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Titel: Der fliegende Holländer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 303–304
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Erklärung des Naturphänomens Luftspiegelung
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[303] Der fliegende Holländer. Nach der Seemannssage ist der fliegende Holländer ein Unglücksbote in der Gestalt eines vollständig ausgerüsteten düster aussehenden Schiffes, welches mit vollen Segeln fahrend ebenso plötzlich verschwindet, wie es über dem Horizonte auftauchte. Dem Phänomen, das gewöhnlich in der Nähe des Caps der guten Hoffnung, mitunter auch in andern Meerestheilen stattfinden soll, folgen die furchtbarsten Stürme, aus welchen Schiff und Mannschaft selten entkommen. Die Sage erzählt dann weiter, ein holländischer Schiffscapitain sei, der gegen Standesgenossen und Untergebene verübten Verbrechen halber, für ewige Zeiten dazu verdammt, durch sein Erscheinen dem Seefahrer das ihm drohende Unglück zu verkünden. Daß das räthselhafte Schiff bei seiner Erscheinung nur Unglück im Gefolge haben kann, ist dem Seemann so klar, wie es früher für Jedermann bezüglich der großen Kometen war und selbst im 19. Jahrhundert leider – noch für Viele ist.

[304] Sehen wir davon ab zu untersuchen, ob der Sage eine wirkliche Erscheinung zu Grunde liegt oder nicht, sondern stellen nur allgemein die Frage auf: Ist eine ähnliche Erscheinung überhaupt möglich? – so können wir dieselbe getrost bejahen und beifügen, daß nicht nur das räthselhafte Schiff sich zeigen kann, sondern daß auch das Schiff ein Sturm und Unwetter weissagender Bote ist. Zur Erklärung dieses scheinbaren Wunders bedarf es nur einer rasch eingeleiteten Abkühlung der Luft, wodurch die Bedingungen zu der unter dem Namen Seegesicht, Kimmung, Fata morgana bekannten Luftspiegelung hervorgerufen werden können, welcher letzteren auf dem Meere gewöhnlich Stürme folgen.

Die Luftspiegelung läßt uns entferntere Gegenstände an Orten erblicken, an welchen sie sich in der Wirklichkeit nicht befinden; ihr wahrer Ort liegt entweder höher oder tiefer, zuweilen auch seitwärts von dem scheinbaren. Je nach Umständen erblickt man den Gegenstand und sein Bild zugleich – letzteres häufig verkehrt, – oder man sieht Gegenstände, welche in gerader Richtung zu sehen unmöglich wäre, da sie hinter andern Objecten liegen oder sich für den Beobachter unter dem Horizonte befinden. So sah z. B. Vince am 6. August 1806 von Ramsgate, unfern der Themsemündung, aus das ganze Schloß von Dover, während man sonst bei schönem Wetter, des davor liegenden Bergrückens halber, nur die Spitzen der vier höchsten Thürme erblicken kann. Scoresby sah, während einer Reise auf den Wallfischfang am 24. Juni 1822 an der grönländischen Küste plötzlich das Schiff seines Vaters so deutlich über dem Horizonte, daß er mit einem Dollond’schen Fernrohre jeden einzelnen Theil desselben erkennen konnte, während die genaue Rechnung ergab, daß sein Schiff von jenem 71/2 deutsche Meilen entfernt war. Durch einfache Rechnung ergiebt sich, daß das Schiff mindestens 4 Meilen jenseits des eigentlichen Horizontes und mehrere Meilen jenseits der Grenze des unmittelbaren Sehens gewesen sein muß.

Durch physikalische Versuche läßt sich nachweisen, daß die Luftspiegelung durch ungleiche Erwärmung oder Abkühlung einzelner Schichten der Atmosphäre bedingt ist. Eine solche ungleichmäßige Abkühlung einzelner Luftschichten werden aber – namentlich auf dem Meere – rasch eintretende Gewitter verursachen, besonders dann, wenn letztere sich aus einzelnen rasch vergrößernden, gleichsam aus sich selbst herauswachsenden, wildbewegten schwarzen Wolken entwickeln, wie dies in den westindischen Gewässern und in der Nähe des Caps der guten Hoffuung – hier heißt dieses Wolkengebilde. „Ochsenauge“ – häufig der Fall ist, wobei der Luftdruck sich schon vor dem Ausbruche des Sturmes bedeutend vermindert.

Befinden sich während des Ausbruches eines derartigen Gewitters zwei Schiffe in solcher Entfernung von einander, daß sie sich bei dem gewöhnlichen Zustande der Luft nicht sehen können, was bei etwa drei Meilen für die Verdeckhöhe, bei fünf Meilen für die Masthöhe der Schiffe eintreten wird, so wird in den meisten Fällen das eine Schiff früher den Sturm bekommen als das andere, da die heftigsten Stürme doch immer eine Viertelstunde Zeit brauchen, um fünf Meilen Weges zu durchlaufen. Häufig treten jedoch die Stürme nicht so plötzlich ein, sondern werden durch minder heftige Luftbewegungen eingeleitet, wodurch jener Zeitraum bedeutend vergrößert wird. Ist diese ungleichmäßige Abkühlung der Luft den Bedingungen der Luftspiegelung entsprechend, dann wird das eine Schiff plötzlich den überraschenden Anblick haben können, ein segelndes Schiff zu sehen, während es unmittelbar vorher dessen Nähe nicht ahnen konnte. Da die Luftspiegelung häufig vergrößernd zu wirken scheint, wie man namentlich ausf arktischen Expeditionen beobachtet haben will, und außerdem am Meereshorizonte – bei der den Gewittern häufig vorausgehenden großen Durchsichtigkeit der Luft – alle Gegenstände scharf begrenzt erscheinn, so wird die Erscheinung des Schiffes um so frappanter wirken; der Entfernung, der bedeutenden Strahlenbrechung, sowie der durch das Gewölke geschwächten Beleuchtung wegen, muß das Schiff ein eigenthümliches Ansehen bekommen, wobei nur die Phantasie etwas nachzuhelfen nöthig hat, um es geisterhaft zu machen. Bei der nach und nach eintretenden Ausgleichung der Temperatur aller Luftschichten verschwindet darauf das Schiff eben so geheimnißvoll wie es gekommen; für die erstaunten Seeleute bricht aber jetzt der Sturm ebenfalls los, und der fliegende Holländer, dessen Erscheinen, wie gezeigt, einer vollständigen Erklärung unterliegt, trägt dann nach der Ansicht des Seemanns die ganze Schuld alles augenblicklichen und, entgeht man glücklich den Gefahren dieses Sturmes, jedes während der weitern Reise das Schiff treffenden Ungemachs.

Daß wirklich den Gewittern und Stürmen häufig Luftspiegelungen vorausgehen, ist durch viele Beobachtungen dargethan, sodaß von vielen Seefahrern die Luftspiegelungen für ein Prognostikon eintretender Stürme gehalten werden.

Sowie die Erscheinung des fliegenden Holländers sich vollständig erklären läßt und – abgesehen von aller Ausschmückung durch Unverstand und Aberglauben durchaus nicht so unbedingt dem Reiche der Märchen einverleibt werden muß, so mögen manchen ähnlichen Sagen Ursachen zu Grunde liegen, deren Erforschung nicht nur von Interesse für den Ursprung der ersten, sondern auch für das große Gebiet der Erscheinungen selbst sein dürfte.
H. F.