Der schwarze Peter (Beckmann)

Textdaten
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Autor: Ludwig Beckmann
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Titel: Der schwarze Peter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 812–814
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Platzhirsch Peter
Skizzen aus dem Land- und Jägerleben. Nr. 1
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Skizzen aus dem Land- und Jägerleben.
Wort und Bild von Ludwig Beckmann.
1. Der schwarze Peter.


Um übergroßen Erwartungen von Seiten des freundlichen Lesers von vorn herein vorzubeugen, bemerken wir zunächst, daß der Held unserer kleinen Erzählung nicht etwa eine Art Raubschütz, Schinderhannes oder Chef einer Schmugglerbande ist, sondern ein braver Edelhirsch, der seiner Zeit dem gräflich von X.’schen Damwildparke zu besonderer Zierde gereichte. Er hieß einfach „Peter“, und da er sehr dunkel gefärbt war, erhielt er das Prädicat: „der Schwarze“. Der schwarze Peter war in jüngern Jahren eigentlich ein grundgemüthlicher Kauz, der sich in seinen zahlreichen Mußestunden vorzugsweise mit Wiederkäuen beschäftigte, allein mit den Jahren ward er allmählich unzuverlässiger, ängstigte die Besucher des Parkes durch seine Zudringlichkeit und respectirte zuletzt nur noch den alten Parkwärter. Sobald dieser sein lautes: „Wull’ Du ’mal ’rrruht!“ erschallen ließ, war’s mit Peter’s Courage plötzlich vorbei, denn jener Zuruf pflegte der unmittelbare Vorläufer einiger wohlberechneten Peitschenhiebe zu sein.

Zu den besonderen Eigenheiten Peter’s gehörte seine Abneigung gegen alle Neuerungen – es war eine durchaus conservative Natur. Jede Veränderung oder Ausbesserung an den zahlreichen Brücken, Stegen und Verlattungen im Park erregte seinen Unwillen und gar häufig hatte er in der Nacht das neue Bretterwerk wieder heruntergearbeitet, welches Zimmermann und Schreiner mühsam bei Tage hergestellt. Einst hatte der kunstsinnige Besitzer des Parkes eine Anzahl sogenannter „Naturbänke“ aus ungeschälten, weißen Birkenstämmchen, mit Eichenrinde verziert, nach eigner Zeichnung anfertigen und an den malerischsten Punkten im Parke aufstellen lassen. Am nächsten Morgen fand man sämmtliche Bänke in ihre Urbestandtheile zerlegt, auf dem Rasen zerstreut, oder im Wasser umhertreibend, ja einzelne Knittel waren hoch in’s Gezweige der Bäume geschleudert und dort hängen geblieben! Als ich am Morgen nach diesem Vorfalle früh in den Park trat, hörte und sah ich schon von Weitem, wie der Wärter sich vergebens abmühte, den Hirsch in eine Einzäunung zu treiben, welche von nun an sein beständiger Aufenthalt sein sollte. Peter hatte dicht neben dem Eingang Stellung genommen; mit dem Rücken gegen das Pfahlwerk gelehnt, den Kopf mit dem mächtigen Geweih tief herabgesenkt, stand er da und wehrte sich ritterlich gegen die hageldicht heransausenden Birkenknittel und sonstigen Bruchstücke der Naturbänke, welche ihm vom Wärter unablässig zugesendet wurden.

Bis jetzt hatte der Hirsch noch jeden Wurf vollständig mit dem Geweih parirt, oft genügte eine kleine Seitenbewegung des Kopfes, um das herankommende Projectil weit seitwärts abzuprellen oder hoch in die Luft wirbeln zu lassen. Als ich mir aber ebenfalls einen Arm voll „Naturhölzer“ gesammelt und dem Wärter secundirte, ward es dem Peter doch allmählich zu heiß, er machte plötzlich Kehrt und stürmte in wilder Flucht in seinen Zwinger, der sich sofort hinter ihm schloß.

Als der Hirsch bereits in die Brunst getreten war, verließ ich einst zu später Abendstunde die mitten im Park belegene Behausung des Wärters und schritt heimwärts durch die hohen, dunklen Kiefern, fortwährend bemüht, den unscheinbaren Fußpfad beim unstäten Licht meiner kleinen Blendlaterne im Auge zu behalten. Es war völlig windstill und ich wunderte mich sehr, das Geschrei des Hirsches nicht wie gewöhnlich aus der Ferne herüber schallen zu hören. Kaum einen Flintenschuß von der Ausgangspforte entfernt, glaubte ich ein leises klitscherndes Geräusch hinter mir zu vernehmen, wie dies wohl ein Stück Wild im ruhigen Gange durch das Zusammentreffen der Schalen mit dem Geäster hervorbringt. Ich dachte unwillkürlich an die Möglichkeit eines Rencontre mit dem schwarzen Peter, welcher jetzt die schönste Gelegenheit haben würde, Revanche zu nehmen. Ich kannte sein Gedächtniß für empfangene Beleidigungen und erinnerte mich, daß er einst, scheinbar ohne jede Veranlassung, einen Arbeiter mitten unter seinen Gefährten aufgesucht und mit den Vorderläufen niedergeschlagen hatte. Der Mann bekannte später, daß er einige Wochen früher dem Hirsche ein Stück glimmenden Feuerschwamms auf die Nase gelegt hatte.

Während ich diesen unerquicklichen Betrachtungen nachhing, ließ sich das erwähnte Klitschern abermals vernehmen. Ich drehte mich um und richtete meine Laterne bald hoch, bald niedrig, bald links und rechts, anfänglich vergebens. Endlich glaubte ich in einiger Entfernung ein starkes Stück Wild auf dem Fußpfade zu entdecken, ob aber Hirsch oder Thier, war nicht zu unterscheiden. Ich sollte nicht lange in Zweifel bleiben, denn mein unheimlicher Begleiter kam langsam gerade auf mich zu. Es war richtig – der schwarze Peter, welcher, der Himmel mochte wissen wie, aus seinem Zwinger entkommen war. Mit steifem, feierlichem Schritt, den Kopf gesenkt, kam er heran. Ich bemerkte sofort, daß er das Gehör zurückgekniffen hatte, was immer ein Zeichen übler Laune ist, und sah mich rasch nach einer Deckung um. Zum Glück standen die Kiefern an diesem Orte nicht vereinzelt, sondern horstweise beisammen, und wenn es mir gelang, die nächste Gruppe zu erreichen, war ich wenigstens vor dem ersten Anlauf geschützt. Vorsichtig rückwärts tretend, setzte ich zunächst meine Laterne nieder und sprang dann mit einem Satz hinter die schützenden Kiefernstangen. Ich hatte die sentimentale Idee, der Hirsch werde sich mit der brennenden Laterne beschäftigen, bis ich mich in der Stille davon gemacht, allein ich war kaum hinter den Kiefern, als Peter auch schon von vorn dagegen prallte, daß es klappte. Dann begann er mit dem Geweih zu drücken und zu bohren, mit dem Kopf in derselben Stellung verharrend, während sein Hintertheil im Halbkreis hin und her traversirte. Bald knickte und krachte hier und dort ein dürrer Ast im Dickicht, was bei der nächtlichen Stille einen gewaltigen Lärm verursachte und zu meiner größten Freude das Wachthündchen des Parkwärters zu einem heillosen

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Der schwarze Peter bei der Attake.

[814] Gebell anreizte. Gleich darauf hörte ich, wie der Parkwärter das Fenster aufstieß, um die Ursache des Lärmens zu erforschen, und auf meinen lauten Zuruf erschallte sofort sein: „Wull’ Du ’mal ’rrruht!“ Peter stutzte, und als der gefürchtete Ruf abermals erscholl und er den Alten aus der Hausthür treten hörte, machte er Kehrt und trabte eiligst durch die hohen Kiefern davon. Ich hörte, wie er unten in der Wiese ein starkes Rudel Damwild aufscheuchte, wie der ganze Troß gleich fernem Donnergepolter über die Wiese dahinstürmte und nun mit lautem Geplätscher durch den Bach setzte; dann war Alles still. Ich nahm meine Laterne vom Boden auf, rief dem Alten „gute Nacht“ zu und trat aus der Pforte des Parkes mit dem Vorsatze, künftig hübsch bei Tage heimzukehren.

Daß mit Peter aber auch bei Tage nicht mehr zu spaßen war, zeigte sich am nächsten Morgen. Die Magd des Parkwärters hatte – trotz der Warnung des Alten – sich schon früh aufgemacht, um aus dem nahen Bache Wasser zu holen. Da erscheint plötzlich der Peter am jenseitigen Ufer. Das Mädchen flüchtet eine nahe Anhöhe hinan, um in einer dort befindlichen Wildhütte Schutz zu suchen, allein der Hirsch war in zwei Sätzen durch den Bach und würde sie im nächsten Moment erreicht haben, wenn dem Mädchen in diesem Augenblicke die bis dahin krampfhaft festgehaltenen Wassereimer nicht entfallen wären. Diese kollerten dem Hirsche auf dem schmalen, abschüssigen Wege entgegen und während Peter sich mit den Eimern herumbalgte, gelang es dem Mädchen, die Hütte zu erreichen.

Auf ihr Hülfegeschrei eilte endlich der alte Parkwärter herbei, welcher den Hirsch in einer höchst lächerlichen Situation vor der Hütte erblickte. Er trug nämlich auf der einen Geweihstange einen der schweren Wassereimer und bemühte sich vergebens, dieses lästige Anhängsel los zu werden. Wahrscheinlich hatte dieser Umstand das Mädchen allein gerettet. Der Hirsch wollte den ihm entgegenrollenden Eimer einfach zur Seite schleudern, schlug aber glücklicherweise die Geweihstange gerade zur obern Oeffnung des Eimers hinein und mit Zertrümmerung des Bodens unten wieder heraus, so daß der hohle Cylinder bis auf die Mittelsprosse der Geweihstange getrieben wurde. Der eiserne Reifen aber hatte sich unter dem Augsprossen verfangen und so kam es, daß Peter noch fast acht Tage lang mit seinem Eimer umherstolzirte. Peter’s Einzäunung ward nun dermaßen verbarricadirt, daß an ein abermaliges Entwischen nicht zu denken war. Erst gegen Ende Februar, nachdem er sein Geweih abgeworfen, ward er wieder in den Park gelassen. Kurz zuvor ereignete sich ein drolliger Vorfall, der hier noch in Kürze Erwähnung finden möge.

Die meisten Besucher des Wildparks konnten nicht unterlassen, den eingesperrten Peter im Vorübergehen zu necken. Besonders zeichnete sich in dieser Beziehung ein junger Engländer aus, der bei dem Geistlichen des Ortes in Pension war und jeden Nachmittag zu bestimmter Stunde erschien, um sich mit dem Hirsche zu amüsiren. Sobald der gereizte Hirsch mit dem Geweih gegen die Umzäunung anrannte, ergriff der junge Mann die äußersten Enden der Stangen und versuchte den Kopf des Hirsches herunterzudrücken.

Ich wunderte mich sehr, daß der Parkwärter diese Neckereien völlig ignorirte, allein dieser erwiderte lachend: „Lassen Sie den Engländer nur wirthschaften, – ich wette, er bricht dem Peter heute oder morgen eine Stange ab, sie sind alle beide schon wacklig! Das giebt ’n Hauptspaß; er hat mir ’mal erzählt, in Schottland würden die Hirsche so alt, daß ihnen dickes Moos auf dem Geweih wüchse. Er hat also gar keine Ahnung, daß der Hirsch alle Jahre das Geweih wechselt – na, der wird ’n Schrecken kriegen!“

Was der Alte prophezeit, ereignete sich richtig schon am nächsten Nachmittage. Peter hatte anfänglich gar keine Lust mit dem Engländer zu boxen, gab indeß zuletzt der Herausforderung nach und lehnte vorsichtig mit dem bereits in der Trennung begriffenen Geweih gegen die Einzäunung. Der junge Mann griff herzhaft zu, drückte – knacks! brach die Stange und der Hirsch rannte davon, den Kopf, der durch den plötzlichen Verlust der einen Stange völlig aus dem Gleichgewicht gekommen war, ganz schief tragend, während ihm der rothe Schweiß von der Bruchstelle über die silbergrauen Wangen herabrieselte. Ein schauerlicher Anblick für den jungen Mann, der, sprachlos vor Schrecken, mit offenem Munde da stand und bald die am Boden liegende Stange, bald den in höchster Aufregung umhertrabenden Peter anstarrte.

„Donnerwetter – das ist aber ’ne schöne Geschichte,“ fing jetzt der Wildmeister an zu fluchen, „Himmel Sackerment, was wird der Graf sagen, daß Sie ihm den ganzen Hirsch verschändet haben! Nun laufen Sie nur gleich zum Tiemann,“ (so hieß der Thierarzt des Ortes) „vielleicht kann der noch helfen. Aber rasch, nehmen Sie die Stange mit!“

Der Engländer raffte die abgeworfene Stange auf und trabte davon. Der Zufall wollte, daß der Besitzer des Parkes gerade in der Nähe war, und als derselbe den ihm unbekannten jungen Mann mit der Geweihstange aus dem Parke eilen sah, erschien ihm die Sache verdächtig und er schickte den ihn begleitenden Jäger ab, den vermeintlichen Dieb anzuhalten. Dieser kam bald zurück, den Engländer am Arme führend, der dem Grafen schon von Weitem fortwährend zurief: „Indeed, Sir – I did not mean to do it, I just touched it!“ („Wirklich, Herr, ich habe es nicht mit Absicht gethan, ich griff gerade daran!“)

Der Graf wußte natürlich anfangs nicht, was das Alles zu bedeuten habe, bis endlich der Parkwärter hinzutrat und unter allgemeinem Gelächter den Hergang erzählte. Der Engländer aber verschwand und ward seit jenem Tage nicht wieder im Parke gesehen.

Im nächsten Herbst fand der schwarze Peter – der nun bereits zum stattlichen Zwölfer herangewachsen war – ein unerwartetes tragisches Ende. Um seinen Harem zu vergrößern, hatte man noch einige Stück Wild aus dem Mecklenburgischen kommen lassen. Außer diesen weiblichen Thieren war nun aus Mißverständniß vom Absender auch ein Hirsch geschickt, welcher am nächsten Tage zurückgehen sollte und bis dahin in einem kleinen Zwinger, der unmittelbar an Peter’s Einzäunung grenzte, untergebracht wurde. Der neue Ankömmling war bei Weitem jünger und geringer als Peter – ein „Schneider von Geburt“, wie sich der Parkwärter ausdrückte – und bezeigte eine entsetzliche Furcht vor seinem Nachbar, der bereits in voller Brunft war, unaufhörlich schrie und sich vergebens abmühte, zu dem fremden Hirsche zu gelangen. Die Scheidewand zwischen den beiden Einzäunungen ward daher noch Abends spät durch eingeschobene Stangen und Balken verstärkt.

Am nächsten Morgen fand man den schwarzen Peter steif und starr, mit zwei tiefen Wunden hinter dem linken Blatte mitten unter der Scheidewand liegen, so daß die vordere Körperhälfte in der Einzäunung des fremden Hirsches und das Hintertheil noch in seinem eigenen Zwinger lag. Er hatte die unterste Stange der Scheidewand zertrümmert und dann versucht, sich an einer moorigen Stelle des Bodens unter der Verlattung durchzuarbeiten, um zu dem fremden Hirsche zu gelangen. Dieser aber, die ihm drohende Gefahr erkennend, hatte in der Angst der Verzweiflung den ihm an Stärke weit überlegenen Peter sofort angegriffen und ihm die beiden Augsprossen der ganzen Länge nach in die Brusthöhle gejagt.

Der jugendliche Sieger hatte sich mit dieser kühnen That die Rückreise in’s Land der Obotriten erspart; er trat an Peter’s Stelle als „Platzhirsch“ im Parke ein und residirt dort im Kreise einer zahlreichen Nachkommenschaft noch heute.