Die Bismarckburg im Adeliland
Die Bismarckburg im Adeliland.
An der Sklavenküste von Westafrika liegt eingezwängt zwischen englischen und französischen Kolonien das deutsche Schutzgebiet Togo. Jetzt tritt seine Bedeutung gegen die anderen deutschen Kolonien zurück; das Togoland bildet ja nur einen schmalen Streifen mit etwa 40 Kilometern Küstenlinie. Vor einigen Jahren stand es jedoch im Vordergrund des Interesses. Hier war es, wo das Kriegsschiff „Sophie“ im Februar 1884 zum erstenmal an der westafrikanischen Küste deutsche Truppen zum Schutze deutscher Interessen landete; von hier brachte es Geiseln nach Deutschland und auf dieser Fahrt besuchte das Kriegsschiff auch die Ruinen von Gross-Friedrichsburg und brachte alte brandenburgische Feldschlangen nach Jahrhunderten in die Heimath zurück – es weckte Erinnerungen an koloniale Pläne aus alter Zeit – und damals kam auch die kolonialpolitische Bewegung in eigentlichen Fluß. Schon am 5. Juli 1884 wurde von dem kaiserlichen Kommissar Dr. Gustav Nachtigal in Togo die deutsche Flagge gehißt, dann folgten die Besitzergreifungen rasch auf einander, und Togo trat gegenüber Kamerun und Ostafrika in den Hintergrund.
Der Küstenstrich von Togo selbst ist auch wenig verlockend. Die „Städte“ liegen hier in der Nähe von Lagunen und Sümpfen, in denen das Malariagift brütet. Das Land soll zwar gesünder sein als andere Striche an der Guineaküste, jedenfalls aber kann der Europäer hier nur Handel treiben.
Noch zur Zeit der Besitzergreifung des Togolandes war dasselbe kaum auf die kurze Entfernung von einigen Kilometern landeinwärts bekannt. Jetzt ist das anders geworden. Im Auftrage des Reiches widmen sich die berühmten Forschungsreisenden Stabsarzt Dr. Wolf und Hauptmann v. François der Erforschung des Hinterlandes und sind bereits gegen 250 Kilometer von der Küste vorgedrungen.
Schon auf eine Entfernung von 60 bis 80 Kilometern ändert sich das Bild. Anstatt der sonst ansteigenden Ebene umfaßt den Reisenden eine Gebirgslandschaft, die von Südwest nach Nordost sich dahinzieht. Die Eingeborenen nennen sie „Obossum“, d. h. „Fetischberge“, außerdem trägt sie verschiedene Namen, welche den einzelnen Landschaften entlehnt sind, wie „Aposso“, „Kebu“, „Adeli“ etc. Das Klima ist hier sehr günstig; es regnet hier häufig auch außer der Regenzeit, und da auch der Boden vorzüglich ist, so prangen die abwechslungsreichen Formen des Gebirgs in einem wunderbar frischen Pflanzenwuchs. Die Kämme und die breiten Thalmulden sind von Savannen, dünn mit Bäumen bestandenen Grasebenen, bedeckt; auf den Abhängen und an den Flußläufen stehen breite Streifen Galeriewald. Nach der Schätzung von François ist ein Drittel des Gebirges mit Wald bedeckt, ein kleiner Theil ist unter Kultur und der Rest ist Savanne. Der Wald ist beachtenswerth, denn neben den zahlreichen Palmen findet sich prachtvolles nutzbares Ebenholz und unter den Schlingpflanzen die Kautschuk liefernde Liane (Landolphia) in solcher Menge, wie kaum an irgend einem anderen Orte in Afrika. In der Savanne dagegen begegnet man zahlreichen Büffelspuren, die anzudeuten scheinen, daß diese Grasfluren sich für Rindviehzucht eignen, während die Kulturen der Eingeborenen auf die Möglichkeit eines günstigen Plantagenbaus hinweisen.
In diese Gebirgsgegend führt uns das Bild Franz Leuschners ein. Wir sehen vor uns den Palaverplatz des berühmten Fetischortes Perëu im Adelilande. Bevor wir jedoch dieses Bild selbst erklären, möchten wir zunächst berichten, wie die Deutschen überhaupt nach dem Adeliland gekommen sind und dort eine „Burg“ gründeten.
Dr. E. Wolf, der ausgezeichnete Begleiter Wißmanns auf seinen Reisen zur Erforschung der südlichen Gebiete des Kongostaates, erhielt den Auftrag, im Hinterlande von Togo eine wissenschaftliche Station zu errichten. Auf seinem Zuge durch das Innere kam er Mitte Mai d. J. 1888 auch an die Grenzen des Adelilandes, welches durch seine Fetische in hohem Ansehen steht, und er hegte wenig Hoffnung, daß es ihm gelingen werde, den Durchmarsch durch diese geheiligten Stätten zu erzwingen. Die Häuptlinge machten die Erlaubniß von einem Orakel abhängig: ein Huhn sollte offenbaren, ob der Fremde als Freund oder als Feind komme. Vor einer großen Volksversammlung erschien der Fetischpriester und bestrich mit dem Huhn den Dolmetscher und Führer Wolfs, die als seine Stellvertreter galten. Beide mußten hierauf in den geöffneten Schnabel hineinspucken, um dem Thiere dadurch ihre und vor allem Wolfs [875] Gedanken und Absichten mitzutheilen. Dann durchschnitt der Fetischpriester dem Huhn die Kehle und warf es, während es noch zappelte und mit den Flügeln schlug, weit weg auf den Boden. Glücklicherweise fiel das Huhn auf den Rücken und verendete in dieser Lage, und der schwarze Augur verkündete nunmehr, daß, wie die Brust des Vogels frei da liege, ebenso die Brust der Weißen frei von Hintergedanken sei.
So wurde dem Deutschen der Einzug in das Adeliland gestattet, aber er war ein gewaltigerer „Medizinmann“ als alle die schwarzen Fetischpriester des Landes: er war ja Stabsarzt! Das sollte sich zum Vortheil der Expedition bald zeigen. Kontu, der mächtigste und einflußreichste Adelihäuptling, litt schwer an einer höchst schmerzhaften Regenbogenhautentzündung; Dr. Wolf hatte in seiner Apotheke auch Atropinblättchen mit und konnte den Häuptling in kurzer Zeit heilen. Noch herrschte aber in der Bevölkerung ein großes Mißtrauen gegen die Weißen, da wollte es der Zufall, daß Dr. Wolf das neugeborene Kind des Sohnes und Erben von Kontu, welches die Angehörigen bereits aufgegeben hatten, durch künstliche Athmung am Leben erhielt. Diese glücklichen Kuren verfehlten nicht ihre Wirkung; der Gründung einer Station stand nichts mehr im Wege. Zweiundeinhalb Kilometer nordöstlich von Jege, dem Residenzdorfe des Oberhäuptlings Kontu, erhebt sich 100 Meter über das Thal (etwa 710 m über den Meeresspiegel) der Hügel Adadó, der wie ein Kegel weit über das wellige Hügelland hinausschaut; dieser Hügel wurde Wolf überwiesen und auf ihm gründete er die befestigte Station, welche „Bismarckburg“ genannt wurde.
Hier schlug nun der Forscher sein Standquartier auf, und während Premierlieutenant Kling auf Expeditionen ging, um das Land weiter auszukundschaften, widmete sich der andere Begleiter Wolfs, Mechaniker Bugslag, der Anlage von Versuchspflanzungen. Ein Bericht Dr. Wolfs vom 11. April d. J. aus Bismarckburg äußert sich über die bereits erzielten Erträge sehr befriedigend; die Station wird sich halten können und zwar zum größten Nutzen des Landes.
In alten Zeiten hat wohl so mancher „Wolf“ auf hohen Bergen, die das Land beherrschten, seine Burg gebaut, und die Kaufleute, die später des Weges dahinzogen, wußten von dieser Burg ein gar schlimmes Lied zu singen. Anders reden schon heute die schwarzen Kaufleute von der Bismarckburg auf dem Adadóberge. Es giebt keine geschriebene Geschichte des Togolandes; aber wir kennen sie in großen Umrissen. Nicht ohne triftigen Grund führt der Küstenstrich, an dem Togoland liegt, den Namen „Sklavenküste“. Jahrhunderte lang herrschte hier der Menschenraub und durch ihn wurde das Land entvölkert, wurden die Bewohner auf eine tiefere Stufe der Kultur niedergedrückt. Es fehlen ihnen Gesetze, die staatliche Organisation steht auf der niedrigsten Stufe, selbst in den Urwäldern der Nebenflüsse des Kongo hatte Wolf solche „Wilde“ nicht gefunden wie hier im Togolande, schon einige Meilen weit von der Küste. Kein Wunder, daß die Handelskarawanen diese Gebiete mieden, daß auch das Adeliland, welches außerdem durch seinen Fetischkultus verrufen war, von den fremden Händlern nicht aufgesucht wurde. Das ist sofort nach der Gründung von Bismarckburg anders geworden. Der weiße Medizinmann hat keinen Gefallen an fortwährenden Fehden und er duldet sie auch nicht unter den benachbarten Stämmen; die Kaufleute fassen Vertrauen zu der Burg auf dem Adadó und man sieht bereits Anfänge des Verkehrs erblühen. Die Fremden werden jetzt freundlich empfangen; dies beweist unser Bild von Leuschner, wo wir unter dem Schatten eines Waldriesen Weiße und Schwarze im friedlichen Verkehr vor dem „Thore“ des Fetischortes Perëu, nur wenige Kilometer von der Bismarckburg entfernt, vereint sehen.
Es war im Herbst vorigen Jahres, da kam Dr. Henrici in Begleitung von Franz Leuschner nach dem Togolande, um im Auftrage der „Togo-Plantagen-Gesellschaft“ Land zu kaufen; er kam auch nach der Bismarckburg und der Burgherr machte ihn darauf aufmerksam, daß in Perëu eine berühmte Fetischpriesterin wohne, welche die Priester und Oberpriester in den verschiedenen Städten bestimme und bei jeder wichtigen Staatsangelegenheit gleich wie das delphische Orakel im alten Griechenland um Rath gefragt werde.
Sollte es Dr. Henrici gelingen, die Erlaubniß zu einem Besuch des angesehenen Weibes zu erhalten, so müßte auch sein Ansehen bei den Eingeborenen dadurch steigen. So beschloß Dr. Henrici, den Oberhäuptling von Perëu, der zugleich die priesterliche Oberhand hat, um diese Erlaubniß anzugehen.
Der Dolmetscher lud den Häuptling ein, die Weißen in ihrem Zelte zu besuchen. Derselbe erschien auch bald in Begleitung seines ersten und zweiten Ministers, und nachdem er den Wunsch des Fremdlings vernommen hatte, erklärte er sich bereit, denselben zu erfüllen, wenn es die Priester und die Unterhäuptlinge gestatten würden. Zu diesem Zwecke mußte ein „Palaver“ abgehalten werden.
Es ist unmöglich, das Wort „Palaver“, welches von dem portugiesischen parlare abstammen soll, zu verdeutschen. Palaver ist eine Sitzung: bald eine Rathsversammlung, bald eine Gerichtssitzung; alle wichtigeren Angelegenheiten werden im Palaver erledigt. Das Wort und die Sitte sind in ganz Westafrika verbreitet. Stanley kaufte den Grund für die ersten Stationen des Kongostaates im Palaver; Streitigkeiten unter einander werden von den Eingeborenen im Palaver erledigt und je nach dem Werth des zu leistenden Schadenersatzes nennt man die Sitzungen: „Frauen“-, „Schweine“- oder „Ziegen-Palaver“.
Unser Gouverneur in Kamerun hält auch viele Palaver ab, darunter auch Blutrachepalaver, denn viele Stämme rings um Kamerun haben dieselben Sitten wie die Korsikaner, was Ausübung der Rache anbelangt, und das Bestreben der Deutschen ist darauf gerichtet, milderen Sühnungsarten Geltung zu verschaffen.
Für den Reisenden, der rasch vorwärts marschieren möchte, sind die Palaver harte Geduldsproben. Der Neger kennt nicht den Werth der Zeit; er handelt beim Verkauf stundenlang um die geringste Kleinigkeit und dehnt auch durch das nichtigste Geschwätz das Palaver in die Länge. Dazu trägt schon die umständliche Art der Unterhaltung vieles bei, denn es schickt sich, daß bei jeder Frage und Antwort die übliche Begrüßungsformel wiederholt wird, wie z. B.: „Gott grüße Dich! Wie geht es Dir? Was machen Deine Frau, Deine Kinder, das Gesinde? Wie geht’s den Hühnern, Schafen, Ziegen etc.?“
Je wichtiger die Angelegenheit, je größer das Palaver ist, desto länger dauert es natürlich und mit desto mehr Geduld muß sich der Europäer wappnen.
So wurden auch Dr. Henrici und Franz Leuschner zum großen Palaver eingeladen. „Dicht bei dem Dorf,“ schreibt uns Leuschner, „unter einem uralten mächtigen Baumriesen war ein Kreis von bemosten großen Steinen gebildet, als Sitze für die am Palaver Betheiligten. Dort hatten auch diesmal die Häupter des Landes Platz genommen. In der Mitte der greise Häuptling mit Zipfelmütze und Hoheitsstab – ihm zur Seite die Minister und die Häuptlinge der benachbarten Dörfer. Dr. Henrici nahm, wie dies für europäische Reisende bei solchen Audienzen üblich ist, auf seinem Feldstuhle Platz.
Unser Dolmetscher, der europäische Kleidung trug, leitete stehend mit den üblichen Begrüßungsformeln das Palaver ein und trug unser Verlangen nochmals in aller Form vor. Nach allen möglichen Fragen, woher wir kämen, wohin wir wollten, wer und was wir wären, ertheilte man uns endlich, nachdem wir über eine Stunde uns auf unseren Feldstühlen umhergedrückt hatten, die Erlaubniß, die heilige Frau zu besuchen. Dieselbe wohnt in einer kleinen Hütte und ist zeitlebens an dieselbe gebunden, nie darf dieses unglückliche Wesen den Fuß über die Schwelle setzen; streng bewacht von verschnittenen Sklaven, vertrauert sie ihr Leben in einem elenden Lehmbau. Als wir ihr gemeldet wurden, erschien sie, ganz in Weiß gekleidet, an der Thür und reichte uns beiden die Hand. Die arme Gefangene lächelte uns traurig an, und nachdem wir ihr gesagt hatten, wer wir wären und daß wir gern ihre Freundschaft wünschten, drückte sie uns nochmals innig die Hand und sagte, daß sie stets bei Gott für uns bitten wolle. Damit war der Besuch beendet, und so kurz derselbe auch war, hat er doch für uns große Bedeutung erlangt; denn unsere Träger, welche die Begrüßung von weitem sahen, erzählten überall, wohin wir kamen, wie freundlich wir von der Priesterin aufgenommen worden seien. Und wenn uns irgend etwas ungelegen kam, drohten wir mit der Fetischfrau – das half.“
Das Togoland ist überhaupt sehr reich mit Fetischen gesegnet; die kleinen Hütten dieser Götzen sind mit allerhand Flittertand ausgeschmückt, selbst altes Zeitungspapier wird dazu verwendet. Die Puppen selbst sind aus rothem Thon zusammengeklebt und mit Lumpen bekleidet; von der Farbe abgesehen, gleichen sie unseren Schneemännern.
Außer mit „Tempeln“ ist das ganze Land dicht mit heiligen Plätzen besäet.
Es giebt hier heilige Bäume und heilige Wälder, wie auch der an den Palaverplatz auf unserem Bilde anstoßende Wald geheiligt ist, heilige Berge und selbst heiliges Gras! Dem Fremden ist diese Menge Heiligthümer sehr unerwünscht; denn er muß auf Schritt und Tritt befürchten, daß er unabsichtlich die heiligen Stellen betritt und dadurch die Eingeborenen gegen sich aufbringt. Welche Hindernisse für den Verkehr das Fetischwesen mit sich bringt, das beweist uns ein heiteres Erlebniß Hugo Zöllers, welcher die in der Nähe von Deutsch-Togo gelegene Fetischstadt Be besucht hat. Be ist dem Sternschnuppen- und Kriegsgotte Njikpla geweiht, dem mächtigsten aller Untergötter, den die Neger sich zu Pferde sitzend und in europäischer Kleidung vorstellen. Njikpla muß aber wohl auf sein Reiten und seine Kleidung besonders stolz sein, denn er duldet dergleichen an keinem, der die ihm geweihten Städte besuchen will. Wer sich in europäischer Kleidung nach Be hineinschliche, würde, falls er lebend und ohne Mißhandlungen davonkäme, sich dennoch mit schweren Geldopfern loskaufen müssen. Vor der Bestadt hielt auch Zöller mit seinen Begleitern ein längeres Palaver ab, das er treffend ein „Hosenpalaver“ nannte, denn es wurde in diesem ausgemacht, daß die Europäer die Hosen anbehalten dürften. „Röcke, Westen und Hemden wurden in die zwei Hängematten verpackt,“ schreibt Zöller, „und bloß mit Schuhwerk, Hose, Helm und einem um die Schultern geschlagenen Negertuch setzten wir den Marsch fort, gefolgt von der stattlichen Schar unserer die Gewehre tragenden und die Pferde am Zaume führenden Kruleute.“
Trotz dieses „Opfers“ wurde ihm dennoch nicht gestattet, bis in das Allerheiligste zu dringen und dem Sternschnuppengott ins Angesicht zu schauen.
„Europäischen Damen,“ fügt er hinzu, „dürfte der Besuch dieses Ortes kaum möglich sein, da die Fetischpriester und Häuptlinge mir auf meine Anfrage ganz bestimmt erklärten, daß sie, ohne den Zorn des Fetischs und des Volkes zu reizen, zwischen Herren und Damen keinen Unterschied zu machen vermöchten.“
Im Hinterlande von Togo hat der Islam fast gar keine Anhänger; die Bewohner stecken noch im Heidenthum. Für die Zukunft unserer Kolonie ist dies kein schlimmes Zeichen; im Gegentheil, der Heide dürfte sich bildsamer erweisen als der Moslim. Bis jetzt haben die Missionare an der Togoküste keine besonderen Erfolge zu verzeichnen gehabt. Ihre Zeit wird erst kommen, wenn andere ihnen den Weg gebahnt haben. Und einer dieser Bahnbrecher ist gewiß der Kommandant der Bismarckburg.
Möge ihm, dem Missionar der Kultur, sein schwieriges Werk gelingen und die Burg auf dem Adadó der Stützpunkt des Friedens und der Ausgangspunkt eines neuen Lebens für das Adeliland werden. *