Die Armenier (Das Ausland, 1828)

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Armenier
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 95–96. S. 377–378; 383–384.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[377]

Die Armenier.

Nouvelles Annales des Voyages. Mars 1828.)

Von allen Christen der Levante verdienen die Armenier die meiste Beachtung. Mäßig, beharrlich, redlich, obgleich gewandt in Geschäften, allen Gewohnheiten der andern Völker sich anschmiegend, ohne ihren eigenen individuellen Charakter zu verlieren, sind sie überall gut aufgenommen. Sie haben sich in mehreren größern Städten Asiens und Europas niedergelassen, da sie aber kein Vaterland haben, so blieben sie, wie die Juden, in jedem Land Fremdlinge; auch werden diejenigen, welche in der Türkei leben, mehr als eine Secte, als wie eine Nation betrachtet.

Die folgenden Bemerkungen sind nur auf diejenigen unter ihnen anwendbar, welche Handel treiben; die andern, unter einer despotischen Regierung lebend, von Natur phlegmatischer als die Griechen, ohne Interesse an einem Land, selbst ohne den Wunsch nach Befreiung, sind Sklaven, und haben keinen andern Gegenstand des Strebens, als sich Vermögen zu erwerben. Ihre Schriftsprache, welche blos die Gelehrten verstehen, war nicht dazu geeignet, auch nur die ersten Grundzüge der Wissenschaften und der Künste unter ihnen zu verbreiten. Gleich den Griechen sind sie unter das doppelte Joch der Türken und ihrer Priester gebeugt, und vom abgeschmacktesten Aberglauben beherrscht.

Die Armenier haben manche Gewohnheiten und Gebräuche, welche den Fremden eben so sonderbar erscheinen, wie die der Türken. Wenn ihre Frauen ausgehen, so sind sie ebenfalls dicht eingehüllt und verschleiert, und unterscheiden sich von den türkischen Frauen nur durch die Farbe ihrer Firidjes oder Kaputzen. Ihre Hochzeitceremonien gleichen denen der meisten orientalischen Völker. Die Heirathen werden von den Eltern im voraus beschlossen, und zwar nicht blos vom zartesten Alter der Kinder an, sondern oft schon vor deren Geburt. Oft hat der Mann das Mädchen, das ihm angetraut wird, nie vorher gesehen. Dennoch sind die Ehen meist glücklich und der Ehebruch ist wo nicht unbekannt, doch äußerst selten. Man betrachtet die Ehe als das heiligste Band, und die Frauen leben blos für ihren Mann und ihre Kinder.

Die ersten Armenier Constantinopels sind, wie die Juden, Bankiers (Sarraffs). Sie kaufen die Münzsorten, welche niedrig im Preise stehen, und leihen den Türken Geld um 20 bis 30 Prozent. Dieß bildet die Hauptquelle ihres Reichthums. Mehrere ihrer Kornhändler, so wie ihre Goldschmiede, sind sehr besucht, da wenige Personen von andern Völkern dieses Geschäft treiben. Sie sind Mediziner, Chirurgen, Apotheker; auch die meisten Bäcker gehören dieser Nation an, so wie die besten Architekten, Tischler, Dreher, Brauer und Schlosser von Constantinopel. Die armenischen Lastträger sind die betriebsamsten und stärksten Leute der Welt. Die Armenier sind auch Wasserträger, Sorbethändler, Matrosen, Fischer, Seide-, Bänder- und Zelt-Fabricanten, und gelten für die besten Bereiter und Kutscher. Ihre Zitz und Mousselin-Druckereien übertreffen die europäischen. Kurz die Armenier sind die nützlichsten und industriösesten Leute des ganzen ottomanischen Reichs.

Nach dem Berichte des Dr. Walsch gibt es in Constantinopel und den umliegenden Dörfern 200,000 Armenier.[1] Ein Theil derselben erkennt die Suprematie des römischen Stuhls. Die eigentliche armenische Kirche aber erkennt keine andere Autorität in Sachen des Glaubens und des Unterrichts als die der vier Patriarchen von Etschmiazin, Sis, Cachahar und Achtamar, von denen der oberste, der den Titel des katholischen führt, in einem Kloster, einige Stunden von Erivan, residirt, die zwei andern in Klein-Asien wohnen, und der vierte in der jetzt russischen Provinz Schirwan. Diesen Patriarchen sind Erzbischöfe und Bischöfe untergeben. Einer dieser Erzbischöfe ist der Vorsteher der armenischen Gemeinde von Constantinopel, und führt ebenfalls den Titel Patriarch.[2][378] Dieser wird, gleich dem Patriarchen von Jerusalem, von der Pforte ernannt, die ihn aus der Zahl ihrer Creaturen wählt. Bei jeder Ernennung erhält die Pforte ein reiches Geschenk von dem Neugewählten, welcher der verantwortliche Agent für die Ausführung der Firmans und die Erhebung der Kopfsteuer wird. Auch stehen diese Patriarchen durchaus in keiner großen Achtung bei ihren Glaubensgenossen, sondern werden von diesen blos als die Werkzeuge der Launen des Depotismus betrachtet.

[383] Die Armenier von Constantinopel zeichnen sich aus durch patriarchalische Einfachheit ihrer Sitten. Ihre Liebe zu ihrer Familie erlischt selbst nicht mit ihrem Leben, sagt Dr. Walsh. Lange noch nach ihrem Tode stehen sie mit ihren Eltern oder ihren Kindern durch Erscheinungen und Gesichte in Verbindung. Dieser fromme Aberglauben ist die Quelle eines der sonderbarsten Gebräuche dieses Volks. In der Nachbarschaft Constantinopels hat jede Nation ihren eigenen Gottesacker. Der Gottesacker der Armenier liegt auf einem Hügel von bedeutender Ausdehnung, welcher den Bosphorus beherrscht. Die Türken pflanze beim Tode eines Verwandten oder Bruders eine Cypresse auf sein Grab. Ungeachtet sie diese Sitte von den Griechen [384] entlehnt haben, so gestatten sie dieselbe doch keinem Rajah. Die Armenier wählen daher statt der Cypresse den Lerchenbaum,[3]dessen Harz oder Terpenthin einen starken Geruch verbreitet, und die Luft von den Ausdünstungen reinigt, die aus den Gräbern aufsteigen. Diese Lerchenbäume werden sehr groß, und geben, durch die mahlerischen Gruppen, die sie bilden, den Kirchhöfen ein äußerst freundliches Ansehen. In ihrem Schatten sieht man beständig armenische Familien, Greise, Männer, Frauen und Kinder, rings die Gräber umsitzend und in Visionen versunken, mit den Verstorbenen Zwiesprache halten. Sie glauben, daß die Dahingeschiedenen einen Ort bewohnen, den sie Gayant nennen, in welchem keine andere Freude noch Schmerz ihrer wartet, als daß sie das Bewußtseyn ihres vergangenen Lebens behalten. Aus diesem Orte können sie befreit werden durch die Almosen und Gebete der Lebenden, weßwegen die Frommen weder mit dem einen noch mit den andern geizen. Sie versammeln sich zu diesem Ende alle Sonntage und häufig auch an Werktagen; vor allen aber ist der Ostermontag zu einer feierlichen Versammlung geweiht. Der Priester eröffnet den Zug, der sich nach dem Gottesacker bewegt. Dort angekommen, liest er die Gebete für die Verstorbenen; worauf sich die Familien in Gruppen zerstreuen. Andere isoliren sich, setzen sich einsam auf die Gräber ihrer Geliebten, rufen sie bei Namen und versinken nach und nach in einen Zustand träumerischer Begeisterung, daß sie die Verblichenen zu sehen und mit ihnen zu sprechen glauben. Ist diese fromme Pflicht erfüllt, so wird dann auch dem Leben sein Recht gegeben, indem der Rest des Abends unter Schmausereien und geselligen Vergnügungen zugebracht wird.

Die Insel Marmora, welche fast im Angesicht des armenischen Gottesackers liegt, hat Ueberfluß an Marmor. Der letzte wird daher auch in der Regel zur Errichtung der Grabmale gebraucht, von denen manche sehr reich und schön gearbeitet sind. An diesen Grabmälern sind viele kleine Höhlungen angebracht, in welchen sich der Regen sammelt, und die so den Vögeln, von denen die Bäume wimmeln, und die in der glühenden Hitze des Sommers verschmachten würden, zur Stillung ihres Durstes dienen – ein Beweis von dem zarten Sinn der Armenier. Eine andere Eigenheit, welche diese Gräber darbieten, fällt dem Fremden nicht weniger in’s Auge. Nicht nur wird auf den Grabmälern der Stand des Verstorbenen nebst den Werkzeugen, deren er sich im Leben bediente, aufs sorgfältigste eingegraben, sondern es wird darauf auch genau die Ursache seines Todes bezeichnet. Daher findet man darauf häufig Darstellungen von Gehängten, Erdrosselten, Enthaupteten; die letztern tragen den Kopf unterm Arm.

Um diese sonderbare Sitte sich zu erklären, muß man wissen, daß die Armenier behaupten, es habe nie einer ihrer Glaubensgenossen die Todesstrafe wegen eines Verbrechens erlitten, sondern immer sey ihr Hauptvergehen ihr Vermögen gewesen, nach welchem die Türken lüstern geworden seyen, und stets einen Vorwand zu ihrem Verderben und zur Confiscation ihrer Güter gefunden hätten. Deßwegen wird ein Armenier, der unter Henkershand stirbt, stets als ein entweder durch Verdienste oder Reichthum ausgezeichneter Mann betrachtet. Jene Inschriften und Abbildungen sind also immer eine Satire auf die Gerechtigkeitspflege der Türken. „Eines Tags,“ erzählt Dr. Walsh, „übersetzte mir ein achtungswerther Priester, nicht ohne einige Furcht, einige dieser Epitaphien. Als Probe mag eine derselben hier stehen:

„Ihr schaut die Stelle meiner Ruhe unter dem grünen Teppich;
Mein Vermögen gab ich den Räubern,
Meine Seele den Gefilden des Todes.
Ich übergebe die Welt in Gottes Hand;
Mein Blut ist geflossen im heilgen Geiste.
Ihr, die ihr blicket auf dieses Grab,
Sprecht für mich:
Herr! ich habe gesündigt.“

Indessen sind die Armenier von den Türken mehr geachtet, als irgend ein anderes ihrer Herrschaft unterworfenes Volk. Der Muselmann betrachtet die Griechen als Sklaven (Yeshir), die Juden als Fremdlinge (Mosaphir), weil sie aus Spanien kamen, die Armenier hingegen als Unterthanen (Rayahs) des Reichs, da ihr Land eine türkische Provinz war und sie selbst einen Theil der Nation ausmachten. Mit einer Mischung von Achtung und Habsucht blickt der arme und träge Türke auf den reichen und thätigen Armenier. Auch nehmen die Armenier fast alle Stellen ein, welche die Türken zu versehen unfähig sind. Sie leiten alle Münzoperationen; sie sind die Bankiers, welche der Regierung sowohl als den Privatleuten die Fonds herbeischaffen, deren sie unaufhörlich bedürfen. Bloß Armenier sind es, welche an der Spitze der wenigen Fabriken und Manufakturen stehen, die im ottomanischen Reiche existiren, und welche den ganzen innern Handel Asiens in Händen haben. Indessen ist der Schutz, dessen sie genießen, häufig auch die Quelle ihres Verderbens; und der Armenier, der durch Arbeit und Industrie zu Wohlstand und Reichthum gelangt, weiß recht gut, daß seine Sicherheit dadurch bedingt ist, daß er die Türken in Unkenntniß über den wahren Zustand seines Vermögens läßt.

Nie haben die Armenier mit ihren christlichen Glaubensgenossen, den Griechen, sympathisirt. Keiner von ihnen hat sich bei den gegenwärtigen Verhältnissen zu ihren Gunsten erklärt, oder sie durch seinen Credit oder sein Vermögen unterstützt. In näherer Berührung leben sie mit den Quäckern. Ihre Sitten haben einige Aehnlichkeit mit denen jener Sectirer; gleich ihnen sind sie ruhig, besonnen, mäßig und verabscheuen den Krieg. Die Abweichung hingegen, welche zwischen den Armeniern und den Griechen rücksichtlich einiger ihrer religiösen Dogmen statt findet, erhält eine gegenseitige Erbitterung unter ihnen. Die Griechen werfen den Armeniern Feigheit vor, maßen sich allein des Namens Christen an und schließen diese gleichsam von der Christengemeinde aus.


  1. Einem öffentlichen Berichte der deutschen Missionsanstalt zufolge, zählt die armenische Kirche im Russischen Reiche 42,000 Seelen; in der Türkei 1,500,000; in Persien 70,000; zusammen 1,612,000. Die Zahl derer, die in Indien und andern Ländern leben, kann man auf 50,000 anschlagen, ohne die Armenier zu rechnen, welche die römisch katholische Religion bekennen.
  2. Im achtzehnten Jahrhunderte bildeten sich in Europa und Asien mehrere ähnliche Gemeinden, welche sich ohne einen öffentlichen Akt freiwillig mit der römischen Kirche vereinigten, indem sie den Pabst und die Hauptdogmen dieser Kirche anerkannten, jedoch einen Theil ihres alten Rituals beibehielten. Diese unirten Armenier sind sehr zahlreich in den türkischen Provinzen. Ihr Hauptort ist Angora, in Kleinasien. Die Pforte hat ihre Verbindung mit dem römischen Hofe nie offiziell anerkannt, und ihnen auch keine besondere Kirche verwilligt, sondern betrachtet sie, gleich allen übrigen Armeniern, als unter der Oberaufsicht des Patriarchen von Constantinopel stehend. Indessen genossen sie einer großen Freiheit, die nur 1781 und 1819 bedroht wurde, wo es einem, gegen sie feindlich gesinnten Patriarchen gelungen war, sie bei der Pforte in Mißcredit zu setzen. Als aber im vorigen Jahr die Provinz Erivan, in welcher der oberste Patriarch seinen Sitz hat, russisch wurde, erhielt die Pforte Nachricht, daß eine große Zahl Armenier aus den türkischen Provinzen auswandere und sich unter den Schutz ihres Patriarchen stelle. In dem Zustand von Mißtrauen, in welchem sich der Großherr befand, mußte ihn diese Nachricht sehr gegen die unirten Armenier aufbringen. Er fragte den Patriarchen von Constantinopel, ob er für die Treue der Armenier bürgen wolle. Der Patriarch lehnte rücksichtlich der mit Rom vereinten Armenier alle Verantwortlichkeit von sich ab. Nun befahl der Großherr, daß die letztern, ohne Rücksicht des Alters und des Geschlechts, welche seit einigen Jahren aus Angora gekommen waren, in Zeit von zwölf Tagen nach Asien zurückzukehren hätten. Zu gleicher Zeit berief sie der Patriarch zu einer Versammlung und forderte sie im Namen des Sultans auf, ihre Ketzerei abzuschwören; sie erhielten überdieß Befehl, ungesäumt Pera zu räumen, und mit ihren nicht unirten Glaubensgenossen zusammen zu wohnen. Die christlichen Minister erhielten auf ihre Verwendung zur Antwort, die Maßregel habe keinen Bezug auf Religion, sondern entspringe blos aus politischen Gründen.
  3. Pistachia terebinthus, welchen man für den Ailan der Israeliten hält.