Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[67]

No. 7. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Die Theerose.

Von
Harriet Beecher Stowe,
Verfasserin von Onkel Tom’s Hütte.


Da stand sie, in der kleinen grünen Vase auf einem Ständer von Ebenholz im Fenster des Wohnzimmers. Die reichen, seidenen Gardinen mit ihren kostbaren Franzen hüllten sie von beiden Seiten ein und rund um her im Zimmer glänzte alles Schöne und Kostbare, was Luxus bieten konnte, und doch war diese einfache Rose das Schönste von Allem. Sie sah so rein aus, ihre weißen Blätter hatten diesen wundervollen blaßrosigen Schimmer, der ihr so eigen ist: ihr Kelch war so voll und reich: ihr Haupt wiegte und beugte sich, als ob es in seinem eignen Reichthume niedersinken möchte - oh! wann schufen Menschen wohl jemals Etwas, das einer lebendig blühenden schönen Blume gliche.

Aber die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster eindrangen, beleuchteten noch Etwas, das schöner war als die Rose. Auf einer Ottomane hingestreckt und tief versenkt in der Lektüre eines Buches, ruhte sie, die ein Seitenstück der so lieblichen Blume zu sein schien. Ihre bleiche Wangen, die geistvolle Stirn, die gedankenreichen Züge, die langen niedergesenkten[WS 1] Augenwimpern und der zwar schwermüthige doch milde und liebenswürdige Ausdruck des schönen Mundes - alles Das erschien wie ein Traumbild.

„Florence! Florence!“ rief eine heitere melodiöse Stimme in ungeduldigem Tone. Wende dein Haupt, Leser, und du wirst eine blühende strahlende Maid sehen, das echte Bild eines kleinen neckischen Elfen, mit leuchtendem Auge, einem Füßchen, das kaum den Boden berührt, und einem durch reizende Grübchen so vervielfältigten Lächeln, das es wie tausend Lächeln aussieht.

„Komm Florence,“ sagte der kleine Puck, „lege das vortreffliche gelehrte Buch bei Seite und steige von Deinem hohen Sitz hernieder, um mit mir armen Sterblichen zu sprechen.“

Die schöne Erscheinung folgte der Bitte und zeigte, aufblickend, gerade solche Augen, wie man sie unter solchen Wimpern erwartet hatte - Augen, tief, bedeutend und reich, wie die Klänge eines schönen ernsten Liedes.

„Hör’ mal, Cousine,“ sagte das heitere Fräulein, „ich habe darüber nachgedacht, was Du wohl mit der hübschen Rose anfangen wirst, wenn Du nach New-York gehst, wie Du leider zu unserm Bedauern entschlossen [68] bist; es wäre wirklich schade, wenn Du sie einem so zerstreuten Dinge, wie ich bin, lassen wolltest. Ich liebe zwar Blumen, aber nur in einem ordentlichen Bouquet, geschnitten und gebunden, so daß man sie mit in eine Gesellschaft nehmen kann; aber das ewige Pflegen, Aufpassen und Begießen ist Alles nichts für mich.“

„Mach’ Dir deshalb keine Sorgen, Ketty,“ sagte Florence lächelnd, „ich werde Deine Talente nicht in Anspruch nehmen; es ist schon ein Asyl für meine Favoritin gefunden.“

„O, dann weißt Du auch schon, was ich sagen wollte: Mrs. Marshall hat wahrscheinlich schon mit Dir gesprochen; sie war gestern hier und ich berichtete ihr sehr feierlich über den Verlust, der Deinem Lieblinge bevorstehe und so weiter; und da sagte sie, sie würde sich sehr glücklich fühlen, wenn sie sie in ihrem Treibhause haben könnte, weil sie jetzt so allerliebst ist und so schöne Knospen hat. Ich sagte ihr, Du würdest ihr die Blume sehr gern geben, weil Du doch die Mrs. Marshall so ungemein lieb hast.“

„Es thut mir sehr leid, Ketty, aber ich habe schon anderweitig darüber verfügt.“

„Wer soll sie denn bekommen, Du hast doch so wenig Freundinnen hier?“

„Oh, das ist nur eine meiner wunderlichen Grillen.“

„Ach sag’ es mir doch, Florence.“

„Nun, Cousine, Du kennst ja das kleine blasse Mädchen, der wir Näharbeit gegeben haben?“

„Wie, die kleine Mary Stephens? wie komisch! Siehst Du, Florence, das ist wieder einmal eine von Deinen altjüngferlichen Ideen - Du machst Puppen für kleine Kinder zurecht und arbeitest Mützchen und Strümpfe für alle schmutzigen Bälge rund umher. Ich glaube wahrlich, Du bist häufiger in den zwei dunklen häßlichen Gassen hinter unterm Hause, als je auf der Promenade gewesen, obwohl Du weißt, daß dort sich jeder halb todt sehnt, mit Dir zusammen zu kommen; und nun, um Allem die Krone aufzusetzen, willst Du dies kleine Bijou einer Nätherin schenken, während eine Deiner intimsten Freundinnen, aus gleichem Stande mit Dir, es so werth halten würde. Was sollen Leute in ihren Verhältnissen mit Blumen machen?“

„Dasselbe, was ich damit thue,“ entgegnete Florence ruhig. „Hast Du nicht bemerkt, daß das kleine Mädchen jedesmal, wenn sie herkommt, sehnsüchtig die geöffneten Knospen betrachtet? und entsinnst Du Dich nicht, wie sie mich letzthin so hübsch fragte, ob ich wohl erlaubte, daß ihre Mutter herkomme und sie sich ansähe, sie liebe die Blumen so sehr?“

„Aber, Florence, denke Dir nur einmal diese schöne Pflanze auf einem Tisch mit Schinken, Eiern, Käse und Mehl stehen, und in dem kleinen Zimmer erstickt, wo Mrs. Stephens und ihre Tochter gewöhnlich waschen, plätten und kochen und Gott weiß was sonst noch alles.“

„Nun, Ketty, wenn ich gezwungen wäre, in einem kleinen Zimmer zu leben, und daselbst zu waschen, zu plätten und zu kochen, wie Du sagst - wenn ich jeden Augenblick meines Lebens schwere Arbeit thun müßte, und von meinem Fenster aus nichts weiter sähe, als Dächer und schmutzige Gassen, so würde eine solche Blume mir unsägliche Freude bereiten.“

„Bah, Florence - Sentimentalität: arme Leute haben keine Zeit, sentimental zu sein, und dann glaube ich auch gar nicht, daß die Blume bei ihnen gedeihen wird; es ist eine Treibhauspflanze und muß sehr zart behandelt werden.“

„Oh, was das betrifft, so fragen die Blumen nicht darnach, ob ihre Besitzer reich oder arm seien; und mag Mrs. Stephens auch sonst nichts haben, so hat sie doch eben so schönen Sonnenschein als der ist, der durch unsere Fenster strahlt. Die schönen Gaben, die von Gott kommen, sind Gaben für alle Menschen. Du wirst sehen, daß meine schöne Rose in Mrs. Stephens Zimmer eben so gesund und munter blüht, wie in dem unsrigen.“

„Nein, wie thöricht! wenn man armen Leuten etwas giebt, so sollte man ihnen doch etwas Nützliches geben - einen Korb voll Kartoffeln, einen Schinken oder so etwas.“

„Gewiß, Kartoffeln und Schinken müssen auch gegeben werden; wenn man aber für die dringendsten Bedürfnisse gesorgt hat, warum nicht auch kleine Freuden bereiten, wenn dies in unsrer Macht steht? Ich weiß, es giebt viele Armen, die ein feines Gefühl und einen klaren Sinn für das Schöne haben, aber er stirbt ab, weil sie in zu bedrängter Lage sind, um ihm irgend Nahrung zu geben. Da ist z. B. die arme Mrs. Stephens: ich weiß, daß sie Vögel und Blumen und Musik eben so liebt, wie ich. Ich habe ihr Auge leuchten gesehen, wenn sie die Dinge in unserm Wohnzimmer betrachtete, und doch kann sie sich nichts Aehnliches anschaffen: die Noth zwingt sie dazu, ihr Zimmer, ihre Kleidung und Alles, was sie hat, einfach und schlecht zu halten. Du hättest nur sehen sollen, wie sie und Mary entzückt waren, als ich ihnen meine Rose anbot.“

„Ach Gott, Beste, das mag Alles wahr und schön sein, aber ich habe nie früher daran gedacht. Es ist mir nie eingefallen, daß solche Arbeitsleute eine Idee von Geschmack hätten.“

„Woher käme es denn, daß man bei ihnen den Geranium oder die Rose so sorgfältig in dein alten Scherben in dem ärmlichsten Zimmer gepflegt oder den Epheu in einem Kasten um das Fenster gewunden sieht? Beweist das nicht, daß das menschliche Herz in allen Verhältnissen des Lebens nach dem Schönen dürstet? Entsinnst Du Dich nicht, Ketty, daß unsere Wäscherin einmal nach harter Tagesarbeit die ganze Nacht aufsaß, um ihrem ersten Kinde ein hübsches Taufkleid zu machen?“

„Ja, und ich weiß auch, wie ich Dich ausgelacht habe, daß Du ein so geschmackvolles Mützchen dazu machtest.“

„Nun, Ketty, ich glaube, der Ausdruck der reinsten Freude, mit dem die Mutter ihr Kind in dem neuen Anzuge betrachtete, belohnte wohl hinreichend die Mühe, daran gearbeitet zu haben: ich glaube nicht, daß sie dankbarer gewesen wäre, wenn ich ihr einen Sack Mehl geschenkt hätte.“

„Nun, mir ist’s früher nie eingefallen, den Armen irgend etwas Anderes zu geben, als was sie wirklich brauchten, und das that ich immer sehr gern, wenn es mir nicht zu viel Mühe machte.“

„Liebste Ketty, wenn unser himmlischer Vater nach denselben Grundsätzen bei seinen Gaben verführe, so würden wir nur rohe, ungestaltete Haufen von Lebensmitteln [69] statt der herrlichen Abwechslung von Bäumen, Blumen und Früchten auf Erden finden.“

„Ja, ja, Florence, ich glaube, Du hast Recht – aber habe Gnade mit meinem armen Kopf; er ist zu klein, um so viel neue Ideen auf einmal aufzunehmen – thue was Du willst.“ Und das kleine Fräulein fing mit großem Eifer an, vor dem Spiegel ein neues Pas zu versuchen.


Wir treten in ein sehr kleines Zimmer, das sein Licht nur durch ein Fenster erhielt. Der Boden war nicht mit einem Teppich bedeckt; in einem Winkel stand ein sauberes, aber dürftiges Bett; in dem andern ein Küchenschrank mit wenigen Schüsseln und Tellern, an der Wand eine Komode; und vor dem Fenster stand ein ganz kleines neues Tischchen von Kirschholz, das freilich aber der einzige neue Gegenstand in dem ganzen Zimmer zu sein schien.

Ein blasses, krank aussehendes Weib von ungefähr vierzig Jahren lag in ihrem Sorgenstuhl mit geschlossenen Augen und die Lippen wie im Schmerz zusammengepreßt, zurück gelehnt. So lag sie wenige Minuten, drückte dann die Hand fest auf die Augen und nahm langsam wieder ihre feine Näharbeit vor, mit der sie vom frühen Morgen an beschäftigt gewesen war. Da ging die Thür auf und ein kleines, schlankes Mädchen von etwa zwölf Jahren trat herein; ihre großen blauen Augen strahlten vor Freude, als sie ihrer Mutter den Rosenstock, den sie in Händen trug, zeigte.

„Oh, Mutter, sieh doch! da ist eine aufgeblühte und hier sind zwei halb offene Knospen, und dann noch so viele kleine reizende Knöspchen, die zwischen den Blättern hervorgucken.“

Das Antlitz der armen Frau leuchtete, als sie erst die Rose und dann ihr bleiches Kind betrachtete, auf deren Wangen sie seit Monden nicht so frische Farben gesehen hatte.

„Gott segne sie!“ rief sie unwillkürlich aus.

„Miß Florence – ja ich wußte, daß es Dich freuen würde. Thut es Deinem Kopf nicht wohl, eine so schöne Blume zu sehen? Nun wirst Du auf dem Markt nicht mehr so sehnsüchtig auf die Blumentöpfe hinblicken, denn wir haben eine Rose hier, die schöner ist, als sie alle. Mir ist sie eben so viel werth, wie der kleine Garten, den wir früher hatten. Sieh nur die vielen hübschen Knöspchen! Ich will sie ’mal zählen – ach, und wie schön sie riecht! Wo sollen wir sie nur hinstellen?“ Und Mary sprang umher, stellte ihre Blume bald so bald so, und trat dann zurück, um zu sehen, wie sie sich ausnähme, bis die Mutter sie lächelnd darauf aufmerksam machte, daß die Rose nicht gedeihen könne, wenn sie kein Sonnenlicht habe.

„Ach ja, das ist wahr,“ sagte Mary, „nun, dann muß sie auf unserm neuen Tischchen stehen. Wie freue ich mich, daß wir einen so hübschen neuen Tisch dafür haben, sie wird um so schöner aussehen.“ Und Mrs. Stephens legte ihre Arbeit fort und faltete ein Stück Zeitungspapier zusammen, worauf der Schatz sorgfältig hingestellt wurde.

„So,“ sagte Mary, Alles noch mit sorgfältigem Blicke prüfend, „so ist’s gut – nein, doch noch nicht; die beiden offenen Knospen sind so nicht zu sehen; wir müssen den Topf noch ein bischen mehr herum drehen – so ist’s besser;“ und nun ging Mary rund um den Tisch, um die Rose in den verschiedensten Stellungen zu betrachten, worauf sie die Mutter nöthigte, mit ihr hinaus zu gehen, um die Blume von außen anzuschauen.

„Wie hübsch war es von Miß Florence, daß sie daran gedacht hat, uns die Rose zu schenken,“ sagte Mary; „obwohl sie so viel für uns gethan und uns so schöne Sachen gegeben hat, so scheint mir dieses doch das Beste von Allem, weil es zeigt, daß sie an uns gedacht hat und weiß, wie wir fühlen; und das thun so Wenige, nicht wahr, Mutter?“

Welch’ einen schönen lichten Nachmittag bereitete diese kleine Gabe in dem bescheidenen Zimmer. Wie viel schneller flogen Mary’s Finger bei ihrer anhaltenden Arbeit, und Mrs. Stephens vergaß über der Glückseligkeit ihres Kindes, daß sie Kopfschmerzen habe, und meinte, als sie Abends ihren Thee trank, sie fühle sich viel kräftiger als seit langer Zeit.

Diese Rose! ihr wohlthuender Einfluß schwand nicht mit dem ersten Tage. Den langen, kalten Winter hindurch weckte die Wartung, Pflege und Liebkosung der Blume tausend heitere Gedanken und Empfindungen, die die Einförmigkeit und die Last ihres täglichen Lebens auf erquickende Weise schwinden machten; jeden Tag zeigte die holde Blume einen neuen Reiz - bald hier ein Blättchen, dort eine Knospe oder einen frischen Schößling und Alles weckte immer wieder Lust und Freude in dem Herzen ihrer Eigenthümerin. Wenn die Blume so im Fenster stand, blieb mancher Vorübergehende stehen und betrachtete sie voller Bewunderung, und dann fühlte Mary sich stolz und glücklich; und selbst die ernste sorgenbeladene Wittwe war nicht unempfindlich für dergleichen, ihrem Lieblinge dargebrachten Huldigungen.

Florence aber, als sie das Geschenk machte, glaubte wohl nicht, daß ein unsichtbarer Faden sich um die Blume schlinge, der weit und stark mit dem Gewebe ihres Geschickes verflochten sei.

An einem kalten Nachmittage im Frühjahr trat ein großer, eleganter Herr in das niedrige Zimmer, um den Bewohnerinnen eine Rechnung für angefertigte Arbeit zu zahlen. Es war ein Reisender, dem sie durch die Freundlichkeit eines ihrer Gönner empfohlen waren. Als er gehen wollte, ruhte sein Auge bewundernd auf dem Rosenstock, und er blieb stehen, um ihn zu betrachten.

„Wie schön!“ sagte er.

„Ja, und die, welche sie uns schenkte,“ entgegnete die kleine Mary, „ist eben so schön und hold wie die Blume.“

„So,“ sagte der Fremde, angenehm durch die Antwort berührt, indem er ein Paar schöner, schwarzer Augen auf sie richtete, „und wie kam sie denn dazu, sie Dir zu schenken, mein Kind?“

„Oh, weil Mutter arm und krank ist, und weil wir uns nie etwas Hübsches anschaffen können. Früher hatten wir einen Garten und liebten die Blumen so sehr, und das wußte Miß Florence, und da gab sie uns die Rose.“

„Florence!“ wiederholte der Fremde.

„Ja, – Miß Florence l’Estrange – eine schöne Dame. Sie soll eine Fremde sein, spricht aber Englisch wie die anderen Damen, nur noch weicher.“

„Ist sie noch hier? Lebt sie in dieser Stadt?“ fragte der Fremde ungestüm.

„Nein, sie ist vor einigen Monaten fortgereist,“ entgegnete die Wittwe, und bemerkte hierbei, wie ein Schatten [70] der Enttäuschung sich über seine Züge legte; „aber,“ fuhr sie fort, „Sie können nähere Nachricht über sie bei ihrer Tante, der Mrs. Carlyle, erhalten.“

Kurze Zeit darauf erhielt Florence einen Brief, dessen Züge sie erbeben machten. Während der vielen vergangenen Jahre, die sie in Frankreich verlebte, hatte sie diese Handschrift wohl kennen gelernt - hatte sie geliebt, wie ein Weib ihrer Art nur einmal liebt; aber Hindernisse, hervorgerufen durch Freunde und Verwandte, lange Trennung, langer Aufschub waren eingetreten, und nach manchem trüben Jahre hatte sie geglaubt, daß die Wogen des Oceans sich über dieser Hand und diesem Herzen geschlossen hätten[WS 2], und das hatte so trübe sinnige Züge in ihr liebliches Antlitz gezeichnet.

Dieser Brief aber sagte, daß er lebe, daß er ihr gefolgt sei und sie entdeckt habe, wie man wohl ein verborgen rinnendes Bächlein entdeckt, durch die Herzensfrische und die duftigen Blüthen, die ihre guten Thaten überall zurückgelassen hatten, wo sie gewandelt war. - Und nun wird es meinen Lesern nicht schwer werden, sich die Geschichte selbst zu beendigen.




Natürliche Brücke bei Kilkee.


Wir geben hier ein Bild, dessen Gegenstand zu dem Inhalte unseres heutigen Briefes „aus der Menschenheimath“ in naher Verwandtschaft steht; ungeachtet ein Blick auf dasselbe die grausenhaften Werke einer unbezähmbaren Gewalt zeigt, während uns auf dem Bildchen von Frisch einige harmlose Pflanzenzellen, auch in kolossaler Vergrößerung immer nur unbedeutend, auf ein stilles Wirken zu deuten scheinen. Hier aber wie dort ist es das Wasser, von dessen Werken es sich handelt; das Wasser, jenes gewaltige Element, welches bald in schrankenloser Wuth im Nu staunenerregende Werke aufthürmt oder vertilgt, bald unmerkbar und im Stillen im millionenfach wiederholten Kleinen mit Beharrlichkeit Großes wirkt, das Wasser, welches uns heute zu Dank und Segen, morgen zu Kummer und Verwünschung hinreißt.

Es giebt kaum eine Quadratmeile Land, auf welcher nicht versteinerte Seethiere Zeugniß davon ablegten, daß die salzige Hälfte des Wasserreiches einst größer war als jetzt. Das gewaltige Element beschränkte im Verlaufe der Jahrtausende diese Seite seiner Herrschaft, auf den verlassenen Gebirgstheilen die mächtigen Steinsalzlager und salzigen Quellen als Vermächtniß hinterlassend für seine Unterthanen auf seinem andern, immer mehr sich erweiternden Gebiete.

Wir, das Menschengeschlecht, scheinen erst auf die Schaubühne des Erdenlebens getreten zu sein, als die heutige Abgrenzung der beiden Wassergebiete bereits erfolgt war.

Unser Bild zeigt uns einen Angriff des Salzwasserdämons auf einen kleinen Theil des verlornen Gebietes, ein zerstörendes Anstürmen an sein eigenes Werk.

[71] Irland, das arme verkümmernde Kind der Mutter Britannia, ist reich, wie kaum ein anderes europäisches Land, an großartigen, oft bizarren Landschaften, und besonders ist es seine Küste, welche der Natur und dem Naturfreunde hundertfältig Stoff und Ueberraschung bietet.

Wir sehen die natürliche Brücke von Kilkee an der irischen Küste. Drei Bogen spannen sich über kleine Busen des Meeres, getragen von zwei Pfeilern, von denen der eine vielleicht kaum noch ein Jahrhundert – eine Minute höchstens im Alter der Erde – den andringenden Wogen widerstehen wird. Dann stützt vielleicht der auf unserem Bilde rechts liegende Theil dieser Felsenbrücke in die brausenden Wogen, die dann triumphirend hoch aufspritzen werden. Dann kommt vielleicht der linke Pfeiler an die Reihe, der jetzt seinen dem Untergange bereits verfallener Nachbar schützt.

Die Felsenbrücke von Kilkee erinnert uns mächtig an eine würdige Aufgabe, welche der große englische Naturforscher Lyell[WS 3] zum Gegenstande eines Werkes gewählt hat, zu ergründen und nachzuweisen, wie die fort und fort noch in Thätigkeit begriffenen elementaren Wirkungen unsere Erdoberfläche verändern; wenn der Genannte auch darin bei den Naturforschern keine Zustimmung gefunden hat, daß nach seiner Meinung diese elementaren Wirkungen, wie sie jetzt noch statt finden, überhaupt es gewesen und stets ausreichend gewesen sein sollen, unserer Erdoberfläche ihre gegenwärtige Beschaffenheit zu geben. Was diese jetzt vermögen ist nichts gegen frühere Wasser- und Feuersgewalt, welche zu wiederholten Malen über den Erdkreis schritt.

Wir sehen auf dieser Schaubühne einer gewaltigen Naturscene die dazugehörigen Statisten. So kann man recht eigentlich jene meist weißen Vögel nennen, welche in zahllosen Schaaren jene nördlichen Klippen theils wolkengleich umschwärmen, theils regungslos auf den Vorsprüngen derselben sitzen oder vielmehr stehen, da den meisten ihre sonderbare Einfügung der Beine am hintersten Ende des Leibes, wobei der kurze steife Schwanz gewissermaßen die Rolle eines dritten Beines spielt, das Stehen viel bequemer als das Sitzen macht.

Wir nannten vorher das Toben des Meerwassers ein Anstürmen an das eigene Werk. Unser Bild zeigt das deutlich. Diese geschichteten Felsen sind in der Urzeit von Wasserfluthen abgesetzt worden, und jetzt ist es wieder Wasser, welches sie benagt und zuletzt vertilgen wird.




Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Sechster Brief.
Das Wasser.

Es mag wohl sein, daß Du, mein lieber Freund, es für einen argen Sprung hältst, von den Gallwespen, von welchen ich Dir in meinem letzten Briefe Einiges erzählte, heute auf das Wasser zu kommen. Dagegen fürchte ich nicht, daß Du Dich über die Wahl meines heutigen Stoffes wunderst. Du kennst ja meine Weise, alltäglichen Dingen und Erscheinungen eine mehr als alltägliche Aufmerksamkeit zu schenken. Du hast es früher schon erfahren, daß dabei das Gewöhnlichste für mich und für die, welchen ich dann meine Betrachtungen mittheile, einen neuen ungewöhnlichen Reiz gewinnt.

Laß Dir also heute einmal gefallen, daß ich Dir in meinem Briefe Wasser vorsetze, ein sauberes Glas voll hellen, klaren Wassers. Geh hinaus an den klaren Quell hinter Deinem Hof und laß Dir ein Glas davon voll laufen und trink es aus. Auswendig die frische Winterluft und inwendig das kühlende Naß – kommt nicht ein Gefühl über Dich, als schwebtest Du zwischen den beiden mächtigen Elementen in der Mitte, von ihnen getragen wie ein Schifflein auf einem spiegelhellen norwegischen See?

Was wäre die Erde ohne Wasser? Was mag der Mond sein, der ja bekanntlich kein Wasser hat!

Und dennoch sind in der Urzeit unserer Erdbildung viele Jahrtausende vergangen, während welcher wohl ein ungeheurer Dunstkreis von Wasserdampf den glühendheißen Erdkörper umgab, aber kein Tropfen Wasser sich auf ihm fand; ebensowenig, wie wir Wasser in ein glühendes Gefäß von Eisen gießen können, ohne daß es sogleich in zischenden Dampf verwandelt und als solcher in die Luft verjagt wird. Damals war unsere Erde aber auch noch kein Wohnplatz für Thiere und Pflanzen. Es mag lange gedauert haben, bis sich ihre Oberfläche so weit abkühlte, daß sich tropfbares Wasser auf ihr erhalten konnte; und abermals mag es lange gedauert haben, bis dieses tief genug unter den Siedepunkt herab gesunken war, so daß sich die ersten Thier- und Pflanzenwesen in ihm bilden konnten.

Jedoch ich will heute nicht von der gewaltigen, in großen Erscheinungen sich kund gebenden Macht des Wassers sprechen. Ich habe mir im Gegentheil vorgenommen, Dir Einiges von den kleinen, verborgenen Werken des Wassers zu erzählen, die allerdings in ihren Wirkungen dennoch nicht minder Großartiges leisten, weil sie unzählig und ununterbrochen in Thätigkeit sind.

Du bist ja auf dem Schwarzwalde bekannt. Denke Dich einmal an seinen westlichen Abhang. Ich weiß, daß Du ihn zweimal von Rastatt bis hinauf an die südliche Grenze von Baden bereist hast. Besinnst Du Dich noch auf die zahllosen Bäche und Bächlein, die alle vom Schwarzwalde [72] herab kommen und dem Vater Rhein zueilen, um in seinem Schooße ihren kleinen Beitrag auszuschütten? Das läuft, das rennt! wie die geschäftigen Menschen in den Gassen einer großen Stadt. Oben auf dem Schwarzwalde stehen die alten, ehrwürdigen Tannen, und um ihre Füße herum breiten sich die feuchten, schwellenden Moospolster aus. Das ist die Werkstatt, wo die lebensspendende Wassergöttin alle die tausend Bäche und Bächlein macht, mit ihren dienstfertigen Gehülfen, den Sonnenstrahlen.

Denke Dir alle Wälder und Moose von dem Schwarzwalde hinweg – und in wenigen Jahren würde der Rhein um ein Bedeutendes wasserärmer unten in den Niederlanden ankommen.

Das weiß zwar Jedermann. Aber ich glaube doch, daß es Dich unterhalten wird, wenn ich Dir erzähle, wie es bei dieser so überaus wichtigen Quellenspeisung hergeht. Das ist’s ja eben, was ich allen meinen Mitmenschen wünschen möchte, und darin erblicke ich die edle Aufgabe der Naturwissenschaft, daß Alle in ihrer schönen mütterlichen Heimath heimisch werden sollen. Freude an der Natur – das ist der Balsam auf die Wunden, welche sich die Menschen in Unbrüderlichkeit täglich schlagen.

Die Bäume und überhaupt die Gewächse unserer Ströme entsendenden Waldgebirge sind die Wohlthäter, denen wir großenteils den Wasserreichthum unserer Quellen, Bäche, Flüsse und Ströme verdanken.

Nun magst Du meine heutigen Zeichnungen zur Hand nehmen. Figur 1 zeigt Dir den Bau eines feinen Wurzelspitzchens, wie deren ein Baum viele Tausende hat. Versuche es einmal zu denken, wie unendlich groß die Zahl solcher Wurzelspitzchen im Erdboden eines Waldgebirges sein mag! Sie sind vor Allem bei der Erhaltung des Wasserreichthums der Erdoberfläche thätig. Das Figürchen links (wie auch an Fig. 3 und 4) zeigt Dir die natürliche Größe. Die Wurzelspitzchen, die man gewöhnlich Thau- oder Saugwürzelchen nennt, bestehen aus kleinen Zellen. Du mußt Dir eine einzelne junge Pflanzenzelle (alle und jede Pflanzenmasse besteht aus Zellen und daraus sich bildenden, oft überaus zierlich beschaffenen zarten Schläuchen) als eine kleine Blase vorstellen, welche von einer sehr dünnen und zarten Haut, der Zellenhaut, umschlossen ist, und inwendig einen wässrigen Saft, den Zellsaft, enthält. Die Haut der jungen Zellen hat niemals Löcher, und dennoch nehmen die zarten Wurzelzellen das Wasser aus dem Boden auf. Um Dir das begreiflich zu machen, muß ich Dich mit einem sehr wichtigen Naturgesetze bekannt machen. Es ist die sogenannte Endosmose oder wie man es deutsch ausdrücken kann, die Durchschwitzung. Fig. 2. stellt ein mit Wasser gefülltes Gefäß dar, in welchem eine oben und unten offene Glasröhre, welche zum Theil mit Zuckerwasser oder dünnem Gummischleim oder Essig oder etwas dergl. gefüllt ist, steht. Unten ist sie mit Darmhaut fest zugebunden. Diese Darmhaut trennt also das Wasser im Gefäße von dem Zuckerwasser in der Röhre. Obgleich die Darmhaut auch ganz dicht ist und nicht die kleinsten Löcher hat, so fangen beide Flüssigkeiten doch bald an, durch sie zu einander hindurch zu dringen. Die Röhre wird nach und nach voll, bis sie überläuft. Dies dauert so lange, bis der Unterschied zwischen beiden Flüssigkeiten durch gegenseitiges Ueberdringen zu und in einander aufgehört hat. Hätten wir auch in die Röhre reines Wasser gegossen, so würde die Endosmose nicht statt gefunden haben. Sie tritt blos dann ein, wenn zwei Flüssigkeiten von verschiedener Dichtigkeit durch eine thierische oder pflanzliche Haut getrennt sind; und findet so lange ununterbrochen statt, bis diese Dichtigkeitsverschiedenheit in beiden Flüssigkeiten aufgehört hat, ausgeglichen worden ist. Nun denke Dir, der Erdboden sei das Gefäß mit Wasser, und jedes Wurzelchen ein mit dem etwas dichtigern Zellsaft gefülltes Röhrchen – und Du wirst leicht begreifen, welche Kraft es ist, welche das Bodenwasser durch die dichte Haut der Wurzelzellen in die Wurzel hinein treibt: die Endosmose ist es. Dieselbe Kraft leitet nun das Wasser von Zelle zu Zelle, bis in den Mittelpunkt der Wurzel, wo gestreckte fadenförmige Zellen dasselbe aufnehmen und nun immer höher in die dicken Wurzeläste, in den Stamm, in die Zweige leiten. Der Holzkörper dieser letzteren leitet es nun – es ist aber unterwegs von dem Verdauungsproceß der Pflanze bereits verändert worden – nach den Knospen und den sich daraus entfaltenden Blättern. Im Holze sind deswegen die meisten Zellen lang gestreckt und wie bei den sogenannten Gefäßen hat ihre Haut kleine Löcher, wodurch das Wasser leicht weiter dringen kann. Du siehst das an Fig. 3, welche ein Stückchen Eichenholz ebenfalls in sehr starker Vergrößerung darstellt. In der Mitte sehen wir ein Stück eines punktirten Gefäßes der Länge nach gespalten, welche auf dem Querschnitte die bekannten großen Poren des Eichenholzes bilden.

Jetzt wenden wir uns zu den Blättern. Sie geben aus, was die Wurzeln eingenommen haben. Daß die Blätter unter Umständen auch Feuchtigkeit aus der Luft einfangen können, sei hier blos beiläufig erwähnt. Aushauchung [73] des größten Theiles des von den Wurzeln aufgesogenen Wassers ist aber ihr Hauptgeschäft. Du fragst, wozu die Pflanzen so sehr viel Wasser aufsaugen, wenn sie es großentheils durch die Blätter wieder aushauchen? Ich könnte Dir hierauf antworten: damit zur Wolkenbildung und durch diese zur Regenbildung fortwährend Wasserdämpfe in die Luft kommen. Ich sage dies aber nicht, weil dadurch die Pflanzen und namentlich die Waldungen

zu sichaufopfernden Handlangern der Natur herabsänken. Nein; es geschieht aus einem Grunde, der mit dem Leben der Pflanze selbst im engsten Zusammenhang steht. Die Pflanze braucht zu ihrem Leben ganz nothwendig auch mehrere erdige Stoffe, z. B. Kalk und Kieselerde. Da sie nun keine Oeffnungen an der Wurzel hat, um solche Stoffe als kleine feste Theilchen in sich aufnehmen zu können, so kann sie dieselben nur in flüssiger Gestalt, in Wasser gelöst, aufnehmen. Da aber z. B., um 1 Theil Kalk aufzulösen, 1000 Theile Wasser erforderlich sind, so muß sie, um jenes einen Theiles Kalk habhaft zu werden, wohl oder übel 1000 Theile Wasser aufsaugen, in denen jener aufgelöst enthalten ist. Auf diese Weise werden fort und fort ungeheure Mengen Wasser aus dem Erdboden durch die Pflanze hindurch getrieben, um oben als Wasserdampf, mit Zurückbehaltung der darin aufgelöst enthalten gewesenen Stoffe, von den Blättern wieder ausgehaucht zu werden, um dann als Regen aus der Luft wieder nieder zu fallen. Man kann also buchstäblich sagen, ein großer Theil des auf der Erdoberfläche vorhandenen Wassers ist in einem fortwährenden Kreislaufe durch die Pflanzenleiber hindurch begriffen. Ueberschaue noch einmal mit einem Blicke diesen gesetzmäßigen Hergang; worauf beruht also die nachhaltige Speisung unseres Erdbodens mit Wasser? – auf der geringen Löslichkeit von Kalk und Kieselerde und noch einigen andern Stoffen, die den Pflanzen zur Nahrung dienen! So dient in der Natur Eins dem Andern!

Ich muß Dich noch auf Fig. 4 und 5 aufmerksam machen. Ersteres stellt ein kleines Stückchen Oberhaut eines Blattes dar, auf welchem Du vier sogenannte Spaltöffnungen siehst. Das sind je zwei halbmondförmige Zellen, welche so aneinander gelegt sind, daß zwischen ihnen eine kleine spaltförmige Oeffnung bleibt (F. 5). Durch sie hauchen die Blätter wahrscheinlich vorzugsweise die Wasserdämpfe aus.

Zum Schlusse hebe ich nochmals die am Boden der Waldungen wachsenden niederen Pflanzen, namentlich die Moose als wesentliche Erhalter der Bodenfeuchtigkeit und somit der Quellen hervor. Fig. 6 stellt ein Stämmchen des großblättrigen Torfmooses vor, welches namentlich die Wasserbehälter der Bergplateaus, die sogenannten Moose, überzieht. Die eigenthümlich eingerichteten Zellen seiner Blätter (F. 7 zeigt Dir ein Stück eines solchen) haben deutliche Löcher, um Wasser in großer Menge aufsaugen zu können.

Sieh Freund, hier hast Du ein Bild von einer in zahllosen kleinen Einzelheiten vorgehenden, aber durch ihre Gesammtwirkung dennoch mächtigen Thätigkeit des Wassers.

Die Pflanzen sind die Vermittler, die, indem sie sich selbst erhalten, das Ganze erhalten helfen. Welch beherzigenswerther Ruf an uns, es ebenso zu machen! –




Blätter und Blüthen.


Literatur. Von der Verfasserin der Eglantine, der (preußischen) Prinzessin[WS 4], ist vor einigen Tagen eine neue Erzählung unter dem etwas gesuchten Titel: „Frühling- Sommer- Herbst- und Winter-Liebe“ erschienen. Wenn andere Autoren diesem Beispiele folgen, so dürfen wir nächstens noch Morgen- Mittag- Abend- und Nacht-Novellen erwarten. – Gerstäcker’s Reisen, bei Cotta in Stuttgart erschienen, haben eine so günstige Aufnahme gefunden, daß die Verlagshandlung jetzt schon zum Druck einer zweiten Auflage schreiten muß, obwohl das Buch kaum einige Monate alt ist. Sicherlich die beste Kritik. – Unter dem Titel: Europäische Volksfeste wird jetzt ein interessantes Kunstwerk vorbereitet, welches in der bekannten Kunsthandlung von Arnz & Comp. in Düsseldorf erscheinen soll. Die Sitten und Gebräuche im öffentlichen Leben eines Landes, wie sie sich besonders durch die volksthümlichen Feste und Spiele ausprägen, sollen in diesem mit großem Luxus ausgestatteten Prachtbuche von den besten Autoren jedes Landes geschildert und von den renommirtesten Malern in ausgewählten Illustrationen [74] künstlerisch dargestellt werden. Außerdem wird das hervorragendste, die einzelne Nation am meisten charakterisirende Volksfest, durch ein größeres Bild in höchster Vollendung dargestellt werden. Der Text wird zugleich in englischer, französischer und deutscher Sprache erscheinen. Bei den Mitteln, welche der Verlagshandlung zu Gebote stehen, läßt sich etwas Ausgezeichnetes in künstlerischer Beziehung erwarten. – So eben hat in Hamburg ein Buch die Presse verlassen, das in den mecklenburgischen Herzogthümern großes Aufsehen erregen wird. Es heißt: „Ein Neujahrsgruß aus Mecklenburg an Deutschland“ und enthält sehr bittere und haarscharfe Kritik der dortigen Zustände.


Keine Entfernung mehr! Das Wort der Bibel: „Herrschet über die Erde und machet sie euch untertan,“ wird durch die ewig fortschreitende Cultur und Wissenschaft bald eine Wahrheit werden. Entfernungen werden nach und nach eine Mythe, sie hören auf zu existiren. Nehmen wir England an. Durch den elektrischen Telegraphen wohnt ganz England wie in einer Stube. Man kann einem Freunde, der 600 Meilen weit wohnt, einen guten Morgen bieten und ehe die Tasse Kaffe kalt geworden, schon den Dank dafür zurück erhalten. Nach Paris fährt man pr. Dampf in 12, nach jeder deutschen Hauptstadt in 24 oder 48 Stunden, nach New-York in 7 Tagen, nach Australien in 38. Das war früher Alles 20 bis 50 mal so weit, so daß wir ganz richtig sagen können: die Macht der Erde in ihren Entfernungen, in ihrer Größe hat für den Austausch der Völker, d. h. für den Frieden und die Civilisation der Menschheit 20 bis 50 mal abgenommen.

Ueber ein Kleines aber wird’s noch ganz anders kommen und demnächst ist’s um die Erde nicht viel weiter als früher zum Feierabend um die Stadtmauer herum. Der elektrische Telegraph, der London schon unter dem Meere hin mit allen Hauptorten Europa’s verbindet, wird unter dem Weltmeere hin auch seinen Weg nach Amerika finden. Es ist schon Alles dazu getheilt, ausgemessen und ausgerechnet. Und was wird das mit heißer Luft getriebene Schiff des amerikanischen Capitains Ericsson erst für eine wohltätige Verkehrs-Revolution hervorrufen. Kohlen sind schwer, gefährlich, kosten viel Geld, sind nicht überall zu haben; Luft kostet nichts, wiegt nichts, nimmt keinen besondern Platz ein und ist überall und ohne Weiteres da. Die Luft, dieses leichteste, wärmste, ewige Festkleid der Erde, fehlte gerade noch unter den kosmopolitischen Postpferden. Nun ist sie da und läßt sich geduldig, leicht, geräuschlos statt hundert und tausend Pferdekraft des ungeschliffenen, schmutzigen und unbändigen Burschen von Dampf gebrauchen. Franklin entriß dem Luftgotte Jupiter den Blitz; unsere Zeit macht ihn zum schnellsten Briefträger, und nun kommt der stolze Amerikaner noch und macht diesen obersten der griechischen Götter gar zum gehorsamsten Schiffzieher und Eisenbahntreiber. Es geht unaufhaltsam vorwärts.


Manche parfümirte Dame würde sich wundern, wenn sie wüßte, woher der Inhalt ihrer Riechfläschchen kommt. Ein Bericht der Sachverständigen über die Londoner Ausstellung hat darüber merkwürdige Aufschlüsse gegeben. Fuselöl, sagt Dr. Plagfair, dient zur Fabrication von Cognac und Whiskey. Mit Schwefelsäure und essigsaurem Kali destilliert giebt es Birnöl; mit Schwefelsäure und doppeltchromsaurem Kali, Apfelöl, Ananasöl, das vielfach zur Fabrication der Ananasöle dient, wird genommen aus einer Mischung von faulem Käse und Zucker; das künstliche Mandelöl, von Conditoren und Seifenfabricanten vielfach gebraucht, aus Salpetersäure und Steinkohlentheer. Manche schöne Stirne reibt sich mit Eau de mille fleurs ohne zu wissen, daß der Hauptbestandtheil desselben aus der Jauche der Kuhställe gewonnen wird. – Wir haben uns deswegen nicht über Betrug zu beklagen, sondern über die Entwickelung der Chemie zu freuen. Diese künstlichen Fabrikate enthalten ganz dieselben Stoffe, die man früher aus den Früchten und Blumen zog. Aus der Zersetzung der letzteren hat man die Zusammensetzung der ersteren gelernt.


Ein Anfang. Die Londoner Industrieausstellung hat neben andern großen Vortheilen für Deutschland auch noch den einen nicht unwichtigen gehabt, daß sich die deutschen Kaufleute anfangen zu schämen, ihre Waaren unter ausländischer Etiquette zu versenden. Was am Rhein, in Westfalen, ja selbst in Thüringen und Hessen fabricirt wurde, trug bisher englische, französische und niederländische Etiquetten und ward als ausländische Waare auf den Markt gebracht. Das ist jetzt, zum Theil wenigstens, anders geworden. Mehrere rheinische und mitteldeutsche Fabriken, welche auf der Londoner Ausstellung Prämien erhielten, haben neuerdings ihre englischen und französischen Etiquetten von den Waaren entfernt und bezeichnen sie stolz als deutsche Waare, und allen Nachrichten zufolge ist der Absatz deshalb nicht geringer, sondern im Gegenteil besser geworden. Es ist ein kleiner, aber immer doch ein Anfang deutschen Selbstbewußtseins, und wir können nur wünschen, daß er in alle Volksschichten und in alle Verhältnisse übergeht. E. K.


Berichtigungen.
No. 4, Seite 37, Spalte 1, Zeile 30, statt aber nicht lies aber wohl
6 62 2 9 benennenswerthen lies brennendrothen
6 62 2 33 wachskammerigen l. mehrkammerigen
6 63 2 1 Bach-Gallen lies Blatt-Gallen

Briefkasten.

L–n. in Frkft. Freundlichen Dank für das Herz, das Sie in einer der nächsten Nummern wiederfinden werden. Bitten sehr um die Fortsetzung und erlauben uns nur nochmals darauf aufmerksam zu machen, daß bei Beiträgen dieser Art populaire Darstellung und Verständlichkeit Haupterfordernisse sind. – Hz. in Dn. Empfangen und kommt in nächster Nummer zum Abdruck. Mit großer Erwartung sehen den Empfang des avisirten „großen Schreibebriefes“ entgegen. – R. Lg. in Dresden. Für die Gartenlaube nicht passend. – Rdy. in L. Der Kreis unsrer Mitarbeiter ist keineswegs auf eine gewisse Anzahl und bestimmte Autoren beschränkt, wie Sie zu glauben scheinen. Uns ist Jeder willkommen, der Talent und ein Herz für die gute Sache der Aufklärung hat. Die Redaktion.     



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Schnellpressendruck von Giesecke & Devrient in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vermutlich, anhand der Vorlage nicht eindeutig zu identifizieren
  2. Vorlage: härten
  3. Sir Charles Lyell, britischer Geologe (1797–1875) (Quelle: Wikipedia)
  4. Amalie Eleonore Sophie Caroline, Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg (1813–1870) (Quelle: GeneaNet)