Die Familie des Präsidenten Juarez

Textdaten
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Autor: Eduard S…
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Titel: Die Familie des Präsidenten Juarez
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 704
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
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[704] Die Familie des Präsidenten Juarez. Ich war an einen Mr. G. in New-York, einen der Geldkönige der fünften Avenue, empfohlen und verdankte ihm eine Einladung zu einer Abendgesellschaft in seinem Hause, bei welcher ich, wie Mr. G. mit einem feinen Lächeln hinzufügte, Gelegenheit haben würde, einige interessante Persönlichkeiten kennen zu lernen. So fand ich mich eines Abends in den eleganten, mit schweren Teppichen belegten, hell beleuchteten Salons inmitten eines Damenflors, welcher durch die eigenthümliche Zusammensetzung seiner Elemente, die verschiedenen an mein Ohr dringenden fremden Sprachidiome, zugleich durch eine unverkennbare Uniformität des Geschmackes hinsichtlich der Toiletten mich anfangs mehr zur ruhigen Beobachtung stimmte.

„Missis Juarez – Sennora Romero – Miß Juarez – Sennor Romero,“ dies die vorstellenden Worte meines liebenswürdigen Wirthes, Mr. G., an dessen Arm ich einer Gruppe gegenüber stand, deren einzelne Persönlichkeiten mir eigenthümlich und interessant erschienen.

Missis Juarez war nämlich Niemand anderes, als die Frau des Präsidenten Juarez; man kann daher denken, wie sehr sie und ihre Begleitung mein Interesse in Anspruch nahm. Frau Juarez ist eine jener Erscheinungen, die, ohne schön und imponirend zu sein, sich schwer vergessen. Mittelgroß, mehr schlank, ist sie von edlem Anstande und einfachen, ruhigen, natürlichen Bewegungen welche stark contrastiren mit der Beweglichkeit, die ich sonst bei Mexicanerinnen angetroffen und die, wie es mir scheinen will, eine specifische Eigenschaft des eingewanderten spanischen Elementes gegenüber der fast apathischen Ruhe und Unbeweglichkeit des eingeborenen Vollblut-Indianers ist, welche derselbe bis auf den heutigen Tag unverändert bewahrt hat. Das Gesicht der Dame ist ein unvollkommenes Oval, in welchem hervorragende Backenknochen und Kinn etwas unschön die sonstige Harmonie des Kopfes stören, da mandelförmige tiefbraune Augen, schön gezeichnete Augenbrauen, eine schöne kühn gebogene Nase und ein fein angelegter Mund ein Ganzes bilden, das nicht verfehlt, eine angenehme Erinnerung zurückzulassen. Das tiefschwarze Haar ist einfach gescheitelt und die fast weiße Gesichtsfarbe sticht merklich von dem gelb-bräunlichen Incarnat der Töchter ab, von denen, außer der Sennora Romero – der Frau des mexicanischen Gesandten in Washington – ich noch zwei jüngere kennen zu lernen das Glück hatte.

Die Präsidentin ist ungefähr vierzig Jahre alt, sehr einfach gekleidet, mehr beobachtend und äußere Eindrücke in sich aufnehmend, als sprechend, und zwar dann in der bilderreichen Art, wie sie dem Indianerstamme eigen. Die Conversation wurde, namentlich von dem größeren Theile der anwesenden Herren, unter denen mir auch der Vicepräsident der Republik Venezuela gezeigt wurde, spanisch geführt; die Damen sprachen theils französisch, theils englisch, doch hörte ich auch Deutsch und Italienisch, so daß in der That ein buntes Conglomerat lebender Sprachen an meinem Ohr vorüberzog, als einige Stunden später die Unterhaltung lebhafter und mannigfaltiger wurde. So cursirte in der Gesellschaft ein Ausspruch der Präsidentin, welcher, sich auf das Schicksal des Kaisers Maximilian beziehend, heute charakteristisch ist, da derselbe einen Rückschluß auf die Gesinnungen des Präsidenten Juarez vor etwa sechs Monaten, also lange vor Maximilian’s Tode, gestattet. Ich muß nämlich bemerken, daß ich Anfang April in New-York war, während bekanntlich die Hinrichtung des unglücklichen Kaisers am 19. Juni zu Queretaro statt hatte.

„Es würde,“ so sagte Frau Juarez, „dem Präsidenten, meinem Gemahl, Schmerz und Betrübniß bereiten, wenn der Geist dieses Prinzen Maximilian von Habsburg über die blumenreichen Pfade meines Vaterlandes dahinschwebte.“ Mit andern Worten heißt das: der Präsident Juarez, auf dessen Seite Anfang April dieses Jahres der Erfolg noch lange in dem Maße nicht war, wie nach Einschließung und Uebergabe des Klosters La Cruz, hatte nicht die Absicht, Maximilian zu tödten, ja es beängstigte ihn – und man kann annehmen, daß diese Frau mit den Intentionen ihres Gemahls vertraut ist – schon damals der Gedanke, Maximilian ermordet zu wissen, und er fürchtete, ganz dem Aberglauben und der beflügelten Phantasie des Indianers angemessen, eben Banquo’s Geist.

Werfen diese wenigen Worte nicht ein charakteristisches Streiflicht auf die später eingetretenen Ereignisse, auf das Zögern des Präsidenten, das Bluturtheil zu unterzeichnen, bis er endlich dem Andrängen Escobedo’s, Romero’s, seines Schwiegersohnes, ja eines großen Theiles der mexicanischen Bevölkerung, nicht mehr zu widerstehen vermochte und er gezwungen war, sich der Macht der herrschenden Persönlichkeiten, vornehmlich wohl aber der öffentlichen Meinung zu fügen?

Inmitten dieser glänzenden Toiletten, unter diesen blitzenden Diamanten und noch blitzenderen Augen waren es doch fast nur ernste, bange Gedanken, die mich beschäftigten, der ich Zeuge gewesen war des Abschieds, den die Bevölkerung von Triest dem geliebten Erzherzoge Max und seiner Gemahlin bei ihrer Abreise zu Theil werden ließ, der ich so manchen lieben Bekannten – heute so manchen Gefallenen – unter den Officieren der österreichischen Legion zählte und so ganz und gar nicht im Stande war, mich auf den starren politischen Standpunkt der Männer zu stellen, welche die Zeit nicht erwarten zu können schienen, in der Juarez’ starke Hand zermalmend die Acteurs dieser Napoleonischen Tragödie treffen würde.
Eduard S…