Textdaten
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Autor: Oscar Justinus
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Titel: Deutsche in Italien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 368, 370–372
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bericht über das Leben der deutschen "Kolonie" in Italien
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Deutsche in Italien.

Reiseeindrücke von Oscar Justinus.

Fast zwei Jahrtausende sind verflossen, seit die ersten Nordländer, aus eigenem Antriebe oder von unzufriedenen Nachbarn gedrängt, die Alpenpässe überstiegen und beim Anblick der weiten herrlichen Thäler und des azurblauen Meeres entzückt in ihrem Vandalisch, Westgothisch oder sonst einer Mundart ausriefen: „Hier ist es schön. Hier wollen wir bleiben und uns Hütten bauen!“

Noch bis zum heutigen Tage findet eine fast ununterbrochene Strömung aus dem Norden und namentlich auch aus unserem Deutschland nach den lachenden Gefilden Italiens statt. Aber die Fremden kommen nicht mit Feuer und Schwert, um zu vernichten und dann doch, die Ueberlegenheit des unterdrückten Volkes anerkennend, in diesem aufzugehen. Die Besucher von heute bringen ihre eigene Kultur, ihre ausgesprochene Individualität mit und sie kommen zum größten Theil, um staunend die Wunder der Natur und Kunst zu genießen und bereichert mit unvergeßlichen Eindrücken heimzukehren.

Ich sagte: der größte Theil, nicht alle. Es giebt Tausende von Landsleuten, welche in Italien dauernd ihre Zelte aufgeschlagen haben. Unsere Aerzte, welche Lungenleidende nach dem Süden senden, schaffen das größte Kontingent dieser Deutsch-Italiener. Nachdem sie an der Riviera, in Neapel, Palermo Gesundheit gefunden, fühlen sie sich einerseits so dankbar gegen das Land, dessen mildes Klima ihnen das stark gefährdete Leben von neuem festigte, und haben andererseits ein solches Bangen davor, sich wieder dem Schnee und Unwetter ihrer Heimath auszusetzen, daß sie sich jenseit der Alpen in irgendwelcher Stellung dauernd niederlassen – gewöhnlich mit einer Landsmännin ein Haus gründend. Wir finden in allen Theilen Italiens Aerzte, Künstler, Archäologen, Schriftsteller, Buchhändler, Agenten deutscher Häuser, Vertreter von deutschen Blättern, Kaufleute, Kunstgärtner, Apotheker, Hotelbesitzer, Fabrikanten, Konsulatsbeamte, welche sich in der so gewonnenen neuen Heimath Namen und Vermögen erworben haben, in deren Familien weiter deutscher Geist und deutsche Bildung gepflegt wird und deren Haus, in der Regel der Zielpunkt von Empfehlungsbriefen, von den reisenden deutschen Landsleuten gerne, ja oft für den Betreffenden nur allzu ausgiebig aufgesucht wird. Außer diesen giebt es aber auch ein gut Theil Deutscher, welche freie Neigung und Wahl nach Italien führte, und endlich solche, bei denen neben der Liebe zum Lande auch die Liebe zu einer Tochter des Landes ein Wort mitgesprochen hat.

Im großen und ganzen kann man nicht sagen, daß die [370] Schönheit der Italienerinnen ihrem Ruf ganz entspräche. Es giebt Orte, wo dem Fremden reizende Gesichter und liebliche Erscheinungen nicht nur vereinzelt begegnen, wie Capri, Florenz, Siena, und aus der Wagenreihe des römischen Korso grüßt manch stolze Schönheit, die daran erinnert, daß am Ufer des Tiber einst Raphaels Modelle aufwuchsen. Aber es giebt andererseits Orte, wo man auf der Promenade vergebens ein Königreich für ein schönes Mädchen aufbieten würde, darunter in erster Linie Neapel. Selbstverständlich schließt das nicht aus, daß auch in Italien tausend und abertausend Mädchen blühen, welche einen Deutschen entzücken und ihm dauernde Liebe einzuflößen vermögen. Ich habe selbst deren im Hause kennengekernt, welche ebenso durch ihre Schönheit wie durch die Lieblichkeit ihres Wesens und ihre überraschende Bildung – viele Damen werden von deutschen Gouvernanten unterrichtet – in Staunen setzten. Im allgemeinen wird freilich das weibliche Geschlecht in Italien in einer solchen Weltfremdheit erzogen, daß eine italienische Gattin dem deutschen Ehemanne selten als eine Gleichberechtigte entgegen tritt. Die Sitte erlaubt nicht, daß ein Mädchen oder eine Frau allein über die Straße geschweige denn in ein Theater gehe, und diese sklavische, ich möchte sagen haremartige Unselbständigkeit verleiht den Frauen etwas von ihren orientalischen Schwestern. Der Italiener wünscht von seiner Frau im Durchschnitt weiter nichts, als daß sie sich schön zu kleiden und zu putzen wisse und daß sie eine hingebende Frau und Mutter sei. Der Deutsche, welcher eine Theilnehmerin seiner Arbeiten und Pläne, eine Repräsentantin seiner Familie, eine Frau, welche ihn und seine Freunde stets auf der Höhe des Tages zu unterhalten versteht, und vor allem eine gute tüchtige Hausfrau beansprucht, wird diese Anforderungen meist, wenn er eine Tochter des Südens freit, bedeutend herabsetzen müssen, und so sind denn auch die Fälle von Heirathen Deutscher mit Italienerinnen verhältnißmäßig selten. Dagegen trifft man ungleich mehr Heirathen von Italienern mit deutschen Frauen. Wenn der Deutsche als solcher schon drüben als ein Muster von Bildung und Gelahrtheit, sowie als ein umgänglicher Mensch angesehen wird, so kommt den deutschen Frauen noch die Annahme zu gute, daß sie tüchtige Hausfrauen und treue Gattinnen, daß sie besser unterrichtet und von Haus aus an den gesellschaftlichen Umgang mit Männern mehr gewohnt sind als die ängstlich gehüteten Italienerinnen. In jeder Ehe, selbst zwischen sozial gleichstehenden und ähnlich erzogenen Menschen, bedarf es ja längerer Zeit, bis sich ihre Verschiedenheiten in Harmonie ausgeglichen haben; die Dauer dieses Uebergangs wird um so größer sein, wenn die Gatten aus zwei völlig verschiedenen Nationen herstammen. Aber der Italiener hat eine so leichte Umgänglichkeit, eine so im Herzen begründete Liebenswürdigkeit, ist so voll Lebenslust, Anspruchslosigkeit und Dankbarkeit für Schonung seiner Schwächen, daß eine vernünftige Frau, welche ihn nicht mit Pedanterien und Eifersüchteleien quält, auch gut mit ihm auskommen muß.

In einem Punkte begegnen sich beide Theile, in dem Bedürfniß nach weiterer Geselligkeit, und diese kann sich in Italien ein Haus um so eher gestatten, als sie nicht entfernt so kostspielig ist wie in Deutschland. Die schweren Einladungen mit mehrstündigen Sitzungen an der Tafel sind in dem darin idealen Italien so gut wie unbekannt. Man kommt entweder vor Tisch zusammen, das heißt also etwa zwischen 5 und 7 Uhr nachmittags – und dann gilt der Besuch gewöhnlich der Frau, und es setzt nichts weiter als ein Täßchen Thee und einige Süßigkeiten, Cakes oder anderes Backwerk – oder nach Tisch, das ist also etwa um 9 Uhr abends, und dann hat man Aussicht, gegen Mitternacht einige Sandwiches, einige Gläschen Marsala zu genießen, während es für die Damen etwas besseres Konfekt und eine Tasse Thee giebt. Das sind die materiellen Genüsse. Die geistigen beruhen hauptsächlich auf dem Wesen einer internationalen Gesellschaft, wo schon das Sprachengewirr anregend und erquickend wirkt. Englisch, Italienisch, Französisch und Deutsch ist das mindeste, was in fortwährender Plauderei herüber und hinüber tönt. Und ob sich dann die ganze Gesellschaft zu einem Tänzchen zusammenthut – die Italiener und Italienerinnen tanzen mit einem Feuer und einer Leichtigkeit, wie dies bei uns nur in vereinzelten Fällen vorkommt – oder ob sie sich an Dilettantenvorträgen auf dem Klavier, der Mandoline, an einem Streichquartett oder am Gesang einer Künstlerin erfreut – die Musik ist das Volapük, welches alle internationalen Schranken überspringt und alle Herzen aufschließt. Ich muß gestehen, daß wir niemals aus einer dieser Gesellschaften ohne freundliche Anregung nach Hause gegangen sind und daß wir diesen zwanglosen geselligen Abenden die liebenswürdigsten Bekanntschaften verdanken.

Man kann durchaus nicht sagen, daß die in Italien lebenden Deutschen ihr Vaterland verleugnen. Und wenn sie noch so lange im Auslande leben, die Neigung, mit ihren Landsleuten zu verkehren, ihnen gewissermaßen die Honneurs in dem schönen Lande zu machen, die Theilnahme für alles, was daheim vorgeht, ist ihnen mehr oder minder geblieben. Und wenn auch dort nicht ein so abgeschlossener Ring zwischen den Deutschen besteht wie zwischen den Engländern, so kann man doch recht gut in jeder größeren Stadt von einer deutschen Kolonie sprechen. Diese hat zum Mittelpunkt die Botschaften, die deutschen Konsulate, in Florenz und Neapel die deutschen Klubs. In Rom bildet ihn der deutsche Künstlerverein, welcher sich eines bedeutenden Ansehens erfreut, in den künstlerisch ausgestatteten, behaglichen, den ganzen Tag geöffneten Räumen des Palazzo Serlupi ein gastliches Heim besitzt; ihm als Gäste anzugehören, rechnen sich die angesehensten Männer jederzeit zur Ehre an. Durch Vorträge, Herrenabende, Abendgesellschaften mit Damen, durch eine Weihnachtsfeier unter dem Tannenbaum, sowie durch glänzende und mit anmuthiger Künstlerlaune veranstaltete Masken- und Kostümfeste erhält der Verein das Interesse seiner Mitglieder unausgesetzt rege und wahrt sich selbst seinen althergebrachten Ruf.

Uebrigens habe ich bemerkt, daß die Deutschen unter dem sogenannten ewig lachenden Himmel Italiens manches von ihrer nationalen Eigenart abgelegt und manches von den Landessitten angenommen haben. Das Kneipenleben ist ein wesentlich anderes. Es giebt wohl in Rom, Florenz, Neapel „Birrerien“, das sind Verkaufs- und Ausschankstellen bayerischer und österreichischer Biere; aber ob es der ungewöhnlich hohe Preis ist oder das Fehlen der „stilvollen“ deutschen Biertempel: der Gambrinuskultus bleibt in dem Lande der Citronen immer ein Fremdling, dem das rechte eingesessene Stammpublikum fehlt. Immerhin machen einige der „Birrerien“ ganz leidliche Geschäfte, und man kann darauf rechnen, in diesen zum Theil hochfeinen, elektrisch beleuchteten, mit kostbaren Bildern und glänzenden Spiegeln ausgestatteten Sälen Landsleute anzutreffen. Doch hat sich im allgemeinen der Geschmack dem Wein zugewendet, und es giebt in Seitensträßchen Osterien, die sich von außen wie Räuberhöhlen anlassen, in denen sich aber einem guten Tropfen zuliebe unsere Landsleute Kopf an Kopf zusammenfinden und mit Straßenarbeitern und Fuhrleuten um die Wette die dargebotenen beliebten Speisen – heut trippa, Kaldaunen, morgen Maccaroni, übermorgen gnocchi, Knödel, verzehren.

Außerdem findet man die Deutschen natürlich in allen Restaurants und am meisten in denen, welche durch Sauberkeit und Billigkeit im Bädeker einen Stern zu erringen das Glück gehabt haben. Die Engländer, obwohl als Reisende in starker Ueberzahl, sind in den Trattorien viel seltener, weil sie sich zum allergrößten Theil in Pension geben, dort gewissermaßen ein Stück Old-England bildend, welches unversehrt und unvermischt auf dem fremden Meere herumschwimmt. Der Deutsche wahrt sich gern seine Bewegungsfreiheit. Sobald er einigermaßen mit der Sprache fortkann, nimmt er bei längerem Aufenthalt eine Privatwohnung und macht nun, die Abwechslung liebend und dem Studium hold, die Runde in den Lokalen. Man erkennt ihn dort im ersten Augenblick seines Hereintretens. Ich konnte mir noch so viel Mühe geben, italienisch auszusehen, und noch so gleichmüthig unsre „due café latte e paste", zwei Tassen Kaffe mit Milch und Gebäck, bestellen, der Kellner brachte uns doch unaufgefordert die deutschen Zeitungen dazu.

Wenn nicht an seinem hellen Haar und seiner helleren Hautfarbe – es giebt ja unter den Italienern fast so viel Blonde als unter den Germanen Dunkelhaarige – an seiner Kleidung und an seinem weichen Filzhut – der Italiener bevorzugt den Cylinder und trägt, sowie das Wetter nur etwas kühl wird, den Pelz oder wenigstens Pelzkragen – wenn nicht an seiner Brille, durch welche der Deutsche im Auslande überall erkennbar ist, unterscheidet man ihn am Abnehmen des Hutes in einem öffentlichen Lokal. Der Engländer nimmt den Hut überhaupt nur im Salon ab, der Italiener lüftet ihn, wenn er in einen besuchten Ranm tritt und wenn er diesen verläßt, behält ihn aber, eine für unser Gefühl unfein wirkende Sitte, während [371] des ganzen Abends auf dem Kopfe. Der Deutsche allein zieht ehrfurchtsvoll vor den Penaten jedes fremden Hauses seine Kopfbedeckung und setzt sie nicht eher auf, als bis er wieder auf dem Flur ist. Dasselbe gilt von einem Besuch im Geschäftszimmer. Beim Essen unterhalten sich unsere Landsleute für italienisches Anstandsgefühl zu laut. Das Lärmen, das Anstoßen, die deutsche Fidelitas gilt in Italien nicht für fein, und in einem halbwegs guten Restaurant geht es viel geräuschloser zu als bei uns. Bezeichnend ist auch die Stellung zu den Kellnern. Der Italiener ist mit den Speisen viel wählerischer als wir, und oft sendet er einen Theil der Gerichte, welche ihm aufgetischt wurden, als nicht nach seinen Wünschen wieder nach der Küche; aber er streitet niemals laut mit der Bedienung, sondern die Verhandlungen werden ganz leise, ich möchte sagen freundschaftlich geführt. Man erkennt nur an dem eigenthümlichen Spiel der Hände, um was es sich handelt, und mit der lächelndsten Miene der Welt nimmt der Kellner die verschmähte Ware zurück. Das „Anschnauzen“ ist überhaupt eine im Auslande recht auffallende Eigenthümlichkeit vieler Deutscher, welche auch dem Engländer fremd ist. Ein Bettler stellt sich in den Weg. Der Engländer sieht über ihn hinweg, als wenn er Luft wäre: er giebt aus Grundsatz nichts. Der Italiener bewegt den Finger hin und her, was so viel heißt wie „Nein“, oder er sagt einige verbindliche Worte und schreitet weiter. Der Deutsche runzelt die Stirn, fährt den Lästigen mit ein paar groben Redensarten an, die sich um so komischer machen, als sie gewöhnlich nicht richtig sind, und greift dabei doch nach seinem Geldbeutel.

Während der Amerikaner und Engländer sich selten abmüht, der Sprache Herr zu werden, meint es der Deutsche sehr ernst mit seinem Sprachstudium, und er bringt es nach einigen Jahren auch dahin, die Sprache fertig zu sprechen und zu verstehen. Freilich bleibt ihm die besondere Art der Aussprache meist sein Lebtag treu. Im einsamen und romantischen Kloster Trefontane bei Rom wurden wir von einem Mönch empfangen und herumgeführt, dessen Italienisch eine mir ganz sonderbar vorkommende Färbung trug. Ich äußerte meiner Frau gegenüber auf deutsch, wie interessant es doch sei, daß sich die gleiche mundartliche Unregelmäßigkeit, die des Fallenlassens der Endkonsonanten und Endvokale und das eigenthümliche Singen, in jeder Sprache wiederhole, und daß, wenn man nicht genau wüßte, dieser Frate sei hier geboren und erzogen, man glauben könnte, einen Rheinhessen italienisch sprechen zu hören. Da sah uns der Italianissimo groß an und sagte: „Bin ich auch, meine Herrschafte! In Heppeheim hat mei Wiek gestande! Leb’ aber scho dreißig Jahr in Italie!“

Uebrigens hört man in Rom auf Schritt und Tritt deutsch sprechen. Alle Fremden befinden sich ja auf der Straße, in den Museen, in den Kirchen. Die großen, noch immer prunkvollen Feste in St. Peter oder dem Lateran sind ein Stelldichein aller Kolonien, und während derselben hört man fast ausschließlich englisch und deutsch reden; Frankreich reist sehr wenig. Außerdem spricht die schweizer Ehrengarde den unverfälschten schweizer Dialekt. Deutsche Klänge dringen uns ferner vertraulich ins Ohr in der Nähe der deutschen und österreichischen Botschaften, von Schülern des kaiserlich deutschen archäologischen Instituts, welches in neuerer Zeit auch Rundreisen von deutschen Gelehrten durch das antike Italien veranstaltet; von den in langen Trupps, stets zu zwei und zwei, durch die Straßen ziehenden deutschen geistlichen Alumnen im scharlachrothen Gewande; von den zahlreichen deutschen Kunststipendiaten, welche sich in dem Lande der Schönheit mit Anschauungen für ihr Leben vollsaugen, übrigens kein gemeinsames Heim haben wie die auch sonst viel besser gestellten Kunstschüler Spaniens und Frankreichs. Deutsche Predigten hört man in der Kirche Santa Maria dell’ Anima zu Rom, in welcher auch der deutsche Papst Hadrian IV. begraben liegt, und in der deutschen Botschaftskapelle im Palazzo Caffarelli.

Wie wenig man aber beispielsweise in Neapel, trotz seiner deutschen Klubs und deutschen Schulen, trotz des bedeutenden Antheils der Deutschen am Handelsleben der Seestadt, auf den Straßen deutsch reden hört, dafür spricht, daß uns ein junges deutsches Mädchen an der Via di Roma, dem früheren Toledo, ohne weiteres anredete, weil sie nach unserem Sprechen in uns ein landsmännisches Gefühl voraussetzte, nachdem sie stundenlang vorher in heller Verzweiflung nach solcher Hilfe umhergesucht hatte. Sie hatte sich auch nicht geirrt: das arme Ding, welches durch Empfehlung eines Bureaus als Bonne in ein italienisches Haus gekommen war, hatte ihre dortige Stellung infolge von Eifersüchteleien der Frau wieder verlassen müssen, ehe sie Zeit gehabt hatte, einigermaßen die Sprache des Landes zu erlernen; nun wurde sie durch Bemühungen einiger deutschen Freunde, an welche wir sie empfehlen konnten, gut untergebracht.

Man darf aber dieses Vorkommniß nicht über Gebühr verallgemeinern. Für stellungsuchende junge Mädchen ist natürlich alle Vorsicht geboten, sonst genießen indessen unsere Landsleute ein gutes Ansehen. Man bringt ihnen allerseits auch im Volke, welches allerdings die Fremden germanischer Herkunft oft unter dem Gesammtnamen „Inglesi“, Engländer, zusammenfaßt, einen großen Respekt, wenn auch nicht gerade immer Verständniß für ihr innerstes Wesen entgegen. Die deutsche Musik findet z. B. jenseit der Alpen nicht allzu großen Widerhall. Im Salon sind wohl Beethoven, Mozart, Schumann und Schubert heimisch, in der Oper errangen einige Wagnersche Musikdramen Erfolg; aber in den breiten Massen des italienischen Volkes hat die deutsche Musik keinen festen Fuß gefaßt.

Ueber die Schicksale der deutschen Handwerker in Italien machte ein schon zwanzig Jahre dort lebender Deutscher eine auffallende Beobachtung. In der ersten Zeit ihres Daseins überflügeln sie ihre italienischen Kollegen und lassen ihre Mitbewerber schnell hinter sich. Das kommt daher, daß sie von Hause aus an eine größere Strenge des Arbeitens, an mehr Stetigkeit und Ausdauer gewohnt sind. Die Italiener sind, wie unser Gewährsmann sich ausdrückte, mehr „geniale Pfuscher“, welche ohne Schulung mehr nach dem Instinkte drauf los arbeiten und, wenn sie nicht den scharfen Wettbewerb eines Ausländers zu bestehen haben, damit auch vorwärts kommen können. Nach mehreren Jahren aber pflegt sich das Blatt zu wenden. Der größte Theil unserer Landsleute wird dann, sei es durch den Einfluß des Klimas, sei es durch den leichteren Erwerb, nachlässig und schlaff, und da sie von Hause aus gewohnt sind, besser zu leben, auch manchmal einen Tropfen über den Durst zu trinken, so geht es mit ihnen, wenn sie sich nicht mit Aufbietung aller Kräfte obenauf halten, schnell bergab.

Eine Stätte giebt es im Süden Italiens, wo deutscher Geist zweifellos die Führung erhalten hat, die Insel der Maler, Capri. Dieses wonnige Eiland, dessen reizvolles Profil neben dem rauchenden Vesuv das charakteristische Wahrzeichen des Golfes von Neapel bildet, ist wie eine schimmernde Perle, welche die Götter der deutschen Malerzunft in der Schale des blauleuchtenden Weltmeers als Geschenk dargebracht haben. Ein Deutscher, August Kopisch, hat vor Jahren die blaue Grotte, dieses Oceanwunder, und damit einen Hauptanziehungspunkt der Insel entdeckt, und eine ungeheure Palme kündet weithin aus dem steinernen Häusergewirr der Insel die Stelle des Albergo Pagano, der berühmten Künstlerherberge, deren Wandflächen bis in die obersten Stockwerke Fresken und Inschriften tragen, mit denen fröhliche Maler und Dichter sich verewigt haben. Nach alter Ueberlieferung wird hier zu musterhaft billigen Preisen zweimal des Tages gespeist, und etwa achtzig Theilnehmer, fast ausschließlich Landsleute, aber von den verschiedensten Berufsarten, bilden eine so ungezwungene und von der Großartigkeit der Natur immer wieder aufs neue angeregte Tafelrunde, wie sie wohl kaum ein zweites Mal auf der Welt besteht. Im Gegensatz zu Neapel ist auf dieser Felseninsel alles blanksauber. Die armen Bewohner zeigen eine Formenschönheit, wie man sie sonst nirgends in Italien findet, und die schlanken Gestalten der Knaben und die vollbärtigen Köpfe der Männer bilden das Entzücken der Künstler. Kleine Buben, welche den Malern in der Rolle von Farbenreibern oder Trägern bei ihren Jagden auf schöne Veduten als Gefolge dienen, haben gelehrig deutsche Laute aufgeschnappt, und das erste Lied, welches ein vor mir hertänzelnder schwarzlockiger Junge mir lachend vorsang, hieß: „Du bist verrückt, mein Kind“.

In Capri schweigen selbst die Krittler, und die sauertöpfigsten Reisenden gehen zur Partei der Schwärmer über. In diese beiden Feldlager kann man nämlich die Deutschen in Italien scheiden. Die einen fühlen sich fortwährend unglücklich, beleidigt, angewidert. Der Lärm der Räder und Ausrufer macht sie nervös, das Oel der Speisen verdirbt ihnen den Magen, die Bettelei empört sie, das Vordringen moderner Kultur in die alten Heimstätten klassischer [372] Ruinenromantik erregt ihre Entrüstung. Sie ziehen in einem fort Vergleiche mit der Heimath oder mit früheren Zeiten, und nur ein kräftigeres Ausschimpfen kann das Gleichgewicht ihrer Seele wieder herstellen. Die anderen befinden sich in einem dauernden Rausche des Entzückens. Sie glauben, in diesem Zauberlande alles schön finden zu müssen, jedes zerbrochene Säulenkapitäl setzt sie in Ekstase und dem schmutzigsten Ciociarenkinde möchten sie einen Kuß auf das ungewaschene Mäulchen drücken. Eine solche Schwärmerin besuchte uns in Rom. Es war spät am Abend, und obwohl wir im geschlossenen Wagen bei Regenwetter mit ihr vom Bahnhofe nach Hause fuhren, kam sie ganz aufgeregt von all den Herrlichkeiten, Tempeln, Säulen, Kuppeln und Statuen, welche sie im Fluge durch das Fenster gesehen zu haben glaubte, bei uns an. Es that ihrer Schwärmerei auch keinen Abbruch, als wir ihr nachwiesen, daß die Gardinen heruntergezogen gewesen waren: sie hatte die Schönheiten Roms – gefühlt.

Es giebt übrigens auch Schwärmerei auf der anderen Seite. Die Italiener, stolz auf ihr Land und sehr geschmeichelt, wenn man recht viel lobt und anerkennt, zeigen sich gern durch eine Art vielleicht mehr eingeredeter als selbstempfundener Begeisterung für das deutsche Volk und Wesen erkenntlich. Ein junger Mann, Student, welcher unser Entzücken über die Aussicht von dem Palatin auf die Ewige Stadt mit Freuden wahrnahm, erzählte uns in ziemlich gebrochenem Deutsch, daß für ihn und viele seiner Freunde Deutschland das Land der Vollkommenheit und Sehnsucht bilde. Er kenne es ziemlich genau aus seiner Litteratur. Als wir in ihn drangen, was er unter deutscher Litteratur verstehe, beschränkte er seine Angaben auf drei Werke. Das erste war „Go-ethe". Was der junge Mann von unsrem Altmeister eigentlich gelesen hatte, ist nicht ganz klar geworden; er blieb dabei, daß er Go-ethe kenne. Das zweite war die Geschichte Roms von Gregorovius, das dritte – „Buchholzens in Italien“.