Die Ereignisse im Sudan

Textdaten
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Autor: Adolf Ebeling
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Titel: Die Ereignisse im Sudan
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 181–185
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Der Kriegsschauplatz im Sudan, 1884, Heft 10
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Die Ereignisse im Sudan.

Der Sudan (arabisch Beled-es-Sudáhn, das heißt das schwarze, das Negerland) tritt in der neueren Staatengeschichte zu Anfang unseres Jahrhunderts auf, genau um dieselbe Zeit, in welcher die moderne Geschichte des heutigen Aegyptens unter Mohammed Ali beginnt, der seine eroberungssüchtige Hand auch nach Dongola und Nubien und später sogar nach Kordofan und Sennaar, also dem eigentlichen Sudan, ausstreckte. Der gewaltige Pascha, der trotz der Grausamkeiten seiner blutigen Despotenherrschaft immerhin als der Regenerator Aegyptens angesehen werden muß, denn er besaß auch großartige Regenteneigenschaften, hatte durch die Massenermordung der Mamluckenbeys auf der Citadelle von Kairo (am 1. März 1811) die Macht dieser kleinen unabhängigen Fürsten gebrochen. Die übrig gebliebenen flüchteten mit ihren Anhängern nach Nubien, dessen Bevölkerung zu ihnen hielt, aber der Pascha folgte ihnen auch dahin und vernichtete sie vollends, freilich erst nach jahrelangem Kampf.

General Gordon.

Die weiten Länderstrecken behielt er dann als gute Beute, und die Bewohner fügten sich einfach der Macht des Stärkeren. Mit kundigem Blick erkannte Mohammed-Ali die große Bedeutung des Ländergebietes am Zusammenfluß des Weißen und Blauen Nils, der von jenem Punkt aus als Ein gewaltiger Strom nordwärts nach Aegypten fließt. Dort lag, und zwar am linken Ufer des Blauen oder östlichen Flusses, ein kleines ärmliches Negerdorf, das anfangs den Soldaten des Paschas wegen der Nähe des Wassers als Lagerplatz diente und später befestigt wurde, um eine dauernde Garnison aufzunehmen. Ansiedler fanden sich bald und der Ort wuchs zusehends von Jahr zu Jahr, bis endlich eine große Stadt daraus wurde: das jetzige Khartum. Die Lage war überaus günstig für den gesammten Handel der südlichen Binnenländer, deren Productenfülle ungeahnte Quellen des Reichthums erschloß, die nun nach Kairo hinabgeleitet wurden. Gold, Elfenbein, Gummi und – Sclaven waren damals die Haupthandelsartikel und sind es, mit einer Menge anderer Erzeugnisse, bis auf den heutigen Tag geblieben, namentlich stammt mehr als die Hälfte aller Sclaven, die nordwärts nach Aegypten und den übrigen afrikanischen Ländern am Mittelmeer, nach Asien und bis nach Constantinopel gehen, aus jenen Gegenden.

Suakin von der Landseite.0 Originalzeichnung von R. Cronau.

Durch stets erneute Annectirungen vergrößerte sich der Länderbesitz Aegyptens in erstaunlicher Weise: ganz Kordofan mit der Hauptstadt El-Obeid wurde ägyptisch, und den Schlußstein machte das westlich davon [182] gelegene Königreich Darfor, das erst unter dem Ex-Khediv Ismaïl im Jahre 1875 hinzukam. Schon früher waren nach Osten hin Taka mit der Hauptstadt Kassala und die Provinz Fassogl unterjocht und alle umwohnenden Beduinenstämme tributär gemacht worden, sodaß sich endlich das ägyptische Reich in Mittelafrika vom 23. bis zum 40. Längengrade erstreckte, wo das Rothe Meer die östliche Grenze bildete.

Suakin von der Seeseite.

Leider ging nur mit der Vergrößerung die Verbesserung nicht Hand in Hand, sondern das Gegentheil trat ein, nämlich eine abscheuliche Mißwirthschaft und zwar durch maßlosen Steuerdruck, durch Frohnarbeit, gewaltsame Aushebung zum Militärdienst, überhaupt durch despotische Gewaltherrschaft der einzelnen Gouverneure und Mudire, deren ganze Rechtspflege oft nur in der Bastonnade und in willkürlicher Einkerkerung bestand. Von oben her, das heißt von Kairo, der Residenz des Khedivs und dem Sitze der höchsten Regierungsbehörden, kam auf alle Klagen, wenn sie überhaupt dahin gelangten, keine Abhülfe und zwar aus dem einfachen, freilich auch tief beklagenswerthen Grunde, weil dort die Mißwirthschaft fast ebenso schlimm war. Sie trat dort nur weniger offenkundig hervor, denn sie war äußerlich unter dem Firniß einer europäischen Halbcivilisation verhüllt, jenes kläglichen Scheindinges, das so wesentlich zu dem Zusammensturze beitrug, der die Absetzung des Khedivs Ismaïl im Jahre 1879 zur Folge hatte. Unter seinem Sohne und Nachfolger, dem jetzigen Khediv Tewfik, der es ruhig mit ansehen mußte, wie sofort nach seinem Regierungsantritte die Engländer sich im Lande festsetzten und einen stets wachsenden Einfluß gewannen, brach dann im eigentlichen Aegypten die Revolution unter Arabi Pascha aus. Sie begann so glänzend, fast wie eine nationale Schilderhebung, um alsbald so kläglich im Sande von Tel el Kebir zu verlaufen, jenem mysteriösen Siege, der das Tedeum in der Paulskirche in London wohl schwerlich verdiente.

Um dieselbe Zeit trat, wie wir schon in unserem letzten Artikel erwähnten, auch im Sudan ein Sahid, das heißt ein Einsiedler von der Insel Aba im Weißen Nil unterhalb Khartum an die Oeffentlichkeit, welcher in den dortigen Gegenden bereits seit etwa einem Jahre viel von sich hatte reden machen und auch schon einen beträchtlichen Anhang besaß, der ihn fanatisch verehrte und ihn zu großen Dingen berufen glaubte. Das war Mohammed Achmed aus Dongola, ein gewöhnlicher Schiffszimmermann in Khartum, aber ein Mann von lebhaftem Geiste und weitgehenden Plänen. Er begab sich nach Tamaniat, in der Nähe Khartums, um sich bei einem alten Derwisch durch Auswendiglernen des Korans zum Fahkih, das heißt zu einem Gotterleuchteten, ausbilden zu lassen. Dann zog er sich auf die ebengenannte Insel zurück, kasteiete sich, mahnte zur Buße, aber auch zum Kampfe für den reinen Glauben – und der „Mahdi“, der neue Prophet, war fertig. Seine Gegner, bis jetzt noch die überwiegende Mehrzahl der Islam-Bekenner, nennen ihn freilich den „falschen Propheten“, aber für seine Anhänger, die sich unglaublich schnell vermehrten, ist er der echte, der „von Allah auf den rechten Weg Geleitete“.

Man hatte natürlich anfangs nur ein mitleidiges Lächeln für dergleichen „Tollheiten“, auch dort, wo ein ernstes Einschreiten zu sofortiger Unterdrückung weit besser am Platze gewesen wäre, nämlich in Aegypten selbst, gegen das die Bewegung zunächst gerichtet war.

Von Khartum wurden wohl einige hundert Mann Soldaten gegen die Aufrührer abgeschickt, aber die Soldaten wurden entweder zurückgeschlagen, oder sie machteu gemeinsame Sache mit dem Mahdi, traten zu ihm über und lieferten ihm dadurch Gewehre und Munition. Schon gingen seine Sendboten nach allen Himmelsgegenden und riefen die Beduinenstämme zur Mithülfe, verhießen allen himmlischen Lohn und nannten nun auch dreist den wahren Grund der Empörung: die Abschüttelung des verhaßten christlich-europäischen, hier speciell des englischen Jochs und der nicht minder verhaßten Paschawirthschaft in Kairo – und noch immer trafen Telegramme des Gouverneurs von Khartum beim Khediv ein: die Sache sei von keiner großen Bedeutung, und man werde der Aufständischen schon Herr werden. So war der Frühling 1883 herangekommen, und nun schlug plötzlich die lang verhaltene Gluth in hellen Flammen auf und warf einen solchen Feuerschein über die Länder, daß auch die blödesten Augen sehend wurden.

Die Empörung war nämlich in eine neue überaus gefährliche Phase getreten, denn, wie anfangs nach Westen, so hatte sie sich jetzt auch unaufhaltsam nach Osten verbreitet, die Takastämme ergriffen und war über Kassala nordöstlich hinauf bis nach Suakin[1] an das Rothe Meer gelangt. Die Herrschaft des Khedivs über den ganzen unermeßlichen Süden seines Reichs stand jetzt in Frage, und Armeen waren nöthig und bedeutendes Kriegsmaterial, um ihn siegreich zu behaupten; Geld natürlich in erster Reihe, und es fehlte in Kairo an Allem. Die Schwäche der ägyptischen Regierung kam hinzu, die sich schon früher von den Engländern die Hände hatte binden lassen. Aber eben diese Engländer, welche doch die Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung im Lande als Grund ihres Protectorats vorgeschützt, blieben unthätig, und Herr Gladstone gab von seinem Cabinet in Downingstreet aus die Weisung, lieber den Sudan ganz fallen zu lassen und sich nur auf die Vertheidigung der Küstenstädte des Rothen Meeres zu beschränken. Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz Aegyptenland. Doch hatte man wenigstens den Trost, daß der englische General Hicks, der bereits mit dem (gut oder schlecht, wie es eben gehen wollte) neuorganisirten ägyptischen Heer von etwa 7000 Mann am Weißen Nil stand, das Feld nicht widerstandslos räumen werde. Er hatte schon im Sommer 1883 zwischen Kana und Duem mehrere Gefechte mit den Insurgenten siegreich bestanden [183] und rückte nun südwestlich nach El-Obeid vor, dem Hauptquartiere des Mahdi, um dort einen entscheidenden Schlag zu führen. Aber bevor er hinkam, erreichte ihn das entsetzliche Schicksal: er selbst und sein ganzes Heer wurden von den Rebellen niedergemacht. Der Weg nach Khartum stand jetzt dem Mahdi offen, der aber vorzog – man weiß nicht recht, aus welchem Grunde – in Kordofan zu bleiben.

Ganz sichere Details über die Hicks’sche Niederlage fehlen noch immer und werden auch wohl nie, wenigstens von keinem Augenzeugen, zu uns gelangen, denn die Ueberlebenden, wenn es deren überhaupt gab, sind verschollen oder nachher umgekommen. Von einer anderen späteren Schlacht dagegen nördlich von El-Obeid, wo am 4. December 1883 fast ein ganzes Negerregiment von den Aufständischen niedergemacht wurde, liegen genauere Berichte vor, und zwar von englischen Officieren, welche die Wahlstatt besuchten und Skizzen davon, wie die beifolgende (auf Seite 185), nach Europa sandten. In jenen Ländern denkt man im Kriege an kein Begraben der Gefallenen; Tausende von Aasgeiern werfen sich auf die Leichen und lassen nach wenigen Tagen nur noch die Gerippe übrig, die an der sengenden Wüstensonne bleichen und vertrocknen. Ein mitleidiger Sturm verschüttet sie dann gelegentlich mit seinen Sandmassen.

Mittlerweile war der General Baker mit seinem neuen Gensd’armerie-Corps und einem sehr unzuverlässigen ägyptischen Regiment vor Suakin eingetroffen, um den in der Nähe landeinwärts liegenden Städten Sinkat und Tokar, die von den Beduinen belagert wurden, Entsatz zu bringen. Auch sein Schicksal vor Sinkat ist bekannt, und beide Städte fielen in die Hände der Insurgenten. So triumphirte zu Anfang dieses Jahres die Sache des Mahdi fast auf der ganzen Linie, denn die in verschiedenen Städten des Sudan und des Sennaar zerstreut liegenden und noch dazu wenig zahlreichen ägyptischen Garnisonen haben genug zu thun, sich ihrer eigenen Haut zu wehren. Suakin selbst ist vor der Hand nicht weiter bedroht, denn es liegt dicht unter dem Schutz der englischen Kanonenboote und man wird auch sonst keine Anstrengung scheuen, es zu halten. Diese Stadt ist der wichtigste ägyptische Hafenplatz am Rothen Meer, der fast den gesammten mittelafrikanischen Binnenhandel nach Arabien, zunächst nach Djedda, vermittelt und von den Engländern seit langem aus erklärlichen Gründen bevorzugt, das heißt mit scheelen Augen angesehen wird. In wenig Tagen gelangen die Dampfer von Suakin nach Aden, und Aden ist die Hauptetappe vom Suezcanal nach Indien ... wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, weiß auch, was wir damit sagen wollen.

So standen die Sachen im Januar dieses Jahres, als England, was es nur sechs Monate früher hätte thun sollen, sich endlich ermannte.

Die öffentliche Meinung in London und in ganz England, ja, man darf wohl sagen von Europa, sprach sich plötzlich in so lauter und einstimmiger Entrüstung aus, daß die empörten Wogen derselben nahe daran waren, den alten Gladstone von seinem Ministersitz hinwegzuschwemmen – nun mußte gehandelt werden und zwar energisch und schnell. Die Art und Weise, wie es geschah, war freilich seltsam genug und auf den ersten Blick fast abenteuerlich-romantisch.

Schon in der ersten Februarwoche nämlich durchflog ein Mann, ein einzelner Mann, in arabischer Tracht auf leichtfüßigem Reitkameel die unabsehbare nubische Wüste, seine wenigen Gefährten weit hinter sich lassend und sein treues Thier zu immer größerer Eile anspornend, als ob jede versäumte Minute ein unersetzbarer Verlust wäre, unaufhaltsam nach Süden zu, dem Ziel seiner Reise. Dieser Muthige war Gordon. Das englische Cabinet hatte ihn von Brüssel, wo er sich dem belgischen König für die Congo-Expedition zur Verfügung gestellt, telegraphisch nach London gerufen, wie einen Retter in der Noth, und zwar zur Stillung des Aufruhrs im Sudan. In wenig Stunden waren seine Instructionen ausgefertigt, mit unumschränkten Vollmachten für alle seine Handlungen und unter ausdrücklicher Gutheißung derselben im Voraus von Seiten der englischen Regierung. Die „Gefahr im Verzug“ mußte gewaltig drängen, um einen einzelnen Mann, seine Verdienste und Fähigkeiten mochten noch so groß sein, mit einer solchen Machtfülle auszurüsten. Es geschah dennoch; mithin der beste Beweis, in welch peinlicher Verlegenheit das englische Cabinet, und zwar durch eigene Schuld, sich befand. Als man darauf Gordon um das „Wie“ fragte, soll er geantwortet haben: „Entweder an der Spitze einer Armee oder allein.“ Eine Armee war nicht da, also ging er allein, und nach kaum acht Tagen stieg er bereits in Alexandria an’s Land. Er war übrigens dort kein Neuling, kein Fremder, wie ihm der Orient überhaupt, und zwar im weitesten Sinne genommen, bis nach Indien und China seit langen Jahren eine zweite Heimath geworden war.

Die Biographie dieses in mehr als einer Beziehung außerordentlichen Mannes ist überaus interessant; hier ist uns natürlich nur eine ganz flüchtige Skizze derselben gestattet. Charles George Gordon wurde am 28. Januar 1833 in Woolwich geboren; er stammt, wie er selbst sagt, aus einer Soldatenfamilie und wählte deshalb auch die militärische Laufbahn. Als junger Officier nahm er an der Belagerung Sebastopols Theil, wo Lord Wolseley Major in seinem Regimente war, und ging im Jahre 1860 mit der englisch-französischen Expedition nach China.

Einige Jahre später trat er sogar ganz in chinesische Dienste gegen die Aufrührer in der sogenannten Hung-Rebellion und erwarb sich so große Verdienste um die Unterdrückung des Aufstandes, daß ihn der Kaiser zum Mandarin erster Classe (von der Pfauenfeder und der gelben Robe) ernannte; das erhaltene Geschenk von 10,000 Pfund Sterling vertheilte er aber unter seine Soldaten. Im Jahre 1865 nach England zurückgekehrt, wo ihn das Volk sofort Chinese-Gordon, den Chinesen-Gordon, nannte, denn er war sehr populär geworden, trat er als Oberst wieder in die englische Armee und wurde Leiter und Inspector der Befestigungswerke von Gravesend, an der Themsemündung, in welcher Stellung er bis zum Jahre 1871 blieb. Diese sechs Jahre, die, im Vergleich zu den vorhergehenden ruhmvollen und glänzend bewegten, sehr still und einförmig waren, nennt Gordon selbst die angenehmsten seines Lebens, weil er dort ganz seinen menschenfreundlichen Neigungen und Plänen nachgehen konnte, die eine Haupteigenschaft seines Charakters ausmachen. „Sein Haus war Schule, Hospital und Armenküche, und man meinte weit mehr bei einem Missionair als bei einem Ingenieur-Obersten zu sein. Wer arm, krank oder sonst unglücklich war: an Gordon’s Thür klopfte Keiner vergebens. Vorzugsweise nahm er sich der Schiffsjungen an, ging in ihre Schule, um sie selbst zu unterrichten, besorgte ihnen in London gute Capitaine für die erste Reise, und stattete die ärmeren unter ihnen mit allem Nöthigen aus.“[2]

Der bekannte Afrikareisende und Eroberer Samuel Baker (ein Bruder des oben erwähnten Generals B.) war es, der im Jahre 1873 den Khediv Ismaïl auf Gordon aufmerksam machte, als es sich um eine geeignete Persönlichkeit handelte, dem überhand nehmenden Sclavenhandel im Sudan energisch entgegenzutreten und überhaupt in den dortige Regionen Ordnung und bessere Verwaltung zu schaffen. Wie sehr Gordon der Mann für diesen Posten war, zeigte er alsbald, schon durch Anlage eines Militärcordons von Khartum aus, den Blauen Nil hinauf, bis zu den Seen, wodurch der Sclavenhandel in den dortigen Gegenden scharf überwacht und mit Erfolg bekämpft wurde. Den vielen sonstigen Mißbräuchen in der gesammten Verwaltung konnte er allerdings nur in beschränktem Maße steuern, was ihm Verdrießlichkeiten aller Art und Feindschaften zuzog.

Bei der gesammten Bevölkerung dagegen war er sehr bald beliebt geworden, denn er verkehrte leutselig mit allen, sprach ihre Sprache und bequemte sich ihren Sitten an. Mit dem Sturz des Khedivs Ismaïl, im Jahre 1879, legte auch Gordon sein hohes Amt nieder, um es jetzt durch eine seltsame Verkettung der Umstände und unter weit ernsteren Auspicien wieder anzutreten.

Sein bloßes Erscheinen in Khartum, am 18. Februar, von dem dort Niemand eine Ahnung hatte, wirkte wie ein Wunder und wie eine Erlösung. Gleich am nächsten Tage ergriff er mit starker Hand die Zügel der Regierung und seine ersten Proclamationen riefen allgemeine Begeisterung hervor: Erlaß aller rückständigen Steuern (die Listen davon wurden auf dem Marktplatz öffentlich verbrannt), Reduction aller Steuern auf die Hälfte, Aufschließung der Gefängnisse und Freilassung aller wegen geringer oder oft gar keiner Vergehen Eingekerkerter, offene Audienz für Jedermann ohne Ausnahme, Einsetzung einer Commission zur Prüfung und wenn möglich zur sofortigen Erledigung aller Bittgesuche, [184] und endlich reichliche Vertheilung von Nahrungsmitteln und Geld an die Bedürftigen.

Aegyptische Truppen im Kampfe mit Arabern.0 Originalzeichnung von Fritz Bergen.

Nur ein Schatten und leider ein sehr dunkler fällt auf die Handlungsweise dieses Mannes, der in wenig Tagen mehr gethan, als die besten Gouverneure, die noch dazu in jenen Ländern sehr rar sind, in Jahren. Dieser Schatten trübt das edle, echt humane Bild Gordon’s dergestalt, daß wir fast irre an ihm werden und umsonst nach einer Lösung des Räthsels suchen. Er hat nämlich auch zugleich den Sclavenhandel im Sudan wieder freigegeben.

Es ist dies unter allen Umständen ein im Interesse der Humanität höchst bedauerlicher Schritt, aber zur richtigen Würdigung der Tragweite desselben ist eine genauere Kenntniß der alten Gebräuche und Sitten der Sudanvölker unerläßlich, und es wird die Aufgabe unseres nächsten Artikels sein, gerade diese Fragen zu erörtern. Adolf Ebeling.     


[185]

Ein Schlachtfeld im Sudan. Originalzeichnung von Fritz Bergen.

Anmerkungen

  1. Die Schreibweise dieses Ortsnamens schwankt in der europäischen Presse, wie dies bei orientalischen Wörtern zumeist der Fall ist. Die Einen nennen die Stadt Suakim, die Andern Sauakin.
  2. Vergl. „The story of Chinese Gordon by Egmont Hake. London 1884“.