Textdaten
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Autor: Louis Legrand Noble
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Titel: Der lahme Knabe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 437–438
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: Friedrich Spielhagen
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[437]
Der lahme Knabe.[1]


     Allein, auf einer ind’schen Matten,
     In eines Eichbaums kühlem Schatten,
     Ein kleiner, lahmer Knabe saß,
     Die Augen braun und groß; und blaß
     Das Antlitz, klug und früh veraltet;
     Die welken Hände auf dem Knie gefaltet.
     Zum Nüssesammeln waren fortgesprungen
     Die andern Kinder – muntre, frohe Jungen.
     Da sprach der Knabe: „Mutter mein,
     Trag’ in den Schatten mich hinein!“
     Da konnte er den Amseln lauschen,
     Und horchen auf der Blätter Rauschen –
Musik der Wildniß – seltsam’ Spiel der Winde –
Sie brachte oft Vergessenheit dem Kinde!

     Auf eine Prairie, wild und weit,
     Blickt er heut voller Herzeleid.
     Der Tag war wonnig, der Himmel klar;
     O, ein liebliches, sonniges Bild es war!
     Um eine Wolke silberblaß
     Ein stolzer Aar die Luft durchschnitt,
     Und unten auf dem wolligen Gras
     Sein dunkler Schatten kreiste mit.
     Und drüben aus dem grünen Wald
     Der Knaben Rufe und Vogelgesang
     Jetzt näher, ferner dann erschallt;
     Wie das in seinem Ohre klang!
„Du gold’ne Welt! – Das Licht der Schönheit scheint
Auf Alles – nur auf mich nicht!“ – und er weint. –

     In dem traulichen, kleinen Breterhaus
     Des Kindes Mutter ging ein und aus,
     Und wie dann heiter ihr Gemüth,
     Summt sie ein halb vergessen Lied.
     Da sieht sie weinen das kranke Kind,
     Und tritt zu ihm und fragt geschwind:
     „Mein liebes Herz, was weinest Du?
     Du und ich sind hier in Ruh’.
     Sie sammeln Nüsse, mühen sich,
     Dumme Buben, für Dich und mich.
     Sieh nur, wie der Adler kreis’t!
     Warum Du weinst, Du selbst nicht weißt.“
     „Mutter mein, ich wünsch’, ich wär’
     Ein Schiffer auf dem weiten Meer!“
„Ein Schiffer auf dem Meer! – was ficht Dich an!
Was haben nur die Lüfte Dir gethan?“

     „Ja, Mutter mein, ich wünsche sehr,
     Ich wär’ ein Schiffer auf dem Meer!
     In der Segel Schatten dann
     Wollt’ ich ziehen Tag für Tag,
     Well’ hinab und Well’ hinan,
     Wie ein alter Schiffer sprach.
     Käme dann von Zeit zu Zeit
     Zu Dir von der Reise weit,
     Wo das Heerdesfeuer lacht,
     Und die Prairie brennt zur Nacht.
     Dann erzählt’ ich, was ich sah
     Auf dem Meere fern und nah.“ –
„Still! still! – sprich nicht vom wilden Meere so;
Besser zu Haus ein Jäger, frei und froh!“

     Halb lacht, halb weint das kranke Kind,
     Und weiter sprach es so, geschwind:
     „Ich wollt’, ich wär’ ein Jägersmann,
     Schneller, als der schnelle Hirsch,
     Berg hinab und Berg hinan,
     Unermüdet auf der Pirsch
     Im Regen und im Sonnenschein.
     Doch das soll ja nimmer sein!
     Hinter’m Haus die Wälder weh’n,
     Vorn die Prairie in dem Thal,
     Hab’ mit Thränen sie geseh’n,
     Ach, wohl tausend Mal.
     Und war doch im Walde nie,
     Spielte nicht auf der Prairie!
O, Mutter, mein, ich wünsche doch so sehr,
Ich war’ ein Schiffer auf dem weiten Meer.“

     Da hat der Knabe in die Höh’
     So eigen aufgeschaut –
     Dem armen Weib, es that ihm weh –
     Sie ging und weinte laut.
     Daß bitter sei des Kindes Loos,
     Das hatt’ sie wohl gewußt,
     Doch daß sein Leid so groß, so groß –
     Durchbohrte ihr die Brust.
     Ach, des geliebten Kindes Schmerz
     Trifft dreifach ja das Mutterherz!
     Hätt’ es enthoben ihn der Noth,
     Sie hätte nicht gescheut den Tod.
So hat sie lange, lange noch gesessen;
Das alte Lied – es war wohl ganz vergessen.

     Pfiff der Märzwind; Hirsch und Rehe
     Zogen langsam in dem Schnee;
     Der lahme Knabe saß im Flur,
     Er sah sie aus der Ferne nur.

[438]

     „Mutter, Mutter, wird nimmermehr
     Die Prairie wogen, wie das Meer?
     Begrünen die Wälder sich wieder, und wann?
     Und kommt der duftige Sommer dann?“
     Sie blickt in Schweigen auf ihr Kind;
     Die großen Augen noch größer sind,
     Und ach, so hell – es war wohl, daß
     Er war so mager jetzt und blaß. –
Es kam der süße Maienmond und gab
Der Mutter Trost und Blumen für ein Grab.

 Louis Legrand Noble.




  1. Aus einer demnächst erscheinenden Sammlung „Amerikanischer Gedichte“, übersetzt von Fr. Spielhagen, die sich durch vortreffliche Auswahl und gediegene und geschmackvolle Uebertragung auszeichnet.
    D. Redact.