Deutschlands Kampf mit der Nordsee

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Deutschlands Kampf mit der Nordsee
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 344–346
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Wie wir unsere Nordee-Inseln schützen
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[346]
Deutschlands Kampf mit der Nordsee.
Wie wir unsere Nordsee-Inseln schützen.

Während der Festländer den klaren Landsee oft mit einem Auge vergleicht, nennt umgekehrt der seegewohnte Küsten- und Inselbewohner viele jener Eilande, welche unsere Nordseeküste umsäumen, in poetischer Deutung des Bildes, das sie gewähren, „Oog“, d. h. Auge. Wangeroog, Spiekeroog, Langeoog bringen in der letzten Silbe ihres Namens jenen Vergleich zum Ausdruck. Und wahrlich! als ob ein Stück Meeresboden, müde der ewigen Nacht, einmal einen Blick hätte hineinwerfen wollen in die sonnenbeschienene Welt, so ragen die grauen Dünenhäupter aus den Fluthen empor - unheimlich und fremdartig.

Wie ein gelblicher Streifen zieht sich, an hellen Tagen vom Festlande aus deutlich erkennbar, jene Inselkette längs der Küste hin. In starrer Eintönigkeit reiht sich ein Eiland an das andere, von diesem getrennt durch einen breiten Wasserstreifen, das sogenannte „Seegat“.

Es ist ein seltsames Gemälde, das sich beim Betreten einer dieser Inseln vor uns entrollt. Weithin erstreckt ein grauer Strand sein ungastliches Gestade, und halb im Sande versunken, lagern die Gerippe einiger Wracks, deren dunkle Umrisse sich scharf abheben von der blendenden Sandfläche. Allmählich steigt diese empor, den Uebergang zur eigentlichen Insel, den Dünen, bildend, und statt des üppigen Grün, das in den reichen Marschgegenden des benachbarten Festlandes das Auge erquickt, fristet hier nur der Sandhafer ein kümmerliches Dasein. Finster und ernst blicken die Sandriesen hinab auf die weite See, zu ihren Füßen aber rauscht die Brandung ihr eintöniges Lied - heute wie vor Tausenden von Jahren. Alles schweigt ringsum, nur der unangenehme Schrei einer Möve unterbricht hin und wieder die traurige Einförmigkeit. Der Geist der Verlassenheit lagert über dieser Landschaft, die, jeder Cultur unzugänglich, dazu bestimmt erscheint, zahllosen Schiffen und Seeleuten ein frühes Grab zu bereiten.

Und doch sind gerade diese Inseln für unser Vaterland von unschätzbarem Werth; denn wie gewaltige Forts einer Festung erheben sie sich vor unseren Küsten und gestatten dem drohenden Feinde, der stürmischen Nordsee, nur einen schmalen Durchgang durch die sie trennenden Zwischenräume, die „Seegaten“. Zweimal täglich ergießt das Meer durch diese Oeffnungen hindurch seine Fluthen über das zwischen der Inselkette und den Deichen des Festlandes belegene Fluthgebiet, und ebenso oft innerhalb vierundzwanzig Stunden strömen jene Wassermassen in die eigentliche See zurück. Ihr Kommen und Gehen ist an ewige Gesetze gebunden; denn mit dem Augenblick der tiefsten Ebbe beginnen die Fluthen hinein zu brausen auf das Watt, um nach genau sechs Stunden und zwölfeinhalb Minuten den umgekehrten Weg anzutreten und nach Verlauf derselben Zeit abermals zurückzukehren. [347] So geht es fort in ewigem Wechsellauf, und mühelos läßt sich genau die Stunde bestimmen, in welcher an einem beliebigen Tage nach Hunderten von Jahren das Wasser an einem bestimmten Punkte der Küste seinen höchsten Stand erreichen wird. Ich sage an einem bestimmten Punkte; denn nicht an allen Stellen unserer Küste tritt der höchste, beziehentlich der niedrigste Wasserstand zur selbigen Stunde ein, vielmehr ist dieser Eintritt abhängig von der geographischen Lage eines jeden einzelnen Punktes.

Es leuchtet ein, daß die dem Ocean entstammende Fluthwelle die westlichsten unserer Inseln und somit die hinter diesen belegene Küste früher erreichen wird, als die weiter östlich gelegenen, und so hat denn auch, um ein Beispiel anzuführen, Wangeroog an demselben Tage erst um neuneinviertel Uhr Hochwasser, wo dasselbe bei Borkum bereits um neuneinviertel Uhr eingetreten ist.

Die Niveaudifferenz zwischen höchster Fluth und niedrigster Ebbe innerhalb einer „Tide“ beträgt an unseren Nordseeküsten durchschnittlich 2,4 Meter. Multiplicirt man mit dieser Zahl den Flächenraum der Wattstrecke, welche sich hinter jeder Insel befindet, so erhält man einen Begriff von der Wassermasse, welche sich alltäglich zweimal durch ein „Seegat“ auf das Watt und damit gegen die Küsten ergießt.

Daß die einströmenden Fluthen bei stürmischem Wetter oft das Doppelte, ja sogar das Dreifache der genannten Höhe erreichen, möge nur nebenbei Erwähnung finden; denn die erst vor Kurzem von der „Gartenlaube“ gebrachte ausführliche Schilderung der verheerenden Wirkung der Sturmfluthen (vergl. Jahrg. 1880, Nr. 51) erspart uns hier ein genaueres Eingehen auf diesen Gegenstand.

Wie gewaltig aber auch die See, in ihren innersten Tiefen aufgewühlt vom stürmischen Nordwest, einherbraust gegen das flache Land, es vermag doch nur ein Theil derselben, dank der schützenden Inselkette, das Watt und damit die Küstendeiche zu erreichen, und auch dieser erreicht sein Ziel nur in gebrochener Kraft. So sind denn unsere Inseln unzählige Mal die Retter des bedrohten Festlandes gewesen.

Gleich einem Feinde aber, der zunächst die schützenden Forts zu vernichten strebt, um sich alsdann mühelos der belagerten Veste zu bemächtigen, arbeitet auch das Meer unablässig an der Vernichtung der sich ihm in den Inseln entgegenstellenden Bollwerke. Jede größere Sturmfluth reißt Bresche in die schützenden Dünenketten, und rastlos geschäftig arbeiten in den Zwischenpausen die Strömungen an der Beseitigung der Trümmer. Unmerklich führen sie dieselben fort, um sie tief am Grunde des Meeres wieder abzulagern - so ebnen sie sich den Weg für weitere Erfolge.

Dünenschutzwerke auf den deutschen Nordsee-Inseln.
Nach einer Skizze auf Holz gezeichnet von Rudolf Cronau

Ganze Inseln sind auf diese Weise ein Opfer der Fluthen geworden. Die noch im vorigen Jahrhundert vorhandenen Eilande Bandt und Büse sind jetzt völlig verschwunden, Juist und Langeoog in der Mitte durchbrochen. Auch ein großer Theil der Insel Wangeroog mit Einschluß des ganzen nicht unbedeutenden Dorfes wurde durch den Sturm vom 1. Januar 1855 vernichtet. Nur der mächtige, jetzt rings von den Fluthen umgebene Kirchthurm blieb erhalten und bezeichnet die Stätte, wo einst dieses Dorf gestanden.

Aehnliche, wenngleich nicht so tragische Verluste wie Wangeroog haben die übrigen Inseln unserer Nordseeküste zu verzeichnen. Borkum, Norderney, Baltrum und Spiekeroog - sie alle haben noch in dieser Hälfte des Jahrhunderts nicht unbedeutende Strecken ihrer Dünenketten eingebüßt. Die völlige Vernichtung aller dieser Eilande erschien nur noch eine Frage der Zeit, und für die Bewohner der Inseln und der Küstenstriche eröffnete sich eine düstere Zukunft. Da reichten in letzter Stunde die Regierungen der in Mitleidenschaft gezogenen Staaten den schwer Bedrängten die rettende Hand.

Wie am Festlande selbst, so beschlossen sie in richtiger Erkenntniß der Gefahr, auch auf den Inseln den Kampf gegen das verheerende Element aufzunehmen und durch Erhaltung derselben die Küste selbst zu retten.

Das erste energische Vorgehen in dieser Richtung bleibt das Verdienst der früheren hannoverischen Regierung. Zwar waren schon seit Anfang des vorigen Jahrhunderts von den ostfriesischen Ständen Gelder für die Unterhaltung der Inseln bewilligt worden. Dieselben erwiesen sich indeß als nicht entfernt ausreichend, und die zum Theil durch aus Holland herbeigerufene Sachverständige, durch sogenannte „Dünemeiers“, angelegten Werke noch weniger.

Ein mit den nöthigen Mitteln und genauer Sachkenntniß unternommener Versuch, der Vernichtung der Inseln Einhalt zu thun, wurde erst in diesem Jahrhunderte zu Ende der fünfziger Jahre, und zwar auf Norderney gemacht. Unter Besiegung der mannigfachsten Schwierigkeiten wurde das kühne Werk glücklich durchgeführt, und noch heute gelten die dortigen Anlagen als Muster.

Als später jene Inselkette in den Besitz der preußischen Regierung gelangt war, wurde von dieser im Laufe des letzten Jahrzehntes auch die Befestigung der übrigen meist bedrohten Inseln kraftvoll gefördert. Borkum, Baltrum und Spiekeroog wurden durch mächtige Bollwerke gesichert, an deren Vollendung noch heute gearbeitet wird. Auch von der oldenburgischen Insel Wangeroog suchte man zu erhalten, was man noch besaß. Unter Mitwirkung des Reiches wurden hier die erforderlichen Schutzbauten angelegt, da dieses, wohl nicht mit Unrecht, durch die Vernichtung des Eilandes die Versandung der Einfahrt des Jahdebusens, und somit der Einfahrt zu dem für kriegerische Zwecke bebauten Wilhelmshafen, befürchtete.

Die Werke selbst, welche auf den genannten Inseln bereits [350] ausgeführt worden oder noch in der Ausführung begriffen sind, bestehen, wenngleich verschieden in den Einzelheiten der Construction, im Wesentlichen aus zwei Haupttheilen, aus den eigentlichen Dünenschutzwerken und einem System von sogenannten Buhnen. Auf sämmtlichen Eilanden befinden sich dieselben an der Nordwest- und Westseite, da erfahrungsgemäß von dieser Seite her die Zerstörung erfolgt.

Den Zweck der Dünenschutzwerke verräth schon ihr Name. Es sind kräftige Bollwerke, dazu bestimmt, die Gewalt der Wellen von den wenig widerstandsfähigen Dünen fern zu halten. Dem entsprechend ziehen sich dieselben innerhalb des Gebietes von Ebbe und Fluth am Fuße der letzteren entlang, stets bereit den Anprall der Wogen aufzunehmen. Mit den Deichen des Festlandes haben sie nichts als den Zweck gemein, und auch diesen nicht in jeder Beziehung; denn, während jene dazu bestimmt sind, den Wogen jedes Betreten des fruchtbaren Binnenlandes zu verwehren, haben die Dünenschutzwerke oft nur den Zweck, als Wellenbrecher zu dienen, da die hinter ihnen liegenden Dünen alsdann genügen, den gebrochenen Fluthen eine Grenze zu setzen. Nur wo jene fehlen, müssen die Dünenschutzwerke dieselbe Function wie die Deiche des Festlandes übernehmen. In jedem Falle aber bleibt die Construction beider eine wesentlich verschiedene.

Statt der einfachen Klaideiche mit ihrer Decke aus Strohgeflecht, die sich dem gewaltigen Anprall der unmittelbar aus dem Becken der Nordsee einherstürmenden Wogen gegenüber als viel zu schwach erweisen würde, gelangt bei den Dünenschutzwerken schweres Mauerwerk aus Ziegel-, Bruch- oder Quadersteinen und aus Beton zur Verwendung, dessen Stärke häufig einen Meter übersteigt. Besondere Sorgfalt wird auf die Fundirung derselben verwendet.

Die Höhe der Werke ist je nach ihrem Zweck eine verschiedene. Sollen sie zugleich als Deiche dienen, so steigt dieselbe auf 5 Meter und mehr über den normalen Hochwasserstand. Bei den eigentlichen Wellenbrechern dagegen ist die Höhe des Steinkörpers eine erheblich geringere; denn letzterer übersteigt die tägliche Fluth nur um 1,5 - 2 Meter. Um die Wirkung dieser Wellenbrecher zu erhöhen, befindet sich inmitten des Steinkörpers ein tief hinabreichendes starkes Pfahlwerk eingerammt und eingemauert, das diesen noch etwa um 2,5 Meter überragt. Obwohl sie den Fluthen in ihrem oberen Theile den Durchgang nicht ganz verwehren, genügen doch derartige Bollwerke, um auch bei den stärksten Stürmen die Kraft der See zu brechen, während die runde Beschaffenheit der Pfähle den Wellen selbst eine ungünstige Angriffsfläche bietet. Dünenschutzwerke nach diesem Princip haben aus Borkum, Norderney, Baltrum und Spiekeroog Anwendung gefunden.

Den zweiten Haupttheil sämmtlicher Inselbefestigungen machen, wie bereits bemerkt, die Buhnen aus. Ihre Aufgabe besteht darin, der geräuschlosen, aber darum nicht minder gefährlichen Thätigkeit der Strömungen entgegenzutreten und dadurch die Erhaltung des vor den Dünenschutzwerken befindlichen Strandes zu sichern; denn mit der Vernichtung des letzteren müßten auch jene unfehlbar unterwühlt und dadurch ein Opfer der Fluthen werden. So schützen also die Buhnen die Dünenschutzwerke, diese wieder die Inseln und die letzteren endlich die Küste.

Rechtwinklig zu den Schutzwerken und am Fuße derselben beginnend, erstrecken sich die Buhnen weit hinaus in die See, während ihre Breite zwischen sechs und elf Metern wechselt und ihre Länge gewöhnlich 150 Meter beträgt. Ebenso groß ist die seitliche Entfernung derselben von einander. Hoch über den Strand hervorragend brechen sie die gegen das Dünenschutzwerk gerichteten Strömungen, und indem sie diese dazu zwingen, den Sand, welchen sie mit sich führen, fallen zu lassen, tragen sie nicht wenig dazu bei, den Strand zu erhöhen.

Entsprechend dem Angriff, welchem die Buhnen ausgesetzt sind, ist auch ihre Construction eine besonders kräftige. Ihren Hauptkörper bilden Faschinen, welche, um Unterströmung zu verhüten, tief in den Strand eingegraben sind. Dicht an einander gereihete Pfähle, von denen etwa viertausend Stück auf eine solche sechs Meter breite Buhne kommen, geben demselben genügende Festigkeit und den nöthigen Schutz nach der Seite hin, während eine Quaderdecke den oberen Abschluß bildet. Wie gewaltig die Blöcke dieser letzteren sein müssen, erhellt wohl am besten daraus, daß die See bei stürmischem Wetter Steine von tausend und mehr Pfund Gewicht mit Leichtigkeit von ihrem Platze entfernt und oft Hunderte von Metern mit sich fort führt.

Am gefährlichsten erscheint die Fluth indeß, wenn sie im Winter mit Hülfe gewaltiger Eisblöcke die ihr von Menschenhand gesetzten Schranken zu durchbrechen sucht. Fast ebenso hoch als die ihr entgegenstehenden Werke thürmen sich dann die Eisschollen vor diesen empor und drohen dieselben durch ihre Masse zu erdrücken. Aber eben ihre Masse macht sie weniger gefahrvoll. Sie läßt dieselben zu einem Bollwerk für die Dünenschutzwerke werden und diese dadurch um so leichter allen Gefahren widerstehen.

Es würde uns zu weit führen, wollten wir hier die Mittel besprechen, durch welche es gelungen ist, die vielen Schwierigkeiten zu überwinden, die der Anlage der oben besprochenen Bauten entgegen standen. Möge es genügen zu constatiren, daß dies geschehen. Auf fast allen Inseln unserer Nordseeküste von Borkum bis Wangeroog ragen jetzt festungsähnliche Werke wie die oben geschilderten empor, den bedrohten Theilen sicheren Schutz verleihend. Gar stattlich schauen die Steinkolosse hinab auf den gedemüthigten Gegner zu ihren Füßen, dem sie noch im letzten Augenblick die schon sichere Beute entrissen.

So sind denn auch an der Nordmark unseres Vaterlandes Siege zu verzeichnen über einen Feind, der von Alters her tückisch diese Grenze umlauert und der Opfer wahrlich nicht wenige gefordert hat. Mögen dieselben dauernd sein!