Die Entstehung der Kontinente und Ozeane/Viertes Kapitel

Drittes Kapitel Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (1929)
von Alfred Wegener
Fünftes Kapitel
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Viertes Kapitel.


Geophysikalische Argumente.


     Die Statistik der Höhenstufen der Erdrinde führt zu dem merkwürdigen Ergebnis, daß es zwei Höhen gibt, die am häufigsten vorkommen, während die dazwischen liegenden Stufen recht selten sind. Die höhere Stufe entspricht den Kontinentaltafeln, die tiefere den Tiefseeböden. Denkt man sich die ganze Erdoberfläche in Quadratkilometer eingeteilt und ordnet diese in einer Reihe nach ihrer Seehöhe, so erhält man das bekannte Bild der sogenannten hypsometrischen Kurve der Erdoberfläche (Abb. 7), welches deutlich zwei Treppenstufen zeigt. Zahlenmäßig stellt sich die Häufigkeit der verschiedenen Stufen nach den Berechnungen von H. Wagner [28] folgendermaßen[1]:

     Diese Reihe wird am besten veranschaulicht durch eine andere Darstellung, die von Trabert [31] auf Grund etwas älterer, aber nur unwesentlich abweichender Zahlen entworfen und in Abb. 8| wiedergegeben ist. Sie bezieht sich auf 100 m-Stufen, infolgedessen sind die Prozentzahlen natürlich nur etwa 1/10 derjenigen der obenstehenden Reihe. Die beiden Maxima liegen hiernach bei einer Tiefe von etwa 4700 m und einer Erhebung von etwa 100 m.

     Bei diesen Zahlen ist noch zu beachten, daß mit der Zunahme der Lotungen der Steilabfall vom Kontinental- oder Schelfrand zur Tiefsee sich immer schroffer zeigt, wie jeder Vergleich älterer Tiefseekarten mit den neueren von Groll [32] entworfenen zeigt. Während z.B. Trabert noch 1911 für die Stufen 1 bis 2 km 4,0 % und für 2 bis 3 km 6,5 % angibt, finden wir bei Wagner, dessen Zahlen letzten Endes auf den Grollschen Tiefseekarten basieren, für die gleichen Stufen nur 2,9 bzw. 4,7 %. Es ist also wohl zu erwarten, daß in Zukunft die beiden Häufigkeitsmaxima sich noch schärfer getrennt zeigen werden als nach den bisherigen Beobachtungen.

Abb. 7.

Hyposemetrische Kurve der Erdoberfläche, nach Krümmel.

     Es gibt wohl in der ganzen Geophysik kaum ein zweites Gesetz von solcher Klarheit und Sicherheit wie dieses, daß es zwei bevorzugte Niveaus auf der Erde gibt, die abwechselnd nebeneinander vorkommen und in den Kontinenten und Tiefseeböden in Erscheinung treten. Es ist deshalb sehr merkwürdig, daß man für dies Gesetz, das doch seit langem gut bekannt ist, noch kaum nach einer Erklärung gesucht hat. Wenn nämlich, gemäß der üblichen geologischen| Deutung, die Höhen durch Hebungen, die Tiefen durch Senkungen von nur einem einheitlichen Ausgangsniveau entstanden wären, und dabei, was selbstverständlich erscheint, um so seltener sind, je größer ihr Ausmaß ist, so müßte sich die resultierende Häufigkeitsverteilung ungefähr nach dem Gaußschen Fehlergesetz regeln (etwa wie in Abb. 8 durch die gestrichelte Kurve angegeben).

Abb. 8.

Die beiden Häufigkeitsmaxima der Höhen.

Abb. 9.

Schematischer Querschnitt durch einen Kontinentalrand.
Horizontale Strichelung = Wasser.

Es müßte also nur ein einziges Häufigkeitsniveau etwa in der Gegend des mittleren Krustenniveaus (-2450 m) vorhanden sein. Statt dessen sehen wir zwei Maxima, und bei jedem dieser Maxima hat die Kurve ungefähr den Verlauf wie beim Fehlergesetz. Wir schließen hieraus, daß es auch bereits zwei ungestörte Ausgangsniveaus gibt, und der Schritt erscheint unvermeidlich, daß wir es bei Kontinenten und Tiefseeböden mit zwei verschiedenen Schichten des Erdkörpers zu tun haben, die sich - übertrieben ausgedrückt - verhalten wie offenes Wasser und große Eistafeln. In Abb. 9 ist ein schematischer Vertikalschnitt durch einen Kontinentalrand nach dieser neuen Vorstellung dargestellt.

     Damit haben wir zum ersten Male eine plausible Lösung für die alte Frage nach dem Verhältnis der großen Tiefseebecken zu den Kontinentalschollen gewonnen. Schon 1878 warf A. Heim [33] einen Seitenblick auf dieses Problem mit der Feststellung, „daß, bevor genauere Beobachtungen über die kontinentalen Schwankungen der Vorzeit gemacht sind, … und bevor wir vollständigere Messungen über die Beträge des ausgeglichenen Zusammenschubs der meisten Gebirge haben, kaum ein wesentlich sicherer Fortschritt in der Erkenntnis des ursächlichen Zusammenhangs von Gebirgen und Kontinenten und der Form der letzteren untereinander zu erwarten sein wird“.

|      Das Problem meldete sich aber immer dringender, je zahlreicher die Lotungen auf den Weltmeeren wurden und je schärfer hierdurch der Gegensatz zwischen den weiten, ebenen Tiefseeflächen und den gleichfalls ebenen, aber etwa 5 km höher liegenden Kontinentalflächen herausgearbeitet wurde. 1918 schrieb E. Kayser [34]: „Gegenüber dem Rauminhalt dieser Steinkolosse (der Kontinentalblöcke) erscheinen alle festländischen Erhebungen unbedeutend und geringfügig. Selbst Hochgebirge wie der Himalaja sind nur verschwindende Runzeln auf der Oberfläche jener Sockel. Schon diese Tatsache läßt die alte Ansicht, nach der die Gebirge das maßgebende Gebälk der Kontinente darstellen sollen, heute unhaltbar erscheinen… Wir müssen vielmehr umgekehrt annehmen, daß die Kontinente das Ältere und Bestimmende, die Gebirge aber nur nebensächliche jüngere Gebilde darstellen.“      Die Lösung, welche die Verschiebungstheorie für dieses Problem liefert, ist so einfach und naheliegend, daß man kaum meinen sollte, daß sie Anlaß zu Widerspruch geben könnte. Trotzdem haben einige Gegner der Verschiebungstheorie Versuche gemacht, eine andere Erklärung für das doppelte Häufigkeitsmaximum der Höhen zugeben. Aber diese Versuche sind mißlungen. So meinte Soergel [35], wenn von einem Ausgangsniveau einerseits ein Teil gehoben und andererseits ein Teil gesenkt wird, und das Zwischenstück dann durch Steilerstellung sehr verkleinert wird, so müßten zwei Häufigkeitsmaxima entstehen, den gehobenen und den gesenkten Teilen entsprechend. Und ähnlich meinten G. V. und A. V. Douglas [36], wenn das Ausgangsniveau durch Faltung in eine Sinus-Wellenfläche verwandelt wird, so müßten sich zwei Häufigkeitsmaxima einstellen, die dem Wellenberg und Wellental entsprechen. Beide Überlegungen beruhen auf demselben Grundirrtum, denn sie verwechseln den Einzelvorgang mit dem statistischen Ergebnis. Bei letzterem ist die geometrische Form des Einzelvorgangs ganz gleichgültig. Es handelt sich eben nur darum, ob bei der unendlich großen Zahl von Hebungen und Senkungen, um mit Soergel, oder von Faltungen, um mit Douglas zu reden, zwei Häufigkeitsmaxima vorkommen können, wo doch das Höhenausmaß der Einzelfälle beliebig variiert. Offenbar könnte dies nur dann der Fall sein, wenn irgend eine Tendenz zur Bevorzugung bestimmter Höhenausmaße wirksam wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Für Hebungen und Senkungen sowohl wie für Faltungshöhen kennen wir nur die eine Regel: sie sind um so seltener, je größer sie sind. Daher muß bei| ihnen stets auf das Ausgangsniveau die größte Häufigkeit entfallen, und von da ab muß die Häufigkeit sowohl nach oben wie nach unten etwa gemäß dem Gaußschen Fehlergesetz abnehmen.

     Es sei auch noch daran erinnert, daß einige Autoren, wie namentlich Trabert [31], die Ansicht vertreten haben, die Tiefseebecken seien durch die größere Auskühlung des Untergrundes durch das kalte Tiefseewasser gebildet worden. Aber gerade aus Traberts Rechnungen geht hervor, daß man hierzu eine bis zum Erdmittelpunkt reichende Abkühlung der Tiefseesektoren annehmen müßte, und da dies unannehmbar erscheint, so sind Traberts Rechnungen eher geeignet, diese Vorstellung zu widerlegen, als ihre Richtigkeit zu beweisen. Außerdem ist aber leicht einzusehen, daß wir auf diese Weise nur eine allgemeine Tendenz erhalten können, schon bestehende Vertiefungen der Erdoberfläche weiter zu vertiefen, aber kein Mittel, die Existenz einer in allen Ozeanen in fast gleicher Tiefe gelegenen Bodenfläche, des zweiten Häufigkeitsmaximums der Erdrinde, zu erklären, wie auch kürzlich von Nansen [222] hervorgehoben wurde. In der Tat wird auch auf diese schon von Faye herrührende Erklärung heute nur mehr selten zurückgegriffen, zumal durch die Entdeckung des Radiums in der Erdkruste sich die Grundlage für die Beurteilung des Wärmehaushalts der Erde völlig verschoben hat.

     Natürlich wird es nötig sein, sogleich vor einer Übertreibung dieser neuen Auffassung von der Natur der Tiefseeböden zu warnen. Schon bei unserem Vergleich mit den tafelförmigen Eisbergen ist zu bedenken, daß ja auch die Meeresoberfläche zwischen ihnen sich wieder mit Jungeis bedecken kann, und daß weiter auch kleinere Brocken des Eisberges, die von seinem oberen Rande abgesprengt wurden oder von seinem tief unter Wasser befindlichen Fuß aufstiegen, die Wasseroberfläche bedecken können. Ähnliches wird natürlich auch an manchen Stellen der Tiefseeböden stattfinden. Inseln sind meist bereits größere Kontinentalbrocken, die mit ihrem Unterbau, wie die Schweremessungen wahrscheinlich machen, bis etwa 50 km tief unter den Tiefseeboden hinabreichen. Und weiter ist zu berücksichtigen, daß die Kontinentalschollen, so spröde sie an der Oberfläche sein mögen, in der Tiefe plastisch werden und sich hier teigartig ziehen können, so daß bei der Trennung von Schollen auch auf diese Weise kontinentales Material von entsprechend geringerer Mächtigkeit sich über kleinere oder größere Teile des Tiefseebodens ausbreiten kann. Als besonders unrein in diesem Sinne muß der Boden des Atlantischen Ozeans gelten, welcher der| Länge nach von der mittelatlantischen Bodenschwelle durchzogen wird. Aber auch die anderen Tiefseebecken zeigen mit ihren Inselketten und unterseeischen Erhebungen Ähnliches. Auf Einzelheiten wird später im Abschnitt über den Tiefseeboden näher eingegangen werden.

     Es ist nicht undenkbar, daß das hier erörterte Schema im weiteren Verlauf der Forschung sich nur als Haupterscheinung herausstellen wird, und daß zu einer genauen Darstellung der wirklichen Verhältnisse noch Komplikationen eingeführt werden müssen. So fand ich selber [37] bei einer statistischen Untersuchung der ersten, von amerikanischer Seite gewonnenen Echolotungen quer über den Nordatlantik, daß das Hauptmaximum der Häufigkeit hier wesentlich tiefer, bei etwa 5000 m Tiefe, lag, und daß anderseits ein sekundäres Häufigkeitsmaximum bei 4400 m Tiefe zu erkennen war. Über die Realität dieses letzteren Maximums, das auf eine mehrfache Schichtung hinweisen würde, wird man allerdings erst auf Grund der viel zahlreicheren Echolotungen der deutschen „Meteor“-Expedition ein Urteil gewinnen, die gegenwärtig noch nicht daraufhin untersucht sind.

     Es entsteht natürlich die Frage, ob die Anschauung von der grundsätzlichen Verschiedenheit der Kontinentalschollen und der Tiefseebecken und von den horizontalen Verschiebungen der ersteren sich mit den übrigen Ergebnissen der Geophysik verträgt bzw. ob sich von dieser Seite her Bestätigungen für ihre Richtigkeit erbringen lassen.

     Was zunächst die schon früher erwähnte Isostasielehre betrifft, so steht sie mit dem ganzen Vorstellungskreis der Verschiebungstheorie natürlich in bester Übereinstimmung, aber ein direkter Nachweis der Richtigkeit ist auf diesem Wege kaum zu erbringen. Wir wollen im folgenden etwas näher auf diese Untersuchungen eingehen.

     Ihre physikalische Begründung fand diese von Pratt herrührende Lehre von der Isostasie (das Wort wurde erst 1892 von Dutton geprägt) durch die Schweremessungen. Schon 1855 hatte Pratt festgestellt, daß der Himalaja nicht die erwartete Anziehung auf das Lot ausübt; nach Kossmat beträgt z. B. in Kaliana in der Gangesebene, 56 englische Meilen vom Gebirgsfuß entfernt, die Nordkomponente der Lotablenkung nur eine Bogensekunde, während die Anziehung des Gebirges eine solche von 58 Bogensekunden verursachen sollte, und ähnlich zeigt Jalpaiguri nur eine Bogensekunde| statt 77. Und dem entspricht auch die überall bestätigte Tatsache, daß die Schwerkraft bei großen Gebirgen nicht in dem zu erwartenden Maße von ihrem normalen Werte abweicht, so daß die Gebirgsmassive durch unterirdische Massendefekte irgendwelcher Art kompensiert erscheinen, wie die Arbeiten von Airy, Faye, Helmert u. a. zeigten, und wie es von Kossmat in einem sehr lichtvollen Referat [38] ausgeführt wurde. Und auch auf den Ozeanen hat es sich gezeigt, daß die Schwerkraft ungefähr ihren Normalwert besitzt, trotz des sichtbaren großen Massendefekts, den die Ozeanbecken darstellen. Die früheren Messungen auf Inseln ließen zwar noch verschiedenartige Deutungen zu. Aber die Zweifel wurden beseitigt, als Hecker, einem Vorschlag von Mohn folgend, auch an Bord des fahrenden Schiffes Schweremessungen durch gleichzeitige Ablesungen am Quecksilberbarometer und am Siedethermometer ausführte; vor kurzem ist es dem holländischen Geodäten Vening Meinesz sogar gelungen [39], die viel genauere Pendelmethode für Messungen im Unterseeboot brauchbar zu machen, und die Ergebnisse der ersten auf diese Weise ausgeführten Fahrten bestätigen vollauf Heckers Ergebnis, daß in großen Zügen auch auf den Ozeanen Isostasie herrscht, also der in den Tiefseebecken in Erscheinung tretende Massendefekt durch einen unterirdischen Massenüberschuß irgendwelcher Art kompensiert wird.

     Über die Art, wie man sich diese unterirdischen Massenüberschüsse und Defizite zu denken hat, sind im Laufe der Zeit verschiedene Vermutungen angestellt.

     Pratt dachte sich die Erdrinde etwa wie eine Teigmasse, die ursprünglich überall gleich dick, in den Kontinenten durch irgend eine Art der Auflockerung emporgewachsen und in den ozeanischen Gebieten zusammengepreßt ist. Je größer die Seehöhe der Oberfläche, um so geringer sei die Dichte oder das spezifische Gewicht der Erdrinde. Unterhalb der sogenannten Ausgleichstiefe (in etwa 120 km Tiefe) seien aber alle horizontalen Dichteunterschiede verschwunden (vgl. Abb. 10). Diese Vorstellung wurde von Helmert und Hayford weiter ausgebaut und allgemein zur Beurteilung der Schwerkraftbeobachtungen verwendet. Sie wird gegenwärtig insbesondere von W. Bowie [224] vertreten, der sich folgenden Experiments zur Erläuterung bedient: Er läßt auf Quecksilber eine Anzahl Prismen schwimmen, die aus verschiedenen Materialien, Kupfer, Eisen, Zink, Pyrit u. a., mit verschiedenem spezifischen Gewicht bestehen. Die Prismen müssen gerade solche Höhen besitzen,| daß sie alle gleich tief in das Quecksilber eintauchen. Ihre gemeinsame Unterfläche entspricht dann der Ausgleichsfläche des Druckes. Wegen ihres verschiedenen spezifischen Gewichts ragen sie dann verschieden hoch über den Quecksilberspiegel empor, das schwerste Material am wenigsten, das leichteste am meisten. Diese Deutung der Schweremessungen findet eine gewisse Stütze in der Beobachtungstatsache, daß im allgemeinen das Material der Erdrinde um so leichter ist, aus je größerer Seehöhe es stammt. Aber die Vorstellung, daß die Dichteunterschiede überall nur bis zu einer ganz bestimmten Tiefe, der Ausgleichsfläche reichen, enthält eine physikalische Unwahrscheinlichkeit, die man sich am leichtesten an Hand des Versuchs von Bowie klarmachen kann. Damit nämlich diese verschiedenen Prismen mit ihrer Unterseite alle gleich tief eintauchen sollen, müssen ihre Höhen in einem ganz bestimmten, durch das spezifische Gewicht gegebenen Verhältnis zueinander stehen. Teilen wir also die Erdrinde in Prismen von verschiedenem Material ein, so müßte ein und dasselbe Material, wo immer auf der Erde es vorkommt, stets eine ganz bestimmte Mächtigkeit haben, die zu der Mächtigkeit der anderen Materialien in einem ein für allemal festgelegten, nämlich dem spezifischen Gewicht genau entsprechenden Verhältnis steht. Für eine solche Bindung zwischen Material (oder spezifischem Gewicht) und Mächtigkeit, die zu der willkürlichen Bedingung einer Konstanz der Unterfläche aller Prismen führt, ist aber kein natürlicher Grund erkennbar.


Abb. 10.

Isostasie nach Pratt und Airy.

     Neuerdings wird von manchen Geodäten, wie Schweydar [40] und namentlich Heiskanen [41, 42], eine andere, schon 1859 von Airy ausgesprochene Vorstellung zur Deutung der Schweremessungen verwendet, die auch in Abb. 10 dargestellt ist. Heim war wohl der| erste, der annahm, daß unter den Gebirgen die leichte Rinde verdickt ist und das schwere Magma, auf dem sie schwimmt, hier in größere Tiefen drängt. Umgekehrt mußte dann die leichte Rinde unter tiefgelegenen Teilen der Erdoberfläche, wie den Ozeanbecken, besonders dünn sein. Hier werden also nur zwei Materialien angenommen, eine leichte Rinde und ein schweres Magma. Bowie veranschaulicht diese Vorstellung durch einen dem vorigen entsprechenden Versuch, indem er eine Anzahl verschieden hoher, aber alle aus dem gleichen Material (Kupfer) hergestellter Prismen auf Quecksilber schwimmen läßt, die dann natürlich verschieden tief eintauchen; das längste Prisma taucht am tiefsten ein, hat aber gleichzeitig auch die höchste Oberfläche. Es ist vielfach hervorgehoben worden, daß diese Airysche Vorstellung viel besser zu dem geologischen Bilde der Erdrinde, namentlich bei den großen Zusammenschüben in Faltengebirgen, paßt als die Prattsche. Andererseits läßt sie aber die Duplizität des Häufigkeitsmaximums in der Höhenstatistik der Erdoberfläche unerklärt, denn es ist nicht einzusehen, warum die leichte Kruste auf der Erde in grundsätzlich zwei verschiedenen Dicken auftreten soll, nämlich in Form dicker kontinentaler Schollen und dünner ozeanischer.

     Die richtige Deutung dürfte in einer Verbindung beider Vorstellungen zu finden sein: Bei Gebirgen haben wir es im wesentlichen mit Verdickungen der leichten kontinentalen Rinde zu tun im Sinne von Airy; aber bei dem Übergang von der Kontinentalscholle zum Tiefseeboden mit Materialverschiedenheit im Sinne von Pratt.

     Die neuere Entwicklung dieser Isostasielehre betrifft vor allem die Frage ihres Gültigkeitsbereiches. Für größere Schollen, wie z. B. einen ganzen Kontinent oder einen ganzen Tiefseeboden, muß ohne weiteres Isostasie angenommen werden. Aber im Kleinen, bei einzelnen Bergen, verliert dieses Gesetz seine Gültigkeit. Solche kleineren Teile können durch die Elastizität der ganzen Scholle getragen werden, genau wie ein Stein, den man auf eine schwimmende Eisscholle legt. Die Isostasie vollzieht sich dann zwischen Scholle und Stein als Ganzem und dem Wasser. So zeigen die Schweremessungen auf den Kontinenten bei Gebilden, deren Durchmesser nach Hunderten von Kilometern mißt, sehr selten eine Abweichung von der Isostasie; beträgt der Durchmesser nur Zehner des Kilometers, so herrscht meist nur eine teilweise Kompensation, und beträgt er nur einige Kilometer, so fehlt die Kompensation meist ganz.

     Ob man nun die ältere Prattsche Vorstellung oder die von Airy und Heiskanen zugrunde legt, in jedem Falle führt die| Diskussion der Schweremessungen auf den Ozeanen, die nichts von dem großen sichtbaren Massendefizit der Tiefseebecken erkennen lassen, zu dem Ergebnis, daß der Boden der Tiefsee aus dichterem, schwererem Material besteht als die Kontinentalschollen. Daß diese größere Dichte nicht nur auf den Unterschieden der physikalischen Zustände, sondern auch auf solchen des Stoffes besteht, läßt sich auf diesem Wege allerdings nicht exakt beweisen, wohl aber durch Überschlagsrechnungen unter plausiblen Annahmen sehr wahrscheinlich machen.      Die Isostasielehre liefert aber auch ein direktes Kriterium für die Frage nach der horizontalen Verschiebbarkeit der Kontinente. Es war schon oben auf die isostatischen Ausgleichsbewegungen hingewiesen worden, deren schönstes Beispiel die noch jetzt andauernde Hebung Skandinaviens um etwa 1 m im Jahrhundert ist, die als Nachwirkung der Entlastung durch das vor mehr als 10000 Jahren erfolgte Abschmelzen der Inlandeiskappe betrachtet werden kann, zumal die größte heutige Hebung dort zu beobachten ist, wo das Eis zuletzt verschwunden ist. Dies geht sehr schön aus der von Witting entworfenen Karte Abb. 11 hervor (nach Born [43]). Born [43] hat gezeigt, daß dies Hebungsgebiet eine Schwereanomalie im Sinne zu kleiner Schwerkraft hat, soweit es sich nach den bisher noch dürftigen Beobachtungen beurteilen läßt (vgl. Abb. 12), und so muß es in der Tat sein, wenn die Kruste noch unterhalb ihrer Gleichgewichtslage ist. Eine besonders eingehende Beschreibung aller auf diese Hebung Skandinaviens bezüglichen Erscheinungen hat Nansen [222] gegeben; die größte Depression betrug 284 m nach den Strandmarken an der Küste von Ångermanland und wahrscheinlich 300 m im Innern. Diese Hebung begann langsam vor etwa 15000 Jahren, erreichte vor 7000 Jahren ihre größte Geschwindigkeit von etwa 1 m in 10 Jahren und ist heute im Abklingen. Die zentrale Eisdicke wird auf etwa 2300 m geschätzt. Diese Vertikalbewegungen großer Krustenteile setzen natürlich Fließbewegungen in der Unterlage voraus, durch welche das verdrängte Material nach außen geschafft wird. Dies wird auch bestätigt durch die ungefähr gleichzeitig von Born, Nansen, A. Penck und Köppen (Literatur in [43]) gemachte Entdeckung, daß das Depressionsgebiet der Inlandeiskappe ringförmig von einem Gebiet schwacher Hebung umgeben ist, die eben auf das nach außen gepreßte Material des Untergrundes zurückzuführen ist. Jedenfalls beruht die ganze Isostasielehre auf der Vorstellung, daß die Unterlage der Kruste einen gewissen Grad| von Fluidität oder Flüssigkeit besitzt. Ist dies aber der Fall, schwimmen also die Kontinentalschollen wirklich in einer, wenn auch sehr zähen Flüssigkeit, so ist offenbar kein Grund einzusehen, warum sich ihre Beweglichkeit nur in der Vertikalen äußern solle, und nicht auch horizontale Bewegungen vorkommen sollten, sofern nur Kräfte existieren und geologische Zeiten hindurch andauern, die die Kontinentalschollen zu verschieben streben. Daß aber solche Kräfte wirklich existieren, beweisen ja die Gebirgszusammenschübe.

Abb. 11.

Gegenwärtige Hebung im Ostseegebiet nach Pegelmessungen (cm/Jahr), nach Witting.

     Von größter Wichtigkeit für unsere Fragen sind die neueren Ergebnisse der Erdbebenforschung, die von Gutenberg [44, 45] an verschiedenen Stellen übersichtlich zusammengefaßt worden sind.

     Von den Erdbebenwellen nehmen bekanntlich die longitudinalen „ersten“ und die transversalen „zweiten Vorläufer“ ihren Weg durch das Erdinnere, während die „Hauptwellen“ an der Oberfläche entlang rollen. Je weiter die registrierende Station vom Herd entfernt| ist, um so größere Tiefen haben die Vorläuferwellen durchdrungen. Aus der Zeitdifferenz zwischen Beben und Eintreffen an der Station, der „Laufzeit“, läßt sich die Geschwindigkeit der Wellen für die verschiedenen Tiefen ermitteln. Diese Geschwindigkeit ist aber eine Materialkonstante und kann uns also Auskunft geben über Materialschichtung im Innern der Erde.

Abb. 12.

Schwereanomalie in Skandinavien, nach Born.

     Es hat sich dabei gezeigt, daß unter Eurasien und auch unter der nordamerikanischen Kontinentalscholle in 50 bis 60 km Tiefe eine sehr auffallende Schichtgrenze nachweisbar ist, an welcher die Geschwindigkeit der Longitudinalwellen von 53/4 km pro Sekunde (oberhalb) auf 8,0 km pro Sekunde (unterhalb), und die der Transversalwellen von 31/3 km pro Sekunde (oberhalb) auf 4,4 km pro| Sekunde (unterhalb) springt. Diese Schichtgrenze hat man bisher meist mit der Unterseite der Kontinentalschollen identifiziert, wie schon die Übereinstimmung der Tiefe mit dem von Heiskanen aus den Schweremessungen abgeleiteten Wert der Schollendicke nahelegt[2]. Es scheint allerdings, als ob diese Auffassung heute nicht mehr aufrechtgehalten werden kann, sondern als Schollendicke nur etwa der halbe Wert in Betracht kommt, während die genannte Schichtgrenze bereits einer weiteren Unterteilung des Substratums entspricht. Diese Schichtgrenze fehlt aber ganz im Bereich des Pazifischen Ozeans. Hier findet man schon in den oberflächlichen Schichten eine Geschwindigkeit der Erdbebenwellen, die fast der oben genannten im Untergrunde gleich ist, nämlich 7 km pro Sekunde für die Longitudinalwellen und 3,8 km pro Sekunde für die Transversalwellen (für die Oberflächenschichten der Kontinente lauten diese Zahlen dagegen 53/4 und 3,2 km pro Sekunde). Diese Zahlen haben nur die eine mögliche Deutung, daß nämlich die obersten Schichten, die unter den Kontinentaltafeln bis 60 km Tiefe herabreichen, im Pazifik fehlen.

     Wie zu erwarten, zeigte auch die Geschwindigkeit der Oberflächenwellen, die ja gleichfalls eine Materialkonstante ist, einen entsprechenden Unterschied zwischen dem Tiefseeboden und den Kontinentalschollen. Dies kann heute als feststehende Tatsache gelten, nachdem es unabhängig von fünf verschiedenen Forschern festgestellt wurde. So fand Tams [46] 1921 aus einer Auswahl besonders klarer Registrierungen die folgenden Geschwindigkeiten der Oberflächenwellen:

1. Tiefsee. Anzahl
Kaliforn. Beben, 18. April 1906 v = 3,847 ± 0,045 km/sec 9
Kolumbien, 31. Januar 1906 3,806 ± 0,046 18
Honduras, 1. Juli 1907 3,941 ± 0,022 20
Nicaragua, 30. Dezember 1907 3,916 ± 0,029 22
2. Kontinente.
Kalifornien, 18. April 1906 v = 3,770 ± 0,104 km/sec 5
Philippinen I, 18. April 1907 3,765 ± 0,045 30
II, 18. April 1907 3,768 ± 0,054 27
Buchara, 21. Oktober 1907 3,837 ± 0,065 19
27. Oktober 1907 3,760 ± 0,069 11
|      Es ist also, wenn auch die Einzelwerte bisweilen einander überschneiden, doch im Mittel ein deutlicher Unterschied in dem Sinne zu erkennen, daß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Oberflächenwellen am Boden der Tiefsee um etwa 0,1 km pro Sekunde größer ist als auf den Kontinenten, was mit dem nach den physikalischen Eigenschaften vulkanischer Tiefengesteine zu erwartenden theoretischen Wert übereinstimmt.

     Andererseits hat Tams auch versucht, die Beobachtungen möglichst vieler Beben zu Mitteln zu vereinigen, und erhält so als Mittel aus den Geschwindigkeitswerten bei 38 Beben für den Pazifik v = 3,897 ± 0,028 km/sec und bei 45 Beben über Eurasien oder Amerika v = 3,801 ± 0,029 km/sec, d. h. dieselben Werte wie oben.

     Auch Angenheister [47] hat 1921 den seismischen Unterschied zwischen Tiefseebecken und Kontinentalschollen bei einer Reihe pazifischer Beben untersucht, wobei er auch die Oberflächenwellen behandelt. Er unterscheidet hierbei die bei Tams nicht getrennten beiden Arten von „Querwellen“ und „Rayleighwellen“, und findet so auf Grund allerdings nur geringen Materials sogar erheblich größere Unterschiede: „Die Geschwindigkeit der Hauptwellen ist unter dem Pazifik um 21 bis 26 % größer als unter dem asiatischen Kontinent.“ Wir fügen gleich hinzu, daß er auch für andere Wellenarten charakteristische Unterschiede fand: „Die Laufzeiten für P (undae primae = erste Vorläufer, Longitudinalwellen mit Fortpflanzung durch das Erdinnere) und S (undae secundae = zweite Vorläufer, Transversalwellen mit ähnlichem Wege) sind unter dem Pazifik bei 6° Herddistanz (bei so kurzer Distanz durchlaufen diese Wellen nur die oberflächlichen Schichten) um 13 und 25 Sek. kleiner als unter dem Kontinent Europa. Dem entspricht für S eine um 18 % größere Geschwindigkeit unter dem Ozean… Die Periode der Nachläuferwellen ist unter dem Pazifik größer als unter Asien.“ Alle diese Unterschiede deuten einmütig in Richtung unserer Annahme, daß der Tiefseeboden aus einem anderen, nämlich dichteren Material besteht.

     Desgleichen ist Visser hinsichtlich der Oberflächenwellen zu dem gleichen Ergebnis gekommen [48]. Er fand nämlich:

über kontinentalem Gebiet v = 3,70 km/sec
ozeanischem Gebiet v = 3,78

     Einen Geschwindigkeitsunterschied der Oberflächenwellen in gleichem Sinne fand auch Byerly bei dem Beben von Montana vom 28. Juni 1925 [223].

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Abb. 13.

Geschwindigkeit der Quer- (Oberflächen-) Wellen nach Gutenberg. Siehe Text.

     Und endlich hat Gutenberg auf anderem Wege dies Resultat bestätigt [44, 45]. Er benutzt dazu die Querwellen, also Oberflächenwellen, die den gleichfalls oberflächlichen Rayleighwellen unmittelbar vorausgehen (und oft von ihnen nicht zu trennen sind). Die Geschwindigkeit dieser Wellen hängt einmal ab von ihrer Wellenlänge oder Periode, zweitens aber auch von der Dicke der obersten Rindenschicht, in der sie sich abspielen. Da man aus den Registrierungen nicht nur die Laufzeiten (Geschwindigkeiten), sondern auch die Periode entnehmen kann, so kann man die Dicke der Rindenschicht bestimmen. Freilich ist die Ausmessung immer ziemlich ungenau, und man braucht für dasselbe Gebiet eine größere Zahl von Fällen mit verschiedener Periode, um einen Schluß auf die Schichtdicke ziehen zu können. In Abb. 13 ist Gutenbergs Ergebnis für die drei Gebiete a) Eurasien, b) bei vorwiegendem Verlauf im Boden| des Atlantik, c) im Pazifik wiedergegeben. Nach rechts ist die Periode, nach oben die Geschwindigkeit der Wellen abgetragen. Wären die Messungen fehlerfrei, so müßten alle Punkte auf einer Kurve liegen, deren Lage im Diagramm von der Schichtdicke abhängt. In a) und b) sind drei solche theoretischen Kurven für die Schichtdicke 30, 60 und 120 km eingetragen, in c) mehrere für die Schichtdicke Null. Gutenberg schließt, daß sich für Eurasien die Punkte am besten der Kurve für die Schichtdicke 60 km, für die vorwiegend atlantischen Strecken besser der für die Schichtdicke 30 km, für den Pazifik aber derjenigen für Schichtdicke Null anschmiegen. Die Streuung ist groß, das Verfahren also kein sehr genaues. Das Ergebnis ist aber später von Gutenberg noch weiter gestützt worden. Das wichtigste ist, daß im Pazifik die oberste Schicht auch nach dieser Untersuchung zu fehlen scheint, und daß sich für Strecken, die vorwiegend im Atlantik verlaufen, also teils über Tiefsee, teils über kontinentales Gebiet, ein zwischen Null und 60 km liegender mittlerer Wert der Schichtdicke ergibt[3].

     Wie oben erwähnt, fand schon Angenheister, daß auch die Periode der Nachläuferwellen im Bereich des Pazifik größer ist als auf dem asiatischen Kontinent. Dies ist von Wellmann [49] genauer untersucht und bestätigt worden. Er faßt seine Ergebnisse anschaulich in Abb. 14 zusammen, in der die Herde der von ihm untersuchten Beben gekennzeichnet sind, und zwar durch Kreuze oder ausgefüllte Kreise, je nachdem sie Nachläufer mit langer oder kurzer Periode auf den Registrierungen in Hamburg lieferten. Berücksichtigt man, daß der Weg der Wellen vom Herde bis nach Hamburg stets senkrecht zu den in der Abbildung gestrichelten Linien gleichen Abstandes von Hamburg verlaufen muß, so zeigt die Abbildung in anschaulicher Weise, daß die von den Kreuzen gekommenen Wellen vorzugsweise über Tiefseegebiete (Pazifik, Nordmeer, Nordatlantik) gelaufen sind, während die von den schwarzen Kreisen herrührenden vorzugsweise über Kontinentalgebiet (Asien) gelaufen sein müssen.

     Man sieht also, daß die Erdbebenforschung in ihrer neueren Entwicklung auf den verschiedensten, voneinander unabhängigen Wegen zu einer Bestätigung der Vorstellung gekommen ist, daß die Tiefseeböden grundsätzlich aus anderem Material bestehen als| die Kontinentalschollen, und zwar aus einem Material, das einer tieferen Schicht des Erdkörpers entspricht.

Abb. 14.

Bebenherde, die in Hamburg Nachläuferwellen langer (+) oder kurzer (•) Periode liefern, nach Wellmann.

     In der erdmagnetischen Forschung wird, worauf A. Nippoldt mich aufmerksam machte, allgemein die Ansicht vertreten, daß die Tiefseeböden aus stärker magnetisierbarem, also vermutlich eisenhaltigerem Material bestehen als die Kontinentalschollen. Besonders| tritt dies in der Diskussion über das magnetische Modell der Erde von Henry Wilde [50] hervor, bei dem die Ozeanflächen mit Eisenblech belegt werden mußten, um eine dem Erdmagnetismus entsprechende Verteilung der magnetischen Kraft zu erhalten. A. W. Rücker [51] beschreibt diesen Versuch mit den Worten: „Herr Wilde hat ein gutes magnetisches Modell der Erde mit einer Versuchsanordnung vorgeführt, die aus der Wirkung eines primären Feldes einer gleichförmig magnetisierten Kugel und eines sekundären Feldes von Eisenmassen bestand, die nahe der Oberfläche lagen und durch Induktion magnetisiert wurden. Die Hauptmasse des Eisens ist unter den Ozeanen angebracht… Herr Wilde legt das Hauptgewicht auf die Bedeckung der Ozeane mit Eisen.“ Auch Raclot [52] hat neuerdings bestätigt, daß dieser Versuch von Wilde in rohen Zügen das Verteilungsbild des Erdmagnetismus gut darstellt. Allerdings ist es bisher noch nicht geglückt, diesen Unterschied zwischen Kontinenten und Tiefsee rechnerisch aus den erdmagnetischen Beobachtungen abzuleiten, anscheinend aus dem Grunde, weil er von einem anderen, viel größeren Störungsfeld noch unbekannter Herkunft überlagert wird, welches keine Beziehung zur Kontinentalverteilung zeigt und wohl auch nicht zeigen kann, wie aus seinen großen, in der Säkularvariation zum Ausdruck kommenden Veränderungen hervorzugehen scheint. Jedenfalls aber sprechen die Ergebnisse des Erdmagnetismus auch nach Ansicht solcher Fachleute (wie Ad. Schmidt), welche die Beweiskraft von Wildes Versuch noch nicht ohne Einschränkung anerkennen wollen, keineswegs gegen die Annahme, daß die Tiefseeböden aus eisenhaltigerem Gestein bestehen. Da bekanntlich allgemein angenommen wird, daß bereits in dem Silikatmantel der Erde der Eisengehalt mit der Tiefe wächst und das Erdinnere weiterhin überhaupt vorwiegend aus Eisen besteht, so besagt dies, daß wir es hier mit einer tieferen Schicht zu tun haben. Nun erlischt der Magnetismus im allgemeinen bei der Temperatur der Rotglut, welche unter Zugrundelegung der gewöhnlichen geothermischen Tiefenstufe bereits in etwa 15 bis 20 km Tiefe erreicht wird. Der starke Magnetismus der Tiefseeböden müßte also gerade in den obersten Schichten vorhanden sein, was mit unserer Annahme, daß hier die schwächer magnetischen Massen fehlen, gut zu stimmen scheint.      Es liegt sehr nahe, zu fragen, ob man nicht irgendwelche Proben dieses Tiefengesteins unmittelbar vom Tiefseeboden beschaffen kann. Allein es wird wohl noch lange unmöglich sein, mit dem Schleppnetz| oder auf andere Weise Proben des anstehenden Gesteins aus diesen Tiefen hochzubringen. Immerhin verdient aber Beachtung, daß bei den Dredschzügen die Hauptmasse der heraufgebrachten losen Proben nach Krümmel [30] vulkanisch ist; „namentlich überwiegen Bimssteine…, sodann begegnen die Trümmer von Sanidin, Plagioklas, Hornblende, Magnetit, vulkanischem Glas und deren Zersetzungsprodukt Palagonit, auch Lavabrocken von Basalten, Augitandesiten usw.“. Vulkanische Gesteine zeichnen sich nun in der Tat durch größeres spezifisches Gewicht und größeren Eisengehalt aus und werden allgemein als aus größeren Tiefen stammend betrachtet. Suess nannte diese ganze basische Gesteinsgruppe, deren Hauptvertreter Basalt ist, „Sima“ nach den Anfangsbuchstaben der Hauptbestandteile Silicium und Magnesium, im Gegensatz zu der anderen, kieselsäurereichen Gruppe des „Sal“ (Silicium-Aluminium), dessen Hauptvertreter Gneis und Granit den Untergrund unserer Kontinente bildet[4]. Einer brieflichen Anregung von Pfeffer folgend, möchte ich statt „Sal“, um die Identität mit dem lateinischen Worte für Salz zu vermeiden, „Sial“ schreiben. Der Leser wird nach dem Vorangegangenen wahrscheinlich schon selbst den Schluß ziehen, daß die Gesteine der Simagruppe, die wir freilich nur als Eruptivgesteine auf den sialischen Kontinentalschollen kennen, wo sie als Fremdkörper erscheinen, ihren eigentlichen Platz unter diesen Schollen haben und wahrscheinlich auch den Boden der Tiefsee bilden. Basalt hat, wie es scheint, die Eigenschaften, welche wir für das Material der Tiefseeböden brauchen.

     Indessen hat sich über diese Frage, aus welchen Materialien die verschiedenen Erdschichten bestehen, in den letzten Jahren eine große Zahl von Untersuchungen entsponnen, teils auf petrographischer und geochemischer Grundlage, teils auf Grundlage der Erdbebenwellen, und die Frage ist gegenwärtig noch so im Fluß, daß es zu einer einigermaßen übereinstimmenden Ansicht zwischen den verschiedenen Forschern heute noch nicht gekommen ist. Wir wollen uns deshalb hier, ohne selbst Stellung zu nehmen, mit einem kurzen Überblick über die teilweise noch recht auseinandergehenden Ergebnisse begnügen.

     Anfangs ging man allgemein davon aus, daß es genüge, unterhalb der kontinentalen Sialschicht, die sicher aus gneis- oder granitartigem| Material besteht, eine Simaschicht anzunehmen, die bis etwa 1200 km Tiefe reicht. Dies ist der Mantel. Unterhalb desselben liegt, bis zur Tiefe von 2900 km, die Zwischenschicht, und dann kommt der wesentlich aus Nickeleisen bestehende Kern. Die Zwischenschicht besteht entweder nach Analogie der Materialfolge der Meteoriten aus Mesosiderit (Pallasit) oder, in Anlehnung an Hüttenerfahrungen, aus Schwefeleisen und anderen Erzen (Schlacke). Daß dies in der Tat die wichtigsten Schichten des Erdkörpers sind, steht wohl ein für allemal fest. Die Frage aber, ob die Simaschicht einheitlich ist oder einer weiteren Unterteilung bedarf, wird verschieden beantwortet. Als typischen Vertreter des Simas erklärte V. M. Goldschmidt Eklogit, Williamson und Adams Peridotit oder Pyroxenit, andere Dunit. Jedenfalls muß die Hauptmasse des Simas ein sehr basisches oder „ultrabasisches“ Gestein sein, noch basischer als Basalt, so daß dies letztere Material höchstens als oberster Teil des Simas in Frage kommt. Zahlreiche Arbeiten und teilweise Bücher von Jeffreys [53], Daly [54], S. Mohorovičić [55], Joly [56], Holmes [57], Poole [58], Gutenberg [59], Nansen [222] u. a. haben sich mit den hier auftauchenden Fragen beschäftigt, wobei besonders bemerkenswert ist, daß das Buch von Daly (Our mobile Earth, London 1926) ganz auf dem Standpunkt der Verschiebungstheorie steht; das von Joly (The surface history of the earth, Oxford 1925) spricht sich zwar gegen die Verschiebungstheorie aus, bringt aber in Wirklichkeit wichtige neue Stützen für sie durch die Berücksichtigung der radioaktiven Wärme.      Einigkeit scheint bei allen Autoren darüber zu herrschen, daß unter dem Granit der Kontinentalschollen zunächst Basalt kommt. Aber die Grenze zwischen diesen beiden Materialien wird heute von der Mehrzahl der Forscher nicht mehr mit der aus den Erdbeben abgeleiteten großen Schichtgrenze bei 60 km identifiziert, sondern schon etwa bei 30 bis 40 km Tiefe angenommen, wo die Erdbeben gleichfalls eine, wenn auch weniger bedeutende Schichtgrenze erkennen lassen. Einer der Hauptgründe dafür, daß man den Granit nicht bis 60 km Tiefe reichen lassen will, besteht darin, daß eine so dicke Schicht zu viel Radium enthalten und daher zu viel Wärme produzieren würde. Bei 60 km Tiefe würde dann also das ultrabasische Material (Dunit und anderes) beginnen. Ferner hat namentlich Mohorovičić betont, daß die 60-km-Schichtgrenze keine Variationen ihrer Tiefenlagen unter Gebirgen und Flachland aufweist, wohl aber die höher liegende Grenze zwischen Granit| und Basalt. Es entsteht deshalb die Frage, ob man unter diesen Umständen als Untergrenze der Kontinentalschollen nicht lieber die Granitgrenze bei etwa 30 bis 40 km Tiefe betrachten soll, statt wie bisher die große Schichtgrenze bei 60 km Tiefe. Andererseits ist noch ungeklärt, wie sich die letztere Schichtgrenze unter den Ozeanen verhält. Gutenberg nimmt an, daß diese bei 60 km Tiefe liegende große Schichtgrenze unter dem Pazifik die Oberfläche bildet, so daß hier gleich das ultrabasische Material (Dunit) zutage läge. Mohorovičić glaubt dagegen, daß der Ozeanboden von Basalt gebildet wird.

     Man wird die weitere Entwicklung dieser Untersuchungen abwarten müssen, ehe es möglich ist, ein abgeschlossenes Bild zu gewinnen. Es ist aber sehr wohl möglich, daß durch diese Schichtenvermehrung auch hinsichtlich der Natur der Tiefseeböden größere Komplikationen sich ergeben werden, wofür schon oben (S. 39) in anderem Zusammenhang sich Anzeichen ergaben.

     Aber wie auch die weitere Entwicklung dieser Ansichten sein mag, so viel ist schon ersichtlich, daß sie im Sinne der Verschiebungstheorie fortschreiten, denn an dem grundlegenden Gegensatz zwischen Tiefseeboden und Kontinenten wird nicht mehr gerüttelt, und für die Verschiebungstheorie ist es zunächst gleichgültig, ob ersterer aus Basalt oder vielleicht stellenweise bereits ultrabasischem Material besteht. Jedenfalls fehlt hier (von Resten abgesehen) die Granitdecke der Kontinentalschollen.

     Nicht selten wird gegen die Verschiebungstheorie eingewendet: Die Erde ist so starr wie Stahl, also können sich die Kontinente nicht verschieben. In der Tat hat die Beobachtung der Erdbeben, der Polschwankungen und der Gezeiten der festen Erde zu dem übereinstimmenden Ergebnis geführt, daß der Koeffizient der Form-Elastizität oder die Riegheit der Erde im Mittel 2.1012 g/cm.sec2 beträgt, oder bei Unterscheidung eines bis 1200 km Tiefe reichenden Gesteinsmantels und eines Erz- und Metallkerns für ersteren 7.1011 und für letzteren 3.1012. Da dieser Koeffizient für kalten Stahl 8.1011 beträgt, so ist also wirklich die Erde so rieg wie Stahl. Aber was folgt daraus? Für unsere Frage zunächst gar nichts. Denn die Geschwindigkeit, mit der sich ein Kontinent unter der Wirkung einer gegebenen Kraft bewegen kann, hängt überhaupt nicht von der Riegheit des Simas ab, sondern von einer anderen, von dieser unabhängigen Materialkonstante, der „inneren Reibung“ oder „Zähigkeit“, oder der zu| ihr reziproken „Fluidität“. Diese Zähigkeit hat die Dimension g/cm.sec. Leider kann man nicht mit Sicherheit von der Riegheit auf die Zähigkeit schließen, sondern diese muß durch besondere Untersuchungen bestimmt werden. Nun sind diese Zähigkeitsmessungen an sogenannten festen Körpern äußerst schwierig. Auch im Laboratorium, wo man dazu die Dämpfung elastischer Schwingungen oder die Deformationsgeschwindigkeit bei Biegung oder Torsion oder auch die Messung der sogenannten Relaxationszeit benutzt, sind sie erst an sehr wenigen Stoffen durchgeführt worden. Und über den Zähigkeitskoeffizienten der Erde sind wir leider einstweilen in einer fast hoffnungslosen Weise im unklaren. Es sind zwar in neuerer Zeit verschiedene Versuche gemacht worden, diesen Zähigkeitskoeffizienten teils als Mittel für die ganze Erde, teils für gewisse Schichten abzuschätzen, aber die Ergebnisse gehen in dem Maße auseinander, daß wir nur unsere völlige Unkenntnis feststellen können.

     Mit Sicherheit läßt sich nur sagen, daß sich die Erde kurzperiodischen Kräften wie den Erdbebenwellen gegenüber wie ein fester, elastischer Körper verhält; hier tritt die Fließfähigkeit nicht in Erscheinung. Dagegen muß sich die Erde Kräften gegenüber, die geologische Zeiten hindurch andauern, wie eine Flüssigkeit verhalten, wie z. B. daraus hervorgeht, daß ihre Abplattung gerade ihrer Rotationsdauer angepaßt ist. Aber wo die Zeitgrenze zu suchen ist, bei der die elastischen Deformationen durch fließende abgelöst werden, hängt eben vom Zähigkeitskoeffizienten ab.

     G. H. Darwin nahm bei seiner Untersuchung über die Mondablösung an, daß schon die 12- und 24stündigen Gezeitenkräfte zu Fließbewegungen Anlaß geben, und von zahlreichen anderen Autoren ist diese Hypothese angewendet worden. In einer neueren Untersuchung kommt Prey [60] allerdings zu dem Ergebnis, daß die Darwinschen Annahmen nicht zu der Konsequenz führen, daß etwa heute noch die Erdrinde durch die Flutreibung merkliche Verschiebungen nach Westen erfährt. Vor 50 bis 60 Millionen Jahren mag der Zähigkeitskoeffizient noch den verhältnismäßig geringen Betrag von etwa 1013 (etwa die gleiche Zähigkeit hat Gletschereis) gehabt haben, und damals, meint Prey, seien daher große Verschiebungen der Rinde vorgekommen. Aber seitdem müsse der Zähigkeitskoeffizient so zugenommen haben, daß heute solche Verschiebungen ausgeschlossen seien. Dazu ist freilich zu bemerken, daß Darwin noch nicht den Radiumgehalt der Erdrinde in Betracht| ziehen konnte. Prey nimmt trotz des Radiums eine fortschreitende Abkühlung an. Aber es erscheint doch nach unserer heutigen Kenntnis der vorhandenen Radiummengen und auch nach den geologischen Tatsachen sehr fraglich, ob im Laufe der geologischen Zeiten, die auf erheblich größere Länge geschätzt werden, sich der Zähigkeitskoeffizient der Erde, von Schwankungen abgesehen, überhaupt systematisch in merkbarer Weise geändert hat.

     Von geologischer Seite ist oft eine Magmaschicht unter der festen Erdrinde angenommen worden, und ähnlich glaubte Wiechert gewisse Eigentümlichkeiten bei den Erdbebenregistrierungen durch eine solche ziemlich leichtflüssige Schicht erklären zu können. Hiergegen wendet sich Schweydar [61] auf Grund der meßbaren Gezeiten der festen Erde. Wäre nämlich die Fluidität merklich an diesen beteiligt, so müßten sie hinter Sonne und Mond nachhinken. Da die Beobachtungen aber kein solches Zurückbleiben zeigen, muß der beobachtete Betrag der Gezeiten ganz durch Elastizität, und gar nicht durch Fluidität verursacht sein. Die Fehlergrenze der Beobachtungen liefert so wenigstens einen Grenzwert des Zähigkeitskoeffizienten, der allerdings je nach der Dicke der Schicht, für die er angenommen wird, verschieden ausfällt. Denn eine leichtflüssige dünne Schicht leistet die gleichen Verschiebungen wie eine zähflüssige Schicht von entsprechend größerer Dicke. So findet Schweydar, daß der Zähigkeitskoeffizient größer als 109 sein muß, wenn es sich nur um eine 100 km dicke Schicht handelt, dagegen größer als 1013 oder 1014, wenn diese Schicht 600 km dick ist. Allerdings ist dabei noch die Voraussetzung wesentlich, daß es sich um eine zusammenhängende, die ganze Erde umkleidende Schicht handelt. Abgeschlossene kleinere Partien des Erdkörpers könnten erheblich flüssiger sein.

     Einen weiteren Versuch, die Zähigkeit der Erde zu ermitteln, hat Schweydar 1919 in seiner Untersuchung über die Polbewegung [62] gemacht. Er berechnete nämlich rückwärts, wie die Polschwankungen ausfallen müßten, wenn der halbe Zähigkeitskoeffizient der Erde die Werte 1011, 1014, 1016, 1018 hätte, und fand, daß bei den ersten beiden Werten überhaupt nur eine etwa 80jährige Periode der Polbewegung auftreten kann. Erst bei den größeren Werten tritt an deren Stelle eine kurze Periode von 470 bis 370 Tagen, also von der Art der wirklich vorhandenen. Natürlich kommt es auch hier wieder darauf an, wie dick man die zähflüssige Schicht annimmt. Betrachtet man die ganze Erde als gleichmäßig| zähflüssig, so tritt die kleine Periode erst bei dem Wert 1018 auf, dagegen bei 1013, wenn nur die Schicht zwischen 120 und 600 km Tiefe als zähflüssig vorausgesetzt wird. Da die Rechnung nur für konstante Dichte im Erdkörper ausgeführt werden konnte, kann das Resultat nur als eine erste Orientierung betrachtet werden. Bei späterer Gelegenheit hat Schweydar einmal den Wert 1019 benutzt unter der Annahme, daß nur die Schicht zwischen 100 und 1600 km Tiefe fluid ist.

     Schweydar ist ein Verfechter der hohen Werte für die Zähigkeit. Dennoch kommt er selbst zu dem Ergebnis: „Immerhin muß es als möglich bezeichnet werden, daß die Kontinente unter der Einwirkung der Polfluchtkraft eine nach dem Äquator gerichtete Verschiebung erleiden“ [40]. Über diese Polfluchtkraft und die Rechnung, die zu diesem Ergebnis führt, wird später das Nötige gesagt werden.

     Noch höhere Werte des Zähigkeitskoeffizienten, nämlich 1021 in der Schicht, wo er am kleinsten ist, hat Jeffreys [53] angenommen. Soweit mir bekannt, ist dies die extremste Annahme.

     Andererseits erheben sich aber in neuester Zeit Stimmen, die gerade erstaunlich kleine Zähigkeitskoeffizienten, wenn auch nur in einer relativ dünnen Schicht, annehmen. So geht Meyermann [64, 65] von der auf astronomischem Wege neuerdings nachgewiesenen Tatsache einer Ungleichförmigkeit der Erdrotation aus: „1700 z. B. befand sich jeder Punkt der Erdoberfläche etwa 15 Sekunden östlich, 1800 etwa ebensoviel westlich, 1900 etwa 10 Sekunden östlich und 1924 über 20 Sekunden westlich des ihm auf einer gleichmäßig rotierenden Erde zukommenden Ortes. Da es ausgeschlossen ist, daß die Erde als ganze derartige Schwankungen ausführt, sehe ich in diesen einen Beweis dafür, daß die Erdkruste gegenüber dem Kern eine Westdrift besitzt… Wächst die Reibung, so wird die Westdrift geringer… Nimmt die Reibung ab, so bewegt sich umgekehrt die Erdoberfläche gegenüber der hypothetischen Erde nach Westen.“ Sowohl in den Elementen des Erdmagnetismus wie auch in der Schwankung der Tageslänge trete eine Periode von 270 Jahren auf; hieraus schließt Meyermann auf einen vollen Umlauf der Kruste in der erstaunlich kurzen Zeit von 270 Jahren und kommt demgemäß, wenn die Fluidität auf eine Zone von 10 km Dicke beschränkt ist, auf einen Reibungskoeffizienten in dieser Schicht von nur etwa 103 (21 mal dickflüssiger als Glycerin bei 0°). Es muß aber vorläufig dahingestellt bleiben, ob seine Deutung| der Erscheinungen überhaupt zutrifft. In dieser Hinsicht ist eine Arbeit von Schuler [66] beachtenswert, in der gezeigt wird, daß bei Verstärkung der polaren Inlandeiskappen durch die hierbei erzeugte Annäherung der Massen an die Rotationsachse nach dem Satze von der Erhaltung des Rotationsmoments eine merkliche Beschleunigung der Erddrehung bewirkt werden muß, und umgekehrt eine Verlangsamung bei Abschmelzung der Eismassen, wobei wieder ein Massentransport zum Äquator, also von der Achse fort, vor sich geht.

     Die Frage nach der Zähigkeit der unter den Kontinentalschollen gelegenen Schichten hängt eng zusammen mit derjenigen, ob die Temperatur dieser Schichten den Schmelzpunkt überschreitet oder nicht. Obwohl es wahrscheinlich ist, daß das geschmolzene Magma bei sehr hohem Druck auch sehr hohe Zähigkeit haben kann und sich daher wie festes Material verhält - die Erscheinungen bei so hohen Drucken sind ja unbekannt -, so neigen doch alle Autoren, die für eine schmelzflüssige Schicht eintreten, zu der Annahme, daß die Zähigkeit in dieser Schicht hinreichend klein ist, um große Verschiebungen, ja Strömungen, zu gestatten. Und gerade für diese Frage haben sich durch die Berücksichtigung des Radiums ganz neue Gesichtspunkte ergeben.

     In Abb. 15 ist eine von v. Wolff herrührende Darstellung des Temperaturverlaufs in den obersten 120 km der Erdrinde gegeben, wie er sich unter verschiedenen Annahmen über den Radiumgehalt der Kruste berechnen läßt (Kurven a bis e). Außerdem sind aber noch zwei Schmelzkurven S und A eingetragen. Je nach dem Material, das man annimmt, bekommt man auch hier verschiedene Kurven. S gibt die niedrigsten denkbaren Schmelztemperaturen für die verschiedenen Tiefen. Wie aus der Krümmung der Temperaturkurven und der Neigung der Schmelzkurven hervorgeht, gibt es in etwa 60 bis 100 km Tiefe eine optimale Region für Schmelzung, und es ist also möglich, daß hier eine geschmolzene Schicht zwischen zwei kristallinischen eingebettet ist.

     Es liegt nahe, zu fragen, ob nicht die Erdbebenforschung über diese Frage Aufschluß geben kann. Leider ist dies nicht der Fall; sie könnte es dann, wenn geschmolzen soviel wie leichtflüssig bedeutete, denn in einem leichtflüssigen Medium können sich keine Transversalwellen, wie es die zweiten Vorläufer sind, fortpflanzen. Man nimmt aber heute meist an, daß dasjenige Material, was über den Schmelzpunkt temperiert und also geschmolzen ist, sich| in einem amorphen, glasartigen, also festen Zustand befindet. Einen kleinen Fingerzeig liefert aber die Erdbebenforschung doch. Es läßt sich nämlich zeigen, daß unter den wahrscheinlichsten Annahmen über die Dichte des Materials sein elastischer Widerstand gegen Formveränderungen, der sonst allgemein mit der Tiefe wächst, bei etwa 70 km Tiefe eine Unterbrechung dieses Wachstums, vielleicht sogar eine vorübergehende Schwächung erfährt. Und dies wird, z. B. von Gutenberg [104], so ausgelegt, daß wahrscheinlich in dieser Tiefe der kristalline Zustand von dem amorphen glasartigen abgelöst wird. Und wenn letzterer auch für die kurzdauernden Kräfte der Erdbebenwellen als fest zu betrachten ist, so ist es doch nicht unwahrscheinlich, daß er Kräften gegenüber, die durch geologische Zeiten wirken, einen beträchtlichen Grad von Fluidität aufweist.

Abb. 15.

Temperaturverlauf (a bis e) und Schmelztemperaturen (S und A) bis 120 km Tiefe, nach v. Wolff.

     Auch gewisse geologische Tatsachen erfordern in diesem Zusammenhang Beachtung. Die seltsamen großen „Granitaufschmelzungen“, wie sie z. B. von Cloos [103] aus Südafrika beschrieben sind, zeigen, daß die Schmelzisotherme des Granits in gewissen erdgeschichtlichen Perioden stellenweise bis dicht unter die Erdoberfläche vorgedrungen ist. Um so mehr müssen also damals die Tiefen von 60 bis 100 km geschmolzen gewesen sein. Die Isothermenflächen haben eben in der Erde keine feste Lage, sondern variieren sowohl| zeitlich wie räumlich. Joly [56] sieht die Erklärung hierfür in dem Umstand, daß unter den Kontinentalschollen infolge der übermäßigen radioaktiven Wärmeproduktion die Temperatur beständig im Steigen ist, bis diese Schollen infolge der Schmelzung flott werden und sich über kühlere Teile der Erdkugel, vormalige Tiefseegebiete, hinüberschieben. In der Tat spricht für diese Deutung sehr die Tatsache, daß die geothermische Tiefenstufe in Europa im Mittel 31,7 m, in Nordamerika aber im Mittel 41,8 m beträgt. Dieser neuerdings viel diskutierte merkwürdige Unterschied besagt ja, daß das Erdinnere unter Nordamerika kühler ist als unter Europa. Daly meint wohl mit Recht: „Eine ausreichende Erklärung hierfür kann man in dem vergleichsweise rezenten Hinweggleiten Nordamerikas über die gesunkene Kruste des ehemals größeren pazifischen Beckens finden“ [67].

     An dieser Stelle wären natürlich auch diejenigen Autoren zu nennen, welche die Erscheinungen in der obersten Erdrinde auf „Unterströmungen“ zurückführen, wie Ampferer [68], Schwinner [69] u. a. Nach Ampferer hätten Unterströmungen Amerika nach Westen entführt, und Schwinner nimmt in der flüssigen Schicht infolge ungleicher Wärmeabgabe Konvektionsströmungen an, welche die Kruste mitschleppen und da, wo die Bewegung nach unten umbiegt, zusammenschieben. Im Zusammenhang mit der übermäßigen radioaktiven Wärmeerzeugung in den Kontinentalschollen macht auch Kirsch [70] ausgedehnten Gebrauch von derartigen thermisch verursachten Konvektionsströmungen in der flüssigen Schicht. Er nimmt an, daß unter der ehemals zusammenhängenden Kontinentalscholle eine übermäßige Wärmeproduktion stattfand (Granitaufschmelzungen in Südafrika!) und zu einer Zirkulationsbewegung der flüssigen Unterlage führte, indem diese überall nach außen gegen die Tiefseebecken abströmte, hier infolge stärkeren Wärmeentzuges sich abwärts bewegte und mitten unter dem Kontinentalgebiet aufstieg. Durch die Reibung wurde dabei schließlich die Kontinentaldecke zerrissen und vom Strome nach allen Seiten auseinandergeführt. Kirsch kommt hier zu erstaunlich großen Strömungsgeschwindigkeiten und entsprechend kleinen Werten der Zähigkeit in der Schmelzschicht.

     Alle diese Arbeiten zeigen jedenfalls das eine, daß wir heute in bezug auf den Zähigkeitskoeffizienten des Erdinnern und namentlich der einzelnen Erdschichten nicht dogmatisch sein dürfen; wir wissen noch gar nichts über ihn. Schweydars Ergebnisse sind aus dem| Grunde nicht ausschlaggebend, weil sie nicht die Möglichkeit einer unzusammenhängenden, relativ leichtflüssigen Schicht ausschließen, und natürlich auch nichts darüber aussagen, ob es in gewissen Perioden der Vorzeit eine solche relativ leichtflüssige, zusammenhängende Schicht gegeben haben kann. Sie sind aber von großem Werte deshalb, weil sie auch bei Ablehnung einer leichtflüssigen Schicht doch auf Zähigkeitswerte führen, die Kontinentverschiebungen zulassen. Die Möglichkeit der letzteren hängt also nicht davon ab, ob diejenigen Autoren Recht behalten, die neuerdings für die wenigstens regionale und zeitweise Existenz einer leichtflüssigen Unterlage der Kontinentalschollen eingetreten sind.

     Nach dem Vorangehenden erübrigt es sich, festzustellen, daß die Verschiebungstheorie mit den Ergebnissen der Geophysik in bester Übereinstimmung steht. Bildet sie doch hier den Ausgangspunkt für eine große Zahl aussichtsreicher neuer Forschungen, die schon jetzt zu wichtigen Ergebnissen geführt haben, wenn sich auch viele Einzelheiten erst in der Zukunft ganz klären werden.

     Es ließen sich noch manche anderen Beobachtungstatsachen auf dem Gebiet der Geophysik anführen, die direkt oder indirekt die Verschiebungstheorie zu stützen geeignet wären. Es ist indessen im Rahmen dieses Buches nicht möglich, auf den verschiedenartigen, hier zu besprechenden Gebieten Vollständigkeit zu erreichen oder auch nur anzustreben. Einige dieser Tatsachen werden noch in späteren Kapiteln zur Sprache kommen.



  1. Bei diesen Zahlen ist die Ausmessung der Ozeane durch Kossinna [29] zugrunde gelegt. Unsere Figuren sind noch nach den älteren wenig abweichenden Werten bei Krümmel [30] und Trabert [31] entworfen.
  2. Unter Zugrundelegung der Prattschen Theorie war man zu größeren Werten der Schollendicke (100 bis 120 km) gekommen, während die Airysche Theorie praktisch das gleiche Ergebnis liefert wie die Erdbebenforschung. Dies spricht für den auch sonst anerkannten Vorzug der Airyschen Theorie.
  3. Gutenberg will, meines Erachtens mit Unrecht, in dem Ergebnis für den Atlantik einen Widerspruch gegen die Verschiebungstheorie sehen, worauf in Kap. 11 zurückgekommen werden wird.
  4. Diese Einteilung geht schon auf Robert Bunsen zurück der die nichtsedimentären Gesteine in „normal trachytische“ (kieselsäurereiche) und „normal pyroxenitische“ (basische) einteilte. Suess erfand jedoch die bequemen Namen.


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