Der hottentotische Tsu-i-llgoa-b und der griechische Zeus
In der „Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin“ findet sich Bd. IV, p. 481 ff. der Schluß eines Aufsatzes „die Ovahereró[WS 1]“ von Josaphat Hahn. Der Verfasser verbreitet sich in bewußtem Essay auch über die Namaqua, und spricht darin durchaus unhaltbare Ansichten aus; es fehlt mir jetzt an Zeit, mich des Ausführlichen auf eine Widerlegung derselben hier einzulassen. Nur einen Punkt möchte ich wenigstens erörtern.
Der Verfasser gehört zu den Hottentoto-Aegyptischen-Assimilationstheoretikern (vergl. Bd. IV, p. 232 ff.). Seine Ansichten stützen sich, wie der unbefangene Leser auf den ersten Blick sieht, auf die Autorität anderer, nicht aber auf eigenes Studium und Erfahrung. Im IV. Bde. p. 496 ff. liest man auch eine Probe theologisch-orthodoxer Religionsphilosophie, wie sie schlechterdings kein Anthropolog und Ethnolog unterschreiben wird. Nachdem der Verfasser sich über „das Schuldbewußtsein“ und nach seiner Folgerung, über „das Gottesbewußtsein“ im Naturmenschen ausgelassen hat, erfahren wir denn auch, daß die Namaqua einen „Gott“ haben. Es heißt nämlich p. 497 folgendermaßen: „So hat man z. B. bei den Namaqua trotz ihrer religiösen Gebräuche, lange gemeint, sie hätten nicht die geringste Idee von einer Gottheit, und manche haben deshalb über die eben ausgesprochenen Ansichten [453] triumphiren zu dürfen geglaubt. Schließlich hat sich aber herausgestellt, daß die Namaqua allerdings an einen Gott glauben, den sie so gar Zui-goab nennen, und es ist nach den Vermuthungen von Sachverständigen in der Sprachforschung nicht unwahrscheinlich, daß die Wurzel Zui mit dem griechischen Ζεῦς zusammenhängt.“ Der Verfasser scheint in dem Wahne befangen, als ob er etwas ganz Neues berichte, wenn er uns mit dem Tsűï-ǁgoab der Hottentoten bekannt macht; ich muß aber bemerken, daß man schon vor 200 Jahren sich davon unterrichtet hatte, daß jene Völker eine Vorstellung von einer übersinnlichen Macht hatten. Es schreibt nämlich der Bürgermeister von Amsterdam Nicolaus Witsen – derselbe welcher auch[WS 2] mit Leibnitz correspondirte – an Jobst Ludolf unter dem 19. Februar 1691: „Nobilissimus vir (wahrscheinlich Witsens Correspondent am Kap der guten Hoffnung) miscebat sermonem cum aliquot Hottentotis, qui pro sua erga ipsum familiaritate docebant nihil dissimulando, se adorare Deum certum aliquem, cuius caput manus seu pugni magnitudinem aequaret, quique in tergo suo foramen haberet; grandi eundem esse et deducto in latitudinem corpore; auxilium vero eius implorari tempore famis et annonae carioris, aut alterius cuiuscunque necessitatis; uxores suas solere caput Dei conspergere terra rubra Bouhu (damit ist wohl buxu, ein wohlriechendes Pulver aus Diosmablättern und Röthelsteinpulver gemeint) et aliis suave olentibus herbis, oblato quoque eidem sacrificio non uno. Ex quo demum intelligi coeptum est Hottentottos colere etiam aliquem Deum. (Conf. Coment. de vita etc. Jobi Ludolfi. Lipsiae et Francofurti. 1710 p. 228.)
Ich könnte noch anführen, daß Joh. Wilh. Vogel in seiner „Zehen-Jährigen Ost-Indianischen-Reisebeschreibung,“ Altenburg 1704, erzählt, wie er 1679 am Cap der guten Hoffnung gewesen. Die schnalzenden Hottentoten sind für ihn von Interesse, und er berichtet unter andern auch von einer „Veneration gegen den Mond.“ (conf. p. 67 und 68). Seitdem werden die Notizen über die religiösen Anschauungen der Hottentoten zahlreicher, und besonders über Tsűï-ǁgoab. Statt aller Erörterung will ich kurz die verschiedenen Autoren anführen.
1) Kolb, Vollständige Beschreibung des Cabo du bonne Esperance etc. Nürnberg 1719, p. 408 und 411 ff. Der Verfasser redet dort von der Verehrung des Mondes und Tikquoá und Touqoa (nur eine dialectisch verschiedene Aussprache von Tsűï-ǁgoab. Kolbs soll den Namahottentotischen lateralen Schnalzlaut ǁ darstellen.)
2) Jong, Reisen nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung. Hamburg 1803. I. Theil. p. 271: Tui’qua.
3) Hinrich Lichtenstein, Reisen in Südafrika. Berl. 1811. I., p. 351 und 352.
[454] 4) Van der Kemp, Tzitzika Thuickwedi Khwekhwenama (Principles of the Word of God for the Hottentot nation. Printed at Bethelsdorp 1805 or 1806. Vergl. Bleek, The library of his Exc. Sir George Grey. Vol. I. part. I. 1858 p. 25. (Van der Kemp war Missionär der Kaphottentoten zu Bethelsdorp in der südöstlichen Kapkolonie im Anfang dieses Jahrhunderts.)
5) Schmelen braucht überall in der Uebersetzung der vier Evangelien in das Namahottentotische für Gott die Bezeichnung „Tsoeikwap.“
6) Ebner, Reise nach Süd Afrika. Berlin 1829. p. 340 „Suquap Gott; auch ein sehres (wundes) Knie.“
7) Appleyard, Kafir language. Kingwilliamstown. 1850. p. 13: This (Tshoei’koap, Tsoei’kwap, Tshu’koab) is the word, from which the Kafirs probably derived their u-Tiǁo etc.
8) J. W. Bleek, Comparative Grammar of South African Languages. Cape Town. 1862. p. 92, § 397: For completeness’ sake I add here the Hottentot name for God etc. etc. Der Verfasser zählt nun die verschiedenen mundartlichen Aussprachen von Tsűï-ǁgoab auf, wobei er auch einige der bereits angeführten Autoren citirt.
9) Callaway, The Religious System of the Amazulu. Lond. 1868. I, p. 105 ff. Utikxo (sprich u-tiǁgó)
10) VI. Jahresbericht des Vereins für Erdkunde zu Dresden. Dresden 1869. Daselbst „Beiträge zur Kunde der Hottentoten“ vom Schreiber dieses. p. 60 ff. besonders p. 62 ff.
11) Sollten diese Citate nicht genügen, so findet man in den Missionsberichten der Rheinischen Mission und in Tindall’s, Grammar of Hottentot Language, Wallmann’s, Formenlehre des Nama und Bleek’s Reynard the Fox in Southern Africa noch anderweitige Notizen.
Ich habe nur darthun wollen, daß den Hottentoten resp. Nama’s der Glaube an übernatürliche Mächte eigenthümlich und auch von Reisenden wiederholt beobachtet ist. Man hat nur fälschlich für diese übernatürliche Macht die Bezeichnung „Gott“ gebraucht. So transcendental denkt kein Naturmensch; seine „höhern Wesen“ sind ohne Ausnahme anthropomorph, wie man sich durch Einsicht in die Mythen und Sagen der Nama-Hottentoten auf den ersten Blick überzeugen kann.
Wenn Herr Josaphat Hahn die vergleichenden Mythologen mit einer Neuigkeit zu überraschen dachte, die allbekannt ist so wird ihm das gerne verziehen; weniger gern darf ihm aber nachgesehen werden, wenn er gegen die Gesetze der Sprachwissenschaft verstößt und in ein Prokustesbett spannt. Wie schon angeführt sagt er: „Es ist nach [455] den Vermuthungen von Sachverständigen in der Sprachforschung nicht unwahrscheinlich, daß die Wurzel Zui mit dem griechischen Ζεῦς zusammenhängt.“ – Ich wünschte aber wohl diese „Sachverständigen in der Sprachwissenschaft“ kennen zu lernen, welche einer so scholastischen Etymologie fähig sind. Wie bekannt, gehört das Griechische, in dessen Lexicon wir das Wort Zeus finden, den sogenannten Indogermanischen Sprachen an; und diese sind flectirende Sprachen. Die Verehrer des Tsűï-ǁgoab (Zuigoab) aber reden, abgesehen von den ihnen ureigenthümlichen Schnalzen, eine agglutinirende Sprache, z. B. Khoi Wurzelbegriff. Khoi-b, der Mensch, eigentlich Mensch-er; Khoi-s, Frau, eigentlich Mensch-sie; Khoi-si, menschlich, eigentlich mensch das, adj.; Khoi-si-ga-gu, sich heirathen, auch Freundschaft schließen, eigentlich mensch-das-da-sein gegenseitig.
Derselbe Vorwurf nun, der einen Naturforscher treffen würde, der es wagt, einen Elephanten und eine Maus, oder einen Pavian und einen Walfisch in verwandschaftliche Beziehung zu bringen, trifft den Verfasser des Aufsatzes „Die Ovaheró“, wenn er Zeus und (Zui-goab) Tsűï-ǁgoab identificiren will. Man kann nicht zwischen Worten, die den agglutinirenden und flectirenden Sprachen angehören, Wurzelvergleichung anstellen. Doch auch diese Unmöglichkeit will ich Herrn Josaphat Hahn belassen, und er befindet sich dennoch betreffs seiner Zeus-Zűï-ǁgoab-Etymologie in großem Irrthum. Das Griechische Zeus und das Sanskritische Dyaus sind identisch und haben die gemeinsame Wurzel div, welche glänzen, strahlen bedeutet, demnach ist Dyaus oder Zeus der „Glänzende“, „Strahlende“. (Vergl. Dr. Max. Müller, Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache, deutsch von Dr. Carl Böttger. Leipzig 1866. II. Serie. Vorlesung X. p. 386 ff. Jupiter, der höchste Arische Gott.)
Der Hottentotische Tsű-ï-ǁgoa-b aber strahlt nicht, wenngleich ein spitzfindiger Casuist anführen möchte, er schmiere sich nach Sitte des Hottentoten mit Fett ein. Der Name zerfällt in zwei Stoffwörter. Tsű, auch mundartlich Tsu, zű, zu, tu oder ti und ǁgoa, ǁkoa, oder ǁkhoa und ǁkhõa. Das erstere bedeutet „schmerzlich“ und tsű-ï heißt demnach: schmerzlich-seiend d. h. wund. ǁGoa dagegen bedeutet „knieen“, und ǁgoa-b bedeutet knieen-er d. h. das Knie. Demnach heißt Tsűï-ǁgoab „Wundknie“, und wie Appleyard in seiner obenangeführten Kafirgrammatik p. 13 richtig bemerkt, erzählen die Hottentoten, daß Tsűï-ǁgoab ein alter berühmter Zauberdoctor (nach andern ein Häuptling) gewesen sei, welcher seinen bösen Feind erlegt, von diesem aber einen Schlag an das Kniee erhalten habe, woher er den Namen „Wundknie“ bekommen habe.
[456] Es bedarf wohl nun nicht mehr des ferneren Beweises, daß „Ζεῦς“ der „Strahlende“ in keiner Beziehung zu „Tsűï-ǁgoab“ „Wundknie“ steht.
Man vergleiche überdies hierzu den Mythus der Nama-Hottentoten, bei J. W. Bleek, Reynard the Fox in South Africa, London 1864. p. 77 ff. No. 37. The Victory of Heitsi-eibib und No. 38: An other Version of the same Legend, wo Tsűï-ǁgoab nach meiner Meinung nur den andern Namen, Heitsi-eibib, angenommen hat.
Anmerkungen
- ↑ Das Zeichen ǁ in Tsűï-ǁgoab ist der laterale hottentotische Schnalzlaut. Außer diesem giebt es noch einen dentalen ǀ, einen palatalen ǂ, und cerebralen ǃ. Durch Auslassung eines solchen Schnalzlautes können ähnliche Begriffsänderungen eintreten, wie in andern Sprachen der Wegfall eines Consonanten verursacht.