Der neue Themsetunnel in London

Textdaten
<<< >>>
Autor: August Hollenberg
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der neue Themsetunnel in London
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 426–427
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[426]

Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Der neue Themsetunnel in London.
Datei:Die Gartenlaube (1897) b 426 1.jpg

Durchschnitt des Blackwalltunnels.

Tunnelbauten waren schon in uralten Zeiten den Menschen bekannt. Die Aegypter, Perser und Römer versuchten mit großem Geschick diese Maulwurfsarbeiten auszuführen, und Reste der alten Tunnel erregen noch heute die Bewunderung der Sachverständigen. Alle diese Bauten wurden jedoch in trockenem Grunde ausgeführt, erst unser Jahrhundert vermochte das schwierigere Kunststück zu vollbringen, Tunnel unter Wasser fortzuführen, unter Flüssen und Seen neue Wege für den Verkehr zu schaffen.

Der erste Bau dieser Art wurde in London hergestellt. Aus Rücksicht auf die Schiffahrt konnte man die Themse nicht überall mit Brücken überspannen, und als der Verkehr der Millionenstadt im steten Wachsen begriffen war, entschloß man sich, die beiden Ufer des Stromes durch einen Hohlweg unter der Themse zu verbinden. Der berühmte Ingenieur Brunel übernahm die Ausführung des schwierigen Werkes, das durch Einsickern des Grundwassers von Schritt zu Schritt bedroht wurde. Der erste Themsetunnel zwischen Wapping und Rotherhithe wurde im Jahre 1825 begonnen, und erst im Jahre 1842 konnte er dem Verkehr übergeben werden. Seine Länge beträgt 396 m und seine Baukosten beliefen sich auf 9½ Millionen Mark. – Damit war die Bahn gebrochen und es folgten bald neue Tunnelbauten unter Wasser sowohl in der Alten wie in der Neuen Welt, ja die Technik ist soweit fortgeschritten, daß Sachverständigen selbst der Bau eines Tunnels unter dem Kanal zwischen England und Frankreich durchaus möglich erscheint.

Der Brunelsche Tunnel wurde im Jahre 1865 in den Dienst der Eisenbahn gestellt und für den Wagen- und Fußgängerverkehr baute man bei Tower-Hill einen neuen. London wuchs indessen stetig und der Wunsch nach weiteren Verkehrsmitteln wurde von neuem rege. So beschloß man, die Themse an einer dritten Stelle zu unterwühlen und die Stadtteile Kent und Middlesex durch einen neuen Tunnel zu verbinden. Am 23. Mai d. J. hat unter großer Feierlichkeit die Eröffnung des nach fünfjähriger Arbeit vollendeten Werkes stattgefunden, der neue Weg führt unter dem Teile des Flusses hin, der den Namen Blackwall trägt.

Datei:Die Gartenlaube (1897) b 426.jpg

Querschnitt des fertigen Tunnels. Querschnitt der Arbeitskammer.


Unsere Abbildung „Durchschnitt des Blackwalltunnels“ zeigt den [427] Zug des Tunnels von Ufer zu Ufer und durch die Tiefe. Von den architektonisch ausgeführten Zugangsthoren führen geneigte Strecken auf die tiefste wagerecht gelegene Tunnelstrecke, deren Länge allein 394 m beträgt. Um die Arbeitsdauer möglichst abzukürzen, wird der Bau gewöhnlich von verschiedenen Stellen aus in Angriff genommen, zu diesem Zwecke werden senkrechte Schächte angelegt, von denen aus die Arbeit begonnen wird. Diese Schächte dienen als Luftschächte und auch zur Wegführung des ausgeräumten Erdreichs. Sie bleiben zum Teil als Ventilationsschächte nach Vollendung des Tunnels bestehen, zum Teil werden sie später geschlossen und beseitigt.

Vorderansicht des „Schilds“.

Von der Stelle aus, wo das Eindringen von Grundwasser möglich ist, werden derartige Tunnel als Rohre von Eisen oder Stahl ausgebildet, und zu diesem Zwecke errichtet man unter der Erde eine eigenartige Arbeitskammer.

An der Spitze derselben befindet sich die Tunnelbrust oder der sogenannte „Schild“. Unsere Abbildung zeigt eine Vorderansicht dieses von Brunel ersonnenen Hilfsmittels. Der Schild, der beim Bau des Blackwalltunnels benutzt wurde, war ein riesiges Stahlrohr mit einem Durchmesser von 8 m, er war 6 m lang und wog 230 Tonnen. Durch Anbringen wagerechter und senkrechter Planken war er in 12 Kammern geteilt, von denen jede je zwei Arbeiter aufnehmen konnte. Seine Rückseite war durch wasser- und luftdichte Thüren abgeschlossen. In den Kammern der Schilder verrichten die Arbeiter das Ausgraben des Erdreichs, es wird ihnen dabei komprimierte Luft zugeführt, die ein Eindringen des Wassers verhütet. Gefahrlos sind solche Arbeiten keineswegs, die verdichtete Luft greift die Atmungswerkzeuge erheblich an, die Gefahr des Einsturzes oder Wassereinbruches lauert beständig, aber die Hilfsmittel der Technik sind auch so vervollkommnet, daß während des Tunnelbaus bei diesem Teil der Ausgrabung kein Unfall sich ereignet hat.

Hinter dem Schild ist in enger Verbindung mit ihm ein weiterer, gleichfalls aus Stahlrohr geformter, Baum angebracht in welchen das ausgegrabene Erdreich bergmännisch fortgeschafft wird. Unsere Abbildung „Querschnitt der Arbeitskammer“ zeigt die Art und Weise, in welcher die Tunnelarbeiten ausgeführt wurden. Vorn im Schilde hacken die Arbeiter das Erdreich auf und schütten es durch zeitweilig geöffnete Rinnen in den hinteren Teil der Kammer. Ist nun vor dem Schilde ein genügender Hohlraum geschaffen worden, dann wird die gesamte Arbeitskammer vermittelst hydraulischer Pressen oder Rammböcke gegen das feste Erdreich vorgeschoben. Hinter der Arbeitskammer wird dann der Tunnel wasserdicht ausgebaut, während vor dem Schild die Wühlarbeit von neuem in Angriff genommen wird. Bei dem Blackwalltunnel begann der Schild am 13. Mai 1893 zu arbeiten. Je nach der Beschaffenheit des Erdreichs rückte er in 24 Stunden um 3 m oder auch nur 1/2 m vor. Zeitweilig mußte die Arbeit ruhen, da am Schild und an der Kammer Reparaturen nötig wurden. Am 5. Oktober 1896 war endlich die vom Wasser gefährdete Strecke völlig durchbohrt und wasserfest ausgekleidet, so daß nur noch der Ausbau des Tunnels nötig war.

Unsre Abbildung „Querschnitt des fertigen Tunnels“ zeigt uns die innere Anordnung des Riesenrohres. Dasselbe hat einen Durchmesser von 8 m und ist in zwei Abteilungen getrennt. Die untere, kleinere ist für Fortführung von Gas- und Wasserleitungsrohren, Telephondrähten usw. bestimmt, die obere dient dem Verkehr. Die Fahrbahn ist so breit gehalten, daß zwei Fuhrwerke einander ausweichen können, außerdem sind rechts und links zwei Stege für Fußgänger angebracht.

Der nunmehr vollendete Bau kann als ein wahrer Triumph der modernen Technik betrachtet werden, denn er wurde nicht in den für Wassergefahr sichereren Thonschichten, sondern durch einen Sandgrund geführt, bei dem die Möglichkeit des Wasserdurchbruchs jeden Augenblick gefürchtet werden mußte. An einer Stelle kommt der Tunnel so nahe an das Strombett, daß man dasselbe in einer Höhe von 3 m und einer Breite von 50 m durch künstliche Ablagerungen erhöhen mußte. Unsre Abbildung, die den Zug des Tunnels darstellt, deutet diese Ablagerung an der Stelle an, wo sich ein Schiff befindet. Die Gesamtkosten des Baues belaufen sich auf etwa 22 Millionen Mark. Beim Beginn der Tunnelarbeiten haben viele Ingenieure dem kühnen Werke ein schlimmes Ende prophezeit, heute dient es der Menschheit; ein neuer Beweis, daß die Technik der Neuzeit alle Schwierigkeiten zu überwinden versteht. A. Hollenberg.