Die Drosseln und der Heerd
Schon an sonnigen Februartagen dringt zu des Wanderers Ohr ein tiefer sanftflötender Gesang in andächtigem Andante vom Walde her. Mancher mag diese ansprechende Weise mit dem wehmüthigen Anhauche wohl öfters hören, ohne die Urheberin derselben je zu sehen oder zu kennen. Heimlich versteckt im Dämmer eines Fichten- oder Buchendickichts, sitzt der mohrenschwarze Vogel mit dem goldgelben Schnabel und den gleichfarbigen Augenrändern. Wer sollte es meinen, daß diese äußerst scheue, vorsichtige Waldeinsiedlerin, unsere Schwarzdrossel oder Amsel, gerade der populärste, zutraulichste Stubenvogel werden könnte! Vermöge seiner vielseitigen Gelehrigkeit hat er sich jedoch, wie der Staar, jenes Bürgerrecht in der menschlichen Wohnung erworben. Aber [766] weniger im Salon des Reichen, als vielmehr in der Kammer des Armen finden wir ihn: er ist ein Vogel des Volkes: Früh im März, aus dem Neste als ein Thierchen genommen, aus dessen Kielen schon die Fähnchen stoßen, und anfangs an der Ofenwärme gehalten, hilft ihm die einfachste Kost, in Wasser oder Milch eingeweichte und wieder ausgedrückte Semmel, sogar Brod, empor; obgleich ihn frische oder alte eingequollene Ameiseneier, zuweilen gesottenes Ei und gekochtes Rinderherz zu einem viel kräftigeren und schöneren Vogel heranbilden. Die dunklere Farbe und gewisse schwer zu beschreibende andere Kennzeichen unterscheiden Brüder und Schwestern schon im Neste, so daß der Kenner nie alle Jungen den sorglichen Eltern nimmt. Ist der Pflegling flügge geworden und schickt er sich an, allein zu fressen, so beginnt seine Lehrzeit.
In stiller Kammer und an einem Orte, der keinen Blick in’s belebte Freie gestattet, hängt der Lehrmeister nun das Gebauer mit dem Lehrlinge und pfeift ihm die Weise, am besten eine faßliche Volksmelodie vor, anfangs nur in der Abenddämmerung, wenn der Vogel ruhig auf einer Stange sitzt. Nach und nach wählt man die Morgen- und Mittagsstunden zur Lehrzeit und wahrt überhaupt im Vorpfeifen eine gewisse Ordnung und die Regel, den Vogel nie zu ermüden. Ein einmaliger Vortrag, der mit musikalischem Verständniß den Charakter des Liedes wiedergiebt, genügt für jede Lection, welcher eine kleine Vorbereitung und Ermunterung mittels freundlicher Ansprache an den Vogel vorausgeht. Bei der Wahl der Melodie braucht auf den Umfang und die Lage derselben nicht so ängstlich geachtet zu werden, wie z. B. bei dem Blutfinken, weil die Schwarzamsel ein viel umfassenderes Stimmorgan besitzt, als der Dompfaffe. Triller und Läufe giebt die Amsel deutlicher, runder und gewandter wieder, als sie ihr von dem menschlichen Munde oder der Spieldose vorgetragen werden. Es liegt eine erquickende Tiefe und Frische in allen Tönen, die an die Wiege des Vogels, die Waldnatur, lebhaft gemahnen und mit ihrer Urkraft sich durch alle Stubenpflege hindurch wunderbar erhalten. Streng zu beobachten ist beim Vorpfeifen, daß man das Lied stets aus derselben Tonart, nöthigenfalls unter Controle der Stimmgabel, und regelmäßig von Anfang bis zu Ende vorträgt, auch während des Vortrags nicht die geringste körperliche Bewegung macht. Des Zöglings Aufmerksamkeit soll sich einzig und allein auf das musikalische Gehör concentriren. Von vortrefflicher Wirkung ist deshalb ein öfteres Vorpfeifen von einer dem Auge des Vogels verborgenen Stelle, etwa von einer benachbarten Kammer, aus, oder vom Vorplatz zur Thür her.
Dergestalt eine Zeit lang in der Schule, übt der Zögling sich in der Stille anfangs ganz leise, allmählich lauter und bestimmter ein, bis eines Tages sich einzelne Partien und endlich das ganze Lied aus dem Chaos von Gezwitscher und Tönen heraushebt. Nun muß nur noch in den Morgen- und Abendstunden täglich nachgeholfen werden, bis die Melodie dem Vogel ganz geläufig geworden. Von jetzt ab ist keine Schule mehr nöthig, verderblich aber jedes Nachhelfen etwa da, wo der Vogel in der Weise aus irgend einem Grunde aufhören sollte. Ist der Vogel gelehrig und talentvoll, so wird das Erlernte fest in seinem Gedächtnisse haften; ist er ein Stümper, so bringt ihn der beste Lehrmeister zu keinem deutlichen ununterbrochenen Vortrage. – Ein zu beobachtender Zeitabschnitt ist noch die Mauser. Hier schweigt der Vogel und vergißt mitunter Stellen seines Liedes. Nach einer jeden Federung ist deshalb eine kleine musikalische Repetition ebenso rathsam, wie während der Mauser ein Verwahren des Vogels vor Zugluft und Darreichung kräftiger Nahrung geboten.
Eine zweite Lehrweise ist die, die junge Amsel zu einer schlagenden Nachtigall zu hängen. Hier lernt sie oft überraschend ganze Touren der Meistersängerin wiedergeben, und es ist diese Lehrmethode bei manchen Vogelhändlern im Schwung. Wir selbst haben eine solche treffliche Nachahmerin durch die Schule unserer besten Nachtigall geführt, leider aber die Talentvolle nicht lange besessen. Eine zweite Künstlerin der Art fesselte uns einst in einer Straße Frankfurts a. M. durch die wundervolle Wiedergabe einiger Nachtigallenstrophen.
Vielfach das Gegentheil der Amsel als Stubenvogel ist unsere liederreiche, Echo weckende Singdrossel, die Königin des Waldgesangs. Wir entwerfen ihr Bild deshalb mehr in einzelnen Lichtpunkten aus der Wildniß heraus, in der sie leibt und lebt und eigentlich allein gehört zu werden verdient. Etwas später als die Amsel, aber oft schon im März fängt sie ihren Nestbau an. Dieser ist ein wahres Kunstwerk und seine Erbauerin bei dessen Herrichtung noch lange nicht aufmerksam genug beobachtet worden. Wir heben dies Baugeschäft ausführlicher hervor, so wie wir es dem scheuen Vogel mühsam abgemerkt haben.
Mit dürrem quergelegtem Gezweige bildet – so viel wir bis jetzt beobachten konnten – das Drosselweibchen als alleinige Nestbereiterin eine rostartige Grundlage; dann erfolgt ein zwei Zoll hoher Aufsatz von Ast- und Laubmoosen. Auf dies Fundament errichtet der Vogel nun allmählich die Wand, welche er zur größeren Festigkeit mit Grashalmen und Haidewurzeln, bei der zweiten Brut auch mit Strohhalmen, durchflechtet. Bei dieser Arbeit dreht sich der Vogel, inmitten des Baues sitzend, zur Controle der Dimensionen und regelmäßigen Formbildung des Nestes abwechselnd im Kreise, wobei ihm sein eigener Körper, namentlich die Partie vom Knie bis zur Schnabelwurzel, zur Richtschnur dient. Als einen Cirkelschenkel gebraucht er den Hals und greift mit dem senkrecht nach unten gerichteten Schnabel bei jedem Anbau eines Büschels Material wie mit einem Haken über die Wandungen, diese zwischen Schnabel, Brust und Hals klemmend und zurecht rückend. Will sich eine Partie Baustoff in die Form nicht fügen, so wird sie, vorher mit dem Schnabel gehörig verarbeitet, mittels Speichels in die Wandung geklebt oder an einen Zweig befestigt. So entsteht um den Vogel herum allmählich eine über halbkugeltiefe Wölbung, welche an dem oberen Rande[WS 1] etwas dichter und breiter verflochten wird. Mit diesem innerhalb weniger Tage entstandenen Aufbau ist das äußere Nestgerüste errichtet. Jetzt geht der Vogel an die Herstellung des Innern. Um diese Zeit sondern die Speicheldrüsen des Mundes den zähesten Speichel ab, denn man sieht diesen während des Baugeschäfts zuweilen in Fäden sich vom Schnabel des Vogels ziehen. Mit dem letzteren werden jetzt aus altem Kuh- und Pferdemist und zarten Blättchen faulen Holzes kleine Partien mit Speichel zu einem Kitt verarbeitet, der vom Mittelpunkte des Nestbodens aus in einer dünnen Lage allmählich auf dem Außengerüste aufgeklebt und bis nahe unter den oberen Rand des Nestes fortgeführt wird. Die sehr glatte Verkittung erhärtet schnell zu einer festen und dauerhaften Schutzmauer für die junge Brut gegen die rauhe Aprilluft.
Das Hervortretendste an der Singdrossel ist ihr Gesang. Es ist die Seele unserer Waldungen. In sprechender, recitativischer Weise hallt er im Gebirge wieder und mischt sich in das Frühlingswehen und Rauschen der Quellen wunderbar erfrischend für das Ohr. Erstaunend abwechselnd sind die Strophen des Schlags; ja die Sängerin ringt oft im Sprudel seiner Touren wie nach neuen Formen. Gleich der Nachtigall halten wir in solchen Augenblicken auch die Singdrossel fähig zu neuer musikalischer Erfindung. Für die Stube ist dieser Schlag viel zu stark. Will man den Vogel im Käfige halten, so gehört derselbe vor das Fenster, woselbst er in Städten ganze Straßen belebt. Außer dem lauten Gesange besitzt die Drossel noch ein angenehmes Gezwitscher, das uns im Winter manche Stunde bei der Stubenarbeit verkürzt. – Während die Amsel mit ihren kurzen runden Flügeln nur äußerst selten über Baumeshöhe, gewöhnlich tief an der Erde hin von einem Dickicht zum andern huscht, zeigt sich die Singdrossel, als die Flinkste unter ihren Verwandten, öfters im Lichten, streicht nicht selten auch über größere freie Strecken, auf Blößen und an Bachufern hin und her, Kerbthiere und deren Larven, Würmer, Strauch- und Baumbeeren aller Art suchend. In großen Sprüngen sieht man sie mit ihrer schwarzen Schwester Abends und Morgens an Waldrändern und verborgenen Waldwiesen, besonders nach warmem Regen, Regenwürmer erbeutend. Im Herbst wie einige Zeit nach dem „Wiederzug“ im Frühjahr gestaltet sich ihr seitheriges Sommerleben um. Im October schlägt sie sich mit Ihresgleichen und auch wohl mit nördlicheren Weindrosseln zu Flügen zusammen und zehntet mit dieser zuweilen nicht unbeträchtlich die Weinberge. Aber die Edle verfällt leider in der Gesellschaft dieser Gefräßigen mit dem saftigen Wildpret, aber dem stümperhaften Gesange nur zu oft auf den verderblichen „Dohnensteigen“ dem Henkertode, sowie dem Fang auf dem Heerde; obgleich der deutsche Vogelfänger oft Mitleid mit der lieben „Zippe“ hat und die unter das Garn Gerathene wieder fliegen läßt.
Der eigentliche Fang auf den Heerden beginnt erst Ende [767] November bis in den Winter hinein mit dem „Strich“ der Wachholderdrossel oder des Krammetsvogels. Dieser hauptsächlich in den Birkenwaldungen des nördlichen Europas gesellig nistende Zugvogel verbreitet sich auf seiner Herbst- und Frühjahrswanderung auch über unser Deutschland und „fällt“ gern auf hoch und einsam gelegenen Wachholderwüstungen der Gebirge „an“. Wegen seines aromatischen Wildprets ist er, nebst der großen Misteldrossel, im Handel sehr willkommen, und kommen beide – im Gegensatze zu den kleineren Drosseln oder „Halbvögeln“ – als „Ganzvögel“, wovon vier auf einen „Spieß“ gehen, zu Markte.
Man unterscheidet einfache und doppelte Heerde. Der einfache ist der bei dem Fang auf der Tränke schon beschriebene. Der gewöhnlich gebräuchliche Krammetsvogelheerd oder der „doppelte Strauchheerd“ ist im Wesentlichen nichts Anderes, als der schon bekannte einfache, in zweifacher Gestalt derart angebracht, daß beide Schlagwände durch einen Ruck der gemeinschaftlichen Zug- oder Ruckleine gegeneinander zusammenschlagen und so eine etwa einen Fuß erhöhte Fläche von fünfzehn bis zwanzig Fuß Länge und acht bis zwölf Fuß Breite bedecken. Zum besseren Verständnisse diene statt weitläufiger Beschreibung eine Zeichnung.
In aa′bc erkennt der geehrte Leser die ihm beschriebene Einrichtung des Schlaggarns wieder, und in der Vorrichtung zz′z′′ eine einfache Vereinigung der beiden Zugleinen rechts und links beim Punkte p der Hütte (H) des Vogelfängers, woselbst durch einen starken Ruck bei H die beiden Schlagwände (a′a′) in einem Bogen gegeneinander geschnellt werden. Gut ist es, wenn bei cc Curveln oder Curven in der Erde angebracht sind, worin sich die „Sprenkel“ oder „Schlagstäbe“ (a′c) besser bewegen als an bloßen Pflöcken.
An guten Lockvögeln ist viel, beinahe Alles gelegen. Diese dürfen keine aufgezogenen Vögel, sondern müssen Wildfänge sein. Ihnen widmet der Vogelsteller alle Aufmerksamkeit, pflegt sie in einer besondern kalten Kammer und gewöhnt sie nach und nach an die sogenannten „Fesseln“. Dieselben bestehen bei sorgsamen Vogelstellern in einem halbfingerdicken Riemen weichen Leders, welcher zwei Paar Längsschnitte hat. In das innere Paar werden vom Rücken aus die Flügel bis an das Ende der Knochen am Schulterblatt gesteckt, in das äußere Paar kommen die Füße mit den Schenkeln, so daß beide Riemenenden zwischen den letzteren am Bauche zusammengeheftet werden können. Mittels eines Drahtkettchens oder eines starken Bindfadens fesselt man die Lockvögel bei vv auf dem Heerd an, auf welchen schwache Wachholderreiser gesteckt und Wachholderbeeren ausgestreut werden. Durch einen feinen Bindfaden, den man von den Fesseln aus zur Hütte leitet, kann man einen und den andern dieser Vögel auch zu einem „Ruhrvogel“ umgestalten, welcher, durch einen Ruck am Bindfaden „angeregt“, zu flattern beginnt und hierdurch die vorüberstreichenden Wachholderdrosseln ebenfalls anlockt.
Inmitten der in die Erde halb versenkten und mit dichtem Wachholdergeflechte oder Rasenstücken überwölbten Hütte hockt der Waldbruder an kalten nebligen Morgen am „Lugloch“. Mit Indianersinnen erwartet er die ersten Locktöne „Schaschaschaschack“ anziehender Krammetsvögel, die entweder mit seiner „Klutter“ oder einem Blättchen von Rohr im Munde oder durch die mit Wachholderreisern „verblendeten“ Lockvögel herbeigelockt werden. Entweder künstlich in der Nähe des Heerdes aufgerichtete „Fallbäume“, oder besser natürlich gewachsene einzelstehende Waldbäume laden die Drosseln, die den Locktönen folgen, ein, auf den Aesten zu „fußen“ und alsbald auf den Heerd zu den angefesselten Lock- oder Ruhrvögeln zu fallen. Interessant ist die Spannung in den Gesichtszügen des in der Hütte Lauernden beim Anrücken eines starken Drosselzuges, interessant und komisch, wie sich die Leidenschaft des Naturmenschen drastisch in Wort und Bewegung endlich entfesselt, wenn der Zug wie an Schnüren von den Fallbäumen auf den Heerd fällt und nun durch einen Ruck gedeckt wird, von welchem das Männchen oft rückwärts vom Sitze in die Hütte kollert. O glücklicher Vogelsteller mit deiner kindlichen Hingabe an den Augenblick, wie bist du zu beneiden! –
- ↑ S. Nr. 8, 1867.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Rade