Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[177]

No. 14. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Braut und Gattin.
Von A. v. W.
I.
Das Marienbild.

In dem wild romantischen Thale, das Spaa mit seinen Heilquellen einschließt, stand noch im Jahre 1840, ungefähr eine halbe Stunde von dem Badeorte entfernt, eine kleine, der Jungfrau Maria gewidmete Capelle. Das armselige, aus Holz gebaute Kirchlein lehnte sich an eine schroffe Felswand, aus deren Spalten herab großblätteriges Schlingkraut hing, das verwitterte Dach wie mit einem Mantel bedeckend. Eine Treppe von vier Stufen führte zu dem verrosteten Eisengitter, durch dessen Stäbe man das mit Flittern und bunten Kleidern geschmückte Bild der Gebenedeieten auf einem kleinen Steinaltar erblicken konnte. Man legte dem Gnadenbilde mancherlei Wunderkräfte bei, und deshalb kamen nicht selten fromme Landleute, um durch inbrünstige Gebete Erlösung von irgend einem Uebel zu erflehen.

Ein prachtvoller Juliabend hatte sich auf das Thal herabgesenkt, die scheidende Sonne vergoldete mit glühendem Scheine die felsigen Bergrücken, und die Hitze des Tages nach einer angenehmen, erquickenden Kühle, als eine höchst elegant gekleidete junge Dame die Stufen der Kapelle hinaufstieg, vor dem Gitter niederkniete, die mit zarten Handschuhen bekleideten Hände fromm zusammenlegte, und still zu beten begann. Zwei Minuten später erschien eine zweite Person, die vorübergehen wollte, aber plötzlich stehen blieb, als sie die knieende Dame erblickte. Diese Person war ein junger Mann in Jagdkleidern, ein Jäger, wie ihn die pariser Mode nur erschaffen kann. Ein zierliches Gewehr an grünem Bande hing über seiner Schulter, an der Seite trug er eine elegante Jagdtasche und ein glänzendes Pulverhorn. Eine Art Tyrolerhut und ein krauser, schwarzer Schnurrbart gaben dem schönen gebrannten Gesichte jene interessante Romantik, die man in den Bädern um jene Zeit zur Mode erhoben hatte, vorzüglich in Spaa, wo deutsche, französische und englische Elegants sich den Rang streitig zu machen suchen.

Der Jäger konnte nur das Profil der betenden Dame sehen, aber er mußte sich bewundernd eingestehen, daß sie ein zartes, reizendes Gesicht hatte. Schwarze Locken quollen unter dem leichten italienischen Strohhute auf den weißen Shawl herab, der wie angegossen auf den vollendet schönen Formen des Oberkörpers lag,.

„Eine Dame hier vor dem Bilde?“ flüsterte der Jäger verwundert vor sich hin. „Den Kurgästen scheint sie nicht anzugehören, wenigstens erinnere ich mich nicht, sie in Spaa gesehen zu haben – ich muß wissen, wer das fromme Wesen ist! Ob sie wirklich von dem Glauben an das Bild getrieben wird, von dem man sich erzählt, daß es kranke Herzen und kranke Körper heilt?“

In diesem Augenblicke ließen sich Schritte auf dem von Gebüschen versteckten Fußpfade vernehmen, der zu dem Badeorte führte. Der Jäger trat rasch hinter einen von der Capelle vielleicht zehn Schritte entfernten Strauch, von wo aus er deutlich den ganzen Raum vor dem Kirchlein übersehen konnte, ohne bemerkt zu werden. Kaum hatte er sein Versteck eingenommen, als die Gestalt eines langen, hagern Mannes auf dem Platze erschien, Sein bleiches, bereits durchfurchtes Gesicht verrieth eine freudige Ueberraschung, als er die betende Dame erblickte, und es war nicht zu verkennen, daß er sie hier zu finden gehofft hatte. Leise trat er ihr näher, zog seinen eleganten Filzhut, und sah lächelnd zu der Betenden empor, die das Geräusch seiner Schritte nicht bemerkt zu haben schien, denn ruhig verharrte sie in ihrer Stellung. Nach zehn Minuten erhob sie sich, warf ein Geldstück in die Blechbüchse, die mit eisernen Klammern an der Kapelle befestigt war, und stieg die Stufen der Treppe hinab. Der hagere Mann grüßte, ergriff zwanglos die Hand der Dame und zog sie an seine Lippen.

„Fräulein Amalie, Sie sind ein Engel“ sagte er entzückt, „Sie besitzen alle Eigenschaften, die das Herz eines fühlenden Mannes mit Bewunderung und Ehrfurcht erfüllen.“

Amalie war leicht erschreckt, als sie den Mann im schwarzen Fracke und ehrerbietig den Hut in der Hand tragend erblickt hatte. Ihr zartes Gesicht mit den lebhaften Augen überzog eine feine Röthe.

„Bei Ihnen, Herr von Funcal,“ sagte sie mit einem zauberischen Lächeln, das auf jeder der Lilienwangen ein Grübchen erscheinen ließ, „bei Ihnen darf ich wohl voraussetzen, daß meine einsamen Wallfahrten zu diesem Gnadenbilde nicht bespöttelt werden. und deshalb zürne ich Ihnen nicht, daß Sie mir heute gefolgt sind!“ sagte sie hinzu, indem sie züchtig die Blicke zu Boden senkte.

„Ich bekenne gern, daß mich nicht der Zufall, sondern die Absicht geführt hat, die liebenswürdige Amalie zu sehen. Ich wußte, daß sie sich aus dem Hotel entfernt, daß sie diesen Weg eingeschlagen hatten.“

„Denselben, den Sie Morgens bei Sonnenaufgang wählen, um hier zu beten,“ sagte die junge Dame.

Herr von Funcal setzte seinen Hut auf die Stufe der Steintreppe; dann ergriff er mit beiden Händen die kleine, niedliche Rechte der Dame.

„Amalie,“ sagte er mit bebender Stimme, „wir stehen hier, fern von dem Treiben der vergnügungssüchtigen Badewelt, an einsamer,

[178] heiliger Stätte. Ich glaube zu fest an eine allwaltende Vorsehung, als daß ich unser Zusammentreffen in dieser hehren Stunde für ein Werk des Zufalls halten sollte – Amalie, lassen Sie mich Ihnen bekennen, warum ich hier jeden Morgen zu der heiligen Jungfrau bete!“

„Ich errathe es!“ flüsterte sie. „Sie bitten um die vollkommene Kräftigung Ihrer Gesundheit –“

„Dieses Gebet hat die Heilige, die dem Quelle dieses Thales Heilkraft verleiht, bereits erhört, denn ich fühle eine Kraft und ein Wohlsein in mir, daß ich auf ein langes Leben hoffen darf –“

„Nun, mein Herr, um was bitten Sie denn jetzt?“ fragte Amalie leise.

„Darf ich es offen bekennen?“

„Ich weiß nicht, aus welchem Grunde Sie meiner Erlaubniß bedürfen.“

„Nun denn, so will ich Ihnen in Gottes Namen sagen, daß ich die heilige Jungfrau anflehe, sie möge in Ihrem Herzen eine Neigung zu mir erwecken, die mir erlaubt, Ihnen meinen Namen, mein Vermögen und mein ganzes Leben zu Füßen zu legen!“

„Mein Herr! Mein Herr!“ stammelte Amalie in einer reizenden Verwirrung,

„Ach, Amalie,“ rief Herr von Funcal, indem er ihre Hand an sein Herz drückte und einen unbeschreiblich frommen Blick zum Himmel sandte, „ich würde mit rettungslos krankem Gemüthe auf meine Güter zurückkehren, wäre es mir nicht vergönnt, die Hoffnung mit mir zu nehmen, Sie dereinst meine Gattin vor Gott und der Welt zu nennen, und wo fände ich eine würdigere?“ fügte er in frommer Rührung hinzu. „Unsere Herzen sympathisiren in der Hingebung zu Gott und der heiligen Jungfrau – Amalie, es ist nicht zu leugnen, Gott hat uns für einander bestimmt; er hat mich deshalb bisher mit einer an Verachtung grenzenden Gleichgültigkeit gegen das weibliche Geschlecht ausgerüstet, damit ich Ihnen, dem frommen Mädchen, ein reines unbeflecktes Herz zubringen soll. Als ich Sie das erste Mal an der Quelle sah, die nur den Guten Gesundheit giebt, begann die Rinde der Gleichgültigkeit zu schmelzen, und heute ist sie bei dem Strahle Ihres himmlischen Auges völlig verschwunden. Jetzt erkenne ich, was zu meinem Glücke noch fehlt: Amalie, wandeln wir Hand in Hand durch das dornenvolle Leben, beten wir vereint zu Gott, und er wird unsern Pfad mit Rosen schmücken!“

Die junge Dame hatten gesenkten Blicks die begeisterte Rede des frommen Mannes angehört, und es entging dem Lauscher nicht, daß sie auf das wirklich reizende Geschöpf, in dem sich die zarteste Anmuth mit der reinsten Unschuld zu vereinen schien, einen nicht geringen Eindruck hervorgebracht. Eine Dame von Welt, in der sich die Lebenslust noch kräftig regt, würde einen solchen Bewerber, der außerdem noch das Doppelte ihres Alters zählte, mitleidig belächelt haben – Amalie aber schlug züchtig und verschämt die Augen auf, sah gerührt den frommen Liebhaber an, und flüsterte:

„Mein Herr, Ihr bedeutungsvoller Antrag, so hoch er mich auch ehrt, kommt mir so unerwartet, daß ich Ihnen in diesem Augenblicke keine Entscheidung geben kann. Erlauben Sie daher, daß ich mit Gott und meinem Herzen zu Rathe gehe, ich werde mich nicht von Ihnen trennen, ohne das Resultat Ihnen mitgetheilt zu haben. Ich bin eine Waise, meine Aeltern starben früh und hinterließen mir nur ein kleines Vermögen, das ich jetzt zur Kräftigung meiner Gesundheit verwenden muß –“

„Amalie, Sie werden Ihr Vermögen unangetastet lassen! Ich wache über Sie und werde so lange als Ihr Freund für Sie sorgen – –“

„Verzeihung, mein Herr!“ stammelte sie bestürzt.

„O, sie müssen mir gestatten, daß ich die Pflicht des Christen übe!“

Die Ankunft eines Dieners unterbrach das Gespräch. Herr von Funcal bot Amalie den Arm und verschwand mit ihr auf dem Wege nach Spaa. Der Jäger trat aus seinem Verstecke hervor.

„Fritz!“ rief er.

„Gnädiger Herr!“ antwortete der Diener. „Ich warte seit einer halben Stunde bei dem Forsthause.“

„Wo ist der Wagen?“

„Er hält dort auf der Straße.“

Indem der Jäger an den Stufen der Kapelle vorüberging, bemerkte er einen weißen Gegenstand auf der Stufe der Steintreppe, wo die junge Dame gebetet hatte. Er holte ihn – es war ein feines Batisttuch, das ein kleines Damenportefeuille umwunden hielt. Der neugierige Jäger, auf den die unzweifelhafte Besitzerin einen tiefen Eindruck ausgeübt und den Wunsch nach näherer Bekanntschaft angeregt hatte, würde den Fund sofort untersucht haben, wenn ihm die tiefe Dämmerung nicht daran gehindert hätte.

„Ein Anknüpfungspunkt ist gefunden!“ dachte er lächelnd. „Ich bin Fatalist, wie Herr von Funcal - die Vorsehung will, daß ich mit der reizenden, seltsamen Wallfahrerin in nähere Berührung trete.“

Er steckte die beiden Gegenstände in seine Jagdtasche und ließ sich von dem Diener zu dem Wagen führen, der ihn in kurzer Zeit nach seiner Wohnung in Spaa brachte.




II.
Der Spielsaal.

Es war gegen Mitternacht. Das aus elenden Hütten und prachtvollen Hotels zusammengesetzte Spaa erschien wie ausgestorben; ruhig leuchtete der Mond auf die stillen Gassen und leeren Promenaden herab. Die Nacht war schwül und ein fernes Wetterleuchten durchzuckte von Zeit zu Zeit das tiefblaue Firmament, das wie ein sternbesäeter Teppich über dem schmalen Thale hing. Um diese Zeit trat ein Mann aus dem ersten Hotel des Ortes, durchschritt die Straße und eine Seitenallee, und blieb endlich vor einem langen Pavillon stehen, durch dessen mit Jalousien geschlossene Fenster helles Licht blickte. Eine tiefe Stille, wie in der Umgebung, herrschte auch in dem glänzend erleuchteten Gebäude.

Der nächtliche Spaziergänger war Albrecht von Beck, derselbe, den wir als Jäger bei der Marienkapelle erblickt haben. Albrecht war der letzte Sprosse einer edeln ungarischen Familie, das reiche Erbe, das er vor drei Jahren übernommen, sicherte ihm ein freies, unabhängiges Leben, und wir finden ihn jetzt in Spaa, das er aus Neigung zu seinem Sommeraufenthalte gewählt hatte, weil er hier die Zerstreuungen des fashionablen Badelebens zu finden hoffte. Wir enthalten uns, die Vorzüge und Schwächen seines Charakters zu schildern, da sie der Leser aus seinen Handlungen kennen lernen wird. Aber wenn wir jetzt berichten, daß er sich am Eingange des Spielsaales befand, so wolle man nicht etwa glauben, Albrecht folge seiner Neigung zum Spiele; er hatte nur das Hotel verlassen, um sich zu zerstreuen, um seine Gedanken von der reizenden Amalie loszureißen, die auf ihn einen tiefen Eindruck ausgeübt hatte. Die Bewerbung des Herrn von Funcal, der ihr aus frommer, christlicher Nächstenliebe sein Vermögen angeboten, ihr, der nach ihrem eigenen Geständnisse unbemittelten Dame, hatten ihn mit Befürchtungen erfüllt, denen seine schnell erwachte Liebe auch noch die Eifersucht beifügte. Er hielt Herrn von Funcal entweder für einen Narren, für einen Mystiker, oder für einen Gleißner, für einen jener Roué’s, denen keine Maske zu schlecht ist, wenn es sich um die Befriedigung einer Leidenschaft handelt. Und wahrlich, Amalie war wohl im Stande, eine heftige Leidenschaft zu entzünden, sie besaß Jugend, Anmuth und Liebenswürdigkeit genug, um das Prinzip der besten und schlechtesten Handlungen zu sein. Ihr Gebet vor dem Marienbilde war offenbar ein Beweis von ihrem kindlich frommen Gemüthe – sollte Herr von Funcal die Maske der Scheinheiligkeit gewählt haben, um das gute Kind zu bethören? fragte sein Argwohn. Vielleicht! Aber sie ist auch schön genug, um das Herz eines Priesters in seinem Gelübde schwanken zu machen! antwortete die Eifersucht. Wenn nun Amalie selbst eine Abenteuerin wäre? Wenn sie nach dem reichen, frommen Bewerber ihre Angelhaken auswürfe, indem sie die fromme Wallfahrerin spielt? Rechtfertigte das naive Bekenntniß ihrer Armuth diese Annahme nicht? Warum vertröstete sie auf eine entscheidende Antwort? Eine Dame von Takt hätte sich anders benommen. Oder sollte sie wirklich zu dem langen Manne eine Neigung fühlen?

Diese Zweifel, Befürchtungen und Annahmen hatten Albrecht in einen Zustand versetzt, der ihn lebhaft wünschen ließ, daß die Zeit gekommen sein möge, wo er der jungen Dame das Portefeuille überreichen könnte. Er war, trotz der Ermüdung von der Jagd zu aufgeregt, um schlafen zu können. Es gab in der Nacht keine andere Zerstreuung als die, die sich im Spielsaale bot. Albrecht [179] entschloß sich daher, ihn zum ersten Male zu besuchen. Ueber eine schmale Hausflur trat er in ein Vorzimmer, wo ihm ein Diener Hut und Stock abnahm. Dann öffnete er eine Thür, und der junge Mann befand sich in dem Spielsaale. Eine ängstliche Stille, nur von dem Klingen des Geldes, dem Rollen der Kugel und der ausdruckslosen Stimme des Banquiers unterbrochen, herrschte in dem weiten, glänzenden Raume, obgleich er mit vielleicht fünfzig Personen angefüllt war, die sich in Gruppen um zwei Spieltische drängten.

Albrecht trat zu dem Roulet. Die Mehrzahl der Spielenden bestand aus Damen. Er prüfte den bunten Kreis, der gespannt den grünen Tisch umstand, und wer beschreibt sein Erstaunen, als er unter den aufgeregten Gesichtern auch das ruhig lächelnde der reizenden Amalie bemerkte. Sie war ohne Hut, und Albrecht konnte jetzt, bei der hellen Beleuchtung, die wirklich blendende Schönheit in der Nähe betrachten. Die arme Amalie, die er vor einigen Stunden betend vor dem Gnadenbilde gesehen, stand jetzt ruhig lächelnd an dem Spieltische, und dabei lag so viel Ruhe in ihren schwarzen Augen, wenn der Croupier ihre verlorenen Goldstücke einzog, daß man hätte glauben mögen, sie habe an dem Verluste ein kindliches Wohlgefallen.

Der Anblick der spielenden jungen Dame versetzte den Edelmann in ein schmerzliches Entzücken, er vermochte nicht, sein Augen wieder von ihr abzuwenden. Wie rein, wie edel waren ihre jungfräulichen Züge! Und wenn selbst das Spiel zu einer Leidenschaft bei ihr geworden, man hätte nicht glauben können, daß sie auf ihrem Herzen laste, denn ihr ganzes Wesen drückte Anmuth und kindliche Unschuld aus. Eine natürliche Grazie verschönte alle ihre Bewegungen. Die kleine Alabasterhand spielte mit den Goldstücken, als ob sie den Werth derselben nicht kannte. Sie betrachtete mit demselben reizenden Lächeln den Verlust als den Gewinn. Welch eine stolze, von reichen Haaren umflossene Stirn sah der berauschte Albrecht; welch ein herrlicher Blick strahlte aus dem großen dunkeln Auge; wie zart und rosig war ihr Teint! Die Formen des schlanken, eleganten Körpers, eng von einem weißen Mousseline-Oberrocke eingeschlossen, waren bewunderungswürdig. Es lag Alles in diesem himmlischen Wesen, was einen Dichter zur Begeisterung, und einen Frauenhasser zur glühendsten Leidenschaft hinreißen kann. Aber in ihr lag auch das unbekannte Wesen des Weibes, die unter dieser trügerischen Hülle verborgene Seele, die Seele Eva’s, alle Schätze des Bösen und Guten, Anmaßung und Entsagung, kalte Bosheit und warme Liebe!

„Wenn sie mit dem Gelde des Herrn von Funcal spielte!“ dachte Albrecht, und ein kalter Schauer durchrieselte seinen heißen Körper.

Er ging leise durch den Saal, um den langen blassen Mann zu suchen, da ihm die Eifersucht zuflüsterte, er müsse in der Nähe Amaliens sein; aber die Argusblicke des berauschten Albrecht suchten ihn vergebens, Herr von Funcal war nirgends zu sehen. Mit einer Art Beruhigung kehrte der junge Mann zu dem Roulet zurück, und diesmal wies ihm der Zufall einen Platz dicht neben Amalie an. Er zitterte, als unwillkürlich seine Hand den üppigen Arm berührte, der wie rosig durch die weiße Hülle schimmerte. Hätte nicht das Spiel die volle Aufmerksamkeit der Anwesenden, meist bejahrter Leute, in Anspruch genommen, man würde seine Verfassung auf seinem Gesichte gelesen haben.

Amalie hatte Unglück; ehe zehn Minuten verflossen, war die seidene Börse leer, die vor ihr auf dem Tische lag. Ein einziges Goldstück hielt sie noch zwischen den niedlichen Fingern. Die Kugel rollte; aber die schöne Spielerin, die bisher ohne zu wählen eine Farbe besetzt hatte, hielt diesmal an sich, und Albrecht glaubte in ihrem Gesichte die Unschlüssigkeit zu bemerken, ob sie den letzten Ducaten wagen sollte oder nicht. Die Kugel rollte wieder, mit leise zitternder Hand setzte Amalie auf schwarz, dann beobachtete sie starren Blicks das Rad, die kleine Kugel machte die letzten Sprünge – „roth!“ rief der Banquier, und das Goldstück verschwand in der Hand des Croupiers.

Mit wehmüthigem Lächeln sah Amalie auf die blinkenden Goldstücke, die von Neuem auf der grünen Fläche erschienen, und dabei drückte sie die schlaffe Börse in der niedlichen Hand, Albrecht fühlte das innigste Mitleiden mit dem reizenden Geschöpfe, als er eine Thräne in ihrem Auge erscheinen sah.

„Sie haben Unglück gehabt!“ flüsterte er.

Schmerzlich lächelnd sah sie ihn an und zuckte mit den Achseln, als ob sie sagen wollte:

„Wer kann dafür? Es läßt sich nicht ändern!“

Einige Personen verließen den Saal, und Albrecht, der fürchtete, auch Amalie würde folgen, suchte das angeknüpfte Gespräch fortzusetzen, um sie zu fesseln.

„Das Glück wird Ihnen nicht immer abhold sein!“ sagte er leise. „Man muß der blinden Dame Beharrlichkeit entgegensetzen.“

Amalie sah ihren Nachbar mit einem unbeschreiblichen Blicke an. Dann antwortete sie lächelnd:

„Wollen Sie nicht den Versuch wagen, mein Herr, ob sich diese Regel bewährt?“

„Ich bin nicht disponirt zum Spielen; wenn sie aber statt meiner die Prüfung unternehmen wollen, so biete ich Ihnen meine Börse an. Wir theilen Gewinn und Verlust!“ fügte er hinzu, indem er seine volle Börse auf den Tisch legte.

Ein Freudenstrahl, der aus dem dunkeln Auge blitzte, verklärte das Gesicht der jungen Dame. Es lag in dem Antrage Albrecht’s so wenig Verletzendes, da sie auch den Verlust theilen sollte, daß sie ohne Bedenken antwortete:

„Gut, mein Herr, ich gehe den Pact ein, und gebe der Himmel, daß ich Ihnen Glück bringe!“

Mit einer wahrhaft kindlichen Freude schickte sie sich wieder zum Spielen an. Aber trotz des Scharfsinnes, den Albrecht anwendete, um einen Begriff von ihrem Charakter zu erhalten, vermochte er dennoch nicht zu errathen, ob sie vor Vergnügen oder Beschämung erröthete, als sie die Börse öffnete und die Goldstücke auf den Tisch schüttete; er konnte sich vielmehr einer Anwandlung von Entzücken nicht erwehren, als er seine Börse unter ihren reizenden Händen sah. Mit einer liebenswürdigen Ungezwungenheit machte sie nun die Sätze. Sie gewann. Leuchtend vor Vergnügen schob sie die geliehene Börse bei Seite, und spielte von dem gewonnenen Gelde.

„Verdoppeln Sie!“ flüsterte Albrecht.

„Sie wollen es?“

„Ich bitte darum!“

„Hier sechs Louisd’or!“ sagte sie, und ihre kleine Hand warf die Goldstücke auf roth.

„Schwarz!“ rief der Banquier.

Der Einsatz ging verloren. Amalie hatte anhaltendes Unglück – nach einer Viertelstunde war die Börse leer, und die junge Dame sah ihren Nachbar mit betrübten Mienen an.

„Ich bin Ihre Schuldnerin!“ sagte sie mit bewegter Stimme. „Nennen Sie mir die Summe, die Ihre Börse enthielt.“

„In diesem Augenblicke kann ich sie nicht angeben,“ antwortete Albrecht verlegen; „ich werde aber morgen genau meine Kasse berechnen – –“

Beide traten von dem Spieltische zurück. Albrecht bot ihr seine Begleitung an.

„Ich werde sie annehmen,“ antwortete sie erröthend, „denn Sie müssen wissen, wo Ihre Schuldnerin wohnt.“

„Unter dieser Bedingung würde ich auf das Glück Verzicht leisten –“

„Sie werden mich nie wieder beim Spiele treffen!“ fügte sie, ihn unterbrechend, mit einem Seufzer hinzu.

„Um so mehr Grund, daß ich mich heute so spät als möglich von Ihnen trenne.“

Sie betraten das Vorzimmer. Amalie empfing von dem Diener Hut und Shawl, nahm Albrecht’s Arm an und verließ mit ihm das Spielhaus. Schweigend durchgingen sie die einsamen Alleen. Der junge Mann fühlte, wie der Arm seiner Begleiterin leicht erbebte. Ein Meer von Gedanken wogte in ihm, und er faßte den Beschluß, das Geheimniß der unbekannten Schönen zu ergründen, es möge kosten was es wolle. Vor dem ersten Hause der beginnenden Straße blieb Amalie stehen.

Hôtel à la Couronne!“ sagte sie. „Nr. 10 ist mein Zimmer.“

Nach diesen Worten flog sie die Stufen hinan und zog die Glocke. Die Thür öffnete sich und Amalie verschwand. Zwei Minuten später erhellten sich zwei Fenster des ersten Stocks. Albrecht trat so weit von dem Hotel zurück, daß er beobachten konnte. Noch zehn Minuten bewegten sich die Schatten zweier Frauen in dem Zimmer, dann erlosch das Licht, und Albrecht, das Bild des reizenden Mädchens tief im Herzen tragend, ging nach seiner Wohnung.


[180]
III.
Das Portefeuille.


Nach einer ziemlich schlaflos verbrachten Nacht verließ Albrecht sein Bett. Das Portefeuille Amaliens war der Gegenstand seiner ersten Aufmerksamkeit. Lange hielt er das zierliche Buch mit der feinen Stickerei in seiner Hand, und wäre nicht der Drang nach Aufklärung so mächtig in ihm gewesen, er würde die Indiscretion nicht begangen haben, es zu öffnen. Amalie von Paulowska waren die ersten Worte, die er fand, sie standen mit Gold gestickt auf schwarzem Grunde. Der Name deutete also eine Polin an. Außer einer österreichischen Banknote von hundert Gulden fand er noch eine Karte mit der Aufschrift, Alphons von Funcal. Er hatte nicht mehr erfahren als er schon wußte. Sorgfältiger als sonst machte er heute seine Toilette, und bald befand er sich in der Hauptallee, wo er sie unter der glänzenden Menge von Kurgästen zu finden hoffte. Aber weder Amalie noch Herr von Funcal war zu entdecken. Die Zeit der Morgenpromenade verstrich, die Alleen wurden leer, und Albrecht hatte nichts weiter erlangt als die beunruhigende Vermuthung, daß der fromme Liebhaber in seinen Bewerbungen glücklich gewesen sei. Um zehn Uhr stand er vor dem Hotel à la couronne. Er stieg die Treppe hinan und suchte das Zimmer Nr. 10. Auf sein Klopfen forderte eine Frauenstimme zum Eintreten auf. Der junge Mann öffnete, und – Amalie trat ihm entgegen. Wie bestürzt grüßte sie den Besuch. Albrecht war wie geblendet von der Schönheit der Dame, und verwirrt suchte er durch gewöhnliche Phrasen seinen Besuch zu entschuldigen, ohne des eigentlichen Grundes zu erwähnen.

„Sie finden mich in einer traurigen Verfassung, mein Herr!“ sagte sie mit ihrer weichen, kindlichen Stimme.

„Ist Ihnen ein Unglück begegnet?“ fragte Albrecht, indem er sich auf dem ihm gebotenen Stuhle niederließ.

Amalie nahm auf einem kleinen Sopha ihm gegenüber Platz.

„Ich möchte es in diesem Augenblicke so nennen, und Ihnen gegenüber ein doppeltes Unglück.“

„Wie, mir gegenüber?“

„Nach dem Verluste, den ich diese Nacht gehabt, kann ich leicht in den Verdacht gerathen, als wollte ich einen nichtigen Grund suchen für – –“

Sie stockte und eine tiefe Röthe überflammte ihr Gesicht.

„Einen Grund – wofür?“ fragte Albrecht, der kaum seiner Sinne noch mächtig war.

„Ich muß es Ihnen bekennen, mein Herr,“ sagte sie mit gewaltsamer Fassung, „denn Sie haben Ansprüche an mich, die ich befriedigen muß. Ja, es muß scheinen, als wollte ich einen Grund suchen für meine Zahlungsunfähigkeit!“

„Ist es das?“ fragte Albrecht mit einem schmerzlichen Lächeln. „Wie bedauere ich, mein Fräulein, daß ich als ein ungeduldiger, wohl gar misstrauischer Gläubiger erscheinen und Ihnen einige peinliche Augenblicke bereiten mußte.“

„Wenn auch das nicht,“ flüsterte sie beschämt. „Ich bin Ihnen fremd, Sie sahen mich am Spieltische –“

„Und ich preise den Zufall, der mir dies Glück verschaffte.“

Sie verneigte sich schweigend mit einer bewunderungswürdigen Grazie.

„Sie vindiciren mir durch Ihre Annahme das Recht einer Forderung,“ fuhr Albrecht fort.

„Und was fordern Sie?“

„Daß Sie mir offen mittheilen, was Ihnen den Aufenthalt im Bade trübt. Nur unter dieser Bedingung halte ich es für gestattet, länger zu verweilen; ich würde, wenn Sie mich als einen Gläubiger betrachten, nicht einen Augenblick mehr – –“

Amalie sah ihren Besuch mit treuherzigen Blicken an. Sie befand sich in diesem Augenblicke durch einen Zufall, der nur schönen Frauen widerfährt, in einer Verfassung, die alle ihre Reize in dem hellsten Lichte zeigte. Nicht die einfache, geschmackvolle Toilette, nicht die für eine junge Dame ungewöhnlichen Verhältnisse oder die besondere Schönheit ihrer Körperformen verliehen ihr ein zauberisches Interesse, sondern die Mischung von Treuherzigkeit, Ueberraschung und Verschämtheit, die sich in ihren Blicken und Zügen aussprach.

„Sie wollen es?“ flüsterte sie. „Ich vermisse mein Portefeuille. Nicht wahr,“ fügte sie lächelnd hinzu, „das ist eine so gewöhnliche Ausrede, daß man Anstand nimmt, sich ihrer zu bedienen, selbst wenn man in der That den Verlust erlitten hat. Ich kehrte gestern von einem Spaziergange zurück – mein Portefeuille mit dem Inhalte meiner ganzen Kasse war dahin, mir blieb nichts als meine Börse mit einigen Ducaten. Da giebt mir ein Dämon den Gedanken ein, mit der kleinen Summe mein Glück im Spiele zu versuchen, um so rasch als möglich den Verlust zu ersetzen – jetzt, mein Herr, werden Sie mein Erscheinen an dem grünen Tische zu nehmen wissen.“

Daß sie die Wahrheit gesagt, wußte Niemand besser als Albrecht, der Finder des Portefeuilles. „Was aber bleibt ihr von der kleinen Summe,“ fragte er sich, „wenn sie die Spielschuld, die ich ihr als ein Geschenk nicht anzubieten wage, getilgt hat? Eine Ausgleichung ist nicht zu umgehen, wenn ich ihr den Fund zurückerstatte.“

„Sie haben ein Taschenbuch verloren?“ fragte er.

„Ja, mein Herr!“

„Das trifft sich gut –“

„Wie?“

„Ich habe eins gefunden.“

Amalie zuckte leise zusammen.

„Es trägt den Namen Amalie von Paulowska in Gold auf schwarzem Grunde,“ sagte sie.

„Ich habe es nicht geöffnet, mein Fräulein, da ich fremdes Eigenthum ehre.“

„Es war in ein weißes Tuch geknüpft!“ rief sie rasch aus.

„Hier ist es!“

Albrecht überreichte beide Gegenstände. Sie dankte durch eine graziöse Verneigung. Dann öffnete sie das Taschenbuch und präsentirte ihm die Banknote.

„Meinen Antheil an dem Verluste!“ sagte sie lächelnd.

„Ich bedauere, daß ich ihn nicht annehmen kann!“ „Warum? Warum?“ fragte sie lebhaft.

„Weil es mir unmöglich ist, den Inhalt einer Börse zu ermitteln, den das unglückliche Spiel verschlungen hat – selbst nicht annähernd!“ fügte er hinzu.

„Mein Gott, was ist da zu thun? Ich kann doch nicht Ihre Schuldnerin bleiben –“

„Sie machen mich zu Ihrem Schuldner.“

„Wie wäre das möglich?“ fragte sie erstaunt,

„Indem Sie mir das Taschenbuch als ein Andenken an Spaa und an das kurze Glück unsers Kennenlernens verehren. Ich setze dabei voraus, daß es Ihnen selbst nicht etwa ein theueres Andenken ist.“

„Es ist meine eigene Arbeit – hier ist das Buch!“ Albrecht küßte die schöne Hand der reizenden Geberin und verbarg das Buch in seiner Brusttasche. Nun erzählte er, wo er es gefunden.

„Ich pflege an dem Marienbilde meine Andacht zu verrichten!“ flüsterte sie. „Gestern ward ich gestört, und meine eilige Entfernung trägt die Schuld an dem kleinen Unglücke“,

„Sie verschweigt die Anwesenheit des Herrn von Funcal,“ dachte Albrecht. „Und es ist ja natürlich, da sie nicht verbunden ist, mir ihre Herzensgeheimnisse zu offenbaren.“

(Fortsetzung folgt.)




Die Industrie-Ausstellung in Paris.

Ein Janustempel des Friedens will sich wieder öffnen, während der Krieg sich bemüht, ihn geschlossen zu halten und sein Licht unter den Scheffel zu stellen, damit Mars um so ausschließlicher blitzen und donnern könne. Die Industrie-Ausstellung in Paris ist nicht nur eine Lebensfrage für Paris, sondern auch für die ganze westliche Civilisation. Gelingt sie nicht, macht ganz Paris bankerott und Barricaden, sagen manche Leute. „Das Kaiserthum ist der Friede,“ hieß es früher. Jetzt sagt dieselbe Autorität[WS 1], d. h. der Kaiser der Franzosen:

[181]

Der Palast der Industrie-Ausstellung in Paris.

[182] „Die Industrie-Ausstellung ist der Friede und noch mehr!“

Es wird gefürchtet, daß sie neben dem Kriege Fiasco machen könne, so daß alle möglichen Anstrengungen gemacht werden, den brüllenden Mars vorher zum Schweigen zu bringen. In Paris, wo Gewerbe und Handel und alle ihre Lebensquellen der Luxus-Industrie bedeutend siechen, haben Alle ihre Hoffnungen auf die Industrie-Ausstellung gebaut: Zimmer zu vermiethen, Hotels, Proviant-Speculationen, ungeheuere Vorräthe von Ladenhütern, Tausende von Arbeit- und Brotlosen – alle trösten sich bis zur Eröffnung des großen Friedenstempels.

So knüpft sich ein ungewöhnliches Interesse an diesen neuen Tempel auf den elysäischen Feldern, wo er sich unter bedeutender, wenn auch nicht sehr laut gewordener Opposition erhob, da er einen der schönsten Plätze der Welt in seinen lachenden Aus- und Fernsichten unterbricht und zwar auf die Dauer. Man will ihn nicht wieder abtragen, sondern zu einer bleibenden Schau- und Kultusstätte machen. Auch dieser Nebenumstand ist von Wichtigkeit. Es hängt von dem Erfolge ab, ob die Pariser den Verlust ihrer schönsten Promenade verschmerzen. Ob das große Unternehmen neben dem Kriege oder gegen ihn siegen werde, läßt sich jetzt noch gar nicht mit irgend einer Wahrscheinlichkeit voraussehen. Jedenfalls ist ihm der glänzendste Erfolg zu gönnen, da es unter allen Umständen zur Entwaffnung des barbarischen Mars beitragen und weiter ausbilden wird, was das eigentliche Vaterland der Industrie-Ausstellungen und die erste kosmopolitische Exhibition in London anlegten und begründeten.

Paris, die graciöseste Königin aller schönen Industrie, ist auch die Geburtsstätte der Gewerbe-Ausstellungen. Die erste nationale Schau der Art fand vor mehr als anderthalb Jahrhunderten statt, im Schlosse St. Cloud unter Präsidentschaft und auf Veranlassung des Marquis d’Avèze[WS 2] und zwar mitten im Schrecken der ersten großen Revolution. Die Leute schrien nach Arbeit und Brot. Er sammelte die Prachtwerke der Gobelins von Sèvres und Savonneir in seinem Schlosse zur Ansicht und zum Verkaufe. Bald wimmelte das Schloß von froher Gesellschaft, die schaute und kaufte und die Wuth der Revolution in sich und Andern milderte. Die nächste Ausstellung fiel in das Jahr 1801, im Louvre, und hatte so glänzenden Erfolg, daß schon im nächsten Jahre eine dritte folgte. Die andern vertheilen sich auf die Jahre 1806 (nach der Schlacht bei Jena) 1819, 1823, 1827, 1834, 1839, 1844 und 1849. Die letzte galt auch als die erste und vollkommenste, als ein Triumph des Geschmacks in der französischen Kunst, Technik und Industrie. Man hatte für sie ebenfalls einen besondern Tempel auf den elysäischen Feldern errichtet. Die Zahl der Aussteller betrug 4494. Die Franzosen waren die Ersten, welche der Industrie Kulturtempel erbaueten. Bei ihnen gehört dieser Kultus gewissermaßen schon zu den nationalen Institutionen mit systematischen, regelmäßig wiederkehrenden Ausstellungsfestlichkeiten. Da dieser Kultus auch bei andern civilisirten Völkern bereits Bedürfniß geworden ist, läßt sich erwarten oder wollen wir wenigstens hoffen und wünschen, daß der geflügelte Merkur und die aus sich selbst bewaffnete, Städte und Civilisation schützende Pallas Athene (welche bekanntlich schon im trojanischen Kriege für die Civilisation Partei nahm) diesmal einen recht gründlichen Sieg über den confusen, ideenlosen, entweder blos barbarisch brüllenden oder feig diplomatisch lispelnden Kriegsgott Mars feiere. Paris, das so oft durch Umstürzen von Wagen und Verstopfung der Straßen sich selbst und andere Völker zu falschen Freiheitskämpfen verführte, ist der Welt Beispiele wahrer Freiheit doppelt schuldig. Der umgestürzte Wagen ist nicht die wahre Revolution, sondern der gehende, fliegende, ungehindert Völker zu Völkern bringende, Ideen und Waaren befördernde und austauschende.

Der Ausstellungstempel ist, architektonisch genommen, eben so originell wie der kosmopolitische Krystalltempel im[WS 3] Hydepark zu London es war, eine Combination des Massiven und Substantiellen der Baukunst mit dem Luftigen und Leichten des Londoner Palastes. Die irdische Grundlage, die majestätische Hauptfront mit dem kolossalen Hauptthore in der Mitte sind eine edeler Körper für das große, gen Himmel gerichtete Auge des Daches, welches das Himmelslicht in voller Kraft herunter führt in die prächtigen und geschmackvoll decorirten einzelnen Gebiete der Nationen und der Kunst- und Industriezweige. Wir haben allen Grund anzunehmen, daß die innern Einrichtungen an Zweckmäßigkeit und Schönheit die des Londoner Tempels von 1851 bei Weitem übertreffen. Dafür bürgt schon der natürliche Formen- und der hochgebildete Kunstsinn der Franzosen. Was ihnen an politischer Freiheit, an Talent für staatliche Schönheit abgeht, hat sich um so vollkommener, graziöser in ihrer Industrie, in ihnen persönlich entwickelt. Der Engländer stolzirt mit seiner politischen Freiheit und ist dabei persönlich serviler als irgend eine unterdrückte Nation. Er mißbraucht seine Freiheit freiwillig zur Speichelleckerei gegen Lords, Banquiers, Bischöfe und sonstige Personen von Geld und Geltung. Der englische Arbeiter und Ladenbesitzer ist unangenehm höflich gegen Leute, die über ihm zu stehen scheinen. Der französische Arbeiter zeigt in seiner blauen Blouse im Vergleich zu dem englischen eben so viel persönliches Selbstgefühl, als höfliche, gebildete Formen, die dem Engländer bis in die höchsten Stände ziemlich abgehen. Der Engländer ist Sclave eines Mechanismus auch in staatlicher Beziehung, der Franzose hat immer etwas von der Noblesse, der Selbstbestimmung, dem Stolze des schaffenden und denkenden Künstlers, wenn er nicht durchweg einer sein sollte. Die Franzosen sind seit 1848 der Kulturgeschichte einen Beitrag schuldig. Jetzt wollen sie ihn liefern. Von Herzen wünschen wir, daß er sich als gelungen bethätige.




Ueber Frauenbestimmung.

Von Professor Biedermann.
II.
Die Frau im Hause, in der Gesellschaft, im praktischen Lebensverkehr.

Von allen Berufsarten der Frauen ist keine so entschieden durch die Natur ihrer Anlagen und ihres ganzen Wesens ihr vorgezeichnet, als der Beruf für’s Haus, für die Wirthschaft. Der den Frauen angeborne Trieb, mit dem Nächsten und Einzelnsten sich zu beschäftigen, ihre Gewandtheit und Beweglichkeit im persönlichen Verkehr, ihre Unermüdlichkeit und Elasticität im raschen Durchlaufen eines Kreises kleiner, scheinbar oft sogar kleinlicher, und doch nothwendiger Verrichtungen, macht sie vorzugsweise geschickt für die Uebernahme eines Berufs, auf welchen ohnehin ihre ganze Lebensstellung sie hinweist. Was den Mann ermüden, ja aufreiben würde, dieser stete Wechsel einzelner, kaum im Zusammenhange mit einander stehender Beschäftigungen, diese stete Unruhe des Anfangens, Abbrechens und Wiederanfangens an zehnerlei verschiedenen Punkten, diese Nothwendigkeit des raschen Abspringens von Einem auf’s Andere, der Mangel an stetiger, in einer Richtung ruhig fortschreitender Arbeit und die ewige Unruhe eines bunten Durcheinander – das ergötzt, fesselt, befriedigt die Frau, regt sie an zu immer frischer und immer am rechten Orte einschlagender Thätigkeit, versetzt ihr ganzes Wesen in jene für sie selbst angenehme, für ihre Umgebungen wohlthuende und dem Zwecke förderliche Erregung und Bewegung. Durch ihr sicheres persönliches Auftreten (ich spreche hier natürlich nur von der Frau, wie sie sein soll, der glücklich begabten und recht gebildeten) prägt sie der scheinbaren Regellosigkeit verschiedenartiger und wechselnder Vorkommnisse des Hauswesens eine feste Regel auf, bringt Ordnung und Plan hinein, ohne doch die Anmuth freien Behabens dem steifen Zwange eines pedantischen, ein für alle Male aufgestellten Systems aufzuopfern. Durch ihren feinen Sinn für Anordnung und Ausschmückung des Einzelnen, durch ihren Geschmack, durch ihr Gefallen an reizvoller Abwechselung weiß sie – die ächte Frau – auch im engsten Kreise und mit bescheidenen Mitteln überall jenes Behagen zu verbreiten, welches die erste Quelle [183] wahren häuslichen Wohlbefindens und wahrer Zufriedenheit zwischen den Genüssen eines Familienkreises ist und welches auf diesen ganzen Kreis, namentlich aber auf das Haupt desselben, den Mann, so angenehm, anregend und zugleich beruhigend, ja, man kann sagen, bildend und veredelnd einwirkt. Wenn alle Frauen den ganzen Umfang des wohlthätigen und weitreichenden Einflusses, den sie auf diesem Wege zu üben vermögen, recht begriffen, so würde es keiner Frau je einfallen, sich dieser nächsten Pflichten wegen ihrer scheinbaren äußern Geringfügigkeit zu schämen, nach einem andern Wirkungskreis oder einer andern Lebensstellung zu trachten oder auf irgend etwas stolzer zu sein, als auf den Ruf und die Würde einer ächten Hausfrau. Und wenn in allen Männern das rechte lebendige Gefühl für jenes häusliche Behagen, jene Ordnung und Anmuth der täglichen Umgebungen von früh an geweckt und immerfort wach erhalten worden wäre (was eben hauptsächlich Sache der Frauen ist) – so würde es ungleich mehr Zufriedenheit und Glück in den Familien, ungleich mehr wahre Zufriedenheit und Glück in den Familien, ungleich mehr wahre Achtung und zarte Erkenntlichkeit gegen die Frauen auf Seiten der Männer, ungleich mehr Sinn für Häuslichkeit im Allgemeinen und in Folge dessen manches Uebel in unserer Gesellschaft weniger geben, welches aus dem Mangel solcher Gesinnung entspringt.

In der Gesellschaft ist die Frau die natürliche Vertreterin und Hüterin jener leichten und doch gemessenen Formen geselligen Verkehrs, deren Werth man mit Unrecht bisweilen unterschätzt. Sie hat darüber zu wachen, daß in Bezug auf diese äußern Formen immerfort die rechte Mitte gehalten werde zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig, zwischen einem läppischen Spiel mit gedanken- und bedeutungslosen Redensarten und Ceremonien (in welcher eine frühere Periode unserer Geselligkeit sich all zu sehr gefiel) und einer geflissentlichen Verachtung und Vernachlässigung aller Höflichkeitsrücksichten, besonders gegen das andere Geschlecht (wodurch jetzt bisweilen ein Theil der Männerwelt sich auszuzeichnen sucht), zwischen überzierlicher Kleinmeisterei und ungelenkem Pedantismus, zwischen zu großer Freiheit und zu ängstlicher Beschränkung im geselligen Umgange. Wenn heutzutage oft darüber geklagt wird, daß der eine Theil der Männer in einseitiger Abgeschlossenheit sich von dem schönen Geschlecht in der Gesellschaft zurückziehe und absondere, ein anderer aber durch süßliches, geistloses Wesen die Frauen und Mädchen, mit denen er verkehre, verderbe, für eine ernstere, gehaltvollere Unterhaltung unempfänglich mache, so liegt die Hauptschuld in beiden Fällen am Ende doch an den Frauen selbst. Die Frau hat von der Natur den Beruf und die Fähigkeit, das Scepter der Herrschaft im geselligen Umgange der beiden Geschlechter zu führen; ihr eigenes Verschulden oder die Folge mangelhafter Bildung ist es daher, wenn sie dieses Scepter sich entwinden läßt, oder es nicht auf die rechte Weise gebraucht. Das ächte Weib (gleichviel, ob Frau oder Mädchen) übt im geselligen Verkehr einen so großen Zauber über den Mann, daß ihr gegenüber, auch der Ernsteste und Verschlossenste mittheilsamer, auch der Schüchternste muthiger, auch der Keckste und Eingebildetste bescheidener wird.

Die Frauen sind daher von jeher (wenigstens in der modernen Welt) die Bildnerinnen der Männer auf diesem Gebiete und die Tonangeberinnen geselliger Sitte gewesen. Zu der geselligen Unterhaltung bringt die Frau gerade dasjenige Element mit, welches hier recht eigentlich am Platze ist, das Talent geistiger Beweglichkeit, leichten Uebergehens von einem Stoffe zum andern, und dabei auch lebendiger Hingebung an jeden einzelnen, auch den unbedeutendsten, dadurch giebt sie dem Gespräche jene Mannigfaltigkeit, Leichtigkeit und Erregtheit, welche den Zweck, den alle Geselligkeit hat – dem Geiste durch Unterbrechung des gewohnten Gedankenganges und durch Ablenkung in eine leichtere und anregendere Beschäftigung Erholung zu gewähren, so wesentlich fördert. Die Frau mit ihrem regen Sinne und ihrem sichern Tacte für das Einzelne, Naheliegende, lockt den Mann gleichsam aus den Fernen und Tiefen seines Speculirens und Denkens herauf und heran an die unmittelbare Gegenwart, zwingt ihn, die reichen, aber oft schwerfälligen Schätze seines Wirkens und seiner Erfahrungen in die leichte gangbare Münze allgemeinverständlicher Umgangssprache zu verwandeln und hilft ihm so, Manches erst sich selbst recht klar zu machen, was ihm vorher und in allgemeinen unbestimmten Umrissen vor der Seele schwebte, Manches in seiner Anwendbarkeit für’s Leben zu erproben, was er bis dahin nur als ein erhabenes Ideal in seiner Phantasie hegte. Der bloße Umgang von Männern unter einander kann diesen anregenden und bildenden Einfluß der Frauen auf die Entwickelung und die Thätigkeit des männlichen Geistes niemals ganz ersetzen. Der Mann, dem Manne gegenüber, spricht und verhandelt fast immer nur als Vertreter irgend eines allgemeinen Standpunktes – des Berufs, des Standes einer politischen Partei oder einer wissenschaftlichen Richtung – selten giebt er sich rein als Mensch, nach seinem eigensten, innersten, individuellsten Wesen. Erst der Frau, ihr, deren Natur es mit sich bringt, in ihrem eigenen Sein wie in der Auffassung eines Fremden immer das persönliche Moment hervorzukehren, mag es wohl gelingen, auch an dem Manne jenes innerste, so zu sagen, menschlichste Gemüthsleben zu erschließen und in Thätigkeit zu versetzen, welches derselbe im Umgang mit seines Gleichen und im gewöhnlichen Lebensverkehr oft lange Zeit hindurch gänzlich unentwickelt und verschlossen in sich herumträgt. Ohne dieses ergänzende Element der Frauen würde daher der gesellige Verkehr eines wesentlichen Förderungsmittels entbehren und an einer Einseitigkeit leiden, welche selber auf die ernsteren Beschäftigungen der Männer nachtheilig zurückwirken müßte. Es ist kein geringer Vorzug, den die französischen und englischen Gelehrten, Dichter und Schriftsteller vor den Deutschen voraus haben, daß dort mehr als bei uns im Durchschnitt, eine entwickelte und besonders eine von den Frauen belebte Geselligkeit besteht, welche ihnen nicht nur Gelegenheit, Stoff und Anregung zu vielseitigerer Beobachtung des Lebens und der Charaktere bietet, sondern sie auch in der Abklärung und Durchbildung ihrer für die Oeffentlichkeit bestimmten Ideen wesentlich unterstützt.

Im praktischen Lebensverkehr, im Handel und Wandel, giebt es allerlei Geschäfte, wofür die Frauen, sei es wegen ihres leichtern Sichzurechtfindens in einem bunten und wechselnden Detail, sei es wegen ihres Talents persönlicher Verhandlung, sei es wegen der Feinheit ihres Geschmacks und der Geschicklichkeit ihrer Hände, vorzugsweise geeignet erscheinen. Manche dieser Geschäfte sind ihnen bereits durch Sitte und Herkommen eingeräumt; manche andere könnten ihnen vielleicht ebenso gut noch überlassen werden; man würde dadurch männliche Kräfte sparen, welche anderwärts besser zu verwenden wären, und man würde dem schwächeren Geschlechte Gelegenheiten zu nützlicher Beschäftigung und zu selbstständigem Lebenserwerbe eröffnen, welche besonders für die alleinstehenden Mitglieder desselben großen Werth hätten. So z. B. dürften für Beschäftigungen wie die der Barbiere, Friseurs, Conditoren, Kaffeewirthe, für die Fertigung von Kleidern und Putz aller Art für das weibliche Geschlecht, für Posamentirerei, Papparbeiten und selbst die meisten Theile der Buchbinderei, ferner für alle Zweige des Detailhandels Frauen recht wohl, ja besser, als die Männer sich eignen, und zwar nicht blos als Arbeiterinnen, sondern auch als selbstständige Geschäftsunternehmerinnen. Leider steht unsere bürgerliche und gewerbliche Gesetzgebung großentheils einer solchen Einrichtung hindernd oder doch erschwerend entgegen. In Frankreich, der Schweiz und andern Ländern ist man darin weiter als bei uns. Nicht nur finden sich dort weit häufiger Frauen als Arbeiterinnen, Geschäftsführerinnen oder Unternehmerinnen in allerhand Zweigen des Kleinhandels und der Gewerbe (in Paris wird ein großer Theil des Kleinhandels lediglich von Frauen besorgt, in der freien Schweiz findet man weibliche Barbiere u. s. w.), sondern sogar in manchen öffentlichen Stellungen hat man sie, und wie es scheint, mit gutem Erfolge verwendet. In den vereinigten Staaten von Nordamerika gab es im Jahre 1853 über hundert Postmeisterinnen, und in Frankreich befindet sich ebenfalls ein Theil dieser Geschäfte in weiblichen Händen.

[184]
Ein Türke.

Hyder Ali, den ich schon in Berlin als einen Theil der frühern türkischen Gesandtschaft hatte kennen lernen, begegnete mir neulich plötzlich in London. Wir erneuerten beiderseits unsere Bekanntschaft mit Herzlichkeit und besuchen uns nun gegenseitig zuweilen. Gestern trat er zu mir ein in der Dämmerstunde und grüßte mich in der üblichen, würdigen türkischen Weise: „Möge Ihr Abend glücklich sein!“ (aber auf Französisch, das er allein von allen fremden Sprachen flüssig sprach, so daß unsere ganze Unterhaltung französisch blieb.) Der üblichere, familiäre türkische Gruß: „Salem aleikum!“ (Friede sei mit Euch!) ist blos unter Muselmännern selbst Sitte. Ich wollte es ihm so behaglich als möglich machen, nöthigte ihn auf den englischen Couch“ (breites Sopha) und bot ihm eine Cigarre an, wozu ich Kaffee bestellte. Er verweigerte die Cigarre entschieden und sagte, daß der noch nie habe begreifen können, wie die „Franken“ selbst in Paris und London sich des Tabacks in einer so rohen Weise erfreuen könnten. „Wir lieben das Aroma, den Geist,“ fuhr er fort, „und destilliren selbst den Rauch durch das Wasser der Nargili. Es ist eine höhere, reinere, geistigere Art zu rauchen. Wir verunreinigen unsere Lippen nie durch eine Cigarre.“ Da ich keine Nargili hatte, wußte ich mir erst nicht zu helfen, schickte aber bald zu einem benachbarten Freunde, der wenigstens eine Chibuck-Pfeife hatte, und borgte mir sie. Ich füllte den kleinen Kopf mit englischem „Birds-eye“ („Vogelauge“, der gebräuchlichsten Sorte in England), stellte das metallene Pfeifenbrett auf den Fußboden, schrob das bernsteinbespitzte Kirschbaum-Rohr daran, legte eine Kohle auf den Taback (ein Fidibus ist dem Türken unmöglich), reichte ihm die Spitze und meinte nun, es ihm heimathlich gemacht zu haben, zumal da ich ihm auch den Kaffee in türkischer Manier schwarz mit dem „Satze“ und ohne Zucker in einem Glase bot. Er berührte die Bernsteinspitze dann und wann mit den Lippen, nahm einen „Paff“ und fuhr fort zu schweigen.

Nach einer Weile glaubte ich etwas sagen zu müssen und brach eine Gelegenheit vom Zaune der Gegenwart. „Apropos,“ frug ich, „wie geht es denn zu, daß die Türken, welche die Moskowiter (Russen heißen bei ihnen immer so) bei Oltenitza, Citate u. w. w. so tapfer schlugen und Silistria so heldenmüthig zu vertheidigen wußten, sich jetzt als Gassenkehrer der Alliirten in Balaklava brauchen lassen?“

„Ihr habt wahrscheinlich nicht von Amru, dem Sohne Madikarl’s gehört,“ war die Antwort, „dem Araber in den Zeiten der ersten Chalifen. Der Ruhm seines unüberwindlichen Schwertes war so groß, daß Omar, der Chalif, an ihn schrieb, er möge dieses Schwert in seinen Palast senden. Amru sandte es mit pflichtschuldiger Ehrerbietung; aber schon nach einigen Tagen kam eine Gesandter Omar’s zu ihm, daß das Schwert seinem Ruhme durchaus nicht entspreche und nicht besser sei, als jedes andere. Darauf sprach Amru: „Das ist wahr. Ich habe blos mein Schwert gesandt, nicht auch den Arm, der es zu schwingen weiß.“ Darauf sandte Omar zu Amru selbst und brachte Schwert und Helden zusammen, so daß er mit demselben der Schrecken aller Ungläubigen blieb. Die Alliirten haben aber durchaus nichts gelernt vom Chalifen. Sie verlangten blos das Schwert, nicht den Arm, der es schwingt, den Arm, den sie außerdem noch zu fesseln versuchen. Und nun sind sie doch zornig, daß sie das Schwert werthlos finden.“

Diese Anspielung auf Ausmerzung der einzigen Helden, welche die türkische Armee allein zu schwingen verstanden, die auf Oesterreichs Veranlassung vorgenommene Ausscheidung der Renegaten-Offiziere, welche den Stab Omer Paschas bildeten, war ganz im orientalischen Style gehalten, wie Hyder Ali überhaupt alle guten Seiten des Türkenthums beibehalten zu haben scheint, so viele Jahre er sich auch schon im „civilisirten Westen“ aufhielt.

„Aber Amru,“ erwiederte ich, mich möglichst seiner Ausdrucksweise anbequemend, „war nur ein Sterblicher. Was war das Schicksal seines Schwertes?“

„Allah ordnete es so,“ antwortete er, „daß Amru’s Schwert immer einen Arm, es zu schwingen, fände, so oft es gilt, es gegen Unrecht und Anmaßung zu führen. Wir finden es noch einmal in unserer Geschichte erwähnt. Als der byzantinische Kaiser Nikephoros den Tribut an Harun al Raschid, den großen Chalifen, verweigerte (obgleich ihn die Kaiserin Irene versprochen) und statt des Goldes ein Dutzend Schwerter sandte, nahm Harun Amru’s Schwert und hieb die zwölf griechischen Schwerter mit einem Streiche durch, als wären es Rüben. „Wenn ihr keine bessern Klingen in eurem Lande habt,“ sagte Harun zu den Gesandten, „so nimm diese Stücke zurück und bezahlt den Tribut, wie bisher.“ Aber sie verweigerten das Gold, und Harun nahm Amru’s Schwert und holte es sich, wenigstens die Stadt Erekli am schwarzen Meere, die ihr Heraclea nennt.“

„Harun,“ engegnete ich, „bekam in Heraclea eine Goldmine, obgleich er sie nicht erkannte. Und eure unthätige Regierung denkt noch bis heute nicht daran, sie sich zu Nutze zu machen. Hat man nicht bei Heraclea ein reiches Bett von Anthracit-Kohlen entdeckt? Haben wir nicht Recht, euer Volk Barbaren zu nennen, da ihr euch durchaus nicht zu industriellen Unternehmungen entschließen könnt?“

Hyder Ali behielt seine größte Seelenruhe und erwiederte mit der kältesten Würde: „Wir nehmen von Erekli gerade so viel Kohlen, als wir für unsere Dampfschiffe brauchen. In unseren Häusern lieben wir sie nicht, wie die Engländer thun. Von diesen Engländern haben wir auch gelernt, daß Baumwollemachen und Machen von allem Möglichen, um nur Geld für sich und keinen Menschen, nicht einmal sich selbst glücklich zu machen, für uns nicht paßt. Wir lieben es nicht, unser Leben zu opfern, um viel Geld zu hinterlassen, uns und unsere Herzen gegen unser eigenes Glück und das Recht der Andern zu verschließen, um sagen zu können: wir haben viel Geld. Wozu mehr Dinge schaffen, als wir zum ruhigen, einfachen Leben brauchen? Wozu Kohlen haben, die wir nicht verbrennen wollen? Die Engländer wollten Kohlen verbrennen. Die Armee bei Balaklava brauchte Feuerung. Sie schifften ihre Kohlen nach Malta, von Malta nach Corfu, von Corfu nach Balaklava, und ließen ihre Soldaten erfrieren und verhungern, während Erekli, die „Goldmine“, die Jeder kennt, Balaklava gerade gegenüber liegt. Warum gaben sich die gebildeten Franken nicht selbst den guten Rath, den sie brauchten? Mögen die Franken unsere Kohlen brennen, wir haben nichts dagegen. Ihr dürft uns nicht für eure eigenen Fehler tadeln.“

Ich merkte, daß er sich etwas verletzt fühlte und lenkte das Gespräch auf die glänzende, poetische, gebildete, weise Periode Harun al Raschids zurück. Er pries ihn mit glühender Malerei und erzählte folgende Anekdote:

„Der Chalif hatte manche Umdrehungen des Schicksals erfahren, aber sein Glaube blieb ungewunden und stark. Sein Vater al Maadi überließ die Sorge seiner Regierung seinen beiden Söhnen gemeinschaftlich, damit sie mit vereinten Kräften Recht übten und den Islam ausbreiteten. Aber der ältere Bruder weigerte sich, gerecht gegen den jüngern Bruder zu sein, verstieß ihn und beraubte ihn all seines Rechtes und seiner Habe. Al Hadi hieß der ältere, der jüngere war Harun al Raschid. Der letztere stand nun beraubt all seiner Güter an der Brücke des Tigris und sah zu, wie die Wogen des Flusses alle nach dem Meere liefen unaufhaltsam, ohne daß eine wiederkehren dürfte. Und so dachte er, wie auch sein Glück gegangen sei, eins nach dem andern, und keins wiederkehrte.

Nur seines Vaters kostbarer Ring war ihm geblieben, dessen er sich sehr freute im Glanze der Sonne auf der Brücke des Tigris. Der Schein seines Edelgesteins war ihm die letzte Bürgschaft seiner geschwundenen Größe. Aber in demselben Augenblicke kamen Boten von Al Hadi, welche den Ring zurückverlangten. Harun nahm ihn von der linken Hand, hielt ihn noch einmal gegen die Sonne, warf ihn in die Wogen des Tigris und sprach zu den Boten:

„Erzählt Eurem Meister, daß alle seine Macht diesen Ring nicht zurückbringen kann. Er ist begraben im Bette des Tigris, wo ihn kein Taucher finden kann. Soll ich das letzte Zeichen meiner Geburt verlieren, will ich wenigstens es nicht ihm geben, der mich beraubt hat aller meiner Rechte.“

Al Hadi versprach dem Taucher, der den Ring wiederbringen würde, einen königlichen Preis, aber der Fluß hatte ihn verschlungen und gab ihn nicht heraus.

[185] Fünf Monate später stand Harun auf derselben Brücke. Sein Bruder war gestorben und hatte ihm die Alleinherrschaft über das große Reich hinterlassen müssen. Umjauchzt von dem frohlockenden Volke ritt er triumphreich in seinen Palast. Auf der Brücke fiel ihm die Wendung des Glückes in den Sinn. Er nahm jetzt seinen bleiernen Ring, den er bisher als Zeichen seines Unglücks getragen, vom Finger und warf das letzte Zeichen seines Elends in die Fluth.

„Auf nun, Taucher!“ rief er, „hinab! Zehn Beutel Goldes für den, der mir den Ring kann wieder zeigen!“

Große Massen von Schwimmern und Tauchern sprangen hinab in die Fluthen und verschwanden. Der Erste, der wieder auftauchte schwang freudig einen Ring in der Hand. Es war der Juwelenring des Vaters. Den bleiernen fand Niemand wieder.“

„Danke für diese schöne Version des griechischen Polykrates-Ringes!“ rief ich. „Es ist eine sinnige Verbesserung der Sage. Doch warum so lange bei alten Geschichten weilen? Warum bekümmert sich euer Volk überhaupt nicht gern um die Gegenwart und liest keine Zeitungen?“

„Ich kann diese eure Zeitungspapiere nicht lesen, Herr!“ rief er mit Entrüstung, „sie ekeln mich an. Ich verstehe sehr wohl die Worte der französischen und englischen Zeitungen, aber ich finde nicht den Werth und Sinn darin, den Ihr Franken darin sucht. Ich bin bekannt geworden mit vielen jener Männer, welche eifrig Profession daraus machen, die öffentliche Meinung zu fabriciren, just wie der Weber sein Zeug zusammenwirkt. Ich kam öfter mit ihnen in londoner und pariser Gesellschaften zusammen und sah, daß sich Niemand viel um das bekümmerte, was sie sagten, weil sie als Personen bekannt waren, die nicht viel zu sagen und keinen besondern Werth haben. Sobald nun aber dieselben Personen unbekannt werden und als Unbekannte, ihrem Namen und ihrer Person noch nicht zu Entdeckende ihre Worte und Meinungen in großen Papieren drucken lassen, werden sie als Meinung der Nation, als öffentliche Meinung geachtet und gewinnen Einfluß auf Eure Gesetzgeber und Minister, welche nicht die geringste Notiz von dem unbekannten Schreiber selbst nehmen. Ich bin in Ava, der großen Stadt des birmanischen Reiches, gewesen und habe gesehen, wie das Volk vor dem Priester niederkniet, wenn er seinen großen, gelben Mantel trägt; wenn er ihn aber wusch und auf eine Stange zum Trocknen hing, gingen sie ohne das geringste Zeichen von Ehrfurcht vor ihm vorbei. Sie werfen sich blos vor dem gelben Kleide nieder. Ihr Franken nennt die Birmanier Barbaren, aber seid Ihr besser? Sind diese Engländer hier nicht viel schlimmer, welche sich, wie es der Punch neulich abbildete, vor einem mit einem Staatsmantel angethanen und an einen Stammbaum gelehnten Perrückenholzkopf niederwerfen, obgleich sie die Freiheit haben, auf ihren eigenen Füßen stehen zu bleiben und auf ihren Kopf zu bestehen?“

Ich mußte Beifall lächeln, so unangenehm mir auch seine einleuchtende Wahrheit die Augen drückte.

„Sie haben in mancher Beziehung Recht,“ erwiederte ich, „aber gegen die Zeitungen sind Sie zu streng. Sie verstehen die Institutionen des Westens noch nicht zu würdigen, von denen die Presse eine der wichtigsten und segensreichsten ist. Haben wir nicht Ge- und Verbrechen zu rügen und große Männer öffentlich anzuerkennen?“

„Große Männer?“ fragte Hyder Ali mit einem ungemein großen „Paff“ aus dem Chibuck, indem die beiden großen Augen mit ungemein viel Weiß aus der Dunkelheit unter dem rothen Fez strahlten. „Wenn Ihr wirklich große Männer habt, um so schlimmer für Euch. In den Zeitungen find’ ich keine. Die Presse läßt sie in England nicht aufkommen, in Frankreich giebt es gar keine Presse. Ihr liebt und begreift die großen Männer nicht. Ein Franke in meinem Lande hatte einen gefährlichen Weg vor sich voller Felsen und Gruben und Deiche. Sein arabischer Führer brachte ihm ein Kameel und einen Esel, um auf einem von beiden den Weg zu reiten. Der Franke sah sich das Kameel an, wie es mit hochgerichtetem Kopfe gerade aus in die weite Ferne sah, ohne auf seine Füße zu sehen, und hielt es deshalb für unsicher. Der Esel dagegen, der seinen Kopf zur Erde bog und gewissenhaft seine Füße besah und den Weg dicht vor sich, gefiel ihm. Er genoß sofort das Vertrauen des Franken. Er bestieg den Esel, der Araber das Kameel. Der arme, gewissenhafte Esel stolperte über jeden Stein auf dem Wege und fiel in den ersten Deich mit seinem Reiter, während das Kameel mit hochgerichtetem, weithinsehendem Haupte stolz dahinschritt über Steine und Gruben.“

„Wie kommt es,“ rief der abgesetzte Reiter des Esels, „daß der Esel mit aller seiner Gewissenhaftigkeit und Aufmerksamkeit auf jede nahe Gefahr stolpert und fällt, während das Kameel, ohne einmal auf den Weg unter sich zu sehen, die Gefahren vermeidet oder überschreitet?“

„Der Esel,“ erwiederte der Araber, „hält seinen Kopf so nahe zur Erde und betrachtet nur das Nahe und Einzelne (wie Eure Staatsmänner und Eure Zeitungen – fügte Hyder Ali halblaut hinzu) und sieht die Gefahr erst, wenn sie so nahe ist, daß er sie nicht mehr vermeiden kann; das Kameel sieht den Feind schon in der Ferne und seine Füße gehorchen dem Haupte.“

Hyder Ali hatt seine Pfeife auf delicate, künstlerische, sparsame Weise ausgeraucht. Er erhob sich gravitätisch und sprach:

„Möge Ihre Nacht glücklich sein, Herr!“ und so ging er, ohne sich noch einmal umzukehren, obgleich ich ihn mit dem schnell angezündeten Lichte bis an die Thür begleitete, als wollt’ er mein Nachdenken über seine Parabel mit keiner Silbe mehr stören. Indem ich darüber nachdachte, schrieb ich sie nieder, aber für keine Zeitung, sondern für ein gemüthliches Blatt, das sich nicht, wie der Essel, mit blos naheliegenden, für den Tag geltenden und flatternden Fliegen und Gefahren beschäftigt, sondern ein Verdienst darin sucht, die Leser durch ewige Wahrheiten in der Natur und im Menschenleben zu beruhigen, zu erheitern und so über die Steine des Anstoßes hinweg tragen zu helfen.

Dieses Gespräch mit dem Türken ward nicht als interessant und wichtig in sich mitgetheilt, sondern als ein Hülfslicht für die Betrachtung eines Volkes und einer Kultur, woran wir alle Antheil nehmen, da die Geschichte offenbar die Absicht hegt, eine bedeutende Aenderung damit und unmittelbar auch mit uns vorzunehmen.




Dem Andenken zweier deutschen Eroberer.

„Während der Löwe noch als König der Wüsten Afrika’s durch die Nacht brüllt, und am Tage die schwarzen und braunen Stämme von Menschen sich gegenseitig berauben, bestehlen, verkaufen und morden, haben ein halbes Hundert von Europäern die ersten Kulturstraßen durch die Wüste und von allen Seiten nach dem Innern geschlagen. Bald wird die Bibel und der Baumwollen-Ballen, der Missionär und der Palmöl-Reisende[1] folgen, und das von der Seele der Segel oder dem Dämon des Dampfes beschwingte Schiff Alles bieten, was den neu- und wißbegierigen Civilisationstrieb dieser bisher von der Kultur ausgeschlossenen Stämme befriedigen, ihr Leben veredeln und ihre Menschenwürde ausbilden mag. Wissenschaft und Geschichte werden sich diese zum ersten Male gezeichneteten[2] Fußstapfen der ersten central-afrikanischen Apostel merken. Und kräftige Jahrzehende mögen dankbar und in gebührender Andacht vor den einsamen Gräbern bei Maduari und Ungurutua stehen bleiben, in welche die ersten Opfer der heldenmüthigen Aufgabe, das Innere Afrika’s für den neuen, frischen Blutumlauf einer rund um die Erde fließenden Menschheits-Kultur zu erobern – ein Engländer und ein Deutscher – Vertreter dieser Grenzen verachtenden Kultur – versenkt wurden.“[3]

[186] Als ich eine Uebersicht der bisherigen Entdeckungen und Expeditionen Richardson’s, Barth’s, Overweg’s und Vogel’s in Afrika mit diesen Worten in einem andern Journale schloß, dachte ich nicht daran, daß sich jene beiden einsamen Grabhügel so bald um einen dritten vermehren würden, denn der nun ebenfalls verstorbene Hauptheld, Dr. Barth, war eben in Timbuktu, jener fabelhaften Hauptstadt im Innern Afrika’s, wohin noch kein Europäer gedrungen war, angekommen, um seinen Entdeckungen und Forschungen die größte wissenschaftliche Abrundung zu verschaffen. Sie waren schon damals bedeutender als die aller andern vierundzwanzig englischen Forschungsreisenden in Afrika zusammen genommen. Durch ihn und seine drei Freunde war A. Petermann in London in den Stand gesetzt worden, tausende von Geviertmeilen im Innern Afrika’s, bis dahin ganz leere, weiße Stellen auf den Karten, mit Staaten, Städten, Dörfern, Flüssen und Gebirgen in geographischer Genauigkeit und technischer Meisterschaft zu bevölkern. Durch sie war die englische Regierung in den Stand gesetzt worden, eine große Dampfschiff-Expedition auszurüsten und durch Flüsse, die vorher noch Niemand geahnt, nach dem Innern zu richten, wo die Sonne das Palmöl kocht, aus dem London für die halbe Welt Lichter zieht, ohne durch den ausgebliebenen russischen Talg incommodirt zu werden.

Dr. Heinrich Barth.

Adolph Overweg.

Dr. Barth war im Anfange des vorigen Jahres nach einer heldenmüthigen Reise durch unbekannte, hundertmeilige Strecken und feindliche, fanatische Völker in Timbuktu angekommen. Sein Brief von dort, der im März ankam, war ein wissenschaftliches Ereigniß, in alle europäischen Sprachen übersetzt und in allen geographischen Gesellschaften vorgetragen. In diesen Briefen theilte er seinen Entschluß mit, Timbuktu nach siebenmonatlichem, doppelt lebensgefährlichem Aufenthalte wieder zu verlassen. Körperlich und in moralischer Kraft ein Held, kämpfte er fortwährend nicht nur mit dem Klima, sondern auch mit dem muhammedanisch-religiösen Fanatismus der Bewohner, gegen deren religiöse Mordlust ihn nur Briefe von afrikanischen Staatsoberhäuptern und das ausgesprengte Gerücht retteten, daß er Gesandter eines gläubigen Herrschers sei und er selbst Allah für groß und Muhamed für seinen Propheten halte. Bis jetzt ist nichts Näheres über seinen Tod bekannt. Erst Dr. Vogel aus Leipzig, der inzwischen durch die große Wüste im Innern, am Tsadsee angekommen war, wird mit der Zeit bestimmtere Auskunft geben können. Er schickte einen Bevollmächtigten nach Timbuktu, um dessen Papiere und wissenschaftliche Hinterlassenschaft in Anspruch zu nehmen. Erst durch diese und Nachrichten von Ort und Stelle wird es möglich werden, dem kühnen, tapfern, großen Forscher und wissenschaftlichen Eroberer ein würdiges Denkmal zu setzen. Wahrscheinlich ist er im Mai oder Juni 1854 am Klima gestorben, wie sein Freund Overweg, wie sein englischer Freund Richardson, wie ein Reisegefährte Dr. Vogel’s, Mr. Warrington.

Dr. Heinrich Barth war ein Hamburger, geboren am 19. März 1821, starb also in seiner kräftigsten Mannesblüthe, ein Opfer von Heldenthaten und Eroberungen, deren Pfade nicht mit Schlachtfeldern und Leichen, verwüsteten Städten und verbrannten Dörfern bezeichnet wurden, sondern mit dem ersten Aufblühen des Kulturlebens unter umnachteten Völkern, durch die bedeutendsten Revolutionen im Cannabich, im Atlas, in den geographischen Gesellschaften, in Handel und Industrie. Möge eine liebende Schwester, die so sehr seiner Rückkehr entgegen hoffte, einigen Trost darin finden, daß er als ein solcher Eroberer seinem großen Zwecke erlag. Es kommt für solche Verdienste nicht auf die Zahl der Jahre an, obgleich wir fühlen, daß das Herz in solchem Troste keinen genügenden Halt finden kann.[4]

Das Portrait des Verstorbenen, nach einer Photographie, verdanken wir Herrn A. Petermann für den Zweck der Veröffentlichung in diesen Blättern, eben so das Overweg’s.

Adolph Overweg, geboren am 24. Juli 1822, erlag am 27. September 1852 in Maduari bei Kuka am Tsadsee einem Fieber in Folge einer im wissenschaftlichen Eifer unbeachtet gelassenen Erkältung.

Um in gedrängtester Kürze eine Vorstellung von den Verdiensten der beiden Verstorbenen zu geben, machen wir darauf aufmerksam, daß die drei Reisenden zusammen (ohne die neuesten Vogel’s) etwa 500 geographische Meilen mehr, als die ganze Länge Afrika’s beträgt, im Innern durch Wüsten und noch nie von Europäern betretene Strecken in den verschiedensten Richtungen forschend und entdeckend zurücklegten, im Ganzen über 1200 geographische Meilen. Die Hauptergebnisse dieser Reisen sind vorläufig (ohne die befruchtenden Folgen, die sich daraus entwickeln) genauere Kenntniß eines großen Theils von Nordafrika und der vorher noch nie durchwanderten Sahara, Entdeckungen im Lande der Tuariks, vom 15. bis zum 26. Grade nördlicher Breite nomadisch und kriegerisch auf Kameelen die Wüste durchstreifen, und des Königreichs [187] Aïr oder Asben, das gerade wie ein Ei im Wüstensande zwischen dem 17. und 20. Grade (6. und 8. Länge) als Gebirgsland sich erhebt; die Entdeckungen innerhalb der ungeheuern Ausdehnungen zwischen Guber und Mariadi im Westen, und Darfour im Osten vom 5. bis zum 15. Grade des Aequators, besonders in den Staaten Sudan, Bornu, Fumbina (Adamana), Bagirmi, den Fellata-Districten u. s. w., lauter Ländern, in welche vorher noch kein Europäer eingedrungen war. Das Verdienst, hier zuerst als Pioniere der Civilisation erschienen zu sein, gebührt ausschließlich Barth und Overweg. Die von ihnen zuerst empfangene geographische, geologische, hypsometrische, philologische und ethnologische Kenntniß dieser Länder und Völker bildet nicht nur eine neue Epoche in der geographischen Wissenschaft von Nord- und Centralafrika, sondern auch in der Geschichte des bis daher verschlossenen afrikanischen Continents. Der von Barth entdeckte Fluß im Innern (Benué) hängt wahrscheinlich mit den Flüssen Chadda und Kowara zusammen, welche sonach aus dem Golf von Guinea, in welche sie mit vielen Armen münden, viele Hunderte von geographischen Meilen in das tiefste Innere des ungeheuern Welttheils führen und als bereits geebnete Handels- und Civilisationsstraßen einer unabsehbaren Entwickelung von Palmöl-Pflanzungen, von blühenden Städten und Dörfern an ihren üppig blühenden Ufern hin fähig sind. Die jetzt mit näherer Erforschung jener Flüsse beschäftigte Dampfschiff-Expedition giebt bereits nach den bisher eingetroffenen Nachrichten Hoffnung, daß sich Barth’s Vermuthung bestätigen und somit auf einmal der Schlüssel in das Herz Afrika’s gefunden sein werde.

Die Ergebnisse eines langen Verkehrs unserer Reisenden mit den Hauptvölkern dieses Theiles von Afrika, den Tuariks, Fellata’s, Bornuesen und andern braunen, berberischen (nicht Neger-)Völkern reichen als Anknüpfungspunkte für Missionäre, Industrie und Handel sprachlich und ethnologisch vollkommen hin. Mächtiger als alle kirchlichen und künstlichen Bekehrungs- und Civilisirungsversuche ist das Interesse und der Trieb jener Völker, Produkte und Fabrikate der europäischen Industrie kennen, gebrauchen und erwerben zu lernen. Hunderte von Meilen weit laufen sie schon durch brennenden Sand mit einem Säckchen voll Palmölfürchten, um sich ein Stückchen Kattun, Zeug zu ein Paar Nankinghosen, einen Spiegel, zu klein als daß man die Nase auf einmal darin sehen könnte, und sonstige Kleinigkeiten einzutauschen. Eine afrikanische Dampfschiffsgesellschaft, welche das Palmöl tausendtonnenweise holt, um die große Stearinkerzenfabrik in London zu versorgen, bezahlt die dortigen Könige auch schon mit gußeisernen Häusern. Der Trieb, sich mit diesen Bequemlichkeiten und Schönheiten des Lebens zu versehen, ist bei diesen Völkern, großen Kindern, so mächtig, daß sie ihre Sclavenjagden und Räubereien vergessen und eifrig friedliche Palmöl-Kultur treiben.

Unter den vielen einzelnen und gemeinschaftlichen Reisen Barth’s und Overweg’s ist die des letzteren in den auf lauter Inseln des Tsadsees verstreuten Staat der Bidduma’s jedenfalls die interessanteste. Die Reisenden hatten ein ganzes Boot in Stückchen, auf Kameelen durch die Wüste Sahara mitgebracht und es am Ufer des Tsadsees von arabischen Zimmerleuten wieder zusammenfügen lassen. Auf diesem Boote, dessen lustig-schwellende Segel die Bewohner wie ein Wunder anstaunten, stach Overweg am 28. Juni 1851 in den bis dahin noch völlig unbekannten Tsadsee und fuhr darin zwischen einem unendlichen Labyrinthe von großen und kleinen, üppig mit Bäumen, Blumen und seltsamen Pflanzen geschmückten Inseln bis zum 8. August umher, umtanzt und umjauchzt von freudig aufgeregten, neugierigen, schwarzbraunen Biddumanern und deren weiblichen Schönheiten, die nach einem an Herrn Petermann mit eingesandten Portrait der Frau eines hochgestellten Biddumaners zu schließen, wirklich nicht übel aussehen, wie sie dann eben so naiv als gefällig und ungenirt in ihrem Benehmen waren.

Die Bidduma’s waren durchweg ungemein gefällig und zuvorkommend gastfreundschaftlich gegen den ersten Weißen und Weisen, der unter ihnen erschien. Der König war ihm sogar entgegengefahren, um ihn vom Gestade abzuholen, aber zu spät gekommen. Sie führten ihn auf den verschiedenen Inseln in die schönsten Gegenden, halfen ihm sein Zelt aufschlagen, brachten ihm Milch und Früchte und was sie sonst von ihren Produkten bieten konnten. Und doch sind sie ein professionirtes Volk von Räubern, das Rittervolk Mittelafrika’s. Wenn sie Geld, d. h. Vieh brauchen, fahren sie nach den Gestaden ihres Sees und nehmen den Bewohnern weg, was sie bekommen können. Dies ist kein Krieg, sondern nur eine Art von unorganisirter, barbarischer Steuereintreibung.

Ein schöner Menschenschlag sind diese Bidduma’s, lebendig, rührig, ritterlich, schwarzbraun, spitznasig, mit kleinen Einschnitten unter den Schläfen, mittelmäßig groß, anständig in dunkle Ueberwürfe gekleidet, reichlich geschmückt mit rothen und weißen Perlen und Elfenbeinschnitzwerk. Das weibliche Geschlecht hat geflügelte Köpfe, sie tragen zwei bunte Schmetterlingsflügel am Hinterkopfe von fünfzehn Zoll Länge. Die Waffen der Männer bestehen aus Lanze und Speer, womit sie gegen Krokodil und Flußpferd Jagd machen und Steuern einnehmen. Ihre Flotte besteht aus Booten von Bohlen oder Schilf ohne Segel, da Stangen in dem größtenteils sehr seichten (aber ziemlich 100 Meilen breiten) See zur Bewegung hinreichen. Sie sind fabelhaft geschickte Schwimmer. Sie bauen Baumwolle und verarbeiten sie selbst zu allerhand Zwecken, und treiben Viehzucht mit Rindern, Ziegen und Pferden, aber mehr „Allotria“ in Tanz und allgemeiner Heiterkeit auf den üppig blühenden, dicht gestreuten Inseln. Die heiße Sonne producirt hier auf üppigem Boden mehr, als der anhaltendste Fleiß der Scholle in unserm nördlichen Klima abringen kann, und wenn dort erst Kultur, Handel und Gewerbe eingedrungen sind, wird man die Natur unerschöpflich finden, obgleich sie auch Hunderte von Quadratmeilen stets so durchglüht, daß nur das „Schiff der Wüste“, das Kameel, und der darauf sitzende, gegen die Sonnengluth dicht in Wolle gewickelte Tuarik sich hindurch wagen kann.

In den türkisch-russisch - französisch - englischen Schlachten und noch mehr an Cholera und englisch-aristokratischer Diplomatie fielen voriges Jahr in runder Summe und gering angeschlagen etwa 50,000 Jünglinge und Männer. Haben die Lebenden, die Civilisation, die Wissenschaft, die wirklichen Interessen unsers Jahrhunderts für diese ungeheurere, dem Tode bezahlte unfreiwillige Steuer einen Gegenwerth erhalten, der mit dem Preise, wofür zwei deutsche Jünglinge ihr Lebens auf’s Spiel setzten und verloren, in einem entsprechenden Verhältnisse stände? Gält’ es wirklich und ehrlich die Civilisation, d. h. die Interessen der gebildeten Menschen dieses Jahrhunderts, dürften nach der furchtbaren Geschäftsweise der Geschichte 50,000 Menschenleben nicht zu viel sein. Aber: was hat man erreicht? Was wollte, was will man erreichen? Ach, ihr habt 50,000mal das höchste Eigenthum von Menschen muthwillig, liederlich, böswillig, tückisch verspielt und verschleudert und dabei selbst nur verloren, verloren in Ewigkeit, Alle nur verloren. Wie schön und edel erscheinen dagegen die in der großen Masse noch wenig beachteten Eroberungen der beiden deutschen Helden im Herzen eines neuen (des neuesten) Welttheils, wie unendlich groß und segensreich in der Zukunft der Werth, wofür sie ihr Leben hingaben!

Die Deutschen brauchen sich ihrer Neutralität in dem so verdiplomatisirten Kriege nicht zu schämen, während sie alle der Eroberungen zweier ihrer verstorbenen Helden freuen können, an deren Ruhme kein edeles Menschenblut klebt, sondern nur das schönere Roth einer vielen unbekannten Staaten und Völkern aufgehenden Lebenssonne.




Blätter und Blüthen.

Herzen, in seinem jüngst erschienenen Buche über Rußland schreibt: Ein junger Offizier erzählte mir, daß er im Jahre 1831 den Befehl hatte, einen polnischen Gutsbesitzer, den man beschuldigte, mit den Emissairen Verkehr zu haben, und der sich in der Nachbarschaft seines Guts versteckt hielt, aufzusuchen. Nachdem er gehörige Erkundigungen eingezogen hatte, begab er sich an den Ort, wo der Gutsbesitzer sein sollte, umringte mit seiner Compagnie das Haus und ging selbst mit zwei Gensd’armen hinein. Das Haus war leer; sie gingen durch alle Zimmer, durchwühlten alle Winkel – Niemand war zu finden. Und doch bewiesen manche Kleinigkeiten, daß das Haus unlängst bewohnt worden war. – Der Offizier ließ beide Gens’darmen unten und ging selbst ein zweites Mal hinauf auf den Dachboden, untersuchte ihn aufmerksam und fand eine kleine Thüre, die in irgend eine Vorrathskammer führte. Die Thüre war von innen zugemacht. Er stieß mit dem Fuß dagegen, sie that sich auf, und eine hochgewachsene, schöne Frau stand vor ihm. Schweigend zeigte sie auf einen Mann, der ein zwölfjähriges, fast bewußtloses Mädchen in seinen Armen hielt. Das war der [188] Gutsbesitzer und seine Familie. – Der Offizier war bestürzt. Die edel aussehende Frau bemerkte dieses und sagte:

„Werden Sie wohl so grausam sein, uns zu Grunde zu richten?“

Er entschuldigte sich, brachte die gewöhnlichen leeren Phrasen über Pflicht und unbedingten Gehorsam vor, und zuletzt, außer sich, daß seine Worte nicht die geringste Wirkung hatten, sagte er:

„Was soll ich denn thun?“

Die Frau sah ihn stolz an und sagte mit der Hand auf die Thüre zeigend.

„Hinunter gehen und sagen, daß Niemand hier ist.“

„Bei Gott, ich weiß nicht wie mir geschah und wie es kam, sagte der Offizier, – ich ging hinunter und ließ die Compagnie zusammenrufen. Zwei Stunden später suchten wir den Gutsbesitzer auf’s Eifrigste an einem anderen Ort. Er soll nachher über die Grenze entflohen sein. – „Herr,“ schloß der Offizier, „das war eine Frau!“




Die wandernde Kunst-Ausstellung in England. Eine der schönsten praktischen Früchte der großen Völkerkultur-Ausstellung in London ist die für’s Volk auf die Beine gebrachte und mit Reisemittteln versehene, wandernde Ausstellung von allerlei Gegenständen, welche geeiget sind, den im englischen Volke sehr mangelhaft ausgebildeten Schönheits-, Decorations- und Formensinn für die industrielle Produktion im Gebiete der keramischen Künste[5] auszubilden. Wie Jeder lieber aus einem schönen Topfe trinkt, macht auch jede Häuslichkeit nicht nur auf ganze Töpfe, Tiegel, Tassen, Schaufeln und Schüsseln, Servietten und Arietten, Messer und Gabeln, Vasen und Flaschen, Kessel und Kannen, und wie die „gewobenen und gedrehten, gekneteten und geschmiedeten, gegossenen und gehämmerten Stückchen in die Wirthschaft“ sonst heißen, gerechten und gebildeten Anspruch, sondern sie sollen auch schön sein und mit einander harmoniren, wie die Herzen im Hause. Dadurch ist der Industrie in ganzer Breite die Mission geworden, Künstler zu werden. Selbst Schneider und Schuster müssen Künstler mit geübtem Schönheitssinn sein, wenn sie fort- und emporkommen wollen. Der Schneider muß den allmächtigen Schöpfer corrigiren und durch Kleider schöne Leute machen, wie der Fußbekleidungskünstler Schwung und Grazie auch um die plumpsten Elephantenfüße bringen muß. Die „Gebrüder Beeneke“, wie der Berliner sagt, sind sehr eitel. Ein Oesterreicher gab mal in einer Gesellschaft das Räthsel auf: „’s fangt halt mit der Buchstab a an und is a Theil des menschlichen Körpers. Nu rathen’s das.“ Als sich die ganze Gesellschaft vergebens bemüht hatte, eine anständige Lösung zu finden, rief der Oesterreicher: „a Paar Stiefeln!“ Man sieht aus diesem alten Witze, daß die Fußbekleidung auf unserer Kulturstufe förmlich als ein Theil des Menschen selbst anerkannt wird. In England werden fast jedesmal zuerst die Stiefeln eines an der Thür klopfenden Fremden gemustert. Sind diese fein und schön, wohl gar glanzlackirt, verbreitet sich sofort durch den Mund des dienstbaren Geistes ein guter Ruf von ihm durch’s Haus.

So viel beiläufig im Spaße für den Ernst und die Nothwendigkeit des Schönen in Industrie und Leben und die wandernde Ausstellung der Regierung zur Beförderung desselben. Sie hat drei Jahre an der Ausstellung in ihrer Marlborough-House-Akademie vorbereiten und sammeln lassen, wobei sich auch Professor Semper, der die Abtheilung des Formen- und Modellzeichnens dirigirt, betheiligte. Die Grundlage war eine Auswahl dekorativer Gegenstände aus der großen Ausstellung von 1851, welche zur Herstellung eines „National-Museums für ornamente Kunst“ mit 5000 von der Regierung bewilligten Pfunden angekauft wurden. Diese Sammlung aller Arten von Modellen und Mustern für schöne Industrie sind nun nummerirt, geordnet und in Katalogen näher beschrieben worden; und nun unter Leitung wissenschaftlicher Erklärer reisefertig, um von einer Stadt zur andern zu wandern und Schönheitssinn unter den industriellen Klassen anzuregen. Sie ist noch jung, aber schon sehr reich und enthält z. B. allein 400 Muster und Modelle für Metall-Keramik in Gold und Silber, Juwelerie, Damasquenerie, Niello-Arbeit, Guß, repoussé und getriebene Sachen. Das specielle Gebiet der Keramik, Töpferei, Porzellan-Industrie, Fayence u. s. w. ist bereits zu einer zusammenhängenden historischen Mustersammlung geworden, beginnend mit etruskischen und griechischen Vasen, und fortschreitend bis zu Mustern der Töpfereien von Staffordshire und Sèvres und sich ausdehnend bis China und Japan. Es befinden sich darunter die berühmte japanesische Vase und drei Sèvres-Vasen, welche die Königin früher für 4000 Pfund, also mehr als 27,000 Thaler, kaufte und jetzt der wandernden Ausstellung lieh. Wie hoch man die Sèvres-Vasen in England schätzt, zeigte sich neulich in einer großen Kunst-Auction, in der alle dergleichen dekorative Sachen für Hunderte von Pfunden, ein Paar kleine Sèvres-Vasen, Madame Rothschild aus dem Felde schlagend, für 874 Pfund, weggingen.

Die andern Gebiete der wandernden Ausstellung bestehen aus Mustern und Modellen von Holz- und Elfenbein-Sculptur und Schnitzwerk, antiken und venetianischen Glas-Gefäßen, gemaltem antiken Glas, Limoges-Emaillen, Polissy-Produkten, Münzen, Gemmen und Medaillen, Mustern antiker und orientalischer Gold- und Silberweberei, Zeichnungen davon, Photographieen von Meubles und allerlei Kunstsachen in Holz, elektrotypischen Kopieen der berühmten getriebenen Kunstwerke Benvenuto Cellini’s, von Vechte’s und dem Augsburger Schilde und was sich inzwischen sonst noch eingefunden haben wird, da die reich mit Kunstschätzen versehene Aristokratie mit der Königin als Muster, bei solchen Gelegenheiten immer gern beiträgt.

Die Ausstellung wird zuerst in die Hauptstadt der Metallkunst, nach Birmingham wandern und Ende März eröffnet werden. Nach einem Monate wandert sie weiter und sofort von Stadt zu Stadt, Anregungen für Verschönerung der Lebensverschönerungsmittel nach alten Seiten hin bis in die dunkelsten Werkstätten ausstrahlend. Da sie auf ihren Wanderungen zuweilen auch wandernden Bibliotheken begegnen und später von andern wandernden Aposteln und Missionären der Kultur und Aesthetik unterstützt werden wird, läßt sich erwarten, daß die praktischen Musen und Grazien der Industrie und der Lebensverschönerung aller Art sich bald überall auf die Strümpfe machen und statt der Militär-Regimenter Eisenbahn-Extrazüge nehmen werden. Sind sie dann eine Zeit lang in alle Welt gegangen, zu lehren alle Heiden, wird sich in jedem Städtchen und Dörfchen ein Herd und eine Häuslichkeit fest angestellt finden, wonach sich die Andern richten können. Wie jedes Dorf seinen Pastor und Schulmeister hat, wird es später auch seinen besondern Kulturtempel aufbauen und ausschmücken und jede Häuslichkeit danach fegen und feinen.




Der Sohn des Vaters. Mit Recht heben die Zeitungen hervor, daß von alle den fürstlichen Personen, welche mit den Alliirten nach der Krim zogen, nur der Prinz Eduard von Sachsen-Weimar auf dem Kriegsschauplatz ausgehalten und seinen Posten bis jetzt nicht eine Stunde verlassen hat. Wer den Vater des Prinzen kennt, wird dies natürlich finden. Herzog Bernhard von Weimar (der Sohn des unvergeßlichen Karl August und Bruder des jüngst verstorbenen Großherzogs), in der wissenschaftlichen Welt bekannt durch sein großes Reisewerk über Amerika, ist einer der kräftigsten, energischsten Charaktere der Jetztzeit und ein eben so tapferer Soldat, wie hochgebildeter und freisinniger Mann der Wissenschaft. Von 1806 ab fast bei allen Schlachten des Napoleon’schen Krieges betheiligt, nahm er später Dienste in der niederländischen Armee und ward da zum Gouverneur von Java ernannt, wo er mehrere Jahre verweilte und diese Insel gründlich kennen lernte. Wie wir hören, hat der Herzog ein großes Werk über dieses Land unter der Feder, das bei der geistreichen Auffassung des Verfassers sicher viel Interessantes bieten wird. – Wir bemerken noch, daß die Großherzogin von Weimar, also die Schwägerin des Herzogs Bernhard, eine russische Prinzessin und Schwester des Kaisers Nicolaus ist.




Warum die Armuth nicht aufhört. In Deutschland giebt es bekanntlich eine große Anzahl sogenannter Volksbücher und Schriften „gedruckt in diesem Jahre“; noch zahlreicher als bei uns sind solche Schriften in Frankreich, wo sie fast die einzige Lektüre des Volkes ausmachen. Wenige in Deutschland kennen solche französische Volksbücher und zu den allerunbekanntesten gehört „die Geschichte des guten Elend“, die ihres sehr poetischen Inhalts wegen wenigstens kurz erzählt zu werden verdient.

Zwei Wanderer, Peter und Paul, wurden einmal, vor langer, langer Zeit, in einem Dorfe von einem Regenguß überfallen. In mehreren Häusern suchten sie ein Obdach und Nachtquartier, aber vergebens; die Reichen ließen sie von ihren Knechten von der Thür jagen und die Armen hatten keinen Platz. Endlich fanden sie Aufnahme in einer Hütte, bei dem „guten Elend“, dem ärmsten Manne im Orte, der auf einem Bündel schmutzigen Strohes schlief. Seinen Hauptunterhalt hatte Elend von einem Apfelbaum an seiner Hütte, aber jetzt gerade hatte ihm ein Dieb die meisten Aepfel gestohlen. Die Geschichte des guten Elend erregte das Mitleid der Fremden und zum Lohn für ihre Aufnahme gewährten sie ihm seinen Wunsch, daß von nun an ohne seinen Willen Niemand von dem Apfelbaum wieder herunter steigen könne. Der Erste, der so auf dem Apfelbaum gefangen wurde, war der erste Dieb, der noch mehr Aepfel hatte haben wollen. Elend sah ihn oben, lachte ihn aus und ging fort, um im Walde dürres Holz zu suchen. Zwei Nachbarn, die den Dieb schreiben hörten, wollten ihn befreien, stiegen zu ihm hinauf und blieben ebenfalls hängen. Als Elend zurückkam, ließ er die beiden Nachbarn frei ohne ein Wort zu sagen, den Dieb aber nach dem Versprechen, den Baum nun in Ruhe zu lassen. Bald darauf kam der Tod zu dem alten Manne, und er wunderte sich sehr, daß dieser ihn ohne Furcht, ja freudig empfing. „Warum sollte ich mich vor Dir fürchten?“ sagte er. „Welche Freude hat mir das Leben gewährt? Das Einzige, was ich ungern verlasse, ist mein Apfelbaum, der mich mildthätig genährt hat.“ Er bat denn auch, sich noch ein Paar Aepfel holen zu dürfen, dann wolle er gern mitgehen. Der Tod bewilliget das und geht mit dem Alten hinaus. Der gute Elend blickt sehnsüchtig nach einem Apfel, der am Ende eines Zweiges hängt und bittet den Tod, ihm doch einen Augenblick die Sense zu borgen, damit er den Apfel herunterholen könne. „Meine Sense darf ich nicht aus der Hand geben,“ sagte der Tod; „steige hinauf.“ – „Das kann ich nicht, ich vermag ja kaum zu stehen und zu gehen.“ – „Nun gut, so will ich Dir den Apfel holen,“ sagte der Tod und stieg hinauf, – konnte aber nicht wieder herunter. Er und Tausende von Jammernden warteten auf den ausbleibenden Tod, daß er sie erlöse. Endlich versprach der Tod dem guten Elend, wenn er ihn herunter lassen wollte, werde er ihn bis zum jüngsten Tage nicht wieder stören. Das gab der gute Elend zu und daher kommt es, daß Elend nicht stirbt. Der Tod geht wohl bisweilen an der Thür vorbei, sieht aber gar nicht hin, und so lange die Welt steht, wird es die ärmliche Hütte und in ihr – Elend geben.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Vergleiche: „russischer Krieg – afrikanisches Friedensöl“ in Gartenlaube Nr. 30 von 1854.
  2. Das große, wissenschaftliche, auch in technischer Beziehung brillante Werk von A. Petermann, im Auftrage der englischen Regierung nach den Forschungen und Berichten Barth’s, Overweg’s, Richardson’s und Vogel’s in chromolithographischen Karten und einer historischen Darstellung ausgeführt, ein in Deutschland wohl schwer zugängliches Werk, doch bei Justus Perthes in Gotha, dessen berühmte geographische Anstalt Herr A. Petermann jetzt technisch leitet, noch in einigen Exemplaren vorräthig.
  3. Magazin für die Litteratur des Auslandes“ Nr. 48 und 49 von 1854.
  4. Herr Petermann hat neuerdings einige Nachrichten erhalten, die den Tod Barths bezweifeln.
  5. Von κἐραμος (Keramos) Topf. Man versteht jetzt unter „keramischen“ alle industriellen Künste, die aus weichen oder erweichten Massen Gebrauchs- und Luxusgegenstände formen, schmieden, hämmern, gießen, dehnen, ziehen, pressen u. s. w. im Gegensatz zu den textilen Künsten, deren Grundform, wie das Wort sagt, im Weben besteht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Antorität
  2. Accent grave eingefügt
  3. Vorlage: in