Die „Manchester-Schule“ und ihr Kunsttempel

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Titel: Die „Manchester-Schule“ und ihr Kunsttempel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 221-222
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die „Manchester-Schule“ und ihr Kunsttempel.

Manchester, die zweite Hauptstadt Großbritanniens, wetteifert schon vielfach siegreich mit der ersten. Es war der Geist Manchesters, der, alle traditionellen Parteiinteressen durchbrechend, ein Votum der Verdammniß über die Politik muthwilliger und grundsatzloser Eroberung und Feindseligkeit, der Renommisterei gegen Starke und der Brutalität gegen Schwache errang. Der moralisch und parlamentarisch besiegte Feind ergibt sich zwar nicht und trotzt auch nach Innen ohne Rücksicht auf Recht und Anstand, wie es nach Außen sein Geschäft ist, und meint mit Hülfe der Times und anderer Leitartikel, die an Provincialzeitungen geschickt werden, mit Agenten und historischen Phrasen von „Ehre,“ „Flagge,“ „Flotte“ u. s. w. über den Geist Manchesters noch einmal hinwegzukommen. Welche Manipulalionen auch noch angewendet werden, früher oder später muß dieser Geist Manchesters, im Wesentlichen Gesinnung der gebildeten Personen aller Völker, die im Frieden und freien Verkehre mit aller Welt eben so sehr ihr eigenes, wie das Interesse ihres ganzen Landes und aller andern Länder zugleich erkennen, doch siegen und an der Spitze der Regierung retten, was die bisherige Politik noch zu retten übrig ließ. Die Politiker, welche man unter dem Namen der „Manchester-Schule“ zusammenfaßt, haben persönlich noch manche Eigenheiten und individuellen Schwächen, gegen die man kämpfen, die man lächerlich machen kann, aber im Wesentlichen beruht ihre Weisheit und Macht auf Adam Smith und Adam Riese. Im Rechnen aber sind keine Parteien möglich, sondern blos unrichtige Facits, die man durch Nachrechnen und die Probe bald berichtigen kann. Gegen das als richtig erprobte Facit läßt sich dann nicht mehr streiten. Die Manchester-Männer rechnen und haben bereits gefunden, daß die bisherige Politik Englands in einer fast ununterbrochenen Reihe von Versündigungen gegen alle Species der Arithmetik besteht. Die „Baumwollen-Lords“ sehen ein und wissen aus Erfahrung, daß man mit Bibeln und Kattun-Ballen viel gründlicher erobert, als mit Bomben. Bisher schickte die auswärtige Politik sehr oft letztere hinter ersteren her, so daß sich die ancivilisirten Wilden einige Male schon nicht anders gegen letztere wehren konnten, als durch Zurücksendung der Bibeln in Form von scharfen Patronen. Die Bomben- und Flotten-Politik des Lord „Feuerbrand“ verdarb immer wieder, was die Millionen von Bibeln und Baumwollenwaaren Gutes angelegt und begründet hatten. Lord Bomba Bombastus Palmerston ließ immer aus dem Profite, der aus Bibelvertheilung und Baumwollenwaaren-Absatz erwuchs, Kugeln gießen und aus dem gewonnenen Palmöle des Friedens, dem in alle Welt leuchtenden Lichte der Civilisation, „Feuerbrände“ gegen die ancivilisirten Kunden und angeleuchteten Heiden drehen, um ihnen so den englischen Profit wieder in’s Gesicht zu verschleudern und die gewonnenen Kunden zu ermorden. „Das Bombardement Cantons war keine Kriegsoperation, sondern Ermordung von Kunden,“ sagte Bulwer Lytton, wahnsinnige Zerstörung einer der blühendsten englischen Städte.

Der Kunst-Ausstellungs-Palast in Manchester.

Die Manchester-Schule braucht nicht an Recht, Humanität u. s. w. zu appelliren, um den Wahnsinn solcher Politik zu beweisen. Sie zeigt, daß im friedlichen Verkehre mit 300,000,000 Chinesen England so und so viel gewinnt und Palmerston diesen Profit in Form von Bomben nach China zurückexportirt und außerdem noch Steuern verplatzt, die Kunden todtschießt, englische Städte zerstört, den kriegsbesteuerten Thee noch mehr vertheuert und alle seit siebzehn Jahren englisch civilisirten Gegenden China’s dermaßen unsicher macht, daß kein Engländer sich mehr auf chinesischem Boden sehen lassen kann, ohne, wenn’s irgend angeht, angefallen und vergiftet, erschlagen, strangulirt oder bauchaufgeschlitzt zu werden. Ist das eine auswärtige Politik! Die Engländer addiren gern ihre Profite zusammen und andere Leute auch. Aber wenn sie die Palmerston’sche Wirthschaft in ihrem Contobuch nachschlagen, heißt es: Verlust mal Verlust, plus Deficit, plus Kriegssteuer, plus Deficit an Ehre, plus Mangel an Recht, plus Brutalität und Schande u. s. w. Wenn man aber solche Posten des Fehlens und Verlustes addirt, wird das alle Mal ein Subtractionsexempel mit einem Facit, das man von allem positiven Haben abziehen muß. Das ist eine entsetzliche Arithmetik. Die Manchester-Schule zeigt, daß die Palmerston’sche Politik immer subtrahirt, während sie behauptet, daß sie immer frisch drauflos addire: mehr Ehre für die englische Flagge, mehr erobertes Land, mehr gedemüthigte (todtgeschossene und zahlungsunfähige) [222] Feinde, mehr Glorie des englischen Namens, mehr Lorbeeren! Wenn die Engländer das erst einsehen, regiert die Manchester-Schule. Sie bahnt sich ihren Weg auf eine gründliche, noble Weise. Sie baut dem Volke Schulen, öffnet ihm freie Bibliotheken, hält ihm an Feierabenden freie Vorträge, heizt und erleuchtet ihm Lesehallen und lockt es von Bier und Fusel zu geistiger Nahrung – nicht in Form von Almosen, sondern durch Anregung zur Selbstthätigkeit, durch Erweckung und Erziehung des Geschmacks, des Wissenschaftsbedürfnisses, des Sinnes für ehrliches Handeln, statt für die florirenden „ehrlosen Händel,“ die bei aller vermeintlichen Pfiffigkeit im Grunde immer doch blos von dem eigenen Vortheil subtrahiren, statt dazu zu addiren.

Aus diesem angedeuteten Geiste der Manchester-Schule, der die Palmerston’sche Politik im Parlamente schlug, ist außer vielen, sehr vielen andern Schulen, Instituten, Bibliotheken u. s. w. für’s Volk auch der große Krystall- und Eisentempel für Geschmacksbildung der großen Masse in Manchester aufgebaut worden. Von diesem Geiste genöthigt füllt ihn auch die Aristokratie, ohne eigentlich zu wollen, was damit erzielt wird.

Und hiermit kommen wir, nach einer scheinbar weit- und abschweifenden Einleitung, die aber wesentlich zur Sache führt und gehört, – zur Sache.

Die Manchester-Ausstellung von Kunstschätzen erhebt sich auf einem freien Platze außerhalb des Waldes schwarzrauchender Schlote und wird etwa im Mai – das Datum ist noch nicht bestimmt, – eröffnet werden. Ihr Werth wird hauptsächlich in öffentlicher Zusammenstellung aller der berühmtesten Originalgemälde von alten Meistern bestehen, welche sich in den Bildergallerien der Aristokratie bisher vor der Welt verkrochen, außerdem in Mustern und Modellen für alle mögliche Production und Industrie, welche durch Anschauung derselben Schönheits- und Formensinn cultiviren soll. – Das Gebäude, nach einem Entwürfe des Architekten Saloman, besteht fast durchweg aus Eisen und Glas und erinnert so an den großen Triumph der Industrie-Ausstellung aller Völker von 1851, welche schon damals einsahen, daß sie zusammen gehören und über die Drachensaat säende Politik des vorigen Jahrhunderts, die Palmerston in dieses Jahrhundert so weit hineinschmuggelte, längst hinaus gebildet und entwickelt sind. Der Bau hat die Form eines Parallelogramms von 700 Fuß Länge und 200 Breite. Nur die Hauptfaçade vorn, die wir in der Abbildung sehen, ist aus rothen und weißen Steinen erbaut und flügelt sich nach beiden Seiten über die Breite des Hauptkörpers hinaus. An der linken Seite des Centralgebäudes läuft eine lange Gallerie in die Eisenbahnstation, die sich nach allen Theilen Englands veradert und bis in die verschiedensten Häfen ausläuft, so daß Besuche von allen Richtungen der Windrose zu Wasser und zu Lande mit Dampf herbeifliegen können. Die Wände aller Gallerien bestehen aus acht Fuß im Umfange messenden hohlen Eisensäulen und tapezirten Holzwänden dazwischen. Ungeheuere Eisencolumnen in grandiosen Doppelreihen tragen auch den großen Bogen des Centrums, wodurch die lange Halle in verschiedene Abtheilungen gegliedert wird. Das Dach besteht aus gefurchten Eisenrippen, zwischen welche die Glasscheiben geschoben sind; doch bilden diese nicht, wie an beiden Krystall-Palästen, das ganze Dach, sondern nur verschiedene, regelmäßige sogenannte Himmelslichter, deren Zwischenräume durch gefelderte und reich mit Malerei und Schnitzwerk gezierte Wölbungen ausgefüllt sind. Der Totaleindruck ist großartig, elegant und wohlthuend durch Symmetrie und Harmonie in den Details.

Das Centrum unter dem großen Bogen bildet die große Halle, eine ungeheuere Gallerie von ungefähr 600 Fuß Länge und 70 Breite, Tempel für Sculpturen, Statuen, Gußwerke, Tapeten, große Stahl- und Kupferstiche, Bijouterie und allerhand Erzeugnisse der Kunstindustrie. Parallel mit diesem Hauptschiffe laufen zwei Seitengallerien, die öffentlichen Schausäle für die Werke der alten Meister nach „Schulen“ und Perioden geordnet, wofür architektonisch besondere Sectionen angebracht sind, so daß man die Schulen und Perioden gleich von Außen genau unterscheiden kann. In rechten Winkeln mit der Haupthalle ziehen sich kleinere Gallerien für Ausstellung von Zeichnungen, Platten, Lithographien, Panikographieen und viele andere moderne – Graphicen.

In Folge des Aufrufs der Manchester-Commission an alle Besitzer von Original-Kunstschätzen, sie zum Genusse und zur Veredelung aller Classen hier auszustellen, haben sich die meisten Großen und Reichen des Landes, zum Theil weltberühmt durch ihre Privatgemälde, bereit gefunden, das große Werk zu unterstützen. Wir nennen nur einige Wenige und deren Hauptkleinodien. Daß die Königin und Prinz Albert mit allen ihren Kunstschätzen wieder mit einem guten Beispiele vorangingen, versteht sich bei ihnen von selbst. Der Earl von Carlisle hat Carrachi’s und Corregio’s geschickt, Lord Grey Van Dyk’s und die berühmte Original-„Tochter des Titian.“ Dr. Waagen[WS 1], der berühmte und von Engländern wegen seiner scharfen Kenntniß des Echten und Unechten (wovon sich die Engländer viel aufhängen ließen) gefürchtete deutsche Kunstkenner, wählte 60 der besten Gemälde aus der weltberühmten Gallerie des Earl Spencer. Es fehlt nicht an echten Raphael’s, Rubens’, Titian’s, Tintoretto’s, Peruzzi’s, Dominichino’s, Salvator Rosa’s, Paussio’s u. s. w. Die berühmten Raphael’schen Cartons aus Hampton Court sind da, die Kreuzigung, zwölf lebensgroße Fresken, die drei Gracien u. s. w., lauter Raphael’s im Original, das jüngste Gericht von da Fiesole, das letzte Mahl von Giotto, Originale von Holbein, Guido Reni, Rembrandt, Viehstücke von Paul Potter und andern Thiermalern ersten Ranges, Landschaften und Scenen von de Hope, Berghem, Ostade, Ochtevelde, Jan Both, Jan Steen, Plazer u. s. w., außerdem berühmte Originale von Murillo, Albrecht Dürer, Teniers, Breughel, Horace Vernet, Ruysdael, Reynolds, Milkie, Turner, Hogarth und einer Menge anderer Meister und Häupter der verschiedenen Malerschulen.

Kenner werden sofort sehen, welch’ kunsthistorischen Werth ein solcher Congreß der Schönheit und Idealität aller Zeiten und Völker für unsere Zeit haben muß, sicherlich einen größeren, dauerhafteren, segensreicheren als irgend ein diplomatischer Congreß, auf welchem die Palmerston’sche Politik den Mephisto, den Judas, aber häufiger den betrogenen Betrüger spielt. Jeder, der sich diese Schöpfungen des Genius ordentlich ansieht, nimmt einen schönen Eindruck, eine noblere Stimmung, eine Wärme für das Schöne, Wahre und Echte mit in’s Leben hinaus, wo es Blüthen und Früchte treiben mag zur Bereicherung und Verschönerung alles menschlichen Daseins und Schaffens. Die Modelle und Muster für praktische Industrie verbessern und verschönern die Gebrauchs- und Bequemlichkeitsmittel unseres täglichen Lebens, erleichtern und vermehren die Befriedigungsmittel der Menschheit und wirken so aus allen Richtungen der Thätigkeit und Cultur auf noble Gesinnung, Frieden und Freiheit der Menschen und Völker unter einander hin. So macht die „Manchester-Schule“ Propaganda. Welche Fülle und Frechheit von Lügen zur Beschönigung von Brutalitäten und pfiffige Absichten verrätherischer Dummheit verbreiten jetzt die Times und andere Miethlinge der Palmerston’schen Politik, um die Cobden’s und deren „Verschworne“ in Mißcredit zu bringen! Es ist ihnen bei den Wahlen gelungen, die Manchester-Schule hat für den Augenblick eine Niederlage erlitten, denn die Massen sind noch dummstolz national und glauben in Palmerston den besten Vertreter dieses nationalen Dummstolzes auf Geld und Flotte und Bomben zu besitzen. Aber seine, wie die Tage dieser Brutalitäts-Politik gegen Schwache, der Feigheit gegen Starke sind gezählt und Adam Riese, Raison und Recht und Bildung kommen doch noch an’s Ruder.[1]



  1. Die vortrefflich redigirte „Berliner Volkszeitung,“ die wir bei dieser Gelegenheit unsern Lesern empfehlen, sagt in ihrem Leitartikel – ob richtig oder nicht, wollen wir nicht entscheiden – über die Niederlage der Manchester-Schule: „Das Princip dieser Schule hat gesiegt und wird noch weiter siegen; aber dieses Streben, aus einem volkswirthschaftlichen richtigen Princip einen Glaubensartikel zu machen und von diesem einen Princip aus die alleinseligmachende Lösung aller nationalen Principien zu verkünden, dieses starre Festhalten des Princips in allen Lagen und Verhältnissen, selbst dort, wo es gar nicht mehr paßt, diese echt englische Verwandelung eines Princips in eine Marotte für Alles, dies hat zu nichts Anderem als zum Sturz der Partei in national-politischen Fragen führen müssen. Schon in der orientalischen Frage hat sich diese Orthodoxie lächerlich gemacht. Nach ihr ist das Handelsinteresse das einzige und nächste in der Welt. Sie würde, wenn nur Rußland einen guten Handelsvertrag bewilligt, nicht das Mindeste dagegen haben, wenn es die ganze Türkei unterjocht. Für sie ist der Handel das einzige Evangelium der Menschheit. Die national-historische Aufgabe Englands, in die fernsten Welttheile einzudringen und durch Eroberungen jeder Art dahin zu wirken, daß allenthalben Tochtercolonien entstehen, hat für diese Partei nur den einzigen Werth in der Möglichkeit, Geschäfte zu machen. Deshalb ist sie in allen Fällen für den absoluten Frieden, selbst wenn derselbe gar nicht mehr mit der Würde und Ehre der Nation verträglich ist; deshalb hat sie auch in der chinesischen Angelegenheit, die gegenwärtig eine wichtige Rolle spielt, nicht gefragt, ob

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gustav Friedrich Waagen; Vorlage: Moagen