Der entdeckte Schlüssel zum Herzen Afrika’s

Textdaten
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Autor: Albert Traeger
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Titel: Der entdeckte Schlüssel zum Herzen Afrika’s
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 556–559
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der entdeckte Schlüssel zum Herzen Afrika's.

Der Schlüssel und der Barth. – Eine Flußfahrt. – Die Nazarener sind da. – Der Staat Kororroha und seine Hauptstadt. – Die Felletah’s. – Unangenehmes Nachtquartier auf einem Baume. – Ein Dorf unterm Wasser. – Handel und Wandel. – Menschen als Tauschartikel.

Während immer noch viele Staaten und Städte Weisheit und Geld, „einnehmendes“ Wesen und Regierungskunst in Verschließungen und Verboten, Grenzjägern, Schlagbäumen, Eingangs-, Ausgangs-, Durchgangs- und unzähligen andern Steuern, Stadtthoren, Salz-, Malz-, Schmalz-, Mahl- und Schlachtsteuern suchen, bewährt und verwirklicht sich doch die wahre Weisheit und das wirkliche Wohl der Menschheit in Aufschließungen und in Beseitigung der Thore und Thoren. Und dies in einem Grade, daß die Thorschreiber und Thürschließer nicht so viel mehr verbieten und verschließen können, als anderswo durch Eröffnungen wieder gutgemacht wird. Die Menschheit wäre sonst auch schon längst an Verstopfung ausgestorben oder so vernagelt und eingeschlossen worden, daß nur noch Einige aus Mangel an Thürschließern unverriegelt und unvernagelt blieben. Die Gegenden, wo aufgeschlossen wird, sind zwar in der Regel weit, weil nur in solche weite Fernen unsere Thorschreiberdirektoren und Grenzverstopfer nicht hinreichen; aber sie kommen uns doch überall zu Gute, selbst in dem verstecktesten Winkel Deutschlands. Daß China und Japan Aus- und Eingangsthore bekommen haben, wirkt schon vortheilhaft auf die meisten Industrien aller Völker, auch Deutschlands, theils durch direkten Absatz, theils indirekt durch die zunehmende Thätigkeit und den größern Wohlstand Derer, welche dahin verkaufen. Die schwarzen Kinder Afrika’s bringen Tausenden von Arbeitern in Europa direkt Brot. Deutsche Spielwaarenfabrikanten, Gürtler, Glaser u. s. w. haben Millionen Kunden vom zehnten bis fünfzehnten Breitengrade in Afrika, nur daß diese Kunden bisher gar nicht oder sehr schwer zugänglich waren. Sie wußten keinen Weg zu uns, wir nicht zu ihnen. Das ist aber jetzt anders geworden. Wir haben jetzt einen Schlüssel bis mitten in das Herz Afrika’s, und der Schlüssel bekömmt auch einen herrlichen deutschen Barth[WS 1]. Durch ihn, einen Helden, wie ihn die ganzen Herren vor Sebastopol nicht aufweisen konnten, ist Afrika aufgeschlossen und ein großer, ebener Weg bis mitten in die Geheimnisse des Innern entdeckt worden. Damit schließt eine lange Reihe von heroischen Entdeckungs- und Forschungsreisen ab und eröffnet sich eine beinahe schrankenlose neue Welt für materiellen und geistigen Verkehr und sprudeln neue Wissenschafts- und Wohlstandsquellen auch für das lechzende Deutschland.

Der erste Abschluß der Entdeckungen und Forschungsreisen in Afrika[WS 2] erwartet uns wissenschaftlich in dem bald erscheinenden Werke Dr. Barth’s, den wir einst schon als Todten betrauern zu müssen glaubten und der deshalb, wie das Sprüchwort sagt, recht lange leben wird. Als Vorläufer und Ergänzung der Forschungen und des wissenschaftlichen Buches von Barth finden wir die jetzt erschienenen Mittheilungen des Dr. Baikie sehr interessant und wichtig, insofern sie praktische Bestätigung dessen bringen, was Dr. Barth als wissenschaftliche Folgerung seiner Forschungen aussprach, nämlich die Einheit der Flüsse Chadda und Benué. Sie sind ein ungemessen weit in’s Innere laufender einziger Nebenfluß des alten, geheimnißvollen Niger, auch Kowora oder Guora genannt, der aus dem südatlantischen Oceane durch den Golf von Guinea in unzähligen Mündungen nach verschiedenen Richtungen auf viele Hunderte geographischer Meilen in’s Innere hinein schiffbar ist und zum Theil die regsamste, thätigste, intelligenzfähigste Bevölkerung an seinen Ufern thatsächlich bespült, da Ansiedelungen und Dörfer gefunden wurden, in denen die Leute wie Biber und Amphibien wörtlich halb im Wasser leben.

Um uns eine Vorstellung von der Ausdehnung und Wichtigkeit der Forschungen in Afrika zu machen, muß daran erinnert werden, daß als bisheriges Ergebniß der Expeditionen von Hornemann (1795), Ritschi und Lyon (1818–20), Oudney Denham und Clapperton (1822–25), Clapperton und Lander (1825, 26), Lander (1830), Allen und Oldfield (1833), Dickson (1851) und von Richardson, Barth, Overweg und Vogel seit 1850 außer dem Wasserwege vom südatlantischen Oceane her auch Landwege vom mittelländischen Meere aus durch die Wüste nach dem großen Tsadseespiegel im Innern Afrika’s und die umliegenden Staaten mit dem größten Heroismus entdeckt und gebahnt wurden.

Die Dampfschiff-Expedition, welche zuletzt die englische Regierung unternehmen ließ und die Dr. Baikie schildert, hatte lediglich den Zweck, die von Barth behauptete Identität der Flüsse [557] Chadda und Benué zu untersuchen. Die Behauptung hat sich bestätigt: das Innere Afrika’s ist offen.

Die Herren Engländer hatten die Aufgabe, eine noch ganz unbekannte Landesstrecke von etwa 70 geographischen Meilen, nämlich von dem fernsten Punkte des Chaddaflusses, den Allen und Oldfield erreicht hatten, bis zu dem von Barth entdeckten Benué (etwa vom neunten bis zum fünfzehnten Längengrade unter dem achten nördlicher Breite) zu durchbrechen. Auf solchen Reisen erlebt man merkwürdige Abenteuer und sieht Land und Leute in noch nie entdeckten, ja für unmöglich gehaltenen Formen.

Da das ganze Buch von Dr. Baikie noch nicht durch Übersetzung zugänglich ist, geben wir einige dieser Merkwürdigkeiten zum Besten. Als die Reisenden auf ihrem kleinen aber starken Dampfschiffe den Punkt des Chadda, wo ihre Aufgabe eigentlich begann, erreicht hatten, war der Muth des von der Regierung nepotisch angestellten Kommandeurs Mr. Taylor schon zu Ende, so daß Dr. Baikie das Kommando übernahm und vorwärts in die unbekannte Welt, wo noch kein Schiff, geschweige ein Dampfer, noch kein Weißer gesehen worden war, dampfen ließ. Zwar sah man lange keine Städte und Dörfer an den Ufern, aber die Natur zeigte dafür ein desto üppigeres, lachenderes Gesicht. Der Fluß, im Durchschnitt von der Breite einer englischen Meile, glänzte nobel und spiegelblank zwischen üppigen Blumen und Bäumen, Hügeln und Thälern. Eine Heerde von mehr als hundert Elephanten machte eine Wasserparthie durch einen Nebenfluß und an seichten Ufern grunzten und walzten sich ungeheure Flußpferde und sperrten die Mäuler so weit auf, daß sich ein erwachsener Mann gerade zwischen Ober- und Unterlippe hätte stellen können. Endlich entdeckte man auch Wohnungen und Menschen dazu, sogar eine Stadt und zwar gleich eine ummauerte. Die Ufer bedeckten sich dicht mit schwarzen Menschen. Sie stierten mit starrem Schrecken auf das Dampfschiff und die weißen Leute darauf. Als diese landeten, stoben die Schwarzen alle auseinander bis auf einen einzigen Mann, den der Schreck und das Starren gefesselt zu haben schienen, so daß er kein Glied rühren konnte, nicht einmal seine weit aufgesperrten Augenlider. Als die Engländer zu ihm traten, ihm freundlich die Hand boten und Freundschaft bewiesen, thaute er plötzlich auf, ließ seinen Speer fallen und schrie tanzend und wahnsinnig springend vor Freude: „Weiße Menschen! Weiße Menschen! Die Nazarener sind da! Weiße Menschen gut, weiße Menschen reich, weiße Menschen Könige! Weiße Menschen! Weiße Menschen!“ Nun drängten sich auch die andern Leute aus der Stadt wieder heran, stimmten in das Jubelgeschrei ein und tanzten und wälzten sich auf der Erde vor unbändiger Freude. Endlich ward den Weißen beigebracht, daß der König sie erwarte. Dieser stand unter einer mächtigen, majestätischen Krone, nämlich der eines Baumes, und empfing sie mit gen Himmel erhobenem Blicke, dankend, daß weiße Menschen gekommen seien.[1]

Dr. Baikie besuchte die Residenz dieses Königs und andere Städte desselben Volks, größtentheils muhamedanischen Glaubens, und fand in ihnen hübsche Brennpunkte von Civilisation, mit anmuthigen Küchengärten in abgetheilten Beeten vor den Thoren, den ersten Spuren von Bebauung der Erde, die sie bis dahin entdeckt hatten. Die Wände und Dächer der Hütten waren anmuthig mit Kürbissen, Melonen und andern gurkenartigen Kletterpflanzen bezogen und in den Gärten reiften und blühten andere Pflanzen, „Ochro’s“ und graziöse „Papaws.“ Auf einem Marktplatze ward lebhafter Tauschhandel getrieben, Bier gegen Korn- und andere Getreidegarben. Einige Bewohner hatten Pferde von der feinsten arabischen Race und in der besten Pflege, blos Ritterpferde, wie sie von den Schildern und Waffen in den Ställen schlossen. Die Schilder, von Elephantenhaut gemacht und oval, waren so groß, daß sie Roß und Reiter zu decken im Stande waren. Die meisten Bewohner gingen in freier, willkürlicher, stets sehr spärlich bedeckender Nationaltracht aus selbstgefertigten Stoffen, einige in Ziegenfellen, andere blos mit grünen Blättern die ärgsten Blößen deckend.

Der Staat heißt Kororroha und die Hauptstadt, in welche sie zuerst kamen, Wukari. Er ist unabhängig, wie mehr oder weniger alle die kleinen Stammkönigreiche, die sich an dem großen Flusse hinziehen. Weiter im Norden und am Flusse aufwärts dehnen sich die Staaten eines der gebildetsten und verbreitetsten Völker, der Fellatahs mit dem Hauptstaate Fumbina oder Adamaua um den später südlich laufenden Benuéfluß herum. Die meisten Könige regieren von Kürbis- und Gurkenhütten aus und geben Audienz unter dem Schatten majestätischer Baumkronen, so daß sie selbst keine brauchen. Industrie und Kultur des Volkes geht bis jetzt nicht weiter, als um die einfachen, unerzogenen Bedürfnisse unter einer heißen Sonne und auf einem üppigen Boden zu befriedigen. Die Hauptbeschäftigung und die Haupternte der Leute dort besteht in jährlich mehreren Excursionen, um sich Sklaven und Sklavinnen einzufangen, sich einfangen zu lassen oder dagegen zu wehren. Die herrschenden Felletahs (auch Pulo’s oder Fulo’s genannt) vergessen manchmal von ihren Exkursionen zurückzukehren und die Gefangenen fortzuschleppen, so daß sie sich gleich in Feindesland niederlassen, Freundschaft schließen und in einander überheirathen.

Die Fellatahs sind Muhamedaner und von einer viel nobleren, schöneren (berberischen) Race, als die Neger in andem Staaten. Ihr Profil ist scharf, die Stirne hoch und breit, das Gesicht fein oval, die Nase von griechischer Geradheit oder gar adlerisch, und in den blauen Augen schwimmt und blitzt ungemeine Lebhaftigkeit. Nur die vollen Lippen erinnern an äthiopische Dicke. Sie zeigen viel Mutterwitz und Courage und sind im Handel und Wandel sehr pfiffig und thätig, im alltäglichen Leben mild und freundlich und im Ganzen wie artige und unartige Kinder. Dr. Baikie machte ganz allein Reisen unter ihnen. Eines Tages kehrte er von einer entlegenen Stadt allein, barfuß durch einen Sumpf knetend, zurück, um noch vor Nacht das Schiff zu erreichen. Als er aber acht englische Meilen zurückgeknetet hatte, verlor er trotz seines Taschenkompasses alle Orientirung, und durch Erklettern mehrerer Bäume, um sich von Oben her wieder zurechtzufinden, wurde er nur noch confuser und obendrein müde. Als er nun gar durch mannhohes Gras und dickes Gestrüpp arbeiten sollte, überraschte ihn die Nacht, so daß er sich entschließen mußte, diese in Confusion und Wildniß allein zuzubringen. Zu diesem Zwecke kletterte er auf einen Baum, um darin seine Schlafstelle aufzuschlagen, was gar nicht so übel sein würde, wenn man sich nur erst daran gewöhnt hätte. Auf Borneo gibt’s ja eine ganze Menschenart, die blos auf Bäumen lebt, in deren Kronen ihre Hütten flechtet und wie Eichhörnchen von Baum zu Baum springt.

Lassen wir Dr. Baikie seine Schlafstelle und Nachtherberge selbst schildern.

„Ich wählte einen Baum mit einem sich verdoppelnden Stamme oben, warf meine Schuhe über die Schultern und kletterte hinauf. Mit dem Rücken lehnte ich mich gegen den einen, mit denn Füßen gegen den andern Stamm. So dacht’ ich, etwa fünfzehn Fuß vom Boden, die Nacht in verhältnißmäßiger Sicherheit zu überleben. Die Nacht war glücklicher Weise nicht sehr dunkel, so daß ich wenigstens die Finsterniß und glänzende Sterne über mir sehen konnte. Später zog ein Gewitter auf, dessen Blitze mir oft die weite Umgegend in flammender Beleuchtung zeigten, freilich nur, um sie immer gleich in desto grausigere Nacht zu hüllen. Um den Insekten, die mich gierig umschwärmten, meine Füße nicht ganz preiszugeben, zog ich Schuhe und Strümpfe an, und nachdem ich meinem Körper durch Stricke an den Zweigen, durch welche ich meine Arme steckte, Haltung verschafft hatte, versuchte ich zu schlafen. Ungefähr um acht Uhr vernahm ich deutlich menschliche Stimmen in der Ferne; aber vergebenn sucht’ ich sie durch Schreien heranzulocken; doch merkt’ ich mir die Richtung, um etwa am Morgen deren Hütten zu entdecken. Nun wickelte ich mich, so gut es ging, ein, um den Insekten so wenig als möglich Haut zu bieten, und machte mir’s so bequem als möglich. Dies muß auch gelungen sein, denn ich schlief wenigstens vier Stunden. Ich wachte steif und noch mitten in der Finsterniß auf, und da ich nicht wieder einschlafen konnte, steckte ich mir die eine Hälfte meiner letzten Cigarre an, um die andere zum Frühstück zu verzehren. (Eine sehr luftige Kost: halbe Cigarre zum Abendbrot und die andere Hälfte statt Kaffee und „Eingebrocktem“.) Ich rauchte sparsam, aber desto luxuriöser war die Musik, welche Frösche, Heimchen und andere Eingeborne dazu machten. Die Mosquito’s brummten zu Tausenden um mich herum einen blutdürstigen Baß dazu. Auch einige Vögel, die über mir, eine Treppe höher, logirten, wurden manchmal laut. Wahrscheinlich waren sie nicht an das Rauchen gewöhnt. In der größten Ermüdung über meinen [558] Schlaf konnte ich nicht wieder einschlafen und studirte deshalb aus Langeweile Astronomie. Als ich die Venus entdeckte, den schönen Morgenstern, hoffte ich mit der peinlichsten Hoffnung auf die steigende Sonne.

„Inzwischen statteten verschiedene Bewohner dieser Gegend dem ungewöhnlichen Gaste ihren Besuch ab, schrecklich große, katzenäugige Eulen mit Hyänengeheul und sonstigen unfreundlichen Mißtönen, Leoparden und andere Thierchen von der Sorte, die’s nehmen, wo sie’s kriegen können. Sie zogen sich mit aufdämmerndem Morgenroth in ihre Privatgemächer zurück, ohne mich entdeckt zu haben, da ich jedenfalls über ihrem „Winde“ saß. Aber die geflügelten Räuber setzten ihre unermüdliche, summende Aufmerksamkeit gegen mein Blut auch im Morgenrothe fort, so daß ich endlich nach einer eilfstündigen Sitzung herabstieg und dankbar gegen meinen Wirth, nicht ohne neue Kraft im freundlichen Tageslichte mich wieder zurecht fand.“ – Freilich, so leicht ging das nicht. Er mußte sich nicht selten, nach dem Genusse seines erwähnten Frühstücks, der Cigarrenneige, durch ganze Tunnels des üppigsten Grases hindurcharbeiten oder sich gar erst solche Tunnels biegen, brechen und bahnen. Ein solcher Tunnel, durch welchen er kriechen mußte, war eine halbe englische Meile lang, und lediglich durch das häufigere Hin- und Herkriechen der Eingebornen unter den dichten Gras- und Schilfhäuptern hin entstanden. Mit Hilfe Eingeborner, die er richtig in der Gegend fand, von wo er in der Nacht menschliche Stimmen vernommen, erreichte er sein Schiff wieder, und die Expedition ging weiter stromaufwärts unter immer wilder und unfreundlicher werdende Stämme, manchmal an Hippopotamen vorbei, die sich am seichten Ufer im Schlamm und Sand wälzten und lustig, aber schrecklich schwerfällig umher planschend, die unerhörte Neuigkeit eines Dampfschiffes mit schrecklich komischem Kopfnicken und noch schrecklicherem Maulaufsperren anglotzten. Die Eingebornen essen das Fleisch derselben (eins ist so viel, wie 5–6 Ochsen) mit Appetit, und machen aus deren Zähnen alle möglichen Geräthe und Schmucksachen. Auch handeln sie damit, da sie feiner und fester sind, als Elfenbein. Wenn hier die Civilisation einbricht, werden manchem Flußpferde die kostbaren Zähne ausgezogen werden. Ein gewöhnlicher Backzahn ist ziemlich so groß, wie das Ende eines Ochsenhüftknochens.

Einmal landeten die Engländer am Ufer eines neuen kleinen Königreichs, bewohnt von einer Berber- und Negermischrace, die ihnen sehr verdächtige Aufmerksamkeit schenkte, und sie nicht wieder fortlassen wollte. Nur durch List und Festigkeit im Verein gelang es ihnen, der verdächtigen Zudringlichkeit zu entkommen.

„Ein andermal,“ erzählt Dr. Baikie selber, „liefen wir in eine Bucht des Flusses ein, und fuhren auf ein Dorf zu, das zu merkwürdig war, als daß ich es nicht schildern sollte. Wir rannten mit dem Schnabel unseres Bootes zu unserm größten Erstaunen plötzlich auf eine Hütte mitten im Wasser und sahen nun, daß das ganze Dorf mit der untern Hälfte unter Wasser stand. Das Merkwürdigste war aber, nun die Hütten im Wasser lebendig werden zu sehen. Die schwarze Bevölkerung stellte sich im Wasser vor die Thüren ihrer Hütten, Kinder bis über die Taille im Elemente der Fische, und starrten uns mit aller Macht an. Wie die Hütten dieser Amphibienmenschen gebaut gewesen sein mögen, weiß ich nicht; wie Menschen in diesen Biberbauten leben können, kann ich mir noch weniger erklären. Ich sah nur ganz deutlich, daß einige Leute untertauchten, um durch die wassererfüllten Eingangslöcher heraus zu kommen. Der Platz schien nicht etwa momentan überschwemmt, sondern von vorn herein in’s Wasser gebaut zu sein. Es waren Biber in Menschengestalt. Unser Staunen über diese amphibische Wohnungweise war gewiß eben so groß, als das der Leute über die Weißen und ihr Boot. Auf Ceylon leben bestialische Menschen in Felsenhöhlen, wie Bären und Löwen, auf Borneo gibt es Baumbewohner, in China leben ganze Dörfer und Städte auf schwimmenden Holzflößen; die Tuariks und Shanbahs leben obdachlos in der Wüste und decken sich mit dem blauen Himmel zu, und der Eskimo gräbt und kratzt sich seine Hütte in knirschenden Schnee hinein. Von allen diesen sonderbaren Logis hatten wir gehört, aber noch nie an die Möglichkeit geglaubt, daß Menschen wie Biber, Flußpferde und Krokodile sich auf überwässertem Schlamme absichtlich häuslich niederlassen. Und diese nie gefabelte Möglichkeit lag nun plötzlich in seltsamster Wirklichkeit vor uns!“

Die Engländer entdeckten hinter diesem menschlichen Biberdorfe etwas insulirtes trocknes Land um einen großen Baum herum, landeten und machten einige wissenschaftliche Beobachtungen. Währenddem sammelten sich die Bewohner, wurden immer dreister, schickten ihre Kinder und Weiber weg und zeigten Waffen. Offenbar war’s ihnm darum zu thun, unser Boot zu plündern. Ein alter, trockner Herr, ihr König, kauerte auf einem über das Wasser emporragenden Baumzweig, und sah zu, wie seine Unterthanen mit Gier auf ein rothes Hemde Jagd machten, das etwas aus einem Sacke auf dem Boote hervorlugte.

„Mein kleiner Hund aber wollte sich die Eingriffe auf unser Eigenthum nicht gefallen lassen. Er kläffte plötzlich tapfer aus seinem Verstecke im Boote auf, so daß die Dulti-Helden („Dulti“ nannte sich das Volk), die nie eine so bellende Kreatur gesehen hatten, sich plötzlich erschreckt zurückzogen, und großen Rath hielten. Sie fragten mich dabei durch Zeichen, ob das Wunderthier wohl beißen könnte, was ich sehr deutlich pantomimisch bejahte. Wir drückten und schleppten unser Boot in hohes Schilfgras hinein und hofften, trocknes Land zu finden; aber das Wasser erwies sich immer noch eine Klafter tief. Als es unmöglich schien, weiter in dieses Wassergewächsdickicht einzudringen, wollten wir zurückkehren, fanden aber, daß die Dulti mit ihren kleinen Kanoe’s Anstalten trafen, uns den Rückzug abzuschneiden. Doch wir drangen muthig auf sie zu, aber stießen, als wir wieder das offene Wasser erreichten, auf einen ganzen Ameisenhaufen kleiner Kanoe’s, wahrscheinlich die ganze Kriegsflotte des Dulti-Königreichs. Wir trafen einige Vorbereitungen zur Abwehr mit geladenen Revolvers, bewiesen aber den uns dicht folgenden Wassermenschen während unseres Rückzuges die größte Höflichkeit und winkten ihnen, uns zu folgen. Dies thaten sie auch, bis wir plötzlich den offenen Fluß erreichten. In diesen wagten sie sich mit ihren kleinen Nußschaalen und rechtwinkelig geschaufelten Rudern nicht, so daß wir uns plötzlich aus aller tragikomischen Gefahr befreit sahen.“

Dieses Abenteuer begegnete den Engländern ziemlich am äußersten Punkte ihrer Fahrt. Als sie sich überzeugt hatten, daß der von ihnen verfolgte Chaddafluß als Benué, den Barth entdeckt hatte, fortlaufe, kehrten sie zurück. Auf diesem Wege hatten sie Gelegenheit, einen Markt in der Hauptstadt eines Uferkönigreichs, die sie vorher ganz verödet gefunden (in Folge einer befürchteten Invasion der Fellatahs), in Augenschein zu nehmen. Es war schon gegen Abend, aber das Geschäft blühte noch im lebhaftesten Handel, Austausch von Bier, Salz, Palmöl, Korn, eingemachten und getrockneten Yamwurzeln, getrockneten Fischen, pulverisirten Blättern von Baobabgras, Kleidungsstücken, Brei einer orchideenartigen Pflanze als Nahrungsmittel, Kalk, Camholz, Farbestoffen, Sheabutter u. s. w. Auch bemerkte man Färbereien, einen tüchtig zuhauenden Schmied und andere Spuren von Industrie und Handwerk. Eine alte Dame, der sie einen Besuch machten, zeigte ihnen mit Stolz ein Stückchen Spiegelglas als kostbarste Seltenheit der Nation. Man sieht, was die Europäer mit ihren Ueberflüssen von Spiegeln und Luxussachen hier für brillante Geschäfte machen können unter Völkern, die schon so viel Kultur und Industrie in der Anlage besitzen und die größte Freude am Handeln und Tauschen haben, wie bei uns die Kinder. Die Engländer werden solche Winke auch am ersten verstehen, und bald Hunderte von Meilen lang an den Ufern des majestätischen Flusses bis in’s Innere Afrika’s hinein schachern, und die Schwarzen gehörig über den Löffel barbieren.

Das schadet auch nichts, und wenn diese kleinen Majestäten auch ihr halbes Königreich für ein paar Silbergroschenspiegel verkaufen. So mild, freundlich, lernbegierig und intelligenzfähig sich die Herren Schwarzen auch im Allgemeinen erwiesen, treiben sie doch eine skandalöse Wirthschaft. Sie beschäftigen sich wesentlich mit weiter nichts, als mit Wegfangen von Sklaven und Gefangenwerden, blos weil bisher der Anreiz zu lohnenderen und nützlicheren Beschäftigungen fehlte. Bringt man ihnen aber hübsche Tauschartikel gegen ihre Produkte, namentlich das friedliche Palmenöl, werden sie sofort wie bereits andere schwarze Könige und Unterthanen einsehen, daß man die Leute besser benutzen kann, als sie zu verkaufen und als Sklaven umherzutreiben. Mit Handel und Wandel, Austausch und weißem Verkehr kommt die Kultur, die friedliche Beschäftigung und die Humanität, mögen die Engländer ihren neuen Markt noch so sehr übervortheilen. Uebrigens sind, wie gesagt, die Schwarzen auch nicht auf den Kopf gefallen.


  1. Es soll dort eine Sage herrschen, daß einst weiße Menschen als Erlöser erscheinen würden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der Afrikaforscher Heinrich Barth
  2. Vorlage: n Afrika