Textdaten
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Autor: Valerius
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Titel: Die Cholera-Gefahr
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 500, 502
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Cholera-Gefahr.


Schon war der schwarze Tod, die Pest, welche durch Jahrhunderte die Länder entvölkert hatte, in Europa erloschen und auch im fernen Osten lag ihre verheerende Macht in letzten Zügen. Da erhob an den Ufern des heiligen Ganges eine neue Hydra ihr furchtbares Haupt; eine ruhrartige Krankheit begann in Ostindien zu wüthen und „befiel so viele Menschen und tödtete so viele von ihnen“, daß sie nach dem Ausspruche des altrömischen Arztes Galen den Namen einer Pest verdiente! Im Mai des Jahres 1817 erschien sie an einem Arm des Gangesdelta, und von hier unternahm sie ihre Verheerungszüge durch ganz Ostindien, bald den schiffbaren Stromläufen, bald den Verkehrsstraßen folgend. Sie herrschte, stieg und fiel während aller Zeiten des Jahres, weder Kälte noch Wärme, weder Dürre noch unaufhörlicher Regen übten einen Einfluß auf ihre Entwickelung – sie spottete aller Abwehrmittel der Menschen. Seit jenem Jahre blieb sie heimisch in Ostindien.

Es war die Cholera, welche von hier aus Asien, Afrika und Europa in späteren Jahrzehnten bedrohen und selbst nach Amerika ihre tödtlichen Boten entsenden sollte. Schon 1823 hatte sie die Küsten des mittelländischen und kaspischen Meeres erreicht, hemmte aber plötzlich ihren Lauf, sodaß damals die europäischen Länder von ihr noch verschont blieben. Einige Jahre später 1829 erschien sie jedoch unerbittlich vor den Thoren des europäischen Rußlands in der Uralveste Orenburg, 1830 nistete sie sich in dem kaspischen Hafen von Astrachan fest und drang von hier über Rußland und Polen nach Deutschland und dem übrigen Europa ein.

Auf diese erste große Cholera-Epidemie, welche bis zum Jahre 1837 wüthete, folgten neue in den Zeiträumen von 1846 bis 1863 und 1865 bis 1875, abgesehen von den kleineren Epidemien, die sich nicht auf Welttheile erstreckten, sondern nur einzelne Länder befielen.

Wer zählt die Opfer, welche die Seuche bis jetzt dahingerafft? Die Statistik schweigt darüber. Wohl aber kennen die Völker ihre verderblichen Folgen, kennen den schlimmsten Feind, den ihnen dieses Jahrhundert brachte!

Zehn Jahre ließ er die europäische Cultur in Frieden, Ein Jahrzehnt schienen die Vorsichtsmaßregeln im Verkehr mit Indien, die sein Eindringen verhüten sollten, wirklich zu nützen. Da kamen plötzlich und unerwartet Hiobsposten aus den Hafenstädten des südlichen Frankreichs. Oefter als sonst ertönte das Sterbeglöcklein in den Straßen Toulons, auf seinen Plätzen loderten Flammen der brennenden Scheiterhaufen – ein altes Schauspiel wiederholte sich in neuen Zeiten, Eine Seuche befiel die Stadt, und die Nachkommen der Gallier kämpften mit den alten Mitteln des Aberglaubens gegen die unsichtbare feindliche Macht. Tausende flohen, denn es unterlag keinem Zweifel, daß die asiatische Cholera in Toulon ausgebrochen und bald hierauf nach Marseille verschleppt worden war. Nur wenige eilten auf die Bresche, um dem gefürchteten Feinde muthig die Stirn zu bieten – einige Aerzte waren es, unter ihnen als Vornehmster unser Robert Koch, der in Ostindien vor Kurzem „dem Gespenst die Larve abgerissen hatte“.

Durch die Nachrichten, welche diese erfahrenen Männer aus dem Süden sandten, wurden die Gemüther in Frankreich und den angrenzenden Ländern beunruhigt, die Regierungen traten zu Berathungen zusammen, ein Treiben und Arbeiten begann, als ob eine Kriegserklärung in Sicht wäre. Man berechnet die Stärke des Feindes, man mustert seine eigenen Kräfte, man sucht die Erfahrungen früherer Feldzüge zu verwerthen, um das eigene Land zu schützen. Und in der That ist die heutige Lage ernst: von Marseille und Toulon, zwei verkehrsreichen Städten, kann sich die Cholera über ganz Europa ausbreiten, und in Anbetracht dieser Thatsache ist jedes Verschweigen der Gefahr durchaus verwerflich. Auch die große Masse des Volkes muß sich mit ihr vertraut machen, denn, wenn die schwere Prüfung über uns ergehen sollte, dann wird Jeder berufen sein, mitzuwirken an der Bekämpfung der Seuche.

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Daß wir gegen die früheren Einfälle der Cholera nicht besonders gut gerüstet waren, weiß wohl Jedermann. Vor Allem fehlte uns die Kenntniß der Ursachen dieser Seuche, und darum fehlte auch allen Unternehmungen gegen dieselbe die nothwendige Klarheit, die Jeden überzeugen würde. Den Abwehrmitteln wurden Hypothesen zu Grunde gelegt, die, von den Einen anerkannt, von den Andern bekämpft, ein einheitliches Vorgehen erschwerten. In dieser wichtigen Hinsicht dürfte heutzutage ein wesentlicher Fortschritt gegen früher zu verzeichnen sein. Der geheimnißvolle Schleier, welcher die Entstehung der Cholera umgab, ist zerrissen, und allmählig beginnen sich die Ansichten zu klären, allmählig wird das schwierige Räthsel, welches Jahrzehnte lang die Forscher beschäftigte, der endgültigen Lösung näher gebracht.

Schon früher vermuthete man, daß die Cholera, ähnlich einigen anderen ansteckenden Krankheiten, durch einen jener kleinen mikroskopischen Organismen erzeugt werde, die in der Luft, im Wasser und in dem Boden verbreitet sind, von denen viele für uns vollständig belanglos sind, von denen eini, wie z. B. der Hefepilz, uns nützlich sein können, und von denen einige wenige zu den fürchterlichsten Feinden des Menschen gehören. Sobald die letzteren in unsern Körper gelangen, vermehren sie sich in demselben in riesigen Verhältnissen, rufen gewaltige Störungen hervor und führen selbst den Tod herbei.

Diese zu den Spaltpilzen gehörenden Wesen sind unendlich klein, viel kleiner als die winzige Trichine, denn 30,000 Millionen dieser Individuen können in dem Raume eines Stecknadelkopfes enthalten sein und wiegen alsdann erst den tausendsten Theil eines Gramms. Wir wissen, daß der Milzbrand, jene ganze Heerden vernichtende und auch Menschen tödtende Seuche, durch derartige Organismen, die sogenannten Milzbrand-Bacterien, hervorgerufen wird, wir wissen auch, daß die Malaria, jenes verderbliche Fieber sumpfiger Gegenden, ähnlichen Pilzen, die in den Sümpfen entstehen, ihren Ursprung verdankt.

Es ist gewiß als eine große wissenschaftliche Errungenschaft zu bezeichnen, daß es dem verdienstvollen deutschen Forscher, Robert Koch, gelungen ist, nachzuweisen, daß die frühere Vermuthung auf Wahrheit beruhte, daß in der That die Cholera durch Einwanderung eines solchen winzigen Pilzes in den menschlichen Körper erzeugt werde. Derselbe, dem der Name Komma-Bacillus beigelegt wurde, sieht einem gekrümmten Stäbchen, einem geschriebenen Komma ähnlich, durch welche Form er sich besonders von seinem geradlinigen Verwandten unterscheidet. Er ist mit [502] Eigenbewegung ausgestattet, und Koch sah ihn in einem Tropfen Nährlösung sich rasch durch das Gesichtsfeld des Mikroskops hin und her bewegen. Zuerst wurde er im Darme Cholerakranker gefunden, dann auch in den Entleerungen derselben.

Von höchster Bedeutung sind einige Aufschlüsse über die Lebensbedingungen des Komma-Bacillus. Die Feuchtigkeit ist sein Lebenselement, die Trockenheit einer seiner größten Feinde. Koch hat gefunden, daß dieser Pilz, dem Eintrocknen ausgesetzt, rascher abstirbt, als kaum eine andere Bacterienart. Gewöhnlich ist schon nach dreistündigem Eintrocknen alles Leben im Komma-Bacillus erloschen. Dagegen wurde die wichtige Beobachtung gemacht, daß in der Wäsche der Cholerakranken, wenn sie mit deren Entleerungen beschmutzt war und während 24 Stunden im feuchten Zustande gehalten wurde, die Cholerabacillen sich in ganz außerordentlicher Weise vermehrten. Dieselbe Erscheinung trat ferner ein, wenn Entleerungen Cholerakranker oder der Darminhalt von Choleraleichen auf feucht gehaltener Oberfläche von Leinwand, Fließpapier oder ganz besonders auf der Oberfläche feuchter Erde ausgebreitet wurden. Nach 24 Stunden hatte sich regelmäßig die ausgebreitete dünne Schleimschicht vollständig in eine dichte Masse von Cholerabacillen verwandelt.

Zu erwähnen wäre schließlich, daß der Cholerabacillus gegen Säuren sehr empfindlich ist, daß schon verhältnißmäßig geringe Mengen derselben sein Leben zerstören. Schon die geringe Menge von Säure, welche sich im gesunden Magen vorfindet, scheint, wie Experimente an Thieren beweisen, zu genügen, um den Komma-Bacillus zu verdauen, oder zu tödten.

Leider können diese wichtigen Entdeckungen Koch’s noch nicht als erschöpfend betrachtet werden. Wir wissen, daß die meisten Bacterien, aus ihrer gewöhnlichen Form in eine andere, in die sogenannte Dauerform übergehen können. So bildet z. B. die Bacterie des Milzbrandes Sporen, die Wochen, Monate, ja Jahre hindurch ihre Lebensfähigkeit behalten und unter günstigen Umständen sich wiederum in Bacterien verwandeln. In dieser Dauerform sind die niedrigen Organismen gegen die äußeren Einflüsse, gegen Hitze, Trockenheit, Säuren etc., viel widerstandsfähiger als sonst. Man nimmt nun an, daß auch der Komma-Bacillus in eine solche Dauerform übergehen könnte, es ist aber bis jetzt nicht gelungen, dieselbe zu finden. Aber die oben mitgetheilten Thatsachen genügen schon, um auf die Art und Weise der Verbreitung der Cholera einiges Licht zu werfen, und sie werden noch durch eine höchst bemerkenswerthe Erfahrung Kochs in Ostindien wesentlich ergänzt.

In der Heimath der Cholera wurden seit langer Zeit kleine Cholera-Epidemien beobachtet, die sich nur auf die nächste Umgebung der sogenannten Tanks erstreckten und darum den Namen Tankepidemien erhielten.

Unter Tanks versteht man nun in Bengalen kleine, von Hütten umgebene Teiche oder Sümpfe, welche den Anwohnern ihren sämmtlichen Wasserbedarf liefern und zu den verschiedensten Zwecken, wie Baden, Waschen und auch zur Entnahme des Trinkwassers benutzt werden. Daß bei so mannigfaltigem Gebrauche das Wasser im Tank stark verunreinigt wird, ist selbstverständlich. Sehr oft kommt aber noch nach dem Berichte der deutschen Cholera-Expedition hinzu, daß Latrinen, wenn Einrichtungen primitivster Art so genannt werden dürfen, sich am Rande des Tanks befinden und ihren Inhalt in den Tank ergießen, und daß überhaupt das Tankufer als Ablagerungsstätte für allen Unrath und insbesondere für menschliche Fäcalien dient. Es lag darum nahe, die oben erwähnten kleinen Epidemien mit der Beschaffenheit des Tankwassers in Verbindung zu bringen.

Als nun in Saheb Bagau, einer der Vorstädte von Calcutta, wiederum eine solche Epidemie ausbrach, begab sich Koch an Ort und Stelle und erfuhr, daß unter Anderem auch die mit Choleradejectionen beschmutzten Kleider des ersten tödtlich verlaufenen Cholerafalles im Tank gereinigt wurden. Das Wasser des Teiches wurde nun zu verschiedenen Zeiten mikroskopisch untersucht, und in den ersten Wasserproben fanden sich Cholerabacillen in ziemlich großer Menge vor. Als die Epidemie dagegen schon im Erlöschen begriffen war, konnten nur noch im Wasser, das einer sehr stark verunreinigten Stelle des Tank entnommen wurde, die Cholerabacillen in nur geringer Anzahl nachgewiesen werden.

So wurde hier durch einen vielleicht verschleppten Cholerafall das Trinkwasser von Saheb Bagau vergiftet und wurde zum Träger und Verbreiter der Epidemie.

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Fassen wir nun diese Thatsachen zusammen, so werden sich für uns folgende Schlüsse ergeben:

Eine große Gefahr der Cholera-Ansteckung liegt in den Entleerungen der Erkrankten, durch welche unsere Gebrauchsgegenstände und Nahrungsmittel verunreinigt werden.

Die Krankheitsträger gelangen durch den Mund und Magen in den Darmcanal und rufen, hier angelangt, die Erscheinungen der Cholera hervor. Ein gesunder Magen schützt den Körper in gewissem Grade vor der Ansteckung, und darum müssen zur Zeit der Epidemie alle für die Verdauung schädlichen Einflüsse vermieden werden, was ja auch der alten Erfahrung aus früheren Epidemien durchaus entspricht.

Da ferner die Bacillen im Stuhl der Cholerakranken nachgewiesen sind, so müssen alle derartigen Entleerungen desinficirt werden. Die Thatsache, daß auf der Oberfläche feuchter Leinwand die Bacillen sich in großer Menge entwickeln, verräth wiederum die Wäsche der Kranken als ein Verschleppungsmittel der Seuche. Auch diese Entdeckung erklärt die früher bekannte Thatsache, daß Wäscherinnen, welche die Wäsche der Cholerakranken zu reinigen hatten, oft von der Cholera befallen wurden. Auch die Wäsche und Kleidungsstücke solcher Patienten müssen daher einer sorgfältigen Desinfection unterworfen werden, bevor mit ihnen irgend welche Manipulationen vorgenommen werden.

Auch Wasser ist als Träger der Krankheit zu bezeichnen, und es empfiehlt sich darum, nicht nur das Trinkwasser, sondern auch alles andere, welches zu den gewöhnlichen häuslichen Verrichtungen gebraucht wird, vor dem Gebrauch zu kochen, während verdächtige Brunnen etc. geschlossen werden müssen.

Der wissenschaftlichen Forschung erwachsen aus den neuen Entdeckungen neue Aufgaben. Sie wird die Natur des gefundenen Krankheitserregers genauer prüfen, sein Verhältniß zu der Beschaffenheit des Bodeus, des Grundwassers etc. näher untersuchen müssen. Daß ihr dies jetzt, nachdem die Ursache der Krankheit erkannt worden ist, leichter gelingen wird, wer wird daran zweiseln?

Doch es würde wenig Nutzen haben, diese Fragen vor dem Laienpublicum zu erörtern.

Die in diesem Artikel gegebenen Andeutungen dürften genügen, um zu beweisen, daß wir heute der Cholera besser gerüstet entgegentreten können, als je in früheren Zeiten. Sollte dieselbe sich gegen alle Erwartung weiter in Europa ausbreiten, so werden die Behörden, von wissenschaftlichen Autoritäten unterstützt, sicher nicht verfehlen, Vorsichts- und Verhaltungsmaßregeln zu veröffentlichen, die alsdann Jeder befolgen muß. Denn nicht allein durch Regierungshandlungen im großen Stile kann diese Seuche bezwungen werden; nur dadurch, daß jeder Einzelne sein Haus zu

einer festen, gesunden Burg gestalte, wird der Sieg des menschlichen Verstandes über den unsichtbaren tückischen Feind ermöglicht.
Valerius.