Die Farbenblindheit in der Schule

Textdaten
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Autor: D. in B.
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Titel: Die Farbenblindheit in der Schule
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 356
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Beitrag in der Rubrik Blätter und Blüthen
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[356] Die Farbenblindheit in der Schule. Die Farbenblindheit, auf welche in neuester Zeit mehrfach die allgemeine Aufmerksamkeit gelenkt worden ist, vermag bekanntlich für die mit diesem Fehler des Gesichtssinnes Behafteten recht unangenehme Folgen herbeizuführen, falls dieselben in den Eisenbahndienst einzutreten oder ihr Brod als Seeschiffer zu erwerben beabsichtigen. Es dürfte daher ganz zeitgemäß und als eine den Betreffenden erwiesene Wohlthat erscheinen, wenn schon die Schule in gewissen Zeiträumen Untersuchungen auf die Farbenblindheit vorzunehmen sich bewogen fühlen wollte, damit in den Farbenblinden bei Zeiten die nothwendige Selbstkenntniß eintritt, und dieselben von der Wahl eines für sie unmöglichen Berufes abgehalten werden. Diese Erwägung hat den Unterzeichneten veranlaßt, im Vereine mit mehreren Collegen in den oberen Schulclassen unserer kleinen, aber bedeutenden Seestadt eine Prüfung auf Farbenblindheit vorzunehmen. Ich erlaube mir, das dabei Beobachtete in Kürze mitzutheilen.

Die Untersuchung geschah vermittelst handgroßer Zettel bunten Papiers, welche alle Farben des Regenbogens und noch einige Mischfarben trugen. In Betracht kamen von den vorhandenen fünfzehn Schulclassen mit achthundertsechszehn Zöglingen nur die obersten acht, worunter fünf Knaben- und drei Mädchenclassen. Bei jüngeren oder geistig weniger entwickelten Kindern trifft die Untersuchung auf bedeutende Schwierigkeiten, da Kinder die Farben verhältnißmäßig sehr spät und sehr schwer kennen und unterscheiden lernen. Selbst bei den älteren bedurfte es oft wiederholter Versuche, um ganz sicher zu gehen; bei einigen konnte überhaupt kein sicheres Resultat erreicht werden. Sie bezeichneten diese oder jene Farbe ganz richtig, schienen aber bei späterem Vorzeigen über dieselbe Farbe durchaus nicht im Klaren zu sein.

Als sicherstes Zeichen einer theilweisen Farbenblindheit glaubte ich die Unsicherheit betrachten zu müssen, mit welcher Einzelne, nachdem sie ohne Zögern Blau und Gelb richtig angegeben hatten, zu rathen, umherzutappen und sich zu widersprechen anfingen, sobald ihnen Roth und Grün vorgezeigt wurde. Einen solchen unsichern Passagier ließ ich an die Wandkarte von Europa treten und forderte ihn auf, ein blau colorirtes Land zu zeigen. Sofort wies er auf das dunkelblaue deutsche Reich, dann auf das wasserblaue Italien. – Nun ein gelbes! – Skandinavien – ganz richtig. Nun ein grünes! – Rath- und hülflos irrte der Zeigefinger von Land zu Land und haftete unschlüssig einen Augenblick auf dem etwas zweifelhaft dunkelgelb gefärbten Ungarn, eilte aber, durch die ausbrechende Heiterkeit der Mitschüler eingeschüchtert, sofort weiter und blieb mit großer Sicherheit auf dem – ziegelrothen Britannien stehen. Als ich darauf ein rothes Land zu sehen verlangte, wurde mir mit beneidenswerthem Selbstgefühle das – erbsengrüne Dänemark gewiesen.

Untersucht wurden hundertzweiundsechszig Schüler im Alter von sechszehn bis zehn Jahren und hundertdreiundvierzig Schülerinnen. Unter den Knaben wurden vier Farbenblinde (zweieinhalb Procent) vorgefunden, darunter ein gänzlich Farbenblinder, der nur Weiß und Schwarz, Hell und Dunkel, nicht aber Blau und Gelb, Roth und Grün zu unterscheiden vermochte, und drei Rothblinde, die wohl Blau und Gelb, nicht aber Roth und Grün unterscheiden konnten. Blaublinde schienen nicht vorhanden zu sein.

Höchst merkwürdig mußte es erscheinen, daß unter sämmtlichen hundertdreiundvierzig Mädchen kein einziger Fall von Farbenblindheit constatirt werden konnte. Diese Thatsache ist ganz geeignet, um sozusagen stutzig zu machen. Nur durch umfangreichere Beobachtungen wird dargethan werden können, ob das weibliche Geschlecht an diesem Fehler des Gesichtssinnes weniger oder gar nicht zu leiden habe. Denn die Behauptung, daß derselbe, wie Manche wollen, lediglich auf einer Täuschung beruhe, die durch eine gewisse Gleichgültigkeit des männlichen Geschlechts gegen die Farbe hervorgerufen sei, wird schon durch die eigenthümliche Erscheinung der theilweisen Farbenblindheit widerlegt. Warum sollte ein Mensch, der gegen die blaue und gelbe Farbe nicht „gleichgültig“ ist, gerade der rothen und grünen Farbe gegenüber sich gleichgültig verhalten und nichts von ihnen wissen wollen?

D. in B.