Die Aristokratie der Vereinigten Staaten von Nordamerika

Textdaten
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Autor: Rudolph Doehn
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Titel: Die Aristokratie der Vereinigten Staaten von Nordamerika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 122–123
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[122] Die Aristokratie der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Auch die große transatlantische Republik, die einen George Washington und einen Thomas Jefferson zu ihren Gründern zählt, hat ihre Aristokratie aufzuweisen. Der blutige, länger als vier Jahre währende Bürgerkrieg hat zwar die große Zahl jener Sclavenbarone hinweggefegt, welche auf ihren Landgütern beim Zucker- und Baumwollenbaue Hunderte und Tausende von Negersclaven beschäftigten und unter dem Wahlspruche: „Baumwolle ist König (Cotton is King)“ lange Zeit die erste Rolle in der Politik der nordamerikanischen Union spielten; allein die Abschaffung der Negersclaverei ist nicht im Stande gewesen, der amerikanischen Aristokratie ein Ende zu machen. Der Adel als solcher hat bekanntlich in den Vereinigten Staaten keinen Werth und verleiht keine besonderen Rechte, aber an die Stelle der Sclavenbarone sind die Geldbarone getreten und die „Baumwollkönige“ haben den „Eisenbahnkönigen“ Platz gemacht, weshalb uns aber der Ausspruch Julius Fröbel’s, die Vereinigten Staaten seien „eine Republik vornehmer Leute“, noch lange nicht gerechtfertigt erscheint. Der Besitz von Land und Geld ist die Leiter geworden, auf welcher eine Anzahl von Menschen über die Köpfe ihrer Mitbürger hinweg in eine bevorzugte Stellung emporkletterten. Dort angelangt, fanden jedoch manche dieser Emporkömmlinge bald heraus, daß der bloße Besitz von irdischen Reichthümern auch in Amerika noch immer keinen entscheidenden Anspruch auf Vornehmheit und hohe Stellung in der Gesellschaft verleiht. Man greift eben wieder auf das Ahnenwesen zurück, wenn auch nicht ganz nach der Weise der europäischen Adelsaristokratie.

Den Hauptsitz der amerikanischen Geldaristokratie bildet die mehr als anderhalb Millionen Einwohner zählende Handelsmetropole New-York; hier leben die Astors, die Vanderbilts, die Goulds etc. Vanderbilt besitzt einen größeren Reichthum als Astor, aber Letzterer gilt doch als vornehmer, weil sein Vater, Johann Jacob Astor, schon früher ein mehrfacher Millionär wurde, als der Vater Vanderbilt’s. Mit siebenzehn Jahren verließ der ältere Astor seine Heimath, das Großherzogthum Baden, ging zuerst nach London, wo ihm ein älterer Bruder die ersten [123] Wege bahnte, und wanderte dann im Winter 1783 nach Amerika aus. Er zählt zu jenen friedlichen Eroberern, die vor keinem Hindernisse zurückschrecken und den Welthandel in neue Bahnen lenken; Friedrich Kapp bezeichnet ihn als ein kaufmännisches Genie, in welchem sich Verdienst und Glück zu so wunderbarer Harmonie verketten, daß man nicht weiß, wo jenes aufhört und wo dieses anfängt, oder welches von beiden ihn so hoch emporgehoben und auf so stolzer Höhe befestigt hat. Johann Jacob Astor ist bekanntlich der Gründer der Colonie Astoria am Stillen Meere; noch bekannter dürfte die von ihm in der Stadt New-York gegründete Astor-Bibliothek sein, die zu den vorzüglichsten und besten in der ganzen Union gehört. Astor’s Charakter war nicht von allen Schwächen frei, aber er liebte die Gesellschaft geistig hervorragender Männer und sah sie gern als Gäste bei sich. Der Dichter Fritz Greene Holleck war lange Zeit sein täglicher Umgang, und Washington Irving zählte zu seinen intimsten Freunden, wie er denn auch die Colonie Astoria zum Gegenstande eines seiner Werke machte.

Als Johann Jacob Astor, der frühere Trapper und Pelzhändler, schon als Millionär das reinliche und bequeme Geschäft des Couponschneidens betrieb, führte der ältere, seit einigen Jahren verstorbene Vanderbilt noch das beschwerliche Leben eines armen Schiffscapitains. Der jüngere Vanderbilt gilt aber wieder als vornehmer, als Joy Gould, der Eisenbahnkönig, denn dieser hat gar keine Ahnen, sondern ist seines Glückes eigener Schmied. Die Astors sind daher die Führer der „blaublütigen“ Aristokratie von New-York, während die Goulds an der Spitze jenes sogenannten „Shoddy-Adels“ stehen, der nicht im Stande ist, Ahnen aufzuweisen. Es erregte daher kein geringes Aufsehen in der New-Yorker Aristokratie, als unlängst ein Sohn Joy Gould’s es wagte, um die Hand einer Tochter Astor’s zu werben.

Außer der Geldaristokratie giebt es nun in den Vereinigten Staaten noch eine andere Art von Aristokratie, die man gern als die „Aristokratie des Geistes“ (aristocracy of intellect) bezeichnet. Diese Aristokratie findet sich vorzugsweise im Staate Massachusetts, und hier zumeist in Boston und der nahe dabei gelegenen Universität Cambridge. In neuester Zeit hat dieses aristokratische Selbstgefühl allerdings etwas abgenommen, aber man erinnert sich doch gern daran, daß in Boston und Cambridge Männer wie die Historiker Motley und Prescott, George Ticknor, Verfasser eines werthvollen Werkes über die spanische Literatur, die Dichter Longfellow, Lowell und Holmes und die Staatsmänner und Politiker Webster, Everett und Charles Sumner lebten. Der Dichter-Philosoph Ralph Waldo Emerson, der als ethischer Schriftsteller gefeierte William Ellery Channing, der edle freireligiöse Theodor Parker und der lange Zeit in Concord lebende Dichter Nathaniel Hawthorne zählen zu den besten Söhnen von Massachusetts. Die ersten Schlachten im Unabhängigkeitskriege wurden in Massachusetts geschlagen; dort landeten mitten im härtesten Winter 1620 die freiheitsliebenden Puritaner auf der „Maiblume“, und der freisinnige Dichter-Journalist William Cullen Bryant, der Herausgeber der „Evening Post“, in deren Redaction später unser Landsmann Karl Schurz für einige Zeit eintrat, wurde ebenfalls im Staate Massachusetts geboren. Mögen hier die erste und die beiden letzten Strophen des Gedichtes einen Platz finden, in welchem Bryant das erste Jahr des Unabhängigkeitskrieges von 1776 feiert:

0 „Vom Waldland kam die Heldenschaar,
Als durch das frischerwachte Land
Der Freiheit Ruf erklungen war,
Es bot zum Werk des Kriegs sich dar
Des Landmanns nerv’ge Hand.

0 Schon war der Kampf zu heißer Gluth
Auf Concords Ebenen entfacht,
Schon tränkte wie des Regens Fluth
Das frische Gras mit rothem Blut
Bei Lexington die Schlacht.

0 So brach der Tag der Freiheit an,
Durch Blut geweiht in Frühlingsau’n,
Gelöst war unsrer Knechtschaft Bann,
Und herrschend trat kein fremder Mann
Mehr in der Heimath Gau’n.“

Niemand wird die Bürger von Massachusetts darum tadeln, daß sie stolz auf ihr Geburtsland und auf ihre Vorfahren, die „Pilger von der Maiblume“, sind; wenn aber dieser Stolz zu einem aristokratischen Cliquenwesen führt, wie dies zu Zeiten der Fall gewesen ist, so ist dies gewiß nicht zu billigen. Den schneidendsten Gegensatz zu den früheren Sclavenhaltern der Südstaaten der Union bildeten zu allen Zeiten die Einwohner der Neu-Englandstaaten, namentlich von Massachusetts, von den Gegnern gewöhnlich „Yankees“ genannt. In den Jahren vor dem Secessionskriege, welcher der Negersclaverei ein Ende machte, standen sich in der Bundesgesetzgebung der Vereinigten Staaten die Vertreter von Massachusetts und die Repräsentanten der südlichen Sclavenstaaten am schroffsten gegenüber; und dies konnte kaum anders sein. Der freie Bürgerstolz der puritanischen Neu-Engländer, welcher für die freie Arbeit in die Schranken trat, mußte nothwendig mit den aristokratischen Sclavenhaltern, deren Politik eine immer weitere Ausdehnung der Negersclaverei anstrebte, in Conflict gerathen. Und hier war es in erster Linie der oben genannte Charles Sumner, welcher im Bundessenate der Vereinigten Staaten die Sclavenhalterpolitik mit aller Macht, die eine feurige Beredsamkeit verleiht, bekämpfte. Ohne Zweifel war hier die Aristokratie des Geistes, die sich mit dem freien Bürgerthum verband, mehr berechtigt, als die Aristokratie der südlichen Sclavenbesitzer, welche eine Verewigung der Negersclaverei anzubahnen bemüht waren. Die Geschichte hat zu Gunsten der Aristokratie des Geistes und des freien Bürgerthums entschieden, aber von einer vollständigen Aussöhnung zwischen den früheren Sclavenstaaten und den Neu-Englandstaaten kann noch bis auf den heutigen Tag keine Rede sein. Rudolph Doehn.