Der starke Hans und der starke Peter

Textdaten
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Autor: Fr. Richter
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Titel: Der starke Hans und der starke Peter
Untertitel:
aus: Lithauische Märchen III, in: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang, S. 230–235
Herausgeber: Edmund Veckenstedt
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Alfred Dörffel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
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1. Der starke Hans und der starke Peter.

Es war einmal ein König und eine Königin, welche über ein sehr grosses Land herrschten. Leider waren sie kinderlos und fühlten sich deshalb sehr unglücklich. Die Königin betete täglich zu dem lieben Gott unter heissen Thränen, er möge ihr doch ein Kind schenken, der König aber hielt die Zauberer für mächtiger als Gott und wandte sich deshalb nur an diese. Der liebe Gott hatte endlich Erbarmen [231] mit der Not der unglücklichen Königin. Eines Tages sandte er einen Engel zu ihr, welcher der Königin einen goldenen Fisch überreichte. Er sagte ihr, wenn sie den Fisch gegessen habe, so werde sie in Jahresfrist einem Sohne das Leben schenken. Die Königin ass den Fisch in froher Hoffnung

An demselben Tage, an welchem dies geschehen war, hatte der König eine mächtige Zauberin kommen lassen. Diese gab der Königin einen silbernen Fisch und sagte ihr, wenn sie denselben gegessen habe, so würde sie nach Jahresfrist einem Kinde das Leben schenken. Die Königin ass auch diesen Fisch.

Nachdem ein Jahr verflossen war, gab die Königin an einem und demselben Tage zwei Söhnen das Leben. Der älteste von ihnen hatte goldenes Haar und auf der Stirn einen goldenen Stern, der zweite aber silbernes Haar und auf der Stirn einen silbernen Stern. Der älteste wurde Hans, der zweite Peter genannt. Die Freude des Königs und der Königin war gross.

Die Knaben, denen man zwei tüchtige Ammen gegeben hatte, gediehen trefflich.

Eines Tages, es war im Sommer, geschah es, als die Knaben bereits einige Wochen alt waren, dass die Ammen mit den Kindern in den grünen Wald gingen. Sie legten die Kinder in das Gras und entfernten sich ein wenig von ihnen, um sich die Gegend anzusehen. Kaum waren die Ammen fort, so kamen eine Löwin und eine Bärin, welche den Kindern ihre Milch darboten. Als die Knaben die Milch der Löwin und der Bärin getrunken hatten, entfernten sich die Tiere, ohne dass die Ammen von den Vorgang etwas gemerkt hatten. Die Knaben wurden von der Milch, die sie genossen, gewaltig stark.

Nach einigen Tagen fiel es den Ammen ein, wiederum mit den Kindern in den Wald zu gehen, sie in das Gras zu legen und sich die Gegend anzusehen. Kaum hatten sie sich von den Kindern entfernt, so kam die Zauberin, welche der Königin den silbernen Fisch gegeben hatte, des Weges, und als sie sah, dass Hans viel schöner und stärker als der Knabe war, welcher ihrer Zauberei das Leben verdankte, rief sie vermöge ihrer Kunst zwei grosse Schlangen herbei und befahl ihnen, sie sollten Hans töten. Darauf entfernte sie sich. Die Schlangen umschnürten auch den Knaben, aber Hans war so stark, obgleich er erst einige Wochen alt war, dass er mit jeder Hand eine Schlange erfasste und dieselbe zerdrückte.

Kurze Zeit darauf kamen die Ammen zu den Kindern zurück. Kaum hatten sie die erwürgten Schlangen gesehen, so ahnten sie den Vorgang, hoben voll Schrecken die Knaben auf und eilten mit ihnen nach Hause. Dort erzählten sie, was geschehen war. Als der Vorgang im Volke bekannt wurde, schauten die Leute mit Bewunderung auf die Knaben und meinten, gewiss sei ein Engel ihr Vater.

Die Kinder wuchsen zu starken Knaben und zu so kräftigen Jünglingen heran, dass man sie bald nur den starken Hans und den starken Peter nannte. Oftmals gaben sie Beweise ihrer ungeheuren Kraft. Als sie fünfzehn Jahre alt waren, erschlug Hans einen gewaltigen Löwen, den [232] ganze Scharen von Jägern nicht zu überwältigen vermocht hatten, Peter aber wälzte einen grossen Stein einen hohen und steilen Berg hinan.

Kurze Zeit darauf wurden die beiden Königssöhne auf der Jagd von einer Räuberschar überfallen, aber obgleich sie beide nur allein waren, erschlugen sie doch die Räuber alle.

Aber noch immer zürnte die Zauberin darüber, dass Hans schöner und stärker als Peter war. Sie sann aufs neue darauf, wie sie ihn verderben könnte. Zu diesem Zwecke liess sie aus der Erde ungeheure Riesen hervorwachsen, deren Antlitz viereckig war. Die Füsse der Riesen waren Schlangen, ihre Hände Drachen. Die Zauberin befahl den Riesen, sie sollten sich im Walde verstecken und den starken Hans, wenn er sich wieder auf der Jagd befinde, überfallen und töten.

Hans wollte denselben Tag wieder auf die Jagd gehen. Er forderte scinen Bruder auf, ihm zu folgen, dieser fühlte sich unwohl. So kam es, dass Hans allein auf die Jagd gehen musste. Bevor er den Wald betrat, begegnete ihm ein Männchen. Dieses Männchen war der Engel, welchen einst Gott zu seiner Mutter mit dem goldenen Fische gesandt hatte. Auch jetzt hatte ihn Gott geschickt, damit er die Anschläge der bösen Zauberin zunichte mache. Das Männchen sprach zu Hans: „Bevor Du in den Wald gehst, bade Dich in dem Bache am Saume desselben, sodann nimm die Salbe, welche ich Dir hier geben werde, und salbe Deinen Leib damit ein. Hast Du das gethan, so wirst Du fortan unverwundbar sein. Ausserdem gebe ich Dir Bogen und Pfeile. Die Pfeile werden nie ihr Ziel verfehlen, worauf Du sie auch richten wirst.“

Nachdem das Männchen Salbe, Pfeil und Bogen übergeben hatte, war es plötzlich verschwunden. Hans nahm die Geschenke, badete und salbte sich, darauf ging er in den Wald. Er war noch nicht tief in den Wald eingedrungen, so überfielen ihn die Riesen, aber Hans erlegte sie in einem furchtbaren Kampfe alle bis auf den letzten.

Der starke Hans kehrte nach dieser heissen Arbeit nach Hause zurück. Er beschloss, mit seinem Bruder Peter sich die Welt anzusehen, jeder von ihnen sollte aber sein Glück in der Fremde allein versuchen. Demgemäss trennten sie sich, als sie an einen Kreuzweg gekommen waren.

Hans war noch nicht weit.gegangen, da sah er neben einem Gewässer ein weinendes Mädchen, welches an einen Baum gebunden war. Er erfuhr von dem Mädchen, dass es für einen Drachen, der im Wasser hause, als Opfer bestimmt sei, der Drachen habe das Gebiet ihres Vaters, des Königs, verheert Seit der Zeit bringe man dem Untier jährlich ein Opfer dar. Dieses stehe alsdann von seinen Verheerungen ab. Nun habe in diesem Jahre das Los sie getroffen, bald werde der Drachen kommen und sie verschlingen.

Als Hans das Schicksal des schönen Mädchens, welches weinend dem schrecklichen Tode entgegensah, vernommen hatte, versprach er, dasselbe zu befreien. Kaum hatte er sich zum Kampfe fertig gemacht, so brach der Drachen aus dem Wasser hervor. Er war furchtbar anzusehen und hatte zwölf Köpfe, Hans aber trat ihm mutig entgegen. Bald hatte er dem Drachen mit einem gewaltigen Schwertstreich ein Haupt [233] abgeschlagen. Da sah er, dass sofort an Stelle des einen abgeschlagenen Hauptes zwei neue aus dem Rumpfe des Untieres hervorwuchsen. Schnell entschlossen rieb der starke Hans zwei dürre Bäume aneinander und als sie in Brand geraten waren, benutzte er den einen als Fackel und brannte damit, sobald er einen Kopf abgeschlagen hatte, die blutende Wunde aus. So konnte kein Kopf mehr nachwachsen. Bald war Hans des Untieres Herr geworden,

Sogleich befreite er die Prinzessin und geleitete sie zu ihrem Vater. Vorher aber tauchte er mehrere von seinen nie fehlenden Pfeilen in das Blut des Drachen, denn er wusste, dass das Blut eines solchen Untieres giftig sei. Fortan führte er auch vergiftete Pfeile.

Als er mit der glücklich geretteten Prinzessin an den Hof ihres Vater kam, war dort die Freude gross. Da die Jungfrau sehr schön war, ebenso wie der starke Hans, so gewannen sie bald einander so lieb, dass Hans mit Bewilligung der schönen Königstochter um ihre Hand anhielt. Der König hatte keine Neigung, dem Fremdling sein Kind zu geben. Deshalb sann er darauf, diesen zu verderben. Er sagte dem Befreier seiner Tochter zwar die Hand derselben zu, verlangte aber, dass ihm dieser vor der Vermählung einige Aufgaben löse, damit er seine Tüchtigkeit noch weiter erweise. Der starke Hans war dazu bereit. Da befahl ihm der König, er solle einen wilden Löwen töten, welcher in einem nahen Walde hauste und der Schrecken des Reiches war. Der Löwe hatte ein Fell, welches keine Waffe zu durchdringen vermochte. Hans machte sich auf den Weg. Als er des Löwen ansichtig wurde, riss er einen gewaltigen Baum des Waldes aus, und erschlug mit demselben das Untier.

Darauf sollte Hans ein wildes Pferd einfangen, welches schnell wie der Wind lief. Hans machte sich auf den Weg nach dem Orte, wo das Pferd zu weiden pflegte. Als er es erblickte, schoss er ein Pfeil auf dasselbe ab, und lähmte mit demselben das schnelle Tier. Nun gelang es ihm leicht, dasselbe einzufangen.

Darauf sollte Hans verschiedene Ungetüme töten, welche in einer Höhle des Waldes hausten. Dieselben waren halb Menschen, halb wilde Hunde. Der starke Hans wurde ihrer glücklich Herr vermöge seiner nie fehlenden giftigen Pfeile. Nun wünschte der König, einen Ochsen aus der Herde des Riesenkönigs zu haben. Der Riesenkönig hatte zwölf Köpfe, vierundundzwanzig Arme und ebensoviel Füsse. Die Ochsen waren so gross und so fett, dass ein einziger genügte, eine ganze Schar von Kriegern zu sättigen. Bewacht wurde die Herde von einem Riesen, welcher hundert Augen hatte, die Füsse desselben waren Schlangen, die Arme aber von Eisen. Der Hund des Riesen war gleichfalls ein Ungetüm, er hatte zwölf Köpfe. Der starke Hans tötete den Hund, den Riesen sowie den Riesenkönig und brachte einen der Ochsen angetrieben, wie ihm befohlen war.

Schliesslich sollte Hans drei Äpfel vom Baume der Gesundheit und des Lebens holen. Der Weg zu diesen Äpfeln führte durch die Hölle, in welcher der Teufel die Seelen der Sünder peinigt. Der starke Hans machte sich auf den Weg. Als er in die Hölle gelangt war und der Teufel ihn erblickte, wurde er zornig über den Eindringling, und hetzte [234] seinen Hund auf ihn. Dieser Höllenhund hatte drei Köpfe, statt der Schnauze aber Löwenrachen, aus denen Feuer und heisser Dampf hervorbrach. Die Haare des Hundes waren Schlangen, seine Füsse die eines Elefanten. Aber der starke Hans ergriff den Hund und drückte ihn so gewaltig zu Boden, dass dieser froh war, als Hans ihn endlich losliess. Winselnd verkroch sich das Untier. Darauf stellte sich der Teufel selbst dem Eindringling entgegen. Hans aber besiegte ihn in einem heissen Ringkampfe.

Jetzt sah sich Hans in der Hölle um. Zu seinem Erstaunen fand er seinen Bruder Peter an einem Felsen in der Hölle angeschmiedet. Sogleich befreite er ihn und nachdem er erfahren, wie er in die Lage gekommen und dass auch die Gemahlin seines Bruders in der Hölle sei, befreite er auch diese, dann sandte er beide auf die Erde zurück.

Darauf wanderte Hans weiter in der Hölle. Endlich kam er zu dem Baume der Gesundheit und des Lebens. Der Baum stand ganz in der Nähe des Paradieses, bewacht wurde er von einem Drachen mit hundert Augen. Hans band den Drachen mit eisernen Ketten, pflückte drei Äpfel und brachte sie dem Könige. Nun konnte der König seine Tochter dem starken Hans nicht mehr verweigern und die Hochzeit wurde alsobald gefeiert.

Wie es Peter ergangen und wie er in die Hölle gelangt war, werden wir sogleich erfahren. Als er an dem Kreuzwege Hans verlassen hatte, kam er nach einiger Zeit in eine Stadt, in welcher er alles voll Trauer fand. Auf sein Befragen hörte er, dass der König des Landes gezwungen sei, einem fremden Herrscher, der auf einer Insel lebe, jährlich zehn Jünglinge und zehn Jungfrauen, einer Übereinkunft gemäss, zu senden. Der Jünglinge und Jungfrauen harre auf der Insel ein schreckliches Los. Sie würden dort in ein Gebäude, das Hunderte von Gemächern habe, sich aber unter der Erde befinde, eingesperrt. In den unterirdischen Gemächern hausten wilde Tiere, und diejenigen von den Jünglingen und Jungfrauen, welche nicht von den Tieren zerrissen würden, müssten elend unter der Erde verschmachten. Wer einmal in diesen Gemächern sei, der finde daraus nie mehr den Ausweg. Diesmal sei man besonders traurig gestimmt, denn die Tochter des Königs gehöre zu den Jungfrauen, auf welche das Los gefallen sei.

Als Peter hörte, dass das Schiff mit den Jünglingen und Jungfrauen in den nächsten Tagen absegeln werde, war er sogleich entschlossen, dieselben zu begleiten und zu befreien. Kaum waren sie an der Insel gelandet, so wurden sie auch schon in die unterirdischen Gemächer hinabgestossen. Peter hatte sich mit einer langen Schnur versehen, knüpfte dieselbe an der Thür an, und behielt den sich abwickelnden Knäuel in der Hand. Kaum waren alle in die Gemächer gelangt, in welchen die Tiere hausten, so gab der starke Peter die Schnur einem der Begleiter zu halten, er selbst aber erlegte in einem heissen Kampfe die Tiere alle. Darauf führte er an seiner Schnur die Eingesperrten wieder aus den unterirdischen Gemächern heraus und erschlug sodann den grausamen Herrscher der Insel. Darauf bestiegen die Befreiten mit ihrem Erretter das Schiff und segelten frohlockend der Heimat zu. Hier wurden sie mit Jubel empfangen, [235] der starke Peter heiratete die Königstochter und bekam, da der Vater seiner jungen Gemahlin bereits alt war, die Herrschaft über das Land. Allein die benachbarten Völker und Herrscher mochten von dem neuen König nichts wissen. Bald zogen sie mit Heeresmacht gegen den neuen König, allein der starke Peter ging aus allen Kämpfen als Sieger hervor.

Unter denen, welche den neuen König bekriegten, war auch ein Volk von Weibern, deren Hände Schwerter waren. Als auch diese in einem Kampfe besiegt waren, riefen sie zu ihrer Hilfe Untiere herbei, welche halb Menschen, halb wilde Hunde waren. Der starke Peter fühlte sich zu schwach, den Kampf gegen dieselben aufzunehmen. Er rief den Teufel aus der Hölle herbei, dass er ihm helfe. Der Teufel kam und war bereit, die gewünschte Hilfe zu gewähren, aber nur unter der Bedingung, dass ihm dafür Peter seine Gemahlin überlasse. In seiner Not musste Peter alles versprechen. Kaum waren die Untiere besiegt, so forderte der Teufel seinen Lohn. Peter musste seine Gemahlin dem Teufel übergeben. Aber nach kurzer Zeit erfasste ihn eine solche Sehnsucht nach seiner geliebten Frau, dass er beschloss, dem Teufel die Beute zu entreissen. Er stieg in die Hölle hinab, unterlag aber hier im Kampfe mit dem Teufel und ward von diesem an den Felsen geschmiedet, von welchem ihn sein Bruder Hans später befreite.

Fortan lebten der starke Peter und der starke Hans glücklich mit ihren Gemahlinnen, und da sie einander stets halfen, so oft ein feindliches Heer nahte, so vermochte ihnen kein Feind etwas anzuhaben. So kam es, dass sie bald die glücklichsten und mächtigsten Könige der Welt waren.