Der königliche Verbannte in Hietzing

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der königliche Verbannte in Hietzing
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 437–438
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: König Georg V. von Hannover
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Der königliche Verbannte in Hietzing.

In dem reizenden Dorfe Hietzing, mit seinen rosenbekränzten Sommerpalästen, eine halbe Stunde von Wien, in der Nähe des kaiserlichen Lustschlosses Schönbrunn, zieht sich durch die Auhofgasse eine langgestreckte Mauer, hinter welcher sich, mitten in einem bezaubernd schönen Park, mit üppigen Gewächshäusern und bunt wechselnden Partieen, aus duftendem Blumenteppich, die Villa Braunschweig erhebt, wo gegenwärtig Georg der Fünfte, ein Fürst ohne Krone, ein Herrscher ohne Volk, ein Regent ohne Land – ein heimathloser König residirt.

Wer in diesem großen und paradiesischen Park noch vor einigen Wochen zwei junge schlanke wunderbar holde Jungfrauen, in deren Augen sich der heitere blaue Himmel spiegelte, Arm in Arm dahin schweben sah und so zärtlich miteinander plaudern hörte, hätte wohl glauben müssen, das Glück habe um diese blonden Engelsköpfchen die immergrünen Kränze aller Jugendfreuden gewunden, an welche sich kein Sturm des Lebens wagen kann, – und dennoch hat die schwere Hand des Schicksals erbarmungslos in diese Kränze gegriffen, – der eine ist grauenvoll entblättert, der andere mit den Thränen des bittersten Leides getränkt und würde welken müssen, wenn nicht kindliche Liebe und Hoffnung ihn belebten. Die eine der lieblichen Erscheinungen, von denen wir sprechen, war Mathilde, Erzherzogin von Oesterreich, die andere ist Friederike, Prinzessin von Hannover.

Villa Braunschweig in Hietzing.

Das unter den qualvollsten Leiden gebrochene Herz der Erzherzogin Mathilde ruht in der jüngsten Urne der Capuzinergruft, – das Herz der Prinzessin Friederike blutet auf fremder Erde, am Sarge ihrer zärtlich geliebten unvergeßlichen Freundin. Es ist keine Trauer der Courtoisie, sondern eine Trauer warmer mitfühlender Herzen, die ihr schwarzes Banner in der Villa Braunschweig aufgeschlagen, denn das Band der innigsten Freundschaft verbindet die kaiserliche und königliche Familie, ein Band, das der tiefe und thränenreiche Schmerz um die vom grausamsten Element dahingeraffte Erzherzogin noch enger und fester geschlungen hat. Jeder Sonntag vereinigt beide fürstliche Familien in der kaiserlichen Burg, im Schönbrunner Schloß, in der Villa Braunschweig oder in einem der erzherzoglichen Paläste, zu einem Familien-Diner im gemüthlichsten Sinne des Wortes, um Leiden, Freuden, Sorgen, Wünsche und Hoffnungen mit einander zu theilen.

Sorgen, Wünsche und Hoffnungen, – es sind die drei Kronjuwelen, die Georg der Fünfte gerettet!

Man spricht gar viel vom starren Sinn des Königs und hat vielleicht Recht, denn der Starrsinn ist ein Attribut der Krone, haben wir in der Schule der Jahrhunderte gelernt. Aber der eiserne Starrsinn kleidet den Fürsten, den das Schicksal zwar erschüttern, doch nicht beugen konnte. Und – die Hand auf’s Herz – wer unter uns wäre nicht starrsinnig, wenn er Georg der Fünfte wäre? – Ein Thron ist ja kein Stuhl, den man in jedem Haushalt wieder findet, und verlorene Kronen muß man suchen, denn äußerst selten bringt sie uns ein redlicher Finder zurück.

Doch unsere Aufgabe ist es, uns in möglichster Ferne vom Labyrinthe der Politik zu halten. Was der König auch in früheren Zeiten seinem Volk gegenüber verschuldet hat, wir berühren es hier nicht wieder, denn das Unglück, auch in Fürstenhäusern, ist heilig; wir sprechen hier auch nicht von dem Feldherrn der Schlacht von Langensalza und deren bejammernswerthen Folgen – wir haben uns hier nicht mit dem Könige, nur mit dem Menschen, nicht mit dem fürstlichen Verbannten im gastlichen Oesterreich, sondern mit dem Hausherrn und Vater im glücklichen und beneidenswerthen Familienkreise zu beschäftigen, zu welchem wir auch die Diener seines Hauses zählen, die alle ihre Lieben in der Heimath verließen, um das Schicksal ihres königlichen Herrn auf fremder Erde zu theilen.

Der König verläßt nach sechs Uhr sein Schlafgemach, um eine Stunde später entweder am Arme des Grafen Wedell seine Morgenpromenade oder an der Seite des Vice-Oberstallmeisters Bussche seinen Spazierritt zu machen. Nach acht Uhr kehrt er zurück, und sein erster Gruß gilt seinem Töchterlein Wunderhold, das ihm mit kindlicher Herzlichkeit in die Arme fliegt. Bald findet sich auch Prinz Ernst August, der ehemalige Kronprinz, um ihn ein, und an diesen kindlich warmen Herzen vergißt der glückliche Vater, daß er ein unglücklicher König ist, denn die Blumen, die ihm diese innige und rührende Kindesliebe bietet, wiegen die Edelsteine aller Fürstenkronen auf. Nach diesem herzlichen Morgengruß widmet sich der König dem Empfange fremder und einheimischer Gäste und den Geschäften, die seine Thätigkeit bis fünf Uhr, das ist bis zur Tafelstunde, in Anspruch nehmen. Ja, oft pflegt er in der Nacht noch fünf bis sechs Stunden hindurch Briefe zu dictiren. Man rühmt seine Seelenruhe, sein seltenes Gedächtniß und seine klare unbefangene Uebersicht europäischer Verhältnisse.

Im geselligen Kreise erlaubten wir uns an einen hannoverschen Officier die Frage zu richten, ob diese Thätigkeit im Cabinet des Königs zu den Verschwörungen in Hannover in irgend einer Beziehung stände, und erhielten die bestimmte Antwort:

Schon längst haben öffentliche Stimmen dieses Gerücht als irrig bezeichnet. Dergleichen Bewegungen könne man nur den Bestrebungen anhänglicher Hannoveraner zuschreiben, die man minder achten würde, wenn sie nicht, wie die Kinder, ein wenig unruhig wären. Die Thätigkeit in der Villa Braunschweig beschränke sich auf Familienverhältnisse und Privatinteressen und habe nichts mit Verschwörungen gemein.

Wir bescheiden uns gern mit dieser Auskunft, können uns jedoch des Gedankens nicht entschlagen, daß auch die Politik in der Villa Braunschweig ihr bescheidenes Plätzchen hat, daß auch die Empfangsstunden zuweilen Geschäftsstunden sind und daß die vielen zureisenden Hannoveraner hin und wieder etwas mehr als warme Grüße aus der Heimath bringen.

Nach der Tafel folgen abermals kleine Ausflüge, die der König gewöhnlich am Arme der Prinzessin und der Kronprinz zu Wagen oder zu Pferde unternimmt. Vater und Sohn erscheinen fast immer in einfacher bürgerlicher Kleidung, nur bei besonders feierlicher Gelegenheit zeigen sie sich in der österreichischen oder hannover’schen Uniform. Die Abendstunden opfert die königliche Familie der Geselligkeit und der Muse der Tonkunst, welcher der kunstsinnige Fürst auch in der Villa Braunschweig ihren Altar gebaut. Der Prinz Ernst August arbeitet viel und fleißig, vorzugsweise beschäftigt er sich mit dem Studium des Staatsrechtes und der Staatswissenschaften. Als Lehrer derselben ist der junge tüchtige und gründlich gebildete Professor Dr. Maxen aus Göttingen bereits in Hannover angestellt worden. Der junge Prinz [438] hat sich in Hietzing und dessen Umkreisen schon ziemlich populär gemacht, denn bei jedem Unglücksfall ist Ernst August von Hannover mit Rath und That einer der Ersten auf dem Platze. Prinzessin Friederike beschäftigt sich eifrigst mit dem Studium der Geschichte, und der vielgenannte Archivrath Onno Klopp ist der glückliche Lehrer, dem die liebenswürdige Schülerin anvertraut wurde.

Ein besonders festlicher Tag in der Villa Braunschweig war der 27. Mai. Rauschender und prunkvoller mag das Wiegenfest eines glücklichen Fürsten gefeiert werden, aber herzlicher und rührender wahrlich nicht, als das Wiegenfest dieser heimathlosen Majestät. Doch nein, keine Majestät, ein Familienvater war es, der, umringt von seinen treuen Gefährten und Dienern, an den Herzen seiner innigstgeliebten Kinder lag, – es war der Verbannte, der innig umschlang, was ihm geblieben, und mit Thränen der Wehmuth seiner beiden Marien im fernen Heimathlande gedachte.

Bitter wie Wermuthstropfen mochten diese Thränen sein! Aber da draußen auf dem Blumenflor erklangen, wie versöhnend, vaterländische Weisen des Wiener Männergesangvereins, einen hannover’schen Sängerbund vertretend, der zur Feier des Tages des Königs eigene Compositionen eingesandt. Und als der Verbannte seine Lieder „Frühlingsgruß“ und „Treue Liebe“ hörte, – wer kann es ihm verargen, wenn sie ihm wie ein Echo aus der fernen Heimath klangen?

Am Arme seines schönen Töchterleins dankte er sichtbar gerührt, in schlichten, herzlichen Worten den Nahen und Entfernten für das zarte und sinnige Angebinde. Schon am Vorabende hatten in den feenhaft geschmückten Gewächshäusern der Villa Braunschweig der akademische und der Hietzinger Gesangs-Verein dem Könige ihre Ständchen dargebracht. Alle Mitglieder des Kaiserhauses und sämmtliche Würdenträger, alle hier weilenden Hannoveraner und unzählige Telegramme beglückwünschten den heimathlosen Fürsten.

So ist Georg der Fünfte oder so giebt er sich uns. Seine Umgebung bilden die Gräfin Wedell, Staatsdame der Prinzessin Friederike; Graf von Platen-Hallermund, ehemaliger Staatsminister; Graf Alfred Wedell, Sohn der Staatsdame, Schloßhauptmann und Vorstand der Hofämter; von dem Bussche, Vice-Oberstallmeister, und der geheime Cabinetsrath Dr. Lex.

Das sind die Männer des Rathes und der That, die, wie manche Stimmen behaupten, für König Georg den Fünften und seine Gefährten den neuen politischen Brückenbau von Hietzing nach Hannover leiten sollen.