Des Löwen Zunge

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Des Löwen Zunge.

Schwank.

Höret was sich in der Stadt
Löwenthal begeben hat:

Auf dem Marktplatz war, dem grauen,
Bis auf diese Zeit zu schauen

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Dort ein Kunstwerk selt’ner Art,

Aus dem Alterthum bewahrt.
Auf dem Brunnen, der aus Stein
Gießt ein Wasser hell und rein,
Stand, entlehnt vom Wappenschild

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Unsrer Stadt, ein Marmorbild.

Muthig, wachsam, aufgerichtet,
Stolz wie ihn die Fabel dichtet,
Schön und furchtbar anzusehn
Sah man einen Löwen stehn;

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Auf dem schlanken Säulensteine

Ruhen seine Hinterbeine,
Aber beide Pfoten vorn
Reckt er aus in edlem Zorn.
Und, als dürft’ er Beute machen,

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Gähnt er mit dem weiten Rachen,

Spitze Zung’ aus off’nem Schlunde,
Nach dem Brauch der Wappenkunde.
Wer ihn sah, verwundert stand,
Pries des alten Künstlers Hand,

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Der dem Stein ein solches Leben,

Solchen Schmuck der Stadt gegeben.

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     Unterdessen ist’s gekommen,

Daß ein Feuer ist entglommen,
Das am ganzen Markt gezehrt,

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Doch den Brunnen nicht versehrt.

D’rauf begann man frisch zu bauen,
Daß der Markt ward schön zu schauen,
Da erstieg das Rathhaus neu:
Gegenüber stand der Leu.

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Wer ein neues Rathhaus hat,

Wählt auch einen neuen Rath,
Daß in der erneuten Halle
Auch die Weisheit neu erschalle.
Solches that auch Löwenthal:

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Bald erschien zum erstenmal

In des edlen Rathes Kreis
Der gelahrte Stadtschultheiß.
Welche wird wohl heut berathen
Erste von dem großen Thaten,

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Daß das weise Regiment

Jeder gleich zu Anfang kennt?
Sinnend ist mit finstern Brauen
Dort der Schultheiß anzuschauen,
Hat durch’s Fenster unverwandt

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Starre Blicke lang gesandt.

Endlich fährt er nach dem Sitz,
Auf den Lippen Schwert und Blitz:
„Trifft uns so verruchte Schmach,
Ruft er, schon am ersten Tag?

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So die Ehrfurcht frech verletzen,

Höhnisch trotzen den Gesetzen!
Seyd ihr blind, ihr Herrn Collegen?“ –
Nein, sie glotzen ihm entgegen. –
„Nun so schaut durch’s Fenster doch,

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Schauet, knirscht und läugnet^{[WS 1]} noch!

Dort, das unverschämte Thier,
Das aus lauter’m Mitleid wir,
Als wir neu gebaut die Gassen,
Altes Machwerk, stehen lassen,

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Gegen das gesammte Haus

Streckt es seine Zung’ heraus.“

     Da durchbebt das Haus der Schall,
Kaum gebaut droht es den Fall;
Denn das Zürnen seiner Räthe

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Rüttelt an der festen Stätte.

Ruhe schafft der Schultheiß wieder:
Schlägt die Leidenschaften nieder,
Weil er schleunig Recht verspricht,
Auf der Stelle hält Gericht.

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Sechse schreien, zu den Flammen

Schnell die Bestie zu verdammen!
Dieser Rath behaget allen,
Bis es einem eingefallen,
Daß der Löwe sey von Stein:

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Darum stimmen sie mit Nein.

     „Nun so werfe man den Graus
Ewig aus der Stadt hinaus.“
Weiser Antrag! Doch bei Seite
Legt man ihn nach langem Streite:

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„Wer des Volkes Launen weiß,

Spricht der kluge Stadtschultheiß,
Hofft von diesem Mittel wenig:
Heute sind sie unterthänig,
Morgen fluchen sie dem Rath,

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Der nicht, was sie wollten, that;

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Flugs erscheinet übernacht

Auch das Thier auf alter Wacht,
Grinzt mit seiner bösen Fratzen
Daß wir dann erst möchten platzen!

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Horcht auf meinen Rath, ihr Herrn,

Den mir giebt mein guter Stern.
Sey dem Gliede, das gesündigt,
Unbarmherz’ger Tod verkündigt,
Und noch vor der heut’gen Nacht

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Sey’s vom Steinmetz rasch vollbracht.

Ist nur erst die Zunge fort,
Mag es steh’n am alten Ort.
Hat es keine Zung’ im Schlund,
Ist’s, wie ohne Zahn ein Hund!“

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     Eilig wird der Spruch vollzogen,

Schon ist von des Volkes Wogen
Rings der ganze Markt umwallt,
Denn das Rathhausglöcklein schallt.
Dem verstockten Delinquenten

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Wird der löblichen Regenten

Gnädigs Urtheil publicirt,
Also bald der Streich geführt:
Und mit Einem Hammerschlag
Drunten auch die Zunge lag.

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Volk und Rath muß herzlich lachen,

Wie so albern gähnt sein Rachen,
Bang und schläfrig, dumm und faul,
So ist’s gar kein Löwenmaul!
Nur der Steinmetz, der’s vollbracht,

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Hat ein trüb Gesicht gemacht;

Denn es fühlten seine Geister
Etwas von dem alten Meister,

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Und ihn dauert’s, daß man schände

So das Kunstwerk seiner Hände.

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     Aber stolz auf seine That

Zieht der hochwohlweise Rath
In des Stadtschultheißen Haus,
Feiert sie mit einem Schmaus.
Als nun bei’m gefüllten Becher

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Der gehöhnten Würde Rächer

Bis zur späten Mitternacht
Wohlbehaglich durchgewacht,
Legt ein jeder seine Glieder
Auf den eig’nen Lorbeer nieder;

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Und am tiefsten schnarcht zum Preis

Seines Weins der Stadtschultheiß.
Doch ein furchtbar Traumgesicht
Gönnt ihm seine Ruhe nicht;
Unter jähem Donnerschlage

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Macht ein Blitz die Nacht zum Tage.

Fieber schüttelt seinen Leib,
Und ein riesenhaftes Weib
Steht vor seinem Bette plötzlich,
Blickt aus schönem Aug’ entsetzlich,

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Steht und weichet nicht vom Ort.

Jener spricht ein stammelnd Wort:
„Frau, wer seyd ihr, mit Vergunst?“ –
„„Wisse, Mensch; ich bin die Kunst.
Wohn’ ich doch selbst bei Barbaren;

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Hast du nie von mir erfahren,

Daß du gegen mich zuerst
Deine blöde Weisheit kehrst?
Du verdientest, daß mein Blitz
Führ’ in deinen schnöden Witz.

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Deiner Thorheit jammert mich,

Darum, Wurm, verschon’ ich dich,
Doch damit ihr ungestraft
Nicht mein edles Bildwerk traft,
Zeichne meines Hohnes Stempel

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Euch zum ewigen Exempel,

Und wer euren Markt besuchet
Schaue, wie ich ihn verfluchet!“

Nebel hüllt die Göttin ein,
Und der Schultheiß ist allein;

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Leib und Seel’ erstarrt zu Eis

Liegt er lang in kaltem Schweiß.
Sieh! da hat sein Ehgemahl,
Das im ersten Sonnenstrahl
An die Wirthschaft frisch gegangen,

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Lauten Jammer angefangen,

Ruft den Mann an’s Fenster schnell,
Wo der Markt wird eben hell.
„Wehe,“ spricht er, „wuchs dem Leuen
Eine Zunge wohl von Neuen?“

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„„Wollte Gott, nur das, doch schau,

Schau doch selber!““ schreit die Frau.

     Und er schaut im Morgenroth,
Was vom Brunnen nieder droht:
Auf der schmucken Säulen Spitzen,

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Sieht aus plumpem Stein er sitzen

Einen Esel grau und schändlich,
Und sein Ohrenpaar unendlich,
Just dem Rathhaus zugenickt,
Und kein Leu wird mehr erblickt.

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Wohl erkennt er da mit Zagen

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Schon die Hand, die ihn geschlagen;

Zu dem Steinmetz schickt er doch;
Eine Hoffnung bleibet noch:
Eh’ der Leute Spott ihn geißelt,

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Ist die Schmach herabgemeißelt!

     Jener kommt, und in der Brust
Birgt er schauend kaum die Lust;
An das Werk er dennoch gehet,
Weil der Herr so ängstlich flehet.

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Doch umsonst ist alles Eilen,

Denn es brechen Meißel, Feilen,
Und den mächtigen Granit
Nimmt kein Keil und Hammer mit;
Mit der Säul’ ist er vermählt,

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Alle Kraft umsonst sich quält. –

Und der Meister fleucht die Stätte;
Und der Schultheiß kreucht in’s Bette,
Birgt die Schaam im Federnpfühl,
Und das Ohr vor dem Gewühl,

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Das sich auf dem Markte sammelt,

Schrecken, Spott und Flüche stammelt.

     Was da weiter ist geschehn,
Leser, magst du fragen gehn;
Wirst du zu der Stadt geführet,

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Deren Markt ein Esel zieret;

Leser, das ist Löwenthal,
Dort erfährst du’s wohl einmal.

Anmerkungen (Wikisource)

1. Vorlage: längnet