Textdaten
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Autor: W. Weus
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Titel: Deutsche im Auslande
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 815–816
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[815] Deutsche im Auslande. Alfieri behauptet in seiner Selbstbiographie, es gebe nur zwei Länder auf der Welt, in denen zu leben eines Menschen würdig sei – Italien und England, das erstere seiner herrlichen Natur, das andere seiner gesellschaftlichen Verhältnisse wegen. Ich habe es im ersteren versucht, und schaue auf die darin verlebten Jahre zurück, als auf die schönsten meines Lebens. Im zweiten versuche ich’s jetzt, und ich gestehe, das; ich darin soweit gekommen, daß ich es rätselhaft finde, wie man in Deutschland, bei seinen politischen Verhältnissen, leben kann! – Es kommt mir beinahe vor, als sei es immer noch besser, ein Deutscher im Auslande zu sein, als ein Deutscher in Deutschland … Ach, Sie müssen entschuldigen, wenn ich zu weit gehe. Ich kann nun einmal das deutsche Unglück nicht mit diplomatischer Glätte hinweglächeln.

Wie gerne würden wir Deutsche im Auslande stolz sein auf unsere Nation, die trotz alledem und alledem immer die größte bleibt! Während aber jede Nation ihr Nationalbewußtsein mit sich herumträgt wie ihren Schatten, ist es unter sothanen Verhältnissen nicht zu verwundern, wenn sich Deutschland draußen seines Nationalbewußtseins begiebt, ein Peter Schlemihl unter den Nationen. Um stolz sein zu können auf unsere Herkunft, fordern wir in unserm materiellen Jahrhundert Reelleres noch als Triumphe der Wissenschaft.

Das Militärwesen ist in Deutschland mehr als eine bloße Spielerei der Fürsten, es ist eine Liebhaberei des Volkes. Kein Volk leidet so viel und so geduldig für eine perennirende Kriegsbereitschaft – vor der sich indeß kein Feind fürchtet. Die Flotte des Nationalvereins ist gescheitert, bevor der erste Kiel gelegt war. Wir treiben so viel particuläre Geschichte, und so heftig, daß wir für die allgemeine Weltgeschichte keine Zeit übrig behalten. Wenn wir aber die Weltgeschichte ignoriren, ist es nur billig, daß sie uns wieder ignorire. Eine Nation wird nach der Stellung geschätzt, die sie sich selbst giebt. Eine Nation, die nicht aufs sich hält, sich nicht zu präsentiren weiß, gilt außer ihren Landesgrenzen nichts.

Welch ein jämmerliches Bild machten z. B. wir Deutsche im April und Mai 1860 in Palermo! Während England Schiffe über Schiffe sandte, unter deren Kanonen seine Bürger Schutz fanden, oder Zuflucht an deren Bord, vor den Uebergriffen der in den Todeszuckungen liegenden bourbonischen Despotie – ebenso Frankreich und Amerika; als sogar Rußland, Schweden und Spanien Schiffe sandten, und zu Zeiten die Marine von ganz Europa auf der Rhede von Palermo vertreten war – wo war da die deutsche Flagge? Wo war da Preußen? Allerdings, seine Flotte hatte damals die wunderbaren Erfolge in Japan. Unser, der Deutschen, waren aber doch viel mehr in Palermo als Engländer oder gar Franzosen, und später gab es doch eine Lorelei und dergleichen. Wenige Tage vor dem Bombardement erst trafen drei große österreichische Schiffe ein – der Segler Schwarzenberg mit 64 Kanonen – und zwei Dampfer, Sta. Lucia und Conte Dandolo. Wie haben wir gejubelt, als wir die rothweiße Flagge sahen! Wir sind gute Preußen und haben unser Vaterland sehr lieb, aber da war wahrhaftig Keiner unter uns, der nicht im Herzen gut österreichisch geworden wäre. Nicht genug ist die Zuvorkommenheit zu loben, mit welcher jeder Deutsche, der es wünschte, Aufnahme bei den Oesterreichern fand – aber sie kamen zu spät – die deutschen Familien, meist sehr wohlhabend, hatten längst Unterkommen gefunden auf Kauffahrteischiffen, gegen schweres Geld. Die meisten der Familienväter waren Consuln, preußische, hannöversche, badische, oldenburgische, bremische, hamburgische etc. Was würde der Welfenkönig dazu sagen, wenn er wüßte, daß damals sein Consul nichts Besseres zu thun wußte, als sein Eigenthum unter englischen Schutz zu stellen? Wo blieben aber auch seine Orlogschiffe, wo die Dreidecker der Mecklenburger und Oldenburger Großherzoge?

Gerstäcker erwähnte jüngst in Ihrem Blatte der deutschen Consulate im Auslande. Jeder der Deutschen draußen wird ihm beistimmen, daß diese Institutionen in ihrer jetzigen Form dem deutschen Namen im Auslande nicht Ehre machen, sondern das Gegentheil. Der überseeische Kaufmann, welcher sich den Consultitel verschafft und die Etikette, alias Wappen, irgend eines Duodezpotentaten über seine Hausthür heftet, aber niemals dem Unrecht entgegentreten wird, das einem seiner Schutzbefohlenen widerfährt, weil er wohl weiß, daß niemals ein Schiff seiner Flagge im Hafen erscheinen kann, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen – ein solcher Consul – ich hätte beinahe gesagt honoris causa! – ist doch nichts Anderes als die personificirte Manifestation der deutschen Ohnmacht … Es ist allerdings leicht einzusehen, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen Deutschlands an eine einheitliche Vertretung nicht zu denken ist. Lassen wir somit die badischen, oldenburgischen, hessischen, waldeckischen, selbst die reußischen und lichtensteinischen Regierungen Consuln ernennen, so viel sie wollen, in Honolulu und unter den Botokuden – so lange sie noch Leute finden, die ihre Consulate mögen. Wären die betreffenden Regierungen indeß nicht über die Lächerlichkeit erhaben, so möchten wir sie darauf aufmerksam machen, daß, wenn z. B. den Botokuden ein vierschrötiger hannöverscher Consul ebenso sehr imponiren wird als ein ähnlicher britischer, in einer italienischen oder spanischen Stadt die Sache eine ganz andere wird. Die Italiener wenigstens haben in den letzten Jahren in der Geographie große Fortschritte gemacht, und wissen viel besser Bescheid über die politische Bedeutung von Hannover als die Sandwichinsulaner oder die Franzosen. Dürfen wir es ihnen übelnehmen, wenn sie z. B. das würtembergische Consulatswappen über irgend einer Comptoirthür ungeheuer lächerlich finden? Nun soll sich aber – um ein Anderes zu erwähnen – ein Deutscher in Italien präsentiren als Suddito Wurtemberghese - er wird schwerlich den Bürgermuth haben, sich als Tedesco zu entlarven –: kaltes, höfliches Schweigen oder ein vielsagendes „Davero!“ wird die Antwort sein. In Sicilien vollends wird Einer den Andern kopfschüttelnd fragen: Di che paese è? und der Andere wird antworten: Che so io? Dal paese de’ Minchioni! (Sicil. Redensart, s. v. a. „Aus Krähwinkel“.)

Die größte Enttäuschung bleibt indeß in Italien dem „durch Notorität als unverdächtig legitimirten“ etc. Unterthanen aufbewahrt, bis er seinen Consul, den Vertreter seines Landesvaters, von Angesicht zu Angesicht kennen lernt.

Die österreichischen Consulate ausgenommen, welche vor 1859 in Italien wirklich nichts zu wünschen übrig ließen und selbst in Piemont ihrer Schutzbefohlenen in energischester Weise sich annahmen – liegen die deutschen Consulswürden in Italien meist in den Händen von Kaufleuten, welche noch lange nicht immer Deutsche sind. Diese Würdenträger würden wirklich durchaus keinen Zweck haben, wenn sie sich nicht anheischig machten, dem Reisenden für 2 oder 3 Franken seinen Paß zu visiren. Erlauben Sie mir, in einem Exemplar die ganze Classe zu zeichnen …

Da ist der Vertreter der fünften Großmacht in Genua. Er wohnt in dem Prächtigen Palast Tagliavacca, hat ein großes Schild, von dem die wilden Männer grimmig niederschauen, und erhebt von jedem Preußen seine 2 Franken Barrieregeld. Glauben Sie aber, daß derselbe jemals einem seiner Schutzbefohlenen mit Rath oder gar That an die Hand gegangen? Nur Eins lobe ich mir bei ihm, daß er seine gänzliche Ignorirung aller Preußen von den 2 Franken abgesehen – zu einer Regel erhoben, die keine Ausnahme kennt. Vor sechs oder sieben Jahren lag in Genua monatelang der Sprosse einer der ersten pommerschen Junkerfamilien krank, ein Herrchen, das im vollsten Hautgout des Berliner „Jardeleitnants“ duftete – dem Consul wurde Anzeige von dem Falle gemacht, er nahm aber keine Notiz davon. Was hätte übrigens auch der Consul anfangen sollen mit unserm Junker? Der Junker verstand kein Wort französisch – der Consul kein Wort deutsch; seine Unkenntniß des Deutschen geht soweit, daß sogar die Umschrift seines Stempels: „Consulat prussien à Gênes“ französisch ist, statt deutsch oder italienisch!! Der arme Junker war aber doch nicht ganz tombé sur son Prussien, wie sich ein Franzose vielleicht in solchem Falle ausdrücken würde – ein paar junge Deutsche, welche in Genua lebten, thaten für ihn, was sie konnten.

Es lautet sonderbar, ist aber eine Thatsache, daß die Schweizer draußen, wenn auch durch Kaufleute, viel besser vertreten sind, als irgend ein deutscher Staat. Wie gerne erinnere ich mich der interessanten, liebenswürdigen Erscheinung des Schweizer Consuls in Palermo, Hirzel, seiner Sympathien für die Sache der Revolution in 1860, wie er jedes Mittel, dessen er sich als Consul bedienen konnte, benutzte, um proscribirten Patrioten zu helfen, wie er energisch der Regierung entgegentrat, wo sie die Interessen eines Schweizers bedrohte! Auch will ich nicht behaupten, daß Preußen nicht respectablere Consuln habe, als den genuesischen – derjenige in Palermo wenigstens, Kreßner, empfängt jeden ihm Empfohlenen mit großer Freundlichkeit und macht sich ein Vergnügen daraus, ihm mit seinen Rathschlägen an die Hand zu gehen, welche dem Fremden in einer großen [816] Stadt, deren Verhältnisse ihm ganz neu sind, von so unschätzbarem Werthe sein müssen. Wie wäre er aber im Stande gewesen, während der Revolution 1860 uns Preußen irgend welchen Schutz angedeihen zu lassen, wenn die Regierung ihm nicht ein einziges ihrer Schiffe sandte?

Sollte jemals eine einheitliche Vertretung Deutschlands im Auslande möglich werden, so beginne man womöglich in der Nähe, in Europa. Man besetze wenigstens in den Hauptstädten die Consulate mit tüchtigen Leuten und gebe ihnen ein ausreichendes Einkommen, damit sie kein Gewerbe nebenbei zu treiben brauchen. Es ist aber durchaus nicht gesagt, daß es lauter pensionirte Lieutenants „von die Jarde“ sein müssen. Muß ich hinzufügen, daß es unerläßlich ist, daß hin und wieder ein Schiff unter deutscher Flagge sich in den Häfen sehen lasse?

Kurz und gut – man bringe dem Deutschen im Auslande ein wenig Vaterland hinaus in einer tüchtigen Vertretung, man mache ihm ein Bild, zu dem er beten möge, wenn er den vergeistigten unsichtbaren Vaterlandsbegriff nicht länger fassen kann, damit er nicht mehr nöthig habe, fremden Göttern nachzuhinken. Wenn Deutschland für seine Militärspielereien so viel Geld verbraucht, daß es für seine Vertretung im Auslande Nichts übrig behält (bei uns draußen hat’s ganz den Anschein): so frage man rund bei den Deutschen im Auslande, und ich bin überzeugt, sie werden ein Opfer nicht scheuen, wenn es nöthig wird.
W. Weus.