Textdaten
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Autor: Ludwig Storch
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Titel: Der fränkische Brutus
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der fränkische Brutus.
Von Ludwig Storch.

Mit dem sittlichen Aufschwung der Gesellschaft, zumeist in ihren mittlern, zum Theil auch in ihren höhern Schichten, im geistesregen und reichen zwölften Jahrhundert bildete sich neben dem schönen Geiste des von Frankreich herübergekommenen Ritterthums in Deutschland zugleich sein widerwärtiges Zerrbild, das Junkerthum, aus, dessen Keime eine böse Erbschaft der vorangegangenen wüsten und rohen Zeit waren. Wenn das milde Morgenland mit schöpferischem Hauche in den Kreuzzügen das ungeschlachte Wesen der abendländischen [760] Krieger umwandelte und aus seinem aufgelockerten Boden die Blüthen des romantischen Ritterwesens hervorrief, so gediehen zu Hause im Schooße des üppigen Hof- und Vasallendienstes und in der jungen, noch nicht organisch ausgewachsenen, unbeschützten Ständegliederung die Giftblüthen der Junkerei und weiter hinab die ihrer äußersten Entartung in Verhöhnung aller öffentlichen Ordnung und Sicherheit, die adligen Landfriedensbrecher, Placker, Schnapphähne, Mörder, Mordbrenner, Räuber und Nothzüchter. Unmittelbar neben dem gewinnenden Bilde des ritterlichen Gottes- und Minnedienstes stand die Carricatur junkerlicher Gewaltthat, Frivolität und Schändung.

Die letztere Erscheinung mußte an den Höfen der geistlichen Fürsten, wo die Frauen nicht das milde Scepter der Sitte und Zucht führen durften und deshalb die Leidenschaften ungezügelter auftraten, noch weit greller hervortreten. Stiegen doch die geistlichen Fürsten aus den begüterten Adelsfamilien des Landes über die Stufen des Altars auf den bischöflichen Stuhl, der im Laufe der Zeit im grellsten Widerspruch mit den Geboten Christi zum Fürstenthrone geworden war. Nirgend wucherte daher der freche und nichtswürdige Junkergeist üppiger als in den Ländern des Krummstabs, ja die stolzen Träger desselben, die sich gleichsam in aufgeblasener Selbstironie Nachfolger der Apostel nannten, brachten den ausgelassen wilden, übermüthig frivolen und höhnisch grausamen Junkergeist in sich selbst zur widerwärtigsten Erscheinung, während ihre Inful das warme Nest war, in welchem unter dem Schutze des Kreuzes die Basiliskeneier wüster Vergewaltigung ausgebrütet wurden. Die Geschichte der gefürsteten und Land und Leute beherrschenden Bischöfe im Mittelalter ist zumeist eine bluttriefende, von aller erdenklichen Schandthat und ungebehrdiger Rohheit beschmutzte und spricht in jedem Worte den Liebesgeboten des großen Menschenfreundes von Nazareth, als dessen Jünger sie sich zu gehaben erfrechten, den scheußlichsten Hohn.

Nur wenige einsichtsvolle, menschlich fühlende und wohlwollende geistliche Regenten jener Zeit machen von dieser empörenden Widerwärtigkeit ehrenhafte Ausnahmen, die dann diesem alle gesunde Lebensentfaltung vergiftenden Junkerunwesen mit seinen ehrlosen ekelhaften Auswüchsen mit mehr oder minder Entschiedenheit und mit mehr oder minder Erfolg bekämpfend entgegentraten.

Unter diesen Ausnahmen glänzt der Fürstbischof Konrad von Würzburg, der, aus dem Adelsgeschlecht derer von Rabensburg entsprossen, von 1198 bis 1202 dem Bisthum am Main mit Kraft und Würde vorstand, als ein Stern hervor und ist als ein echter deutscher Biedermann mit hohen Ehren und besonderer Auszeichnung zu nennen. Seine Stammburg, die Rabensburg, lag zwei Stunden unterhalb Würzburg an der rechten Seite des Maingrundes. Das adlige Haus, welchem Konrad entstammte, war eins der angesehensten im Reiche und durfte sich der Abkunft von dem Geschlechte der salischen Könige rühmen. Sein Vater, Dietho von Rabensburg, war ein Liebling des Kaisers Friedrich des Rothbarts gewesen und hatte mit Bewilligung desselben die geschiedene Gattin des Kaisers, die Gräfin Vohburg, von welcher sich Friedrich angeblich wegen zu naher Verwandtschaft getrennt, geheirathet, und die ehemalige Kaiserin war Konrad’s Mutter geworden. Deshalb war ihm der große Hohenstaufe, der mit seinen Eltern stets in freundlicher Verbindung geblieben, von Kindesbeinen an gewogen gewesen und hatte den durch Geist, Bildung und Persönlichkeit gleich hervorragenden Jüngling zu seinem Kanzler gemacht, welches wichtige Amt er auch unter Friedrichs Sohne, dem Kaiser Heinrich VI., bekleidet hatte. Dieser hatte ihm, in Messina erkrankt, den Oberbefehl über das für den vierten Kreuzzug bestimmte sechszigtausend Mann starke Heer übertragen, womit er, damals Bischof von Hildesheim, der unter Friedrich I. schon in Palästina gekämpft, die syrische Küste besetzte und mit dem jungen Herzog Friedrich von Schwaben, des Kaisers Sohn, die Gesellschaft der deutschen Brüder, den nachherigen Deutschorden, stiftete. Des Kaisers Tod rief ihn und das Heer zurück. Er begab sich in sein Bisthum nach Hildesheim, ging aber im folgenden Jahre, zum Bischof von Würzburg erwählt, in sein schönes fränkisches Heimathland. Der Papst Innocenz III. widersetzte sich zwar dieser Wahl, weil Konrad sich bei der zwiespältigen Kaiserwahl für den ihm verwandten und befreundeten Hohenstaufen, Herzog Philipp von Schwaben, erklärt hatte, der ihm, dem von Syrien Zurückkehrenden, auch die Kanzlerwürde bestätigt, während der Papst den Gegenkaiser Otto von Braunschweig, den Sohn des Sachsenherzogs Heinrich des Löwen, durchbringen wollte. Der alte Parteihader der Waiblinger und Welfen entbrannte auf’s Neue, aber Konrad gelang es dennoch den leidenschaftlichen Papst durch eine Reise nach Rom zu versöhnen, vom angesprochenen Bann befreit und als Bischof von Würzburg bestätigt zu werden.

Bischof Konrad war also einer der bedeutendsten Fürsten seiner Zeit, gleich ausgezeichnet von Geist und Gemüth, wie von Charakter und Willensstärke, der Schwert und Feder gleich kräftig zu führen verstand. Sein eifriges Bemühen ging dahin, in seinem geliebten Vaterlande die so tief gesunkene Zucht und Sitte, öffentliche Ordnung und Sicherheit unverzüglich aufzubessern und den Anhängern der Unzucht und Vergewaltigung mit Kraft und Nachdruck entgegenzutreten. Deshalb vermochte er auch den neuen König Philipp, die scharfe Verordnung über Landfriedensbruch, Mord, Brand, Raub, Nothzucht und Schändung zu erneuen. Da hielten nun die Junker und Schnapphähne einige Jahre Ruhe und Frieden im Bisthume, aber dann brach die Pestbeule wieder von Neuem auf.

Mit großem Mißfallen bemerkte der hochsinnige Bischof, daß seine nächsten Verwandten, die Söhne seines Bruders und seiner Schwester, sich einem leichtfertigen und lockern Leben hingaben und unter dem vermeintlichen Schutze des Krummstabs ihres Ohms sich Ausschweifungen aller Art erlaubten. Die ernsten Warnungen des sittenstrengen Bischofs vermochten die jungen Wüstlinge nur zu etwas mehr Vorsicht. Daß aber auch diese bald genug wieder aus den Augen gesetzt wurde, beweist der Vorfall, der den Bischof in der Glorie der höchsten Gerechtigkeitsliebe und Mannestugend zeigt und durch den tragischen Ausgang unsere höchste Theilnahme erregt.

Der älteste Sohn seines Bruders, ein schöner Jüngling und als sein Liebling von ihm zu seinem Erben bestimmt, hatte sich vor dem Ohm am meisten zu verstellen gewußt. Der Bischof glaubte ihn gehorsam und eines ordentlichen Wandels beflissen. Da entstand eines Tages in der ersten Woche des Christmonats 1202, ein Auflauf in den Straßen Würzburgs; man vernahm Ausrufe der Entrüstung und die Wehklagen eines Greises, den viele Bürger nach der bischöflichen Wohnung im Bruderhof führten. Dieser Häusercomplex liegt fast mitten in der Stadt nicht weit vom Dome und besteht heute noch in seiner alterthümlichen Form. Als die Männer vor dem Bischof standen, erzählte der Alte mit Thränen, daß seine Tochter, eine reine und sittsame Jungfrau, von einem adligen Jünglinge auf offener Straße in unzüchtiger Absicht angehalten, mit Gewalt in ein Haus gezogen und dort ihrer jungfräulichen Ehre beraubt, zum Tode erkrankt, in einem elenden jammervollen Zustande sei. Auf die Frage des entrüsteten Bischofs nach dem Thäter vernahm er mit Entsetzen den Namen seines eigenen Neffen und Lieblings. Doch sich fassend, that er, was Amt und Pflicht forderten. Dem unglücklichen Vater Trost, den entrüsteten Bürgern Vertrauen zusprechend, gelobte er Untersuchung und Sühne des Verbrechens und ließ unverzüglich auf den Wüstling fahnden und ihn an das aus Rittern und Bürgern vom Bischof zusammengesetzte königliche Schöffengericht abliefern. Diesem legte er die strengste Untersuchung und Ahndung der Uebelthat auf. Die erstere ergab die Wahrheit der Anklage, die andere das Todesurtheil des schuldig Befundenen nach dem auf des Beschofs Betrieb vom Könige erneuten und verschärften Gesetze. Dem Bischof stand als Landesherrn das Recht der Strafmilderung oder Begnadigung zu, und Jedermann erwartete, daß die gesetzliche Strafe verwandelt und der durch die Todesangst gezüchtigte Verbrecher beim Leben gelassen werde. Aber die Stunde der Strafvollziehung nahete heran, und der Bischof verharrte in finsterem Schweigen. Die ängstlich gewordene Blutsverwandtschaft bestürmte das Familienhaupt um das Gnadenwort und beschwor ihn bei der Ehre des Hauses, die Richter flehten ihn um Milderung des Urtheils an, die Kläger, deren Rachegefühl der strenge Spruch entwaffnete, baten um Schonung – Alles vergebens. Der Bischof blieb bei seinem Ausspruche, die gesetzliche Strafe müsse ohne Aufschub vollzogen werden.

Die ganze Stadt gerieth in die größte Aufregung, und der Bruderhof erfüllte sich mit Gnadebittenden. Der Bischof hatte den Eintritt in sein Gemach streng verboten. Nichtsdestoweniger stürmten zwei junge adlige Männer hinein, ebenfalls Neffen des Fürsten: Bodo von Rabensburg, der Bruder des Verurtheilten, und Hund von Falkenberg, der Schwestersohn des Bischofs, Kumpane des Verbrechers und in Gesinnung und Handlungsweise ihm gleich. Die heftigen Worte ihrer Fürbitte wies der eiserne Fürst mit scharfer Rüge ihrer eigenen Schuld zurück. Da unternahm die verzweiflungsvolle Familie im Verein [761] mit dem Domcapitel und der Bürgerschaft noch einen letzten Versuch; sie schickten den Domherrn Käs von der Osterburg, des Bischofs Rath und vertrauten Freund, in das Gemach, der sich des erhaltenen Auftrags in würdigster Weise entledigte, indem er eine gehaltvolle eindringliche Rede über das Thema: Vergieb uns unsere Schuld, wie wir unsern Schuldnern vergeben, hielt und die menschliche Barmherzigkeit als nothwendig aus der göttlichen ableitete. Der Bischof hörte ihn ruhig an und fragte dann eben so: „Sagt mir doch, wie hieß der alte Römer, der seine beiden Söhne enthaupten ließ?“

„Die Söhne des Lucius Junius Brutus hatten das ganze Vaterland beschimpft, und diese Schmach mußten sie mit dem Leben büßen; Euer Neffe hat ein einzelnes niederes Bürgermägdlein verletzt. Sie vergiebt ihm, ihr Vater vergiebt ihm, die erst erbosten Bürger vergeben ihm. Da ist denn doch ein gewaltiger Unterschied zwischen der Schuld der Brutussöhne und der des Rabensburgers.“

„Wer den Theil verletzt, beleidigt das Ganze. Ich selber habe die Auffrischung des Gesetzes gegen Nothzüchter beantragt, und sollte nun selbst zuerst die Spitze desselben gegen meinen Neffen abbrechen? Auch die römischen Consuln würden Jungfrauenschänder haben hinrichten lassen, wenn das Gesetz es vorgeschrieben hätte.“

„Auch ist,“ fuhr der Domherr fort, „zwischen der altrömischen und der deutschen Denkungsart ein großer Unterschied. Jene gefiel sich in schroffer Strenge; wir lieben Mäßigung und Milde.“

Der Bischof deutete auf ein vor ihm liegendes Buch mit der Frage: „Was meint Ihr, waren die Sigambern nicht ein deutscher Volksstamm?“

Der Domherr, dem die Absicht dieser Frage dunkel blieb, versetzte nach einigem Zaudern: „Gewiß waren sie das! Sind sie doch die Väter des Frankenstammes, und der Franke ist mit Recht stolz auf solche Abstammung.“

„Wohl, so hört denn eine sigambrische, altfränkische oder deutsche Geschichte!“ Und der Bischof las aus dem Buche Folgendes: „Vor Alters lebte ein Herzog der Sigambern, Namens Basan, ein Mann, so fest, gerecht und tugendhaft, daß sein Volk den Lebenden eben so liebte und fürchtete, als dem Todten göttliche Ehre erwies. Sein Sohn Sedan, ein schöner, aber leichtfertiger Jüngling, verführte das Weib eines armen Mannes, nahm es mit Gewalt hinweg und lebte mit der Buhle in sündiger Gemeinschaft. Der geschädigte Mann trat klagend vor den Herzog, der ihn anhörte und beruhigte, den Handel untersuchte und, als er des Klägers Aussage wahr befunden, dem schuldigen Sohne die Strafe des Todes zuerkannte. Drauf traten die Großen des Reichs vor den Richterstuhl und baten um das Leben ihres künftigen Oberhauptes. Der greise Richter aber entgegnete: „Streitet nicht, ihr sonst so starken Männer, wider die Gerechtigkeit, damit euer Arm nicht im ungleichen Kampfe erschlaffe! Denn leichter ist’s, den Sturmwind mitten in seinem Laufe zu hemmen, als meinen Willen von der Bahn des Gesetzes abzuwenden.“ Die Fürsten schwiegen; Basan zog sein Schwert, und die Wohlgestalt des gefesselten Jünglings noch einmal mit dem Blicke väterlicher Liebe messend, durchbohrte er ihn mit den Worten: „Mein Sohn, nicht Dein Vater tödtet Dich, sondern das um Sühne schreiende Gesetz.“ – Da stürzte des Herzogs Gemahlin, die Mutter des Hingerichteten, herbei, warf sich im wüthenden Mutterschmerze über des geliebten Sohnes Leiche und schalt den Gemahl einen Mörder und Barbaren. Der gerechte Fürst sprach zu ihr vor allem Volke. „Weib, Dir kommt es zu, Deinem Herrn zu gehorchen, nicht aber Deinen Gatten und Herzog zu beschimpfen. Ich schwöre Dir bei dem höchsten Gotte, wäre ich in diesem Augenblicke nicht von Leidenschaft bewegt, ich würde auch Dich sogleich mit diesem Schwerte erschlagen, obgleich Du mir das Teuerste auf der Welt bist.“ Nach Verlauf einer Woche, als des Herzogs Schmerz über des Sohnes Tod gemildert und sein Unwille über die von der Gattin erfahrene Beschimpfung erloschen war, berief er die Fürsten und Aeltesten des Volkes und verstieß vor der Versammlung die von ihm so sehr geliebte Gemahlin, indem er sie mit Schätzen zu ihrem Vater zurückschickte. Seit dieser Zeit nannte das sigambrische Volk Basan’s Namen als gleichbedeutend mit dem Worte Gerechtigkeit, und noch lange nach des streng gerechten Herzogs Tode riefen die Sigambern einem strauchelnden Stammesgenossen und die Eltern einem strafbaren Kinde zu: Kennst du den großen Basan nicht?“ Der Bischof legte das Buch bei Seite und fuhr fort: „Dieser einst starke Arm ist jetzt zu schwach, um dem Beispiele des Sigambern zu folgen und dem Frevler eine schmählichere Todesart zu ersparen. Auch lassen unsere Zeit und unser Glaube ein solches Verfahren nicht zu. Und so muß der Verbrecher unter dem Henkersschwerte sterben!“

Mit diesem Bescheid zog der Domherr ab. Der Bischof aber wanderte wieder händeringend und bitterlich weinend durch seine einsamen Gemächer, so daß die Diener draußen selbst in Jammer ausbrachen. Sie hörten ihren schwerbelasteten Herrn in die kummervollen Worte ausbrechen: „Unseliger! Der Ohm wird über der Leiche des Neffen zu Grabe fahren, der Herzog aber muß den Verbrecher enthaupten lassen!“ Und hinaus tretend, gebot er dem im Vorzimmer harrenden Blutbann die ungesäumte Vollstreckung des Urtheils. Der Stöcker that seine Pflicht, die Bürger zogen von der Richtstätte in den Bruderhof und dankten dem Bischof für seine strenge Gerechtigkeit, er aber durchwachte die Nacht in Schmerz und Trauer um den geliebten Neffen.

In der Frühe des folgenden Morgens schickte er sich an, im nahen Dorfe die Messe zu lesen. Allein und in sich gekehrt, das kummervolle Haupt gebeugt, trat er aus dem Bruderhof auf die Straße. Da standen vier Männer, deren er nicht achtete. Bei ihnen angekommen, sah er sich plötzlich von ihren geschwungenen Schwertern bedroht. Der Arm, den er zum Schutz gegen sie erhob, wurde ihm im Nu durch den ersten Hieb vom Leibe getrennt; die folgenden Streiche trafen das ehrwürdige Haupt des wehrlosen Greises, der unter ihnen den Geist aufgab. Die Mörder waren seine beiden Neffen Bodo von Rabensburg und Hund von Falkenberg mit ihren Knechten, deren Rachedurst ihm an der Leiche ihres Genossen den Tod geschworen hatte. Auf ihren bereitgehaltenen Rossen flohen sie aus der Stadt, deren Straßen vom Mordioruf und dem Schalle der Sturmglocken ertönten. Das Volk stürzte aus den Häusern, die Schreckenskunde verbreitete sich schnell, und Alles strömte zum Dome, wohin die Leiche des allverehrten Oberhirten getragen worden war. Der Name der Mörder flog mit Verwünschungen und Wuthgeschrei von Mund zu Mund; jede Hand bewaffnete sich, und Schaar an Schaar drängte aus dem Thore thalabwärts der Rabensburg zu, die erstürmt und der Erde gleich gemacht wurde. Ein anderer Haufe zertrümmerte die Neuenburg, ebenfalls ein Haus der Rabensburger bei Triefenstein. Dann loderte der Stammsitz der Falkenberger in Flammen auf, und was sich von den Angehörigen und Dienstmannen der beiden Familien nicht durch eilige Flucht rettete, fiel durch das Schwert der schonungslosen Rächer. Erst als alle Habe der Rabensburger und Falkenberger verwüstet, alle ihre Leute, die zu erreichen gewesen, erschlagen waren, kehrten die Bürger zur Stadt zurück, um den edlen Märtyrer der Gerechtigkeit mit großer Trauerpracht zu bestatten und an die Stelle der Mordthat eine Denksäule zu setzen. Dort steht sie noch, wenn auch erneuert, an der Wand des Hauses, mit dem alten lateinischen Distichon versehen, welches freilich die tiefe sittliche Bedeutung des Steines nicht bezeichnet. Sonst enthält der Stein nur noch den Todestag des Bischofs und keinen Namen, keine Angabe der That. Und da er an der Wand steht, wird er von Fremden nicht groß beachtet.

Die Mörder flohen nach Rom, um sich vom Papst Absolution für ihr Verbrechen zu erflehen, vertrauend auf den Umstand, daß der erschlagene Bischof früher im Kirchenbann gelegen. Jedermann verlangte den Tod der Mörder, Innocenz schenkte ihnen das Leben. Das ist charakteristisch für die Gerechtigkeitsliebe des Statthalters Christi. Was er den scheußlichen Blutmenschen als Buße auferlegte, war doch nur elendes Komödienspiel: sie sollten einem Kreuzzuge beiwohnen und nur gegen die Saracenen und zur eignen Lebensrettung die Waffen führen dürfen. Bis zu ihrer Fahrt nach dem gelobten Lande sollten sie barfuß im Linnenkittel einhergehen, nur an den drei höchsten Feiertagen und während des Kreuzzuges nur Sonntags Fleisch essen, an drei Wochen- und vielen andern Jahrestagen bei Wasser und Brod fasten. Ferner sollten sie weder Pelzwerk, noch farbige Tücher tragen, an keiner öffentlichen Festlichkeit oder Gelag Theil nehmen, täglich hundertmal das Vaterunser auf den Knieen beten, das Sacrament nur in Todesnot empfangen, in jeder größern deutschen Stadt halbnackt, Weiden um den Hals, Ruten unter dem Arme in die Kirche gehen und von den Priestern Züchtigung begehren und, um den Grund befragt, laut ihre Missetat bekennen, in Würzburg selbst aber, wofern sie da Sicherheit wünschten, zu Ostern, Pfingsten, [762] Weihnachten und St. Kilian im erwähnten schimpflichen Aufzuge in den Dom gehen, vor den Domherren niederfallen und die Züchtigung von ihnen heischen. Wiederverheirathung nach dem Tode ihrer Frauen wurde verboten. – Es kam natürlich ganz allein auf die Herren selbst an, was sie von den ihnen auferlegten Strafen ausführen wollten und was nicht.

Das Volk war gerechter als der Papst. Als Junker Bodo, nach Jahren in die Heimath zurückgekehrt, die Rabensburg wieder aufzubauen begann, wozu König Otto nicht nur die Erlaubniß, sondern auch die Handfrohn der benachbarten Gemeinde Veitshöchheim bewilligt hatte, war Jedermann gegen ihn und die Seinen. Verarmt mußten die Rabensburger den verhaßten, fluchbeladenen Namen ablegen und als gewöhnliche Ritter von Reinstein aus dem nicht mehr zu behauptenden Dynastenstande treten. Die Burgruine kam in Besitz des Stephansklosters in Würzburg.

Die Falkenbeger erlangten erst nach zweihundert Jahren, unter dem berüchtigten Bischof Johann II. von Würzburg (1411–1440), einem echten Junker, dem für Geld Alles feil war, die äußere Ehre wieder.

Bischof Konrad prangt aber in der Geschichte mit Recht als fränkischer Brutus. Doch seinen Dichter hat er bis heute noch nicht gefunden.