Die Amateurphotographie
Er photographirt! Wie oft habe ich die Worte mit einer verächtlichen Betonung sprechen hören, wenn in einer Gesellschaft ein Amateurphotograph sich sehen ließ. Die neue Art der Touristen, die nicht mit Ränzel und Stab, sondern mit Kamera-Tornister und Stativ Berge erklimmen und Thäler durchwandern, wurde dabei lächerlich gemacht. Kein Wunder, denn jede Neuerung wird verspottet, bis sie sich eingebürgert hat, und so wird auch die Amateurphotographie von vielen zu den müßigen unnützen Beschäftigungen, den brotlosen Künsten gezählt.
In letzterer Beziehung muß man der großen Menge Recht geben, denn der Amateurphotograph kann und will sich auch nicht mit der „Lichtkunst“ Geld verdienen. Sehr irrthümlich ist aber die Meinung, daß die Kenntniß der Photographie für den Laien ziemlich werthlos, ihr Nutzen nur darin zu suchen sei, daß man einige Landschaften oder Porträts von Bekannten aufnehme und in sein Album einreihe.
Eine nähere Betrachtung überzeugt uns vielmehr, daß das Photographiren ebenso wichtig und in vielen Fällen noch wichtiger ist als das [238] Zeichnen, daß die Photographie der wissenschaftlichen Forschung, der Technik und der Kunst bereits außerordentliche Dienste geleistet hat und daß diese Errungenschaften zumeist von Männern erzielt wurden, die keine Berufsphotographen, sondern Aerzte, Naturforscher, Ingenieure, Gewerbetreibende u. dgl. waren und das Photographiren anfangs nur so nebenbei erlernt hatten.
Die Photographie ist eine noch junge Errungenschaft. Vor gerade fünfzig Jahren tauchte erst die Daguerreotypie auf, und wenige Jahre darauf kamen die ersten Photographien zum Vorschein. Die Kunst, zu photographiren, war lange Zeit nicht leicht, wenigstens umständlich. Man konnte nur nasse lichtempfindliche Platten herstellen, die frisch nach der Bereitung verwendet werden mußten. Die Herstellung derselben war zeitraubend, ihr Transport geradezu unmöglich, und die Photographie blieb auf engere Berufskreise beschränkt.
Ein neuer Aufschwung der Photographie ist seit der Erfindung der Trockenplatten eingetreten. Dieselben bestehen aus einer Glasscheibe, welche auf der einen Seite mit einer Gelatineschicht überzogen ist, in welcher sich das lichtempfindliche Bromsilber in sehr fein vertheiltem Zustande befindet.
Diese Platten halten sich monatelang, wenn man sie im Dunkeln und an trockenen Orten aufbewahrt, und sind außerdem zwanzigmal lichtempfindlicher als die nassen Kollodiumplatten. Man braucht sie nicht selbst zu bereiten, sondern kann sie von den Fabrikanten beziehen; man darf sie, ohne sie zu beschädigen, auf Reisen mitführen, man kann mit ihnen endlich die schwierigsten Momentaufnahmen für wissenschaftliche Zwecke machen.
Die Momentphotographie, welche in den letzten Jahren rasch aufblühte und die schnellsten Bewegungen der Thiere und Maschinen in ihre Einzeltheile zerlegte, die selbst das im Bilde für immer festhielt, was das schärfste Auge niemals zu ernennen vermochte, lenkte die Aufmerksamkeit der Gelehrten und Laien in gleichem Maße der jungen Kunst der Lichtzeichnung zu. Die Arbeiten von O. Anschütz, Muynbridge und Marey erregten allgemeine Bewunderung und eröffneten neue Gesichtspunkte auf allen möglichen Gebieten des Wissens, und von Zeit zu Zeit bringt die Fachlitteratur immer neue Beweise von dem Nutzen photographischer Aufnahmen. Daß wir die abgeschossene Kugel und den Blitz zu photographiren vermögen, ist bekannt; daß unser Zeitalter den kommenden Geschlechtern eine genaue Photographie des Sternhimmels vermachen wird, davon haben wir gleichfalls unseren Lesern berichtet (vgl. „Gartenlaube“ Jahrgang 1886, S. 128); als ein weiteres originelles Beispiel möchte ich heute nur die Photographie im Dienste der Pferdekunde erwähnen.
In einem Artikel, welcher in der „Hippologischen Revue“ vor kurzem erschienen ist, berichtet E. C. Anderson, der bekannte Verfasser von „Modern Horsemanship“, der seine Pferde selbst in den verschiedensten Gangarten photographirt hat: „Eines dieser Bilder, welches das Pferd im Moment des Bockens mit festgestemmten Vorderbeinen darstellt, hat mir den Schlüssel zu einer Methode geliefert, die es ermöglicht, genannter Unart vorzubeugen.“
Aber nicht allein für den Reiter ist die Photographie von Bedeutung; auch für den Thierarzt müßte es von eminent praktischem Nutzen sein, mit Beihilfe der Momentphotographie Klarheit über den Sitz einer versteckten Lahmheit oder über den besten Beschlag für fehlerhaft tretende Pferde zu gewinnen, und was den Kavalleristen betrifft, fügt Anderson hinzu, glaube ich, daß ihm die komplicirten Bewegungen großer Truppenkörper seiner Waffe auf keine anschaulichere Weise erklärt werden könnten, als durch Vorlegen einer Serie photographischer Aufnahmen der verschiedenen Phasen solcher Evolutionen.
Ich will die Beispiele nicht häufen; die Lösung dieser oder ähnlicher Aufgaben kann nur in seltenen Fällen dem Berufsphotographen zufallen, der auf das Gebiet der künstlerisch vollendeten Photographie sich naturgemäß beschränken wird; diese Lösung müssen die Amateurphotographen anstreben, und wenn sie dieses Ziel fest im Auge behalten und in ihren Vereinen fördern, so wird ihre Beschäftigung die Weihe einer nutzbringenden Thätigkeit erhalten. Das Vergnügen, selbstaufgenommene Gruppen von lieben Freunden und Landschaften in seinem Album zu sammeln, braucht ja ihnen dabei nicht verkürzt zu werden. Ja, dieses Vergnügen bildet die erste Staffel zum höheren Emporsteigen; denn wir müssen mit leichteren Aufgaben beginnen, bevor wir uns an schwierigere heranwagen dürfen. In diesem Sinne möchte ich unter Naturforschern, Gewerbetreibenden, Künstlern etc. Amateurphotographen werben!
Wie erlernt man aber das Photographieren? Viele scheuen vor demselben zurück, indem Sie meinen, es sei mit vielen Kosten und vielem Zeitverlust verbunden. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Der Amateur braucht keine Lehrstunden zu nehmen. Er kann aus Büchern diese Kunst besser lernen als z. B. fremde Sprachen. Fachleute haben für den Anfänger in liebevollster Weise gesorgt, und wir besitzen eine wahre Bibliothek derartiger Schriften und ein Arsenal von Apparaten für Amateure. Ich kann sie nicht alle erwähnen und muß mich darauf beschränken, beispielsweise unter den empfehlenswerthen nur einen Führer herauszugreifen.
Ludwig David, ein österreichischer Artillerieoffizier, hat, angeregt durch die Kunstanstalt von R. Lechner in Wien, einen sehr praktischen „Photographischen Reise- und Salonapparat“ zusammengestellt. Der Apparat wird in einen Tornister verpackt und der Dreifuß zu einem Stock zusammengelegt, der ganz gut als Bergstock benutzt werden kann. So kann der Amateur mit dem Apparat, der nur einige Pfund wiegt, reisen und wandern, wie dies in unserer Abbildung wiedergegeben wird. Das Aufstellen des Apparates geschieht in kürzester Zeit, das schwarze Tuch wird über die Kamera gebreitet, und der Photograph stellt das aufzunehmende Bild ein.
Der Tourist führt außer der Kamera noch einige Kassetten, von denen jede zwei Trockenplatten in Kabinettformat enthält. Ist das Bild eingestellt, so schiebt er unter dem schwarzen Tuch die Kassette in die Kamera hinein, zieht den Deckel der Kassette in die Höhe, so daß in der dunkeln Kamera die Trockenplatte frei wird, und entfernt den Deckel von dem Objektivglase. Das Lichtbild der Landschaft, welche er aufnehmen wollte, fällt nun auf die Trockenplatte und die beleuchteten Stellen des Bildes zersetzen das lichtempfindliche Bromsilber.
Ist die Aufnahme vollendet, so kann der Photograph die Kassette wiederum in den Tornister stecken und sie nach Hause tragen; wird die Kassette gut im Dunkeln und im Trockenen aufbewahrt, so braucht das Bild erst nach Wochen oder selbst Monaten „entwickelt“ zu werden; es verdirbt nicht, und das ist auch ein großer Vortheil, den die Trockenplatte mit sich bringt und der dem Amateur zugute kommt.
Meine Leser kennen gewiß die einfachen Grundlehren der Photographie; ich will sie auch nur der Vollständigkeit halber ihnen kurz ins Gedächtniß zurückrufen.
Wir dürfen die Trockenplatte dem Tageslichte nicht aussetzen, weil sie sofort verderben würde. Wir gehen darum mit der Kassette in einen dunkeln Raum, der nur durch rothes Licht, eine mit rothen Scheiben versehene Laterne, erhellt wird. Das rothe Licht hat eben nur geringe chemische Wirkung und beeinflußt die Platte nicht.
Bei dem geheimnißvollen Schein der rothen Lampe öffnen wir die Kassette und nehmen die Platte heraus. Sie zeigt nicht die Spur eines Bildes: die Zersetzung des Bromsilbers ist für unser Auge unsichtbar. Wir müssen erst das Bild sichtbar machen oder, wie der technische Ausdruck lautet: die Platte „entwickeln“. Zu diesem Zwecke legen wir sie in eine Schale, in welcher sich die sog. Entwicklerlösung befindet. Und siehe da! Nach einiger Zeit kommt aus dem mattweißen Grunde allmählich das Bild zum Vorschein, bis die Landschaft klar vor unseren Augen liegt, nur daß alles, was in der Natur hell war, auf der Platte schwarz erscheint, wir also ein negatives Bild vor uns haben.
Die schwarze Zeichnung besteht jetzt aus metallischem Silber; die vom Licht nicht getroffenen Stellen der Platte sind dagegen unverändert, weiß, geblieben. Ist das Bild ganz klar hervorgetreten, so können wir es noch keineswegs dem Tageslichte aussetzen; wir müssen zuerst die weißen Stellen, die unverändert geblieben sind, von der Platte entfernen; wir thun es, indem wir die Platte in eine zweite Schale mit einer anderen Lösung legen, welche die weiße Schicht auflöst. Man nennt das die Platte „fixiren“. Ist der Prozeß zu Ende, so erscheint uns das metallische schwarze Bild in der Leimschicht klar auf durchsichtigem Grunde. Wir haben das „Negativ“ fertig, welchem, nachdem es ausgewässert, ausgetrocknet und mit Bernsteinlack überzogen worden, sich Jahre lang hält und von dem wir eine beliebige Anzahl von positiven Papierphotographien anfertigen können. Beistehende Abbildungen zeigen uns in deutlicher Weise den Unterschied zwischen einem negativen und positiven Bilde.
[239] Das ist in kurzen Worten zusammengefaßt der ganze Prozeß, den der Amateur erlernen muß. Freilich hat jede der einzelnen Manipulationen ihre Klippen, aber sie sind nicht unüberwindlich; durch Fehler, die eingesehen und später vermieden werden, wird aus dem Schüler ein Meister.
Aber die Lösungen, die Schalen, das ganze Laboratorium, die sind nicht so leicht zusammenzustellen und beanspruchen wohl viel Raum, denkt vielleicht der Neuling. Durchaus nicht - ein Laboratorium, wie es der Amateur braucht, läßt sich in einem kleinen Kasten unterbringen, der die Größe eines Handkoffers besitzt. Das „tragbare Laboratorium“ kann man sehr gut auf Reisen mitführen; es ist nicht schwer und überall leicht unterzubringen.
Mit Hilfe des oben erwähnten Apparates, des Laboratoriums und der trefflichen kurzen Anleitung zur Herstellung von Photographien von Ludwig David haben viele in wenigen Sitzungen die Photographie erlernt. Auch eine Anzahl anderer Apparate und Anleitungen hat sich gut bewährt; ich möchte aber demjenigen, der in Folge dieses Artikels sich etwa zu den Amateurphotographen bekennt, den Rath gebend, beim Ankauf des Apparates lieber etwas mehr als zu wenig Geld auszugeben. Ich fasse eben die Amateurphotographie von der ernsteren Seite auf und Amateure, wie ich sie mir denke, sollten mit guten Linsen, soliden Apparaten, aber nicht mit leicht zerbrechlichem Spielzeug arbeiten.
Hat der Amateur gelernt, Landschaften, Gruppenbilder und Porträts aufzunehmen, versteht er die Platten zu entwickeln, dann kann er sich höheren Aufgaben zuwenden. Diese fallen aber schon in das Gebiet der Meisterleistungen. Vielleicht finde ich ein anderes Mal Gelegenheit, auch darüber den Lesern der „Gartenlaube“ zu berichten, sie über Momentverschlüsse, Detektiv-Kameras und Blitzphotographien beim Magnesiumlicht zu belehren oder sie in die Werkstätte des gelehrten Photographen zu föhren, der die Vögel im Fluge ebenso gut aufzunehmen versteht wie die winzigen Bakterien unter dem Mikroskop.