Am Strande der Ostsee lehnte im Jahre 1849 ein Kanonier sinnend auf seinem Stück. Er blickte finster in sich, denn er suchte nach einem neuen Mittel zur Vertilgung des übermüthigen Feindes. „Hund und Fisch“ lagen im Kampfe, und der Fisch hohnlachte. Die Kugeln der unerreichbaren feindlichen Schiffe hatten arg in den Reihen der heimischen Kämpfer gewüthet. Aber trotzdem die erste junge deutsche Flotte des Jahrhunderts damals noch nicht dem Hammer des Bundestags verfallen war, konnte sie den Truppen an diesem Strande keine Hülfe gewähren.

Eben sandte der Kanonier einen Blick des Zornes zum Meere, da sprang unfern von ihm ein Seehund in die Fluth. Mit diesem Sprung war ein Geistesblitz durch ein Haupt gefahren; der Kanonier war zum Erfinder geworden. Tag und Nacht sann und zeichnete und schnitzte er, nicht achtend der Spötteleien der Cameraden und des vornehmen Kopfschüttelns der Seeleute, bis ihm das Modell zu einem Boote gelungen war, mit dem er in die Tiefe der See tauchen und unter den Wogen sich frei bewegen wollte, um gegen den Feind einen unterseeischen Minenkrieg zu beginnen. Die Liebe zu seinen Waffenbrüdern, die Ehre des Vaterlandes, der Haß gegen den Feind waren die Sporen zu seiner Erfindung gewesen, ihr erster und einziger Zweck konnte nichts Anderes sein, als die Vernichtung der feindlichen Flotte.

Nicht eine Regierung nahm sich der Erfindung an, sondern des Erfinders Waffengenossen, zu denen all die Fürsten und Prinzen, welche der Patriotismus eines sogenannten „tollen Jahrs“ zu einem „meerumschlungenen“ Kriege begeistert hatte, damals schon nicht mehr gehörten, die Waffengefährten also steuerten eine Summe zusammen, welche nothdürftig hinreichte, um den ersten deutschen Brandtaucher in deutsche Salzfluth zu bringen.

Unter des Erfinders Leitung fügten die eisernen Wände des Boots sich in die ungefähre Gestalt eines Seehundsleibs. Mächtige Cylinder gaben die Lungen des Unthiers, ihr Ein- und Ausathmen bestimmter Wassermassen senkte oder hob das Fahrzeug; der Schwanz desselben bildete das durch vorstehende Hörner geschützte Steuer, und die Schraube, durch ein Tretrad in Bewegung gesetzt, befähigte es zum selbstständigen, von jeder Leitung vom Spiegel der See aus unabhängigen Laufe. Auch die Augen fehlten ihm nicht, starke Fenster der Deckwand gestatteten den Blick nach oben. Pumpen und Ventile führten zum Kiel, um es von Wasser zu entleeren, oder, wenn nöthig, damit zu füllen. Die Luke zum Ein- und Aussteigen befand sich in der Nähe des Kopfes, vorn am Kopfe aber saß der Höllenrachen, die Pulvermine, zu welcher Guttaperchaarme aus dem Schiffe hervorragten.

So sollte der Bau vollendet werden; aber das Boot konnte [649] bei dem Mangel an Mitteln nur ein Werk der Noth sein, als es in einer schönen December-Mondnacht ins Wasser sprang und seinen ersten unterseeischen Lauf versuchte. Es war freilich noch ein unbeholfener Gang innerhalb des Hafens, aber dennoch hatte er den vollen Werth einer siegreichen That des deutschen Geistes, und es fehlte dieser That auch der äußere Erfolg nicht, denn kaum war die Kunde von dem gelungenen Sprunge des Unthiers zum Feinde vor dem Hafen gelangt, so eilte er mit vollen Segeln davon. Dieser Erfolg hätte wohl verdient, den Zopf des Vorurtheils von den Häuptern der Seeleute abzureißen. Dies geschah jedoch nicht, weil des Erfinders Zunftbrief nicht am Bord eines Schiffes, sondern am Lande auf einem Kanonenrohr geschrieben war und weil sein Elternhaus nicht nach dem Meere, sondern nach den Alpen schaute. Nicht der Feind, sondern das eigene Schiffsvolk nannte den unheimlichen Kampfgenossen den Teufel der See – und behandelte ihn auch so. – Doch – still davon, damit es die Nachbarn nicht hören! –

Noch war der Apparat nach des Erfinders Ueberzeugung nicht fähig, in einer größeren Tiefe, als von 27 bis 28 Fuß, dem Druck des Wassers zu widerstehen; es fehlten ihm außerdem die Cylinder, ein Mangel, der zur Anwendung von Eisenballast nöthigte, um die zum Sinken erforderliche Schwere zu erzielen; aber die maßgebenden Männer der Wissenschaft und des Fachs erkannten das Schiff als stark genug für eine Tiefe bis zu 100 Fuß. Hier konnte somit nur die Erfahrung als Schiedsrichter auftreten, und den Erfinder beseelte in der Begeisterung für sein großes Werk der volle Muth, das Wagniß einer solchen Erfahrung zu bestehen.

Diejenigen, welche die Widerstandsfähigkeit des Schiffs in solcher Tiefe so entschieden behaupteten, hielten sich gleichwohl nicht für moralisch verpflichtet, der Probefahrt selbst beizuwohnen.

Auf sich allein angewiesen, war der Erfinder entschlossen, auch allein das Werk seines Geistes zu besteigen. Nur zwei Männer, tüchtige Seemänner, die bisher immer treu zu ihm gestanden hatten, trennten sich auch jetzt nicht von ihm, wo eine augenscheinliche Gefahr ihnen bevorstand.

„Sie werden uns nicht mit Fleiß ertränken wollen,“ sagten sie – „und sollte ein Unglück über uns kommen, so wollen wir es redlich mit einander theilen.“

Gestärkt von solchem Vertrauen einfacher Matrosen, bestieg mit ihnen der Meister sein schwarzes Boot. Noch einmal erhob er das Auge zum Himmel mit einem Blick, von dem Niemand sagen konnte, ob er betete, oder ob er Abschied nahm von allem Lieben.

Es war am ersten Februar 1850. Der Schlag der neunten Morgenstunde tönte vom Gestade herüber, da schloß sich die Luke über den drei Männern, das Schiff begann zu sinken und entschwand den Augen der Menge, die am Ufer und auf den Booten des Hafens dem Schauspiel zusah.

Wir aber begeben uns mit in das Schiff, wir vertrauen uns unter des Erfinders Führung selbst dem „Teufel der See“ an.

Wir finden den Meister am Steuer und Witt und Thomsen, die treuen Matrosen, am Tretrade. Das Schiff dringt in der Fluth vorwärts bis zu einer Stelle, wo unter ihm die größte Tiefe des Hafens gähnt. Hier gebietet der Erfinder zu halten, er öffnet das Ventil nach dem Kielraume, und das Wasser dringt ein. Das Schiff sinkt tiefer und tiefer, an sechstausend Pfund der Salzfluth belasten es bereits, – da eilt plötzlich das Hintertheil des Brandtauchers voraus, das Wasser schießt im Kielraum der Richtung nach, vergeblich schließt Meister Wilhelm (so nennen wir vor der Hand den Erfinder) rasch das Ventil, die gesammte Wassermasse im Innern drängt nach dem tieferen Hintertheil, ein unheimliches Zischen und Kratzen beginnt, der Roheisenballast setzt sich in Bewegung und rutscht der Tiefe nach, endlich kommt das Schiff in eine der senkrechten immer näher tretende Stellung, Ballaststücke von hundert und anderthalb hundert Pfunden donnern an den drei Männern vorbei und drohen ihnen die Glieder zu zerschmettern. Fest angeklammert an die Rippen der Schiffswände hängen sie da, vom schauerlichen Augenblick übermannt, während das Boot tiefer und tiefer sinkt.

Da richtet der Meister den Blick nach dem Manometer, – er liest 27, 28, 29 Fuß Tiefe, – „Wenn das Boot jetzt nicht bricht, können wir uns retten!“ – ruft er, und – wie Eis rinnt es ihm durch die Adern: mit mächtigem Knistern und Krachen biegt erst die linke Wand des Schiffs sich einwärts, dann auch die rechte, – und gleich einer teuflischen Foltermaschine rücken die Wände näher und näher, – die Treträder, aus Gußeisen, sieben Fuß im Durchmesser groß, werden in Stücke zerdrückt, Eichenbalken zerknickt wie Zündhölzchen, Manometer und Pumpen zersprengt – alle Schrecken der Todesnoth umringen die drei Männer.

Und tiefer und tiefer sinkt das Schiff.

„Was ist’s? Witt, was ist’s?“

Dem stieren Blick, der sträubenden Gebehrde des erstarrenden Mannes folgend, sieht der Meister noch über sich einen Haufen Eisenballast aufgeschichtet, der bis jetzt der Verlockung zum Rutschen in die Tiefe widerstanden, aber, nun das Schiff immer mehr zur Senkrechten hinneigt, plötzlich auf die drei Männer herabzustürzen droht. Ein Blick, und der Meister erkennt, daß hier in diesem Knäul geballt ihrer Aller Tod ruhe; da, mit aller Energie in höchster Gefahr, ein Schwung und Wurf des starken Körpers, und plötzlich stemmen sich seine Füße gegen die Rippen der Wandung, während er mit dem Rücken und den Armen gegen den wankenden Haufen drückt – fünf fürchterliche Secunden lang, denn nicht weniger als viertausend Pfund Eisen bewältigt so lange des einen Mannes äußerste Kraftanstrengung: dann stößt das Hintertheil auf den Grund der See, langsam legt das Schiff sich hin und streckt die Riesenglieder aus, ein Eisensarg Lebendigbegrabener.

Wer giebt das Leben auf, so lange der Geist noch wacht?

Kaum ist der Tod zum zweiten Male in wenigen Secunden an den Männern vorübergegangen, kaum gestattet die Ruhe des Schiffs das Rühren der Hände, so ist ihr erstes Bemühen, die horizontale Lage desselben durch das Ordnen des Ballastes zu sichern. Um eine möglichst gleichmäßige Vertheilung der Eisenstücke herbeizuführen, müssen sie jedes einzelne Stück durch Untertauchen ihres schweißtriefenden Körpers aus dem eisigen Wasser hervorholen, das bereits vier Fuß hoch im Raume steht – eine entsetzliche Arbeit! – Und nun sie endlich vollbracht ist, und die Lebenslust mit der Hoffnung winkt, daß es möglich sei, das Leck-Wasser auszupumpen, die Lecke der eingebogenen Wandungen zu verstopfen und den Apparat wieder zu heben, – da sehen die unglücklichen Männer erst, was ihnen bis jetzt entgangen war: die Pumpen sind zerstört, die Brause der Hinterpumpe ist ganz abgesprengt! Alle Versuche des Pumpens sind vergeblich, vergeblich ist diese Hoffnung aus Rettung. Da lassen die Männer die Arme sinken, am Tretwerk stehen sie stumm beisammen, reichen sich die Hände und bieten einander das letzte Lebewohl. Sie fühlen den ungeheuren Schmerz, nun wirklich lebendig begraben zu sein.

Plötzlich leuchten wieder des Meisters Augen. „Wenn die Wand da oben einbricht, sind wir verloren; wenn sie hält, so öffnet sich uns noch ein Rettungsweg durch die Klappe. Aber merkt, Ihr Männer, jetzt ist es keiner Menschenkraft möglich, die Luke zu öffnen, weil das Wasser mit einem Drucke von wenigstens vierthalbtausend Pfund auf ihr lastet. Aber die Natur selbst hilft uns diese Last heben, sobald die Luft im Schiffe hinlänglich zusammengepreßt ist, um einen gleich starken Gegendruck zu erzeugen. Männer, jetzt gilt’s, mir noch einmal Euer Vertrauen zu bewähren. Gegen ein Naturgesetz kämpfen wir vergeblich. Laßt mich, so lange die Luft noch gut ist, das Ventil öffnen, damit das Wasser zu unserer Hülfe eindringe. Versäumen wir das jetzt, so verderben wir uns selbst die Luft, und uns bleibt nichts, als der Tod durch Ersticken!“

Diesmal sind des Erfinders Worte vergeblich, sie stoßen in beiden Matrosen auf denselben Unglauben: die braven Männer können ein solch physikalisches Gesetz nicht fassen, sie bitten den Meister dringend, das Ventil unberührt zu lassen, weil sie dann doch unrettbar ertrinken müßten.

So sieht sich denn Meister Wilhelm genöthigt, den Weg, den er als den nächsten und sichersten zur Rettung erkennt, aufzugeben, um seine Schicksalsgenossen nicht in Verzweiflung zu bringen. Mit diesem Augenblick tritt zwischen die drei Männer in so entsetzlicher Lage das Gespenst der Uneinigkeit; der Zweifel führte zum ersten Ungehorsam, und dieser führt weiter.

Entschlossen, das Steigen des Wassers als letztes Rettungsmittel ruhig abzuwarten, hüllt der Meister sich in seinen Mantel, schwingt sich auf das rechte Tretrad und sucht durch sein Beispiel und seine ermuthigende Zusprache hebend auf den Geist der zusehends in die Hast der Angst verirrenden Gefährten einzuwirken. Während Witt und Thomsen vergeblich ihre Kräfte an den Pumpen erschöpfen, erst vereint, dann abwechselnd, und Alles mit der [650] Selbstberuhigung, daß sie bis zum letzten Augenblick ihre Schuldigkeit thun wollen, beobachtet der Meister die Vergeblichkeit ihrer Abmühung mit stiller Genugthuung. Immer aber beweist er ihnen noch wiederholt vergeblich, daß sie auf keine andere Rettung zu rechnen haben, als durch die Luke; sobald er ihnen jedoch vorrechnet, daß es noch drei bis vier Stunden währen könne, ehe das Wasser der Lecks den Raum hinlänglich fülle, um durch die Luke zu entkommen – da erfaßt die beiden abgematteten Männer neues Entsetzen, sie halten sich nun für sicher verloren, eilen trotzdem an die Luke und suchen nun diese mit ihrer letzten Kraft zu heben. Aber selbst die Verzweiflung giebt ihnen nicht Stärke genug zur Ueberwindung der ungeheueren Wasserlast.

Mit blutendem Herzen sieht der Erfinder die beiden Männer, im Wasser mit einer Februartemperatur bis an die Brust, gegen das Unmögliche ringen. Dringend bittet er sie, aus dem Wasser zu steigen und frische Kraft zu sammeln, um im rechten Augenblick sich durch Schwimmen retten zu können. Endlich wendet er sich vom empörenden Anblick ab mit dem entschiedenen Zurufe: „Thut, was Ihr wollt, es hilft Euch nichts! Nur durch die Klappe kommen wir wieder nach oben!“

Da läßt Witt sich bewegen, ebenfalls auf einer höhern noch trockenen Stelle einen Ruheplatz zu suchen. Erfreut hierüber spricht der Meister ihm freundlich zu: „Witt, Du kannst nicht schwimmen, binde Dir einige Breterstücke fest zusammen, die nimmst Du als ein Floß mit hinauf und hältst Dich daran, bis man Dich oben in ein Boot rettet.“

„Wahrlich, Herr,“ entgegnet Witt, wieder frischen Muths aufathmend, „es ist merkwürdig, wie Sie immer Rath wissen, und es ist wirklich Alles so gekommen, wie Sie’s gesagt haben!“

„Brav, Witt! So vertraue mir auch jetzt. Vielleicht bewährt sich’s auch an uns, daß Gott keinen Deutschen verläßt!“

Aber Einen schien er gerade in diesem Augenblicke zu verlassen, den armen Thomsen. Immer noch steht er bis an die Schultern im Wasser an der nutzlosen Pumpe und erschöpft sich auf eine Weise, daß er mehrere Male zusammensinkt und endlich nur noch mit dem Kopfe nickt, in der Meinung, er pumpe. Bei seiner körperlichen Ermattung ist sein Geist in einen Zustand höchster Erregtheit versetzt, der von dem Trotz, mit dem er bis dahin jeder Bitte widerstanden, sich so weit steigert, daß er zu einer Scene hingerissen wird, die man die erste unterseeische Meuterei[1] nennen könnte. Welche Gefühle, welche Gedanken müssen dem guten, braven, stets so treuen, muthigen und hingebenden Matrosen Herz und Kopf zerrissen haben, bis er, irren Blicks das Messer ziehend und gegen den Meister herantretend, dem Freunde zuruft:

„Witt, ich sterbe nicht allein! Es muß auch Der fallen, der uns hieher geführt hat!“

Obwohl in tiefster Seele verletzt, verliert doch der Meister keinen Augenblick seine Geistesgegenwart. Rasch nimmt er sein Terzerol von der Schiffswand herab, wo es längst unter Wasser gehangen, und auf den Verirrten anlegend ruft er ihm zu:

„Thomsen, noch ein Schritt, und Du bist der Erste, der in der Tiefe der See erschossen ist!“

Auf dem triefenden Gewehre ist kein Zündhütchen; aber die Drohung allein genügt, den Mann wenigstens so weit zu sich selbst zu bringen, daß er nun dem Beispiele der Anderen folgend eine trockene Stelle sucht und in tiefster Niedergeschlagenheit sich zusammenkauert.

Zwei Stunden sind bis jetzt vergangen, es ist 11 Uhr Mittags geworden.

So sitzen nun die drei Männer, äußerlich ruhig, da, während das Wasser im Schiffsraume langsam höher und höher steigt.

Und in welcher unheimlichen Dämmerung geht dies Alles vor! Durch zweiundfünfzig Fuß Meeresfluth hindurch dringt das Licht durch die kleinen Augen des Schiffs in den Raum. In diesen ersten zwei Stunden lag auf allen Gegenständen ein grüner Schein, der nun allmählich sich in einen braunen verwandelt. Der Meister, gewohnt, die Sinne immer wach zu halten zum Forschen und Prüfen, benutzt auch diese einzig im gesammten Forscherleben dastehende Gelegenheit zu seinen Beobachtungen, ja, es entspinnt sich zwischen ihm und Witt, der seine volle Ruhe wieder gewonnen, eine so gemüthliche Unterhaltung, daß die Selbstvergessenheit, zu der diese Männer in einer solchen Umgebung fähig sind, die höchste Bewunderung verdient. Keine Erscheinung bleibt ununtersucht. Da schwimmt auf dem Wasser ein Tabakspacket. Es wird herbeigefischt, und wie freuen sich Beide, in solcher Tiefe immer noch Licht genug zu finden, um die Aufschrift desselben lesen zu können! An diese Wahrnehmung knüpfen sich neue Pläne des Erfinders, er erkennt plötzlich, wie nützlich sein Apparat für die Naturforschung, für die Schifffahrt, für die Industrie werden, wie er namentlich bei der Kabellegung Unschätzbares leisten könne! – Es drängt ihn zu dem Ausrufe:

„Wahrlich, Witt, es wäre schon deshalb schade, wenn wir nicht wieder hinauf kommen sollten, weil dann sicherlich diese Erfindung vielleicht Jahrhunderte als eine unpraktische angesehen würde, während wir hier die schönste Ueberzeugung gewinnen, daß sie gut ist!“

„Ja,“ erwiderte Witt, „das ist sie! Und es ist einerlei, kommen wir wieder hinauf und es wird wieder ein solcher Apparat erbaut, so fahre ich gleich wieder mit, denn die Geschichte ist gut, und daß uns die Pumpen versagt haben, dafür können wir nicht!“

Dieses Zeugniß aus dem Munde des einfachen Matrosen, der selbst noch wie im versiegelten Grabe mit liegt, ist in diesem Augenblick die höchste Ehrengabe für den Erfinder, und sie erhebt ihn sichtlich, sein Auge strahlt von gerechtem Stolz und von Rettungszuversicht.

Da soll gerade jetzt für sie die ärgste Gefahr noch von daher kommen, von wo sie keine Rettung mehr erwarten, von oben, von den Glücklichen auf der See.

Zu den Gegenständen der Beobachtung des Meisters am Kopffenster des Apparates hat längst das Meer nach oben gehört. Plötzlich zeigt sich ihm der nahende Schatten eines Bootes, eine Lothleine kommt näher und näher. Ist auch an keine Rettung durch Hebung des 70,000 Pfund schweren Brandtauchers zu denken, so wirkt doch schon der Gedanke einer Verbindung mit den Lebenden oben entzückend auf die mehr und mehr in dem nassen Grabe erstarrenden Männer. Durch Rufen und Hämmern an die Eisenwände des Schiffs geben sie Lebenszeichen, die Signale werden gehört, kaum fünfzehn Minuten vergehen, so schweben acht bis zehn Boote ober ihnen, der Meister hört deutlich seinen Namen rufen und das Commando der Bootführer, bis der immer stärkere Zusammenfluß von Fahrzeugen und Menschen und das Durcheinander der Stimmen nur noch ein dumpfes Getöse vernehmen läßt.

Im Apparate ist die Luft bereits so comprimirt und auch so verdorben, daß sie das Athmen erschwert, aber auch der Augenblick kommt immer näher, wo der einzige Rettungsweg nach oben aufgethan werden kann. Da rückt ein kleiner Anker herab, jetzt erreicht er den Apparat und stößt gerade auf ein Fenster. Drückt er die Scheibe ein, so sind die Männer verloren, die Luft entweicht zu rasch, die Luke ist nicht zu öffnen. Endlich, wieder nach grauenvollen Secunden für den Meister, gleitet der Anker an der Eisenwand ab. Diese Gefahr ist vorüber.

Aber eine noch ärgere folgt ihr. Eine starke Kette rasselt hernieder, und so entsetzlich geschickt umfährt sie den Kopf des Brandtauchers mit drei Gängen, daß sie die Ausgangsluke einschnürt – der Apparat ist unlösbar gesperrt, mit jeder Windung der Kette wird der Sarg fester vernagelt! – Das ist der fürchterlichste Augenblick für Meister Wilhelm, und der peinlichste für seine Seele, denn er allein erkennt die ganze Gefahr der Lage, und er muß schweigen, um seine freudig aufathmenden Gefährten nicht mit einem Schlage zu Boden zu schmettern.

Sieben Fuß hoch steht jetzt das Wasser durch die ganze Länge des Apparats, es reicht den Männern bis an den Hals, die Luke muß jetzt zu heben sein, und es ist die höchste Zeit dazu, denn groß kann die Zahl der Minuten nicht mehr sein, wo ihnen nur noch die Wahl frei steht zwischen dem Tod durch Ersticken oder durch Ertrinken.

Es ist drei Uhr Nachmittags, da fühlen die Männer an der Bewegung des Apparats, daß die Kette in der Richtung nach dem Lande heftig angezogen wird; der Brandtaucher neigt sich nach rechts; je stärker sie droben anziehen, um so größer wird die neue [651] Gefahr, daß die dünnen Blechplatten des Kopfes eingeschnürt und abgerissen werden. In diesem Augenblick stehen alle, auch Thomsen, der sich an den Trümmern des Tretrads aufrecht hält, wie zum Sprunge bereit. Plötzlich erschüttert ein dröhnendes Gerassel der verhängnisvollen Kette den ganzen Bau, – sie ist abgerissen – die Luke frei! –

„Will, jetzt ist’s Zeit! Die Luke geöffnet, ehe sie uns noch einmal einschließen!“ – Witt hebt, die Luke öffnet sich, doch erschreckt von dem hereinstürzenden Wasser, läßt er sie wieder fallen. Der Meister aber weiß, daß nun die Rettung sicher ist.

„Auf, Thomsen, jetzt können wir hinaus!“ Mit diesem Freudenrufe führt er den von Mattigkeit Wankenden über den Ballasthaufen und die Rädertrümmer unter die Ausgangsluke, er selbst steigt auf die Treppe, um jenen nachzuziehen, falls ihn die letzte Kraft verlassen sollte.

„Fertig?“ – ruft Witt.

„Ja!“ – Die Luke geht auf, und empor fliegt Witt wie der Pfropf aus der Champagnerflasche.

Jetzt gilt’s dem Meister, Thomsen zu sichern. Er will ihn bei den Haaren fassen, um ihn so mit nach oben zu nehmen, aber die erstarrten Finger versagen den Dienst. Da erblickt er ein Tau am Kopf des Apparats, das nach oben führt. Er erfaßt es, – doch die Luft, vom einstürzenden Wasser jetzt mit ungeheurer Gewalt aus dem Apparat getrieben, ergreift Beide und reißt sie empor, Thomsen in gerader Richtung nach oben, den Meister am Tau entlang nach dem Schiffe hin, mit dem es verbunden ist. –

Eilen auch wir zum Lichte hinauf. Da wimmelt es von Booten und harrenden Menschen. Selbst in die nächsten Seestädte ist durch die Telegraphen die Kunde vom Schicksal des „Teufels der See“ gedrungen und hat Neugierige und Theilnehmende herbeigelockt. Mit dem Reißen der Kette ist hier oben alle Hoffnung zur Rettung dahin, und ein edler Mann der Wissenschaft fordert die Menge auf, für die Unglücklichen zu beten. „Auch sie,“ ruft er, „haben sich für unsere Sache, für Schleswig-Holstein, ja für Deutschland geopfert!“

Da sprudelt ein Wasserberg, und die Todten stehen auf – Witt erscheint, mit den Beinen voraus, an der Oberfläche, gleich darauf Thomsen, zuletzt und abseits von diesen der Meister. Unermeßlicher Jubel begrüßt die Geretteten.

Der Erfinder aber hat ein Zeugniß für sein Werk erlebt und Erfahrungen über die Natur der Luft, des Schalls, des Lichts, des Wassers mit herausgenommen, wie jahrelange Studien sie ihm nicht hätten geben können. Schiller’s Taucher ist zur Prosa geworden, der Molchengrund erschlossen.

Und wer ist dieser Erfinder, dieser Meister Wilhelm?

Es ist der Wilhelm Bauer aus Dillingen in Schwaben, vormals baierischer Artillerie-Unterofficier, dann russischer Submarine-Ingenieur und nun ein verkannter, zurückgesetzter und vergessener Mann in München.

Im Kieler Hafen, wo er am ersten Februar 1851 niederfuhr, liegt noch heute der arme „Teufel der See“. Wilhelm Bauer aber ward mit seiner Erfindung und mit vielen anderen gleich bedeutenden Thaten seines technischen Genies in der Heimath verlassen und in die Fremde getrieben, – ins Elend, nannten’s unsere Väter. Nicht Preußen, nicht Oesterreich vermochten den Mann zu würdigen, die Schätze seines Geistes für den Dienst des Vaterlandes, ja der Menschheit zu heben. Wilhelm Bauer’s Rettungsboot, seine Taucherkammern, seine unterseeischen Kameele zum Heben der größten Lasten aus den Wassertiefen, sein aeronautischer Apparat, sein Kabelschneider, seine Revolverbatterien für Küstenvertheidigung, seine hyponantische Corvette, seine Verbesserungen am Telegraphen etc. – jede dieser Erfindungen fand von Akademien in Baiern, in Oesterreich, in Rußland, in England, in Frankreich die fast allenthalben gleichlautende Anerkennung, daß „sie auf richtigen Principien beruhe und eine hohe technische Begabung des Erfinders beurkunde“ – aber weiter nichts – Ein Deutschland gab es nicht, das sich des genialen Mannes annehmen konnte, in der baierischen Heimath konnte man ihm den Kanonier nicht vergessen, in England betrog man ihn um seine Erfindungen und wies ihm dann die Thüre, in Frankreich zeigte man den Willen dazu, in Rußland baute er zwar einen neuen Brandtaucher, aber auch dort waren 134 unterseeische Fahrten nicht hinreichend, seinem Wirken eine ehrliche Bahn zu sichern, und als in den letzten Tagen das Schwabenmeer hätte die Ehre erleben können, zum ersten Male, so lange die Welt steht, einen versunkenen Dampfer („Ludwig“) einzig und allein durch die Kräfte der Natur gehoben zu sehen, da waren die Augen zu blöd für den Werth einer solchen Ehre, man verließ den Mann im Angesicht des Gelingens seiner großen Erfindung, und so ist der letzte Schlag durch das Schicksal, der den von allem Unglück eines deutschen Erfinders verfolgten Mann traf, noch ein Schwabenstreich gewesen.

Und nun ein Wort zum Schluß.

Ich habe dies Alles nicht erzählt, um unsere Leser zu amüsiren. Ich habe es erzählt, um zu fragen, ob noch viele Männer in Deutschland leben, die so Ungewöhnliches, so Ungeheures für ihr Wirken zu leiden und zu wagen hatten; ob noch viele Männer leben, die für all’ ihr Ringen und Mühen, für so große Opfer so hart bestraft worden sind; ob es ewig das bitterste Loos auf Erden bleiben soll, ein deutscher Erfinder zu sein.

Wir leben in Tagen einer herrlichen, begeisternden Erhebung des nationalen Bewußtseins der Deutschen. Wir sind wieder einmal zu dem in Deutschland so seltenen Entschluß gelangt, von den Worten zum Wirken, von der Rede zur That überzugehen. Noch einmal nimmt die Nation durch ihre entschlossensten Männer die Wahrung ihrer Sicherheit und Ehre selbst in die Hand, sie denkt selbst an den Schutz ihrer Küsten, sie arbeitet selbst für eine neue deutsche Flotte. Sollte in einer solchen Zeit ein technisches Genie, wie das Bauer’s, im Elend verkümmern, sollte im Angesicht solcher Bestrebungen für Küste und Flotte ein Wilhelm Bauer unbeachtet und ungewürdigt zu Grunde gehen müssen?

Es ist die Pflicht der Nation, den deutschen Erfinder in ihren Dienst zu rufen, es ist ihre Pflicht, auszusprechen, nicht: dem Manne kann, nein: dem Manne muß geholfen werden!

Friedrich Hofmann.




Ein oberfränkisches Landschaftskleeblatt.
Von L. Storch.
Nr. 1. Die Plassenburg.

Vom schönsten Frühlingswetter begünstigt, stieg ich im Kulmbacher Bahnhofe aus dem Waggon, von meinem Freunde und seiner Schwester, die wir Frau Sophie nennen wollen, erwartet und auf das Herzlichste begrüßt. Es war ein frischer köstlicher Morgen, und Alles funkelte im jungen Glanz der Sonne, des Thaus, der Frühlingspracht. Die Natur umher, die beiden lieben Menschen in meiner Gesellschaft und ein kleines, aber auserlesenes Frühstück gaben mir jene Elasticität des Geistes, der Seele und des Körpers, die zum wahren poetischen Genuß schöner Gegenden so unentbehrlich ist.

In dieser herrlichen Stimmung gingen wir durch das helle, schmucke, reinliche Städtchen Kulmbach, dessen breiten, schön gepflasterten, mit stattlichen Häusern besetzten Straßen man immer noch die alte patriarchalisch-gemüthliche Fürstlichkeit ansieht, obschon über dritthalb hundert Jahre verflossen sind, seit das Brandenburger Fürstenhaus hier seinen Zweig, die ältere Linie der Markgrafen von Kulmbach (Ansbach-Baireuth), absterben sah. Es ist ein eigenthümlicher Segen, welcher in diesen ehemaligen kleinen Fürstenresidenzen von Geschlecht zu Geschlecht fortwuchert, obgleich die Dynastien, die ihn hervorgerufen, längst in ihren steinernen Fürstengrüften modern; die Saat, die ihre väterliche Hand gestreut, bringt immerdar Früchte, die dem späten Enkel zu gut kommen. Blüthe und Frucht unserer Geistesbildung, unserer milden Sitte, unseres specifisch deutschen behäbigen Gemüthslebens sind zum großen Theil aus diesen kleinen Fürstenresidenzen hervorgegangen. Obgleich Kulmbach und Plassenburg unter dem Fürstenhause, das hier von 1341 bis 1603 residirte, mehr als einmal von schwerem Kriegsdrangsal heimgesucht wurde, namentlich unter dem berüchtigen [652] Markgrafen Albrecht dem Jüngern, Alcibiades, so ist es doch heute noch Verkünder der alten Fürstenherrlichkeit.

Diese geschichtlichen Erinnerungen waren wohl geeignet, meine heitere Stimmung zu verstärken, da ich mich so gern dankbar derer erinnere, von welchen die guten Gaben kommen, die mich erfreuen. Ohnedies habe ich von Jugend auf einen stillen sympathetischen Zug zu diesen kleinen fürstlichen Häusern gehabt, die in ihrer Nähe Gesittung und Wohlstand wachriefen, wie ein Springbrunnen Gras, Blumen, Gesträuch und Bäume. Die alten Markgrafen von Kulmbach segnend, betraten wir die prächtige Landstraße, die sich in Schneckenlinie den schön geformten Berg emporzieht, auf dessen Gipfel die imposante Plassenburg als reiche Mauerkrone ruht, die uns schon längst in den Maingrund hinabgeleuchtet. In

Die Plassenburg.

der That ist ihr erster Anblick schon überraschend, ehrfurchtgebietend, fürstlich.

„Ja!“ rief mein Freund, „wenn auch eine fürstliche Wittwe, ist und bleibt sie doch eine adelstolze Fürstin, eine Verkünderin deutschen Fürstenlebens der Vorzeit, und auch sie ist eine würdige Stufe des preußischen Königsthrones, wie die Burg Hohenzollern und die Burg in Nürnberg.“

„Um so mehr hätte man sie mit Pietät behandeln sollen,“ nahm Frau Sophie das Wort, „um so billigere Scheu hätte man tragen sollen, die edle Fürstenwittwe zu mißhandeln, die ehrwürdige Thronstufe zu entweihen.“

Ich sah sie fragend an.

„Sie wissen wohl noch nicht, daß die Plassenburg jetzt Landeszuchthaus ist, in welchem die schlimmsten Verbrecher ihre Strafe verbüßen? Auf der Thronstufe des preußischen Königshauses spalten Züchtlinge Holz. Ist das nicht die ärgste Profanation des stolzen Residenzschlosses vom brandenburgischen Franken?“

„Der Gegensatz zwischen den letzten fürstlichen Bewohnern des Schlosses und den jetzigen ist allerdings stark und grell,“ entgegnen ich, „aber die Weltgeschichte liebt solche Contraste, um uns den wahren Werth der menschlichen Dinge zu Gemüth zu führen.“

„Wenn die Regierenden selbst so wenig Pietät für die Stammsitze ausgestorbener Fürstenhäuser zeigen, was soll man vom Volke verlangen? Muß man nicht unwillkürlich daran denken: was werden in ein- oder zweihundert Jahren die heutigen Residenzschlösser sein?“

„Spinnfabriken, werthe Frau!“

„O, gehen Sie doch mit Ihrer Prosa! Soll denn alle Poesie aus dem Leben unsrer Nachkommen schwinden? Der Anfang ist allerdings dazu gemacht.“

„Nicht doch! Die Poesie stirbt nie; denn ihre Quelle, das Volksleben, versiecht nicht. Ich werde mir z. B. meine poetische Stimmung durchaus nicht von den Züchtlingen der Plassenburg stören lassen, und da der Himmel den Poeten in dieser Richtung gnädig zu sein pflegt, so empfange ich vielleicht gerade von den Züchtlingen poetische Anregung.“ In der That fiel mir beim Anblick der stolzen Bergfeste über unsern Häuptern, des schmucken Städtchens unter unsern Füßen und der reichgeschmückten, vom Strom durchzogenen Thalau – ich weiß nicht wie – Goethe’s Zueignung zu seinen Gedichten ein:

„Aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit,
Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit.“

Wir waren oben, wir wußten nicht wie, und kehrten gleich in das erste Haus der Festung, das Wirthshaus, ein. Ein frischer Trunk des berühmten Kulmbacher Biers schmeckte auf die Anstrengung des Bergsteigens vorzüglich gut. Ein Soldat von der zunächst gelegenen Hauptwache führte uns in die „alte“ oder „obere Burg“ zu dem Director der Strafanstalt, dessen Erlaubniß zur Besichtigung der Localitäten einzuholen ist. Wir passirten zunächst den geräumigen untern Hof, der mir schon wegen seiner Baulichkeiten imponirte. Am meisten fällt eine kühn emporragende Bastei mit einem auf den Hof mündenden verzierten Portal in die Augen. Ueber dem Portale sieht man die etwas histrionisch gehaltene Reiterstatue des Markgrafen Christian – Sohn des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg und Stifter der neuen Baireuther Linie – mit einer lateinischen und einer deutschen versificirten Unterschrift in demselben Geschmack. Dieser Fürst erbaute die hohe [653] Bastei, nach ihm die Christiansburg genannt, nun schon lange nicht mehr zugänglich. Das ehemalige Zeughaus, die beiden Casernen, das Commandantenhaus sind sehr ansehnliche Häuser, das letztere noch ein Bau des letzten Markgrafen Alexander, der noch einmal Besitzer der beiden Fürstenthümer (Ansbach und Baireuth) diese an die Krone Preußen abtrat und mit seiner Gemahlin, der bekannten Lady Craven, nach England ging, wo er 1806 starb.

Die breite, gut gehaltene Fahrstraße brachte uns von hier weiter bergauf durch freundliche Gartenanlagen auf das Rondal, ein nach Westen scharf vorspringendes, mehr als halbrundes Befestigungswerk, jetzt ein prächtiger Altan, der hinsichtlich der Kühnheit seines Baues und der überraschend reizenden Aussicht auf das Städtchen, das liebliche Mainthal und die Berge zu beiden Seiten desselben wenig Nebenbuhler haben dürfte. Mein Freund hielt uns einen historischen Vortrag über die Bergfeste und deutete die einzelnen Punkte der vor uns liegenden reichen schönen Landschaft. Als wir uns lange gelabt, gingen wir östlich durch ein festes Thor und betraten den Haupttheil der Akropolis, „die obere Burg“, auch „das Schloß“ und „der schöne Hof“ genannt.

Der „schöne Hof“ auf der Plassenburg.

Niemals bin ich von einer Bauanlage so überrascht worden, wie von diesem Hofe. Ich hatte einen Hof erwartet, wie ich ihn auf vielen noch erhaltenen Burgen und alten Schlössern gesehen, und ich erblickte einen in ungewöhnlicher, südländischer Ornamentik und großartiger Architektur prangenden wohlerhaltenen Kunstbau, der den geräumigen, hellen, regelmäßig viereckigen Hof umschließt. In jeder Ecke erhebt sich ein Thurm, an der Nordseite fallen sechs dicke alte Säulen in byzantinischem Styl ins Auge, am interessantesten aber sind die an den Stockwerken der übrigen innern Seiten übereinander sich hinziehenden Bogenlauben (Bogen- oder Laubengänge, Arcaden) mit reicher Arabesken- und Portraitssculptur. An der Westseite, durch die wir eingetreten waren, zeigte uns eine Inschrift den Eingang zu den kolossalen Weinkellern. Wie unser Geschichtskundiger versicherte, war er einst mit vollen Stückfässern dicht besetzt, die an Größe und Dauerhaftigkeit dem berühmten Heidelberger Fasse nichts nachgaben. Diese Fässer voll Wein, die Gemäldegallerie und das Archiv mit der Bibliothek waren die drei berühmtesten Sammlungen der Plassenburg. Die Gemälde bestanden zumeist aus den Bildnissen sämmtlicher Personen des hohenzollernschen Fürstenhauses; das Archiv war einen der reichsten in Deutschland, und der berühmte originelle Ritter Lang mehrere Jahre dessen Vorsteher. Sie sind alle ausgewandert, die Fürsten, die Hofleute, die Weinfässer, die Urkunden und die Bilder, aber es herrschte nichts desto weniger reges Leben auf dem schönen Hofe und in den Gemächern, das Leben der zahlreichen hantirenden Sträflinge. Es fiel uns sogleich auf, wie reinlich, gesund und wohlgenährt die Leute aussahen.

„Nahrhafte Kost, frische Bergluft und mäßige Arbeit stärken sie, und die schönen Räume wirken unbewußt erheiternd auf ihr Gemüth,“ sagte mein Freund. In der That mögen Züchtlinge kaum noch irgendwo so fürstlich schön und gesund wohnen.

Der Director der Anstalt nahm uns mit urbaner Freundlichkeit auf und ließ uns durch seinen ersten Unterbeamten herumführen. Wir traten in die Arbeitssäle, wo einst Fürsten banketirt, in Küche und Backhaus, in die Schlafzimmer, und fanden überall die musterhafteste Ordnung und Reinlichkeit, die mich ungemein befriedigten. Die Aufseher hatten gar nicht so bärbeißige Gesichter, wie sie mich in andern Strafanstalten verletzt; man sah es den Sträflingen an, daß sie sich nach ihren Umständen wohl befanden. Es ist eine schöne Blüthe der fortschreitenden Gesittung, wenn der Verbrecher mit Humanität behandelt wird und man ihn fühlen läßt, daß man den Menschen noch in ihm ehrt, während er seine der Gesellschaft schuldige Sühne büßt. Dies ist ein besseres Mittel ihn zu bessern, als Schläge und Predigten.

Wir widmeten der schönen Kapelle an der Ostseite des Hofs, in welcher noch (katholischer und protestantischer) Gottesdienst gehalten wird, und den meist öden Fürstengemächern einige Aufmerksamkeit. In einem derselben gab ein aus der Wand hervorragender steinerner Frauenkopf unserm Freunde Gelegenheit zu interessanten historischen Excursen:

Die Sage giebt ihn für ein Bild der weißen Frau aus, die auf der Plassenburg eigentlich ihren Stammsitz hat und von hier aus in die übrigen brandenburgischen Fürstenschlösser, zunächst nach Baireuth, eingewandert ist. Die hohenzollernsche Familiensage behauptet bekanntlich, die jugendliche Wittwe des letzten Besitzers der Herrschaft Plassenburg aus dem Hause Orlamünde, des Grafen Otto II., Kunigunde, habe ihre beiden Kinder ermordet, um die Gemahlin Albrecht’s des Schönen von Hohenzollern, Burggrafen von Nürnberg, zu werden, welcher einer alten Erbverbrüderung gemäß mit seinem Bruder Johann II. die Erbschaft Plassenburgs 1338 antrat, und sie sei es, die als weiße Frau umwandle und dem von seinen Söhnen gefangen gehaltenen Markgrafen Friedrich dem Aeltern Nachts in diesem seinem Schlafgemach aus der Wand tretend erschienen sei, um den unglücklichen Fürsten zu trösten.

Seitdem uns Forscher wie die Gebrüder Grimm und ihre Schüler das deutsche Alterthum erschlossen, wissen wir, daß der Ursprung dieser und andrer Sagen ein mythischer ist. Die weiße Frau ist die alte Göttermutter Frigga, die sich als Winter- und Sommergöttin, als dunkle und glänzende (Holle die Dunkle, Bertha die Helle) manifestirte, als erstere wohnte sie in Höhlen und Bergen, z. B. im Hörselberge, als letztere in Schlössern; sie war zugleich Lebenspenderin und Todesverkünderin, und in letzterer Eigenschaft hat sie sich in den Fürstenschlössern erhalten. Wie allen Göttersagen in ihrer Verdunkelung wurden auch dieser bestimmte Persönlichkeiten untergeschoben. In Böhmen führt die weiße Frau sogar noch den Namen Bertha.

Was das Steinbild betrifft, welches über der Lagerstätte den gefangenen Markgrafen Friedrich aus der Wand ragt, so mag es wohl Denkmal einer schönen Trösterin sein, die den einsamen Fürsten unter dem Namen der weißen Frau besuchte, und es hat sich die Tradition erhalten, daß sie ein damals auf Plassenburg lebendes Fräulein Barbara von Rosenau gewesen sei. Das tragische Schicksal des Markgrafen Friedrich des Aeltern bildet den interessantesten Theil der Geschichte der berühmten Burg und wäre für ein Drama ein würdiger Stoff, und die geheimniß- und liebevolle Theilnahme des Fräuleins von Rosenau an diesem Schicksal, die aus Kummer darüber starb, erscheint auf dem dunkeln Grunde als helle poetische Blume.

Urkundlich ist die Plassenburg im 12. Jahrhundert erbaut und zwar von der reichen und mächtigen Familie Andechs-Meran, [654] die sie bis Mitte des dreizehnten Jahrhunderts besaß. Da das Testament des letzten Herzogs von Meran nach dessen wahrscheinlich gewaltsamem Tode unterschlagen worden, so griff nach seinen Ländern, wer nur Macht hatte, und der mächtige Graf Otto der Gewaltige von Orlamünde, dessen Gattin eine Schwester des Herzogs war, nahm die Herrschaft Plassenburg und das meranische Vogtland, aber nach noch nicht vollen hundert Jahren ging Plassenburg an die Burggrafen von Nürnberg, die hohenzollersche Dynastie, über. Damit begann die zweite Glanzperiode der Plassenburg (1340). Im Jahre 1415 erwarb Burggraf Friedrich von Kaiser Sigismund die Mark Brandenburg und wurde Kurfürst, und in seinen Enkeln theilt sich das hohenzollernsche Haus in die kurfürstliche und markgräfliche; (fränkische) Linie. Der Stifter der letztem, welche 1603 ausstarb, war eben jener Markgraf Friedrich der Aeltere. Ein hochromantischer, überschwänglicher Charakter, wie das hohenzollernsche Haus deren mehrere aufzuweisen hat, überließ er sich gern allen möglichen prächtigen, ritterlichen Einfällen, selbst in den höhern Lebensjahren.

Die Laune des Schicksals hatte ihm in seinem ältesten Sohne, Kasimir, einem kalten grausamen, versteckten, dem seinigen entgegengesetzten Charakter, einen furchtbaren Gegner gegeben. Dieser verführte zwei seiner Brüder zu einer Verschwörung gegen den Vater, und nach einem prächtigen Fastnachtsbanket und Tanz im Schlosse 1515 überfielen die beiden Prinzen Kasimir und Johann den Vater im Bette, zwangen ihm mit dem Degen in der Faust ein Abdankungsdocument ab und sperrten ihn als wahnsinnig zwölf Jahre in einen Thurm. Und Niemand wehrte dem scheußlichen Verbrechen. Aber eine gerechte Nemesis waltete über der ruchlosen That. Ein Dichter könnte die poetische Gerechtigkeit in Bezug auf die Schuld dieses Hauses nicht schöner handhaben, als das Schicksal sie übte. Markgraf Georg, der zweite Sohn des gemißhandelten Vaters, hatte seine Zustimmung zu der That gegeben – er weilte am burgundischen Hofe und ging mit der schönen Maria, Erzherzogin von Oesterreich und Burgund, als sie die Gemahlin des jungen Königs Ludwigs II. von Ungarn wurde, nach Ungarn – und theilte sich dann mit Kasimir in die Herrschaft der fränkischen Lande. Und dieser Markgraf heißt wie zum Hohne „der Fromme“, blos weil er sich energisch für die Kirchenreformation erklärte, die ihm Zuwachs an Gut und Macht gewährte.

Kasimir starb 1527, 45 Jahre alt, an der Ruhr unter freiem Himmel als kaiserlicher General in Ungarn, und sein Vater wurde nun frei und regierte noch neun Jahre. Er war nie geisteskrank gewesen. Kasimir’s Sohn aber ist der wilde Parteigänger Markgraf Albrecht der Jüngere, Alcibiades genannt, der, seines Landes verlustig und geächtet, eine wüste Geißel Deutschlands, 1557 ohne Erben, noch nicht 36 Jahre alt, starb. Sein Andenken haftet wie ein Brandmal an dieser stolzen Burg, an diesem schönen Landstrich. Markgraf Johann starb in Spanien schon nach wenigen Jahren als Gemahl der Wittwe König Ferdinand’s des Katholischen von Aragonien, wahrscheinlich vergiftet, und mit Georg’s Sohn, dem Markgrafen Georg Friedrich, starb das Haus in Franken aus.

Der vierte Bruder, Albrecht, Hochmeister des deutschen Ordens, hatte sich allein der unkindlichen Gewaltthat widersetzt und, wiewohl vergeblich, wiederholt die Freilassung des Vaters verlangt. Und ihm, der sich auf Luther’s Rath zum erblichen Herzog in Preußen erklärte, verdankt die kurfürstliche Linie des Brandenburger Fürstenhauses die Erwerbung des Herzogthums Preußen und das spätere Königreich den Namen. Mit seinem blödsinnigen Sohne erlosch 1618 dieses Geschlecht.

Die fränkischen Lande fielen wie Preußen an das Kurhaus, und die beiden Söhne des Kurfürsten Johann Georg gründeten, Markgraf Christian die Baireuther, Markgraf Joachim Ernst die Ansbacher Linie.

Mit dem Glanz der Plassenburg war es aus. Zwar wurde sie nach ihrer Zerstörung durch die fränkischen Bundesstädte in der wüsten Fehde mit Markgraf Albrecht dem Jüngern, 1554, durch Markgraf Georg Friedrich mit den Entschädigungsgeldern der zu ihrem Schaden so rachsüchtigen Bundesstädte prächtiger wieder aufgebaut, und sein Nachfolger, Markgraf Christian, verschönerte sie durch Erbauung der hohen Bastei und anderweitig sehr, aber die Fürsten residirten nun in Baireuth; die stattliche Bergfeste war und blieb verlassen. Es war doch, als ob nach der Schandthat, welche die Söhne am Vater begangen, ein Fluch auf dem Geschlecht und ihrer Wohnstätte ruhte. Das verbrecherische Fürstengeschlecht erlosch, das Fürstenschloß, wo das Verbrechen begangen, wurde – ein Zuchthaus.

Die erste wichtige Folge des gewaltigen Stoßes, welchen das in seinem Staatsorganismus veraltete Königreich Preußen von der jugendlichen Macht des über Nacht zum Imperator gewordenen corsischen Soldaten im Herbst 1806 erhielt, war das Losreißen der fränkischen Fürstenthümer, die, von französischen Präfecten administrirt, vier gräßliche Jahre durchzumachen hatten. Die Plassenburg erlebte als Festung ihre letzte Katastrophe; an ein baierisch-französisches Belagerungscorps durch Capitulation übergeben, wurden auf Napoleon’s Befehl ihre Festungswerke demolirt (1806–1807), und sie stand nun mit dem Baireuther Lande unter dem wahrhaft entsetzlichen französischen Gouvernement, das dran und drauf war, das blühende Land in eine Wüste zu verwandeln. Der 30. Juni 1810 brachte das gedrangsalte Land endlich an die Krone Baiern, welche die Plassenburg zum Landeszuchthaus einrichten ließ.

Die demolirten Gräben und Wälle sind unter der baierischen Regierung zu Gartenanlagen geebnet worden, auch haben die Baulichkeiten manche Veränderung, ihrem jetzigen Zweck entsprechend, erfahren. Aber immer noch ist sie einer der reizendsten Landschaftspunkte des an Schönheit so reichen Oberfrankens.

Wir verließen die einst so stolze und nun so tief gedemüthigte Akropolis mit sehr gemischten Gefühlen.




Die deutsche Flottenmacht.

Seitdem der Krieg mit Dänemark uns wieder näher rückt, geht der Ruf nach einer Flotte durch alle Gauen des gemeinsamen Vaterlandes, und von Neuem beginnt das deutsche Volk in alter Opferbereitwilligkeit die Flottensammlungen. Das schmähliche Ende, welches die gleichen Anstrengungen vor kaum 10 Jahren nahmen, anstatt den Eifer zu lähmen, hat nur dazu geführt, die Energie der Bewegung zu verstärken und ihr zum Richtzeig zu dienen über den einzig praktischen Weg, den man einzuschlagen hat, um nicht nochmals gleichem Schicksal anheim zu fallen. Preußen ist es, so lange es an einer deutschen Centralgewalt gebricht, Preußen, dem die Flottengaben von allen Seiten zufließen, dem man die Schiffe anvertraut wissen will, welche aus den gesammelten Geldern erbaut werden sollen. Nur unter preußischer Flagge, das leuchtet Allen mehr und mehr ein, kann die Anerkennung der deutschen Flagge auf dem Meere erkämpft werden,[2] und in den Reihen der preußischen Marine mag wohl der Verlust im Kampfe, aber niemals der Auctionshammer die Ehrengabe der Nation bedrohen.

Unter allen den verschiedenen Sammlungen ist in jeder Beziehung die von dem deutschen Nationalverein in seiner letzten Generalversammlung durch Beschluß vom 24. August d. J. zu Heidelberg eingeleitete weitaus die bedeutendste. Im Gegensatz zu den Einzelsammlungen bringt der Nationalverein Plan und Zusammenhang in die Bewegung, erörtert Ziele und Mittel mit Rücksicht auf die Meinungen der Fachmänner, und kümmert sich namentlich um das von der preußischen Regierung selbst befolgte System der Küstenvertheidigung und das, was dieselbe bisher dafür geleistet hat. Den übrigen nicht selten phantastischen, auf eine völlige Verkennung der vorhandenen Kräfte und nächsten Aufgaben hinauslaufenden Projecten gegenüber, faßt er die Agitation in einen einzigen praktisch erreichbaren Zweck zusammen: den Bau von Dampfkanonenbooten, zum Schutz unserer Nord- und Ostseeküsten, und die Aushändigung der gesammelten Gelder zu diesem Zweck an das preußische Marineministerium.[3]

[655] In der That genügt, nach dem Urtheile der Sachverständigen, zu dem angeführten Zwecke, namentlich wenn man zunächst einen dänischen Krieg im Auge hat, eine Flottille von Dampfkanonenbooten, und zur Deckung unserer Ostseeküsten würden etwa zwanzig solcher Fahrzeuge, jedes mit zwei oder drei schweren Geschützen, für die Nordseeküsten etwa vierzig ausreichen, wozu dann außerdem noch die erforderlichen Transport- und Aviso-Schiffe hinzutreten müßten. Baute man dann nach und nach, so weit dies die vorhandenen Mittel zuließen, eine Anzahl größerer Kriegsschiffe, so würde sich eine deutsche Kriegsflotte, welche auch andern Aufgaben gewachsen wäre, als der bloßen Küstenvertheidigung, namentlich dem Schutze des deutschen Handels auf fremden Meeren, von einem solchen festen Kerne aus allmählich schaffen lassen, wie es der Lage der Dinge bei uns entspricht, da zu diesem Behufe außer den Schiffen auch die Ausbildung tüchtiger Seeofficiere, Matrosen etc. nothwendig ist, zu welcher Zeit gehört, wenn auch die deutsche Handelsmarine treffliche Aspiranten dazu liefert.

Welche bedeutende Interessen übrigens Deutschland zur See zu schützen hat, und was bis jetzt dafür geschehen ist, darüber theilen wir die von dem Ausschußmitgliede des deutschen National-Vereins Schulze-Delitzsch und dem Herrn Pickert von Danzig als Berichterstattern in Heidelberg gegebenen Notizen in der Kürze mit, welche sicher für viele Leser der Gartenlaube von Interesse sein werden.

Die Handelsmarine Norddeutschlands nimmt an Zahl und Tragfähigkeit ihrer Seeschiffe die dritte Stelle ein, indem sie unmittelbar hinter der Englands und Nordamerikas rangirt. Die Statistik giebt uns in dieser Beziehung für die einzelnen Staaten folgende Zahlen:

1. England mit Colonien hat Seeschiffe im Gehalt von 5,609,623 Ton.
2. Nordamerika 5,049,807
3. Norddeutschland 1,007,676
4. Frankreich 952,000
5. Schweden u. Norwegen 621,721
6. Niederlande 552,725
7. Oesterreich 349,491
8. Dänemark 214,320
9. Rußland 172,605
u. s. w.

Auf die einzelnen Küstenstaaten vertheilt sich wiederum die norddeutsche Marine wie folgt:

1. Preußen hat 1081 Seeschiffe mit 334,254 Ton. Gehalt.
2. Hamburg 483 189,888
3. Bremen 262 164,892
4. Mecklenburg 381 141,417
5. Hannover 821 97,111
6. Oldenburg 632 70,434
7. Lübeck 67 9,780

Hiernach sind die hannöverschen und oldenburgischen Schiffe die kleinsten, zum Theil wohl nur für die Küsten bestimmt, die Bremer und Hamburger durchschnittlich die größten, und etwa 30,000 Matrosen auf allen Schiffen zusammen beschäftigt, von denen 10,271 Mann auf Preußen kommen, welches überhaupt zu einem Drittheil bei dieser ganzen Marine betheiligt ist.

Und zum Schutze einer so ausgedehnten Rhederei, so wichtiger Handelsbeziehungen, welche die von ganz Frankreich übertreffen, hat bisher nur ein einziger Staat überhaupt Etwas gethan, nämlich Preußen, indem sämmtliche übrige norddeutsche Küstenstaaten weder Kriegsschiffe noch Kriegshäfen besitzen! Es hat gegenwärtig die seit circa 10 Jahren in aller Stille geschaffene und fortwährend verstärkte preußische Kriegsflotte folgenden Bestand:

Segelschiffe.
1 Fregatte Gesion zu 48 Kanonen.
1 Thetis 38
1 Corvette Amazone 12
1 Brigg Hela 8
1 Transportschiff Elbe 6
1 Mercur 6
36 Ruderkanonenboote à 2 Kanonen 72
4 Ruderkanonenjollen à 1 Kanone 4
46 Schiffe zu 194 Kanonen.


Dampfschiffe.
a) fertige.
1 Schraubencorvette Arcona zu 28 Kanonen und 400 Pferdekraft.
1 Gazelle 28 400
1 Raddampfcorvette Danzig 12 40
1 Raddampfaviso Lorelei 2 120
1 Schraubenaviso Grille 3 160
1 Iltis 2 120
4 Schraubenkanonenboote à 3
Kanonen n. 80 Pferdekraft
12 320
15 dergleichen à 2 Kanonen
und 60 Pferdekraft
30 900
25 Schiffe zu 117 Kanonen und 2820 Pferdekraft.
b) Dampfschiffe im Bau begriffen und nahezu vollendet.
1 Schraubencorvette Hertha zu 28 Kanonen und 400 Pferdekraft.
1 Vineta 28 400
1 Medusa 18 200
1 Nymphe 18 200
4 Schraubenkanonenboote à 3
Kanonen u. 80 Pferdekraft
12 320
8 Schiffe zu 104 Kanonen und 1520 Pferdekraft,

was zusammen, mit dem Wacht- und Casernenschiff Barbarossa, 80 Schiffe mit 415 Kanonen und 4340 Pferdekraft der darunter befindlichen 33 Dampfer ergiebt, wobei noch besonders hervorzuheben ist, daß, mit Ausnahme der älteren Schiffe Barbarossa und Danzig, über die ausgezeichnete Bauart und Kriegstüchtigkeit sämmtlicher Schiffe unter den Sachverständigen nur eine Stimme ist.

Mag nun das von Preußen hiernach Geleistete im Verhältniß zu der Macht und den Handelsinteressen des Landes nicht genügend erscheinen, so wird man doch die Kürze der Zeit in Anschlag bringen müssen, seit welcher man sich hier überhaupt erst ernstlich mit der Sache zu beschäftigen angefangen hat, und außerdem die außerordentlichen Opfer und Anstrengungen, welche Preußen, Angesichts der bedrohten Lage für sein Landheer, in den letzten Jahren hat machen müssen, wodurch sein Budget für Heer und Marine zusammen auf circa 80 Millionen Gulden rhein. gegenwärtig angeschwollen ist. Außer der Heranziehung seiner ganzen kriegstüchtigen jungen Mannschaft zur Ausbildung in den Reihen des stehenden Heeres handelte es sich zugleich um die Aenderung seines Artilleriesystems und der Schußwaffen der Infanterie, um den großen Militärmächten Europas ebenbürtig in der militärischen Technik gegenübertreten zu können. Die Herstellung der gußstählernen Kanonen und Zündnadelgewehre hat viele Millionen in Anspruch genommen, ebenso wie die Cadres der neuen Regimenter, und Preußen allein in Deutschland – natürlich mit Ausnahme Oesterreichs – sieht den Ereignissen wirklich gerüstet entgegen, als der Hort des Gesammtvaterlandes, auf den sich, sobald Gefahr droht, die Augen Aller von selbst hinwenden. Jedenfalls reicht seine Flotte schon jetzt zur Deckung seiner Ostseeküsten aus, ja an Dampfern möchte sie beinahe schon der dänischen Flotte in offener See gewachsen sein, wogegen diese an großen Segelschiffen die preußische um mehr als das Vierfache überragt[4]. Was daher gegenwärtig noch zu geschehen hat, hat mehr den Schutz der deutschen Interessen in der Nordsee als den der specifisch preußischen zum Zweck. Daß und wie Preußen aber auch dorthin seine Blicke richtet und seiner deutschen Ausgabe nachzukommen gedenkt, beweist am besten die Erwerbung des Jahdebusens und dessen Ausbau zum ersten Kriegshafen der Nordsee, der bereits Millionen gekostet hat und noch kosten wird.

Mag der finanzielle Erfolg aller dieser Sammlungen nicht erheblich erscheinen (ein einziges preußisches Schraubenkanonenboot kostet circa 50,000 Thlr.), so wird doch die moralische Wirkung der Selbstbesteuerung, welche das deutsche Volk wiederholt aus sich nimmt, auf die deutschen Regierungen, insbesondere die preußische, nicht ausbleiben. Daß die Gabe von Deutschland kommt, daß die preußischen Staatsangehörigen im Nationalverein selbst, als Deutsche, ihre Beisteuern mit denen [656] ihrer andern deutschen Stammesbrüder einigen und sie mit als Gabe des großen Gesammtvaterlandes der eignen Regierung zufließen lassen, muß diese unausbleiblich an das letzte Ziel mahnen, dem es gilt, in welchem die deutsche Flotte, wie alles Heil für uns, eingeschlossen ist, – an die Einigung Deutschlands, deren Erkämpfung Preußen durch seinen geschichtlichen Beruf und seine Machtstellung sich selbst und dem deutschen Volk schuldet. Das Dargebot und die Annahme der Schiffe und der Sammlungen dazu ist zugleich das Dargebot und die Annahme der Führerschaft in den Kämpfen, ohne welche die deutsche Einigung nicht zu erreichen ist. Dies kann und darf sich die preußische Regierung nicht verhehlen, und die preußische Ehre haftet fortan als Pfand für die Wiedereinlösung der Ehre und Macht des deutschen Vaterlandes. Wir hoffen zu Gott, daß wir dieses Mal nicht wieder betrogen werden!




Blätter und Blüthen.

Londoner Industrieen. Im Monat Mai des Jahres 1855 empfing ich einen – unfrankirten – Brief aus London, welcher mich nicht wenig überraschte mit der freudigen Kunde, daß ich zum „Vicepräsidenten der Allgemeinen Gesellschaft zur Aufmunterung der Künste und Gewerbe“ ernannt worden sei. Ein Graf mit französischem Namen halte das Diplom als Generalsecretair unterzeichnet; als „Titular-Präsidenten“ waren beigedruckt ein Prinz und ein „Colonel Honorable“; als „Titular-Vicepräsidenten“ ein irischer Baronet, ein belgischer Graf, ein Franzose schlichtweg und ein britischer Capitain. – „Sonderbar,“ dachte ich bei mir selber; „gleich zum Vicepräsidenten; zum bloßen Mitglied wäre noch eher erklärlich, aber sofort diese hohe Würde!“ – Während ich mich noch auf die gewähltesten Ausdrücke besann, um meinen Dank für solche Auszeichnung in einem stattlichen Antwortschreiben zu vermelden – kam schon der zweite – unfrankirte – Brief, diesmal etwas gehaltreicher und theurer, aus London. Er enthielt die Statuten der Gesellschaft und das Verzeichnis ihrer Mitglieder – nein, nicht Mitglieder, denn sie zeichnet sich vor allen ihren Schwestern dadurch aus, daß sie deren kein einziges, sondern nur Präsidenten und Vicepräsidenten besitzt. Eine feinere und erfolgreichere Speculation kann kaum erdacht werden; von der Ehre, sich „Vicepräsident“ unterzeichnen zu können, lassen sich die meisten der Erwählten blenden, und wer dann A gesagt hat, der sagt auch gewöhnlich B. Dieses B aber besteht einfach in der Erfüllung des Artikels 4 der Statuten, des wichtigsten, welcher folgendermaßen lautet: „Zur Aufbringung der allgemeinen Kosten der Gesellschaft verpflichtet sich ein jedes Mitglied, von seiner Aufnahme an, entweder eine jährliche Steuer (cotisation) von 25 Francs, oder die Summe von 250 Francs ein für allemal zu zahlen und zwar im Voraus.“ – „Zum „Protector“ der Gesellschaft wird Jedermann ernannt, welcher an dieselbe mehr als 250 Francs einzahlt.“ – Auf die Befolgung dieses Paragraphs ward ich denn auch dringend aufmerksam gemacht – leider vergebens, denn ich wußte nunmehr sehr gut, woran mich zu halten. Nachdem ich mehrmals Mahnbriefe empfangen hatte, ohne zu antworten, blieb die Sache ruhen – Vicepräsident bin ich aber, denn ich besitze mein Diplom! – Ein Jahr später zeigte mir eine zweite Gesellschaft in London, die der „Vereinigten Künste“ an, sie habe mich zu ihrem correspondirenden Mitglied ernannt, und ich möge 50 Francs Jahresbeitrag einsenden, um das Diplom zu empfangen. In meinem Antwortschreiben erbat ich mir zuerst das letztere und empfing es auch alsbald mit den Statuten und den „Annalen“ der Gesellschaft, in welcher man den Titel eines „Gründungs-Mitglieds“, Membre Fondateur, erwirbt mittelst einmaliger Zahlung von 500 Francs. Die zweite Elaste bilden die „Ehrenmitglieder“, jährlich 100 Francs Beitrag, die dritte endlich die „ausländischen correspondirenden Mitglieder“. Wie man sieht, giebt es auch in diesem Verein keine „wirklichen“ Mitglieder – aber „Ehrenmitglied“ klingt auch besser, und soll wahrscheinlich dem „Vicepräsident“ die Wage halten. An der Spitze des „Instituts der vereinigten Künste“ stehen „Membres Protecteurs“, darunter viele hochklingende Namen, acht Fürsten, ein Herzog und der General Urquiza, Präsident der argentinischen Conföderation in Südamerika. Unter den ersteren lesen wir auch den des Fürsten von Butero in Sicilien, zu welchem ein günstiges Schicksal bekanntlich den früheren Lieutenant G. Wilding aus Hannover erhoben hat. Ueberhaupt gewährt eine Durchsicht der Mitgliederverzeichnisse dieser Gesellschaften höchst interessante Beobachtungen. Vor Allem wimmeln sie von möglichst volltönenden aristokratischen Namen; wir dürfen annehmen, daß diejenigen, welche darunter wirklich bekannt sind, weiter nichts erhalten haben, als ein Diplom zugesandt, und von den übrigen Verhältnissen der Gesellschaft nichts wissen. Der gleiche Fall ist es wohl mit den meisten Gelehrten von Ruf, die in den Verzeichnissen figuriren. Sodann aber sind Epitheta, wie „Mitglied mehrerer gelehrten Gesellschaften“ – oder „Commandeur und Ritter vieler Orden“ – das ganz Gewöhnliche. Unter den ersteren findet man manche, welche wohl auf gleicher Stufe mit dem Institute stehen, das sich ihrer als seiner Mitglieder rühmt; unter den letzteren manche bedenkliche, z. B. den „kaiserlich asiatischen Orden“. Als Muster eines Titels führen wir an denjenigen des Grafen De M., Präsident-Fondateur, Commandeur und Ritter mehrerer Orden (?), Genealogist und Historiograph des edlen Ordens von Sanct Hubertus (in Baiern? schwerlich), Mitglied der Akademieen und kaiserlichen und königlichen gelehrten Gesellschaften in Frankreich, England, Italien, Spanien, Belgien, Holland etc. Unter den „Gründungsmitgliedern“ des letztgenannten Instituts der „vereinigten Künste“ finden wir natürlich sehr wenige Deutsche aufgeführt und fast Alle, wie sich von selbst versteht, mehr oder minder verdruckt; so z. B. Baron Salorati, früherer preußischer Minister; Rimpau, W., Grand-Bailli, Membre de la Société Aratoire de Brunswick etc. etc. à Schlanstedt, Prusse – oder den Conseiller Aulique Winkler, Littérateur, schlichtweg „in Deutschland“, „Allemagne“! Es ist wirklich stark, wie und auf welche Art das Verzeichnis; zusammengebracht ist, wahrscheinlich um Neulinge zu blenden; so liest man unter den Ehrenmitgliedern: Eichhorn, Literat, „in Deutschland“; Heine, Heinrich. Literat, Poet, „in Deutschland“ etc. Jeder, der nur etwas in der Literatur bewandert ist, weiß, daß Heine in Paris wohnte, und nicht „in Deutschland“, und daß es dem seligen Hofrath Winkler in Dresden ganz gewiß nicht eingefallen ist, 500 Francs zur Gründung den „Instituts der vereinigen Künste“ herzuschießen. – In der Liste der ca. zweihundert Vicepräsidenten der ersterwähnten Gesellschaft zur Aufmunterung der Künste und Gewerbe, die zum Glück weit weniger deutsche Namen anführt, als die vorige, sind uns besonders zwei aufgefallen: Wagener, Mitglied der zweiten preußischen Kammer in Berlin – und Wentzel, preußischer Landtagsabgeordneter und Appellationsgerichtspräsident in Ratibor! In einer Biographie des letzteren, leider nun verstorbenen Ehrenmannes haben wir gelesen, daß er durch diese Auszeichnung ganz besonders erfreut worden sei – Beweis, daß er dieselbe nicht näher kannte.

„Aber welchen Zweck haben denn derlei Gesellschaften?“ höre ich doch noch fragen. Antwort: „Keinen andern, als mühelos Geld zu machen!“ Oder hat man schon davon gehört, was etwa Künste und Gewerbe ihnen danken? Gewiß kein Sterbenswörtchen; doch davon nachher. Die „Cotisation“ ist die Hauptsache, und die Speculation gar nicht schlecht dabei. Zweihundert Vicepräsidenten à 25 Francs und so und so viel, welche sich dran kriegen lassen, ein für allemal 250 zu zahlen, ungerechnet die „Protectoren“ mit höheren Summen – das bildet schon ein ganz hübschen Einkommen, mit welchem die Ausgaben in gar keinem Verhältniß stehen. So zählt z. B. die Mitgliederliste der „Vereinigten Künste“ circa 100 Membres Fondateurs, etwa 120 Ehrenmitglieder und gegen 100 Correspondenten. Angenommen, die Hälfte davon stehe nur auf dem Papier, dir andere Hälfte aber zahle wirklich, so ergiebt sich ein Gründungscapital von 25.000 Francs und eine Summe jährlicher Beiträge von 7250 Francs, für welche auch nicht das geringste Recht, der kleinste Gewinn erworben wird. Dazu kommen noch die Nebeneinnahmen; die Herren Präsidenten mit ihren Secretären – gewöhnlich bildet eine Dreizahl den eigentlichen Kern der Gesellschaften – verfehlen nicht. Diplome und Veröffentlichungen an alle gekrönten Häupter, Mäcene von Ruf, große Banquiers etc. zu senden, und diese wissen größtentheils, was damit gesagt werden soll: sie geben ihre Beisteuer, aber als ein Almosen für die Herren Grafen und Ritter vieler Orden. Dann finden die schlauen Gründer Leute genug, welche die Sache ernst nehmen, Bücher einsenden, Modelle, Zeichnungen von Erfindungen. Productenproben – alle diese Gaben werden natürlich schleunigst verwerthet und zwar oft in einer Art, daß dem Einsender der größte Schaden daraus erwächst. Wie mancher gute deutsche Erfinder hat schon zu seinem Schrecken erfahren, daß in Großbritannien derjenige das Patent erhält, welcher zuerst kommt! Aber um dergleichen schätzbare Mitglieder doch einigermaßen zu fesseln, vertheilen jene liebenswürdigen Gesellschaften mit schlauer Berechnung auch Prämien – Medaillen in Gold und in vergoldetem Silber (vermeil)! „Ah,“ höre ich rufen, „das ist doch Etwas!“ Allerdings ist es Etwas – allein sehr wenig. Diese Medaillen sind stets nur Gegengaben. Wer der Gesellschaft eine Anzahl Porcellangemälde im Werth von 100 Francs, ein Prachtwerk, das 200 Francs kostet, etc. gläubig zusendet, der erhält dafür die goldene Medaille (Couronne du Merite civil) im Werthe von 25 Francs zur Belohnung! Daher kann man auch mit der Vertheilung der Goldmedaillen viel freigebiger zu Werk gehen, wie mit derjenigen der silbernen; diese erhält, wer dem würdigen Verein die eingehende Beschreibung einer Erfindung vorlegt, die sich anderwärtig verwerthen läßt. Man sieht, die Herren kommen stets auf ihre Kosten! Das „Institut der vereinigten Künste“ giebt außerdem noch „Annalen“ heraus; das Abonnement auf ein Trimester kostet 15 Francs, auf ein Jahr 50 Francs; man erhält dafür je ein Heft von 108 Seiten (für 4 Thaler!!) ohne Schmuck, ohne Abbildungen – und darin Abhandlungen „über Leonardo da Vinci“; „wie Herr von Lamartine ein berühmter Mann wurde“: Fabeln etc. Auch dies gehört zu den Exploitationen der würdigen Gesellschaften.

Es giebt deren nicht blos zwei, nein, Dutzende; ihr Hauptsitz ist London, aber sie finden sich auch in Paris und Brüssel. Da existiren hygienische, mercantilische, künstlerische, industrielle, national-ökonomische, culturhistorische etc. Vereine, von deren Wirksamkeit Niemand etwas weiß und Niemand jemals etwas wissen wird; alle haben den gleichen Zweck; eines ihrer charakteristischen Kennzeichen ist, daß sie stets einen französischen Titel führen und an ihrer Spitze französische Namen tragen, von welchen viele etwas stark nach Legitimität schmecken. Sie speculiren sämmtlich auf eine der lächerlichsten Eitelkeiten des Menschengeschlechts – und es ist tief beklagenswerth, daß sie sich nicht verrechnen.




Von

Bock, Buch vom gesunden und kranken Menschen. 4. Auflage, ist soeben die 4. Lieferung

und von

Storch, der deutsche Leinweber. 2. Auflage, der 4. Band

ausgegeben worden.

Ernst Keil.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Wir wollten dieser Erzählung einer der merkwürdigsten deutschen Erlebnisse ursprünglich die Ueberschrift „Eine Meuterei unter der See“ geben, unterließen dies aber auf den Wunsch des „Erfinders“ und „Meisters,“ der dem braven Thomsen nicht eine unverdiente Kränkung bereiten wollte. Es thut ihm ohnedies leid, daß dieser Vorfall, für den tausend Entschuldigungen in jeder Menschenbrust sprechen, im Interesse der Wahrheit und der Vollständigkeit der Darstellung hier erzählt werden mußte.
    Die Red.
  2. Die Drohung einer namhaften europäischen Seemacht, als in einem unbedeutenden Gefecht in den schleswig-holsteinischen Gewässern drei Kriegsdampfer der damaligen deutschen Marine am 4. Juni 1849 Theil nahmen, „diese Schiffe im Mangel einer anerkannten Flagge als Seeräuber behandeln zu wollen,“ ist bekannt.
  3. Der Beschluß vom 24. August lautet: „Da zur Zeit eine deutsche Centralgewalt nicht vorhanden ist, wird die vom Nationalverein heute bewilligte Summe und werden ferner die gesammelten Bestände, sobald sie den Betrag von 10,000 Gulden erreicht haben, an das preußische Marine-Ministerium abgeliefert, mit der ausdrücklichen Bestimmung, die Gelder zum Baue der zum Schutze der deutschen Nord- und Ostseeküsten bestimmten Boote in den Reihen der preussischen Kriegsmarine zu verwenden.“
  4. So haben die Dänen nur 4 Dampfkanonenboote à 2 Kanonen, und ihre beiden Schraubenfregatten führen zwar 42 Kanonen eine jede, aber nur 200 Pferdekraft, sind also den preußischen großen Schrauben-Corvetten (zu 400 Pferdekraft) kaum gewachsen.