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Autor: Valerius
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Titel: Die Civilehe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 774–778
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[774]
Die Civilehe.
Ein Blick in ihre Vergangenheit – zur Beherzigung für die Gegenwart.

Unbemerkt, ohne festlichen Jubel ist an uns ein Tag vorübergeflogen, dem unter den vielen gefeierten Gedenktagen ein rühmlicher Platz gebührt hätte. Dreihundert Jahre sind bereits verflossen, seitdem die Staaten der niederländischen Provinzen Holland und Westfriesland (1. April 1580) die Civilehe auf gesetzlichem Wege eingeführt hatten, um mit dem System der Ungerechtigkeit zu brechen und der Toleranz die Wege zu ebnen. Für uns bedarf es freilich dieser Veranlassung nicht, um über [775] die Civilehe zu sprechen. Wir haben zwar seit fünf Jahren das Reichscivilstandgesetz; wir haben es zum Heil und Segen des Volkes, aber fast scheint es, als ob wir um dasselbe noch ringen müßten; denn mit seltener Kühnheit laufen die Feinde der Duldung gegen dasselbe Sturm; denn die bunt zusammengewürfelte Reaction führt eine Sprache, die zu dem Zweifel berechtigt, ob bei uns zu Lande wirklich die Civilehe eine bereits abgeschlossene Thatsache bildet.

So benutzen wir die Gelegenheit, die sich uns doppelt darbietet, um rückwärts in die Geschichte zu schauen und von ihr, der Lehrmeisterin der Völker, zu erfahren, ob es wirklich wahr ist, daß durch die bürgerliche Eheschließung die Moral des Volkes gefährdet wird, ob es erwünscht ist, zu dem alten System der Trauung umzukehren.




In einer wilden Orgie schritt das siegestrunkene Rom auf der weltgeschichtlichen Bühne seinem Untergange entgegen. Wie die altbewährte Rechtlichkeit in dem öffentlichen Wesen, so ging auch die Sittenreinheit in der Familie verloren, und bevor noch die schamlose Wollust der Imperatoren das eheliche Leben in Rom um die letzten Reste von Ehrbarkeit gebracht, hat schon Julius Cäsar im Senate beantragt, es solle den Römern gestattet sein, in Bigamie zu leben! So rang die heidnische Welt mit dem Tode. Da trat das Christenthum auf und brachte der Menschheit das allein richtige Princip der Ehe und des Familienlebens; es verkündete durch den Mund der Apostel: „Die Männer sollen ihre Weiber lieben als ihre eigenen Leiber; denn wer sein Weib liebt, liebt sich selbst“; es lehrte: „Weder der Mann ohne das Weib, noch das Weib ohne den Mann sind in dem Herrn“; an die Stelle des äußeren Bandes der heidnischen Ehe setzte es das innere Band der Liebe. Bevor aber seine Forderung erfüllt, bevor die christlichen Ehen Gemeingut der Christen wurden, vergingen Jahrhunderte. Denn die sinnliche Verworfenheit der heidnischen Welt erweckte in den ersten christlichen Gemeinden eine leicht erklärliche Verachtung der irdischen Güter und Genüsse, welche aber die naturgemäßen Schranken überfluthete und die Kirche auf verhängnißvolle Bahnen leitete. „Derjenige, den Engel im Himmel anbeten, verlangt auch Engel auf Erden“, schrieb Hieronymus, und Augustinus lehrte. „Nur derjenige ist vollkommen, der geistig und leiblich von der Welt geschieden ist“. In solchem asketischen Streben entstand das Gelübde der Keuschheit, und die Ehe selbst wurde als etwas Unsittliches und Unheiliges betrachtet, der Cölibat dagegen als „die Nachahmung der Engel“ gepriesen. Da aber auch damals die Ehe „schon der Erhaltung des Menschengeschlechts wegen“ als ein nothwendiges Uebel geduldet werden mußte, so sah sich die siegende Kirche genöthigt, „dieses durch die sündhafte Natur des Menschen herbeigeführte Verhältniß“ zu heiligen, und so begründete sie die Lehre vom heiligen Sacrament der Ehe.

Durch eine lange Reihe von überspannten, frömmelnden Vorschriften wurde das eheliche Leben normirt, und die Maßlosigkeit, mit welcher die Päpste vorgingen, offenbarte sich am deutlichsten in den kirchlichen Ehehindernissen. Schießlich wurde die Ehe bis auf den siebenten Grad der Verwandtschaft und Schwägerschaft verboten. Dies erzeugte aber eine solche sittliche Entartung, vornehmlich in kleineren Orten, wo man sich gar nicht mehr heirathen konnte, daß sich die Kirche selbst veranlaßt sah, schon auf dem vierten Lateranischen Concil (1216) das Eheverbot auf den vierten Grad canonischer Verwandtschaftsberechnung zu beschränken.

In der ganzen Christenheit bestanden im Mittelalter die peinlichen Vorschriften der römischen Kirche zu Recht; mit Hülfe des Pöbels zwang Gregor der Siebente die Priester zum Cölibat; die Ehe der Laien ward zu einer kirchlichen Institution. Wie war es nun zu jenen Zeiten um die Sittlichkeit bestellt? Es verlohnt sich wahrlich bei den unausgesetzten Angriffen auf die „sittenverderbende“ moderne liberale Gesetzgebung diese Frage zu beantworten.

Der sittliche Zustand der durch den Cölibat „geheiligten“ Priester blieb nach wie vor ein entarteter, schaudererregender, und die Laien selbst wünschten feste eheliche Verbindungen der Priester, um vor der Verführung ihrer Weiber und Töchter gesichert zu sein.

Vielleicht aber bot die Ehe der Laien, die nach den peinlichsten Vorschriften des Canons geregelte Ehe des Mittelalters, das sittliche Ideal, zu dem wir Kinder des angeschwärzten, gott- und sittenlosen Jahrhunderts zurückkehren sollten?

Wohl klingen aus jenen alten Zeiten die Lieder der Minnesänger märchenhaft zu uns herüber. Damals gelangte ja das weibliche Geschlecht zu einer Achtung und Verehrung, wie sie solche noch nie in der Welt genossen. Merkwürdig! Nachdem die Kirchenväter erklärt hatten, daß das Weib nicht das Ebenbild Gottes sei, und während die Canones der Frau in der Ehe den Platz einer Dienerin des Mannes anwiesen, trug die Verehrung der heiligen Jungfrau Maria, des zugleich göttlichen und menschlichen Weibes, der Beschützerin der Pilger, Städte und Länder, der man Kirchen und Capellen erbaute, so unendlich viel zur Anbetung der Frauen bei! Der Ritter lieh seinen gewappneten Arm nicht allein der Ewigreinen, sondern auch dem ganzen Frauengeschlechte und der Erkorenen seine Minne dazu, die sinnlich reine, vertrauensvolle Anbetung. Aber neben dieser Minne, welche in gewisser Hinsicht eine Reaction gegen die kirchlichen Begriffe der Ehe bildete, machte sich auch die sinnliche Seite geltend, und „der Ritter gab sich bald mit den kindischen gage d’amour sans fin (Liedesbetheurung ohne Ende) nicht zufrieden. Voll Ungeduld strebte er nach der zärtlichen Umarmung seiner Dame“. Diese freien Wahlumarmungen wurden derart zur Sitte, daß es selbst als Verletzung weiblicher Ehre galt, gäbe sich die Frau ihrem Geliebten nicht hin. Und so kam es, daß die Gräfin von Champagne einen Streit entschied:

„Ich will sprechen zu Recht und bestätigen mit beständigen Worten, daß keine rechte Liebe noch Minne sein möge zwischen zwei vermählten Eheleuten.“

Unsittlichkeit neben dem Cölibate, Liebe außer der Ehe, sie wucherten gar üppig, als das stürmische Jahrhundert der Reformation herannahte.

Nicht an uns liegt die Schuld, daß wir diese Zerrbilder aus der staubigen Kammer der Geschichte an’s Tageslicht bringen müssen. Die heutigen verleumderischen Angriffe gegen die Civilehe richten sich nicht etwa gegen einen todten Buchstaben; sie treffen alle freisinnigen Wähler, welche den Männern im Reichstage zur Einführung der Civilehe die Vollmacht ertheilt hatten – und um uns zu vertheidigen, rufen wir dem Volke, vor welchem wir angeschwärzt werden, laut zu: Das dort war die Sittlichkeit jener Zeit, in welcher die unumschränkte Herrschaft der kirchlichen Ehegesetzgebung den Zenith ihrer Macht erreichte!

Da, in die geknechtete Menschheit hinein, erscholl der zündende Ruf des Wittenberger Mönches, der auch das widernatürliche Dogma von der sündhaften Ehe über den Haufen warf. Indem Luther gegen den Cölibat ankämpfte, erklärte er im Gegensatz zu der päpstlichen Lehre, der Ehestand sei heilig und nach der Religion der „fürnehmste Stand auf Erden“. Begeistert rief er aus:

„Was soll’s doch sein, daß man die Ehe verbeut und verdammt, die doch natürlichen Rechtes ist? gleich als ob man verbieten wollte essen, trinken, schlafen. Das sei ferne, denn was Gott geschaffen und geordnet hat, das steht nicht in unserer Willkür, daß wir es ändern oder verbieten möchten.“ Dabei aber drang in der ersten Zeit der Reformation die Anschauung durch, daß die Ehe „ein weltliches Ding sei“, und der Württembergische Reformator Brentz lehrte: „der Eelich Contract, gleich wie sonst andere weltliche contract möcht auch wol auff den Rathsheusern oder andern gemeinen offenlichen, ehrlichen und burgerlichen orten verrichtet werden.“

In dem Streit mit der römischen Lehre stellte sich Luther auf den Boden des ursprünglichen Christenthums, nach welchem die Ehe allein durch Einwilligung der beiden Parteien als geschlossen und gültig erachtet wurde, und diese Meinung haben auch die meisten protestantischen Theologen des sechszehnten Jahrhunderts angenommen. Denn das Wittenberger Consistorium entschied gegen eine Klage, daß es unter den Leuten „sehr gemein einreißen wolle“ und die Verlobten vor der Trauung zusammenzögen und lebten, es sei nicht empfehlenswerth dagegen mit Strafmaßregeln einzuschreiten, „sintemal nach beschehener Verlöbniß zwischen jenen eine rechte Ehe ist und sie wie Eheleute zu halten.“ Aus diesem Grunde wurde auch von den Lehrern der Reformation der kirchlichen Trauung gar keine andere rechtliche Function zugeschrieben, als daß durch sie eine schon bestehende, vollgültig geschlossene, rechtlich durchaus wirksame Ehe lediglich öffentlich bestätigt werde. Ja, sie sprachen sogar von der kirchlichen Trauung als von einer Forderung des Staates, der sich die Kirche nicht entziehen [776] dürfte: „Solches alles und dergleichen laß ich Herrn und Rath schaffen und machen, wie sie wollen; es gehet mich nichts an. Aber so man begehret, für den Kirchen oder in den Kirchen sie zu segnen, über sie zu beten, oder sie auch zu trauen, sind wir schuldig dasselbe zu thun.“ (Luther.)

Während also die römische Kirche, ihren auf Weltherrschaft und die Unterordnung des Staates abzielenden Plänen gemäß, allein durch dogmatische Vorschriften die Ehegesetzgebung regeln wollte, brachte die Reformation ein neues Princip in das Leben der Völker hinein; an die Stelle der uniformen kirchlichen Gesetzgebung über die Ehe sollte nunmehr eine staatliche treten, welche die gegebenen Verhältnisse jedes einzelnen Landes berücksichtigte.

Kaum war aber die protestantische Kirche zu äußerer Macht gelangt, so wurde sie sogleich ihren ursprünglichen Principien der Freiheit und Duldung untreu, und schonungslos verfolgte auch sie alle Andersdenkenden. Dieses schreiende Unrecht, welches in den katholischen Staaten die Protestanten und in den protestantischen die Katholiken und Dissidenten erleiden mußten, drängte die weltliche Macht zur radicalen Lösung der Frage, nöthigte die Staaten, die ihren Bürgern gleichen Schutz gewähren sollten, zur Emancipation der Ehegesetzgebung von dem einseitigen intoleranten Einflusse der Kirchen.

Zum ersten Male erfolgte die gesetzliche Einführung der Civilehe schon im sechszehnten Jahrhundert. Nach der Unabhängigkeitserklärung der Niederlande hatte in den ehemaligen spanischen Provinzen die protestantische Kirche festen Fuß gefaßt; ihre Macht bekundete sie aber sogleich durch die Verfolgung der Katholiken. Katholiken und Dissidenten wurden genöthigt, ihre Taufen und Trauungen durch reformirte Geistliche vollziehen zu lassen.

Da erhoben sich die Staaten der Provinzen Holland und Westfriesland und führten am 1. April 1580 die facultative Civilehe in der Weise ein, daß allen Holländern und Westfriesen verstattet wurde, bürgerliche Ehen zu schließen. Es ist ihnen nicht gelungen, den Hauptconfessionen gleiche Rechte zu verleihen, der Trauung der Katholiken und Dissidenten vor ihren eigenen geistlichen bürgerliche Rechtswirkung einzugestehen, aber sie betraten den allein richtigen Weg der Emancipation des Staates von der kirchlichen Oberherrschaft. Am 18. März 1656 wurde diese Ehe-Ordnung auf die ganzen Niederlande ausgedehnt, und sie wich erst im Anfange dieses Jahrhunderts der obligatorischen Civilehe, welche bis auf den heutigen Tag in dem Königreiche der Niederlande zu Recht besteht.

Verwickelter waren die Verhältnisse, welche in England zur Einführung der Civilehe Veranlassung gaben. Als im siebenzehnten Jahrhundert die Ideen des Protestantismus dorthin gedrungen waren, führten sie zu der englischen Revolution, welche auf dem religiösen Gebiete jedes an die katholischen und englisch-hochkirchlichen Traditionen erinnernde Kirchenwesen zu beseitigen suchte. Durch das Gesetz vom 24. August 1653 fiel die kirchliche Eheschließung, und an ihrer Stelle wurde die obligatorische Civilehe eingeführt.

Belehrend ist es, über dieses Thema einen Mann zu hören, der durch seine geistige Bedeutsamkeit einen großen Antheil an den revolutionären Bestrebungen gewonnen. Milton, der Dichter des „verlorenen Paradieses“, schrieb über die Bedeutung der kirchlichen Trauung: „Die Geistlichen behaupteten – – , eine Ehe ohne ihren Segen sei unheilig, und stempelten dieselbe zum Sacramente. Und doch ist die Ehe eine bürgerliche Anordnung, ein häuslicher Vertrag, ein Ding, unterschiedlos und frei für das ganze Menschengeschlecht, nicht soweit es einer bestimmten Religion angehört, sondern Menschenqualität besitzt. Am besten freilich ist die Ehe abzuschließen mit gottesfürchtigem Zweck und, wie der Apostel sagt, in dem Herrn; aber darum ist sie nicht ungültig oder unheilig ohne einen Geistlichen und seine angeblich nothwendige Einsegnung, ebenso wenig wie eine andere Unternehmung oder ein anderer Vorgang des bürgerlichen Lebens, welche doch alle auch im Herrn und zu seinem Preise vorgenommen werden sollen. Unsere Geistlichen leugneten die Sacramentalität der Ehe und behielten doch die kirchliche Einsegnung bei, bis das letzte Parlament klug die bürgerliche Freiheit der Ehe ihrer Anmaßung abstritt und die Eheschließung und Registrirung aus dem kirchlichen Kramladen der natürlichen Competenz der bürgerlichen Behörden übertrug.“

Aber die Reaction gegen dieses Gesetz, welche sich in den Ausdrücken gefiel: „Die goldenen Zeiten sind zurückgekehrt; der neuen Regierung gelten hängen und heirathen als naheverwandt; derselbe Richter amtirt bei beiden“ – diese Reaction war im Volke so stark, daß nach der Restauration der Stuarts das verhaßte Gesetz bald verschwunden war. Im Jahre 1753 ging man sogar so weit, daß man den Katholiken und Dissidenten vorschrieb, ihre Ehen durch einen anglikanischen Geistlichen vollziehen zu lassen. Erst im Jahre 1836 wurde, dank den Bemühungen Robert Peel’s, auf Antrag Lord Russell’s die facultative Civilehe für alle Engländer eingeführt und hierdurch dem Uebel Abhülfe gethan. Dieses Gesetz hatte jedoch auf Schottland und Irland keine Anwendung gefunden, wiewohl es im Interesse Englands gewesen wäre, wenn man diese Ehegesetzgebung auch auf die anderen Theile des vereinigten Königreichs ausgedehnt hätte.

Die schottischen Ehen sind weit und breit bekannt. In Schottland ist zur Schließung einer Ehe bis heute noch nichts weiter, als die gegenseitige Willensübereinstimmung der beiden Parteien nothwendig. Es bestehen zwar nach schottischem Rechte die kirchliche Trauung und öffentliche Aufgebote, deren Unterlassung nur mit einer geringen Strafe bedroht wird, aber das Volk[1] kümmert sich wenig um diese Vorschriften, sondern benutzt sie vielmehr, um die kirchliche Trauung zu umgehen. Vor dem Friedensrichter erscheinen Paare, welche in allerdings verwerflicher Weise erklären, daß sie von einem Geistlichen, den sie nicht nennen wollen, getraut worden, bezahlen die geringe Strafe von einer halben Guinea bis fünf Schillinge und erhalten auf diese Weise einen rechtsgültigen Beweis der geschlossenen Ehe. So hat der Schotte in Wirklichkeit ein merkwürdiges Institut der Civilehe, wiewohl es in den Gesetzen mit keiner Silbe erwähnt wird. Dieses schottische Recht gefährdete geradezu die Sittlichkeit des benachbarten Englands.

In dem Lande der bürgerlichen Freiheit und der Oeffentlichkeit aller Staatshandlungen wucherte in früheren Zeiten das Uebel der heimlichen Ehe. Verschuldete Geistliche fristeten ihr Leben durch derartige kirchliche Handlungen, welche den Liebenden es möglich machten, gegen den Willen ihrer Familien in den Ehestand zu treten. Es wurde damit auf den Straßen Reclame getrieben, und selbst in Wirthshäusern fand man eigene Geistliche, welche die fröhlich Zechenden sofort zu verheirathen bereit waren. Als durch das Gesetz von 1753 diesem Unfug auf Albions Boden ein Ende gemacht wurde, da zogen die Paare nach dem benachbarten Schottland, wo die Ehe mit der größten Leichtigkeit rechtsgültig abgeschlossen werden konnte. Ein kleiner, an der englisch-schottischen Grenze gelegener Ort, Gretna-Green, war von ihnen besonders bevorzugt worden. Die Paare erschienen vor dem Schmiede, der zugleich Friedensrichter war, und sprachen dort ihren Eheconsens aus. (Vergl. „Gartenlaube“ 1872, S. 414.) Es ereignete sich sogar, daß die drei höchsten Beamten der englischen Krone, welche gleichzeitig des Amtes walteten, sich vor dem Schmiede verheirathet hatten. Erst im Jahre 1856 wurde das englische Recht dahin abgeändert, daß die schottischen Ehen nur dann gültig sein sollten, wenn die Brautleute sich schon 21 Tage vorher in Schottland aufgehalten hatten.

So sehen wir auch das englische Volk in einer Reformbewegung begriffen, welche schließlich zur Einführung der obligatorischen Civilehe führen muß.

In dem katholischen Frankreich war die Lösung der Frage einfacher gewesen; nicht darum etwa, weil das Schwert der Revolution den Knoten durchhieb, sondern weil die Rechtsverhältnisse von vornherein sich eigenthümlich zu Gunsten des Staates gestalteten. Der französische Clerus und die französische Regierung erkannten zwar nach den Beschlüssen des Tridentiner Concils die Ehe als Sacrament an; sie erklärten aber, daß die Consenserklärung der Brautleute einen Vertrag bilde, der erst durch den Segen des Priesters zum Sacrament werde. Die Verträge aber mußten der staatlichen Gesetzgebung unterworfen bleiben, und so beanspruchte die Regierung für sich eine weitgehende Gerichtsbarkeit in Ehesachen.

Diesen Grundsätzen entsprach auch die für die Protestanten Frankreichs bestimmte Trau-Ordnung vom 16. Juni 1685, der gemäß sie verpflichtet werden sollten, ihre Aufgebote durch königliche Behörden verkünden zu lassen und ihre Ehen vor einem bestimmten evangelischen Geistlichen in Gegenwart eines Justizbeamten einzugehen. Aber unmittelbar hierauf begann die wüthende Protestantenverfolgung, während der es in Frankreich officiell nur katholische Trauungen gab. Die Protestanten leisteten diesen Staatsgesetzen Widerstand. In Wäldern, Höhlen und Klüften

[777]

Eine „schottische Civiltrauung“ in Gretna Green. Von Prof. H. Kretschmer.
Nach einer Photographie aus dem Verlage der „Photographischen Gesellschaft“ in Berlin.

[778] sammelten die evangelischen Prediger, denen das Land verboten war, ihre Gemeinden, und dort segneten sie Ehen ein, die sogenannten Einöde-Ehen, welche vor dem Staate keine Geltung hatten. Man übergab diese Geistlichen dem Henker; die also verheiratheten protestantischen Männer wurden zu lebenslänglichen Galeeren verurtheilt, die Frauen in’s Gefängniß geworfen. Aber die rohe Gewalt führte nur zu einer unerhörten Zerrüttung aller bürgerlichen Verhältnisse; der Zwang bewirkte, daß schon im Jahr 1752 1,600,000 Personen keinen Civilstand mehr besaßen.

Europa bot wirklich ein trauriges Bild des ehelichen Lebens. Hier knechtete man Protestanten, dort wurde Katholiken dasselbe Loos zu Theil; hier und dort verweigerte man Menschen den häuslichen Herd zu begründen, der, von den Gesetzen beschützt, das natürliche Band zwischen Eltern und Kindern noch enger schließt, und alles dies geschah der Grille wegen, die kirchliche Trauformel zu einer staatlichen Vorschrift zu machen! Aber in diesem Augiasstalle des buntscheckigen hierarchischen Despotismus sollte bald gründlich aufgeräumt werden.

Trotz des himmelschreienden Unrechts und der steten Zunahme des Uebels wurde von der französischen Geistlichkeit keine Aenderung der Gesetze zugelassen, man schlug vielmehr vor, die Ketzer zur Auswanderung aufzufordern, damit der katholische Charakter des Staates aufrecht erhalten würde. Sturmdrohend nahte inzwischen die Zeit der Revolution heran, die Proclamirung der Menschenrechte in der neuen und alten Welt fordernd. Unter dem Druck der freiheitlichen Ideen erließ am 28. November 1787 Ludwig der Sechszehnte ein Edict, welches die Duldung der Protestanten aussprach und ihnen gestattete, nach freier Wahl entweder vor dem katholischen Pfarrer oder vor dem königlichen Richter die Ehe zu schließen. Später erklärte die Constitution von 1791: „das Gesetz betrachtet die Ehe lediglich als bürgerlichen Contract“, und am 20. September 1792 wurde das Gesetz über die Civilehe publicirt. Diese Norm ging auch in den Code Napoleon über und wurde vom Staatsrath Portalis mit folgenden denkwürdigen Worten motivirt:

„Der Ehevertrag ist die Grundlage der menschlichen Ordnung, und es ist daher ein wesentliches Recht eines jeden Staates, die Bedingungen desselben festzusetzen. Wir verkennen nicht, daß die Ehe eine Beziehung zur Religion habe, welche sie moralisch leitet und durch ihr Sakrament segnet. Aber daraus folgt nicht die Gerichtsbarkeit der Kirche, sonst müßte man der Kirche das Recht zugestehen, Alles zu regieren, da die Moral sich auf alle menschlichen Handlungen erstreckt. Wir würden dadurch die alten Irrthümer erneuern, welche die Beziehung aller Handlungen auf das Gewissen benutzten, um darauf die Herrschaft der Kirche zu begründen.“ Vor diesem Gesetze beugte sich die römische Kirche.

Artikel 54 des Concordats zwischen Papst Pius dem Siebenten und Napoleon besagte: „Die Pfarrer werden die Segnung der Ehe nur denen ertheilen, welche sich ausweisen, daß sie die Ehe in der gehörigen Form vor den Beamten des Civilstandes abgeschlossen haben.“

Von Frankreich aus wurde die Civilehe nach Rheinpreußen, Rheinhessen und Rheinbaiern gebracht. Aber ehe Frankreich diese praktisch durchgeführt hat, offenbarte sich schon früher dasselbe aus der naturgemäßen Culturentwickelung hervorgehende Streben in Deutschland. Kein geringerer Mann war es, als Kaiser Joseph der Zweite, welcher in seinem Ehepatente von 1785 die Ehe für einen bürgerlichen Contract erklärte. Aber in den bald darauf folgenden Kriegsjahren war der Sinn für derartige Reformen abhanden gekommen, bis später die Frage wiederum durch zahllose Conflicte in den Vordergrund gedrängt wurde.

Mit der politischen Umwälzung brachte das Jahr 1848 auch eine kirchliche, und aus den Berathungen der Grundrechte in der Frankfurter Nationalversammlung ging auch die obligatorische Civilehe hervor. Freilich wurde sie durch die bald hereingebrochene Reaction nach Friedberg’s „Geschichte der Civilehe“ „sorgsam ausgemerzt“. Nur in Oldenburg erhielt sich die facultative und in Frankfurt am Main und Baden die obligatorische Civilehe. In der preußischen revidirten Verfassung von 1851 wurde dagegen festgesetzt: „Die Einführung der Civilehe erfolgt nach Maßgabe eines besonderen Gesetzes, was (!) auch die Führung der Civilstandsregister regelt.“ Aber trotz dieser Verheißung hatte es mit der Einführung der Civilehe keine Eile. Erst als in der Ehescheidungsfrage eine Reihe von Conflicten zwischen Staat und Kirche entstand, die in Trauungsweigerung von Seiten der Geistlichkeit ihren Ausdruck fanden, glaubte die Regierung, mit der facultativen Civilehe nicht länger zögern zu dürfen, und legte den Kammern (1859) zwei Gesetzentwürfe vor, die an dem Widerstande des Herrenhauses scheiterten.

Inzwischen lebten die deutschen Dissidenten, deren Confessionen staatlich nicht anerkannt waren, in Verbindungen, die nach den Landesgesetzen nur als Concubinate gelten mußten; im Jahre 1861 allein wurden im Regierungsbezirke von Liegnitz 144 und in dem von Breslau sogar 540 derartige Ehen geschlossen.

In dieser Zeit hatten fast alle andern deutschen Staaten die Civilehe angenommen. Da trat auch für Preußen die große Wendung in der kirchlichen Politik ein, und das Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 gab schließlich seit dem 1. Januar 1876 allen deutschen Bürgern die zum Heil und Segen des Volkes in Kraft bestehende obligatorische Civilehe.

In allen diesen Staaten, und wir könnten ihre Reihe, wenn wir Raum genug hätten, noch erheblich erweitern, bildete die Civilehe keineswegs den Ausfluß revolutionärer Frivolität und leichtfertiger Freidenkerei, sondern sie war ein nothwendiges Gebot der Gerechtigkeit, welche der Staat den Anmaßungen der Kirche gegenüber seinen Unterthanen gewähren mußte. Man speculirt wahrlich auf die Unwissenheit der Massen, wenn man die Civilehe als ein entsittlichendes Moment mit scheinheiliger Miene verleumdet; sie entstand ja gerade aus dem Streben nach einer höheren Sittlichkeitsstufe; sie ist das wohlthuende Mittel, unter dessen Wirkung die klaffenden Wunden, welche die widerstreitenden, intoleranten Kirchen den Völkern geschlagen haben, sich wieder schließen.

Die sittlichen Momente des Eherechts, welche die mittelalterliche Kirche eingeführt, sind überdies principiell von der Staatsgesetzgebung aufgenommen worden. Sie verbietet Niemandem, seine Ehe durch einen religiösen Actus zu heiligen; sie verleiht nur den gleichen Schutz Jedem ohne Unterschied des Standes und Glaubens, und sie ist dafür keineswegs zu verdammen, daß sie Eheschließung auch ohne den priesterlichen Segen gestattet. Denn nicht durch die äußere Form wird der Bund der Herzen geheiligt, sondern allein durch den Geist der Zucht und Sitte, in welchem er geschlossen wird.

Aber unsere Aufgabe ist es nicht, in dem Tagesstreite der politischen Parteien mitzureden. Eines nur müssen wir hervorheben. Ausgesetzt den kirchlichen Uebergriffen, welche die Freiheit bedrohen, und bestürmt von den socialistischen Umsturzplänen, welche das Eigenthum und die Familie leugnen, darf der moderne Staat nicht einfach tolerant sein, sondern den Principien der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung gemäß muß er feste Dämme aufwerfen, an denen der Uebermuth der extremen Parteien gebrochen wird; seine Pflicht ist es, das Heiligthum der Gesellschaft, die auf der Ehe begründete Familie ebenso gegen die Angriffe socialistischer Schwärmer zu schützen, wie auch niemals zu gestatten, daß die Ehe zum Werkzeuge der Machtgelüste irgend welcher hierarchischer Corporation herabsinke.
Valerius.


  1. Vorlage: „Völk“