Die Eierspiele der Osterzeit

Textdaten
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Autor: Alexander Tille
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Titel: Die Eierspiele der Osterzeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 188–189
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Eierspiele der Osterzeit.

Von Alexander Tille.0 Mit Zeichnungen von O. Herrfurth.

Die armen Ostereier! Wie schön wäre ihr Los, wenn sie Frieden hätten, sobald sie von den kleinen Händen gefunden, von kleinen Augen rundum beguckt und von kleinen Lippen ein paarmal „versuchsweise“ berührt worden sind! Es ist ja wahr, ihre Schalen haben durch das Sieden in Salzwasser sicher an Festigkeit gewonnen – aber etwa nur deswegen, damit man ihnen nun desto ärger mitspielen könne? Am schwersten ist ihr Los ohne Widerrede in denjenigen Gegenden, in denen das Eierschlagen üblich ist. Und dies sind leider sehr viele. Wenn man in der Schweiz mit den Eiern „dupft“, in Böhmen „tupft“, in Schwaben „bickt“, in Blamingen „tippt“ oder „tikkt“ und anderwärts „spickt“, „kippt“, „klippt“, so bedeutet dies allerorts dieselbe Fertigkeit, dieselbe schwer zu erlernende Kunst, die schon so manchen reich und schon so manchen arm an – Ostereiern gemacht hat.

Zur Kinderleidenschaft ist das Eierschlagen in Thüringen geworden, wo auf den Dörfern jeder Knabe den andern, sobald er ihn erblickt, anruft: „Komm schlagen! Willst Du? Nicht? Meins ist gar nicht sehr hart, Ich will Dir eins borgen“ – u. s. f., bis sich der andere endlich erweichen läßt. Ihren Gipfel erreicht die Eierschlagesucht jedoch in den deutschen Ostseeprovinzen.

Eierschlagen.

Kaum ist Mittag vorüber, so ziehen hier am Ostermontag Knaben, Burschen, ja sogar ältere Männer und selbst Weißbärte durch die Straßen, sie mustern sich wechselseitig mit prüfenden Blicken und suchen vor allem in das Dunkel der strotzenden Taschen der anderen vorzudringen. Ein siegesgewisser Eierschläger klappert laut mit dem Inhalt seiner Tasche. Ein anderer will zeigen, daß er ihm durchaus nichts nachgebe, und beginnt ebenfalls mit seinen Schätzen zu klappern. Jetzt bleiben beide etwas zurück. Sie gehen langsamer und bleiben endlich stehen. Um sie her sammelt sich sofort eine Menge Schaulustiger. Verwundert sehen sie sich um, und jeder versichert einen guten Freund, der gerade dabei steht, sie hätten nicht die mindeste Lust, bereits so früh mit dem Schlagen zu beginnen. Indessen holt der eine doch ein dunkelrot gefärbtes Ei hervor und „pickert“ bald mit dem einen, bald mit dem anderen Ende desselben an die Vorderzähne, um aus dem Tone, den es giebt, die Stärke seiner Wölbung zu erlauschen. Es genügt ihm nicht; er steckt es wieder ein; mit einem anderen folgt dieselbe Probe: endlich hat er eins gefunden. Freudig flüstert er seinem Nachbar zu, das werde ihm keiner einschlagen – nicht mit einem stählernen! Alles reckt die Köpfe. Sein Gegner wirft ihm ob seiner Prahlerei einen verächtlichen Blick zu. Aber auch er kann sich nicht mehr halten. Ein Griff in die Tasche, und mit raschem Rucke hält er, ohne erst lange zu wählen, dem anderen ein Ei hin, das er fast ganz mit der schützenden Hand verdeckt, so daß kaum ein Endchen hervorragt. Und jener? Der denkt nicht daran, zuzuschlagen, sondern froh, den Gegner gereizt zu haben, fragt er scheinbar ganz kühl, was er eigentlich von ihm wolle. Nicht als ob das sein Ernst wäre, aber er hält es für vorteilhafter, selbst sein Ei hinzuhalten und den anderen schlagen zu lassen; denn, meint er, das ruhig gehaltene Ei sei immer das widerstandsfähigere. Ueber derartige grundlegende Fragen sind die Meinungen sehr geteilt, aber sein Gegner steht zufällig auf demselben Standpunkt, und so möchte keiner dem anderen den Vorteil überlassen. So stehen sie, und der zweite hält immer noch sein Ei hin, starr den Blick darauf geheftet. Da endlich entschließt sich der erste zum Schlage. Er schlägt – sein eigenes Ei bricht ein. Natürlich hat er das voraus gewußt; denn der Schlagende ist ja immer im Nachteil.

Das „Waleien“.

In Thüringen wäre das eingeschlagene Ei unwiderruflich verloren. In den Ostseeprovinzen ist es nicht so. Hat doch ein Ei zwei Spitzen, und ehe nicht auch die andere eingeschlagen ist, bekommt der Gegner das Ei nicht. Der Sieger möchte gern auch diesen Schlag vollbringen. Aber dem anderen scheint dessen Ei verdächtig. Er bittet es sich zur Probe aus, „pickert“ einen Augenblick damit und giebt es freudestrahlend zurück, denn er glaubt, einen Fehler daran entdeckt zu haben. Betroffen zögert nun der andere einen Augenblick. Aber schon hält ihm der Gegner sein Ei hin. Er schlägt und gewinnt auch diesmal. Der andere möchte das verlorene Ei wiedergewinnen und besteht auf der Fortsetzung des Kampfes. Jeder Verlust regt ihn mehr auf. Die Umstehenden verfehlen nicht, zu hetzen, zu sticheln und auf Ungehörigkeiten des Gegners aufmerksam zu machen. Eine wahre Eierschlagwut entwickelt sich. Die Zuschauer beteiligen sich gleichfalls am Schlagen, eine Menge kleiner Gruppen bildet sich, ganze Straßen und Plätze sind von Eierschlagenden gesperrt. „Halt! Halt!“ „Schlag zu! Schlag zu!“ tönt es alle Augenblicke aus dem Gedränge. Hier und da entstehen [189] Streitigkeiten, die andere zu schlichten versuchen.

Das Eierklauben.

Da es keineswegs nur auf den Bau der Eier, sondern ebensogut auch auf die Stärke und Richtung des Schlagens ankommt, so werden bald einzelne, die es zu einer besonderen Geschicklichkeit gebracht haben, zu kleinen Eierkönigen. Man fragt sie um Rat, man leiht Eier bei ihnen, macht ihnen Vorwürfe, wenn diese eingeschlagen werden, und weigert sich, schlechte Ware zurückzuzahlen. Und es soll nicht selten vorkommen, daß man zuletzt auf den Rücken statt auf ein Ei schlägt.

*  *  *

„Ein jeglich Land hat seine Sitt’,
Die seinem Landvolk folget mit,“

sagte schon vor 600 Jahren Hugo von Trimberg, und als gelehrter Schulmeister von Bamberg mußte er es wissen. So weitverbreitet nun der Brauch ist, daß am Osterfest Eier in den Vordergrund treten, so verschieden sind die Spiele, die man mit ihnen anstellt. Neben dem Eierschlagen, das sich wohl der weitesten Beliebtheit erfreut, steht im Osten des deutschen Kulturgebiets das Eierrollen, oder, wie es in der Lausitz heißt, das „Waleien“.

In der Niederlausitz bildet es eine Volksbelustigung in größerem Maßstab. Es ist allerdings schon sehr im Schwinden, und nur hier und da wird es noch gespielt. Ein sanft abfallender Platz ist die unerläßliche Vorbedingung für das Spiel, das im Freien vor sich geht. Bereits am Ostersonnabend wird hier mittels Schnur und Hacke ein gleichschenkliges Dreieck abgemessen und eingezeichnet. Seine Spitze liegt auf der Höhe, seine Grundlinie an der tieferen Seite. Der Boden, den die Seiten des Dreiecks einschließen, wird sorgsam geglättet, und man wacht eifersüchtig darüber, daß keinerlei Verschiebung vorkommt. Am ersten Ostertag wird alles sorgfältig noch einmal nachgeprüft, Mütter und Schwestern haben zugleich daheim eifrig zu thun, denn es gilt, für jeden Burschen eine genügende Menge haltbarer und deutlich gezeichneter Eier hartzusieden. Auch Bräute verwenden große Sorgfalt darauf, denn ihre Gaben sind glückbringend. Ganz regelmäßig gebaute, rundliche oder längliche oder sich stark verjüngende Eier werden ausgesucht, damit der Spieler für jeden vorkommenden Fall ein besonders geeignetes Stück zur Hand habe. Mittags beginnt das Spiel.

Der angesehenste Bursche, dem die Herstellung des Dreiecks anvertraut war, setzt seinen Fuß an dessen Spitze, und oberhalb desselben setzt jeder von denen, die sich beteiligen wollen, ein gezeichnetes Ei hin. Es gilt zunächst, die Reihenfolge zu bestimmen, in der gespielt wird. Derjenige beginnt, dessen Ei nach dem Abrollen auf der Grundlinie am weitesten nach links liegt. Die Burschen kennen die Kunstgriffe und wählen sämtlich sich stark verjüngende Eier, deren Spitzen nach links weisen. Und doch läuft manches der äußersten rechten Ecke zu. Der erste Aerger!

Erst jetzt, nachdem sich die Zieleier selbst verteilt haben, beginnt das eigentliche „Waleien“ in der „Welt“ oder „Walei“, wie das Dreieck benannt wird. Der Besitzer des unten am weitesten links liegenden Eies beginnt ein weiteres hinunterlaufen zu lassen. Trifft er eines der Zieleier, so gehört das getroffene ihm und er darf weiter rollen, fehlt er, so ist auch hier das gerollte Ei verloren. Während sich auf beiden Seiten die Zuschauer dicht herandrängen und es an Scherz und Spott nicht fehlen lassen, verfolgt der, welcher eben an der Reihe ist, sein Ei bis zu seiner Ankunft unten mit Körperbewegungen, gleich als ob er dadurch auf den Verlauf seiner Bahn Einfluß ausüben könnte. Geschicklichkeit, Stärke des Stoßes und kluge Wahl vermögen viel zum sicheren Treffen beizutragen, aber doch nicht alles; denn die kleinsten Unebenheiten vermögen ein wohlgezieltes Ei aus seiner Bahn zu bringen, und nicht einmal der Liebeszauber erweist sich in allen Fällen als wirksam.

Auf das Spiel folgt ein gemeinsamer Trunk im Wirtshaus, da sonnen sich dann die Sieger in ihrem Ruhme und die Besiegten haben Gelegenheit, ihren Aerger hinunterzuspülen.

*  *  *

Wo noch im Volke der Trieb zu Wettbewerb in körperlicher Leistungsfähigkeit vorhanden ist, da giebt es auch in der Osterzeit ein Spiel, bei dem sich Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit zeigen können. Es ist das „Eierlaufen“ oder „Eierlesen“. In Süd- und Westdeutschland ist es heimisch und auch in Tirol wird es vielfach geübt.

In Zams am Inn nennt man es „Eierklauben“, und hier steht es in so engem Zusammenhang mit der Osterfeier des gesamten Landvolkes der Umgegend, daß es sich wohl lohnt, einmal einen Blick darauf zu werfen.

Im Sonntagsstaat, jeder mit einem großen Korbe bewaffnet, gehen die zwei schnellfüßigsten Burschen der Gemeinde vom Gründonnerstag an von Gehöft zu Gehöft und bitten alle Bäuerinnen um Eier, denn zur Ausführung des Spieles sind nach alter Ueberlieferung nicht weniger als einhundertfünfundsiebzig Stück nötig, und es gelingt ihnen immer, dieselben zusammenzubringen.

Am Nachmittag des ersten Ostertages zieht das Volk scharenweise hinaus nach dem Pfade, der den Schauplatz des Wettlaufes bildet.

Im Angesicht der Menge, die sich selbst belustigt, werden die 175 Eier vom Korbe aus in Abständen von fünf Fuß längs des Pfades niedergelegt, und zwar so, daß auf zehn allemal ein gefärbtes kommt. Dann treten die beiden auserkorenen Wettläufer an dem Korbende an und laufen, während alles mit gespannter Aufmerksamkeit zuschaut, einigemal längs der Eierkette hin. Plötzlich stürzt sich der eine in die Volksmenge, die bei seinem Einbrechen Platz macht, und ist nach einer halben Minute verschwunden. Indessen giebt es für den anderen reichliche Arbeit. Er muß sämtliche Eier einzeln auflesen und in den auf seinem Platze verbleibenden Korb tragen und bei jedem einzelnen den Weg um sämtliche Eier beschreiben. Die Strecke wird aber nicht etwa bei Wegnahme jedes Eies kleiner, da der Läufer bei dem ersten, dem Korbe zunächst liegenden Ei beginnen und so fort immer das jeweils dem Korbe nächstliegende Ei aufnehmen muß.

Unterdessen muß der andere über die Zamser Brücke nach Lötz, Perjen, über die Pürschler Brücke nach Landeck und von da wieder zurück nach Zams zum Eierkorbe laufen, ein Weg, der eine gute Stunde beträgt.

Wer zuerst seine Aufgabe vollendet, ist Sieger.

An das „Eierklauben“ schließt sich dann noch eine kleine Stegreifaufführung, bei welcher alle Ereignisse in der Gemeinde, alle schlechten Witze, Thorheiten und heimlichen Liebschaften zur Sprache kommen, und das Ganze endet mit einem höchst feierlichen Festessen, welches in der Dorfschenke aus den Eiern des Spieles und aus anderweit gelieferten Eßwaren, als da sind Speck, Wurst, Kuchen, hergerichtet wird und bei welchem der Sieger die Hauptrolle spielt.