Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[355]

No. 33. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Schuld um Schuld.

Geschichte aus der neuesten Zeit.
III.

Vier Wochen später knieete Ludolf am Grabe seines Vaters. Auf einem einfachen idyllischen Dorfkirchhofe war ein einsames Grab an der Mauer, das die Reste eines unbekannten Mannes umschloß, der vor ein paar Wochen im verwesten Zustand aus dem vorüberfließenden Fluß gezogen worden, wo die Leiche wahrscheinlich lange unbemerkt im dichten Weidig hängen geblieben war, bis vorüberfahrende Schiffer sie zufällig fanden und an’s Land warfen. Die gerichtsärztliche Obduction konnte nur angeben, daß der Mann ertrunken sei und etwa drei Wochen könne im Wasser gelegen haben. An dem kleinen Finger steckte noch der Trauring – an ihm erkannte man später, daß die Leiche die des Commissionsraths von Buchau sei. Wie die Seinen sich erinnerten, war der Ring ihm festgewachsen, und so hatte er ihn auch an jenem verhängnißvollen Morgen nicht abgebracht. Der Fluß floß an der Stadt vorbei, die er bewohnte – auf dem Gerichtsweg erwies sich das Uebrige. In dem Dorfe, wo der Körper angeschwommen, hatte man ihn so schnell als möglich begraben. Als Ludolf erfahren, wo das Grab seines Vaters sei, eilte er dahin, einmal um den Todtengräber zu veranlassen, ihm ein freundliches Ansehen zu geben und dann, um dort vielleicht die Ruhe zu finden, die ihn bisher geflohen – er wußte, daß er nicht anders hatte handeln können und dürfen, als er gethan, aber zuweilen klagte er sich doch an, Schuld zu sein an diesem Ende seines Vaters, dem Unglück seiner Familie. –

Er war gegen Abend in das Dorf gekommen, und um sich in seinem Schmerz nicht stören zu lassen von den neugierigen Dorfbewohnern, war er erst in der Dämmerung zu der Stelle gegangen, die er hier aufsuchen wollte. Er hatte stundenlang auf dem frischen Hügel gesessen und mit seinen Empfindungen gerungen. Die Nacht blieb er in der Schenke, da das Dorf ziemlich weit von seinem Wohnort entfernt lag, und wollte am andern Morgen wieder zurückgehen. Als er da noch einmal zu dem Grabe kam, sah er eine schlanke Mädchengestalt daran beschäftigt, es mit Blumen zu [356] schmücken – er blickte schärfer hin – diese reizenden Formen und anmuthigen Bewegungen, diese blonden Locken hatte er schon einmal gesehen – jetzt hob sie das liebliche Antlitz auf – er erkannte sie wieder und stürzte auf sie zu – es war das Mädchenbild, das wie ein Schutzgeist ihm vorgeschwebt! –

Sie erschrak über sein unerwartetes Kommen – er hatte sie hier nicht mehr treffen sollen, aber die Stille war zu heilig zu einer schüchternen Flucht oder einem conventionellen Gruß; sie neigte sich grüßend vor ihm und sagte: „Sie werden nicht oft das theure Grab besuchen können und der Todtengräber ist nachlässig; ich werde es mit unter meine Hut nehmen.“ Er reichte ihr die Hand über das Grab hinüber in einer halbknieenden Stellung, und es war ihm in diesem Augenblick, als habe ihm sein Vater vergeben – als sei jetzt jede Schuld gesühnt durch diese lichte Erscheinung an seinem Grabe. Mit Blick und Händedruck sagte er ihr beredteren Dank, als es mit Worten möglich gewesen wäre. Endlich fragte er:

„Aber daß ich Sie hier wiedersehe. Fräulein Agnes?“

„Mein Vater ist hier Pfarrer,“ entgegnete sie einfach.

„Ehe ich dies Dorf wieder verlasse,“ antwortete er, „wollte ich noch den Herrn Pfarrer besuchen, um ihm zu danken, daß – –“ er konnte im Augenblick keine Worte finden und Agnes errieth, daß er vergeblich die passenden suchen werde, um dafür zu danken, daß sein Vater, allerdings nur durch die milden Gesinnungen des ihrigen, ein ehrliches Begräbniß erhalten. Sie lud ihn ein, sie in das Pfarrhaus zu begleiten, wo ihr Vater im Garten eben frühstücke. –

Im vorigen Sommer war Agnes in Ludolf’s Wohnort einige Tage bei einer verwandten Familie zu Besuch gewesen, die bald darauf diese Stadt verlassen hatte. Ludolf hatte sie bei einer Landpartie kennen lernen, die von einer heitern Gesellschaft für den ganzen Tag angeordnet war. Er hatte nichts von ihr erfahren, als ihren Namen Agnes Meinau und daß sie die Tochter eines Pfarrers sei. Später fehlte die Gelegenheit sie wiederzusehen oder auch nur nähere Erkundigungen über sie einzuziehen. Aber an jenem einen Tag war er fast nicht von ihrer Seite gekommen und hatte tief in ihrer Seele gelesen. Sie war ihm als das verkörperte Ideal des Ewig-Weiblichen erschienen, von dem er bisher nur geträumt. Alle andern Mädchen waren ihm von da an gleichgültig – aber allmälig verlor sich die erste stürmischere Wallung und er gewöhnte sich daran, Agnes wie eine liebliche Erscheinung zu betrachten, die ihm einmal geworden und dann für immer entrückt sei. Nun ward sie ihm plötzlich an diesem Grabe.

Agnes hatte oft mit dem gleichem Entzücken wie er an jenen schönen Tag an seiner Seite gedacht – aber auch sie sah darin nichts als die süßeste Erinnerung ihres Lebens. Da nannte man plötzlich nach einem Jahre seinen Namen als den Sohn des unglücklichen Selbstmörders, den man hier begraben hatte. Sie empfand die lebhafteste Theilnahme für dieses Familienunglück, und da sie eines Abends von ihrem Fenster aus eine schlanke Männergestalt an dem Grabe knieen sah, erkannte sie Ludolf, und eilte am folgenden Morgen, ihm eine schmerzliche Freude zu machen durch ihre Schmückung des väterlichen Grabes.

Ludolf war von dem Pfarrer mit Theilnahme und Herzlichkeit begrüßt worden und zu längerem Verweilen gastfrei eingeladen. Er vermochte auch nicht, sich von dem wiedergefundenen Mädchenbild, das ihm indeß nur immer in der Phantasie vorgeschwebt hatte, schnell wieder loszureißen und blieb bis zum Nachmittag. Da er Abschied nahm, versprach ihm Agnes noch einmal, getreue Pflegerin des Grabes zu sein und der Pfarrer lud ihn ein, so oft es ihn zu dieser Stätte ziehe, das Pfarrhaus als seine Wohnung zu betrachten. –

Ludolf legte den Rückweg erst einige Stunden zu Fuß zurück und dann bediente er sich der Eisenbahn. Noch nie war ihm in diesen vier Wochen so leicht um’s Herz gewesen wie jetzt! Ihm war, als müsse der Vater, der mit dem doppelten Verbrechen des Betrugs und des Selbstmordes aus der Welt gegangen, nun die Vergebung der ewigen Liebe empfangen haben, seit an seinem Grabe ein Engel in holder Weibesgestalt Wache gehalten – und ihm war, als dürfe er selbst sein Auge in liebender Anbetung zu dem Engel erheben, der dem Vater die Missethat vergab und an seinem Grabe dem Sohne mit tröstendem Mitgefühl erschien. Neben diese stille Hoheit einer makellosen Jungfrau stellte er das abschreckende Bild einer Meta von Zahring, die in und an sich selbst jede Spur des Ewig-Weiblichen vernichtet hatte, und er wußte, wenn es seinem Vater vergönnt war, aus den himmlischen Höhen in dem Augenblicke herunterzuschauen, wo an seinem Grabe Agnes und Ludolf sich begegneten –: so segnete er jetzt den Sohn und vergab ihm, daß er das frevelhafte Opfer, was er gefordert, ihm versagt hatte.

Aus dieser höhern Stimmung ward Ludolf unangenehm durch einen Brief gestört, den er bei seiner Nachhausekunft vorfand. Er war von der Stadtpost gekommen, von fremder Hand und ohne Unterschrift. Er enthielt nur die Worte:

„Hören Sie den Rath eines Freundes, der sich nicht nennen und Ihnen nicht mehr sagen darf: Wenn Ihnen Ihre Ehre und Freiheit lieb ist, so eilen Sie, sich mit Fräulein von Zahring zu versöhnen. Machen Sie Ihr Unrecht an ihr wieder gut und ihr mildes Herz wird Ihnen vergeben; außerdem wird ihre Ehre sie zwingen, die Mittel zu benutzen, welche ihr zu Gebote stehen, sich vor der Welt zu rechtfertigen und an Ihnen zu rächen.“

Ludolf begriff nicht, von wem diese Warnung kam. Er verstand die Worte nicht ganz, aber er hatte schon zuweilen daran gedacht, daß Meta ihn tödtlich hassen werde, da er sie verschmäht, und eine Gelegenheit suchen, sich dafür an ihn zu rächen. Aber er war zu stolz, sich vor einem Weibe zu fürchten, und wie tief er vor einer edeln unentweihten Weiblichkeit sich auch neigen konnte – der entarteten vermochte er nicht anders als mit dem Stolz männlichen Selbstgefühls zu begegnen. Er ließ den anonymen Brief unbeachtet.

Es waren wieder einige Wochen vergangen. Ludolf [357] hatte noch zwei solche ähnlich lautende anonyme Drohbriefe erhalten und wußte doch in seinem Thun Nichts zu ändern. Er war sich keiner Schuld bewußt und kam endlich auf den Gedanken, daß vielleicht Meta selbst diese Briefe geschrieben, nur um sich durch solche Drohungen zu rächen – an ihre Macht ihn glauben zu lassen. Er konnte doch nicht zu ihr gehen und sie um Verzeihung bitten, daß er der Werbung seines Vaters nicht seine eigne habe folgen lassen!

Indessen war er mehrmals in dem stillen Pfarrhaus gewesen, in dem jetzt immer seine Gedanken weilten und ein süßes Verständniß der Herzen schlang zarte Rosenbande um ihn und Agnes.


IV.

Eines Tages, da Agnes wieder mit zärtlicher Sehnsucht den Geliebten erwartete, brachte der Postbote neue Zeitungen, die sie zerstreut durchblätterte. Da fielen ihre Augen auf die Notiz:

„Diesen Morgen ward der Referendar Ludolf von Buchau verhaftet. Bekanntlich verschwand sein Vater, der Commissionsrath von Buchau vor einigen Monaten mit Hinterlassung eines Kassendefectes. Damals hielt Jedermann den Sohn für unschuldig und frei von jeder Mitwissenschaft. Wie es scheint, sind aber jetzt die Behörden zu einer andern Ansicht gekommen.“

Agnes traute ihren Augen nicht und las die Stelle wieder und wieder. Kein Zweifel an Ludolf kam in ihre Seele. „Er ist unschuldig – nur ein Mißverständniß oder eine mächtige Feindschaft hat diese Verhaftung veranlaßt,“ sagte sie sich; „aber ich muß hin zu ihm, um Alles zu erfahren und um ihm zu sagen, daß ich an ihn glaube.“

Sie theilte dem Vater dies Alles und ihren Entschluß mit. Anfangs bestritt er denselben, obwohl es ihm auch schwer fiel, an Ludolf’s Schuld zu glauben. Aber Agnes blieb so fest und bat so lange, daß er endlich in ihren Entschluß willigte.

Am folgenden Abend war sie am Ziel ihrer Reise. Den Morgen darauf ging sie zuerst zu Ludolf’s Mutter und Schwester. Der Sohn hatte ihnen von ihr erzählt, sie fühlten sich ihr zu Dank verpflichtet und hätten sie zu jeder andern Zeit mit offnen Armen empfangen. Heute war ihr Empfang verlegen und förmlich. Agnes wollte diesen Ton durch die freimüthige Erklärung ändern, daß sie Alles wisse und nur gekommen sei, um ihnen und Ludolf die Versicherung zu bringen, daß sie hier an Nichts glaube – als an ein Mißverständniß.

Die Commissionsräthin umarmte sie gerührt und sagte mit Thränen in den Augen: „Armes Kind – ich glaube es auch nicht von meinem Mann!“

Das war den Fluch der Erfahrung, des getäuschten Vertrauens, daß die Mutter jetzt auch am Sohne zweifelte.

Aber Agnes zweifelte dennoch nicht an dem Geliebten. Sie fragte, wo sie die Erlaubniß erhalten könne, ihn zu sprechen und ging dahin. Dem fremden Mädchen wollte man anfangs sein Gesuch abschlagen – da nannte sie sich seine Braut und erhielt eine Karte, die ihr die Thür seines Gefängnisses öffnete. Ein Aufseher begleitete sie mit hinein.

Ludolf starrte sie an, als blende ihn eine himmlische Erscheinung – er konnte nicht glauben, daß sie es sei, und sie war es doch! Er hatte nicht gewagt, ihr zu schreiben, von seinem Loos ihr Kunde zu geben – aus Rücksichten für sie – der mit entehrendem Verdacht Behaftete wollte nicht mehr wagen ihr zu nahen – und nun kam sie selbst!

Welche Feder soll diese Scene beschreiben? – Sie vergaßen Beide Alles um sich her, denn sie wußten nun, daß nur sie einander Alles waren. Er brauchte ihr seine Unschuld nicht zu betheuern, denn sie hatte ihn ja nie für schuldig gehalten. Er sagte ihr, daß er Fräulein von Zahring für seine falsche Denunziantin halte.

„Meta von Zahring?“ rief Agnes, „dann bist Du gerettet! Mein Vater hat mit ihr Geduld genug gehabt, bis sie wieder eine neue Schandthat begehe – er wollte die Sache dem höchsten Richter anheimstellen, wo auf Erden nichts mehr zu sühnen war, aber nun wäre Schweigen ein Verbrechen.“ Sie wagte nicht mehr zu sagen und hatte auch nur diese Worte leise geflüstert. „In wenig Tagen bist Du frei, denn auf ihr Zeugniß hin wird man Dich nicht mehr für schuldig halten.“

Agnes reiste noch am selbigen Tage ab. Am zweiten Tage nachher erschien der Pfarrer Meinau vor der Justizbehörde und zeigte an, daß eine vor einigen Tagen in seiner Parochie verstorbene Frau nun auf ihrem Todbett gestanden, daß sie Mitwisserin eines Mordes sei. Sie habe vor funfzehn Jahren auf dem Gut des Herrn von Zahring gedient, der zwei Töchter und eine Nichte, Namens Meta, gehabt. Das eine Fräulein sei als Braut plötzlich gestorben und das andere ein Jahr darauf auch sehr krank geworden. Fräulein Meta habe sie gepflegt. Eines Tages, da es mit dem kranken Fräulein wieder besser gegangen, habe Meta in deren Suppe ein weißes Pulver gethan. Sie, die Dienerin, habe das gesehen, es aber für ein Medicament gehalten. Am folgenden Tage war die Kranke gestorben und habe, als sie einmal vorher einen Augenblick mit ihr allein gewesen – Meta sei sonst nie von ihrem Bett gewichen – gesagt: die Suppe habe ihr gleich widerstanden; sie glaube, ihre Cousine habe sie vergiftet. Ich solle aber Nichts sagen, denn vielleicht täusche sie sich, und es könne Nichts helfen, mit ihr sei es nun doch vorbei. Die Dienerin hatte später gegen Meta selbst ihren Verdacht ausgesprochen, diese hatte freilich geläugnet, aber bald nachher die Dienerin entlassen und ihr gesagt: wenn sie noch fortzöge und nie Etwas von dieser Sache sage, wolle sie ihr tausend Thaler geben – und die Dienerin hatte das Geld genommen und geschwiegen. Sie war weit weggezogen und hatte dann sich nach dem Dorfe verheirathet, in dem Meinau Pfarrer war. Auf ihrem Sterbebett suchte sie ihrer geängsteten Seele durch dies Geständniß Ruhe zu verschaffen.

Der Pfarrer war unschlüssig, was er thun sollte. Die Todten standen nicht wieder auf! Er fragte seine Tochter nach Fräulein Zahring, da diese voriges Jahr [358] bei ihrem Aufenthalt in der Residenz mit ihr zusammengetroffen war. Sie wußte nichts Gutes, aber auch nichts Böses von ihr zu erzählen, außer daß man ihrer Vergangenheit Schlimmes vorwerfe und ihr Niemand vertraue. Vielleicht, dachte der Pfarrer, ist sie in sich gegangen und büßt schon durch das Mißtrauen der Menschen. Da er seiner Tochter Alles sagte, rieth ihm diese, zuerst selbst zu dem Fräulein zu reisen, ihr ins Gewissen zu sprechen und wenn sie bereue und sich gebessert, ihr die Gelegenheit zu guten Thaten nicht durch ein ewiges Gefängniß zu verschließen. Aber jetzt zeigte ihre neue Schandthat, daß sie ein schädliches Mitglied der Gesellschaft sei, vor dem dieselbe geschützt werden müsse. Jetzt ging der Pfarrer nicht zu ihr, sondern an die Gerichtsstelle.

Wenige Stunden darauf ward Fräulein von Zahring verhaftet, und jetzt scheute sich Niemand mehr, sie öffentlich Giftmischerin zu nennen.

Wie es immer geht, wenn einmal ein Verbrechen nicht mehr zweifelhaft ist, so finden sich nun überall Ankläger und Zeugen dafür, die vorher geschwiegen hätten, nicht weil sie zweifelten, nicht weil sie Gott das Richteramt überlassen wollten, sondern weil sie fürchteten, ihre Anklage eines Mitgliedes der höhern Gesellschaft möge nicht viel fruchten und sie selbst am Ende nur falschen Zeugnisses verdächtig machen.

Als Meta von Zahring sah, daß ihr Läugnen Nichts half, weil sich zu viel Beweise fanden, gestand sie Alles. Sie hatte die beiden Cousinen vergiftet. In der zuerstverstorbenen hatte sie die glückliche Nebenbuhlerin gehaßt und sie darum kurz vor der Hochzeit durch ein langsam wirkendes Gift getödtet. Ein Jahr nachher sei die andere Schwester an einem Fieber erkrankt und Meta hatte gehofft, sie würde eines natürlichen Todes sterben und sich im Geiste schon als einzige Erbin gesehen – da habe es sich mit ihr gebessert und im Zorn darüber, nun ihre Träume unverwirklicht zu sehen, habe sie ihr Gift beigebracht. Neid, Mißgunst, Haß, Eifersucht und Habsucht hatten sie zu diesen Thaten gebracht.

Ueber Ludolf von Buchau sagte sie jetzt auch die Wahrheit aus. Sie hatte jene anonymen Briefe an ihn selbst geschrieben und gehofft, ihn durch diese indirekten Drohungen doch noch zu vermögen, um ihre Hand zu werben. Als sie sah, daß dies vergeblich war, sagte sie aus, daß sie mit Ludolf von Buchau bereits verlobt gewesen, als dessen Vater sie um zehntausend Thaler gebeten, da sein Sohn die Kasse angegriffen - daß noch im Dunkeln der Sohn bei ihr gewesen sei und selbst sein Verbrechen gestanden, weil sie den Antrag des Vaters zurückgewiesen. Nachdem sie in Ludolf einen Betrüger erkannt, habe sie das Verhältniß gelöst.

Daß der Vater bei ihr gewesen, war bald constatirt; es fand sich kein Grund, an ihren andern Aussagen zu zweifeln und so ward Ludolf verhaftet. Noch schwebte die weitere Untersuchung, als durch die Enthüllungen des Pfarrers diese neue Wendung in die Sache kam und nun auch Meta ihre frühere Aussage über Ludolf widerrief und die Wahrheit an den Tag kam.

Ludolf ward entlassen. Da nun seine Aussagen mit denen Meta’s übereinstimmten, brauchte er nur zu bekennen, daß sein Vater ihm allerdings jene Zumuthung gemacht, um Fräulein Meta zu werben und dadurch ihn zu retten, daß er aber erst spät die Kunde von dem Kassendefect erhalten und bereit gewesen sei, für den Vater sich selbst anzuzeigen. Daß er den eignen Vater nicht denunzirt, wo gleich darauf der Stand der Sache dem Gericht ohnehin bekannt werden mußte, konnte ihm Niemand als Vergehen anrechnen.

Man fand aber für gut, ihn in eine andere Stadt zu versetzen.

Dies kam ihm und den Seinen, die ihn begleiteten, nur erwünscht.

Meta ward zum Tode verurtheilt, aber zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt.

Nach einem Jahre erhielt Ludolf eine einträglichere Stellung und Pfarrer Meinau traute in ihm und seiner Agnes das glücklichste Paar.




Aus der Gewerbswelt.

Mitgetheilt von Friedrich Georg Wieck.
Die Mähmaschine.

Fast mehr noch als in den gewerblichen Künsten sind im landwirthschaftlichen Betriebe in neuerer Zeit vervollkommnete Werkzeuge, welche man Maschinen nennt, zum Theil vorgeschlagen, zum Theil auch wirklich ausgeführt und hier und da in die praktische Landwirthschaft eingeführt worden. Dies erklärt sich theilweise daraus, daß die Gewerbskunst sich schon seit längerer Zeit mit den Maschinen befreundet hat, während die Landwirthschaft länger ihr Fach handwerksmäßig betrieb und jetzt erst anfängt, dasselbe zu der Kunst zu erheben: dem Acker den höchstmöglichsten Ertrag mit den möglich geringsten Kosten abzugewinnen. Sie wird andererseits in manchen Gegenden, wo Handel und Gewerbe in Blüthe stehen, genöthigt, sich nach verstärkten Arbeitskräften umzusehen. Denn einmal verlangt eine zahlreich gewerbliche Bevölkerung recht viel landwirthschaftliche Produkte, dann aber auch nimmt sie stets neue Arbeiter in sich auf, die dem Ackerbau entzogen werden und in sehr seltenen Fällen wieder zu ihm zurückkehren.

[359] Die Landwirthschaft findet jene verstärkten Arbeitskräfte in den Maschinen, bei denen weniger Menschenhände, sondern mehr Pferdefüße gebraucht werden, deren man schon entrathen zu können wähnte in Hinblick auf Eisenbahnen und Dampfwägen. Seit diese aber eingeführt sind, haben sich die Pferde vermehrt.

So vermehrt sich auch die Menschenarbeit durch die Maschinen, und Knechte und Mägde brauchen nicht zu fürchten, überflüssig zu werden, weil Pferde dreschen und mähen. Warum sollen sie dies nicht eben so gut thun, als pflügen und eggen? Umsomehr da man jetzt schon den Dampf an den Pflug, und an das Grabscheit spannt, wovon wir später einmal erzählen wollen. Von Allem zugleich können wir hier nicht reden! Bleiben wir heute vor der Hand beim Mähen stehen.

Jedes Kind weiß, daß man seit uralter Zeit sich dazu der Sichel und der Sense bedient. Das älteste Werkzeug ist die Sichel. Man hat Abbildungen davon auf den ältesten Denkmälern des Menschengeschlechts gefunden. Die Sense ist von neuerer Erfindung. Die Alten stellten sich den Tod nicht als scheußliches Gerippe mit der Hippe oder Sense vor, sondern als ein die Fackel kehrender Genius. - Die Sense ist wirksamer wie die Sichel, aber letztere wird aus Anhänglichkeit an dem überkommenden Alten von manchen ländlichen Bevölkerungen noch vorgezogen. Daher darf es Niemanden verwunderlich vorkommen, wenn nach tausend Jahren – lebt er so lange – die alten Sensen noch arbeiten neben dampfgetriebenen Mähmaschinen, welche so mit Dresch-, Mühl- und Backmaschinen verbunden sind, daß das frische Brot am letzten Ende herauskommt.

Mähmaschine von Tolemache.

Indem wir den spätern Jahrgängen der Gartenlaube die Illustrirung dieser merkwürdigen Maschinenkomposition vorbehalten, welche uns allerdings schon im Geiste vorschwebt, beschränken wir uns heute darauf, unsern wißbegierigen Lesern die bis jetzt erreichte Sprosse auf der Leiter jener großen kommenden Erfindung in einem hübschen landschaftlichen Bilde vor Augen zu legen. Die in demselben arbeitend dargestellte Maschine ist die „Tolemach-Mähmaschine,“ so genannt nach ihrem Erfinder. Sie wird von dem berühmten Erbauer landwirthschaftlicher Geräthe Richard Garrett gebaut. Berühmter noch als diese Maschine ist die Mähmaschine des Amerikaners M’Cormick, die zur Zeit der Weltausstellung in England auf dem Felde so große Triumphe feierte, damals als der große englische Landwirth Mechi, der Kunst zu Ehren, ein schönes, noch grünes Weizenfeld von der Maschine mit großem Behagen abmähen ließ, an welchem Grünfutter sich seine herrlichen Kühe später gütlich thaten.

Aber die von der amerikanischen Mähmaschine errungenen Siege spornten andere rastlose Erfinder an, sich in den heißen Kampf der Konkurrenz zu stürzen und immer bessere Maschinen zu erfinden, wenigstens glaubt jeder Erfinder dies. Wer wie ich den ganzen Tag über mit technischen, gewerblichen Belangen und Büchern, alten und neuen sich beschäftigt, dem kommt manche Erfindung vor Augen, die, nebenbei gesagt, oft nichts weiter ist als ein alter Freund in einem neuen Rock. So habe ich denn auch schon viele Mähmaschinenbauarten gezählt, u. A. von Mason, Atkin, Gumpertz, Wray, Harkes Hussey in England und Amerika. Mit Verbesserungen haben sich beschäftigt [360] die Deutschen: Th. Weiß und Dr. Hamm. Es wird sich dermaleinst finden, welche Bauart und Verbesserung die beste ist, wenn der Streit der Techniker aufgehört hat und die Oekonomen einerlei Meinung geworden sind. Für den sich in diesen Streit und in den Zwiespalt der Meinungen nicht mischenden Leser, der sich so zu sagen nur kulturhistorisch über den Stand der Technik in der Landwirthschaft unterrichten will, dürfte die Ansicht unseres ausgezeichneten Bildes genügen, aus dem er, wie wir offen bekennen müssen, über das Prinzip der Maschine inzwischen nicht so recht klar werden möchte, wenn wir seiner Einbildungskraft nicht durch einige Andeutungen zu Hülfe kämen.

Die Erfindung an Maschinen zum Mähen taumelte sehr lange in der Irre umher, indem sie sich die Bewegung der Sense oder der Sichel – man dachte entfernt an jene antiken Kampfwagen mit sichelartigen Schwertern an den Achsen – zum Vorbild nahm, bis ein scharfdenkender Geist endlich begriff, daß man ein Kornfeld mit schwankenden Halmen nur abmähen kann, wie man einen Bart rasirt, nämlich mit ziehendem Schnitte. Weil man nun aber nicht gut im Stande ist, eine Riesensense für ein Kornfeld zu schmieden, welche mit Pferdekraft zu regieren wäre, so ersann man eine Finger- oder Kammvorrichtung, die gegen das stehende Getreide anzuschieben ist und die Halme zwischen den Zähnen des Kammes festklemmt. So festgehalten, vermochte nun entweder ein sich schnell unter dem Kamm gegen die Halme bewegendes Sägeblatt dieselben abzusägen, oder hin- und hergehende Messer waren im Stande, sie glatt abzuschneiden. So wie diese Vorrichtung in der Richtung der Furchen von seitlich angespannten Pferden fortgezogen wird, setzt sie durch eben diese Bewegung Räderwerk in Umtrieb und bringt die Schneidvorrichtung zum Angriff. Die geschnittenen Halme sinken zurück auf eine Tafel oder ein Führtuch, und werden von Arbeitern zusammengerafft und in Garben gebunden. Wie geschildert ist das Urprinzip aller Mähmaschinen. Anstatt des sägenartigen Schneiders wenden Andere scheerenähnlich zusammentretende Schneiden an; wieder Andere greifen zu runden Scheiben mit scharfen Rändern, während die Kühnsten ordentliche, scharfe, platte Stahlkrallen konstruiren, welche die Halme zugleich packen und abschneiden. Atkins, der neueste Erfinder, läßt die Köpfe sich zersinnen, um die zweckmäßigste Zusammenstellung von Schneiden für den eigentlichen Schnitt des Getreides zu finden. Er hingegen schafft einen künstlichen Arm, welcher, so wie die Halme fallen, sie in Garben zusammengreift und zur Seite legt, wo sie dann von einem Arbeiter gebunden und ihrer mehrere in Puppen zusammengestellt werden können.

Das große Rad, welches sich zwischen dem Gestelle (siehe Zeichnung) bewegt, läuft aus der Furche und setzt, während es sich durch den Zug des Pferdes dreht, das seitliche Triebrad in Thätigkeit, und dieses wieder bringt den Schneidapparat in Arbeit. In Amerika, wo die Arbeit der Menschenhand theuer ist, die Arbeit des Menschengeistes aber zur Zeit noch nicht sehr lebhaft gefragt ist, wenn sie sich nicht unmittelbar auf „Money making“ bezieht, gehen viele Mähmaschinen, und verbreitert sich von Tage zu Tage mehr. In England, wo der freie Kornhandel einerseits und die Abnahme landwirthschaftlicher Arbeiter in Folge der Anziehungskraft von Amerika und Australien andererseits den Landbau bedrängt, macht die Maschine sich bereits auch Raum. In Deutschland besinnen wir uns noch. Wir Deutsche sind ein nachdenkliches Volk, und besitzen ungemein viele Anlage zum – Abwarten.




Diätetischer Bonbon für Hustende.

Offenes Schreiben an die Huste-Cousine.

Wer hustet, dem fehlt irgend etwas irgendwo in dem Athmungsapparate. Der Husten selbst ist keine Krankheit für sich, sondern immer nur eine Krankheits-Erscheinung, ein Symptom, welches sehr verschiedene Affectionen des Athmungsapparates begleitet. Das Irgendwo kann aber im Kehlkopfe oder auch in der Luftröhre, oder selbst in der Lunge sein (s. Gartenlaube Nr. 22, S. 233); das Irgendwas sind bisweilen eingeathmete fremde Körper (Staub, Rauch) oder Gase, häufiger jedoch entzündliche Zustände oder auch Vereiterungs- und Verschwärungsprocesse. Also wer hustet, braucht noch lange nicht die Schwindsucht zu haben, wie Viele denken; trotzdem darf aber kein Hustender, zumal wenn er schon längere Zeit am Husten leidet, ganz sorglos sein und den Husten für nichts achten. Allerdings ist in manchen Fällen der Husten sogar vortheilhaft und dies ist der Fall, wenn Unnützes aus dem Athmungsapparate herausgeworfen werden soll, wie Schmutz (in grauen Schleimklümpchen), Schleim, Wasser, Eiter, Blut oder fremde Körper. Er ist sonach ein Reiniger der Luftwege und kann das Ersticken abwenden. Darum darf auch in vielen Fällen der Husten vom Arzte nicht unterdrückt werden, sondern ist vom Patienten als guter Freund ruhig zu ertragen. Stets sind aber hierbei vom Hustenden die folgenden Vorsichtsmaßregeln zu beachten. – Wie der Husten zu Stande kommt, will ich Dir so gut als es möglich ist, erklären. An der afficirten Stelle im Athmungsapparate werden die Empfindungsnerven gereizt, diese leiten die Reizung zum obern Theile des Rückenmarkes und tragen dieselbe hier auf die naheliegenden Athmungsnerven über, [361] so daß nun durch diese, nach einem etwas tiefern Athemzuge, ein kurzes, hastiges und stoßweises Ausathmen mit Ton- oder Geräuschbildung in der verengten Stimmritze hervorgerufen wird. Durch betäubende Gifte kann ich nun zwar die Nervenreizbarkeit mildern und so den beschwerlichen Husten mäßigen, oder sogar ganz vertreiben, aber das Grundübel heile ich dadurch natürlich nicht.

Husten bei Kindern.Je kleiner das Kind, desto gefährlicher ist der Husten. Deshalb muß man es bei Kindern entweder gar nicht zum Husten kommen lassen oder denselben gleich bei seinem ersten Erscheinen durch ein vernünftiges Verhalten zu unterdrücken suchen. Vermieden kann aber der Husten dadurch werden, daß die Athmungsorgane (s. Gartenlaube Nr. 16, S. 171) weder unmittelbar durch Einathmen schädlicher Luft, noch mittelbar durch Erkältung der äußern Haut, in eine Krankheit, gewöhnlich in Entzündung, versetzt werden. Vor Allem ist auf reine und mäßig warme Luft, nicht blos bei Tage, sondern vorzüglich auch bei Nacht, zu halten; Staub, Rauch und Kälte rufen bei Kindern sehr leicht Husten hervor. Die unglückliche Idee vieler Mütter, ihre Kinder zur Abhärtung bei Wind und Wetter, bei Nord- und Ostwinde in das Freie und zwar mit dummen Kindermädchen zu schicken, hat schon einer Menge von Kindern Lungenentzündung, Keuchhusten und Bräune zugezogen und den Tod herbeigeführt. Nicht genug zu warnen ist aber noch vor schnellem Wechsel der warmen Luft mit kalter, ebensowohl bei derjenigen Luft, welche man einathmet, als auch bei der, welche den Körper äußerlich berührt. Daß so sehr viele Kinder an Husten leiden, hat seinen Grund meistens in einem solchen schnellen Temperaturwechsel, denn wie oft kommen nicht Kinder aus der warmen Wohnstube in die kalte Schlafkammer, aus heißen Schulstuben auf zugige Höfe und Plätze, aus der erhitzenden Turn- und Tanzstunde in windige Straßen. Bei sehr kleinen Kindern wird auch das Abhalten (zum Urinlassen) im Freien gar nicht selten die Ursache tödtlichen Hustens und Durchfalles, weil hierbei das in Betten, Windeln oder Kleidern eingepackte Kind mit seinem warmen Unterkörper plötzlich der kalten Luft ausgesetzt wird. Nicht minder nachtheilig ist das längere Blosliegen der Kinder während des Schlafes in kalten Schlafkammern, sowie die mit Stein- und Braunkohlenstaub oder Asche verunreinigte Luft in Schlafstuben. – Hat nun aber ein Kind einmal gehustet, so muß es sofort in gleichmäßiger warmer und reiner Luft (von 14–16° R.), sowohl während des Schlafens wie Wachens, gehalten werden und darf unter keiner Bedingung die warme Stube verlassen, selbst im Sommer nicht; es darf ferner nicht herumtollen und schreien, sondern muß hübsch ruhig bleiben und milde Nahrung bekommen. Auf diese Weise wird (auch ohne Brechwein und andere Arzneien) der Husten sehr bald schwinden und keinen gefährlichen Zustand nach sich ziehen. Wird aber das erste Husten nicht beachtet und das hustende Kind in die freie kalte Luft geschickt, so steigert sich das entzündliche Uebel, welches den Husten hervorrief und breitet sich auch, nachdem es anfangs nur im obern Theile des Athmungsapparates seinen Sitz nahm, tiefer in die Brust herab aus, so daß dadurch aus einem einfachen Katarrhe die häutige Bräune, Keuchhusten und Lungenentzündung werden kann, oder der Katarrh doch wenigstens hartnäckiger und langdauernd wird, so daß er endlich die Lunge widernatürlich erweitert. Bei sorgsamen Müttern, welche die hier gegebenen Gesundheitsregeln ordentlich befolgen, werden die Kinder niemals von dergleichen Brustleiden befallen werden.

Husten bei Erwachsenen. Wie die Kinder sind Erwachsene, welche vom Husten heimgesucht werden, zu behandeln, d. h. sie haben nicht blos dieselben Regeln zu beobachten, wie hustende Kinder, sondern sie sind auch wie diese unter Aufsicht zu stellen, weil höchst selten ein solcher Patient sein eigener Gesundheitsvormund sein kann. Oder sähe man nicht etwa tagtäglich Hustende mit bleichen hohlen Wangen im Tabacksrauche und Staube stundenlang schwatzen, an kalten und feuchten Vergnügungsorten trinken und rauchen, mit eingepreßtem erbärmlichem Brustkasten walzen und polken, mit kalten, nassen Füßen bei dünnen Stiefelchen und Strümpfen vor Kälte klappern? Erst wenn der Hustende durch sein Leiden in seinen Vergnügungen gehemmt wird, wenn er fühlt, daß es an Kopf und Kragen geht, wird er etwas verständiger und was macht er nun? Er kauft sich Hustebonbons, Liebertsche Kräuter, Serapium, Dr. Kerry’s Brustsyrup und wie das dumme unnütze, aber theure Zeug alles heißt; oder er trinkt in früher kühler Morgenluft, wo er im warmen Bette liegen sollte, Molken oder Milch mit Salzbrunnen, quält sich mit ekelhaftem Hundefette oder Leberthran ab u. s. w. In diesem lächerlichen, oder eigentlich beweinenswerthen Beginnen wird er natürlich von den Herren Aerzten recht ordentlich unterstützt und schließlich schicken diese das arme hustende Gerippe in’s Bad oder nach Italien, anstatt dasselbe ruhig zwischen seinen vier Pfählen bei der Familie sterben zu lassen. Das ist nun eine ganz alte Geschichte und wiederholt sich jeden Tag, aber hätte wohl schon Jemand daraus gelernt, sich nach Vernünftigerem umzusehen oder wenn ihm naturgemäßere Regeln gegeben wurden, dieselben gehörig (consequent und andauernd) zu befolgen? Immer zu spät erst! Aber das soll mich doch nicht abhalten für die wenigen Vernünftigen, welche der Natur mehr vertrauen als den Aerzten mit ihren Recepten, und welche vom Arzte keine Wunder an ihrem kranken Leibe verlangen, die Vorsichtsmaßregeln anzugeben, deren Befolgen beim Husten weit mehr Vortheil bringt als die oben geschilderte Quacksalberei.

1. Halte stets auf reine und warme Luft bei Tag und bei Nacht, im Sommer und Winter.– Was die Reinheit betrifft, so (s. Gartenlaube Nr. 17, S. 184) ist vorzugsweise staubige Luft zu vermeiden und deshalb müssen Hustende, die im Staube zu arbeiten haben, Mund und Nase durch eine dünnseidene Binde oder durch einen Respirator verschließen. Seitdem man auf Tanzsälen mit glatten Böden tanzt, ist das Tanzen weit weniger gefährlich worden, als früher, wo man Haufen von Staub einathmete und [362] durch Thee, Bier oder Wein aus dem Halse wegschwemmen mußte. – Kalte Luft ist ebenfalls ein großer Feind Hustender, zumal wenn in kalter Jahreszeit Ost- und Nordwind bläst und wenn man kurz vorher warme Luft eingeathmet hat. Darum hübsch Mund und Nase zugehalten oder mit einem Respirator (d. i. eine seidene Binde mit einem Apparate aus Gittern, durch welche Staub und Kälte der Luft beim Einathmen von den Athmungsorganen abgehalten wird) verbunden, wenn Du aus der Wärme in die Kälte gehst; darum das Schlafzimmer hübsch geräumig, den Tag über gehörig gelüftet und Abends mäßig erwärmt; darum öfters nach dem Thermometer und der Windfahne geguckt; darum vorzugsweise beim Turnen nach reiner Luft gestrebt. Es läßt sich recht gut auch bei uns im Winter und in einer geräumigen Wohnung ein südliches Klima für Brustleidende herstellen, so daß diese den Aufenthalt in Italien mit der beschwerlichen Reise und dem verzehrenden Heimweh ganz gut entbehren können.

2. Athme die warme, reine Luft tief ein und langsam wieder aus. Um dies ordentlich zu können, muß man den Brustkasten nicht durch Kleidungsstücke (Schnürleibchen, Unterrocksbänder und überhaupt enge Kleider) zusammenpressen, sondern so viel als möglich zu erweitern und seine Muskeln zu kräftigen trachten. Hierüber s. Gartenlaube Nr. 17, S. 185.

3. Vermeide einen stärkern Blutzufluß zu den Athmungsorganen und deshalb beobachte Dich selbst, damit Du weißt, was Dir immer starkes Herzklopfen, sogenannte fliegende Hitze oder Brustbeklemmung verursacht. Vielleicht ist es das Rauchen schwerer Cigarren oder schon das Einathmen von Cigarrenrauch, starker Kaffee oder Thee, Wein oder Bier, Gehen oder langes Sitzen, Bergsteigen oder Tanzen, Romanelesen, Aerger, Zorn, Eifersucht, Liebe u. s. f. Hierbei mußt Du Dir selbst ein besserer Rathgeber sein, als der beste Arzt.

4. Hüte Dich vor Erkältung und zwar vorzugsweise vor Erkältung der Füße, des Rückens und der Achselhöhle. Deshalb ist es von Vortheil zu Zeiten, wo man nach Erhitzung ein Kaltwerden der genannten Theile zu gewärtigen hat, dieselben durch dünne wollene Bekleidung (Strümpfe und ein vorn auf der Brust offenes Jäckchen mit kurzen Aermeln auf den bloßen Körper gezogen) zu schützen. Man könnte vor Weinen fast lachen, wenn bleiche, abgezehrte, kurzathmende Jammergestalten, die mit einem Beine schon im Grabe stehen, sich durch diese Bekleidung nicht verweichlichen, sondern lieber durch kalte Waschungen und Bäder für die Spanne Zeit ihres Lebens noch abhärten wollen. Damit soll nun aber ja nicht etwa im Allgemeinen gesagt sein, als ob man seine Haut nicht durch die Kaltwasser-Behandlung besser an kalte Luft gewöhnen und gegen Erkältung weniger empfänglich machen solle; nur muß dies in den Tagen der Gesundheit und vernünftig (d. h. allmälig) geschehen.

5. Genieße vorzugsweise thierische Nahrung, wie Milch, Fleisch und Ei, mit der nöthigen Menge von Wasser, Fett und Salz, weil diese Nahrung die Stoffe, aus denen das Blut, die Quelle des Lebens, besteht, in größter Menge und in der besten Zusammensetzung enthalten, und weil sie den Athmungsorganen weniger zu schaffen machen (s. Gartenlaube Nr. 32, S. 350). Höchst ärgerlich ist es, wenn man fortwährend von Aerzten und Laien Stoffe, welche doch nichts als Nahrungsmittel und zum Theil recht erbärmliche Nahrungsmittel sind, wie isländisches und Caraghenmoos, Milch, Molken, Leberthran, Hundefett und Heringsmilch und dergl. als Heilmittel so verehrt sieht, daß der Patient bei ihrem Gebrauche alle übrigen vernünftigen Verhaltungsregeln bei Seite setzt.

Zum Schlusse will ich nun noch den meisten Lesern, aber nicht etwa der folgsamen Huste-Cousine, verkünden, was sie nach dem Durchlesen dieses Aufsatzes sagen werden: „Was! Diese vielen Regeln soll man eines bischen Hustens wegen längere Zeit, vielleicht zeitlebens, beobachten? nein! da lasse ich mir doch lieber Etwas von meinem Arzte gegen den Husten verschreiben.“ Nun meinetwegen! Huste wie Du wenn Du stirbst wünschen wirst, nicht gehustet zu haben. (B.)     




Historische Erzählungen
und
Bilder aus dem Leben
von
Eduard Gottwald.
Neue Folge.0 2 Bände.0 Preis 2 Thaler.

Verlag von Meinhold u. Söhne in Dresden. 1853.


Diese „Neueste Folge“ der Werke Ed. Gottwald’s werden um so beifälligere Aufnahme und allgemeinere Verbreitung erlangen, als der Name des Verfassers hinlänglich bekannt und seit langer Zeit schon als Mitarbeiter der gelesensten belletristischen Zeitschriften Nord- und Süddeutschlands in der gebildeten Lesewelt sich einen guten Klang erworben hat.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.