Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Der große Brand in Glarus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 366–367
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Die Glarner Brandkatastrophe 1861
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Der große Brand in Glarus.

Als vor neunzehn Jahren die Schreckenskunde vom Brande Hamburgs durch alle Lande flog, erzitterten die Herzen der Menschen vor dem großen, nie geahnten Unglück, welches die blühende, reiche, in der ganzen Welt bekannte Handelsstadt getroffen, und von Nah und Fern strömten Gaben mildherziger Liebe herbei, um die Noth der Betroffenen nach besten Kräften zu lindern. Ein verhältnismäßig weit größeres Unglück hat jedoch vor wenigen Wochen den rührigen und wohlhabenden Hauptort des Schweizer-Kantons Glarus heimgesucht, denn er ist in einer einzigen Nacht fast vollständig ein Raub der Flammen geworden; von seinen 4000 Einwohnern haben gegen 3000 nur das nackte Leben zu retten vermocht, während der eigentliche Flecken selbst, der größte, schönste, werthvollste Theil desselben, durch das furchtbare Element vollständig zerstört worden ist.

Der Flecken Glarus – wir hoffen nächstens eine gute Abbildung zu geben – liegt ungemein schön. Durch ein großartiges Gebirgsthor tritt man vom Norden her in das etwa eine Viertelstunde breite Linth- oder Großthal ein, in welchem am Fuße himmelhoher Bergriesen der genannte Hauptort des Kantons gelegen ist. In der Thaltiefe (südlich) erhebt sich der Kärpf in schneeigem Gewande, rechts (westlich) steigt die Felsenpyramide des Glärnisch empor, links (östlich) der drohende Schilt (über 7000 Fuß hoch), nach Norden scheint das Thal vom mächtigen Wiggis abgeschlossen. Unmittelbar am Fuße der düstern Pyramide des Glärnisch (Vorderglärnisch), der sich mehr als 6500 Fuß über das Meer und über 5000 Fuß über die Thalsohle erhebt, erblickt man den Flecken Glarus mit den anschließenden, aber selbstständigen Nebenorten Ennenda und Ennetbühl, die sich gegen den Rücken des Schilt hinaufziehen. Die Bergriesen scheinen den Flecken in nächster Nähe im Kreise zu umschließen und keinen Ausgang zu lassen. Als wollten sie die Ortschaft, welche nicht einer günstigen Lage, sondern einzig menschlichem Fleiß ihr Entstehen verdankt, als treue Wächter vor aller Unbill schützen, stehen sie da, die Zeugen der frühesten Zeiten der Erde. Nachdem sie Jahrtausende nur düstern Wald unter sich gesehen, scheinen sie sich jetzt am fröhlichen Treiben behäbiger Menschen zu ergötzen. In ihrem Schooße aber tragen die gewaltigen Recken böse Tücken, und so treu besorgt für das Thal sie aussehen, so schlimm spielen sie zuweilen den Thalbewohnern durch Wasserstürze und Lawinen, vor allem aber durch Sturmwinde mit, von deren Gewalt man außerhalb des Thales keine Vorstellung hat. In Minuten übler Laune lassen die südlichen Riesen den wilden Föhn aus mächtigen Lungen über das blühende Thal los, als wollten sie die Ortschaften zu ihren Füßen in einem Zuge vom Erdboden wegblasen. Da auch in der Schreckensnacht vom 10. auf den 11. Mai, in welcher Glarus ein Raub der Flammen wurde, der Föhn losbrach und dadurch es der Menschengewalt unmöglich machte, dem furchtbar entfesselten Elemente nachhaltigen Widerstand zu leisten, so möge hier für Leser, welche die Gewalt des Föhns noch nicht kennen, eine kurze Schilderung desselben, wie wir sie in dem so eben erschienenen Schriftchen des Schweizerhauptmanns Senn lesen, folgen.

Zehn bis zwölf Mal des Jahres braust von den südlichen Bergriesen herab ein wüthender Orkan, der sich schon aus weiter Ferne durch ein unheimliches Tosen in den Bergen und durch ein wildes Rauschen in den Wäldern ankündigt. Bald durchstürmt er dann mit furchtbarer Gewalt das Thal, deckt nicht selten Häuser und Stämme ab, entwurzelt Bäume, schmettert Felsen von den kahlen Berggipfeln nieder und versetzt die ganze Natur in grausigen Aufruhr. Plötzlich verstummt der Orkan, als wäre er über sein eigenes Wüthen erschrocken, um nach einigen Minuten mit erneuter Gewalt loszubrechen. Das ist der „wilde Föhn“, eine der furchtbarsten Erscheinungen der Gebirgswelt.

Der wilde Gast kündigt sich immer durch Wolken an, welche sich um die südlichen Berggruppen lagern. Am Abend und Morgen ist der Himmel dann stark geröthet, die höheren Wolken zeigen prächtiges Farbenspiel, während die untern grau und düster herabdrohen. Bleich, als wäre sie wegen des tückischen Gesellen im Schrecken, der auf den Moment des Losbrechens lauert, steigt die Sonne Morgens am Himmel auf. – Ist der Föhn einmal losgebrochen, so stürmt er in der Regel ein paar Tage hindurch, oft nur im Hinterland, andere Male das ganze Land entlang, über den Wallensee bis Zürich hin. Nicht immer ist er verderblich, oft zahm und dann im Frühjahr segensreich. Ist er aber im Grimme, so wird er zur Landesgeißel. Gegen die Tücken des Föhnsturms, der bei einem Brande besonders verderblich wird, haben sich die Glarner seit alter Zeit durch strenge Verordnungen in Sachen der Feuerpolizei möglichst zu schützen gesucht. Während der Föhn geht, sind besondere Wächter in den Ortschaften bestellt; alle Feuerarbeiter müssen ihre Arbeiten einstellen, es darf kein Brod gebacken, in Mollis nicht einmal gekocht werden. – Daß diese Anordnungen nicht überflüssig sind, hat das Unglück vom 10. Mai bewiesen. Bricht während des Föhnsturms in einer Ortschaft Feuer aus, so ist es um dieselbe geschehen. Mit rasender Gier, vom wilden Orkan gepeitscht, verschlingt der Brand dann Haus um Haus und ruht nicht, bis Alles in Asche liegt.

Am vergangenen 9. Mai hatte sich das Glarner Volk zur Landesgemeinde in Glarus versammelt und unter anderen auch einen Antrag auf theilweise Revision des oben erwähnten strengen Feuerpolizeigesetzes verhandelt und zurückgewiesen. Der Ehrentag des Glarner Volkes verlief in würdiger Ruhe. Der folgende Tag (Freitag) kündigte den Besuch des Föhn an. Niemand fürchtete Arges von ihm. Wurden ja doch die allgemein vorgeschriebenen Vorsichtsmaßregeln für Verwahrung von Feuer und Licht wie sonst getroffen, und war der Föhnwind doch lange nicht mehr im Bunde mit Feuerflammen erschienen.

[367] Aber die Glarner sollten gräßlich aus ihrem Vertrauen aufgeschreckt werden. – Dort am Landesgemeindeplatz, in der nordöstlichen Ecke desselben, begann Abends 9 Uhr leise ein Flämmchen an einem Holzschopfe zu züngeln, das von einem Fünkchen aus einer brennenden Tabakspfeife oder sonstwo angefacht worden war. Während die Bevölkerung des Fleckens unbesorgt bei einem Glase Bier oder Wein saß oder sich zu Bette begab, spielte das Flämmchen im Holzschopfe weiter und brach zwischen 9 und 10 Uhr zur Flamme aus. – Sofort Feuerlärm, Hülferuf, herbeieilende Löschmannschaft, Gerassel der Feuerspritzen. Es wäre wohl leicht gewesen, das kaum beginnende Feuer zu löschen, wenn der Föhn nicht mit furchtbarer Wuth das Thal durchstürmt hätte. Er wurde der mächtige Bundesgenosse des in seinen ersten Anfängen unbedeutenden Brandes. Mit ihm vereint spottete der Letztere allen Anstrengungen der Löschmannschaft und griff mit rasender Eile um sich. Kaum hatte sich der Hülferuf durch Glarus verbreitet, kaum waren die Spritzenmannschaften herbeigeeilt und begannen ihre Arbeit, so standen auch schon mehrere Häuser in Brand. Der Föhnsturm jagte die Flamme nordwärts über die Dächer hin, vermehrte die Gluth des Feuers, trug brennende Schindeln und glühende Schieferziegel weithin im Fluge des Blitzes und bewirkte so schnell die Entzündung von Gebäuden auf anderen Punkten.

Es gestattet weder der Raum dieses Blattes, noch ist es unsere Absicht, dem furchtbaren Elemente Schritt vor Schritt, von Haus zu Haus, von Straße zu Straße zu folgen; vom Föhnsturm gepeitscht flog die Flamme auf den Flügeln des tobenden Orkans dahin, als gälte es, keine Secunde beim schrecklichen Zerstörungswerke zu verlieren.

Noch war keine Stunde verflossen, als der ganze Flecken vom Landesgemeinde-Platze bis über den Spielhof am nördlichen Ende hinaus in Flammen stand. Schauervoll prächtig – schreibt Senn – zeigte sich jetzt das Thal, in welchem Glarus liegt. Wenn der Föhn einen Augenblick den Athem an sich hielt, so stieg eine Feuersäule gen Himmel, welche mit den Bergriesen ringsum an himmelanstrebender Höhe wetteiferte. Wie von mächtigem bengalischen Feuer vom Fuß bis zum Gipfel beleuchtet, stand die 7000 Fuß hohe Pyramide des Glärnisch da. Der Kärpf mit seinen Gletschern im Hintergrunde des Thales strahlte rothhell im Flammenmeere; wie feuriger Regenschauer rieselten die Funken und Gluthen, welche der Föhn emporwirbelte, auf die Umgegend nieder und setzten selbst die Nachbargemeinde Netstall in Brandgefahr. Der Himmel strahlte in so glühendem Roth, daß man bis Zürich, ja selbst bis Schaffhausen, Aarau und Frauenfeld und über die Bergzüge des Jura hinweg darauf aufmerksam wurde und überall einen Brand in der Nähe vermuthete.

So furchtbar schön die Beleuchtung war, so unerträglich glühend war die Hitze. Sie erreichte einen solchen Grad, daß sie die Pflanzendecke des Niedrain-Hügels vom Fuße zum Gipfel bis auf die Wurzeln zerstörte. Hölzerne Gebäude in der Nähe der Brandstätte mußten allein von der Hitze, ohne Berührung mit dem Feuer, in Brand gerathen; drei Spritzen verbrannten gänzlich. Noch am Sonntag nach dem Brande war es in den Trümmern des Fleckens so heiß, daß man nur mit Mühe Athem schöpfen konnte.

Von 10 Uhr Abends bis 6 Uhr am andern Morgen wogte das Flammenmeer über Glarus; am gewaltigsten von 11 bis 4 Uhr. Gegen 500 Gebäude waren das Opfer der grausen Feuersbrunst geworden; darunter die achthundertjährige Pfarrkirche, welche bisher allen Stürmen der Zeit widerstanden und die beinahe die ganze Geschichte des Glarnervolkes mitgemacht hatte. Das wunderhübsche Geläute derselben schmolz stückweise in die Tiefe. Ob sie sich noch ihren Grabgesang läutete, konnte im wilden Sturme der Elemente nicht vernommen werden. Außerdem verbrannten sämmtliche Pfarrhäuser, etwa ein halbes Dutzend Gasthäuser, zwei Druckereien, eine Buchhandlung und beinahe sämmtliche Verkaufslocale, das Rathhaus, das Regierungsgebäude, die Bank, das Casino, das Schützenhaus u. a. m. Nur wenige Gebäude sind versichert, der Schaden aber wird auf 12 Millionen Franken geschätzt.

Um 6 Uhr Morgens hatte sich die größte Wuth der Elemente erschöpft; sie fanden im Norden, wohin ihre Richtung ging, keine Nahrung mehr. Wie viele Menschenleben in diesem glühenden Grabe liegen, weiß zur Stunde noch Niemand. Eine Frau Luchsinger, die sich aus der ganz neu etablirten, ebenfalls abgebrannten Apotheke ihres Sohnes retten wollte, ist auf ihrer Flucht in dem sogenannten Gewölb erstickt. Den gleichen Tod fand mit ihr Herr Hauptmann Tanner von Herisau, der alljährlich und so auch dieses Mal die hiesige Landesgemeinde besuchte. Zwei Tage nachher kam sein Sohn, um die Brandstätte zu sehen, und erkannte die Leiche seines Vaters, den er längst heimgekehrt wähnte.

Auf dem ganzen Erdenrund giebt es wohl wenige Stellen, wo eine Feuersbrunst sich mit solcher Blitzesschnelle verbreiten, sich zu solcher Heftigkeit entwickeln und solch schreckhafte Gestaltung annehmen kann, wie im Lande Glarus. Keine Feder ist deshalb im Stande, eine Schreckensnacht, wie sie der Hauptort dieses Kantons erlebte, auch nur annähernd zu schildern, und in der vorliegenden Darstellung mag der Leser blos ein dürftiges, skizzenhaftes Bild jener düstern, unheilvollen Stunden suchen. Der Jammer und das Elend so vieler wackern Leute, die in wenigen Stunden all ihr Hab und Gut vernichtet sahen, ist erschütternd. Vielen der reichsten Leute blieb nichts als die Schlüssel ihrer Hausruinen! Ständerath Blumer sah sein ganzes Eigenthum in den Gluthen versinken und hatte nur noch Zeit die theure Bürde seiner alten kränklichen Mutter davonzutragen.

Noch während des Brandes aber und kurz nachher zeigte sich in allen Kantonen der Eidgenossenschaft die rührigste Bruderliebe in Hülfe jeglicher Art. Ueberall im ganzen Schweizerlande erfolgten Anordnungen für die Hülfsleistung, die Organisation von Comités, die Sammlungen und Sendungen. Es bewährte sich jetzt wieder die mächtige Leistungskraft eines freien Volkes, eines republikanisch organisirten Gemeindewesens; es bewährte sich vor Allem in erhebendster Weise die alte treue Liebe der Eidgenossen zu einander in aller Noth und Gefahr.

Und auch das große Deutschland, der herrlichen Schweiz stammverwandt durch Sprache, Sitte und eine langjährige gemeinsame Geschichte wird, wie es stets gethan, sicher nicht zögern, den hartbedrängten eidgenössischen Brüdern in Glarus mit helfender That beizustehen, damit ihr Hauptort wieder wie ein Phönix aus der Asche in schönerer Gestalt erstehe. Es ist dem deutschen Volke Gelegenheit geboten, durch die That zu beweisen, daß,
„so weit die deutsche Zunge klingt,“
ein „einig Volk von Brüdern“ lebt, welches in dem mannhaften, heldenreichen Schweizervolke seine treuesten Bundesgenossen, seine muthigsten Vorkämpfer ehrt und liebt, welches daher auch mit freudigem Herzen die heilige Pflicht zu erfüllen sich drängt, den schwer heimgesuchten Glarnern die helfende Rechte zu reichen! [1]


  1. Obwohl in allen Gauen Deutschlands für unsere unglücklichen Brüder in Glarus bereits gesammelt wird und ich mit meiner Bitte bei der langsamen Erscheinungsweise der Gartenlaube wohl etwas zu spät kommen dürfte, so wage ich es dennoch an die Herzen meiner Leser zu appelliren und sie um eine Beisteuer für die Unglücklichen zu ersuchen. Es ist ja so viel Unglück vergessen zu machen. – Ueber die eingegangenen Liebes-Gaben werde ich in der Gartenlaube öffentlich quittiren.
    Ernst Keil.