Textdaten
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Autor: Fritz Wernick
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Titel: Die Campagna bei Rom
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 760–761, 763–764
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[760–761]

In der Campagna.
Nach dem Oelgemälde von Anton Braith.

[763]
Die Campagna bei Rom.
Von Fritz Wernick.

Am 20. September 1870 zog das geeinte Italien in Rom ein, um dasselbe zur Hauptstadt des Königreichs zu machen. Neapel, Turin, Florenz, die bisherigen großen Residenzen, hätten keine der anderen den Vorrang als Hauptstadt gegönnt, nur gegen Rom traten sie freiwillig zurück. Rom, das ewige, das einst Mittelpunkt der ganzen damals bekannten Welt gewesen, mußte auch die Hauptstadt des modernen bürgerlichen Staates werden. Aber die lokalen Verhältnisse, die unüberwindlichen Schwierigkeiten schienen dies zur Unmöglichkeit zu machen.

Mit das schlimmste Hinderniß bot die Umgebung der Stadt. Ein meilenweites Todtengefilde, von giftigen Dünsten unbewohnbar gemacht, ohne andere Ansiedelungen als einige Rohrhütten der Hirten für den Winter, einige Weinschenken auf erhöhten Stellen am Wege, zu denen die Fieberdünste nicht hinaufgelangen, Ruinen außerdem und alte Römergräber, das war alles, was die nahe Umgebung der neuen Hauptstadt zu bieten vermochte. Während der heißen Monate des Sommers konnte selbst ein kurzes Verteilen in der Campagna von Rom tödlich werden; im Winter besserte sich die Luft, da die kältere Witterung das Aufsteigen der Giftdünste niederhielt. In dieser traurigen, nur von Hirten bevölkerten Oede sollte Rom wieder zu früherer Herrlichkeit und Größe gelangen; das schien unmöglich.

Das alte, mächtige Rom hat günstigere Lebensbedingungen gehabt, erst spät und allmählich ist die Campagna verödet. In allerfrühester Zeit ist ja die spätere Weltstadt ein armes Bergnest gewesen, bewohnt von Bauern, Hirten, wilden Gesellen, die gern räuberische Streifzüge in die Umgebung machten. Da lag, wenige Meilen entfernt, eine Menge ähnlicher Dörfer und Städtchen auf natürlichen Erhöhungen des Bodens, deren Bewohner ihre Aecker bestellten, ihre Herden zur Weide trieben, dem damals fruchtbaren Gefilde der Campagna gute Erträge abgewannen, gesund in gesunden Orten wohnten. Rom hat sie nach und nach alle bezwungen. Diese Dutzende kleiner Flecken verschwanden, wurden zerstört oder von Römern kolonisirt – bald hieß die weite, blühende Campagna römischer Ackergrund.

Nun ward die Stadt immer mächtiger und größer, die Zeit der Kaiser kam und mit ihr ein Glanz, eine Pracht, wie die Welt sie bisher nicht gekannt hatte. Da verwandelte der Fruchtacker sich in Lustgefilde. Die Landschaft ist ja von hoher, malerischer Schönheit. Die weite, in sanften Hügelwellen bewegte Campagna wird im Westen vom blauen Meere begrenzt; im Osten umrahmen sie die hohen, röthlichgrauen Kalksteinwände der Sabiner Gebirge, wie dieser Theil des Apennin heißt; da blicken Schneehäupter über die vorderen Ketten, da schieben begrünte Hügel sich am Fuße vor, besiedelt mit Schlössern und Landhäusern der Großen. Dort hat Kaiser Hadrian Lustanlagen geschaffen mit Rennbahnen, Badehallen, Tempeln, Theatern; in den kühlen Thalgründen der Gebirgsflüsse lebten römische Dichter unter dem gastlichen Dache ihrer hohen Gönner. Ein anderes Gebirge schob sich im Süden mitten in die Campagna von Rom. Dort hatte einst unterirdisches Feuer den Boden gehoben, Lavaströme sich über das Gebiet ergossen, das jetzt die römische Campagna heißt. Nun sind die Krater der Vulkane erloschen, feuriger Wein wächst auf dem warmen Boden, an dessen gerundeten, waldbedeckten Bergkuppen ebenfalls Schlösser, Landhäuser, Lustgärten der römischen Großen lagen.

Aber auch das Gefilde zwischen der Stadt und diesen Gebirgszügen wurde damals von dem reichen und üppigen Rom völlig in Anspruch genommen. An den durch die Campagna führenden großen Landstraßen wurden nach damaliger Sitte die Vornehmen in herrlichen Grabtempeln von Marmor. bestattet. Zu beiden Seiten dieser Straßen standen Säulen, Urnen, Obeliske, Tempelchen, hohe Thürme, alles mit Bildwerk aus Marmor geschmückt, dicht neben einander. Neunzehn verschiedene Wasserleitungen führten auf hohen Bogenbauten die kühlen Quellen der Gebirge durch die Campagna zur Stadt. Es entstanden Landhäuser mit weiten Gärten, es wurden Rennbahnen für die Wettkämpfe zu Pferde und in Wagen erbaut, die viele Tausende Zuschauer faßten. Der Fruchtacker damit zerstört, der Boden sollte keinen anderen Ertrag liefern, sondern den Besitzern und dem vergnügungslustigen Volke nur zur Lust dienen.

Die Herrlichkeit des alten Rom hat nicht ewig gedauert, der heidnische Staat ging zu Grunde, das junge Christenthum eroberte Rom und seine Campagna. In den Katakomben, den höhlenartigen Gängen und Hallen, von denen das mürbe vulkanische Gestein durchzogen war, hatte das Christenthum sich geheim befestigt und ausgebreitet; nun stieg es hervor ans Tageslicht, um Rom in Besitz zu nehmen, dort zu herrschen. Auch die Campagna verwandelte sich damit. Die altrömische Pracht verfiel, die Grabtempel wurden in Kapellen und Kirchen verwandelt, die großen Geschlechter des Mittelalters, die ewig im Kampf miteinander lagen, bauten ihre plumpen Vertheidigungsthürme auf den Fundamenten der Schlösser, umgaben die hohen Grabstätten mit Zinnenmauern, setzten ihre Burgen auf die Vorsprünge des Gebirges, theilten den Boden unter sich und mit der Kirche. Die Campagna von Rom verödete immer mehr. Die Wasserleitungen waren geborsten, ihr Inhalt ergoß sich auf den porösen Boden von Bimstein, Lava, Tuff, der ihn gierig aufsog und, wenn die Sonne brannte, die faulige Flüssigkeit in giftigen Fieberdünsten wieder abgab. Die Feudalherren gaben den Acker, den sie selbst nicht bewirtschaften wollten, an Pächter für ein Billiges, die Kirche, die Klöster und Stiftungen ließen ihn meist gänzlich ruhen; das weite Blachfeld wurde zu einer unendlichen Viehweide, die Wohnstätten verschwanden.

Damals hat die Campagna von Rom den Charakter angenommen, der ihr bis heute eigen ist, den eines weiten Todtengefildes, einer majestätischen Grabstätte der großen Vergangenheit. Im September nach den ersten Herbstregen bedeckt die hügelige [764] Ebene sich mit kurzen Kräutern, mit Gras und Blumen. Bald aber ziehen dann die braunen, malerisch in dunkle Mäntel gehüllten Hirten mit vielen Tausenden von Ziegen, Schafen und Rindern aus dem Gebirge herab, um das endlose Weidegebiet zu bevölkern. Die Luft ist dann reiner geworden, Menschen und Thiere können jetzt hier athmen. Schutz finden jene in irgend einem alten Gemäuer oder in den Höhlen und Grotten des weichen Tuff, aus denen man die Puzzolanerde geholt, die dem Römer, mit Kalk gemischt, einen trefflich festen Mörtel giebt.

Die nächste Wasserleitung hat man angezapft, um einen gemauerten Trog am Rande des Wegs zur Tränke zu füllen. Hier ziehen auch die Campagnolen vorüber, die auf hohen, zweiräderigen, mit Stieren bespannten Karren den Wein aus den Bergen zur Stadt führen, die Eseltreiber, die ihre Lastthiere in langem Zuge heimtraben.

Es ruht ein melancholischer Zauber, ein feierlicher Ernst auf dieser historischen Landschaft. Alle Vergangenheit hat hier ihre Spuren zurückgelassen. Wenn wir zwischen zertrümmerten Grabdenkmälern die appische Straße entlang schlendern, die südwärts nach Capua und Neapel führt, so blicken wir von ihrer Höhe über die Ruinen einer weiten Rennbahn, welche Maxentius, der letzte heidnische, von Konstantin besiegte römische Kaiser, hat erbauen lassen; die Bogen einer geborstenen Wasserleitung erheben sich aus der Oede, klotzige Kriegsthürme erinnern an das Mittelalter, die Kreuze und Glocken aus kleinen einsamen Kapellen, welche das Christenthum aus antiken Grabtempelchen umgewandelt, an jene Frühzeit des Uebergangs. Undeutbares Ruinengemäuer fesselt den Blick, der aber hinüberschweift zu den herrlichen Gebirgszügen. Auf den Kuppen der Albanerberge erkennt er deutlich die Stammburgen der Colonna und anderer alter berühmter Geschlechter, die Städtchen und Villen, die Reste des antiken Tusculum, denen das heitere Bergstädtchen Frascati zu Füßen liegt. Aus dem Sabinergebirge bricht in tiefer Schlucht der Anio hervor, an den Abhängen breitet Tivoli sich aus. Während schöner sonniger Wintertage zeigt sich die römische Campagna, mit den Hirten, Karrenführern, Eseltreibern belebt, als Landschaft großen Stils.

Steigt aber die Sonne höher, kommen die Monate April und Mai, dann beginnt sie zu veröden. Die Hirten haben die jungen Lämmer und Zicklein als leckere Braten in die Stadt verkauft und ziehen nun mit ihren Herden zurück in die kühleren gesünderen Berge. Die sengende Sonne tödtet allen Pflanzenwuchs, das modernde Wasser, das sich in unterirdischen Löchern und in dem mürben Gestein gesammelt, beginnt in der Hitze zu verdunsten und jene Pestluft auszuhauchen, welche die furchtbaren Fieber erzeugt, die meist sofort tödlich wirken. Die Campagna der großen italienischen Hauptstadt versinkt in langen Sommerschlaf.

Der moderne Staat wendet alles dran, um sie aus demselben zu erwecken, die Umgebung der Hauptstadt gesund und bewohnbar zu machen. Strenge Gesetze sind zu dem Zwecke erlassen worden. Die weiten, brach liegenden Gebiete, meist im Besitze der Kirche oder dem hohen Feudaladel gehörend, sollen bebaut und besiedelt werden. Der Staat fordert, daß in jedem Jahre damit in kleinen Streifen vorgegangen werde, behält sich jedoch das Recht vor, falls in einer festgestellten Reihe von Jahren dies nicht geschehen, den Landbesitz durch Enteignungsverfahren erwerben und an kleine Leute abgeben zu können. Entwässerungsarbeiten werden geplant, um den schlimmsten Feind der Campagna von Rom, die unterirdischen Wasserpfützen, welche die furchtbaren Fieber erzeugen, zu verbannen. Man nimmt jedoch an, daß schon eine dichtere seßhafte Bevölkerung und die regelmäßige Bebauung des Bodens die Landschaft fieberfrei machen dürfte.

Dann soll die Anpflanzung eines australischen Baumes mithelfen, der in dem römischen Klima sich bereits völlig eingebürgert hat. Der Eukalyptus (Fieberbaum) hat die Eigenschaft, alle Feuchtigkeit aus dem Boden und aus der Luft anzuziehen und sich damit zu mästen. Er verbraucht zu seinem staunenswerth schnellen Wachsthum alle Feuchtigkeit, die seine Wurzeln und Blätter erreichen können, und hat schon manches Besserungswerk unterstützt. In dem Theile der Campagna, der sich südwestwärts zum Meere hinzieht, steht einsam die Abtei der drei Brunnen. Das Haupt des an dieser Stelle geköpften Apostels Paulus, so erzählt die Legende, soll dreimal von der Erde in die Höhe gesprungen sein und an jedem Punkte ist da ein Brünnlein hervorgesprudelt.

Die frommen Väter, die dort beschaulicher Andacht lebten, waren nun genöthigt, in jedem Juni nach der Stadt überzusiedeln, um dem tödlichen Fieber zu entrinnen. Sie sehnten sich fort aus dieser gifthauchenden Umgebung, und als französische Trappisten den Wunsch aussprachen, die verlassene Abtei zu beziehen, willigten sie gern ein. Diese begannen sofort damit, das ganze Hügelgelände mit Eukalyptus zu bepflanzen, in so weiten Abständen, daß darunter noch Feldfrucht gebaut werden konnte. Die Bäume gediehen und schufen Wunder. Heute nach kaum einem Jahrzehnt ist dieser Theil der Campagna völlig gesund, die Brüder Trappisten bleiben den ganzen Sommer hindurch in ihrer Abtei; kein Fieber zehrt an ihrer Gesundheit, sie bestellen den gewonnenen Acker und destilliren aus den Blattkeimen des fremden Baumes einen bitteren Schnaps, den man von ihnen kaufen kann.

Ob es gelingen wird, auch die tieferen, muldenförmigen Theile der Campagna von Rom derartig zu kultiviren, ob die Bodenarbeiten zur Beseitigung der faulenden Wasser nicht während des Sommers bedeutende Opfer an Menschenleben fordern werden – denn nicht selten fallen die vom Fieber ergriffenen Menschen plötzlich um, um nie wieder aufzustehen – das ist schwer vorherzusagen. Die Landschaft von Rom muß aber eine andere werden, wenn die Hauptstadt des Königreichs nicht ferneren Schäden ausgesetzt bleiben soll.

Der Zauber, den dieses unabsehbare, mit Ruinen bedeckte, von Hirten und Campagnakärrnern allein belebte Gefilde mit den Gebirgen, die es umrahmen, jetzt auf jeden Besucher ausübt, die hohen und ganz eigenartigen Reize dieser einzigen historischen Landschaft werden dann schwinden, wenn Getreideäcker, Dörfer und Gutsgebäude sie bedecken, wenn Eukalyptuswäldchen die Tiefen füllen, auf den Rücken alter Lavaströme neben den Festungswerken, die das neue Italien dort zum Schutze seiner Hauptstadt erbaut, Pumpstationen Wasserthürme, Dienstwohnungen sich erheben werden.

Doch alle ästhetischen und künstlerischen Liebhabereien kommen nicht in Frage, wenn es gilt, Rom eine gesunde, bewohnbare Umgebung zu schaffen, und wie so manches in der Stadt selbst der neuen Zeit mit ihren Anforderungen hat weichen müssen, so sind auch die Tage der jetzigen Campagna von Rom vielleicht schon gezählt.