Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Der getreue Hirsch
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 595–597
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung:
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Der getreue Hirsch.

Zu Hornberg am Neckar wohnte einst ein tapferer Ritter, der im gelobten Lande große Thaten verrichtet hatte. Er hieß Bertram der Wecker und hatte eine schöne fromme Gemahlin, mit Namen Adelheid, und eine ebenso brave Tochter, die Mechtilde hieß. Als Letztere achtzehn Jahre alt war, und schon mancher Edelmann um ihre Hand warb, da nahm der Tod ihre Mutter weg und der Vater ging eine zweite Ehe ein, weil er hoffte, noch einen Sohn und Stammeserben zu erhalten. Diese zweite Frau hieß Clotilde und war sehr boshaft, aber reich, und brachte dem Ritter Bertram ein großes Heirathsgut, der auch seiner Frau Alles vermachte, und der Tochter nur die Fräulein-Aussteuer bestimmte, die auch damit zufrieden war. Ein ganzes Jahr lang ertrug Mechtilde schweigend und geduldig die bösen Sitten ihrer Stiefmutter, die auch einen Sohn bekam, so daß zu Mechtilden nach und nach die Liebe ihres Vaters geringer wurde. Einst kam er von der Jagd und brachte ein junges lebendiges Hirschkalb mit, das er seiner Tochter schenkte, die es sorgfältig aufzog. Der junge Hirsch wurde ganz zahm und sie ließ ihm oft sein Futter in einem Hängkorb zur Burg hinab. Da begab es sich, daß zu Wien ein großes Turnier gehalten wurde, und Bertram zog dahin. Kaum war er fort, so fing die Stiefmutier mit Mechtilden Streit an und ließ sie in’s Burgverließ werfen. Aber der Burgvogt und alle Knappen setzten sich so herzhaft dagegen, daß Clotilde ihre [596] Stieftochter nach drei Tagen wieder frei ließ. Mechtilde blieb aber nun nicht mehr im Schloß, sondern ging in den Wald, wo sie nicht weit von der Burg eine Höhle fand, die ihr recht wohl gefiel. Sie holte sich ihre Kleider, etwas Nahrung und Bettzeug, und begab sich an den einsamen Ort, den man vor Gebüsch und Strauchwerk noch nicht entdeckt hatte. Der Hirsch allein ging mit ihr, und kam täglich dreimal in’s Schloß in den Türniß oder Atzungssaal mit seinem Korbe und Jeder von dem Gesinde war gewohnt, ihm etwas Nahrung hinein zu legen, und wer ihm nichts gab, den stieß er an, bis er etwas erhielt. Das trug er dann alles getreu seiner Herrin zu und fristete so sieben Jahre der Mechtilde das Leben. Damit man aber die Höhle nicht finden sollte, so nahm der Hirsch jedesmal einen Umweg und machte einen Seitensprung im Hin- und Herweg, so daß man die Spur verlor. An der Höhle entspringt auch die Mechtildenquelle, die Winters nicht zugefriert und im Sommer eiskalt ist und niemals an Wasser abnimmt. Als Kind hatte einmal Mechtilde einem Pilger, der in’s heilige Land reiste, ein Geschenk gegeben, und aus Dankbarkeit ließ er ihr seine Kürbisflasche zurück, die Mechtilde mit in die Höhle nahm und die ihr der Hirsch an der Quelle füllte, so oft sie ihm winkte.

Der Ritter Bertram gewann im Turnier den ersten Preis, aber groß war sein Jammer, als er nach Hause kam und seine Tochter nicht fand, und Niemand ihm sagen konnte, wo sie hingekommen. Da gelobte er der Mutter Gottes eine schöne Kapelle zu bauen, wenn er die Gnade haben könnte, seine Tochter Mechtilde noch einmal zu sehen. Er ließ sie überall suchen, aber umsonst; man entdeckte keine Spur von ihr. Seine Frau Clotilde war aber seit seiner Abreise nach Wien siech geworden, und Niemand konnte ihr helfen. So litt sie schon sieben Jahre die bittersten Schmerzen, aber zuletzt gestand sie ein, daß sie die Mechtilde aus dem Schloß vertrieben habe. Darauf starb sie, und Bertram ließ sie in dem Dorf Wolkenhausen bestatten, wo ihr Familienbegräbniß war.

Eines Sonntags frühe hörte man den Hirsch entsetzlich schreien und sah ihn bei Wolkenhausen sich jämmerlich gebärden. Herr Bertram befahl einem Knappen, nachzusehen, und der fand [597] denn auf der Wiese die Mechtilde todt und den Hirsch neben ihr, der mit dem Geweih in die Erde bohrte, als ob er anzeigen wollte, daß man sie dort begraben sollte. Da kam auf diese Nachricht der Ritter Bertram eilig von der Burg herab mit allen seinen Dienern und erkannte mit Jammer und Noth den Leichnam seiner Tochter. Er ließ sie in einen steinernen Sarg legen und an derselben Stelle begraben.

Unterdessen hatte man den kleinen Sohn, der auch Bertram hieß, im Schloß zurückgelassen und Niemand hatte Acht auf ihn gegeben, weil Alles wegen Mechtildens Tod hinabgegangen war. Bei der Zurückkunft fand aber Bertram seinen Sohn nicht, und suchte ihn mit bekümmertem Herzen in der ganzen Burg. Da entdeckte zuletzt der Burgvogt den abgebrochenen Ast eines Birnbaums und so fanden sie den Knaben zerschmettert am Fuße der Mauer, und ein Theil seines Kleides hing zerrissen an dem Gesträuche, über welches er von dem Birnbaum herabgefallen war. Der Vater ließ sich an die Stelle führen und fiel in Ohnmacht, als er die Leiche seines Kindes sah. Seine Leute waren bemüht, ihm einen Ruheplatz zu suchen, und fanden dadurch die Höhle Mechtilden’s, die vorher Jedermann unbekannt geblieben war. All ihr kleiner Hausrath war noch darin, ihr Hängkorb und ihre Kürbisflasche und so sahen sie nun klar, wo sie so lange verborgen gelebt hatte. Der Hirsch, der mitgegangen war, ergriff die Flasche und füllte sie an der Quelle, und so wurde Alles kund, wie Mechtilde durch den dankbaren Hirsch ihr Leben erhalten hatte.

Der Ritter Bertram ließ seinen Sohn neben die Mutter bestatten, und baute, wie er gelobt hatte, am Begräbnißplatze Mechtildens eine Kapelle, die er reich begabte.[1]


  1. Erwähnt wird diese Sage im „Historisch-politisch-geographischen Atlas der ganzen Welt.“ Th. V. S. 1849, und in den „Antiquitäten des Neckars.“ Medicus hat sie 1765 mündlich gehört, wie sie oben steht.
    (Siehe Mone’s „Anzeiger etc.“ Jahrg. 1834.)