Die Forthbrücke in Schottland
Die Forthbrücke in Schottland.
Der Eiffelthurm ist ein Bau, der die ganze französische Nation mit ungeheurem Stolz erfüllt, und es fehlt sicher nicht an einer gewissen Berechtigung dazu. Aber die Engländer haben eben ein Werk der Baukunst vollendet, das als ein Merkmal wissenschaftlichen Fortschritts und großartigen Unternehmungsgeistes jenem mindestens gleichzustellen, zugleich aber von außerordentlichem praktischen Nutzen ist. Das ist die große Brücke über den Forth, die größte Brücke des Erdenrundes, die aber noch eine besondere Bedeutung dadurch erlangt hat, daß sie durch das System ihrer Bauart ein neues Zeitalter des Brückenbaues einzuleiten verspricht.
Ein Blick auf die Karte von Schottland wird uns zeigen, daß der unmittelbare Verkehr zu Lande zwischen Edinburgh und Perth, Dundee, Montrose, Aberdeen, sowie fast dem ganzen Norden von Schottland durch den nahezu zwei Kilometer breiten Ausfluß des Forth, der hier schon eher einem Meeresarm gleicht, bisher unterbrochen wurde. Aller Eisenbahnverkehr ging weiter landeinwärts über Falkirk und dann entweder bei Alloa oder bei Stirling über den Fluß.
Diesen großen Umweg abzuschneiden, wurde die neue Brücke gebaut. Schon im Jahre 1873 wurde der Bau beschlossen. Es sollte eine Hangebrücke werden ein System, welches sich damals noch der größeren Gunst bei den Ingenieuren zu erfreuen hatte. Doch der Bau wurde nur langsam ins Werk gesetzt und war selbst im Jahre 1879 nicht über seine ersten Anfänge hinausgekommen, als sich der schreckliche Unglücksfall auf dem Firth of Tay ereignete, einem etwas nördlicher gelegenen, der Forthmündung ähnlichen, wenn auch nicht so tiefen Stromausfluß. Die über denselben führende Brücke stürzte während eines Sturmes ein im Augenblick, da ein stark besetzter Personenzug darauf angelangt war, und begrub, wie sich mancher noch entsinnen wird, den ganzen Zug sammt seinen Insassen in der Tiefe.
Ein so schreckliches Unglück, das die ganze Welt damals so tief bewegte, hatte in England auch das Vertrauen auf die Bauart der Hängebrücken tief erschüttert. Eine Folge davon war, daß auch die Arbeiten an dem Bau der Brücke über den Forth sofort eingestellt und neue Pläne entworfen wurden. Im Jahre 1881 entschieden sich die mit der Prüfung der Angelegenheit beauftragten Sachverständigen einstimmig für die Annahme des Entwurfs, welcher von Sir John Fowler und Mr. Baker vorgelegt worden war und darauf hinausging, auf dem Meeresgrunde, bezw. auf einer im Forth liegenden Insel drei mächtige Pfeiler zu errichten und auf diesen riesenhafte Stahlthürme aufzubauen, die eigentlichen Stützpunkte des Ganzen, von denen aus nach beiden Seiten hin vom Kopf wie vom Fuß je zwei mächtige Kragarme ausgehen, deren untere Gurtungen sich gegen den Fuß der Stahlthürme stützen und deren obere sich an das obere Ende derselben anhängen. Diese beiden Gurten sind noch durch diagonale Verbindungsstücke gegen einander abgesteift, während in der Mitte selbst der Träger für die eigentliche Fahrbahn angebracht ist. In dieser Weise aneinander gefestigt, werden die Gurtungen nach beiden Seiten hin fortgeführt, bis sie den ausgestreckten Armen der nächstgelegenen großen Thürme so nahe kommen, daß nun durch einige besondere Zwischenträger eine Verbindung der beiden Thürme herbeigeführt wird, auf die also die ganze Last zurückfällt.
Das Grundgesetz an sich ist nicht neu. Im Gegentheil, wir finden es sogar schon im Alterthum vielfach angewandt, schon bei den Chinesen, bei den Indiern, wie auch bei den Griechen. In seiner einfachsten, rohesten Form kam dasselbe schon vor Jahrtausenden oft genug zu Geltung, wenn ein Wilder, der über einen Fluß setzen wollte, die überhängenden Aeste zweier an den Ufern sich gegenüber stehender Bäume durch einen darüber gelegten Balken mit einander verknüpfte. Da haben wir in den Stämmen der Bäume, den Aesten und dem Balken die drei Hauptbestandtheile des Systems: die Pfeilerthürme, die Kragarme und den Zwischenträger. Wurde diese ureinfache Ueberbrückung im Laufe der Jahrtausende in unzähligen Einzelheiten vervollkommnet, so wurde sie doch dem Hängebrückensystem lange nicht gleich geachtet, bis es den Erbauern der Forthbrücke gelang, mit Zuhilfenahme der neuesten wissenschaftlichen Fortschritte ihr zu richtiger Würdigung zu verhelfen und etwas bis dahin Unerreichtes zu Wege zu bringen. Die Brücke von New-York nach Brooklyn, eine Hängebrücke, deren Mittelstück eine Spannung von 1600 engl. Fuß (483 m) hat, gilt für ein Meisterwerk in ihrer Art. Doch die Forthbrücke hat ihr den Rang abgelaufen schon dadurch, daß sie sogar zwei Spannungen aufzuweisen hat, die je 1710 Fuß (521 m) lang sind, also beide zusammen schon eine Entfernung von mehr als einem Kilometer überbrücken.
Diese beiden langen Spannungen wurden durch die Natur des Untergrundes nothwendig gemacht. Die Stelle, die für die Brücke ausgewählt wurde, befindet sich an der sogenannten „Queens Ferry“, einer Einengung der Flußmündung, die durch einen Vorsprung der nördlichen Küste gebildet wird und die gerade in der Mitte die erwähnte Insel, ein felsiges Eiland, das „Inch Garvie“, aufweist. Auf beiden Seiten desselben befinden sich Stromrinnen von nahezu 60 m Tiefe, die zum größeren Theil mittels dieser riesenhaften Spannungen überbrückt worden sind, indem der mittlere der Pfeilerkolosse auf die Insel zu stehen kam. Die Ingenieure geben selbst zu, daß, wenn diese nicht vorhanden gewesen wäre, sie das Werk kaum hätten ausführen können. Der nördliche der äußeren Hauptpfeiler steht hart am Gestade von Fife und der südliche an einer seichteren Stelle, aber doch noch in dem Meeresarm selbst, so daß die äußerste Tiefe der Grundmauer an dieser Stelle 91 Fuß (27,7 m) unter dem Meeresspiegel erreicht.
Der Bau dieser drei Pfeilerkolosse, die zur Unterlage der mächtigen Stahlthürme dienen, war ein äußerst langwieriges Unternehmen und wurde mittels „Senkkasten“ ausgeführt, von denen ein jeder stark 21 m Durchmesser besaß und die genau an der Stelle, wo die Pfeiler aufzuführen waren, auf den Grund niedergelassen wurden. Ein solcher Senkkasten ist unten offen bis zu einer Höhe von etwas über 2 m, dann folgt ein eiserner Boden. Wenn nun der Kasten auf dem Grunde aufsitzt, so entsteht eine Art Taucherglocke, unter der, nachdem das Wasser ausgepumpt ist, die Arbeiten bei elektrischer Beleuchtung vor sich gehen.
Zur Sicherstellung der unter der Glocke beschäftigten Leute wird fortwährend Luft von oben durch Luftpumpen zugeführt und ein Druck von ungefähr zwei Atmosphären unterhalten. Aber auch im übrigen waren die Einrichtungen sicher und zweckentsprechend, daß selbst einige Besucher in den „Senkkasten“ zugelassen wurden, und man erzählt sich von einem Herrn, der hier auf dem Meeresgrund den Arbeitern sein Whiskyfläschchen herumgereicht und, nachdem dasselbe geleert worden, den Stöpsel wieder [205] sorgfältig darauf geschraubt und in die Tasche gesteckt habe. Sobald er aber oben in der gewöhnlichen Atmosphäre wieder angelangt, sei das Fläschchen plötzlich mit lautem Krach zersprungen.
Vier in Quadratform unmittelbar nebeneinander in solcher Weise mittels „Senkkasten“ aus dem festesten Gestein aufgebauter Pfeiler bilden die Grundlage für einen Thurm, der aus vier durch starke wagrechte und schräglaufende Verbindungsstücke zusammengehaltenen mächtigen Röhren besteht. Thürme, Verbindungsglieder, überhaupt die ganze Brücke, soweit sie aus dem Wasser emporragt, sind aus bestem Siemens-Martin-Stahl gefertigt. Jede der Hauptröhren hat einen Durchmesser von 12 Fuß (3,6 m) und eine Dicke der Wände von etwa 3 cm. Ihre Höhe beträgt 361 Fuß (110 m) von der Meeresfläche ab. Rechnen wir hierzu einmal die Tiefe der Brückenpfeiler im Meere selbst, die, wie oben angegeben, an einer Stelle 27,7 m beträgt, so ergäbe sich als Gesammthöhe des ganzen Bauwerks annähernd 138 m, also fast diejenige des Kölner Domes (156 m). Es wäre wohl schwer thunlich gewesen, solche Ungeheuer von Röhren am Ufer fertig aufzubauen und dann auf den Pfeilern mit einem Male in die Höhe zu richten. Vielmehr wurden nur die Einzelstücke in den großen Werkstätten, die eigens zu diesem Zwecke am Ufer errichtet waren, hergestellt, die großen Stahlplatten wurden hier entsprechend den Krümmungen der Röhrenwände gebogen, mit Nietlöchern versehen und dann nach den Pfeilern eingeschifft. Hier wurden sie – wie bei Aufführung einer Mauer die Backsteine – eine an und über der andern angesetzt, und so wuchsen die Träger empor – riesengroß, während in derselben Weise gleichzeitig der Aufbau der Verbindungsstücke fortschritt.
Von den Thürmen aus ging der Ausbau der Kragarme nach beiden Seiten hin in derselben Weise gleichmäßig vorwärts, indem Platte an Platte gefügt wurde. So blieb das Ganze im Gleichgewicht und die ganze Last wurde überall von den Hauptpfeilern getragen. Selbst die bei solchen Bauten sonst unerläßliche Masse von Gerüsten fiel hier fast ganz weg. Was an Gerüsten nöthig war, wurde mit dem Zuwachs der mächtigen Arme zugleich hinausgeschoben, und so wuchs das Ganze gleichsam aus sich selbst heraus in den unendlichen Raum, bis die Arme nach jeder Seite hin eine Länge von 680 Fuß (207,4 m) hatten. Hier an ihren Endpunkten aber mußten sie noch die gewaltige Last der Zwischenlage von 350 Fuß (106,7 m) Länge auf sich nehmen, welche die einander entgegengestreckten Arme schließlich in Verbindung brachte. Der untere Rand dieser Zwischenlage aber liegt in einer Höhe über dem Wasserspiegel, daß die größten Seefahrzeuge leicht unter ihnen hinzusegeln vermögen. Ist es doch vom Hochwasserstand bis zur Berührung mit der Brücke an diesen Stellen eine Höhe von 150 Fuß oder 45 m. Und einige Fuß höher noch liegt das doppelte Schienengeleise. Das muß eine luftige, lustige Fahrt sein und um so genußreicher noch, als die Gegend auf beiden Ufern große Naturschönheiten bietet.
Der zu erzielenden Höhe wegen mußte die Ueberbrückung namentlich auf dem niedrig gelegenen südlichen Ufer schon eine geraume Strecke landeinwärts beginnen, so daß die Länge des ganzen Unternehmens 8296 Fuß, also mehr als dritthalb Kilometer beträgt, während die eigentliche Brücke 5349 Fuß 9 Zoll oder 1633 m lang ist. Durchweg aus dem besten Stahl angefertigt, hat sie nicht weniger als 51 000 Tonnen oder 51 000 000 Kilogramm von diesem Metall verschlungen – der Eiffelthurm enthält nur 7500 Tonnen Eisen – und der Kostenaufwand für die Brücke beträgt im ganzen etwa 40 Millionen Mark.
Dieselbe ist am 4. März dieses Jahres dem Verkehr übergeben worden. Wird sie ihrem eigenen Druck sowie der Macht der Elemente auf die Dauer standzuhalten vermögen? Nach menschlichem Ermessen jedenfalls. Die Taybrücke wurde von einem Sturm niedergerissen, der mit einem Druck von etwa 30 Pfund auf den Quadratfuß dahersauste und zu den stärksten zählt, die England heimgesucht haben. Die Forthbrücke aber ist darauf berechnet, einem Winddruck gar von 56 Pfund standzuhalten. Sie hat zur Zeit, da ihr Bau schon wesentlich vorgerückt war, bereits einen Sturm erlebt, der ganze Häuser an der umliegenden Küste niedergerissen hat, an der Brücke aber spurlos vorübergegangen ist. Möge der stolze Bau imstande sein, so allen Anfechtungen Trotz zu bieten!
Auf architektonische Schönheit kann er allerdings keinen Anspruch machen, aber das dürfte es auch kaum sein, was den Aktionären der verschiedenen Eisenbahngesellschaften, welche die Unkosten der Brücke tragen, in besonderem Grade am Herzen liegt. Wollte man aber auch nur einige Verzierungen hier und da anbringen, so müßten dieselben entsprechend den außerordentlichen Größenverhältnissen der Brücke doch schon gewaltige Ausdehnungen haben und somit nicht nur die Kosten, sondern auch die Last der Brücke, welche lediglich auf den Pfeilern ruht, noch wesentlich vermehren.
Die erfolgreiche Durchführung eines solchen Unternehmens hat vielfach auch wieder die Aufmerksamkeit auf eine andere Ueberbrückung gelenkt, auf diejenige eines allerdings zwanzigmal breiteren
[206] Meeresarmes, des Kanals zwischen England und Frankreich. Die Ausführbarkeit eines solchen Planes wird durch die Forthbrücke in der Theorie als erwiesen erachtet, und es sind auch bereits mehrfach Entwürfe dazu ausgearbeitet worden. Warum sollte nicht die Sache – und zwar in gar nicht allzu ferner Zeit – auch thatsächlich ins Werk gesetzt werden? Zwar sind keine Inseln wie die Inch Garvie im Kanal vorhanden, doch giebt es geeignete Erhöhungen auf dem Meeresgrunde, die man sich für den Brückenbau zunutze machen könnte, und die Meerestiefe im allgemeinen ist hier ungefähr dieselbe wie im Forth. Gewiß, es würden sich im Kanal wesentlich größere Schwierigkeiten darbieten; aber ein Zweifel an ihre schließliche Ueberwindbarkeit hieße wenig Vertrauen haben in den steten Fortschritt der Wissenschaft und den menschlichen Unternehmungsgeist. Wilh. F. Brand.