Der lange Teich bei Kleinwolmsdorf
Es war im Jahre 1429. Die Hussiten, jene fanatischen Mordbrenner, wüteten im Meißner Lande. In unmittelbarer Nähe von Helmsdorf bei Stolpen hatten sie ein befestigtes Lager hergerichtet, von dem Gräben und Dämme bis heute erhalten sind. Von hier aus beunruhigten die Hussiten die weiteste Umgegend. Manches Dorf brannten sie nieder, das nicht wieder aufgebaut wurde und seitdem in Trümmern liegt. So zerstörten sie auch das im großen Karswalde bei Arnsdorf gelegene Kirchdorf Reinhardtswalde, von dem heute nur noch der Name erhalten ist. Verhüllend haben Moos und Heidekraut die wenigen Trümmer überzogen.
[49] Von Reinhardtswalde aus wollten die Hussiten nach dem benachbarten Arnsdorf und dieses in Brand stecken, doch hinderte sie beim Vorwärtsdringen ein seeartiger Teich, der von der heutigen Arnsdorfer Mühle bis hinab nach Kleinwolmsdorf reichte. Dieser Teich war tief und sehr umfangreich. Nur auf einem großen Umwege konnten die Hussiten nach Arnsdorf gelangen. Unterdessen war Befehl eingetroffen, welcher die Hussiten in’s Hauptlager bei Helmsdorf zurückrief. So war Arnsdorf gerettet; denn bald darauf brachen die Hussiten von ihrem Lager auf und zogen eiligst ostwärts.
Jener seeartige Teich hieß „der Lange Teich“. Derselbe soll im 13. Jahrhunderte von den Markgrafen zu Meißen, denen Kleinwolmsdorf zugehörte, angelegt worden sein. Jahrhunderte hindurch bildete er einen hochschätzbaren Teil unter den Besitzungen des Rittergutes „Wolmsdorf“, dem Grund und Boden jetzt noch zum größten Teile zugehört.
Der Lange Teich nahm das ganze Wiesental ein, welches sich von dem Rittergute zu Kleinwolmsdorf bis weit hinauf über die Arnsdorfer Mühle erstreckt und von der Kleinen oder der Schwarzen Röder durchflossen wird. Die Kleine Röder führte dem Langen Teiche das nötige Wasser zu und bildete auch den Abfluß dieses Teiches. Seinen Abschluß fand der Lange Teich in der Nähe des Kleinwolmsdorfer Rittergutes. Dort befindet sich noch jetzt ein ungefähr sechs Meter hoher Damm, der ehemalige Teichdamm, welcher quer durch den Wiesengrund sich zieht.
[50] In früheren Jahrhunderten legte man in wässerigen Niederungen, um von denselben nach den damaligen Verhältnissen den bestmöglichen Ertrag zu erzielen, Teiche an. Es bestand zu jener Zeit manches tiefliegende Bauern- und Rittergut zum größten Teile aus Teichen. Auch die Bischöfe drangen in ihren Besitzungen auf Anlegung von Teichen und ließen auch auf eigene Kosten Teiche bauen; denn man bedurfte in den Fastenzeiten der Fische. Darum bildete die Fischzucht in jener Zeit einen bedeutenden Erwerbszweig der Grundbesitzer, dazu gewährten die Teichbauten und Ausbesserungen der Teiche vielen Bewohnern des Landes Arbeit und Unterhalt.
Der Lange Teich war noch im Anfange des 19. Jahrhunderts über 100 Acker oder 50 ha groß, ist früher aber bedeutend größer gewesen. In seiner Mitte befand sich eine größere, bewaldete Insel, zu der man auf Kähnen gelangte. Auf dieser Insel wurden in früheren Zeiten allerhand Vergnügungen und Belustigungen abgehalten.
Unter den vielen Teichen, welche einst zu dem Rittergute Kleinwolmsdorf gehörten, war der Lange Teich der vorzüglichste. In ihm gediehen die Fische am besten. Der Teich stand unter Aufsicht und Verwaltung eines kurfürstlichen Fischmeisters, der in Kleinwolmsdorf seinen Sitz hatte. Aller zwei Jahre wurde der Lange Teich gefischt. Viele Wochen vorher schon ward er gezogen und bedurfte sorgfältigster Überwachung während dieser Zeit. Das Fischen selbst nahm mehrere Tage Zeit in Anspruch und lockte aus der weitesten Umgegend Hunderte, ja Tausende von Zuschauern herbei. Gegen 300 Fischer waren auf dem entwässerten Teichbette tätig, um die Fische zu sammeln. An den Ufern herrschte reges Leben. Hier wimmelte es geradezu von Zuschauern. Wagen waren in langen Reihen aufgefahren, um die Fische nach ihrem Bestimmungsorte zu bringen. Diese Wagen, welche den Transport der Fische zu besorgen hatten, mußten die Lehngerichtsgüter des Radeberger Amtes stellen. In der Teichschenke, welche am Damme stand, und in der gewöhnlich auch der Fischmeister wohnte, war an solchen Tagen kein Platz zu haben, so groß war das Gedränge. Hier wurden auch damals die berühmten und weithin bekannten Fischfeste gefeiert, zu denen aus stundenweiter Entfernung die Leute herbeiströmten, um des Teichwirtes Braunbier und Fische zu kosten. Da herrschte hellster Jubel viele Tage hindurch für jung und alt. Wer es ermöglichen konnte, der stellte sich ein. Im Freien mußten freilich die meisten Gäste lagern. Sie waren dann oft noch froh, ein passendes Plätzchen gefunden zu haben. Zelte und Buden waren auf den angrenzenden Wiesen aufgeschlagen, um den vielen Festteilnehmern notdürftigen Unterschlupf zu gewähren. Bei solchen Fischfesten erschien oftmals auch der Landesfürst, der dann im Rittergute Kleinwolmsdorf mehrere Tage Quartier nahm und vom sogenannten „Küchenmeister“, dem kurfürstlichen Verwalter des Rittergutes, bewirtet werden mußte. Gewöhnlich wurden dann auch große Jagden in den umliegenden Forsten abgehalten und gleichzeitig berühmte Jagdfeste gefeiert. Das waren dann Tage, an welchen lebhaftes Treiben im Rittergute herrschte. Das letzte Fischfest wurde im Jahre 1814 abgehalten.
In dem Langen Teiche gab es außer allerhand Fischen auch viele Fischottern, die jedes Jahr zu einer gewissen Zeit gefangen wurden. Die Leitung der Fischotterjagd war einem bestimmten Manne übergeben, den man den Fischotterjäger nannte. Zu dieser Jagd brauchte der Fischotterjäger viele Leute, sogenannte Hilfsmannschaften, die er aus den umliegenden Dörfern erhalten mußte; selbst das entfernte Großröhrsdorf hatte solche zu stellen, wenn der Fischotterjäger es befahl. Vielfach kaufte man sich von dieser Arbeit mit [51] Geld los, was dem Fischotterjäger auch recht war und ihm manchen harten Taler einbrachte.
Im Jahre 1776 kam das Rittergut Kleinwolmsdorf in den Besitz des „Kurfürstlich Sächsischen Kabinetsministers und Staatssekretärs Christian Gotthelf von Gutschmidt“. Vom damaligen Kurfürsten Friedrich August erhielt er den Langen Teich als Geschenk, weil er, wie die Sage erzählt, in Gegenwart des Landesherrn diesen Teich als eine „Entenpfütze“ bezeichnet hatte.
Als im Kriegsjahre 1813 die Franzosen die hiesige Gegend unsicher machten, wäre für sie der Lange Teich beinahe sehr verhängnisvoll geworden. Die Franzosen waren von den Preußen in ihrem Lager zwischen Arnsdorf und Kleinwolmsdorf überrumpelt worden und mußten eiligst die Flucht ergreifen. Die Franzosen wurden von den Preußen nach dem langen Teich zu getrieben und sollten in demselben auf Wunsch der Preußen ertrinken oder zum mindesten ein unfreiwilliges Bad nehmen. Doch konnten die Franzosen zum Glück noch rechtzeitig eine Schwenkung ausführen und so den Langen Teich umgehen.
Christian Gotthelf von Gutschmidt ließ im Jahre 1815 den Langen Teich trockenlegen und in Wiesenland umwandeln, freilich trugen die Wiesen viele Jahre hindurch meist nur schilfiges Gras, das nicht gerade ein gutes Futter für das Vieh war.
Fast jedes Jahr kommt es vor, daß die Kleine Röder zur Zeit der Schneeschmelze oder langandauernden Regens aus ihren Ufern tritt und die angrenzenden Wiesengrundstücke weithin überschwemmt und seeartige Wiesenflächen bildet. Zu solchen Zeiten hat man ein kleines Bild von dem Umfange des ehemaligen Langen Teiches.
An diesen Teich erinnert heute noch die einstige Insel, welche als bebuschter Hügel auf der ausgedehnten Wiesenfläche sich erhebt und bei Überschwemmungen als wirkliche Insel aus der Flut emporragt. Auch der alte Teichdamm, welcher den Langen Teich am unteren Ende abschloß, ist noch vorhanden. An ihm führt ein Fahr- und Fußweg hinüber zur alten Teichschenke, einer einzelnstehenden Wirtschaft, welche heute noch den früheren Namen führt und dem Wanderer Erholung bietet. Vom Arnsdorfer Bahnhofe aus geht ein alter Fahrweg, der sogenannte Rittergutsweg, der die ehemalige deutsche Lithotrit- oder Sprengstofffabrik, die jetzige Blei- und Zinnrohrfabrik von Kirchhoff und Lehr, berührt, nach Kleinwolmsdorf und führt den Wanderer zum größten Teile an dem nordöstlichen Uferrande des ehemaligen Teiches vorüber.[1]
In früheren Zeiten war der Lange Teich auch von Nixen bewohnt, doch sind sie, wie die Sage berichtet, nach Trockenlegung des Teiches in andere Gewässer verzogen. Nur nachts, wenn der Nebel auf den sumpfigen Wiesen lagert und der Vollmond durch sein Silberlicht die Nacht zum Tage macht, kehren die Nixen und Elfen hierher zurück und wiegen sich auf den weißen Nebelstreifen in lieblichen Tänzen und Reigen. Gespenstisch ragen dann die alten Weiden und Erlen, welche die Ufer der Kleinen Röder einnehmen, aus der Nebelmasse hervor. Murmelnd zieht das Bächlein durch den stillen Wiesengrund dahin.
- ↑ Dieser Weg ist seit dem Herbste 1903 umgebaut worden. Aus diesem alten Fahrwege ist eine schöne Fahrstraße entstanden, welche die Fortsetzung der am 12. September 1902 eröffneten neuen Güterbahnhofsstraße in Arnsdorf bildet und am Rittergute Kleinwolmsdorf, die Hofehäuser daselbst streifend, in die Kleinwolmsdorfer Dorfstraße mündet.