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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
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Quelle: commons
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[333]

No. 29. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Arzt und Advokat.
(Fortsetzung.)

Der arme Joseph saß wie betäubt auf seinem Platze. Alles, was sich diesen Morgen ereignet, erschien ihm wie ein Traum; er hatte eine zu gute Meinung von der Welt, als daß er solche Dinge sofort für Wirklichkeit halten konnte. Der Advokat hatte an die Instanz seiner Ehre appellirt, und Joseph war ein Mann, dem die Ehre über Alles ging. Hier entfaltete sich sein Charakter, denn schon nach einer Minute war er nicht mehr niedergeschlagen, sondern er kämpfte nur noch mit der Ueberraschung, die ihm der schlaue Advokat absichtlich bereitet. Er sollte über seine Gattin, über seine angebetete Louise richten, und er fand in seiner Seele nicht nur die Unparteilichkeit, sondern auch die Unbeugsamkeit eines Richters.

„Was hältst Du von dem Handel?“ fragte Julius, den der Wein ein wenig erhitzt hatte.

„Ich bin ganz Deiner Ansicht“, antwortete er mit einer gräßlichen Kälte. „Hier hat nicht das Gericht, sondern die Ehre zu entscheiden.“

Er ergriff seinen Hut, grüßte und ging nach der Stadt zurück.

Das Verhältniß zwischen den beiden Freunden war zerrissen. Der Kaufmann zweifelte nicht mehr an dem, was er bisher gescheut zu glauben, und der Advokat war froh, auf so geschickte Weise den Frieden gebrochen und dem Feinde die erste Wunde beigebracht zu haben.

„Louise liebt mich“, dachte Julius, indem er seinen Garten durchstreifte; „aber sie wird durch den Doctor abgehalten, diese Neigung zu nähren. Jetzt kennt Joseph den Zustand ihres Herzens, er wird, so wie ich ihn kenne, auf Erklärung dringen, und Louise, die schwach genug war, sich der Tyrannei ihrer moralischen Pedanten zu fügen, wird gezwungen sein, ihr peinliches Schweigen zu brechen. Das war ein vortrefflicher Coup, eines scharfsinnigen Juristen würdig. Herr Doctor Friedland, ich gewinne meinen Prozeß, und der Kaufmann Raimund wird als letzte Instanz das Urtheil unterzeichnen.“

Julius aß in seinem Landhause vergnügt zu Mittag, und fuhr dann in einem eleganten Wagen zur Stadt, um in seinem Bureau ein Stündchen zu arbeiten.


VI.

Joseph Raimund kam zu Hause an. Wie immer, wenn er von der Börse zurückkehrte, betrat er auch heute das Zimmer seiner Gattin. Nichts verrieth, daß sie einen Ausgang gemacht hatte. Ihre Toilette war dieselbe, die sie zu machen pflegte, wenn sie zu Hause blieb.

„Was fehlt Dir?“ fragte sie in zärtlicher Besorgniß. „Du siehst sehr bleich aus, lieber Joseph, und Deine Augen sind trübe.“

Zugleich schlang sie ihren schönen Arm um seinen Hals und küßte seine bleiche Wange.

Joseph erbebte unter diesen Zärtlichkeiten, denn sie erschienen ihm so wahr und so innig, daß Louise eine Meisterin in der Verstellungskunst sein mußte, wenn sie erkünstelt waren, und er hielt sie in diesem Augenblicke für erkünstelt. Mit einem durchbohrenden Blicke sah er auf das reizende Weib nieder. Wie betroffen ließ Louise den Arm sinken.

„Mein Gott, was hast Du?“ flüsterte sie bestürzt.

Er schützte heftigen Kopfschmerz vor, und ging langsamen Schrittes in dem Zimmer auf und ab, wo Alles Glück und Liebe athmete, in jenem so ruhigen Zimmer, wo sich jetzt ein zerstörender Sturm vorbereitete.

Louise blieb regungslos an ihrem Platze stehen, sie hatte die kleinen zarten Hände gefaltet, und sah ihrem Gatten mit ängstlichen Blicken nach. So hatte sie ihn noch nie gesehen, es mußte also etwas Außerordentliches vorgefallen sein, und ihr Gewissen erinnerte sie an Julius.

„Das Wetter ist schön – bist Du heute noch nicht ausgewesen?“ fragte er scheinbar absichtslos, aber getrieben durch den letzten jener tausend Gedanken, die sich heimlich in die lichtere, obgleich von der Eifersucht heftig bewegte Ueberlegung eingeschlichen hatten.

„Nein!“ antwortete sie zögernd und zitternd.

Joseph hatte eine rasche, sichere Antwort erwartet, denn im Grunde seines Herzenn ließ sich immer noch eine Stimme hören, welche die so zärtlich geliebte Gattin für schuldlos erklärte. So konnte nur eine Sünderin antworten, die sich plötzlich auf der That ertappt sieht. Dieses „Nein“ durchschnitt ihm die Seele. Er blieb stehen, und starrte seine Gattin mit einem Blicke an, vor dem sie erbebte. Da stand sie wie eine schöne Marmorstatue; alles Blut war aus den Wangen gewichen, und das große Auge, das ihm sonst vertrauensvoll und liebend angeblickt, hatte sich zu Boden gesenkt.

„Louise!“ rief Joseph in einem herzzerreißenden Tone.

Da erinnerte er sich plötzlich der Worte des Advokaten, wonach sie ihn aus Mitleiden und aus Gehorsam gegen den Vater geheirathet hatte. Er gedachte seines Eintritts in das Haus des reichen Kaufherrn, und der Wohlthaten, die man ihm erzeigt hatte. Seine schmerzliche Entrüstung war gebannt, und der ihm angeborene Stolz regte sich mächtig in seiner Brust.

„Hast Du mir nichts zu sagen, Louise?“ fragte er ruhig, aber mit bebender Stimme. „Benütze meine augenblickliche Verfassung [334] denn ich bin im Stande, Alles, Alles zu hören! Louise, nicht um Dich zu rechtfertigen fordere ich, daß Du redest, denn ich habe kein Recht, Dir Vorwürfe zu machen; aber um meinen qualvollen Zustand des Zweifelns und Hoffens zu beenden, wirst Du reden. Ich bin eine Kreatur Deines großmüthigen Vaters, der mir die Tochter wie sein Vermögen anvertraute – ich habe seine Kapitale redlich verwaltet, und darüber werde ich ihm Rechenschaft ablegen; ob ich aber Deinem Herzen genügt, wirst Du entscheiden müssen, denn nur Du kennst es. Warum zitterst Du vor Joseph, der als Waisenknabe Dein väterliches Haus betrat? Fürchte nicht, daß ich meine Stellung verkenne, denn was der Dankbarkeit unmöglich sein sollte, wird mein Ehrgefühl vollbringen. Darum antworte mir offen: hast Du in meiner Abwesenheit das Haus verlassen ?“

„Ja, ich war ausgegangen, Joseph,“ antwortete sie mit unsicherer Stimme, obgleich ihr bleiches Gesicht ruhig blieb. „Wenn ich es im ersten Augenblicke leugnete, so geschah es aus Rücksicht für Deinen aufgeregten Zustand, den ich vorübergehen lassen wollte.“

Ein kalter Schauder durchbebte den armen Joseph.

„Der Advokat hat Recht!“ dachte er. „Nur aus Mitleid hat sie bisher geschwiegen, und nur aus Mitleid sprach sie jetzt diese Lüge aus. Louise,“ sagte er laut, „seit meiner Rückkehr von der letzten Reise hat sich der Argwohn meines Herzens bemächtigt, und ich gestehe offen, daß ich ihn mit aller Kraft, obgleich vergebens, bekämpft habe. Ende diesen Kampf, der mich aufreibt, gieb mir Gewißheit, und bekenne mir Alles, was in Deinem Herzen vorgeht.“

Die junge Frau sah auf, und eine leichte Röthe verbreitete sich über ihre Wangen.

„Joseph, so hast Du mich mit unwürdigem Verdachte verfolgt?“ fragte sie.

„Nein, dessen ist Gott mein Zeuge!“

„Was ist heute geschehen? Woher kommt Deine Aufregung?“

„Der Zufall führte mich Dir an einem Orte entgegen, wo ich Dich nicht vermuthete. Du hast mich gesehen –“

„Ich?“ rief sie aus. „Doch Du glaubst mir ja nicht mehr,“ sagte sie schmerzlich hinzu, „Du kannst mir vielleicht nicht mehr glauben, weil der Schein gegen mich ist. Ich habe diesen Morgen einen Gang zu unserm Arzte unternommen – er war nicht zu Hause, und so kehrte ich zurück.“

„Du warst nur bei dem Doctor?“

„Nur bei ihm. Aber frage mich nicht weiter – vertraue mir nur noch kurze Zeit, und Du wirst das kleine Geheimniß erfahren, das ich jetzt zu bewahren gezwungen bin. Joseph, das Vertrauen ist eine Tugend der Liebe – bewahre es mir, daß ich nicht an Deiner Liebe zweifeln muß, denn dieser Zweifel wäre mein Tod. In diesem Augenblicke bin ich so aufgeregt, daß ich mich nicht vertheidigen kann; aber ich bin kein arglistiges Weib, und daß ich Dich liebe mußt Du wissen, wenn Du die Vergangenheit bedenkst. Das ist mein Bekenntniß, mehr kann ich Dir nicht sagen.“

„Louise, was forderst Du?“ rief Joseph. „Umgeben von Zweifeln, die den Glauben des Mannes erschüttern und seine Eifersucht erregen müssen, soll ich Dir vertrauen? Louise, ich bin nicht mehr der Erste, nicht mehr der Einzige in Deinem Herzen.“

„Mein Gott, Du zweifelst an meiner Liebe?“ rief sie unter Thränen.

„Ich verberge Dir keinen meiner Gedanken, und Du –“

„Sprich nicht weiter, Joseph!“ rief sie hastig und in einer furchtbaren Angst. „Sage mir nur jetzt nichts – wir müssen Beide schweigen, wenn wir nicht muthwillig unser Glück zerstören wollen.“

Ein Diener trat ein und meldete, daß das Mittagsessen aufgetragen sei.

„Ich habe gegessen!“ sagte Joseph.

„Man warte nicht auf mich!“ fügte Louise hinzu.

Verwundert entfernte sich der Diener, indem er zugleich einen mitleidigen Blick auf seinen Herrn warf.

„Louise,“ wandte sich Joseph zu seiner Gattin, „Dir fehlt der Muth, mir mündlich eine Eröffnung zu machen von der Dein zukünftiges Glück und meine Ehre abhangen – ich erwarte einen Brief von Dir. Du wirst dem Papiere um so leichter Alles anvertrauen können, wenn der Anblick meiner Person Dein Mitleid nicht mehr rege macht.“

Nach diesen Worten ging er in sein Arbeitszimmer.

„Was ist das? Was ist das?“ flüsterte Louise. „Diese ängstlichen Zweifel dürfen nicht länger mein Herz zerfleischen, und noch heute soll der Doctor Alles erfahren, damit er dem traurigen Zustande ein Ende mache. Ich will Nichts, Nichts verhehlen; ehe ich länger ein solches Leben fortführe, will ich lieber der traurigsten Gewißheit zum Opfer fallen.“

Die junge Frau setzte sich an ihren Schreibtisch, ergriff die Feder, und begann zu schreiben. Nach einer Stunde rief sie ihre Kammerfrau.

„Diesen Brief besorgen Sie selbst sogleich zum Doctor Friedland. Tragen Sie Sorge, daß hier im Hause Niemand erfährt, wohin Sie gehen. Sie werden so rasch als möglich zurückkehren.“


VII.

Denselben Abend noch erschien der Doctor in dem Hause des Kaufmanns. Er fragte nach Madame Raimund, und man führte ihn in ihr Zimmer. Bei seinem Eintritte erhob sich die junge Frau von dem Sopha, sie trocknete rasch ihre Thränen, und streckte dem Arzte die Hand entgegen.

„Ich komme selbst, um Ihnen die Antwort auf Ihren Brief zu bringen,“ sagte er in einem freundlichen Ernste. „Unsere Angelegenheit ist so wichtig und erfordert eine so zarte Behandlung, daß ich das Schreiben so oft vermeide, als nur möglich.“

Der Arzt führte Madame Raimund zu dem Sopha zurück und ließ sich neben ihr nieder. Dann ergriff er traulich ihre Hand und sagte: „Sie haben mich aufgefordert, der Arzt Ihrer Ehre zu sein – Louise Cordes hat Ansprüche auf meine väterliche Liebe, und ich stehe nicht einen Augenblick an, Ihrem Wunsche zu willfahren.“

Louise erröthete und begann zu weinen.

„Doctor,“ stammelte sie, verwirrt vor Beschämung, „ich, muß Ihnen mein Herz ausschütten! Ich bin keine Sünderin, die durch eine reuige Beichte ihre Schuld sühnen will – ich habe Nichts verbrochen, meine Seele ist rein, und mein Gewissen klagt mich nicht an; aber ich bedarf eines rathenden Freundes, der kräftigen Hand eines aufrichtigen Beschützers.“

„Ich verspreche, Ihnen Beides zu sein.“

„Mein Brief enthielt einige schwache Andeutungen von dem, was Sie wissen müssen, Doctor. Ach, fürchten Sie nicht, der Mitwisser eines gefährlichen Geheimnisses zu werden!“ rief sie leise aus, und indem sie ihr Gesicht mit dem weißen Batisttuche bedeckte, um die aufsteigende Röthe der Schaam und Verlegenheit zu verhüllen.

„Nein, das fürchte ich nicht, meine arme Louise, denn ich müßte Sie nicht kennen, um so etwas vorauszusetzen. Man hat es gewagt, Ihr Glück, Ihre Ehre anzutasten – –“

„Wie, Sie wissen? “ fuhr Louise überrascht auf.

„Ich weiß bereits Alles,“ sagte lächelnd der Arzt, „und ich freue mich, Ihnen die Erzählung Ihrer Leiden ersparen zu können.“

Plötzlich erbleichte die junge Frau.

„Wer hat es Ihnen gesagt?“ flüsterte sie mit tonloser Stimme. „Vielleicht mein Mann?“

„Nein, nein: Joseph kennt vielleicht nicht einmal die Gefahr, die sein häusliches Glück bedroht, und wir werden sie abgewendet haben, ehe er sie ahnt.“

„Doctor, er kennt sie bereits!“ rief Louise.

„Wie?“ fragte der Greis erschreckt. „Sollten Sie eine Unvorsichtigkeit begangen haben?“

Louise erzählte Joseph’s Rückkehr und ihre Unterredung mit ihm.

„Mein würdiger Freund,“ schloß sie mit bewegter Stimme, „der Gedanke, Julius Morel angehört und seine Briefe nicht ungelesen zurückgesendet zu haben, lastet wie ein furchtbares Verbrechen auf meiner Seele. Von einer mir unerklärlichen Angst gefoltert, leugnete ich, daß ich ohne Wissen meines Mannes in Ihrem Hause gewesen bin, denn mir ist, als ob der leiseste Argwohn von seiner Seite mein ganzes Lebensglück zertrümmern müßte. Ich bin unschuldig, Doctor, und dennoch kann ich nicht ganz offen gegen ihn sein. Daß er nie die Verirrung seines Jugendfreundes erfahren sollte, war mein eifrigstes Bemühen, es widerstrebte meinem [335] Gefühle, als die Anklägerin des jungen Mannes aufzutreten, dessen Vater Joseph als den Gründer seines Glücks betrachtet. Julius ist ein falscher Freund, aber mein Mann wird so lange nicht daran glauben, und er wird mir vielmehr einen großen Theil der Schuld beimessen, bis ich die schlagendsten Beweise vorlege, daß ich selbst eine durch Raffinerien umstrickte Thörin bin. Doctor, Ihnen bekenne ich, daß meine Eitelkeit sich in den Huldigungen gefiel, die mir Julius brachte; aber leider merkte ich zu spät, daß ich dem Freunde meines Mannes zu viel gestattet hatte. Was ich für unschuldige, selbst alberne Scherze gehalten, nahm er als Dinge von Bedeutung, und der Advokat folgerte hieraus Rechte für sich, die mich erzittern machten. Er schrieb mir Briefe, die, wenn sie ein mit den Verhältnissen unbekannter Mensch gelesen, mich offenbar eines Ehebruchs zeihen müßten; und dennoch habe ich mich gegen Julius so benommen, daß es höchstens deshalb zu verdammen ist, weil es in der Abwesenheit meines Joseph geschehen. Eine schwere Krankheit war die Folge meines Seelenkampfes, ich habe meine Unvorsichtigkeit schwer gebüßt, und wie es scheint, werden sich noch schrecklichere Folgen derselben einstellen. Helfen Sie, retten Sie, Doctor, und überzeugen Sie meinen Mann, daß ich nie aufgehört habe, ihm treu zu sein, daß ich nicht einmal weiß, woher die Fäden der Bosheit so plötzlich gekommen sind, die mich umschlungen halten.“

Die junge Frau trocknete ihre Thränen, die jetzt häufiger aus den schönen Augen hervorquollen.

„Mein armes Kind,“ sagte theilnehmend der Arzt, „ich kenne Ihre Gefahr, und habe nicht einen Augenblick daran gezweifelt, daß der Advokat sich Rechte anmaßt, wozu kaum ein Scheingrund vorliegt. Sie haben ihn angelächelt – und er spricht von Zärtlichkeiten; Sie haben Joseph einen eifrigen Kaufmann genannt – und er spricht von einem trocknen Geschäftsmanne, der Ihr Herz nicht auszufüllen vermag – kurz, er will Sie schuldbewußt machen, damit Sie, aus Furcht vor der öffentlichen Meinung, sich ihm ganz überlassen müssen. Herr Julius Morel bewährt sich hier als ein schlauer Advokat, wie im gemeinen Geschäftsleben; ist kein Grund zu Prozessen vorhanden, so zieht man ihn mit Haaren herbei. Also Joseph äußerte diesen Mittag den ersten Argwohn?“

„Ja.“

„Und Sie sind sich seit Ihrer Krankheit keines Schritts bewußt, der Anlaß dazu gegeben haben könnte?“

„Das schwöre ich bei dem allmächtigen Gotte!“

„Dann hat der Advokat es versucht, den Saamen des Argwohns in das Herz Joseph’s zu streuen. Jetzt gilt es, ihm zu beweisen, wer Herr Julius Morel ist. Kennt er die Gesinnungen des Advokaten, so kann er seine Gattin um so leichter und sicherer beurtheilen. Aber Sie müssen mir helfen, Madame.“

„Wie kann ich?“

„Fragen Sie nicht, Sie sind die Kranke, ich bin der Arzt. Setzen Sie sich, und schreiben Sie, was ich Ihnen dictire. Wir haben ein starkes Uebel zu heben, folglich müssen wir starke Mittel anwenden.“

Louise saß am Schreibtische, und der Doctor dictirte, indem er sich über ihren Stuhl hinabneigte: „Mein Herr! Die Antwort auf Ihren letzten Brief muß ich Ihnen mündlich mittheilen. Sie werden mich diesen Abend neun Uhr in meinem Landhause antreffen.“

Louise sah bestürzt empor.

„Schreiben Sie,“ sagte der Doctor lächelnd. „Ich bedarf nur dieses Briefes, für eine Stellvertreterin bei dem Rendezvous werde ich Sorge tragen. Also: antreffen. Mein Mann ist von dem Doctor Friedland zum Abendessen eingeladen, und wird spät nach Hause kommen. Louise. Jetzt siegeln und adressiren Sie das Billet.“

„Hier, Doctor, ich lege meine Ehre in Ihre Hand!“ sagte Louise, indem sie zitternd das Briefchen überreichte.

„Und der Doctor giebt Ihnen dafür den von Eifersucht und Argwohn geheilten Mann zurück. Bis sieben Uhr ist der Advokat in seinem Bureau – erlauben Sie mir, daß ich Ihre alte Meta dorthin absende. Und nun leben Sie wohl; die Folgen meiner Kur werden Sie vielleicht heute noch an Ihrem Manne spüren.“

„Gott gebe es!“

Auf der Hausflur fertigte der Arzt die Kammerfrau ab, dann trat er in das Comptoir, wo Joseph arbeitete. Der junge Kaufmann empfing den Greis mit einer schmerzlichen Freundlichkeit.

„Mein Freund,“ flüsterte er, „für diesen Abend gehören Sie mir an. Ihr Arzt befiehlt, daß Sie heute schließen, bei ihm speisen, und dann mit ihm einen Spaziergang unternehmen. Jetzt ist es halb sieben Uhr – ich habe noch einen Kranken zu besuchen – halb acht Uhr treffen Sie mich zu Hause.“

Joseph versuchte Einwendungen zu machen, und schützte den Posttag vor.

„Auch ich habe Ihnen Postberichte mitzutheilen, die wichtiger sind, als alle andern,“ flüsterte der Arzt. „Doch erschrecken Sie nicht, es sind keine Hiobsposten. Also?“

„Ich komme, Doctor!“ antwortete Joseph.

„Sie wissen, ich liebe Pünktlichkeit!“ rief der Arzt und entfernte sich.

Auf der Straße begegnete er Louise’s Kammerfrau, die von dem Advokaten zurückkehrte.

„Nun?“ fragte er.

„Ich traf ihn zu Hause. Er nahm das Billet, durchflog es, und gab mir einen Louisd’or für den Weg. Dann entließ er mich, ohne ein Wort hinzuzufügen.“

„Gut, liebe Frau, ich danke Ihnen,“ sagte der Arzt, indem er seinen Weg fortsetzte. „Die Antwort genügt, denn sie beweist, daß der schlaue Advokat in die Falle geht.“

Der Doctor betrat nun ein Gasthaus. Eine Stunde später empfing er Joseph in seinem Zimmer, wo das Abendessen vorbereitet war. Die beiden Männer aßen, wobei der Doctor zur Eile antrieb, dann traten Sie den Spaziergang zu dem Landhause an.


VIII.

Die Dämmerung war längst angebrochen, als der Doctor seinen Freund durch die Seitenwege zwischen den Hecken zu dem ihm wohlbekannten Landhause führte. Der Gärtner, der in einem niedlichen Häuschen wohnte, öffnete das Gitter, und ließ die Männer in den Saal der kostbar eingerichteten Villa treten. Während Joseph sich damit beschäftigte, eine große Astrallampe anzuzünden, war der Doctor auf die Stufen der Treppe hinausgetreten, und sprach leise mit dem alten Gärtner.

„Wir erwarten noch Gäste,“ sagte er, „einen Herrn und eine Dame. Führt sie in den Saal, Alter, aber verschweigt ihnen, daß wir bereits angekommen sind. Wir beabsichtigen einen Scherz, wenn Ihr plaudert, ist er verdorben, und Herr Raimund könnte Euch leicht aus dem Dienste jagen. Auf Befragen könnt Ihr sagen, daß Ihr gegen Abend den Befehl erhalten hättet, um neun Uhr die Lampe in dem Salon anzuzünden, die, wie ich sehe, bereits brennt. Läuft Alles gut ab, so erhaltet Ihr von mir den Lohn.“

„Gut, Herr Doctor, werde Alles pünktlich besorgen!“

Der Gärtner zog seine Mütze, und entfernte sich. Der Arzt ging in den Saal zurück. In demselben Augenblicke schlug die Pendule auf dem Kamine neun Uhr.

„Mein Freund,“ sagte er zu Joseph, „jetzt nehmen Sie Ihren Hut und folgen Sie mir.“

„Wohin?“

„Hinter die Glasthüre dieses Kabinets mit den grünen Vorhängen.“

„Doctor, was haben Sie vor?“

„Sie sollen mit mir einen kranken Mann und eine leidende Frau beobachten – ich habe mir vorgenommen, Beide zu heilen. Ziehen Sie daraus Ihre Schlüsse, und wenden Sie sie bei vorkommenden Fällen an.“

„Um Gotteswillen, Doctor, wer sind diese Personen?“ rief Joseph in einer furchtbaren Aufregung.

(Schluß folgt.)
[336]
Domenico Fontana.
Von Gustav Heubner,
illustrirt von G. Kühn.
III.

Was wogt des Volkes Menge hin durch das weite Rom?
Was sammeln sich die Schaaren dort vor St. Peters Dom? –
Heut’ wird die Riesensäule vom Meister aufgestellt,
Dem, wenn das Werk mißlänge, das Haupt vom Rumpfe fällt.

Schon liegt, durch hundert Rosse an seinen Platz bewegt,
Von tausendjähr’gem Staube mit Sorgfalt rein gefegt,
Lang hingestreckt, erglänzend im hellen Sonnenschein,
Am Fuß des Postamentes der ungeheure Stein.

Und neben ihm erhebt sich ein wundersamer Bau
Von Balken, Wellen, Rädern, mit manchem starken Tau.
Gar künstlich hat der Meister sich das Gerüst erdacht.
Die Masse zu bezwingen durch seines Geistes Macht.

An ihrem Posten wartet, der Männer große Zahl,
Des Steines Wucht zu heben auf sein Piedestal.
Bewähren soll sich’s heute an diesem Säulenschaft,
Wie Großes mag vollbringen vereinte Manneskraft.

Im weiten Kreise stehet das Volk und harrt gespannt,
Die neugiervollen Blicke nach dem Gerüst gewandt, –
Und in der kalten Menge Ein Herz, das angstvoll schlägt,
Ein Mädchenherz, drin schwankend sich Furcht und Hoffnung regt.

Der Papst steht auf dem Altan, von seinem Hof umringt,
Zu schauen, wie der Meister das große Werk vollbringt;
Der aber tritt jetzt unten aus des Palastes Thor,
Von Wachen rings umgeben, mit stillem Ernst hervor.

Er sinkt auf seine Kniee, den Herrn in Himmelshöh’n
Um Segen und Gelingen in Demuth anzufleh’n,
Und in dem Augenblicke ist jedes Haupt entblößt,
Und neigt sich im Gebete vor Dem, der uns erlöst.

Der Meister hat gebetet, – und reich an Kraft und Muth,
Mit fester, starker Stimme, mit ruhig kaltem Blut
Ertheilt er die Befehle voll Klugheit und Geschick,
Das Ganze überschauend mit klarem, sichrem Blick.

Sein Geist wirkt allbelebend bis zu dem letzten Mann;
Wie regen sich die Hände! Wie spannt der Arm sich an!
Es wächst zur Riesenstärke die klug geeinte Kraft –
Und seht! Da regt, da hebt sich der schwere Säulenschaft!

Und immer höher richtet die Spitze sich empor,
Und staunend sieht ihn steigen des Volkes dichter Chor;
Und langsam sich bewegend, hebt er sich fort und fort,
Und endlich steht er senkrecht auf seinem Fuße dort.

Der Meister blickt zum Himmel, und preist sein gutes Glück;
Doch weiß er: noch das Schwerste der Arbeit blieb zurück!
Denn jetzt gilt’s, ihn gerade und lothrecht, wie er steht,
Frei in der Luft zu heben mit künstlichem Geräth.

Die rüstigen Arbeiter, sie trocknen sich den Schweiß,
Den ihrer Stirn einpreßte der angestrengte Fleiß.
Der Meister gönnet ihnen gern eine Stunde Ruh’;
Dann greifen tausend Hände auf’s Neue wacker zu.

Da straffen sich die Seile in nerv’ger Männerfaust;
Das künstliche Getriebe der Räder schwirrt und saust;
Es drehen sich die Wellen, vom Eisenzahn gepackt,
Und Alles rührt und regt sich in Einem sichern Takt.

Von Ketten und von Tauen umschlungen und gefaßt,
Steigt langsam in die Höhe die ungeheure Last;
Ob von dem schweren Drucke auch das Gerüst erkracht,
Die Balken halten wieder, aus Eichenholz gemacht!

Emporgebracht bis über des Würfels höchsten Rand,
Auf dem sie bald soll finden den felsenfesten Stand,
Wird seitwärts nun die Säule durch’s Kunstgezeug gelenkt,
Daß sie dann auf die Basis sich ruhig niedersenkt.

Schon schwebt sie majestätisch fast über’m Postament,
Schon sieht Fontana freudig die Arbeit nah am End’,
Und mit gespannten Mienen steht rings das Volk und schaut;
Es wird im weiten Kreise kein Zug des Athems laut. –

Da wird des Meisters Antlitz mit einmal todtenbleich,
Er bebt am ganzen Leibe, und winkt, und ruft zugleich
Mit angstgepreßter Stimme: „Halt, Leute! Haltet an!“ –
Und schwankt, und stützt im Wanken sich auf den nächsten Mann.

Im Volksgedränge aber ertönt ein Schmerzensschrei;
Aus eines Mädchens Munde ruft’s: „Wasser schnell herbei! –
Der Meister fällt in Ohnmacht! Es ist um ihn gescheh’n! –
Um Gottes willen Wasser! – O eilt, ihm beizustehn!“ –

Kaum schlägt das Wörtlein „Wasser“ dem Meister an das Ohr,
Da fährt wie aus dem Traume urplötzlich er empor,
Und mit gewalt’ger Stimme noch einmal ruft auch er:
„Ja, Wasser! Wasser! Wasser! In Eile Wasser her! –

Die Taue sah ich rauchen, – ’s war noch um einen Zug,
So brannten sie, – und machten mein Werk zu Lug und Trug!
Ich sah’s, und in Verzweiflung schwand mir Verstand und Sinn,
Und schier ohnmächtig wär’ ich gestürzt zu Boden hin!

Ein Wort hat mich gerettet! – O Heil Dem, der es sprach!
Das Wort, es tönet ewig in meinem Herzen nach!
Die Stimme, die es sagte, sie klang mir so vertraut,
Wie Glück und Heil und Segen, – wie der Geliebten Laut!“ –

Er spricht’s, und prüft die Taue, und findet sie noch fest;
Man bringt die vollen Eimer; das Tauwerk wird genäßt;
Und fröhlich ruft der Meister: „Nun zieht mir wacker an! –
Frisch! – Kräftig! – Einen Ruck noch, – und Alles ist gethan!“ –

Die Säule senkt allmälig sich auf den Unterbau,
Und fügt sich in den Kranz ein, so sicher, so genau,
Daß keines Zolles Breite daran verloren geht; –
Das Werk, es ist vollendet! Der Obelisk, er steht!

Da braust in lautem Jubel empor des Volkes Kreis,
Es künden tausend Stimmen Fontana’s Ruhm und Preis;
Doch heimwärts eilt Maria, im stillen Kämmerlein
Dem Herrn aus frommem Herzen ihr Dankgebet zu weih’n.

Das Volk umringt den Meister, erdrückt ihn jauchzend fast,
Und führt ihn im Triumphe zum päpstlichen Palast;
Es öffnen sich die Pforten zum hohen Prunkgemach,
Und stürmisch drängt die Menge sich, Beifall rufend, nach.

In Demuth beugt Fontana sein Knie vor Sixtus’ Thron;
Der hebt ihn auf voll Güte, und spricht: „Mein lieber Sohn!
Du hast ein Recht erworben durch Deine edle Kunst
Auf Freiheit und auf Leben, – und meine höchste Gunst!

Du sollst mein Rom mir schmücken mit Werken, groß und schön,
Und als das Erste laß mir den Aquaduct erstehn,
Den der bedürft’gen Stadt ich im Geiste längst versprach;
Der heiße: „Glücklich Wasser[1] bis auf den spät’sten Tag!“ –

Der Meister geht, und eilends führt ihn sein erster Gang
Zum weinumlaubten Häuschen dort an des Hügels Hang.
Maria grüßt erröthend; sein schönster Traum wird wahr:
Beseligt tritt er morgen mit ihr zum Brautaltar.

[337]

[338]
Populäre Chemie für das praktische Leben.
In Briefen von Johann Fausten dem Jüngeren.
Siebenter Brief.
Das Grubengas oder die schlagenden Wetter.


Als Vertreter des mehr belehrenden Elements dieser viel gelesenen Zeitschrift liegt es mir ob, sorgsam Acht zu haben auf die Ereignisse des Tages, der Zeit, in der wir leben, und da, wo es wünschenswerth erscheint, Aufklärung zu geben. So bieten mir die Berichte der neuesten Zeit Stoff zu einigen Unterhaltungen mit dem Leser. Der Gegenstand meiner heutigen Besprechung ist nicht erfreulicher Art; er zeigt uns, wie schwer es hielt, der bessern Einsicht bei den Menschen Eingang und Anerkennung zu verschaffen.

„In den Steinkohlengruben von Arley bei Wigan (Lancashire)“ heißt es in den Zeitungen, „hat am 18. Februar eine Gasexplosion stattgefunden, durch die ein Theil des Schachtes einstürzte und 122 Personen das Leben einbüßten.“ Wahrlich eine lakonische Nachricht, die entsetzliches Unglück verkündet und Stoff darbietet zu einer ganzen Reihe der eindringlichsten Gardinenpredigten gegen die Stumpfsinnigkeit der Menschen.

Gar mannigfaltiger Art sind die Gefahren, mit denen der Bergmann bei seiner beschwerlichen Arbeit im Schoße der Erde, zu kämpfen hat und durch den Kampf mit den feindlichen Elementen erhält sein sinniger Gruß, des Frommen Glück auf! eine innige und beziehungsvolle Bedeutung. Mit oben an unter den gefährlichen, Verderben bringenden Feinden stehen die unathmenbaren Gase, die der Bergmann in seiner eigenthümlichen Sprache die „bösen Wetter“ nennt. Mit dem Ausdruck „Wetter“ belegt er gemeinhin die Luft in den Gruben und je nach ihrer Beschaffenheit spricht er von „guten und bösen oder schlechten Wettern“, und letztere fassen wieder in sich „matte und schlagende.“ Matte Wetter sind solche, die das Athmen beschweren, in denen das Licht erlischt; nicht selten rauben sie dem Armen Gesundheit und Leben. Weit gefährlicher noch sind die schlagenden Wetter, brennbare Gase, die sich am Licht entzünden, und, wenn sie mit atmosphärischer Luft gemischt sind, heftige Explosionen verursachen, die durch die plötzliche Ausdehnung und Zusammenziehung der glühenden und dann abgekühlten Luft bewirkt werden.

Was ist nun die Ursache dieser für die Bergleute so gefährlichen Explosionen der schlagenden Wetter, die zumeist nur in den Steinkohlengruben vorkommen? Die Steinkohlenablagerungen sind, wie bekannt, die Reste einer riesigen Flora der Vorwelt, aus einer Zeit stammend, in der alle Bedingungen, welche das Wachsen der Pflanzen begünstigen – eine hohe Temperatur und eine feuchte, an Kohlensäure reiche Luft – in einem höheren Grade vorhanden waren, als jetzt. Durch verschiedene Umstände überfluthet und tief im Schooße der Erde begraben, unterlag die mit einer schweren Decke belastete feste Holzsubstanz durch die Wärme im Innern der Erde einer Entmischung, wobei zwar die drei Hauptbestandtheile – der Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff – in verschiedenen Verbindungen untereinander entwichen, so aber, daß die beiden letzteren in größerer Menge fortgingen, als der Kohlenstoff, der sich dadurch anhäuft und so den Steinkohlen ihren hohen Werth als Brennmaterial verleiht. Eines dieser Zersetzungsprodukte ist nun auch das Grubengas oder das leichte Kohlenwasserstoffgas, eben die schlagenden Wetter, eine wahre Plage der armen Bergleute. Diese Zersetzung der Steinkohlen dauert selbst noch jetzt fort, und namentlich in den tiefsten Schichten des Lagers wird sie durch die Einwirkung einer höheren Temperatur ungemein begünstigt. Besondere Arten der Steinkohlen, namentlich die besseren sogenannten bauenden Kohlen, zeichnen sich durch eine reichliche Gasentwicklung aus. Durch die zahlreichen Spalten im Innern der Erde verbreitet sich das brennbare Gas weit hin und findet an verschiedenen Orten einen Ausweg. Dergleichen Gasquellen finden wir namentlich in Italien am nördlichen Abhange der Apenninen, Frankreich, England, Mexiko, Persien und noch an vielen andern Orten. Zündet man sie an, so brennen sie gleichmäßig fort. Man hat sie daher mitunter technischen Zwecken dienstbar gemacht und verwendet sie zum Brennen von Bausteinen, von Kalk, zum Abdampfen von Flüssigkeiten, zur Beleuchtung u. s. w. Am Bekanntesten sind die ewigen Feuer von Baku und im großartigsten Maßstabe treten diese Feuerquellen in China auf. Hier entströmt den zahlreichen artesischen Bohrlöchern mit der Salzsoole eine reichliche Menge des Kohlenwasserstoffgases, so daß man zugleich an Ort und Stelle ein billiges Brennmaterial für die Darstellung des Salzes gewinnt. Der Missionair Imbert fand unter anderen eine Anlage, in der über 300 Siedepfannen mit dem brennbaren Gase geheizt wurden.

Andererseits sind aber auch die Steinkohlenlager selbst von zahlreichen Klüftungen, kleinen Höhlungen und Poren durchsetzt, in denen das schädliche Gas zusammengepreßt und eingeschlossen enthalten ist. Durch tausende von kleinen Spalten und Rissen strömt nun das Gas fortwährend in die Gruben ein, besonders bei einem niedrigen Barometerstande, wo also der äußere Luftdruck ein geringerer ist. In Folge dessen dehnt sich das eingeschlossene Gas aus, sprengt die engen Behälter und strömt mit einem wahrnehmbaren Geräusch aus. Durch den Abbau der Kohlen erhält das Gas gleichfalls zahlreiche Wege zur Grube. Eine wie reichliche Entwicklung hierbei stattfindet, sieht man leicht, wenn man frischgeförderte Kohlen mit Wasser übergießt, an den Blasen, die durch das Wasser aufsteigen. Bringt man in die Nähe der Fördertonnen, wenn sie an der Erdoberfläche angekommen sind, ein Licht, so schlägt eine hohe Flamme davon auf. Enthält die Luft in den Gruben genau auf 7–8 Theile einen Theil Kohlenwasserstoffgas, so entzündet sich das Gemisch, sobald man ihm mit einem Lichte zu nahe kommt, mit der heftigsten Explosion, die oft die mühevolle Arbeit vieler Jahre zerstört. Ist das Verhältniß der Luft ein größeres (bis zu 10 Theilen), so ist die Explosion nur eine sehr schwache und darüber hinaus findet keine Entzündung mehr statt. Aehnlich ist es, wenn die Menge des Kohlenwasserstoffgases zunimmt; bei sechs Raumtheilen Luft ist die zerstörende Wirkung eine geringere, und weiter hinunter brennt das Gemenge ruhig ab.

Welches waren nun die Mittel, wodurch die in ihrer Selbstgefälligkeit sich so sehr überschätzende Praxis diesen gefährlichen Feind zu bekämpfen suchte? Im Finstern konnte man nicht arbeiten, Licht mußte geschafft werden. Um solches zu erlangen, ließ man ein stählernes Rad gegen einen Feuerstein schlagen. Aber auch durch die Funken wurden mitunter die schlagenden Wetter entzündet, und andererseits war die Beleuchtung eine so dürftige, daß man trotz aller Gefahr seine Zuflucht wieder zur Kerze und Lampe nahm. Namentlich in England mehrten sich vor 30 bis 40 Jahren die Unglücksfälle in einer wahrhaft schreckenerregenden Weise; die Presse brachte alle einzeln zur Sprache, um die hartherzigen Grubenbesitzer endlich zu zwingen, wenn nicht aus Menschlichkeit, wenigstens aus Scham für den Unterhalt der zahlreichen Wittwen und Waisen derjenigen Bergleute zu sorgen, die in ihrem Berufe ihr Leben geopfert hatten.

Die Praxis hatte sich vollkommen unfähig gezeigt, dem Elend wirksam zu steuern. Nicht umsonst erging dazu die Aufforderung an die Wissenschaft und dadurch wurde dem berühmten englischen Chemiker Humphry Davy Gelegenheit gegeben, zu zeigen, daß trotz des Goethe’schen Wortes, das man noch heute wohlgefällig im Munde führt, obgleich es bereits unzählige Male widerlegt worden, die Theorie doch nicht immer grau sei, wie der Esel des Buridan. Davy widmete der schwierigen Aufgabe, die Gruben zu beleuchten, ohne das Gasgemenge in denselben zu entzünden und so das Leben der Arbeiter sicher zu stellen, mehrere Jahre. Eine lange Reihe von mühsamen, rein wissenschaftlichen Untersuchungen über die Eigenschaften der entzündlichen Luftart, so wie über die Natur der Flamme und die Bedingungen, unter denen diese sich mittheilt und weiter verbreitet, führten ihn Schritt vor Schritt vorwärts, bis er endlich der königlichen Gesellschaft in London am 25. Februar 1815 verkünden konnte, daß er ein sicheres Mittel gefunden habe, fernere Unglücksfälle zu verhüten.

Seine Versuche hatten gelehrt, daß das Grubengas unter allen luftförmigen Körpern am schwersten zu entzünden sei, und daß ein Gemenge desselben mit Luft durch eine rothglühende Kohle nicht in Brand gerathe. Diese Beobachtung gab den Fingerzeig, daß durch Abkühlung der Flamme die Gefahr in den Bergwerken [339] zu verhindern sei. Davy umgab daher eine gewöhnliche Oellampe mit einem eisernen Drahtnetz, das auf den Quadratzoll 7–800 Maschen zählt; den oberen Theil dieses Cylinders schützte er durch stärkeres Metallblech vor Zerstörung durch die Flamme und das Ganze durch Stäbe gegen die äußere Einwirkung einer mechanischen Gewalt, so daß 100 Pfund schwere Kohlenstücke darauf fallen konnten, ohne die Sicherheitslampe zu zertrümmern.

Unter Davy’s eigener Leitung wurden in den gefährlichsten Gruben um Newcastle und Whithaven Versuche mit der Sicherheitslampe angestellt. Anfangs betrachteten die Bergleute den winzigen Apparat mit mißtrauischen Augen, aber bald mußten sie erstaunen und festen Schrittes drangen sie nun vor bis zu Orten, die sonst ihr Fuß nie zu betreten gewagt hatte. Mit der größten Verwunderung beobachteten sie, wie sie durch die verschiedenen Veränderungen der Flamme im Innern des Cylinders den Zustand der Wetter in den verschiedenen Theilen der Grube mit zuverlässiger Sicherheit ausmitteln konnten. Dringt das Grubengas in den Cylinder ein, so verlängert sich die Flamme nach und nach, bis sie den ganzen innern Raum erfüllt; sie brennt dann blau. Ist das Gemenge gefährlicher, so erfolgen innerhalb zahlreiche kleine Explosionen, oft so schnell hintereinander, daß die Luft in tönende Schwingungen geräth und diese jammernden Töne scheinen sich zu beklagen über die Herrschaft, die der menschliche Scharfsinn über das zerstörende Wesen gewonnen hat. Wie ein entwaffneter und eingekerkerter Wütherich geberdet sich die Flamme; mit ohnmächtiger Wuth leckt sie gierig gegen das Gitter ihres Gefängnisses, aber ihre Macht ist gebrochen. Wollte sie aus dem beengenden Raum hindurch in’s Freie, so muß sie sich in eben so viele kleine Flämmchen theilen als Maschen, und diese werden dann leicht durch die Strömung der von außen eindringenden kälteren Luft erstickt.

Von allen Seiten wurde Davy’s Entdeckung mit Beifall aufgenommen, ein Jeder beeilte sich, „dem Talente, welches uns mit den Eigenschaften und Kräften eines der gefährlichsten Wesen, mit denen es die Menschen zu thun haben, vertraut gemacht hatte, die höchste Bewunderung zu zollen.“ Ueberall, in England, Belgien, Frankreich und Deutschland wurde die Sicherheitslampe eingeführt und überall erklärte man sich durch ihre Leistungen vollkommen zufrieden gestellt. Jetzt wurde es auch möglich, große Strecken von Steinkohlen zu bebauen, welche vorher für durchaus unzugänglich gehalten worden waren. Auch bei dem Umgange mit anderen leicht feuerfangenden Stoffen, wie Pulver, Spiritus, Aether etc. hat sie sich durchaus bewährt. Nach einem mehr als zweijährigen erprobten Gebrauch überreichten die Grubenbesitzer am Tyne- und Weafluß bei einem Festmahle zu Newcastle am 11. Octob. 1817 Davy ein silbernes Tafelgeräth – 2000 Pfd. Sterl. an Werth, als Dank für den wichtigen Dienst, welchen er ihnen und den armen Bergleuten durch seinen Scharfsinn geleistet hatte.

Nichts desto weniger fehlt es nicht an Leuten, welche die Hülfsmittel, die uns die Wissenschaft bietet, herabsetzen und den Werth eines jeden der Menschheit geleisteten Dienstes zu verkleinern geflissentlich bemüht sind. Wie bei dem Ei des Columbus, war auch hier, nachdem einmal die Aufgabe gelöst, ein Jeder klüger. Von allen Seiten wurden Davy’s Sicherheitslampe Unvollkommenheiten vorgeworfen. Während man es früher nicht weiter gebracht hatte, als bis zu den Funken eines Feuersteines, forderte man jetzt eine glänzende Beleuchtung. Wie die Pilze nach einem befruchtenden Regen aus der Erde hervorschießen, wucherten die Verbesserungsvorschläge, die aber alle den Werth der einfachen Davy’schen Lampe nicht herabzusetzen im Stande waren. Viele dieser vermeintlichen verbesserten Lampen boten weit weniger Sicherheit, andere weit weniger Licht und noch andere waren zu schwer und viel zu theuer für den gewöhnlichen Gebrauch.

Es ist nicht zu leugnen, daß Davy’s Lampe mit Unvollkommenheiten behaftet war. Sobald sie sich aber beim Gebrauch herausstellten, war er selbst bemüht, allen billigen Anforderungen Genüge zu leisten. Die meisten Klagen wurden gehört über das geringe Licht, obgleich es gerade für den Arbeiter ausreicht, und über die Sorgfalt, mit der man die Lampe behandeln müsse. Durch die feinen in der Grubenluft schwebenden Kohlentheilchen wurde der Drahtcylinder leicht verstopft und hierdurch zugleich die Gefahr gesteigert, da diese seinen Theilchen sich leicht an dem unter Umständen glühenden Cylinder entzünden und so eine Explosion herbeiführen konnten. Die neue Einrichtung hilft allen Mängeln ab. Die Lampe wird jetzt durch eine dicke Glaskugel gebildet und durch einen doppelten Cylinder wird der innere vor den feinen Kohlentheilchen und der äußern vor dem Erglühen geschützt. Folgten sich die Explosionen im Innern der Lampe zu schnell, so wurde die Flamme oft ausgelöscht und der Bergmann war mit Finsterniß umhüllt. Auf sinnreiche Weise hat Davy dafür gesorgt, auch für diese Fälle dem Grubenarbeiter hinreichend Licht zu verschaffen, um sicher aus diesen Regionen der Finsterniß zu Tage zu gelangen. Er brachte in der Lampe eine Spirale von Platindraht an, der die Flamme umgiebt und dadurch glühend wird. Selbst wenn nun auch die Flamme erlischt, behält der Draht diese höhere Temperatur doch bei, so lange sich der Arbeiter in einer Atmosphäre des Kohlenwasserstoffes befindet, denn dieses fährt fort, langsam an dem glühenden Draht zu verbrennen und bietet so wenigstens einen Leitstern für den Rückzug.

Bei aller Sicherheit, welche diese einfache Vorrichtung gewährt, hörten aber die Unglücksfälle nicht auf. Ja die Morning Post brachte sogar einen Aufsatz mit der Ueberschrift: „Die Menschheit hat durch Davy’s Sicherheitslampe nichts gewonnen,“ in welchem sie behauptete, daß in einem kleinen Bezirke des unendlichen Englands in dem Zeitraum von 1805 bis 1816, also vor Davy’s Entdeckung, 284, von 1817 bis 1828, nach der Einführung der Lampe, aber 360 Grubenarbeiter – also 76 mehr – das Leben durch Entzündung der schlagenden Wetter eingebüßt hätten. Hieran waren aber die Sicherheitslampen ganz unschuldig. Es liegt in der Natur des Menschen, der sich so gern das vernünftigste Wesen nennt, eine gewisse Lust zur Widerspenstigkeit begründet; das Thun des Herrn der Schöpfung offenbart stets eine gewisse Unvernunft. Der Bergmann, von Jugend auf an Gefahren gewöhnt, lernt bald diesen Trotz bieten; er denkt nicht an die, welche ihn bedroht. Er glaubte in der Sicherheitslampe eine gefeite Reliquie zu besitzen, die ihn kugelfest mache und schlug alle Mahnungen zur Vorsicht in den Wind. Unter den nichtigsten Gründen, oft nur um die Tabackspfeife anzuzünden, ja selbst aus Laune und Eigensinn, entfernte er die schützende Hülle von der Lampe. Dadurch, daß oft sein unkluges Thun keine nachtheiligen Folgen herbeiführte, wurde er darin bestärkt, bis die vernichtende Strafe ihn ereilte, die aber keinesweges anderen zum mahnenden Vorbilde diente.

Andererseits aber trifft gerechter Tadel die Besitzer der Gruben, die sich nun jeder Sorge für die Grubenarbeiter überhoben glaubten und den Wetterwechsel auf das Gröblichste vernachlässigten. Unter allen Umständen gewährt die Sicherheitslampe keinen Schutz, sie zeigt aber die Gefahr hinreichend früh an, daß man ihr entrinnen kann. Sie muß durch eine zweite Einrichtung unterstützt werden; es muß ein hinreichender Zug der frischen Luft, auch sonst dringend nothwendig für die Gesundheit der im Schoße der Erde Arbeitenden, die Gruben durchziehen und für Fortschaffung, oder wenigstens Verdünnung der schlagenden Wetter sorgen. Freilich findet ein solcher Wetterwechsel schon von selbst durch den aufsteigenden Schacht hindurch, statt; die ungleichen Temperaturen im Innern der Gruben und an der Erdoberfläche bedingen einen Luftaustausch; die wärmere und daher leichtere und schlechte Lust steigt aus den Gruben auf und die kältere, daher schwerere, reine Luft sinkt in diese nieder. Aber dieser Wechsel ist nicht kräftig genug und kann sich auch wegen der fehlerhaften Anordnung des Baues nicht über alle Theile der Gruben in gleichem Maaße erstrecken; er muß also durch künstliche Mittel unterstützt werden.

Die einfachsten Mittel sind auch hier die besten. Complicirte Maschinen sind ganz zu verwerfen, denn geräth irgend ein Theil in Unordnung, so wird die Wetterführung ganz unterbrochen. Die wirksamsten Mittel sind hier Anwendung der Wärme oder des Dampfes. Auf dem einen Schacht befindet sich ein Ofen, der die zur Unterhaltung des Feuers erforderliche Luft nur aus dem Schacht selbst, also auch den Gruben erhalten kann. Die auf diese Weise fortgenommene Luft wird nothwendigerweise durch frische ersetzt, die in einem zweiten Schachte niedersinkt. Um hier eine Fortpflanzung des Feuers durch die schlagenden Wetter in die Gruben selbst unmöglich zu machen, bringt man in der Zugröhre, durch welche die nöthige Luft einströmt, ähnliche Drahtnetze an, wie bei den Sicherheitslampen. Von größerer Wirksamkeit noch sind Dampfströme an der Sohle – dem Grunde des Wetterschachtes. Durch das Feuer unter dem Kessel und durch die Wärme und die Kraft des Dampfes wird die Luft aus den Gruben geschafft und neue, reine Luft sinkt hinreichend nieder.

[340] Daß die Sicherheitslampen Hand in Hand gehend mit einer guten Wetterführung allen Unglücksfällen vorbeugen können, lehren uns die deutschen Steinkohlengruben. Anders aber ist es in England. Noch 1835 und 1849 wurden vom Parlament eigene Commissionen eingesetzt, welche über die Ursachen der Unfälle in den Kohlengruben und über die Mittel diesen zu steuern zu berichten hatten. Die letzte giebt den Verlust an Menschenleben durch schlagende Wetter in den englischen Steinkohlengruben jährlich auf 1000 an. Trotz aller Frömmelei und aller Kirchlichkeit legen die hartherzigen Grubenbesitzer doch einen weit geringeren Werth auf das Leben ihrer Arbeiter – freie Männer wie sie, als die Heiden – die alten Römer, welche, obgleich sie nur Verbrecher in den Bergwerken arbeiten ließen, dennoch für das Leben und die Wohlfahrt derselben durch die kostspieligsten Baue sorgten, die wir noch heute in Portugal und Spanien mit Verwunderung anstaunen.

Da alle gütlichen Ermahnungen und Rathschläge an dem Geiz der englischen Grubenbesitzer scheiterten, da blieb der Commission nichts anderen übrig als Zwangsmaßregeln vorzuschlagen. Ein neues Beispiel dafür, daß es mit dem so sehr gerühmten Selfgovernment nicht weit her ist, daß auch hier alle „Gemüthlichkeit“ aufhört, sobald der Geldbeutel mitzusprechen hat. Wie überall anderswo ist auch in dem gepriesenen England sehr Vieles „faul“ und die englischen Zustände im Großen und Ganzen nicht die, welchen die Menschheit als leuchtendem Vorbilde nachzustreben hat.




Bilder aus Varna.


Aegyptische Truppen und ihr Aussehen. – Viel Prügel. – Die kurdische Reiterei. – Ein junger Scheik und seine Ausrüstung. – Die Albanesen. – Kriegslust der Türken. – Ein Kaffeehaus. – Wie man dort Kaffee siedet. – Türkische Frauen. – Das Liebesabenteuer eines Engländers. – Abreise.
(Schluß.)

Da der Sturm, der durch ein heftiges Gewitter entstanden war, sich am Nachmittag wieder mehr gelegt hatte, so machten wir gegen Abend noch einen weiteren Spaziergang um die Stadt herum, um die neuangelegten Werke zu besehen. Das Innere der bulgarischen Städte mit ihren engen, krummen, schmutzigen Straßen voll Unrath, Gestank und ganzen Schaaren halbverhungerter, ekelhafter Hunde, ist so wenig ansprechend, daß man gern jede Gelegenheit benutzen wird, denselben zu entfliehen und sich in Gottes schöner, freier Natur zu bewegen. Uebrigens herrschte auch in der Umgegend reges Leben, denn mehrere Bataillone regulärer ägyptischer Infanterie, die vor einigen Tagen in Varna gelandet waren, um nach Schumla zu marschiren, bivouakirten im Freien, da in der Stadt selbst kein Platz mehr für sie war. Diese ägyptischen regulären Truppen haben sich seitdem mit wahrem Löwenmuthe gegen die Russen geschlagen und verdienen wirklich die unbedingteste Anerkennung, ja selbst Bewunderung wegen ihrer trefflichen militärischen Eigenschaften; ihrem Aeußeren nach sind es aber mit die häßlichsten Soldaten, die ich je in meinem ganzen Leben sah. Kleine magere Menschen, mit braunen hageren Gesichtern, den schmierigen rothen Fez bis fast an die Augen herabgezogen, was ihnen ein sehr dummes Aussehen giebt. Der Abendfrische wegen in alte schmierige Mäntel von unbeschreiblich grobem, braungrauem Tuch mit langen Kaputzen gehüllt, schlotterten sie herum, und starrten neugierig die ihnen fremden Uniformen der englischen Offiziere an. Besonders auch die Fußbekleidung derselben war in der elendesten Beschaffenheit, und Viele hatten sich alte Schlarfen von Schuhen mit Bast an die Füße gebunden, während Einzelne auch ganz bloß gingen. Die Flinten mit Bayonnetten daran, waren englisches Fabrikat und in ziemlich gutem Zustande, die übrige Ausrüstung von Tornister, Lederzeug aber sehr schlecht und unordentlich. Die Disciplin bei diesen regulären ägyptischen Truppen ist ungemein streng, und gerade dies giebt ihnen hauptsächlich mit ihre große Brauchbarkeit für den Krieg. Es wird geprügelt bei ihnen, und während wir im Lager herumgingen, bekamen gewiß ein halbes Dutzend armer Teufel ihre Hiebe, die sie, als wenn dies eine Sache wäre, die sich von selbst verstände, auch in geduldiger Resignation hinnahmen, ohne auch nur den mindesten Klagelaut dabei auszustoßen. Die Procedur hierbei ist übrigens sehr einfach. Der Schuldige muß sich auf dem Bauche der Länge lang hinstrecken, ein Kamerad setzt sich ihm auf den Nacken, ein Anderer auf die Füße, so daß er unbeweglich liegen bleiben muß, und nun bearbeitet ein „Tschausch“ (Unteroffizier) ihm das Sitzfleisch mit einem dicken Bambusrohr so lange, bis der zuschauende Offizier, der unterdeß gemüthlich seinen Tschibuk raucht, den Befehl zum Einhalten giebt. Der Geprügelte springt dann aus seiner allerdings etwas unbequemen Lage auf, küßt demüthig die Hand des Offiziers, sagt: „Ich danke, Herr! Herr! Gott ist Gott!“ und trollt sich dann seiner Wege. Alles geht dabei so gemüthlich und patriarchalisch wie nur möglich zu. Auch ein Grieche, der beim Stehlen ertappt war, erhielt, während wir im Lager herumgingen, die Bastonade und schrie dabei zur großen Verwunderung der Aegypter, die lachend umherstanden, als wenn er am Spieße stäke. So eine Bastonade muß gewiß sehr schmerzhaft sein, und wird sie ordentlich gegeben, soll der Gestrafte oft in mehreren Wochen nicht wieder gehen können. Der Schuldige wird ebenfalls auf den Bauch gelegt, seine nackten Füße aber zwischen zwei Stangen gebunden und ausgerichtet, daß die Fußsohlen waagerecht daliegen, und der Fuß sich nicht bewegen kann. Auf diese bloßen Fußsohlen werden dann die bestimmten Hiebe, die oft bis hundert steigen sollen, mit einem fingerdicken Bambusrohr aufgehauen. Der Grieche erhielt nur zwanzig Hiebe, denn der englische Hauptmann bat für ihn bei dem ägyptischen Offizier, daß ihm die andern erlassen wurden, doch waren seine Fußsohlen davon so übel zugerichtet, daß er nur mühsam fortgehen konnte. Wir schenkten dem Burschen, der ein recht confiscirtes Gesicht hatte, aus Mitleiden einige Piaster, obgleich er dieselben eigentlich nicht verdiente.

So erbärmlich das Aussehen der ägyptischen Truppen war, so exercirten dieselben doch ziemlich gut und gewandt, wie ich mich am andern Tage überzeugen konnte. Freilich eine berliner Wachparade war es nicht, doch wurden alle Bewegungen regelmäßig und ohne Verwirrung, wenn auch freilich etwas langsam ausgeführt. Bei dem Exerciren hieben die Offiziere aber tüchtig mit den flachen Klingen auf die Leute, die etwas langsam waren, darein, und auch einige Unteroffiziere bekamen ihr Theil Hiebe mit ab. Prügel haben nun einmal bei den Orientalen nichts Ehrenrühriges und es wird gar viel bei denselben geschlagen.

Außer diesen Aegyptern waren in und um Varna noch ein gutes Theil türkischer Truppen von allen Waffengattungen versammelt, und in rein militairischer Hinsicht konnte man viel Neues daselbst sehen und kennen lernen. Die malerischsten Gestalten unter allen diesen Truppen befanden sich unter einer kleinen Abtheilung irregulärer kurdischer Reiterei, die auf dem Durchmarsch nach der Donau begriffen war. Diese Kurden ritten schöne, schlanke und kräftige Hengste, und man konnte es den feurigen Thieren schon äußerlich ansehen, welche Kriegstüchtigkeit sie haben würden. Das Sattelzeug derselben war ungemein reich geschmückt und bei einzelnen Führern gewiß von hohem Werthe. Einen jungen Scheik (Häuptling) sahe ich, dessen rabenschwarzer großer Streithengst am Halse und über die Brust förmlich eine Art Panzer von Stahldraht mit rothem Zeug gefüttert, trug, wie ähnliche im Mittelalter bisweilen bei den Turnierrüstungen der Ritterpferde angebracht waren. Der Reiter selbst, ein noch junger, ungemein stattlicher Mann, der mit großer Gewandtheit sein muthiges Roß zu tummeln wußte, hatte ebenfalls über seinen bunten kurzen Waffenrock einen Drahtpanzer, der ganz eng anschloß. Im Einzelkampf sind diese kurdischen Reiter gewiß sehr gefährliche Gegner für die russische Cavallerie, im Ganzen werden sie gegen die geschlossenen Reihen derselben aber wohl nicht allzu viel ausrichten. Sie sind ohne Disciplin und Ordnung und vermögen nicht recht in geschlossenen Reihen zu fechten und regelmäßige Bewegungen auszuführen, und wo diese Eigenschaften fehlen, da hilft bei der Kriegsführung unserer jetzigen Zeit auch die glänzendste Tapferkeit und größte Gewandtheit des Einzelnen nicht viel. So sind diese häßlichen regulären ägyptischen Truppen [341] für die Pforte von ungleich größerem Werth, als alle die unregelmäßigen Reiterschwärme, welche einzelne asiatische Volksstämme jetzt stellen, mag auch das Aussehen letzterer noch so kriegerisch und für das Auge bestechend sein. Auch die Albanesen, so muthige Kämpfer und geschickte Schützen dieselben sind, haben lange nicht den militärischen Werth, wie man ihrem äußeren Ansehen nach wohl glauben sollte, da ihnen jegliche Zucht und Ordnung gänzlich fehlt. Von allen Truppen, welche der Sultan jetzt unter seine Fahne gerufen hat, sind diese Albanesen die zuchtlosesten und verwildertsten und verüben die meisten Excesse aller Art. Werden die Albanesen übrigens unter das reguläre Militär gesteckt, und die Energie von Omer Pascha hat dies eingeführt, so sollen sich bei strenger Zucht die besten Soldaten von der Welt aus ihnen heranbilden lassen. Namentlich wurden uns die Albanesen, die man bei der regulären türkischen Artillerie eingestellt hatte, von den Artillerie-Offizieren als ihre besten und zuverlässigsten Soldaten ungemein gerühmt. Sie sollen sich durch Schnelligkeit, große Körperkraft und scharfen Blick beim Zielen vorzugsweise auszeichnen, Eigenschaften[WS 1], die freilich für Artilleristen, auch von einem besondern Werthe sind.

Die Kriegslust aller hier versammelten Truppen war ungemein groß, und sie konnten es kaum erwarten, daß die Kriegserklärung gegen Rußland bald erfolgen würde. „Giebt es keine Neuigkeiten? Man sagt, es wird Krieg geben, Herr!“ war eine Frage, welche die türkischen Offiziere durch den Dollmetscher gar unzählige Mal an uns richten ließen. Die regulären Truppen waren gegen meine Begleiter, die ihnen als englische Offiziere vorgestellt waren, ungemein respektvoll, und machten ihnen stets die gleichen militärischen Ehrenbezeigungen, wie ihren eigenen Vorgesetzten, von den irregulären aber wurden uns bisweilen einzelne Verwünschungen zugerufen, oder ein halblautes, ingrimmiges „Giaur“ kam ihnen zwischen die Lippen, wenn wir vorbeigingen. Ein Arnaut machte sich den Spaß, ganz unversehens seine scharf geladene Flinte uns über die Zöpfe abzuschießen, als wir vor den Thoren spazieren gingen, vermuthlich um uns zu erschrecken. Ein türkischer, höherer Offizier hatte dies aber gesehen und sandte sogleich zwei Gensd’armen dem Arnauten nach, die ihn arretiren mußten. Wie in der Türkei alle gerichtlichen Proceduren mit äußerster Schnelligkeit abgemacht werden, so geschah dies auch jetzt. Der Schuldige wurde zu fünfzig Stockschlägen verurtheilt, mußte sich sogleich niederlegen, erhielt seine fünfzig Hiebe aufgezählt, ohne daß er auch nur eine Miene dabei verzog, und konnte sich dann seiner Wege scheeren.

Außer der Besichtigung der verschiedenen Truppen und den Ausflügen in die Umgegend, so viel es das Wetter erlaubte, was gerade, während ich in Varna war, sich ziemlich schlecht gestaltete, bot der Ort selbst verzweifelt wenig Interessantes dar. Mehrere Stunden des Tages verbrachten wir in Begleitung unseres Wirthes und einiger türkischer Offiziere in einem echt türkischen Kaffeehaus, und es war das erste Mal, daß ich ein solches betrat, denn zufällig war dies in Schumla und Rustschuk nicht geschehen. Wir besuchten besonders häufig ein kleines Kaffeehaus, nicht weit vom Hafen gelegen, was von einem alten freundlichen Türken mit einem gutmüthigen, dabei aber doch schlauem Gesichte verwaltet wurde. Das Mobiliar dieses Kaffeehauses, welches auch keine Glasscheiben, sondern nur leere Fensteröffnungen hatte, zeichnete sich durch große Einfachheit aus und bestand aus mehreren herumlaufenden breiten, aber sehr niedern Divans, und einigen kleinen Tischen. Von Stühlen, Billards, oder gar Zeitungen war keine Spur zu finden, denn der echte Türke kennt alle dergleichen Bedürfnisse nicht.

Das erste war nun stets, wenn wir hereinkamen, daß der „Tschotschuck“ (Kellner) des Kaffeehauses, übrigens ein alter, einäugiger Bursche, der so und so viel Jahre schon beim Militär gedient hatte, Jedem von uns die Spitze einer schon angerauchten „Nargile“ (Wasserpfeife) präsentirte. Eine solche Wasserpfeife besteht aus einer plumpen Flasche mit Wasser, die in einen engen Hals zuläuft, unten mit einem kleinen Pfeifenkopf, in dem der fein geschnittene Taback gestopft wird, versehen. Von der Mitte der Flasche läuft ein mehrere Klafter langes, elastisches Rohr aus, so daß der Tabacksrauch erst immer durch das Wasser muß, und so ganz abgekühlt in den Mund des Rauchern gelangt. Solche „Nargiles“ sind theils für einen Raucher bestimmt, und haben dann nur kleine Köpfe, theils sind sie so groß, daß vier, sechs, acht Personen zu gleicher Zeit daraus rauchen, oder den Dampf trinken können, wie die Türken es nennen.

So wie nun ein Gast in das Kaffeehaus kommt, nimmt der Kaffeesieder ein sehr kleines offenes, kupfernes Kasserol mit einem langen Stiel versehen, gießt aus einer großen Kupferkanne kochendes Wasser hinein, wirft dann zwei kleine Löffelchen voll ganz fein zerriebnen Kaffee, der in verschlossenen Büchsen gehalten wird, in dies Wasser und hält das Kasserol nun über ein flammendes kleines Feuer auf einem Herde in der Ecke des Gemaches. So wie das Wasser dreimal aufgewallt ist, was augenblicklich geschehen, ist der Kaffee fertig und wird in einer Tasse, die auf metallener Untersatzchaale ruht, dem Gaste mit einem „Sei willkommen“ überreicht. So wird jede einzelne Tasse Kaffee besonders und vor den Augen des Gastes bereitet, doch geht das ganze Geschäft ungemein rasch vor sich. Der Kaffee ist sehr wohlfeil und kostet die Tasse nur einige Paras, die man beim Weggehen von selbst auf einen Polster legt. Für die Pfeife giebt man dem Aufwärter ebenfalls einige Paras als Trinkgeld. Von diesen Kaffeestuben, großen wie kleinen, gab es in Varna eine unzählige Menge und doch waren alle schon während des ganzen Tages fast immer sehr besucht. Sie gehören nebst den Bädern zu den einzigen öffentlichen Orten, welche die Türken zu besuchen pflegen und in denen sie oft einen großen Theil ihrer vielen müßigen Zeit verbringen. Allzu große Redelust entwickeln die Gäste in diesen Kaffeehäusern freilich nicht, doch war bisweilen die Unterhaltung ziemlich lebendig, obgleich sie stets in dem ruhigen gemessenen Ton geführt wurde, der den Türken so sehr eigen ist. An italienischen und griechischen Schenken und Restaurationen, für Gäste jeglichen Standes berechnet, war übrigens in Varna, als einer ziemlich belebten Hafenstadt, kein Mangel, obgleich sich auch das vornehmste Lokal dieser Art nicht über die Mittelmäßigkeit erhob und besonders hinsichtlich der Reinlichkeit auch Vieles zu wünschen übrig ließ. Dafür waren aber die Preise, die man uns als Fremde abforderte, so hoch, daß wir bequem in der elegantesten pariser Restauration dafür hätten essen können.

Wir gaben einigen türkischen Offizieren ein Mittagsessen nach französischer Weise zubereitet, und obgleich das Essen nur sehr mäßig war, und nur aus fünf bis sechs Gerichten bestand, so kostete das Couvert doch, außer dem Wein, einen Dukaten. Ueberhaupt ist eine Reise in Bulgarien eine ziemlich theure Sache, obschon Manches freilich wieder sehr wohlfeil ist, und man wird Alles in Allem zusammengerechnet selbst in England bedeutend billiger reisen wie gerade in diesem Lande.

Was unsere Aufmerksamkeit außer den Truppen auch besonders in Varna auf sich zog, war das Leben und Treiben der türkischen Frauen. Es reizte unsere Neugierde sehr, womöglich Eine dieser dicht vermummten Gestalten, deren wir in kleinen oder größeren Trupps häufig auf den Straßen begegneten, wenn sie sich in die Bäder begaben, auch ohne Schleier zu sehen, doch wollte uns dies, trotzdem daß wir zu List, ja selbst Bestechung unsere Zuflucht nahmen, nie gelingen. Auch der Dollmetscher Stephan-Gregorio, der sonst, wenn er nur Aussicht hatte Geld zu verdienen, und so leicht vor nichts zurückschreckte, wollte sich in eine Intrigue gegen die wachsame Eifersucht der Türken nicht einlassen und meinte, es sei leichter und ungefährlicher dem Padischah an dem Barte zu zupfen, wie in den Harem eines vornehmen Türken einzudringen. Wie aber gerade das Verbotene so ungemein anlockt, so war auch bei meinem jungen englischen Gefährten das Verlangen immer dringender, Eine jener schönen Türkinnen, deren Reize er sich in seiner Phantasie wahrscheinlich viel bezaubernder ausmalte, wie sie in Wirklichkeit waren, von Angesicht zu Angesicht zu schauen.

Bulgarische und griechische Mädchen aller Stände und darunter wirkliche Schönheiten hatten wir in Varna häufig gesehen, und dem Anschein nach waren Manche derselben von einer allzuspröden Zurückhaltung ziemlich entfernt, und hätten leicht zu einer Liebesintrigue sich bewegen lassen, er aber hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, einer Türkin und keiner andern die Gefühle seines Herzens zu offenbaren. Besonders eine sehr schön gewachsene, schlanke Frau, soviel man trotz des dichten Schleiers, der sie umwallte, erkennen konnte, die von einem alten widerlichen Verschnittenen bewacht sich öfters in einem Garten, nahe unserer Wohnung, sehen ließ, hatte seine Neugierde, oder wenn man es auch so nennen will, Neigung erweckt. Hat ein echter Engländer sich aber einmal erst eine Sache, mag sie nun so gut oder so [342] verrückt sein wie sie will, in den Kopf gesetzt, so ruht er auch so leicht nicht, bis er seinen Willen erreicht hat, koste das nun auch was es wolle. Dazu war mein Gefährte ein wirklich schöner, frisch aussehender Mann mit blondem vollen Haar, wie es die Türkinnen so sehr lieben sollen, Guineen zur Bestechung aller Hüter und Hüterinnen standen ihm auch hinreichend zur Verfügung, und so erreichte er doch endlich seinen Willen. Eine alte Kupplerin, wie sie bei den Türken zum Abschließen der Heirathen gewöhnlich gebraucht werden, hatte er sich durch Gold gewonnen, daß sie der schönen Geliebten die Gefühle seines Herzens offenbare, was durch einen, von der kundigen Frau gewundenen Blumenstrauß geschah. Mastik in Körnern, war in diesem Strauße angebracht und nach der türkischen Blumen- und Zeichensprache soll dies bedeuten, „ich sehne mich nach Dir,“ dann eine Aloe, was „Arznei für das Herzweh“ und ein Kleeblatt „ich liebe Dich unendlich“ bedeuten soll. Uebrigens soll die Bedeutung dieser Blumen, auch nach der Stelle, die sie im Strauße einnehmen, verschieden sein, und es förmlich eine große Geschicklichkeit erfordern, einen gut gewählten derartigen Strauß, der dann freilich auch die Stelle eines Billet-doux bei uns vertritt, zu binden.

Das erste Mal kam die alte Vermittlerin ziemlich betroffen zurück und brachte als Erwiderung nur eine kleine Staude Salat, was nach ihrer Verdollmetschung so viel heißen sollte, als „weiche von hinnen, Du Störer meiner Ruhe.“ Freilich ein böser Anfang, der leicht einen Andern, der weniger starrköpfig wie der Engländer war, hätte zurückschrecken können. „Ich kenne das schon, die Frauen in der ganzen Welt sind kokett und wollen nur gebeten sein“ meinte er in seiner unerschütterlichen Ruhe und gab dem alten Weibe Befehl, wieder einen andern Strauß, der wo möglich noch inniger wie der erste war, zu binden, und zu der Spröden hinzutragen. Jetzt nahm dieselbe einen kleinen Porcellanbecher, der ausdrücken sollte: „Es giebt keine Houris im Paradiese so schön wie Du,“ goß Weinessig darein, was hieß: „Erbarme Dich meiner,“ dann eine Hyacinthe, „ich weine, Du lachst“ und befestigte schließlich noch eine kleine getödtete Spinne im Kelche derselben, „ich liebe Dich bis zu meinem Tode.“ Das war doch schweres Geschütz auf das Herz der armen Türkin abgeschossen, und wenn dasselbe sich jetzt nicht auf Gnade und Ungnade dem kühnen Engländer ergab, zeigte es sich in der That uneinnehmbar. Wenige Stunden, bevor ich abreiste, erhielt der ungeduldig harrende Liebhaber aber durch die alte Frau, die jetzt sehr vergnüglich schmunzelte, denn er hatte ihr zehn Dukaten als Lohn versprochen, wenn sie ihm wirklich ein Rendezvous vermittelte, von der Türkin einen Strauß Mandelblüthe, „ich weine, weine auch Du,“ eine Bohnenblüthe, „nimm und behalte mein Herz;“ und dazwischen ein Stücklein Spiegelglas, „komm in mein Haus“ zugeschickt, und hatte so wenigstens den ersten Theil seines Wunsches schon erreicht. Das Rendezvous selbst, was eine ziemlich gefährliche Sache war, sollte durch Vermittlung der alten Kupplerin im Garten des Türken, wenn die Nacht erst ihren dunklen Schleier ausgebreitet hatte, stattfinden. Was nun weiter aus der Sache geworden und ob mein kühner und beharrlicher Freund seine Wünsche in jeglicher Hinsicht erfüllt gesehen hat, vermag ich nicht zu berichten, denn ich bin darüber von Varna abgereist. Mit dem Leben ist er übrigens davon gekommen, so viel ist gewiß, und soll jetzt auf einem Schiffe in der Flotte des „Sir Charles Napier“ auf der Ostsee schwimmen. Solches heimliche Eindringen in die Harems soll von Europäern häufig geschehen, aber doch immer eine ziemlich gefährliche Sache sein und mancher Franke dabei schon verschwunden sein, ohne daß man je über sein ferneres Schicksal wieder etwas erfahren. Eine türkische Behörde wird nie dazu zu bewegen sein, eine Untersuchung, oder gar eine Bestrafung zu verhängen, wenn ein Türke einen solchen Eindringling in seinen Harem auf der Stelle tödtet, und selbst der Einfluß des englischen Gesandten, so allmächtig dieser sonst auch jetzt in der Türkei ist, würde schwerlich dies durchsetzen können. Mich amusirte übrigens, wie ich nicht leugnen kann, dies verliebte Abenteuer des englischen Offiziers ungemein, und gab mir vielfachen Stoff zum Lachen. War es doch ein kleines ergötzliches Intermezzo in dem sonst so langweiligen Varnaer Aufenthalt.

Große Unruhe aller Art werden wohl jetzt die französischen Truppen den eifersüchtigen Türken in dieser Beziehung machen, und es wird gewiß an derartigen Abenteuern nicht fehlen. Können es doch in Algerien, obgleich in den Städten daselbst wahrlich mehr Ueberfluß wie Mangel an schönen und überaus gefälligen Frauen ist, die französischen Offiziere nicht unterlassen, Intriguen in den Harems anzuknüpfen, wenn so etwas auch durch besondere, oft wiederholte Befehle noch so strenge von dem Gouvernement untersagt wird. Die Studien, die sie mit gutem Erfolg in dieser Beziehung schon auf algerischem Boden begonnen, werden die lustigen und gewandten Offiziere und Soldaten der Chasseurs d’Afrique, Zouaven und der andern Korps auch in der Türkei ganz gewiß fortzusetzen versuchen. Was wird noch mancher strenggläubige, eifersüchtige Türke alle diese windbeuteligen, leichtfüßigen fremden Gäste, die zwar mit Vergnügen für ihn kämpfen, aber eben so gern auch seine Frauen küssen und mit gleicher Lust ein russisches Quarré wie einen wohlbewachten Harem angreifen, verwünschen! Fest bin ich überzeugt, an verdrießlichen Scenen aller Art wird es in dieser Beziehung nicht fehlen und wenn die französischen Oberoffiziere auch noch so strenge Befehle dagegen erlassen, die nun einmal angeborne Neigung zu galanten Intriguen und Abenteuern wird bei ihren Untergebenen nicht zu unterdrücken sein.

Sechs Tage hatte ich in Varna verweilt, und manches Interessante dort gesehen, dann schlug die Stunde der Abreise und ich kann nicht leugnen, daß ich mich im Allgemeinen darauf freute, die Türkei möglichst bald wieder im Rücken zu haben. Mit Dampf kann man auch von Silistria aus die Donau schnell stromaufwärts fahren, obgleich es etwas langsamer wie stromab geht, und als erst die langweilige Quarantaine, wenn schon dieselbe auch jetzt sehr verkürzt ist, überstanden war, kam ich in wenigen Tagen wieder in völlig andere Gegenden, und bewegte mich in Kreisen, die gar wenig Ähnlichkeit mit denen hatten, welche ich so eben verlassen.[2]
Julius v. Wickede. 

[343]




Blätter und Blüthen.

Die Kunst des Sehens. Jacques Arago, der bekanntlich blinde Reisende und Bruder des vor einigen Monaten verstorbenen berühmten Astronomen und Naturforschers, erzählt in seinem neuesten Werke: „Die beiden Oceane,“ folgende merkwürdige Geschichte.

Daniel Davidson, der Sohn eines reichen Kaufmanns in London, hatte das Augenlicht in einem Lebensalter verloren, wo man diese unermeßliche Wohlthat noch nicht würdigt. Er hatte kaum angefangen zu sehen, als sich die Sonne für ihn verschleierte und die Wissenschaft bot später vergebens alle ihre Bemühungen auf, um ihm das wiederzugeben, was der Himmel ihm geraubt hatte.

Auf den Arm Sir Davy’s, seines Hausarztes, gestützt, ging er eines Tages durch Regentstreet in der Nähe des Cirkus, als er, durch die wiederholte Warnung eines Kutschers erschreckt, sich von dem Arme seines Führers losriß und nach dem Trottoir hineilt.

Der Wagen rollt heran und stößt Davidson über den Haufen. Er zerschlägt sich die Stirn an einem hervorragenden Steine, springt wieder auf und stößt ein wahnsinniges Geschrei aus. Sir Davy eilt schnell herbei.

„Was fehlt Ihnen, mein Freund?“ fragte er ihn im Tone der Besorgniß.

„Ich werde wahnsinnig! Ich bin wahnsinnig!“ antwortet ihm Davidson, indem er die blutigen Hände vor die Augen hält.

„Beruhigen Sie sich, Daniel, diese Wunde ist durchaus nicht gefährlich.“

„Das ist es auch nicht, was mich beunruhigt und schreckt; ich fürchte zu träumen, ich wage nicht, die Augen aufzuschlagen!“

„Warum nicht?“

„Gott ist Gott – ich sehe, ich sehe! Hier ist etwas, ganz nahe bei mir – ich berühre, was ich berühren will; meine Sinne verwirren sich; ich fürchte mich!“

„Beruhigen Sie sich und preisen Sie den Ewigen,“ sagt der Doctor, indem er ihm mit seinem Taschentuche die Augen verbindet; „rühren Sie diesen Schleier nicht an, er wird Ihr zweiter Retter sein. Kommen Sie, mein Freund, kehren wir nach Hause zurück; die Menge, welche uns umgiebt, betet für Sie; hier ist ein Wagen, steigen wir ein.“

Einige Augenblicke später betete Davidson’s Familie auch; nur der Doctor allein fürchtete, daß blos ein rascher Blitz an den Augen seines Freundes vorübergezuckt sei und auf alle Fälle rief er die Wissenschaft zu Hülfe, deren der Himmel doch nicht bedurfte.

Sobald Sir Davy sich überzeugt hatte, daß Davidson in der That das Augenlicht wieder erhalten, verzehnfachte er die angelegten Binden, sperrte seinen Freund in ein dem Lichte verschlossenes Gemach und gewöhnte ihn ganz langsam und allmälig an die Strahlen des Tages.

Endlich war der Tag der großes Prüfung angebrochen. Davy versammelte in einem Salon die gleichzeitig zitternde und glückliche Familie Davidson’s und einige seiner gelehrten Collegen, die ihm im Nothfalle beistehen und die von ihm vorausgesehenen Phänome studiren sollten.

Tiefes Schweigen herrschte in dem von einem gedämpften Lichte erhellten Gemach.

„Nehmen Sie meinen Arm,“ sagte der Doctor zu Daniel, „und setzen Sie sich neben mich in einen Sessel. Sie zittern, mein Freund, Sie sind aufgeregt; wenn Sie nicht die Kraft haben, sich zu beruhigen, wenn Sie nicht den Muth besitzen, die unerwartete Wohlthat zu empfangen, womit der Allmächtige Sie beschenkt hat, so will ich lieber noch warten; versprechen Sie mir, ruhig zu sein?“

„Ja, mein Freund; aber dieser Augenblick ist so feierlich, daß ich erst Gott um Kraft dazu bitten muß.“

„Beten Sie und beruhigen Sie sich.“

„Mein Gott, stehe mir bei,“ betete Davidson, „und Dein Wille geschehe! Wer ist denn bei mir?“

„Ihre Mutter, welche auf ihren Knien liegt und betet,“ antwortet der Doctor, „Ihre Schwestern, Ihr Vater und einige Ihrer besten Freunde.“

„Gut, gut! Gott möge sprechen, ich unterwerfe mich.“

„Wohlan! Aber gehorchen Sie; thun Sie genau, was ich Ihnen befehlen werde; wenden Sie den Kopf weder rechts noch links, sehen Sie gerade vor sich hin, wo ich Ihnen sagen werde hinzusehen.“

„Ihr Schüler wird Ihnen gehorchen,“ antwortete Daniel mit einem wehmüthigen Lächeln; „reden Sie.“

„Sie wissen, mein Freund, was ein Tisch ist, ein Hund, ein Kind?“

„Ja.“

„Wohlan! Zwei Schritte von uns habe ich auf einen Tisch einen Hund und ein Kind gesetzt; sie sind da und die ersten Gegenstände, welche Sie betrachten, welche Sie sehen sollen. Aber nur nicht zu viel Gemühsbewegung, sonst verzögere ich noch die Prüfung; Muth, Daniel, hier ist das Licht.“

Davidson ward kreideweiß und augenblicklich ward ihm die Binde wieder angelegt.

„Ich bitte um Verzeihung, mein Freund, ich bitte um Verzeihung,“ rief Daniel schluchzend; „wenn ich bedenke, daß ich morgen, ja vielleicht heute noch meiner Mutter entgegengehen kann, daß es mir verstattet sein wird, meine Brüder aufzusuchen, ein Lächeln durch ein Lächeln zu erwiedern, dann schwindelt mir der Verstand und ich fürchte mich vor dem Lichte fast eben so sehr, wie vor der Finsterniß.“

„Entfernen Sie sich, entfernen Sie sich,“ sagte Sir Davy in strengem Tone; „entfernen Sie sich, meine Freunde; Daniel hat keinen Muth. Er leide demnach die Folgen seiner Feigheit.“

„Nein, Doctor, jetzt bin ich ganz ruhig; meine Thränen haben mir wohlgethan, jetzt gehorche ich, befehlen Sie nur.“

„Ich glaube Ihnen. Eben fragte ich Sie, ob Sie wüßten, was ein Kind und was ein Hund ist und Sie haben mir geantwortet, Sie wüßten es. Hier auf diesen Tisch habe ich das Kind und den Hund gesetzt. Betrachten Sie nur diese, ich bitte Sie darum.“

Die Binde ward zum zweiten Male weggenommen.

„Mein Gott, wie seltsam!“ rief Davidson; „was ist das, was sich da bewegt?“

„Es ist ein Kind und es ist ein Hund, alle beide auf einem Tische.“

„Welches ist aber das Kind? – Welches ist der Hund? Ich kann es nicht wissen, denn ich sehe sie nicht mit meinen Fingern; so kann ich sie auch nicht unterscheiden.“

„Gut, so wollen wir sie Ihnen auf Ihre Art zeigen.“

Die Binde ward wieder um Davidson’s Augen geschlungen, er that zwei Schritte und unterschied durch Betasten mit leichter Mühe die beiden ihm vorgelegten Gegenstände.

„Nun kehren Sie auf Ihren Platz zurück,“ sagte der Arzt.

Und während er sich setzte, ließ man das Kind und den Hund die Plätze wechseln.

„Wohlan,“ fragte Sir Davy, „jetzt werden Sie sich wohl nicht irren; bezeichnen Sie das Kind und bezeichnen Sie den Hund.“

„Das ist nicht schwer,“ sagte Davidson; „der Hund sitzt links und das Kind sitzt rechts.“

Er hätte aber gerade das Gegentheil sagen sollen.

Ich sage es noch einmal, man lernt sehen, wie man lesen und gehen lernt, das Kind bedarf des Gängelbandes, denn es versteht die Entfernungen eben so wenig zu berechnen, als die Gefahren und Davidson war wieder ein Kind geworden; man zeigte ihm die Flamme einer Kerze und er verbrannte sich den Finger, als er darauf zeigen wollte. Auf der Straße ging er immer mit vor sich hingestreckten Armen, weil er fortwährend gegen etwas anzustoßen fürchtete, was noch weit von ihm entfernt war und eines Abends, als er zum ersten Male den Mond am Himmel stehen sah, fiel er rücklings nieder und sagte zu dem Arzte: Gott wolle ihm eine feurige Kugel auf den Kopf werfen.

Indessen machte er doch stete Fortschritte in der für ihn so neuen Fähigkeit; die glückliche Familie Davidson’s belächelte die Bemerkungen des Neulings und ohne Furcht vor der Zukunft versuchte man, ihm die Wirkungen der Perspektive begreiflich zu machen, von denen er sich keine Rechenschaft zu geben vermochte.

Sechs Monate lang sah Davidson die Sonne aufgehen, die Wälder grünen, den Strom fließen, die Blumen blühen, er bewunderte die regelmäßige Aufeinanderfolge des Tages und der Nacht; er begriff die Uebereinstimmung des Blickes mit dem Worte und alle Morgen und Abende drückte er einen Kuß auf die Stirn seiner Mutter.

Eines Morgens erwacht er.

„John, warum öffnest Du die Fensterläden nicht?“

„Mein Herr, sie sind längst geöffnet.“

„Ist das wahr? O ewiger Gott, dann bin ich wieder blind geworden.“

Ein Jahr später begrub man in dem Garten von Bedlam einen Wahnsinnigen Namens Daniel Davidson, der sich mit einer Gitterstange seiner Zelle die Halsadern aufgerissen hatte.




Aus dem Leben C. M. v. Weber’s. In gewissen, Einsendern dieses zu Händen gekommenen Memorabilien aus alten freiberger Local-Blättern von 1800-1801, welche außer der nähern Umgegend Freibergs wohl kaum sehr bekannt geworden sein mögen, finden sich nachstehende, bei Gelegenheit der Aufführung von Weber’s erster Oper „Das Waldmädchen“ zwischen diesem und dem damaligen Stadtmusikus S., so wie dem Cantor F. gewechselte Philippika, welche einen Beitrag zu dem alten Erfahrungssatze geben, daß junge aufstrebende Talente in der Regel neidischen Angriffen der althergebrachten Schule ausgesetzt sind, wenn auch im gegenwärtigen Falle nicht geleugnet werden kann, daß v. Weber als noch sehr jugendlicher Anfänger eine vorhergegangene, zwar ungünstige, aber sehr gemäßigt gehaltene Kritik seines Werk’s hätte ruhiger hinnehmen und nicht durch animose Beantwortung den ziemlich erbittert geführten Streit hervorrufen sollen. Also zur Sache.

Nr. 1.
Beantwortung der etc. befindlichen Recension.

Daß meine Composition nicht gefallen durfte, da prämoditirte, niedrige und vom bittersten Neide und Mißgunst gespielte Kabalen die Stimmung zur Aufführung derselben gab, folglich ein verstimmtes Instrument niemals gut klingen kann, mußte ich gewärtigen: warum hat sie denn in Chemnitz gefallen? – weil – rein gestimmt war. – Mein eigenes Bewußtsein

[344] und das unparteiische Urtheil großer Männer und Contrapunctisten, die hier freilich etwas selten sein dürften – beruhigen mich, sonst sind meine Blüthen bereits vor zwei Jahren in den ersten Blättern, und im zweiten Bande der berühmten Leipziger musikalischen Zeitung schon als ziemlich schöne und reife Früchte anerkannt worden; übrigens steht meine Originalarbeit Jedem zur stündlichen Einsicht offen, und unendlichen Dank dem, so mir meine Fehler zeigt und eines Bessern belehrt.
C. M. v. W., Compositeur. 
Nr. 2.
Abgenöthigte Rechtfertigung.
Da der Compositeur Herr C. M. v. W. gleich, als die von ihm componirte und hier aufgeführte Oper den eingebildeten großen Beifall nicht erhielt, im Publico mich und das hiesige Orchester einer Vernachlässigung seiner Composition, obwohl mit großem Unrecht, beschuldigte, derselbe auch neuerlich in Nr. 3 d. Bl. über niedrige und vom bittersten Neid und Mißgunst gespielte Kabale Klage führt und ich diese ungerechten Beschuldigungen, lediglich auf mich und das hiesige Orchester deuten muß: so finde ich als Directeur desselben für mich und im Namen des letztern hiermit öffentlich zu erklären für nöthig: daß von Seiten unserer alles Mögliche gethan worden ist, um die gedachte Composition gehörig und gut zu executiren. Unmöglich war es aber, die aus Mangel an hinlänglicher Instrumental-Kenntniß eingelaufenen Fehler, welche jedoch für einen angeblich dreizehnjährigen Jüngling verzeihlich sein mögen, ganz unbemerkbar, so wie alte Gedanken neu zu machen. Und obwohl jede Musik contrapunctisch ist, bin ich doch zu wenig Theoretiker, um über den Contrapunkt im engern Sinne ein competentes Urtheil zu fällen, ich überlasse es vielmehr dem Herrn Cantor F. allhier, welcher die gedachte Oper selbst gehört, zu beurtheilen, inwiefern der junge Componist auf contrapunctliche Kenntniß Ansprüche zu machen befugt ist oder nicht. Uebrigens möchte, allen eingegangenen Nachrichten zufolge, dem Schauspieldirektor in Chemnitz die Wiederholung dieser Oper auf keine Weise anzurathen sein.
C. G. S., Stadtmusikus. 
Nr. 3.
Abgeforderte Erklärung zu Nr. 4. d. Bl.

Man mußte über die große Dreistigkeit erstaunen, mit welcher der Herr Comp. v. W. seine Oper, „Das Waldmädchen“, ausposaunte, um nur ein günstiges Urtheil zu erzwingen. Die Sache ist dem Publico bekannt, und ich würde dazu geschwiegen haben, wenn ich nicht namentlich aufgefordert worden wäre, und es dem freybergischen Publico schuldig zu sein glaubte, meine Meinung ohne Schminke zu sagen. Die Erwartung war freilich sehr groß, ehe die Aufführung begann; denn der pomphafte Zettel verkündete: daß ein dreizehnjähriges Genie, ein Zögling von Haydn (also doch wohl ein kleiner Mozart!) eine Oper componirt und sie unser Durchl. Churfürstin dedicirt habe. – Aber wie wurde Aller Erwartung getäuscht! Ich will nur von dem reden, was ich noch gewiß weiß. Das Ganze war meistentheils so angelegt, daß keine gute Wirkung erfolgen konnte, theils war der Text, theils waren die Instrumente, so auch die Harmonie und der Rhythmus nicht gut behandelt: man hörte Fehler aller Art; bald fing dieses Instrument, bald jenes holprige Passagen an, so auch die Singestimmen. Das hiesige brave Orchester, welches sonst die schwersten Opern so schön executirte, war nicht im Stande, dasjenige zu leisten, was nicht möglich war, weil der Compositeur die Behandlung der Instrumente zu sehr vernachlässigt oder zu wenig verstanden hatte. Ich erinnere mich noch jener Arie, die Madame S. sang (es sollte eine Bravourarie sein!), o welche Passagen in unschmackhaften Triolen viele Tacte hindurch, bald hoch, bald tief! Die gute Frau wurde so gemartert, daß sie nicht wußte, wie sie die Arie herausbringen sollte! – Und das Quartett oder Quintett, o, das zerfloß in Harmonien, die weder ein Kirnberger noch Vogler auflösen wird; besonders jene Stelle, wo die Singstimmen einige Takte gar keine Begleitung hatten. Und wie war der Text behandelt? Nur eins zu gedenken: auf der ersten Silbe von Liebe eine Cadenz und Triller! Alles zusammengenommen, kann man wohl sagen, daß der ganzen Aesthetik Hohn gesprochen sei. Sollte dies der Hr. Comp. v. W. beleidigend finden, so erbitte ich mir von ihm die Partitur, damit ich meine Meinung aus seinem Manuscripte beweisen und die übrigen Fehler, die mir wieder entfallen sind, auch mit auftischen kann. – War also das Publikum undankbar zu nennen, wenn es diese Arbeit nicht so aufnahm, wie Sie es wünschten? – War das Kabale oder unrein gestimmt? (U. s. w. Das Uebrige handelt etwas weitläufig von der Lehre des Contrapuncts.)
Freyberg, den 24. Januar 1801.  J. G. F., Cantor.


Nr. 4.
Beantwortung zu Nr. 4 und 5. d. Bl. etc.

1. Mein Herr Stadtmusikus! Sie sind sehr irriger Meinung, wenn Sie glauben, daß ich mir von meiner Arbeit so großen Beifall versprach. – Allein jeder Arbeiter ist doch seines Lohnes werth, welcher durch Ihre Ausführung schändlich untergraben worden; warum ging denn die Hauptprobe brav und gut? – und die Vorstellung so elende? – Nicht die braven Leute im Orchester waren Schuld daran, sondern ihr schläfriger Anführer, welcher die erste Hauptpflicht, das reine Einstimmen vernachlässigte, kein einziges forte! oder piano, kein cres- oder decrescendo im geringsten beobachtete, kein tempo nach Vorschrift marquirte und dadurch dem Gemälde Schatten und Licht raubte, folglich Alles verdarb und also unmöglich gefallen konnte! Mithin hat Ihr Neid und Mißgunst seinen gesuchten Zweck erreicht. Zu dem ist es nicht genug zu tadeln – man muß es besser verstehen und machen können. Die Composition meiner Oper ist kein englischer Tanz! – Daß Sie in der Musikkenntniß und deren Contrapunct kein Theoretiker nach Ihrem eigenen Geständniß sind, glaube ich sehr gerne, daher Ihr angemaßter Tadel sich selbst widersprechend und am Allerbesten, wenn der Schuster bei seinem Leisten bleibt. – O wie ist derjenige Componist zu beklagen, der seine Arbeit unter einer solchen Aufführung so zerfleischen hören muß! Und nun zur Beantwortung Ihres aufgeforderten Herzenfreundes in Nr. 5 etc.

2. Auch ich mußte über die große Dreistigkeit erstaunen, mit welcher Sie, Hr. Cantor, meine Oper „Das Waldmädchen“ herunterzusetzen sich bemühten, um nur den Beifall und Lohn Ihres mißgünstigen, aber treu ergebensten Freundes einzuernten. Denn sonst wüßte ich keinen Beweggrund, da ich Sie, mein Herr Cantor, niemals nur mit einer Miene beleidigt hätte. Wie konnten Sie sich zur Beurtheilung einer Sache auffordern lassen, die Ihnen gar nichts angeht? Wenn ich mich also en détail mit Ihnen einlassen wollte, müßte das Echo sehr grob widerhallen, welches aber meiner Natur zuwider und den Grundsätzen der mir gegebenen Erziehung entgegen ist. Daß ich den 18. December 1787, Abends halb eilf Uhr geboren bin, beweist mein Taufschein, folglich bin ich nicht angeblich, sondern wirklich erst dreizehn Jahre alt. Daß ich übrigens vorzügliche Geistesgaben besitze, verdanke ich meinem Schöpfer, und daß ich in meiner noch kurzen Lebenszeit mehr gesehen und gehört, als Mancher in fünfzig Jahren, ist auch erweislich wahr. Daß ich ferner von den größten Kapellmeistern der ersten Höfe als ein solcher anerkannt bin, der den Contrapunkt richtig und gründlich studirt hat, folglich sowohl Text als Harmonie und Rhythmum nebst Instrumenten und Singstimmen richtig zu behandeln weiß, dient zu meiner Beruhigung, also hört nur der offenbare Neid und Mißgunst Fehler! Mein Gott! Ich will ja kein Cantor oder Stadtmusikus werden, und weiß gar wohl, daß zu diesen beiden Stellen aus verschiedenen Ursachen die gehörige Kenntniß und Geschicklichkeit mir fehle. Auch lasse mich sehr gern zurechtweisen und danke Demjenigen, der mich mit Bescheidenheit, aber nicht mit Grobheit und Stolz schulmeistern will. Uebrigens sind Sie, mein Herr Cantor, gar nicht mein competenter Richter und ich will eben so wenig von Ihnen etwas lernen, als es mir einfällt, Sie etwas lehren zu wollen. Uebrigens habe auch gar nichts gegen die braven Individua des hiesigen Orchesters, will auch glauben, daß Herr Stadtmusikus S. besser anführen kann, wenn er nur will. Nur bei dieser Oper hat er das Gegentheil leider gezeigt und mir dadurch den Beyfall eines sonst so gütigen und edeldenkenden Publikums geraubt, welches gewiß den Keim einer aufgehenden Pflanze zu ersticken nicht geneigt wäre u. s. w. u. s. w.

C. M. v. W. 

Dieser unfruchtbare Streit zieht sich unter gegenseitigen Invectiven, Entschuldigungen und Anschuldigungen noch durch ein Paar Nummern, ohne etwas Neues zu bringen und es scheint denn doch darauf angelegt gewesen zu sein, Weber eine Schlappe zu bereiten, da sich die bisherigen Musikmatadore der Stadt wahrscheinlich beleidigt gefühlt haben, daß ein dreizehnjähriger Jüngling mit so viel Ostentation aufgetreten ist und sich über sie hat erheben wollen.

Möglich, ja wahrscheinlich sogar ist es, daß der selige v. Weber in spätern Jahren und auf der Höhe des Ruhms, mit Bedauern sich dieses von beiden Theilen ohne die gehörige Mäßigung geführten Streites erinnnert hat; wahrscheinlich aber auch, daß seine Widersacher bei den spätern glänzenden Erfolgen seiner Werke sich ihrer frühern mißgünstigen Angriffe geschämt haben!
J.  


Alfred de Musset, unter den lebenden Dichtern Frankreichs einer der Gefeiertsten, ist nicht frei von Eigenthümlichkeiten. So hat er es in der Taschenspielerei sehr weit gebracht, und Viele, die beim ersten Begegnen mit ihm nur erwarteten, den großen Dichter in genialen Gedankenblitzen bewundern zu dürfen, wurden durch irgend einen Coup à la Bosco überrascht. Auch im Balanciren hat es Alfred de Musset zu einer staunenswürdigen Fertigkeit gebracht. Er trägt ein Ei auf einem Uhrglas aufrecht stehend im Zimmer herum, ein Kunststück, das ihn, ehe er es zu Stande brachte, viele Schock Eier zerbrechen ließ. Ein Freund, der ihn eines Morgens auf seinem Zimmer besuchte, fand ihn mitten unter Ofengabeln, Spazierstöcken, Tabackspfeifen, Besenstielen, Regenschirmen, die Füße in die Höhe gereckten Stühlen und Sesseln, und einer Menge anderer Gegenstände, die er mit vieler Geschicklichkeit in’s balancirende Gleichgewicht gebracht hatte. „Um’s Himmelswillen,“ rief er dem Eintretenden ängstlich entgegen, „keinen Schritt weiter, es fällt mir sonst Alles um.“ Der Freund verabschiedete sich und Alfred de Musset fuhr in seiner Beschäftigung fort, die ihn, wenn er nicht dichtet, fast ausschließlich in Anspruch nimmt.




Literarisches. Wilh. Jordan, der bekannte Marinerath in Frankfurt, hat schon vor mehren Jahren die Herausgabe eines größern faustartigen Gedichtes begonnen, das er „Demiurgos“, ein Mysterium, betitelt und von dem jetzt (bei Brockhaus) der dritte Theil erschienen ist. Er widmet dies nunmehr complett erschienene Poem dem Herzog Ernst von Gotha und singt in dieser Widmung folgendermaßen:

Ich träumte schön, ich träumte stolz
Von meines Vaterlandes Ruhm

und weiter:

Die schwarzrothgoldne Fahne wehte
Hoch über mir so hoffnungsreich:
Mein Fühlen wurde zum Gebete:
Erneue, Herr, das deutsche Reich!

Das singt derselbe Jordan, dem Anfang des Jahres 48 die Radicalsten zu Frankfurt zu reaktionär und der Ende 48 und in der nächsten Zeit plötzlich aus sehr bekannten Gründen umgewandelt, die besten Bestrebungen des Volkes mit Füßen trat und mit Hohn überschüttete, bis er endlich – der Einzige von allen Frankfurter Abgeordneten – eine feste Anstellung von über 1000 Gulden erhielt. Jetzt ist der Herr auf Wartegeld gesetzt und nun coquettirt er plötzlich wieder mit dem Liberalismus und dem deutschen Volke, die er vor Kurzem erst verhöhnt und in’s Gesicht geschlagen. Ein sauberer Poet! –. Leipzig wird nächstens seinen berühmtesten Schriftsteller verlieren. Gerstäcker, der bekannte Reisende, unser verehrter Mitarbeiter, siedelt nach Coburg über, wo er auf der Rosenau wohnen und weiter schaffen wird. Ueber seinen soeben erschienenen vierbändigen Roman: „Tahiti“ berichten wir nächstens.


  1. Fontana erbaute später die berühmte Wasserleitung „Aqua felice“ genannt.
  2. Von unserm Correspondenten erhalten wir aus Varna noch folgende kurze Mittheilungen, die wir dem größern Artikel gleich anhängen: „Als die Franzosen und Engländer vor Kurzem in die Straßen von Varna kamen, fanden sie alle Häuser und Läden fest verschlossen. Man mochte die Russen von 1829 noch nicht vergessen haben und traute offenbar den jetzigen Freunden und Hülfstruppen nicht. Ein gefährliches Spiel den Soldatenmassen gegenüber, die am Ende mit Gewalt nehmen, was sie nicht für ihr Geld freiwillig bekommen können. Wenigstens stahl ein englischer Soldat gleich am ersten Tage etwas in einem Bazar. Er wurde bei der Gurgel genommen und von den beleidigten Türken tüchtig geschüttelt, bis die Wache kam und ihn in Empfang nahm. Schon nach einer Viertelstunde kam ein Korporal mit einem Dollmetscher, ließ sich die Umstände erzählen und versicherte, daß der Dieb exemplarisch bestraft werden solle. Dies flößte wieder Vertrauen ein, so daß sich mehrere Läden öffneten. Freilich kamen dann die englischen Soldatenweiber, welche auf die unverschämteste Weise in den feilgehaltenen Sachen herumwühlten und für ihre knappen Gelder alles Mögliche haben wollten. „Alle diese Weiber müssen gehangen werden,“ rief ein lediger Dragoner, indem er auf eine Heerde dieser Weiber zeigte, welche in dem unanständigsten Aufzuge durch die Straße lärmten. Wie nett und anständig sehen dagegen die französischen Marketenderinnen aus! Sie tragen das malerische, soldatenmäßige Costum ihres Standes offiziell, wie eine Uniform, stehen unter guter Disciplin und haben dafür den Sold eines Sergeanten außer dem Profite von ihrem Handel. Selbst die häßlichen bulgarischen Frauen und Mädchen, die hier und auf den Dächern und in Seitenstraßen sichtbar wurden, schienen Aergerniß an der Frechheit und Liederlichkeit der englischen, freien Soldatenweiber zu nehmen. Das Lager, welches die Engländer am 1. Juni erreichten, ist in einer Ebene unweit des großen See’s hinter der Stadt aufgeschlagen, zwischen Gesträuch und Gehölz. Das Wasser des See’s ist nicht zu gebrauchen, da es voller Leben und besonders voll von großen Blutegeln ist, so daß alles Wasser von den Brunnen und Quellen der Stadt geholt werden muß. Man wollte das Lager etwa drei Stunden weiter landwärts verlegen in die Nähe eines Dorfes Devno. Die Cavallerie, das 8. Husarenregiment und 4 Kanonen Artillerie liegen der Stadt am Nächsten. Dann kamen die Rifle-Brigade, die Füsiliere, das 7., 19., 88. und 77. Regiment. Das Lager, sehr compact und eng gebaut, bedeckte etwa eine englische Meile. Die Soldaten bekamen gute Lieferungen, doch wurden sie sehr rebellisch über Mangel an Salz, Pfeffer, Porter und Ale, woran sie sich während eines vierzigjährigen Friedens stark gewöhnt haben. Die Apotheke war gleich mitgekommen, aber die Tonnen Ale und Porter schlummerten noch in den unterirdischen Räumen der Kasernen von Scutari, so daß sich mehrere Soldaten, zwischen Blutegel und Varnabrunnenwasser erkrankt, Medizin verschreiben ließen, nur um kein Wasser trinken zu müssen. Am 2. Juni kam auch das französische Schraubendampfschiff „Caton“ mit dem General Conrobert und ein großer Kriegsdampfer mit dem 7. Regiment, dessen Musikcorps die Engländer mit „God save the Queen“ freundschaftlich anblies. Abends und die folgenden Tage wurden noch mehr französische Soldaten, Waffen und Mundvorräthe erwartet. Das Lager der Franzosen ist links vom englischen und sieht viel straffer und imposanter aus, als das englische. Omer Pascha hat für die nöthigen Vorräthe von Wagen und Ochsen gesorgt. In Reihen von Hunderten halten sie vor den Magazinen mit kleinen Armeen haariger, wilder Waldmenschen mit Buffalostacheln (einer Art Spieß zum Antreiben der Ochsen) in den Händen, jeden Augenblick der Befehle der Proviantmeister gewärtig. Die Cavallerie, welche Omer Pascha eine halbe Stunde vom Lager stationirt hatte, erwies sich sehr diensteifrig in Herbeischaffung aller möglichen Lebensmittel. Doch sind die Engländer mit dem magern, kleinen Rindvieh sehr unzufrieden. Ein starker Dragoner kann eine große Kuh tragen. Zwischen ihren Rippen ist nicht so viel Fleisch, wie auf dem Rücken eines englischen Hammels. Omer Pascha hat die Ausfuhr von Getreide aus Varna und allen Häfen Rumeliens verboten, so daß ein Kaufmann von Constantinopel selbst mit einem Briefe des Großveziers versehen, um Korn zu laden, abgewiesen ward. Ein anderer Befehl Omer Pascha’s verbietet allen Verkehr per Post zwischen Varna und Schumla. Nur specielle Couriere der Commandanten dürfen passiren. Die „Times“ ließ sich schreiben, Omer Pascha habe dies mehr seiner persönlichen Bequemlichkeit halber gethan; er wolle den Strom englischer und französischer Gäste, den er befürchtete, abhalten und sich manche lange Pfeife und kurze Audienz sparen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Eigengenschaften