Textdaten
<<< >>>
Autor: Benno Rauchenegger
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Fahrt zur Alm
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 435
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[433]

Aufzug auf die Alm. Originalzeichnung von G. Sundblad.

[435] Die Fahrt zur Alm. (Mit Abbildung Seite 433.) Wenn in den Gärten der Niederungen längst der Hollunder blüht und die Bäume im reichsten Schmucke dastehen, wenn draußen auf den Fluren sich schon Blume an Blume drängt und die junge Saat in die Aehren schießt, dann ist’s oben auf den Bergen immer noch winterlich öde. Noch deckt eine harte Schneekruste die Matten und Triften; höchstens auf einzelnen freigewordenen Felsspalten kriecht eine der alpinen Frühblumen hervor: die Laubbäume strecken noch hoffnungsvoll ihre nackten Arme der Sonne entgegen, und nur stellenweise hebt sich das Krautwerk unter den Tannen zum Wachsthum. Nach einer andern Richtung hin äußert sich jedoch das wiedererwachte Leben auf den Höhen in unverkennbarer Weise. Der Waldbach, welcher während des laugen Winterschlafs träge und kaum sichtbar zwischen dem Gestein hingeschlichen ist, hat seine Kraft wieder gefunden; aus tausend Adern strömt ihm das belebende Element zu, rauschend durchzieht er die gewohnte Bahn, eilt durch Schluchten und Höhlen, springt über Felsenabhänge und singt sein berauschendes Lied, daß es weit hinabschallt, bis hinab in die Thäler.

Jetzt schon macht sich der Alpenbewohner auf und wandert zu Berge, um zu sehen, wie der böse Winter mit dem sommerlichen Heim des Menschen gehaust hat. Da liegt ein Zaun von der Wucht der Schneemassen zu Boden gedrückt; der Sturmwind hat da und dort an der kleinen Hütte Schaden gethan; Erdrutsche haben die primitive Wasserleitung verschoben oder verschüttet; Wege sind unfahrbar geworden – es giebt viel zu verbessern, zu richten und herzustellen. Ueber diesen Arbeiten vergeht der schöne Mai und wohl auch ein Stück Juni. Während dessen ist die Sonne nicht unthätig geblieben; ihre steigende Gluth hat den eisigen Panzer von den Halden genommene warme Regengüsse haben die schlafenden Keime erschlossen, und wunderbar schnell grünt und blüht nun Alles dort oben. Um Johanni, zur Zeit der Sonnenwende endlich rüsten sich die Aelpler zur Bergfahrt.

Das Alpenvieh ist lange schon im Stalle ungeduldig geworden; wenn von draußen herein durch den dumpfen Stall die laue, würzige Frühlingsluft streicht, dann heben die Thiere unruhig ihre Köpfe empor und verlangen durch die enge Pforte hinaus, durch welche die luftigen Boten des Sommers sie locken.

Der Tag ist endlich angebrochen, den der Bauer oder Hofbesitzer zur Auffahrt bestimmt hat. Die wenigen Fahrnisse, weiche zur Alpenwirthschaft nöthig sind, befinden sich bereits auf einen Karren verpackt, der, so weit es gehen will, von einem kräftigen Roß gezogen wird; die kleineren Geräthe, Mundvorräthe und Bedürfnisse der Hütteninwohner werden auf „Kraxen“ oder in Rucksäcke verpackt; der Viehbesitzer hält noch eine kleine Zwiesprache mit demjenigen, dem er seine Vierfüßler anvertraut, und empfiehlt ihm Sorgfalt und Achtsamkeit; dann wird gebetet; die Hausfrau giebt wohl noch einen „Weichbrunn“’ mit und empfiehlt das Vieh auch ihrerseits dem kräftigen Schutze St. Leonhards oder Wendelin’s.

Nun beginnt die Toilette; die Glocken und Schellen sind schon bereit, und die schönste und beste Kuh erhält die große Zugschelle; das Jungvieh wird mit kleinem Schellenzeug oder gar nur mit Schlittenrollen behängt; denn es muß sich die höhere Auszeichnung (den Orden erster Classe) erst noch verdienen und zwar nur durch persönliche Leistung. Der Heerdenpatriarch, der grimme Feind der Touristen, der gewaltige Stier allein erhält keine Glocke; dafür befestigt man ihm den Melkstuhl auf seinen kurzen Hörnern.

Nun wird die Stallthür geöffnet und hastig entflieht die vierfüßige Schaar dem dumpfen Winterasyl. Ein Hirte oder Senne geht voran; dann folgt die Rinderheerde in ungestümem Drängen; ihrem Zuge schließen sich noch die vierfüßigen Proletarier des Almenreichs an: der muthwillige Gaisbock und etliche Ziegen, eine kleine Zahl von Schafen und manchmal auch einiges Borstenvieh, das einer erfreulichen Mast mit dem Abfall aus der Käserei entgegensieht. Helles Jauchzen kündet den Nachbarn weit in die Runde den Beginn der Reise, und fröhliches Jodeln tönt als Gegengruß von Feld und Hügel – Alle freuen sich mit den Fortziehenden der anbrechenden schöneren Jahreszeit. Langsam geht der Zug bergan, und jetzt schon beginnt die Thätigkeit der erfahrenen Hirten; denn das Jungvieh ist noch nicht vertraut mit den Fährlichkeiten der Passage; je höher man gestiegen, desto munterer, man möchte sagen glücklicher zeigt sich das Vieh; der natürliche Instinct läßt es die Freiheit, der es entgegenzieht, ahnen. Diesen Moment hat der Zeichner der beigegebenen Illustration glücklich erfaßt. Die Reisegesellschaft befindet sich schon nahe der Alm; ein Theil der Thiere schreitet rüstig vorwärts; andere bleiben zurück, sich an der ungewohnten Umgebung weidend; der Stier hält sich, eingedenk seiner Beschützerrolle, am Schlusse des Zuges, dem in munteren Sprüngen der neugierige, naschhafte Ziegenbock und die Schafe folgen; mehrere Sennen mit dern „Renf“ oder der „Kraxe“ auf dem Rücken schreiten wohlgemuth dahin, und dem Zuge haben sich ferner ein paar Jäger angeschlossen; denn auch sie sind an dem Beginn der Saison hier oben lebhaft interessirt; sie haben die gastlichen Stätten liebgewonnen und gehören sozusagen zur Familie.

Die landschaftlichen Reize, welche diese Scene umrahmen, sprechen deutlich genug aus, was die Natur an majestätischer Schönheit bietet, sodaß man fast etwas wie Sehnsucht im Herzen empfindet und nacheilen möchte in das sommerliche Paradies. Oben angekommen, werden die Thiere, von denen die meisten ihre alten Plätze noch kennen, im Stalle versorgt; die Sennerin packt ihre Habseligkeiten aus, und in der kürzesten Frist ist wieder Alles genau so im Gange, wie dies im Vorsommer der Fall war. Als ob kein monatelanger Winter dazwischen gelegen, steht sie am Herde und schürt das Feuer, um den ersten Imbiß zu bereiten, an dem heute mehrere Gäste theilnehmen; zur offenen Thür hinaus schallt ihr frohes, heiteres Liede dazwischen klingen harmonisch die Glocken im Stalle bald leise, bald stärker; in breiten Wolken dringt der Rauch aus dem Schindeldache, und wie mit einem Zauberschlage ist das volle Leben aus den stillen, einsamen Höhen wieder eingekehrt.

B. Rauchenegger.