Textdaten
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Autor: Marie Calm
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Titel: Die „G. F. S.“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 275–277
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die „G. F. S.“

Von Marie Calm.

An einem schönen Sommernachmittage ging ich mit einem jungen Mädchen durch die Straßen Londons. Es war die Höhe der Saison. Die Menge eleganter Equipagen, welche die breiten holzgepflasterten Straßen entlang flogen, der Strom der Passanten, der auf und nieder wogte, der Glanz der Läden, welche ihre reichste Pracht entfalteten, hatten etwas Berauschendes. Ich liebe es, diese Pulsadern des Lebens klopfen zu hören, liebe es auch, die mannigfaltigen Producte der Natur und Cultur hinter den riesigen Schaufenstern zu bewundern.

Irgend ein Gegenstand erregte meine Kauflust, und ich bat meine Begleiterin, mit mir in den betreffenden Laden einzutreten. Etwas befangen sah sie nach ihrer Uhr und erwiderte dann, sie bedauere, meinen Wunsch nicht erfüllen zu können, denn es sei schon halb Sieben, und sie gehöre zu dem „Sechs-Uhr-Schließ-Verein“.

Verwundert über diesen sonderbaren Titel blickte ich sie fragend an, und sie erklärte mir nun, daß jener Verein sich die Aufgabe gestellt habe, das Loos der Verkäuferinnen zu erleichtern, indem er darauf antrüge, alle Modehandlungen um sechs Uhr zu schließen. Dadurch, meinte sie, würden die armen shop-girls Zeit bekommen, ihre Mahlzeit mit den Ihrigen einzunehmen und einen Spaziergang zu machen, während sie jetzt meist bis acht, oft bis zehn Uhr um Platze sein müssen.

„Wir haben schon,“ fuhr sie fort, „bewirkt, daß sie sich setzen dürfen, wenn sie gerade keine Kunden bedienen, denn das fortwährende Stehen ist erwiesenermaßen sehr schädlich; hoffentlich setzen wir auch das frühere Schließen der Läden durch und sichern ihnen so ein menschenwürdiges Dasein!“

Ich gestehe, daß in die Verwunderung, mit der ich meiner jungen Freundin zuhörte, sich ein Gefühl von Bewunderung mischte. Sie mochte achtzehn bis neunzehn Jahre zählen, war ein hübsches, blühendes Mädchen – und sprach so warm und so einsichtsvoll von diesen humanen Bestrebungen! Es war mir wieder ein Beweis – wie ich deren schon viele erhalten – daß bei den englischen Frauen der Gemeinsinn außerordentlich gepflegt wird. Weniger beansprucht durch die Privatinteressen des Hauswesens, als unsere Frauen, können sie ihre Gedanken, wie ihre Zeit und Kräfte, mehr den allgemeinen Interessen widmen und zeigen dafür im Allgemeinen warme Theilnahme und einen raschen, praktischen Blick.

Daß in einem Lande, wo Wohlthätigkeitsanstalten fast ganz Privatsache sind, die Wohlthätigkeitsvereine in höchster Blüthe stehen, läßt sich denken. Ich glaube, es giebt wenige Frauen, die nicht zu einigen derselben gehören. Eine sehr große Anzahl unterrichten in den Sonntagsschulen, die indeß jetzt wohl abnehmen werden, seitdem die Governmental schools, die Staatsschulen, jenen oft sehr kläglichen Behelf weniger nöthig machen; Andere gehören einem Verein an, der sich die Ergründung der Verhältnisse der Bittsteller zur Aufgabe macht, um sie in zweckmäßiger Weise unterstützen zu können, oder sie helfen gemeinnützige Schriften verbreiten; noch Andere halten „Mothers’ meetings“ ab, das heißt Zusammenkünfte mit armen Frauen, welche sie über die physische und sittliche Erziehung ihrer Kinder zu belehren suchen; und Viele sind Mitglieder der „G. F. S.“

Die „G. F. S.“! Ich hatte den Ausdruck schon öfter gehört, ohne ihn zu verstehen. Als ich mich darnach erkundigte, wurde mir erklärt, die „G. F. S.“ sei „the Girls’ Friendly Society“ – „Der Verein der Freundinnen der jungen Mädchen“.

Das ist ein langer Titel, und die praktischen Engländer, für welche „time is money“ („Zeit ist Geld“), haben selbst in den langen Sommertagen nicht Zeit, ihn ganz auszusprechen. Wie sie ihre Titulaturen meist nur mit Initialen bezeichnen – ich erinnere an das M. P., Member of Parliament, das M. A., Master of Arts, ja selbst das H. M., womit Her Majesty sich begnügen – so reduciren sie auch die oft sehr umständlichen Namen von Vereinen auf die Anfangsbuchstaben. So ist die Abkürzung „G. F. S.“ unter allen Mitgliedern des genannten Vereins gebräuchlich, auch in den Berichten wird sie angewendet, und bei feierlichen Versammlungen habe ich sie von den Rednertribünen herab gehört.

Diese „G. F. S.“ also ist ein Verein, der im Jahre 1875 gegründet wurde, um jungen Mädchen in dienstlichen Stellungen einen Schutz zu gewähren. In dem großen Labyrinthe Londons, wie in anderen großen Städten, und besonders den Fabrikorten Englands treiben Tausende von jungen Mädchen sich umher, die, dem elterlichen Hause entwachsen, ihr Brod durch eigene Arbeit zu verdienen suchen, es aber häufig nicht finden, häufig auch durch Krankheit, durch Versuchungen aller Art in Noth und Elend gerathen. Wie Viele versinken nicht widerstandslos in den brausenden Wogen jener Städte, die hätten gerettet werden können, wenn zur rechten Zeit eine hülfreiche Hand sich ihnen dargeboten, zur rechten Zeit ein freundlich mahnendes Wort an ihr Ohr und Herz gedrungen wäre! Mögen nachher die Hospitäler, die Arbeitshäuser, die Magdalenen-Stifte sich ihnen öffnen – es ist dann das gebrochene Geschöpf, das man noch zu heilen sucht, während man früher den Sturz vielleicht hätte verhüten können.

Deshalb nun haben sich in allen Orten Englands Damen verbunden, um sich der ihr Vaterhaus verlassenden Mädchen anzunehmen. Ob sie als Dienerinnen in ein fremdes Haus eintreten, ob sie Verkäuferinnen in Läden werden, oder in Fabriken arbeiten, die Dame, welche sich einmal verpflichtet hat, das Mädchen in ihren Schutz zu nehmen, ihre Freundin zu sein, behält sie im Auge. Bei den Dienstmädchen ist dieser Schutz nur dann nöthig, wenn sie ihre Stelle wechseln oder krank werden, denn man nimmt an, daß die Herrin stets die beste Freundin der Dienerin ist, und die Regeln des Vereins verbieten ausdrücklich, die Mädchen in den Häusern, wo sie in Dienst stehen, aufzusuchen oder sich irgendwie in ihre Dienstangelegenheiten zu mischen. Aber für die in Fabriken und Werkstätten beschäftigten Mädchen kann dieser Schutz jederzeit von großem Nutzen sein. Es sind von Seiten des Vereins besondere Personen angestellt, um diese Mädchen aufzusuchen und Erkundigungen über sie einzuziehen. Man findet sie in den verschiedensten Gewerben beschäftigt. Außer in den gewöhnlichen Stellungen als Nähterinnen, Schneiderinnen, Putzmacherinnen sind sie als Buchbinderinnen thätig, als Federschmückerinnen, Goldspitzen- und Franzenverfertigerinnen, in Cigarrenfabriken, Seidenwebereien, als Schuhmacherinnen, Packerinnen, Maschinistinnen etc.

Für diese Mädchen, die mehr oder weniger alle unter die gemeinsame Bezeichnung „Fabrikmädchen“ kommen – ein Titel, der die Verwildertsten und Rohesten des Geschlechts in sich schließt – ist es nun etwas Großes, in Verbindung mit einer Dame zu stehen, von der sie wissen, daß sie sich für sie interessirt, daß sie in der Noth ihnen beistehen wird, wenn sie selbst sich nur brav und ordentlich halten; etwas Großes, durch die Abendschulen des Vereins Gelegenheit zu haben, sich weiter zu bilden; etwas Großes auch, von Zeit zu Zeit am Sonntag Nachmittage in einem netten Locale mit anderen Mädchen ihres Alters zusammen zu treffen, ihren Thee einzunehmen und eine belehrende oder unterhaltende Lecture anzuhören. Natürlich ist das religiöse Element bei diesen Zusammenkünften auch vertreten – ein Factor, der, richtig angewandt, sehr segensreich wirken kann.

Da nur solche Mädchen in den Verein aufgenommen werden, welche sich als brav und sittlich ausweisen können, so darf man einerseits hoffen, daß der gegenseitige Einfluß ein guter sein wird, andrerseits sehen die Mädchen in Folge dessen eine Ehre darin, [276] zu dem Verein zu gehören. Auch macht man schon die Erfahrung, daß Herrschaften wie Arbeitgeber vorzugsweise gern solche Mädchen engagiren, welche ihr Vereinsbüchelchen vorzeigen können.

Dieses Büchelchen, das mir eben vorliegt, ist ein nett cartonnirtes kleines Heft, mit der Devise des Vereins: Bear ye one another’s burden (Traget Einer des Andern Last.) Außer dem Namen und der Adresse des betreffenden Mitglieds enthält es die Regeln des Vereins, die Quittungen für die der „Freundin“ geleisteten Beitragszahlungen und, was mir am wichtigsten scheint, eine Liste von Logir- und Heimathhäusern in allen größeren Städten Englands, wo die Mädchen, bei einem etwaigen Wechsel ihres Aufenthaltes, sicher sind, eine gute Unterkunft zu finden. Diese Liste ist gewiß von außerordentlichem Werth, denn man weiß, welchen Gefahren alleinstehende junge Mädchen ausgesetzt sind , wenn sie eine fremde Stadt betreten, nicht wissend, wohin sie sich wenden sollen. Solche „Heimathhäuser“ sind in vielen Orten von dem Verein selbst gegründet worden; in anderen stehen sie doch mit ihm in Verbindung.

Außerdem erhalten die Mädchen beim Verlassen eines Ortes von ihrer „Freundin“ eine Empfehlung an den Vorstand eines anderen Zweigvereins. Denn es existirt in Großbritannien schon jetzt, nach noch nicht siebenjährigem Bestehen des Vereins, kaum ein Ort, der nicht einen Zweigverein aufzuweisen hätte. Dreitausend Gemeinden gehören ihm an; die Zahl seiner Mitglieder beträgt circa 50,000, während 15,000 Damen als Associates, als „Freundinnen“ der Mitglieder fungiren.

Aber freilich, die besten Kreise des Landes interessiren sich auch dafür. Der Verein steht unter dem Protectorate der Königin, und die Erzbischöfe von Canterbury und York sind seine Präsidenten, während die vornehmsten Namen des Reichs in der Liste der Associates figuriren. Natürlich entsprechen dem auch die Mittel des Vereins, denn wenige Damen werden sich wohl begnügen, den als Minimum festgesetzten Jahresbeitrag von 21/2 Schilling (21/2 Mark) zu entrichten. Indessen ergiebt dieser geringe Beitrag von den 15,000 Damen schon die Summe von 37,500 Mark, die mit den 50,000 Mark Beiträgen der Mitglieder immerhin eine ganz beträchtliche Jahreseinnahme bilden.

Diese Mittel des Vereins dienen verschiedenen Zwecken. Zuerst, wie schon erwähnt, der Einrichtung von Heimathhäusern für stellenlose Mitglieder; ferner der Gründung von Abendschulen, in denen hauptsächlich Bibel- und Nähunterricht ertheilt wird; sodann der Unterstützung der Mädchen in Krankheitsfällen; auch wird eine Bibliothek davon beschafft, welche den Mitgliedern passende Lectüre liefert, sowie zwei Journale, von denen eins unter den „Freundinnen“, das andere unter den Mädchen circulirt, und schließlich bestreitet der Verein von jenen Beiträgen die nicht unbedeutenden Kosten der Zusammenkünfte jener schon erwähnten Theenachmittage, sowie der Feste, welche die Angehörigen des Vereins einmal alljährlich in jedem größeren Bezirk versammeln.

Einem solchen Feste, das in Chester stattfand, wohnte ich kürzlich bei. Einladungskarten für den 29. Juni waren an alle Vereinsangehörige innerhalb der Grafschaft Cheshire erlassen worden, und die Eisenbahndirectionen hatten sich freundlichst bereit erklärt, die Gäste für etwa den vierten Theil des gewöhnlichen Fahrgeldes zu befördern.

Ich hatte von der Vorsitzenden des Zweigvereins von Altrincham (bei Manchester), wo ich mich damals befand, eine Einladung erhalten und stellte mich pünktlich um halb ein Uhr auf dem Bahnhofe ein. Meine Wirthin, Mrs. S., die Gattin eines dortigen Geistlichen, war schon anwesend; begleitet von drei oder vier Damen des Vereins, und nicht weit von ihnen, auf den möglichst kleinen Raum zusammengedrängt, standen einige zwanzig junge Mädchen in ihrem besten Sonntagsstaat. Da wir eine Weile zu warten hatten, fingen sie hier schon an, sich an den buns (Rosinenbrödchen) und Apfelsinen zu erlaben, die Mrs. S. in großen Quantitäten bei sich führte.

Endlich brauste der Zug heran; eine Menge Mädchenköpfe streckten sich aus den Waggons dritter Classe hervor (denn wir bedienten uns alle dieser wenig aristokratischen Beförderungsmittel, die eine Lady sonst nie betritt, obgleich sie in ihrer Ausstattung jetzt weit besser sind, als bei uns) und eiligst suchte unsere kleine Heerde zu ihren Colleginnen drinnen zu gelangen oder doch unter sich zu bleiben. Einige indeß mußten doch mit in unseren Wagen kommen, wo sie anfangs sehr steif und still saßen – sie zogen rasch ihre Handschuhe an, die sonst wohl erst in Chester zum Vorschein gekommen wären – mit der Zeit aber, während der mehrstündigen Fahrt doch aufthauten.

Da war es denn ganz interessant zu beobachten, wie sich in ihrem Verhalten ihre Lebensstellung verrieth. Die sich am stillsten verhielten, auch am schlechtesten gekleidet waren, wurden mir als Fabrikmädchen bezeichnet – die Atmosphäre war ihnen augenscheinlich fremd, sie fühlten sich unbehaglich darin. Ein hübsches junges Mädchen in einem fast zu eleganten Costüm – gewiß von der Herrin ererbt – diente ohne Zweifel in einem feinen Hause. Sie unterhielt sich ganz unbefangen mit uns, ohne doch die Bescheidenheit zu verleugnen, welche die englischen Dienstmädchen weit mehr, als die unseren, bewahren, welch’ letzte, durch den steten Verkehr mit der Herrin, die ja oft an ihrer Arbeit Theil nimmt, leicht einen familiären Ton annehmen, den die englischen Verhältnisse fast unmöglich machen. – Mehrere der Mädchen waren dem elterlichen Hause, respective der Schule noch nicht entwachsen, denn sie dürfen schon mit zwölf Jahren dem Verein beitreten und genießen also schon früh den Schutz der „Freundin“, die desto größeren Einfluß auf sie ausüben kann.

Sehr hübsch war zu sehen, wie auf jeder Station neue Zuzüge von Mädchen, unter Leitung einiger Damen, hinzukamen, sodaß, als wir in Chester anlangten, ein ganzer Strom jugendlicher Gestalten sich aus den Waggons ergoß. Dieser Strom aber wuchs zum Meere an, als wir nun in Chester einwanderten, denn die Straßen der alten Stadt waren buchstäblich mit den Zügen der jungen Festtheilnehmerinnen angefüllt.

Der erste Versammlungspunkt war die Kathedrale, ein imposantes, altes Bauwerk, in der ein Festgottesdienst abgehalten wurde. Mehr als 800 junge Mädchen nahmen das Schiff der Kirche ein und sangen aus vollen, frischen Kehlen die Lieder, welche, zum Theil ihnen schon aus ihrem Mitgliedsbüchelchen bekannt, mit den dazu gehörigen Noten unter alle Theilnehmer vertheilt waren. Ein zum Verein gehörender Geistlicher, ein freundlicher, alter Herr, hielt die Predigt.

Von der Kathedrale aus ging der unabsehbare Zug nach dem Festlocale, einer ungeheuren, mit Fahnen und Blumen geschmückten Halle, in der endlose Tafeln, mit allem Zubehör eines englischen Thees bedeckt, der Gäste warteten. Auf hohen Standarten waren die Namen der vertretenen Orte an den Tafeln zu lesen, sodaß die große Menge sich leicht ordnete.

Wer aber zählt die Schüsseln mit Butterbroden, nennt die Namen der Kuchen, Fleischpasteten, Sandwiches etc., die gastlich hier geboten wurden? Berge von Vorräthen schwanden unter den frei zulangenden Händen der Gäste, zinnerne Fässer voll Thee leerten sich unter den emsig austheilenden Händen der Wirtinnen, bis zuletzt nichts übrig blieb, als etliche unbelegte Butterbrode und die Blumenbouquets.

Jetzt, nachdem der eß-theetische Theil beendet, folgte der ästhetische Theil des Festes. Aller Augen wandten sich nach oben, nach der Gallerie, auf der jetzt die Redner erschienen. Der Secretär der Gesellschaft, ein M. P. (Parlaments-Mitglied), war speciell zu dem Zweck von London nach Chester gekommen, um dem Feste beizuwohnen, und hielt nun eine herzliche Anrede an die Mädchen, welche seine Worte – wie in der That die jedes folgenden Redners – mit lebhaftem Applaus aufnahmen. Es schien fast, als sei der Thee ihnen etwas zu Kopf gestiegen, so geräuschvoll bezeigten sie ihren Beifall, besonders als der hohen Protectorin des Vereins, der Königin Victoria, gedacht wurde, sowie einiger anderer Damen, die sich um den Verein verdient gemacht hatten. Dann sang man einige Lieder; zum Schluß das unvermeidliche „God save the Queen“, das jede musikalische Production in England abschließt, und welches natürlich von der ganzen Versammlung stehend gesungen wurde.

Das schöne Wetter, das unser Fest den ganzen Tag über begünstigt hatte, lockte uns nun in’s Freie. Ein Theil der Gesellschaft wanderte nach dem Flusse zu, um die hübsche Umgegend kennen zu lernen oder Kahnfahrten zu unternehmen, Andere besahen die alterthümliche und höchst eigenartige Stadt. Ich schloß mich den Letzteren an und bewunderte die prachtvollen Kaufhallen die mit ihren langen Colonnaden mich an Bern erinnerten, und die mächtigen Festungsmauern, auf denen man spazieren gehen kann und die mit kleinen Wohnhäusern bebaut sind. Nun begriff ich auch, wie einst Rahab die Kundschafter Josua’s aus ihrem [277] Hause auf der Mauer hatte herablassen können – das war mir bisher nie klar geworden!

Unter den Kaufläden zeichneten sich besonders die Conditoreien aus, die in ganz England berühmt sind; man zeigte mir auch diejenige, welche den riesigen Hochzeitskuchen der Herzogin von Albany geliefert hatte. Unsere jungen Mädchen schienen sich auch von der Güte dieser Producte uberzeugen zu wollen, denn ich sah Viele von ihnen hineingehen, und auf der Rückfahrt ließen sie ihre Zuckerdüten ganz ungenirt circuliren.

Diese Rückfahrt war, wie das meist bei solchen Gelegenheiten der Fall, weit belebter als die Hinfahrt. Die Mädchen unterhielten sich ungenirt unter einander und mit den Damen, sangen Lieder und thaten ihr Möglichstes, um die Reste des mitgenommenen Proviants zu vertilgen. Auf jeder Station gab es Abschiede, und wir waren wieder zu unserem ursprünglichen Häuflein zusammengeschmolzen, als wir gegen 10 Uhr in den Altrinchamer Bahnhof einfuhren.

Mir hatte der hübsche Ausflug jedenfalls ein erhöhtes Interesse für den Verein gegeben, der in England – zum Theil auch schon in seinen Colonien! – so segensreich wirkt. Ein ähnlicher existirt auch auf dem Continent. Er ist unter dem Titel „Union internationale des amies de la jeune Fille“ in Neuschatel von dem durch seine humanen Bestrebungen berühmten Pastor Humbert gegründet worden, und erfreut sich einer weiten Verbreitung. Möchte er auch in Deutschland Boden fassen und recht viele Mitglieder gewinnen!